Urteil des FG Münster vom 11.11.2005

FG Münster: bilanzstichtag, gewinnausschüttung, gewinnverwendung, wirtschaftliche identität, gesellschafterversammlung, geschäftsführer, kapitalerhöhung, datum, missbrauch, steuerfestsetzung

Finanzgericht Münster, 9 K 6277/03 K,F, 9 K 4409/05
Datum:
11.11.2005
Gericht:
Finanzgericht Münster
Spruchkörper:
9. Senat
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
9 K 6277/03 K,F, 9 K 4409/05
Tenor:
Unter Änderung des Körperschaftsteuerbescheides 1989 und des
Feststellungsbescheides gem. § 47 Abs. 1 KStG a. F., jeweils vom 25. 1.
1996 und in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 28. 10. 2003
werden die Körperschaftsteuer 1989 und die Teilbeträge des
verwendbaren Eigenkapitals zum 31.12.1989 nach Maßgabe der
Entscheidungsgründe festgesetzt bzw. festgestellt. Die Berechnung der
festzusetzenden bzw. festzustellenden Beträge wird dem Beklagten
übertragen.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
Die Kosten des Verfahrens werden den Beteiligten jeweils zur Hälfte
auferlegt.
Die Revision wird zugelassen.
G r ü n d e:
1
I.
2
Streitig ist, ob die (damalige) A GmbH (A GmbH, vormals B GmbH, vormals C GmbH)
bereits im Streitjahr 1989 Dividendenansprüche aufgrund einer Gewinnausschüttung
ihrer damaligen Tochtergesellschaft D GmbH - der späteren Rechtsnachfolgerin der A
GmbH und jetzigen Klägerin (Klin.) - für das Streitjahr 1989 aktivieren durfte.
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Die C GmbH mit Sitz in J betrieb den Handel mit ...stoffen. Alleiniger Gesellschafter war
seit Ende 1982 F. Mit Vertrag vom 17. 3. 1988 veräußerte dieser mit Wirkung vom 2. 1.
1988 seine Geschäftsanteile i.H.v. nominal insgesamt 100.000 DM an G i. H. v. 80.000
DM, an H i. H. v. 10.000 DM und an I i. H. v. 10.000 DM zum Kaufpreis von insgesamt
225.000 DM.
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Durch Gesellschafterbeschlüsse vom 31.5.1988 und 14.6.1988 wurden die Firma und
der Gegenstand des Unternehmens der C GmbH geändert. Unter dem Namen B GmbH
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sollte diese nunmehr gastronomische Einrichtungen und andere Anstalten der
Kommunikation betreiben. Die Gesellschafterversammlung berief außerdem den
bisherigen Geschäftsführer ab und bestellte zwei neue Geschäftsführer
(Handelsregister-Eintragung vom 19. 8. 1988). Ausweislich der Handelsregister-
Eintragung vom 12. 4. 1989 wurde der Sitz der B GmbH von J nach K verlegt.
Mit Urkunde Nr. .../1989 des Notars L vom 13.11.1989 übertrug G Teile seiner
Beteiligung an der B GmbH (vormals C GmbH) i. H. v. jeweils 10.000 DM auf M, N und
O zum Preis von jeweils 1 DM. Unter demselben Datum beschlossen die Gesellschafter
nachfolgend eine Kapitalerhöhung auf 150.000 DM (Urkunde Nr. .../1989 des Notars L),
so dass sich nunmehr folgende Beteiligungsverhältnisse ergaben:
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G 50 TDM zzgl. 25 TDM Kapitalerhöhung = 75 TDM
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M (Ehefrau) 10 TDM zzgl. 5 TDM Kapitalerhöhung = 15 TDM
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I 10 TDM zzgl. 5 TDM Kapitalerhöhung = 15 TDM
9
H 10 TDM zzgl. 5 TDM Kapitalerhöhung = 15 TDM
10
N (Sohn) 10 TDM zzgl. 5 TDM Kapitalerhöhung = 15 TDM
11
O (Sohn) 10 TDM zzgl. 5 TDM Kapitalerhöhung = 15 TDM
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Nach dem Gesellschafterbeschluss waren die neuen Stammeinlagen nicht in bar,
sondern dadurch zu erbringen, dass die P GmbH & Co Kommanditgesellschaft in K auf
Veranlassung ihrer sämtlichen Kommanditisten (G, M, I, H, N und O) ihre 100 %-ige
Beteiligung an der D GmbH in Gestalt eines Geschäftsanteils im Nennbetrag von 50.000
DM auf die Gesellschaft übertragen sollte. Der Wert der einzubringenden Beteiligung
wurde entsprechend ihrem Buchwert mit 50.000 DM festgelegt.
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Außerdem wurde die Firma der B GmbH in A GmbH (A GmbH) geändert und als
Unternehmensgegenstand die umfassende Beratung und Betreuung Dritter im Bereich
... festgelegt.
14
Ausweislich der Handelsregister-Eintragung vom 5. 3. 1990 bestellte die
Gesellschafterversammlung am 13.11.1989 des Weiteren die Herren Q und R als neue
Geschäftsführer.
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Die A GmbH wies in ihrem Jahresabschluss zum 31.12.1987 Aktivvermögen i. H. v. rd.
100 TDM und Umsätze i. H. v. rd. 1.032 TDM aus (vgl. Angaben zum Jahresabschluss
1988). Ausweislich des Lageberichts 1988 übte die A GmbH eine aktive Tätigkeit
lediglich in den ersten drei Monaten des Geschäftsjahres aus. Im Jahresabschluss 1988
erklärte die Gesellschaft u.a. sonstige betriebliche Erträge i. H. v. 10.800 DM, sonstige
betriebl. Aufwendungen (incl. Zinsen) i. H. v. 49.229,50 DM sowie einen Verlust aus der
die Verwertung des Aktivvermögens i. H. v. 90.791,96 DM. Zum 31.12.1988 wurden auf
der Aktivseite Vermögensgegenstände i.H.v. 19.904,95 DM erfasst und auf der
Passivseite Verbindlichkeiten und Rückstellungen i.H.v. 49.126,41 DM. Der nicht durch
das Eigenkapital (i. H. v. 100.000 DM) gedeckte Fehlbetrag betrug 29.221,46 DM.
16
In ihrem Jahresabschluss zum 31.12.1989 - festgestellt durch Gesellschafterbeschluss
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vom 20. 1. 1991 - wies die A GmbH u.a. Erträge aus Beteiligungen i. H. v. 4.142.360 DM
aus. In ihrer Körperschaftsteuer (KSt)-Erklärung 1989 (eingegangen beim Beklagten -
dem Finanzamt, FA - am 14. 1.1991) erklärte sie unter Vorlage einer
Steuerbescheinigung der D GmbH über eine Gewinnausschüttung am 27. 10. 1990 für
1989 i.H.v. 2.651.750 DM zzgl. anrechenbarer KSt i. H. v. 1.491.609 DM ein Einkommen
i. S. des § 47 Abs. 2 des Körperschaftsteuergesetzes (KStG) i. H. v. 4.158.748 DM,
einen Verlustvortrag aus den Jahren 1984 bis 1988 i. H. v. insgesamt 1.787.692 DM und
ein Einkommen i. H. v. 2.371.056 DM.
Zu der vorgenannten Gewinnausschüttung liegen das Protokoll einer außerordentlichen
Gesellschafterversammlung der D GmbH vor (in Kopie), welches als Datum den "22.
Dezember 1989" ausweist und das Protokoll einer ordentlichen
Gesellschafterversammlung mit der Datumsangabe "26. November 1990". Beide
Protokolle sind von Q und R als zur gemeinsamen Vertretung berechtigte
Geschäftsführer der A GmbH, der alleinigen Gesellschafterin der D GmbH,
unterzeichnet.
