Urteil des FG Münster vom 16.06.2004
FG Münster (Zahlungseinstellung, Republik, Differenzmethode, Börse, Schuldverschreibung, Erwerb, Argentinien, Emission, Einkünfte, Anschaffungskosten)
Datum:
Gericht:
Spruchkörper:
Entscheidungsart:
Tenor:
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Aktenzeichen:
Finanzgericht Münster, 10 K 2963/03 E
16.06.2004
Finanzgericht Münster
10. Senat
Urteil
10 K 2963/03 E
Die Klage wird abgewiesen.
Die Kosten des Verfahrens trägt der Kläger.
Die Revision wird zugelassen.
Gründe:
Streitig ist die Anwendung des § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 Satz 2 Einkommensteuergesetz
(EStG) auf argentinische Staatsanleihen.
Der Beklagte hatte gegenüber dem Kläger für das Jahr 2003
Einkommensteuervorauszahlungen auf vierteljährlich 5.417,- EUR zuzüglich 298,- EUR
Solidaritätszuschlag festgesetzt. Mit Schreiben vom 03.02.2003 beantragte der Kläger die
Herabsetzung der Vorauszahlungen, beginnend ab dem 10.03.2003, auf 0,- EUR. Zur
Begründung gab er an, er habe am 20.01.2003 durch notariell beglaubigten Kaufvertrag
Finanzinnovationen - vormals argentinische Staatsanleihen mit einem Zinssatz von 11,75%
bzw. einem variablen Zinssatz zwischen 8% und 15% - zum Preis von 39.243 EUR ohne
Stückzinsabrechnung nach Börsentageskurs an seinen Sohn veräußert, deren
Anschaffungskosten 175.008,- EUR betragen hätten. Der hierbei erlittene Verlust von
135.765,- EUR führe unter Zugrundelegen der übrigen Einkünfte wie in 2002 zu einem
steuerpflichtigen Einkommen von 0,- EUR.
Der Beklagte lehnte den Antrag auf Neufestsetzung der
Einkommensteuervorauszahlungen ab, da noch auf Bundesebene geprüft werde, ob es
sich bei den argentinischen Staatsanleihen um sogenannte Finanzinnovationen handele.
Der Kläger meint, mit der Zahlungseinstellung der Argentinischen Republik ab dem
24.12.2001 auf unbestimmte Zeit und dem durch Umschlüsselung erfolgten Übergang zum
flat-Handel (Wertpapierhandel ohne Stückzinsabrechnung) durch die Deutsche Börse
seien die Wertpapiere entsprechend internationaler Praxis zu Finanzinnovationen nach §
20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 Buchst. c EStG geworden. Die Zahlungseinstellung führe zu einer
Umqualifizierung der festverzinslichen Anleihen (Haisch, Der Betrieb 2002, 1736 ff;
Wellmann, Deutsche Steuerzeitung 2002, 179 ff.). Die Besteuerung sei dann entweder
nach der Emissionsrendite oder nach der Differenzmethode vorzunehmen. Da sich eine
Emissionsrendite aufgrund der Zahlungseinstellung der Argentinischen Republik nicht
ermitteln lasse, habe die Besteuerung nach der Differenzmethode zu erfolgen. Dabei sei
die Differenz zwischen Anschaffungs- und Veräußerungspreis - hier ein Verlust von
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135.765,- EUR - mit seinen übrigen positiven Einkünften zu verrechnen und die
Vorauszahlungen auf 0,- EUR neu festzusetzen.
Der Kläger beantragt sinngemäß,
den Beklagten zu verpflichten, die Vorauszahlungen zur
Einkommensteuer und zum Solidaritätszuschlag 2003, beginnend mit dem 10.06.2003,
auf 0,- EUR herabzusetzen, hilfsweise die Revision zuzulassen.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Er meint, die gesetzliche Regelung zur steuerlichen Behandlung von Finanzinnovationen
gemäß § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 EStG beträfe originäre Finanzinnovationen. Die im Streitfall
vorliegenden Wertpapiere als ursprünglich argentinische Staatsanleihen erfüllten diese
Bedingungen nicht.