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Die vorgenannten Protokolle haben auszugsweise folgenden Wortlaut:
19
"Protokoll der außerordentlichen Gesellschafterversammlung der D GmbH .... Die
Gesellschafterin faßte folgenden Beschluss: Der sich zum 31. Dezember 1989
ergebende Bilanzgewinn wird an dem auf die Bilanzfeststellung folgenden Tag
ausgeschüttet, und zwar in der Höhe, in der die Ausschüttung aus dem
körperschaftsteuerlichen Eigenkapitalanteil gemäß § 30 Abs. 1 Nr. 1
Körperschaftsteuergesetz möglich ist. Ein etwa darüber hinausgehender Teilbetrag des
Bilanzgewinns soll auf neue Rechnung vorgetragen werden. K, 22. Dezember 1989 ..."
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"Protokoll der ordentlichen Gesellschafterversammlung der D GmbH .... Es wurden
folgende Beschlüsse gefasst:
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1. Der Jahresabschluss 1989 ... wird festgestellt.
22
2. In der außerordentlichen Gesellschafterversammlung vom 22. 12.1989 wurde eine
Gewinnausschüttung für das Geschäftsjahr 1989 in der Höhe beschlossen, in der sie
aus dem körperschaftsteuerlichen Eigenkapitalanteil gemäß § 30 Abs. 1 Nr. 1
Körperschaftsteuergesetz möglich ist. In Höhe des Ausschüttungsbetrages, der sich auf
DM 2.651.750 DM beläuft, wurde der Bilanzgewinn verwendet; der danach verbliebene,
zum 31. Dezember 1989 ausgewiesene Bilanzgewinn von DM 23,78 wird auf neue
Rechnung vorgetragen. ... K, 26. November 1990 ..."
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Das FA erließ mit Datum vom 12. 3. 1991 einen KSt-Bescheid 1989, in dem es das
Einkommen gem. § 47 Abs. 2 KStG und die KSt 1989 erklärungsgemäß feststellte bzw.
festsetzte. Unter Berücksichtigung der anzurechnenden KSt und der Kapitalertragsteuer
ergab sich danach ein Erstattungsbetrag i.H.v. 826.746 DM. Mit dem "gemäß § 164 II
AO" geänderten KSt-Bescheid 1989 vom 17. 6. 1991, der weiter unter dem Vorbehalt
der Nachprüfung stand, setzte das FA die KSt 1989 unverändert mit 1.327.791 DM fest,
änderte die anzurechnenden Beträge jedoch geringfügig, so dass sich nunmehr ein
Erstattungsbetrag i.H.v. 826.755 DM ergab.
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Aufgrund des notariellen Verschmelzungsvertrags vom 15. 1. 1993 übertrug die A
GmbH ihr Vermögen als Ganzes mit allen Rechten und Pflichten unter Ausschluss der
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Abwicklung gem. § 19 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 KapErhG auf die D GmbH gegen Gewährung
von Geschäftsanteilen dieser Gesellschaft (Verschmelzung durch Aufnahme). Die
Übernahme des Vermögens der A GmbH erfolgte im Innenverhältnis mit Wirkung zum
1.1.1993. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den vorgenannten Vertrag, das
Protokoll der Gesellschafterversammlung der D GmbH vom 15. 1. 1993 verwiesen.
Das Finanzamt für Konzernbetriebsprüfung S (KonzBp) führte Ende 1993 bei der D
GmbH (Klin.) als Rechsnachfolgerin der A GmbH eine Außenprüfung durch. Der Prüfer
vertrat die Auffassung, der Dividendenanspruch aufgrund der Gewinnausschüttung für
1989 dürfe bei der A GmbH nicht bereits in 1989, sondern erst in 1990 aktiviert werden.
Der Dividendenanspruch sei in der Regel dann zu bilanzieren, wenn ein
Gewinnverteilungsbeschluss vorliege und hierdurch ein verfügbarer Rechtsanspruch
des Gesellschafters in bestimmter Höhe endgültig begründet worden sei. Ein
Gewinnverteilungsbeschluss setze eine zuvor erfolgte Feststellung des
Jahresabschlusses mit einem zu verteilenden Gewinn voraus. Deshalb scheide der
Beschluss der Gesellschafterversammlung vom 22. 12.1989 (Absichtserklärung, den
noch festzustellenden Gewinn auszuschütten) als Gewinnverteilungsbeschluss aus. In
Ausnahmefällen könne der Dividendenanspruch zwar bereits zeitkongruent erfasst
werden, doch setze dies u.a. voraus, dass die Obergesellschaft bei deckungsgleichen
Geschäftsjahren während des gesamten Wirtschaftsjahres mehrheitlich an der den
Gewinn ausschüttenden Kapitalgesellschaft beteiligt gewesen sei (Hinweis auf die
Entscheidungen des BGH v. 3.11.1975 II ZR 67/73, BB 1976, 9; BFH, BStBl II 1986, 794
und 815, BFH, BStBl II 1991, 440). Daran fehle es im Streitfall. Auswirkungen habe die
Erfassung des Dividendenanspruchs erst im Jahr 1990 insbesondere für den
Verlustabzug, da ab dem Veranlagungszeitraum 1990 Mantelkauf-Verluste nicht mehr
abzugsfähig seien (§ 8 Abs. 4, 5 i. V. m. § 54 Abs. 6 KStG).
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Selbst wenn eine zeitkongruente Erfassung der Beteiligungserträge zulässig sein sollte,
bliebe zu prüfen, ob die Gewinnausschüttung unter dem Gesichtspunkt des Missbrauchs
von rechtlichen Gestaltungsmöglichkeiten gem. § 42 AO überhaupt bei der A GmbH zu
erfassen sei. Die im Jahr 1985 gegründete D GmbH sei als Dienstleistungsgesellschaft
für ihre damalige Alleingesellschafterin und ab Ende 1989 ihrer Schwestergesellschaft,
der Firma P GmbH & Co KG (P KG) tätig. Die Gewinnausschüttungen der D GmbH
seien vor der Einbringung in die A GmbH an die P KG und damit mittelbar an die
Kommanditisten der KG erfolgt. Dieser wirtschaftlich vernünftige direkte
Ausschüttungsweg werde durch die Sacheinlage der D GmbH-Beteiligung in die A
GmbH verkompliziert. Nun seien die Ausschüttungen aus dem Bilanzgewinn 1989
durch Beschluss vom 26. 11.1990 und aus dem Bilanzgewinn 1991 durch Beschluss
vom 18. 1. 1993 zunächst an die A GmbH erfolgt. Diese habe dann nach
Verlustverrechnung in 1989 aus dem Bilanzgewinn 1991 germäß Beschluss vom 26. 1.
1993 weiter an die Kommanditisten der P KG (die A GmbH-Anteile zählten dort zum
Sonderbetriebsvermögen) ausgeschüttet. Dieser ungewöhnliche Ausschüttungsweg
habe ausschließlich der Steuerminderung gedient. Die gekauften Verlustvorträge sowie
das bei der A GmbH (vormals C GmbH) vorhandene EK 04-Kapital (im Zeitpunkt der
Anteilsübertragung i.H.v. 1.628.946 DM) seien auf diese Weise steuerlich nutzbar
gemacht worden. Noch vor dem Ausschüttungsbeschluss vom 26. 1. 1993 habe die A
GmbH mit Vertrag vom 15. 1. 1993 ihr Vermögen als Ganzes unter Ausschluss der
Abwicklung gem. § 19 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 KapErhG auf ihre Tochtergesellschaft D GmbH
gegen Gewährung von Gesellschaftsanteilen übertragen. Damit sei der alte Zustand vor
Einbringung wieder hergestellt, wenn man davon absehe, dass sich die D GmbH-
Anteile nun nicht mehr im Gesellschaftsvermögen der P KG, sondern im
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Sonderbetriebsvermögen der Kommanditisten befänden. Eine solche strukturelle
Veränderung, falls diese denn gewollt gewesen wäre, hätte durch schlichte Übertragung
vom Gesellschaftsvermögen in das Sonderbetriebsvermögen vorgenommen werden
können. Der hier vollzogene umständliche Weg über Einbringung und Verschmelzung
sei jedenfalls ungewöhnlich. Sonstige wirtschaftliche oder außersteuerliche Gründe, die
die gewählte Gestaltung rechtfertigten, seien nicht ersichtlich und nicht vorgetragen.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Betriebsprüfungsbericht vom 22.11.1995
verwiesen.
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Das FA folgte der Auffassung des Prüfers und erließ am 25. 1. 1996 - unter
Berücksichtigung eines weiteren, hier nicht streitigen Punktes - (u.a.) einen gem. § 164
Abs. 2 AO geänderten KSt-Bescheid 1989 gegenüber der D GmbH als
Gesamtrechtsnachfolgerin der A GmbH, in dem es das Einkommen auf ./. 19.012 DM
feststellte und die KSt mit 0 DM festsetzte. Da es in der Abrechnung zur KSt 1989 keine
Steueranrechnung mehr vornahm, forderte es den aufgrund der vorgehenden
Veranlagungen erstatteten Betrag i.H.v. 826.755 DM zurück. Außerdem erließ das FA
ebenfalls mit Datum vom 25. 1. 1996 einen gemäß § 164 Abs. 2 AO geänderten
Bescheid über die Teilbeträge des verwendbaren Eigenkapitals zum 31.12.1989, auf
den wegen der weiteren Einzelheiten verwiesen wird.
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Die D GmbH als Rechtsnachfolgerin der A GmbH legte (u.a.) gegen die beiden
vorgenannten Bescheide Einspruch ein. Zur Begründung machte sie geltend, eine
zeitkongruente Aktivierung des Dividendenanspruchs sei zulässig. Auch liege kein
Missbrauch von rechtlichen Gestaltungsmöglichkeiten vor, weil keine Gesetzesnormen
bestanden hätten, die sich gegen eine Verlustverrechnung anführen ließen.
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Entsprechend einer Anregung der D GmbH ruhte das Einspruchsverfahren bis zur
Entscheidung des Großen Senats des BFH vom 7. 8. 2000 (BStBl II 2000, 632). Das FA
nahm nachfolgend das Einspruchsverfahren wieder auf und wies mit Schreiben vom 24.
1. 2003 darauf hin, dass seiner Ansicht nach auch nach der neueren BFH-
Rechtsprechung im Streitfall keine phasengleiche Aktivierung des
Dividendenanspruchs zulässig sei und auch die Übergangsregelung der
Finanzverwaltung (BMF-Schreiben vom 1. 11. 2000, BStBl I 2000, 510) keine
Anwendung finden dürfte, weil die Mehrheitsbeteiligung nicht während des gesamten
Geschäftsjahres bestanden habe.
31
Mit Schriftsatz vom 11. 2. 2003 machte die D GmbH als Rechtnachfolgerin der A GmbH
geltend, die Übergangsregelung sei anzuwenden; eine Mehrheitsbeteiligung während
des gesamten Geschäftsjahres könne nicht gefordert werden.
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Das FA wies die Einsprüche durch Einspruchsentscheidung vom 28.10.2003 als
unbegründet zurück. Ausgehend von dem Beschluss des Großen Senats vom 7. 8. 2000
(BStBl II 2000, 632) lägen im Streitfall die Voraussetzungen für eine sog. phasengleiche
Aktivierung von Dividendenansprüchen nicht vor. Zwar seien die Gesellschafter
ausweilich des Protokolls der außerordentlichen Gesellschafterversammlung vom
22.12.1989 endgültig entschlossen gewesen, eine bestimmte Gewinnverwendung
künftig zu beschließen. Der mindestens ausschüttungsfähige Bilanzgewinn sei am
Bilanzstichtag aber noch unbestimmt und den Gesellschaftern daher nicht bekannt
gewesen. Die Ausschüttungsabsicht des beherrschenden Gesellschafters müsse sich
aber auf einen genau festgelegten Betrag beziehen. Insbesondere reiche es dafür nicht
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aus, dass die Höhe des auszuschüttenden Betrages nur ungefähr feststehe und seine
exakte Bezifferung von erst in der Zukunft erkennbaren Umständen abhängig sei. Die
Übergangsregelung der Finanzverwaltung, nach der zeitweilig noch eine phasengleiche
Aktivierung nach "bisherigen Grundsätzen" gestattet werde (BMF-Schreiben vom 1. 11.
2000, BStBl I 2000, 510) führe zu keinem anderen Ergebnis. Denn nach der alten BFH-
Rechtsprechung (BFH, BStBl II 1986, 794 und 815) habe eine phasengleiche
Aktivierung des Dividendenanspruchs vorausgesetzt, dass die Mehrheitsbeteiligung
während des gesamten Geschäftsjahres bestanden habe. Daran fehle es im Streitfall. Im
Übrigen liege aus den im Betriebsprüfungsbericht dargelegten Gründen auch ein
Missbrauch rechtlicher Gestaltungsmöglichkeiten i. S. des § 42 AO vor.
Die Klin. (D GmbH) als Rechtsnachfolgerin der A GmbH hat hiergegen Klage erhoben
(9 K 6277/03) und diese u.a. mit der Übergangsregelung der Finanzverwaltung
begründet. Im Erörterungstermin vom 1. 2. 2005 hat die Berichterstatterin u.a. darauf
hingewiesen, dass die Frage der Anwendung der Übergangsregelung der
Finanzverwaltung eine Billigkeitsmaßnahme i.S. des § 163 AO betreffe, es sich bei
derartigen Billigkeitsmaßnahmen und der Steuerfestsetzung um zwei verschiedene
Verfahren handele und fraglich erscheine, ob das Finanzamt vorliegend erstmals in der
Einspruchsentscheidung eine derartige Billigkeitsmaßnahme abgelehnt habe. Um die
damit verbundenen verfahrensrechtlichen Unsicherheiten zu beseitigen hat die Klin. mit
Schriftsatz vom 17. 10. 2005 beim FA (nochmals) eine derartige Billigkeitsmaßnahme
beantragt und gegen den nachfolgenden ablehnenden Bescheid des FA vom 20. 10.
2005 Einspruch eingelegt. Diesen wies das FA durch Einspruchsentscheidung vom 27.
10. 2005 als unbegründet zurück. Die Klin. hat hiergegen Klage erhoben (9 K 4409/05)
und auf die Einhaltung der gesetzlichen Ladungsfrist verzichtet. Auch das FA hat - wie
bereits zuvor angekündigt - in der mündlichen Verhandlung ausdrücklich auf die
Einhaltung der gesetzlichen Ladungsfrist verzichtet.
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Zur Begründung ihrer Klagen macht die Klin. Folgendes geltend:
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1. Ausgehend von der geänderten BFH-Rechtsprechung (Beschluss des Großen
Senats des BFH vom 7. 8. 2000, BStBl II 2000, 632) sei die sog. phasengleiche
Aktivierung im Streitfall zulässig. Durch den Gesellschafterbeschluss vom 22. 12. 1989
sei die feste Ausschüttungsabsicht dokumentiert worden. Zu diesem Zeitpunkt sei der
Gesellschafterin A GmbH der mindestens ausschüttbare Bilanzgewinn der D GmbH
auch (zumindest weitestgehend) bekannt gewesen. Der Jahresabschluss 1988 mit
ausschüttbaren Gewinnvorträgen aus 1988 und Vorjahren von 1.234.138,16 DM habe
bereits seit dem 6. 12. 1989 (Unterzeichnungsdatum) vorgelegen. Außerdem habe die
zusammenfassende Kontenauflistung Januar bis September 1989 der Buchhaltung der
D GmbH einen Überschuss vor Ertragsteuern i.H.v. 1.806.556,41 DM ausgewiesen.