Im übrigen komme die Anwendung der Differenzmethode auch deshalb nicht in Betracht,
weil - selbst dann, wenn es sich vorliegend um Finanzinnovationen iSd § 20 Abs. 2 Satz 1
Nr. 4 EStG handele - der Kursverlust infolge eines außerhalb des Kapitalmarktes
wirkenden Faktors, nämlich der Zahlungsunfähigkeit der Argentinischen Republik, auf der
Vermögensebene ausgelöst worden sei. In solchen Fällen müsse eine einschränkende
Auslegung des § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 Satz 2 EStG dergestalt erfolgen, dass statt der
Marktrendite (Differenzmethode) allein die rechnerisch auf die Besitzzeit des Veräußerers
entfallende Emissionsrendite der Besteuerung zugrunde gelegt werde.
Die Klage ist nicht begründet.
Der Beklagte hat zu Recht die Herabsetzung der Einkommensteuervorauszahlungen auf
0,- DM abgelehnt.
Nach § 20 Abs. 1 Nr. 7 EStG gehören die Erträge aus Anleihen, wenn die Rückzahlung des
Kapitalvermögens oder ein Entgelt für die Überlassung des Kapitalvermögens zur Nutzung
zugesagt oder gewährt worden ist, zu den Einkünften aus Kapitalvermögen. Gewinne oder
Verluste, die dadurch entstehen, dass ein Wertpapier über oder unter dem Nennwert des
Kapitals veräußert wird, sind - von eng begrenzten gesetzlichen Ausnahmeregelungen
abgesehen - grundsätzlich von einer steuerlichen Berücksichtigung ausgenommen. Solche
Wertänderungen haben bei der Ermittlung der Einkünfte keine Bedeutung (vgl. Urteil des
BFH vom 24.10.2000 VIII R 28/99, BStBl. II 2001, S. 97).
Diesem Grundsatz steht - auf den Streitfall bezogen - die Einführung des § 20 Abs. 2 Satz 1
Nr. 4 und Satz 2 EStG durch das Gesetz zur Bekämpfung des Missbrauchs und zur
Bereinigung des Steuerrechts (StMBG) vom 21.12.1993 (BGBl I 1993, S. 2310) nicht
entgegen. Zwar gilt nach dem Wortlaut dieser Vorschrift der Unterschied zwischen dem
Entgelt für den Erwerb und den Einnahmen aus der Veräußerung als Kapitalertrag, wenn
die Wertpapiere keine Emissionsrendite haben oder der Steuerpflichtige diese nicht
nachweist. Der Gesetzgeber erfasst hiernach mit der Besteuerung von sogenannten
Kursdifferenzpapieren (Finanzinnovationen) neben Kursgewinnen auch realisierte
Kursverluste als negative Einnahmen. Der Senat hält die Anwendung dieser Vorschrift auf
die argentinischen Staatspapiere nicht für geboten. Diese sind nicht als
Finanzinnovationen, sondern als Staatsanleihen mit festverzinslicher Ausstattung nach §
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20 Abs. 1 Nr. 7 EStG zu behandeln mit der Folge, dass Kursgewinne und -verluste nach §
23 EStG als "privates Veräußerungsgeschäft" bei der Festsetzung der
Einkommensteuervorauszahlungen steuerlich unberücksichtigt bleiben.