Zwar sei ein EDV-Zugriff auf die damaligen Buchhaltungsdaten wegen des
zwischenzeitlichen mehrfachen Systemwechsels nicht mehr möglich. Die Gesellschaft
habe aber noch Abfilmungen (Microfiches) der damaligen Buchhaltungsstände -
wenngleich nur noch für die jeweiligen Quartale -, denen die vorgenannten Zahlen bis
September 1989 entnommen worden seien. Dass diese Zahlen auch im Dezember, also
zweieinhalb Monate später den Gesellschaftern, die ja fast in allen
Gruppenunternehmen tätig gewesen seien und überdies in engster Familienbeziehung
zueinander stünden, durch das monatliche Berichtswesen in der Gruppe bekannt
gewesen sei, stehe außer Zweifel. Zudem hätten keine Ansatz- oder
Bewertungsspielräume bestanden, weil die Bilanzposten reine Geldwertposten
beinhalteten (Forderungen bzw. Verbindlichkeiten aus dem Leistungsverkehr der D
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GmbH mit anderen Gesellschaften der G, H, I, M, N und O-Gruppe). Aufgrund der
vorgenannten Unterlagen ergebe sich somit, dass zum Zeitpunkt des
Gewinnausschüttungsbeschlusses vom 22. 12. 1989 bekannt gewesen sei, dass der
ausschüttbare Gewinn (überschlägig gerechnet) betragen würde:
Handelsrechtliche Gewinnvorträge zum 1.1.1989 gemäß
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Jahresabschluss 1988 vom 6. 12.1989 1.234 TDM
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zzgl. KSt-Minderung bei Ausschüttung 20/44 561 TDM
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Überschuss 1989 vor Ertragsteuern 1.806 TDM
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abzügl. Gewerbesteuer 1989 (Hebesatz 400 %) ./. 301 TDM
41
abzügl. KSt-Ausschüttungsbelastung 36 v.H. ./. 542 TDM
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zu erwartende Bardividende 2.758 TDM
43
spätere tatsächliche Bardividende 2.658 TDM
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2. § 8 Abs. 4 KStG finde im Streitfall auf das Streitjahr 1989 gemäß § 54 Abs. 6 KStG
noch keine Anwendung, weil die Familienmitglieder G, H, I, M, N und O die Anteile
schon am 17. 3. 1988 erworben hätten.
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3. Ein Missbrauch rechtlicher Gestaltungsmöglichkeiten i. S. des § 42 AO liege nicht vor.
Mit der Sacheinlage der an der D GmbH Anteile in die A GmbH sei das bis dahin
bestehende Unterordnungsverhältnis P/D in ein Nebenordnungsverhältnis
umstrukturiert worden, womit zwei unterschiedliche Geschäftsbereiche, nämlich der ...
(P KG) und der ... (D GmbH) wirtschaftlich und rechtlich voneinander getrennt worden
seien. Ein solcher wirtschaftlicher Vorgang sei nicht auf seine Angemessenheit hin zu
beurteilen. Entgegen der Annahme des FA sei auch nicht der "direkte
Ausschüttungsweg" verlassen worden. Anstelle des Ausschüttungswegs D GmbH - P
KG - Kommanditisten der P KG sei lediglich der Ausschüttungsweg D GmbH - A GmbH -
Kommanditisten der P KG getreten. Die Verlustnutzung als Folge der wirtschaftlichen
und rechtlichen Trennung der beiden Unternehmen P und D begründe ebenfalls keine
missbräuchliche Gestaltung, denn zum damaligen Zeitpunkt habe es keine
Gesetzesnormen gegeben, die gegen eine Verlustverrechnung gesprochen hätten.
Schließlich habe die Verschmelzung der A GmbH auf die D GmbH erst drei Jahre später
stattgefunden, also ohne sachlichen und zeitlichen Zusammenhang mit der
Umstrukturierung in 1989. Die Verschmelzung habe auch nicht den alten Zustand vor
der Einbringung wieder hergestellt, denn die wirtschaftliche und rechtliche Trennung der
Bereiche P und D sei erhalten geblieben. Die damit verbundenen mannigfachen
zivilrechtlichen Konsequenzen dürften nicht als nebensächlich abgetan werden. Dass
die Gewinne der betreffenden Gesellschaften letztlich weiterhin immer zu den
Beteiligten der letzten Stufe (der Familie G, H, I, M, N und O) gelangten, sei in einer
geschlossenen Unternehmensgruppe stets der Fall.
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4. Die sog. phasengleiche Aktivierung müsse im Streitfall zumindest im Hinblick auf die
Übergangsregelung der Finanzverwaltung (BMF-Schreiben vom 1.11.2000, BStBl I
2000, 1510) zugelassen werden. Entgegen der Ansicht des FA setzte dies nicht voraus,
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dass die Mehrheitsbeteiligung während des ganzen Wirtschaftsjahres bestanden habe.
Soweit sich das FA auf die BFH-Entscheidungen in BStBl II 1986, 794 und in BFH/NV
1991, 440 stütze, habe sich der BFH dort "unglücklich geäußert". Denn in den dortigen
Streitfällen hätten die jeweiligen späteren Gesellschafter einen Gewinnanspruch bereits
zu einem Bilanzstichtag aktivieren wollen, zu dem sie überhaupt noch keine
Gesellschafter gewesen seien. Die weitere vom FA angesprochene BFH-Entscheidung
in BStBl II 1986, 815 betreffe die Anwendung des § 9 KStG i.d. vor 1977 gültigen
Fassung, der ausdrücklich eine Beteiligung während des ganzen Wirtschaftsjahres
verlangt habe. Bereits die damalige Literatur habe sich einhellig ablehnend zu der
unglücklichen Formulierung des BFH geäußert (vgl. Köster, DB 1993, 696 f.; Knobbe-
Keuk, Bilanz und Unternehmens-Steuerrecht, 9. Aufl., S. 83; Wassermeyer, Festschrift
für Döllerer 1988, S. 705 f.). Schließlich habe auch der I. Senat selbst seine
missverständlichen früheren Ausführungen im Beschluss vom 16. 12.1998 (BStBl II
1999, 551) korrigiert. Da diese Korrektur bereits vor dem BMF-Schreiben vom 1. 11.
2000 erfolgt sei, müsse auch bei der Auslegung des Begriffs "bisherige Grundsätze"
berücksichtigt werden. Gegenteiliges folge auch nicht aus den Verfügungen der OFD
Hannover vom 28. 9. 1999 und der OFD Kiel vom 1. 1. 2003. Die OFD Hannover habe
die Korrektur durch den BFH-Beschluss vom 16. 12. 1998 nicht beachtet und wohl auch
nicht beachten können, weil dieser Beschluss allenfalls äußerst knapp zuvor im BStBl
veröffentlicht worden sei. Soweit die OFD Kiel zur "alten Rechtsauslegung" noch auf
das Erfordernis der ganzjährigen Beteiligung eingehe, könne es sich dabei nur um eine
"historische" Darstellung handeln, denn dieses Erfordernis sei - wie dargelegt - ja
bereits aufgrund des Beschlusses vom 16. 12.1998 überholt gewesen. Soweit dort
formuliert werde "Für die Jahre, für die das alte Recht zur Anwendung kommt
(Anrechnungsverfahren) wird es nicht beanstandet, wenn
Gewinnausschüttungsansprüche phasengleich aktiviert werden" beziehe sich die
Wendung "alt" nur auf das inzwischen abgeschaffte "Recht des
Anrechnungsverfahrens". Ein Festhaltenwollen an dem von der Rechtsprechung nicht
mehr gedeckten Kriterium ganzjähriger Beteiligung sei deshalb aus dieser Verfügung
nicht abzuleiten.