Nach § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 Buchst. c EStG gehören Schuldverschreibungen nur dann zu
den innovativen Wertpapieren, wenn Stückzinsen nicht gesondert in Rechnung gestellt
werden. Es muss demzufolge ein sogenannter flat-Handel (Differenz zwischen Kaufpreis
und Verkaufserlös ohne Zinsentgelt) stattfinden. Die argentinischen Staatspapiere hatten
im Zeitpunkt ihrer Emission einen 11,75%-igen bis 15%-igen Zinskupon, der zunächst auch
bedient wurde. Erst mit Zahlungseinstellung Ende 2001 durch die Republik Argentinien
erfolgte eine Umschlüsselung durch die Deutsche Börse (Finanzinnovation) mit der Folge,
dass die Banken keine Stückzinsen mehr besonders in Rechnung stellten. Diese Änderung
konnte die festverzinslichen Schuldverschreibungen jedoch nicht ohne weiteres einseitig in
ein finanzinnovatives Wertpapier verwandeln (a.A. Haisch, a.a.O.; Wellmann, a.a.O.). Erst
bei Einwilligung des Schuldners (Argentinien) als Partner des Finanzvertrages wäre nicht
mehr von einer Schuldverschreibung mit Emissionsrendite iSd § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4
Satz 1 Buchst. c EStG auszugehen. Die bloße Veränderung der Marktpraxis bzw. die -
möglicherweise nur vorübergehende - Zahlungseinstellung kann für sich genommen keine
anderen steuerlichen Tatbestände als ursprünglich vorgesehen erfüllen. Der
Anleiheschuldner hat aber weder einen Umtausch in anders ausgestattete
Schuldverschreibungen angeboten noch die Emissionsbedingungen in anderer Weise
geändert (vgl. Harenberg, NWB F 3, S. 12239 ff.). Es handelt sich bei diesen Wertpapieren
deshalb nach wie vor um Festzinsanleihen. Die Anleihen wären nur dann als
Finanzinnovation anzusehen, wenn der flat-Handel bereits bei Emission in die
Bedingungen aufgenommen gewesen wäre (Engelsberger, FR 2002, S. 1280 ff.), denn nur
in diesem Fall wäre die Nutzung der Kapitalanlage als Entgelt in der jeweiligen
Preisfeststellung enthalten gewesen. Damit ist die Anwendung der Vorschrift des § 20 Abs.
2 Satz 2 EStG im Streitfall ausgeschlossen, auch wenn im Übrigen die Voraussetzungen
des § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 Buchst. c EStG - Erwerb einer Schuldverschreibung ohne
Inrechnungstellen von Stückzinsen - hier vorliegen.
Eine Auslegung der Vorschrift nach ihrem Normzweck kommt zum selben Ergebnis. Ziel
des Gesetzgebers mit der Änderung des § 20 EStG durch das StMBG vom 21.12.1993 war
das Bemühen, die Verlagerung von Zinsen oder zinsähnlichen Gegenleistungen in die
Vermögenssphäre zu verhindern und die Besteuerung der Kapitaleinkünfte sicherzustellen
(BT-Drucks. 12/5630, S. 59). Auch wenn dies nach dem Wortlaut der ständig erweiterten
gesetzlichen Regelung des § 20 Abs. 2 Nr. 2 bis 4 EStG (Heinicke, EStG, § 20 Rz. 170 ff.)
nicht unmissverständlich gelungen ist, so verbleibt es doch bei dem Grundsatz, dass
Veräußerungsverluste wie auch -gewinne außerhalb des § 23 EStG nicht der
Ertragsebene, sondern der steuerrechtlich unbeachtlichen Vermögensebene zugeordnet
werden müssen. Die vom Kläger begehrte, über die steuerrechtliche Erfassung von
Zinserträgen hinausgehende Besteuerung von Kapitalanlagen, für die zwar eine
Emissionsrendite ausgewiesen ist, für die jedoch kein Nutzungsentgelt gezahlt wird, stellt
einen nach der derzeit geltenden Rechtslage (vgl. Urteil des BFH vom 24.10.2000 VIII R
28/99, a.a.O.) nicht hinzunehmenden Systembruch dar, der die steuerliche
Berücksichtigung von Verlusten ausschließt. Der Senat konnte damit die weiteren
Überlegungen, ob § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 Satz 2 EStG dem Steuerpflichtigen ein
Wahlrecht eröffnet oder - nur - eine Beweislastregel darstellt und ob das Entgelt für den
Erwerb der argentinischen Staatsanleihen möglicherweise - nur - mit dem Wert der
Schuldverschreibung im Zeitpunkt der Umschlüsselung durch die Deutsche Börse
anzusetzen ist, dahinstehen lassen.
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 Finanzgerichtsordnung.
Die Revision wird wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zugelassen.