Die Klin. beantragt,
48
1. unter Änderung des KSt-Bescheides 1989 und des Feststellungsbescheides
gem. § 47 Abs. 1 KStG a. F., jeweils vom 25. 1. 1996 und in Gestalt der
Einspruchsentscheidung vom 28. 10. 2003, die KSt 1989 und die Teilbeträge des
verwendbaren Eigenkapitals zum 31.12.1989 dahingehend festzusetzen bzw.
festzustellen, dass Dividenden- und Steueranrechnungsansprüche aufgrund der
Gewinnausschüttung der D GmbH für 1989 bereits zum 31.12.1989 i. H. v.
4.143.360 DM aktiviert und als Beteiligungsertrag des Jahres 1989 erfasst und
gleichzeitig die Verlustvorträge i. H. v. 1.787.692 DM berücksichtigt werden;
49
2. unter Aufhebung des Ablehungsbescheids betreffend eine Billigkeitsmaßnahme
vom 20. 10. 2005 und der Einspruchsentscheidung vom 27. 10. 2005 das
Finanzamt zu verpflichten, eine abweichende Steuerfestsetzung aus
Billigkeitsgründen gemäß § 163 AO dahingehend vorzunehmen, dass die
Dividenden- und Steueranrechnungsansprüche aufgrund der Gewinnausschüttung
der D GmbH für 1989 bereits zum 31.12.1989 i. H. v. 4.143.360 DM aktiviert und als
Beteiligungsertrag des Jahres 1989 erfasst werden.
50
Das FA beantragt,
51
de Klagen abzuweisen.
52
Zur Begründung verweist es zunächst auf seine Ausführungen in den
Einspruchsentscheidungen. Ergänzend/wiederholend trägt es vor, zwar komme
Bilanzierungswahlrechten im Streitfall auch nach Auffassung des FA kein erhebliches
Gewicht zu. Gleichwohl sei das FA - auch unter Berücksichtigung der Zeugenaussagen
in der mündlichen Verhandlung - der Auffassung, dass im Dezember 1989 allenfalls
eine ungefähre Vorstellung über die Höhe der für das Wirtschaftsjahr 1989
vorzunehmenden Gewinnausschüttung bestanden habe. Die
Gewinnausschüttungsabsicht am Bilanzstichtag 31.12.1989 könne sich jedenfalls nicht -
wie vom BFH in seinem Urteil vom 20. 12. 2000 I R 50/95 (BFHE 194, 185) gefordert -
auf einen genau festgelegten Betrag bezogen haben. Nach dem Beschluss des BFH
vom 7. 8. 2000 (GrS 2/99, BStBl II 2000, 633) trage derjenige die objektive Beweislast,
der sich zu seinen Gunsten auf eine phasengleiche Aktivierung berufe. Damit liege im
Streitfall die objektive Beweislast bei der Klin, und zwar auch für die Behauptung, dass
die außerordentliche Gesellschafterversammlung tatsächlich wie im Protokoll
angegeben am 22. 12. 1989 stattgefunden habe.
53
Der Senat hat Beweis erhoben durch Vernehmung der Zeugen Q und R. Wegen des
Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf das Sitzungsprotokoll verwiesen.
54
II.
55
Die Klage ist zulässig, jedoch nur hinsichtlich des Antrags auf Änderung des KSt-
Bescheides 1989 und des Feststellungsbescheides gemäß § 47 Abs. 1 KStG a.F. zum
31.12.1989 begründet. Die Verpflichtungsklage auf Erlass einer Billigkeitsmaßnahme
gemäß § 163 AO ist unbegründet.
56
1. Die Klage ist hinsichtlich beider Klageanträge zulässig.
57
Die Klin. begehrt mit ihrem ersten Klageantrag zwar eine höhere KSt-Festsetzung als
bisher. Hierfür besteht im Streitfall jedoch ein Rechtsschutzbedürfnis i.S. des § 40 Abs. 2
der Finanzgerichtsordnung (FGO), weil die Anrechnung der anrechenbaren KSt die
Erfassung der Dividendeneinnahmen voraussetzt (§ 36 Abs.-2 Nr. 2 EStG i.d. im
Streitjahr gültigen Fassung; vgl. BFH-Urteil vom 15. 12. 1999 I R 29/97, BStBl II 2000,
527) und weil ohne die Aktivierung im Streitjahr 1989 die Dividendenerträge erst im Jahr
1990 gewinnerhöhend zu erfassen wären, ohne dass der Klin. im Jahr 1990 noch ein
Verlustvortrag zustehen würde (zu Letzterem vgl. unter 2 b).
58
Auch für den zweiten Klageantrag, den die Klin. nach Erörterung der
verfahrensrechtlichen Fragen in der mündlichen Verhandlung als weiteren Haupt- und
nicht lediglich als Hilfsantrag gestellt hat, besteht ein Rechtsschutzbedürfnis. Dieses
würde allenfalls entfallen, falls dem ersten Klageantrag bereits aus materiell-rechtlichen
Gründen rechtskräftig stattgegeben würde. Im Hinblick auf die Ungewissheit, ob die
Entscheidung des erkennenden Senats hinsichtlich des ersten Klageantrags
rechtskräftig wird, ist bis zum Wegfall dieser Ungewissheit ein Rechtsschutzinteresse
auch hinsichtlich des Begehrens der Klin. anzuerkennen, das FA zum Erlass einer
Billigkeitsmaßnahme zu verpflichten.
59
2. Unter Änderung des KSt-Bescheides 1989 und des Feststellungsbescheides gem. §
60
47 Abs. 1 KStG a.F., jeweils vom 25. 1. 1996 und in Gestalt der Einspruchsentscheidung
vom 28. 10. 2003, werden die KSt 1989 und die Teilbeträge des verwendbaren
Eigenkapitals zum 31.12.1989 dahingehend festgesetzt bzw. festgestellt, dass
Dividenden- und Steueranrechnungsansprüche aufgrund der Gewinnausschüttung der
D GmbH für 1989 bereits zum 31.12.1989 i. H. v. 4.143.360 DM aktiviert und als
Beteiligungsertrag des Jahres 1989 erfasst und gleichzeitig die Verlustvorträge i. H. v.
1.787.692 DM berücksichtigt werden.
a) Die A GmbH durfte die Dividenden- und Steueranrechnungsansprüche aufgrund der
Gewinnausschüttung der D GmbH für 1989 gemäß § 8 Abs. 1 KStG i.V.m. § 4 Abs. 1
Satz 1 und § 5 EStG bereits zum 31.12.1989 aktivieren.
61
aa) Nach dem Beschluss des Großen Senats des BFH vom 7. 8. 2000 GrS 2/99 (BFHE
192, 339, BStBl II 2000, 632) ist die Möglichkeit der Aktivierung einer
Dividendenforderung vor Fassung des Gewinnverwendungsbeschlusses im Grundsatz
zu verneinen. Die wirtschaftliche Abspaltung (Realisation) einer solchen
Dividendenforderung von der ihr zugrunde liegenden Beteiligung kann zeitlich früher
nur ausnahmsweise dann und insoweit angenommen werden, als zum Bilanzstichtag
ein Bilanzgewinn der Gesellschaft auszuweisen ist, der mindestens
ausschüttungsfähige Bilanzgewinn den Gesellschaftern bekannt ist und für diesen
Zeitpunkt anhand objektiver Anhaltspunkte nachgewiesen ist, dass die Gesellschafter
endgültig entschlossen sind, eine bestimmte Gewinnverwendung künftig zu
beschließen. Unter diesen Voraussetzungen ist es denkbar, dass eine
Dividendenforderung als Wirtschaftsgut (Vermögensgegenstand) nicht erst mit der
Fassung des Gewinnverwendungsbeschlusses, sondern bereits am Bilanzstichtag
entsteht. Es liegt im Interesse der Rechtssicherheit, dass diese Prüfung nur an Hand
objektiver, nachprüfbarer und nach außen in Erscheinung tretender Kriterien
vorgenommen wird. Die Kriterien müssen sich sowohl auf den ausschüttungsfähigen
Bilanzgewinn als auch auf die feste Ausschüttungsabsicht der Gesellschafter beziehen.
Sie müssen einen sicheren Schluss zulassen und können weder unterstellt noch
vermutet werden. Können sie nicht nachgewiesen werden, trägt die objektive
Beweislast derjenige, der sich zu seinen Gunsten auf eine phasengleiche Aktivierung
beruft. Dies gilt selbst dann, wenn ein Gesellschafter zu 100 v.H. an einer
Kapitalgesellschaft beteiligt ist. In diesem Fall kann der mindestens
ausschüttungsfähige Bilanzgewinn als Folge der nach dem Bilanzstichtag noch
auszuübenden Bilanzierungswahlrechte Änderungen erfahren und deshalb am
Bilanzstichtag unbestimmt sein. Vielfach wird unsicher sein, ob der Gesellschafter noch
am Bilanzstichtag von der Höhe des mindestens ausschüttungsfähigen Bilanzgewinns
Kenntnis erlangte. Die Frage, ob der Gesellschafter bei unterstellter Kenntnis schon am
Bilanzstichtag zu einem bestimmten Beschluss über die Gewinnverwendung
entschlossen war, ist eine innere Tatsache, die praktisch nicht bewiesen werden kann
und die ihn vor allem nicht daran hindert, nach dem Bilanzstichtag seine Absichten zu
ändern. Es darf auch einem Alleingesellschafter nicht das Recht abgesprochen werden,
erst nach dem Bilanzstichtag abschließend über eine künftig zu beschließende
Gewinnverwendung zu entscheiden. Aus dem Gesagten folgt, dass von äußerst
seltenen Ausnahmefällen abgesehen die wirtschaftliche Realisation einer
Dividendenforderung schon zum Bilanzstichtag noch nicht angenommen werden kann.
Denn selbst wenn der mindestens ausschüttungsfähige Bilanzgewinn zum
Bilanzstichtag bekannt sein sollte, so fehlt regelmäßig noch die Meinungsbildung der
Gesellschafter darüber, ob der Bilanzgewinn (teilweise) ausgeschüttet werden soll.
Diese Meinungsbildung ist so wesentlicher Bestandteil der wirtschaftlichen Entstehung
62
einer Dividendenforderung, dass sie nicht nur als werterhellend, sondern als
wertbegründend behandelt werden muss. Auch das Gebot, wertaufhellende Tatsachen
zu berücksichtigen, die erst nach dem Bilanzstichtag bekannt werden (Stichtagsprinzip),
rechtfertigt keine andere Beurteilung. Die Entscheidungen, die erforderlich sind, um aus
dem Jahresüberschuss den Bilanzgewinn zu entwickeln, fallen regelmäßig erst nach
dem Bilanzstichtag. Selbst wenn man diese wertaufhellend auf den Bilanzstichtag
zurückbezieht, folgt aus dem Bilanzgewinn noch keine entsprechende
Gewinnverwendung. Vielmehr setzt die Gewinnverwendung die zusätzliche
Entscheidung der Gesellschafter voraus, den Bilanzgewinn (teilweise) ausschütten zu
wollen. Selbst wenn im Einzelfall eine eine phasengleiche Aktivierung zu einer
Verlustausnutzung führen würde, genügt allein dieser Umstand nicht, um auf die
Entstehung eines Wirtschaftsguts "Dividendenforderung" zurückzuschließen.
Die vom Großen Senat des BFH angesprochenen äußerst seltenen Ausnahmefälle, in
denen eine phasengleiche Aktivierung geboten ist, setzen nach der Rechtsprechung
des VIII. Senats des BFH voraus, dass am Bilanzstichtag entweder bereits eine
Verpflichtung zu einer bestimmten Gewinnausschüttung besteht (z.B. infolge eines
Ausschüttungsgebotes nach Gesetz oder Gesellschaftsvertrag, eines
Vorabausschüttungsbeschlusses, einer Ausschüttungsvereinbarung etc.) oder doch
zumindest die Meinungsbildung der Gesellschafter über die Höhe der späteren
Ausschüttung am Bilanzstichtag bereits endgültig abgeschlossen ist (BFH-Urteile vom
31.10. 2000 VIII R 19/94, BFH/NV 2001, 447 und VIII R 17/94, HFR 2001, 582).
63
Der erkennende Senat folgt der vorgenannten BFH-Rechtsprechung und versteht diese
zunächst dahingehend, dass es für die Frage einer phasengleichen Aktivierung nicht
(mehr) darauf ankommt, ob die die Ausschüttung beschließenden Gesellschafter bereits
während des ganzen Wirtschaftsjahres, dessen Ergebnis ausgeschüttet wird, an der
ausschüttenden Gesellschaft beteiligt waren (vgl. auch BFH-Urteil vom 20.12.2000 I R
50/95, BFHE 194, 185, BStBl II 2001, 409; Schmidt/Weber-Grellet, EStG, 24. Aufl., § 5
Rz. 270 "Dividendenansprüche").
64
Des Weiteren kommt eine phasengleiche Aktivierung nach den Grundsätzen des
Großen Senats des BFH nur dann in Betracht, wenn bei der ausschüttenden
Gesellschaft überhaupt ein entsprechender Gewinn besteht und anhand objektiver
Anhaltspunkte nachgewiesen wird, dass die Gesellschafter bereits am Bilanzstichtag
endgültig entschlossen sind, eine bestimmte Gewinnverwendung künftig zu
beschließen. Derartige objektive Anhaltspunkte liegen nach Auffassung des
erkennenden Senats vor, wenn die Gesellschafter ausdrücklich beschließen, eine
bestimmte Gewinnverwendung nach Aufstellung des Jahresabschlusses beschließen
zu wollen (vgl. auch BFH, BFH/NV 2001, 447 und HFR 2001, 582, wonach
"Ausschüttungsvereinbarungen" ausreichen können). Allein die Tatsache, dass die
Gesellschafter (bzw. ein Alleingesellschafter) einen derartigen Entschluss/Beschluss
noch ändern oder modifizieren können, genügt nicht, um auch in derartigen Fällen eine
phasengleiche Aktivierung zu verneinen (a.A. insoweit aber wohl der I. Senat des BFH
in BFHE 194, 185, BStBl II 2001, 854). Denn derartige Änderungen sind nicht nur bei
einer Festlegung des späteren Gewinnverwendungsbeschlusses möglich, sondern
gleichermaßen - jedenfalls vor dem Vollzug der Ausschüttung - bei einem
Gewinnverwendungsbeschluss. Wollte man auf die Änderungsmöglichkeit des
Beschlusses über die künftige Gewinnverwendung abstellen, gäbe es die vom Großen
Senat des BFH angesprochenen Ausnahmefälle, in denen eine phasengleiche
Aktivierung zulässig sein soll, letztlich nicht, weil eine (einstimmige) Änderung der
65
getroffenen Entscheidung durch die Gesellschafter immer möglich ist. Zu verlangen ist
allerdings, dass den Gesellschaftern im Zeitpunkt ihrer Beschlussfassung über die
vorgesehene spätere Gewinnverwendung und im Zeitpunkt des Bilanzstichtags die
Verhältnisse soweit bekannt sind, dass von der "Ernstlichkeit" dieser Beschlussfassung
und deren Fortgeltung bis zum Bilanzstichtag auszugehen ist. Wird ein fester Betrag als
spätere Gewinnausschüttung vorgesehen, muss ausgehend von der Kenntnis der
Gesellschafter sicher sein, dass ein derartiger Gewinn auch - nach der späteren
Ausübung von Bilanzierungswahlrechten - zur Verfügung steht (vgl. auch Groh, DB
2000, 2444). Des Weiteren müssen die Gesellschafter zu einer "bestimmten"
Gewinnverwendung fest entschlossen sein. Dazu bedarf es nach Ansicht des
erkennenden Senats aber nicht stets zwingend der Festlegung eines bezifferten
Betrages, sondern ausreichend ist die Festlegung eines bestimmten
Berechnungsschemas, wenn anhand dessen am Bilanzstichtag die Höhe der
beabsichtigten Gewinnausschüttung weitestgehend genau bestimmt werden kann (a. A.
allerdings eventuell BFH, BFHE 194, 185, BStBl II 2001, 409, der einen "genau
festgelegten Betrag" verlangt; kritisch zu dieser BFH-Rechtsprechung
Blümich/Schreiber, EStG/KStG/GewStG, § 5 EStG Rz. 492). An einer derartigen
hinreichenden Genauigkeit kann es etwa fehlen, wenn Bilanzierungswahlrechten
bezogen auf die Verhältnisse des Einzelfalls eine nicht unerhebliche Bedeutung
beizumessen ist. Andererseits können nur völlig geringfügige Unsicherheiten nicht dazu
führen, dass eine fest beschlossene künftige Gewinnverwendung dem Grunde nach,
d.h. in vollem Umfang unberücksichtigt bleiben muss. Der vom GrS zitierte "fremde
Kaufmann" würde bei nur geringfügigen Unsicherheiten durchaus für die
Dividendenforderung etwas bezahlen und die Unsicherheiten nur bei der
Bewertung/Kaufpreisbemessung berücksichtigen (wohl ähnlich Blümich/Schreiber,
EStG/KStG/GewStG § 5 EStG Rz. 492). Letztlich entscheidend erscheint, dass den
Gesellschaftern im Zeitpunkt der Beschlussfassung über die künftige
Gewinnverwendung der für die Ausschüttung zur Verfügung stehende Gewinn
weitestgehend bekannt war, sie sich auf eine bestimmte (bezifferte oder am
Bilanzstichtag ermittelbare) Gewinnverwendung festgelegt haben und damit keine
Anhaltspunkte dafür bestehen, dass sie von ihrem "festen" Entschluss doch noch
abrücken könnten. Sofern ein derartiger fester Gesellschafterentschluss objektiv
dokumentiert vorliegt, wäre das Verbot einer phasengleichen Aktivierung unter Hinweis
auf Bilanzierungswahlrechte auch deshalb nicht überzeugend, weil die Aktivierung
anderweitiger gewinnabhängiger Vergütungen (Tantiemen, Rückvergütungen, Zinsen
auf Genussrechte) auch dann verlangt wird, wenn Bilanzierungswahlrechte bestehen
(vgl. z.B. BFH-Urteil vom 18.12.2002 I R 11/02, BFHE 201, 228, BStBl II 2003, 700).
bb) Ausgehend von den vorgenannten Grundsätzen hat die A GmbH als
Gesellschafterin der D GmbH mit dem Gesellschafterbeschluss vom 22. 12.1989
hinreichend ihre feste Ausschüttungsabsicht und den Inhalt/Umfang der beabsichtigten
Gewinnausschüttung festgelegt.
66
Der erkennende Senat geht - unter Berücksichtigung einer Beweiserleichterung
zugunsten der Klin. - davon aus, dass der vorgenannte Beschluss tatsächlich am
22.12.1989 gefasst worden ist. Zwar konnte die Klin. das Originaldokument nicht mehr
vorlegen und die Zeugen sahen sich zu einer konkreten Angabe zu dieser
Beschlussfassung angesichts des zwischenzeitlichen Zeitablaufs von fast 16 Jahren
nicht mehr in der Lage. Für das Vorliegen eines derartigen Beschlusses bereits zum
angegebenen Datum spricht jedoch, dass die Klin. eine Kopie dieses Beschlusses dem
FA bereits im Juli 1990 eingereicht hatte, im späteren Gewinnverwendungsbeschluss
67
vom 26.11.1990 (der seinerseits dem Gericht in der mündlichen Verhandlung im
Original vorgelegt wurde und dessen Echtheit auch vom FA nicht bestritten wird) auf den
Beschluss vom 22.12.1989 verwiesen wird und die Zeugen sich zwar nicht konkret an
die damaligen Beschlüsse und deren Richtigkeit erinnern konnten, jedoch nach dem
Gesamtzusammenhang ihrer Aussagen glaubhaft bekundet haben, dass der Inhalt der
jeweils gefassten Beschlüsse grundsätzlich zutreffend gewesen sei. Ist aber der Inhalt
des im Original vorgelegten Beschlusses vom 26.11.1990 richtig, so wurde auch der
Beschluss vom 22.12.1989 an dem bezeichneten Tag gefasst. Bei seiner
Beweiswürdigung hat der erkennende Senat auch berücksichtigt, dass zwar nicht von
einem Verfahrensverstoß i. S. einer Verfahrensverzögerung durch das FA oder durch
das Finanzgericht ausgegangen werden kann (vgl. zu Beweiserleichterungen bei
Versäumnissen des Gerichts BFH-Urteil vom 23. 02.1999 IX R 19/98, BFHE 188, 264,
BStBl II 1999, 407), die jetzige Beweisnot der Klin. aber maßgeblich auch dadurch
verursacht ist, dass der Betriebsprüfungsbericht von einem "Beschluss der
Gesellschafterversammlung vom 22. 12. 1989" ausgeht und das FA noch in der
Einspruchsentscheidung ausgeführt hatte, " ... so führt das nach Meinung des FA zu
dem Ergebnis, daß ausweislich des Protokolls der außerordentlichen
Gesellschafterversammlung vom 22.12.1989 die Gesellschafter endgültig entschlossen
waren, eine bestimmte Gewinnverwendung zu beschließen. ...". Streitig geworden ist
der tatsächliche Zeitpunkt des Gesellschafterbeschlusses mit Datum vom "22.12.1989"
erst im Klageverfahren und damit zu einem Zeitpunkt, in dem wegen des
zwischenzeitlichen Zeitablaufs von 16 Jahren eine Beweisführung durch die Klin.
deutlich erschwert ist. Unter diesen Umständen hält es der erkennende Senat für
ausreichend, dass nach seiner Überzeugung der Gesellschafterbeschluss vom
22.12.1989 mit hoher Wahrscheinlichkeit mit dem angegebenen Inhalt auch an dem
bezeichneten Tage gefasst worden ist.
Ausgehend von dem Beschluss vom 22.12.1989 und der Annahme, das dieser auch
umgesetzt werden würde, stand am 31.12.1989 objektiv fest, in welcher Höhe eine
Gewinnausschüttung für 1989 erfolgen würde. Denn im Streitfall bestanden nach
übereinstimmender Auffassung der Beteiligten keine bzw. allenfalls unwesentliche
Bilanzierungswahlrechte, welche die Höhe des Gewinns der D GmbH (und damit die
Höhe der Teilbeträge des verwendbaren Eigenkapitals und der daran anknüpfenden
Gewinnausschüttung) hätten beeinflussen können. Bei den Aktiva und Passiva handelte
es sich im Wesentlichen um werthaltige Forderungen/Verbindlichkeiten gegenüber
verbundenen Unternehmen.
68
Die Klin. hat überzeugend vorgetragen und durch Auszüge aus dem nur teilweise noch
vorhandenen Datenmaterial zur damaligen unterjährigen Rechnungslegung hinreichend
belegt, dass aufgrund der zeitnahen Buchführung und des Berichtswesens in der
Unternehmensgruppe die jeweiligen Entscheidungsträger im Konzern aktuell über die
Gewinnsituation informiert waren. Nach Aktenlage und dem Ergebnis der
Beweisaufnahme ist - trotz der Erinnerungslücken der Zeugen - zumindest davon
auszugehen, dass die Zeugen als Geschäftsführer der A GmbH und für diese als
Gesellschafterin der D GmbH handelnd, im Zeitpunkt des hier in Rede stehenden
Gesellschafterbeschlusses vom 22.12.1989 über den Inhalt des Jahresabschlusses der
D GmbH für 1988 informiert waren, den sie selbst ausweislich der Akten am 06.12.1989
unterzeichnet hatten. Außerdem gingen sie ausweislich des Lageberichts zum
Jahresabschluss 1988 von einer fortbestehenden sehr guten Gewinnsituation aus. Im
Übrigen orientierten sie sich offensichtlich entscheidend an Vorschlägen (bzw.
Vorgaben) der Konzernleitung. Nach Auffassung des erkennenden Senats waren damit
69
sowohl die unmittelbar handelnden Geschäftsführer der Gesellschafterin A GmbH wie
die Konzernleitung so detailliert über die Gewinnsituation der D GmbH informiert, dass
an der festen Entschlossenheit der Gesellschafterin der D GmbH, die im Beschluss vom
22.12.1989 vorgesehene Gewinnverwendung nach Aufstellung des Jahresabschlusses
1989 auch tatsächlich so zu beschließen, kein Zweifel besteht. Hinzu kommt -
wenngleich diese Überlegung wie unter aa) ausgeführt, allein den Nachweis für den
festen Gewinnausschüttungsentschluss nicht zu erbringen vermag -, dass für die Klin.
bereits Ende 1989 erkennbar eine phasengleiche Aktivierung der Gewinnausschüttung
erforderlich war, um den Verlustvortrag noch nutzen zu können. Sie hatte deshalb
keinerlei Veranlassung, von dem am 22.12.1989 gefassten Beschluss abzurücken. Wie
bereits darlegt, genügt der dokumentierte feste Entschluss, eine bestimmte, d.h. bereits
zum 31.12.1989 feststehende (weil rein rechnerisch ermittelbare) Gewinnverwendung
vorzunehmen, um die entsprechenden Dividenden phasengleich zu aktivieren.
Selbst wenn man der Auffassung des erkennenden Senats nicht folgen und verlangen
wollte, dass bereits im Zeitpunkt der Beschlussfassung am 22.12.1989 die
Gesellschafterin Kenntnis von der Höhe der späteren Gewinnausschüttung gehabt
haben müsse, wäre nach Überzeugung des erkennenden Senats davon auszugehen,
dass die Geschäftsführer der Gesellschafterin davon sichere Kenntnis hatte, dass der
zum 31.12.1989 ausschüttungsfähige Gewinn sich auf den Gewinnvortrag und den
Jahresüberschuss zum 31.12.1988 und zumindest auf die Hälfte des späteren
tatsächlichen Jahresüberschusses 1989 belaufen würde und zumindest in dieser Höhe
von einer festen und dokumentierten Mindest-Gewinnausschüttungsabsicht auszugehen
wäre.
70
b) Bei der Besteuerung der A GmbH für das Streitjahr 1989 sind die bestehenden
Verlustvorträge zu berücksichtigen.
71
Die A GmbH war zivilrechtlich durchgehend rechtlich existent. Selbst wenn man dafür
verlangen wollte, dass sie nicht vermögenslos war (offen gelassen im BFH-Urteil vom
29.10.1986 I R 318-319/83, BFHE 148, 158, BStBl II 1987, 310), wäre diese
Voraussetzung erfüllt. Ausgehend von ihren Jahresabschlüssen verfügte sie stets
zumindest über geringfügige Vermögenswerte.
72
Einer Kapitalgesellschaft durften vor Geltung des § 8 Abs. 4 KStG Verlustabzüge aus
der Zeit vor einem grundlegenden Gesellschafterwechsel auch dann nicht versagt
werden, wenn sie ihre bisherigen Vermögenswerte im Wesentlichen verloren hatte und
durch Zuführung von Mitteln der Hauptgesellschafter wiederbelebt wurde (BFH, BFHE
148, 158; BStBl II 1987, 310; vgl. auch BFH-Urteil vom 29.10.1986 I R 202/82, BFHE
148, 153). Eine wirtschaftliche Identität konnte nicht verlangt werden.
73
Im Streitfall fand § 8 Abs. 4 KStG a.F. für das Streitjahr 1989 - wie auch zwischen den
Beteiligten unstreitig ist - noch keine Anwendung.
74
Nach § 54 Abs. 6 KStG in der für das Streitjahr gültigen Fassung ist § 8 Abs. 4 KStG a.F.
auch für vor dem 1.1.1990 beginnende Veranlagungszeiträume anzuwenden, wenn die
Rechtsgeschäfte, die zum Verlust der wirtschaftlichen Identität geführt haben, nach dem
23. 6. 1988 abgeschlossen worden sind. Abzustellen ist insoweit auf den Zeitpunkt der
Anteilsübertragung (Streck, KStG, 4. Aufl., § 8 Rz. 151; Hörger/Kemper, DStR 1990, 539;
Ernst & Young, KStG, § 8 Rz. 1302; Hessisches FG, EFG 1996, 833 - dort war die
Betriebsvermögenszuführung wie hier erst nach dem 23. 6. 1988 erfolgt - ). Die Anteile
75
der damaligen C GmbH sind bereits im März 1988 auf die Familie G, H, I, M, N und O
übergegangen. Die späteren Anteilsverschiebungen innerhalb der Familie G, H, I, M, N
und O erreichen nicht die von § 8 Abs. 4 KStG a.F. verlangte Übertragung von mehr als
¾ der Anteile.
c) Eine anderweitige Besteuerung folgt auch nicht aus § 42 AO.
76
Nach der vorgenannten Norm kann das Steuergesetz nicht durch Missbrauch von
Gestaltungsmöglichkeiten des Rechts umgangen werden. Liegt ein Missbrauch vor, so
entsteht der Steueranspruch so, wie er bei einer den wirtschaftlichen Vorgängen
angemessenen rechtlichen Gestaltung entsteht. Im Streitfall lässt sich ein Missbrauch
rechtlicher Gestaltungsmöglichkeiten jedoch nicht feststellen.
77
Wie unter b) dargelegt, war vor dem zeitlichen Anwendungsbereich des § 8 Abs. 4 KStG
keine wirtschaftliche Identität für einen Verlustabzug erforderlich. Gestaltungen zur
Ausnutzung eines zulässigen Verlustvortrags sind jedoch nicht als rechtsmissbräuchlich
anzusehen (vgl. BFH-Urteil vom 19.08.1999 I R 77/96, BFHE 189,342, BStBl II 2001, 43
zum inkongruenten Schütt-aus-Hol-zurück-Verfahren; BFH-Urteil vom 17.10.2001 I R
97/00, BFHE 197, 63, BFH/NV 2002, 240 zur Verlagerung von Zinserträgen; BFH-Urteil
vom 07.08.2002 I R 64/01, BFH/NV 2003, 205 zur Geschäftschancenverlagerung auf
Schwestergesellschaften).
78
d) Die Ermittlung der nach Maßgabe der obigen Ausführungen festzusetzenden KSt
1989 und der festzustellenden Teilbeträge des verwendbaren Eigenkapitals gemäß §-
47 Abs. 1 KStG a.F. wird dem FA übertragen (§ 100 Abs. 2 Satz 2 FGO).
79
3. Die Klage ist unbegründet, soweit die Klägerin beantragt, das FA zu einer
Billigkeitsmaßnahme nach § 163 AO zu verpflichten.
80
Nach § 163 Abs. 1 AO können Steuern niedriger festgesetzt werden und einzelne
Besteuerungsgrundlagen, die die Steuern erhöhen, können bei der Festsetzung der
Steuer unberücksichtigt bleiben, wenn die Erhebung der Steuer nach Lage des
einzelnen Falles unbillig wäre. Mit Zustimmung des Steuerpflichtigen kann bei Steuern
vom Einkommen zugelassen werden, dass einzelne Besteuerungsgrundlagen, soweit
sie die Steuer erhöhen, bei der Steuerfestsetzung erst zu einer späteren Zeit und, soweit
sie die Steuern mindern, schon zu einer früheren Zeit berücksichtigt werden. Sofern -
wie im Streitfall (vgl. 1.) - ein Steuerpflichtiger ausnahmsweise auch durch eine zu
niedrige Steuerfestsetzung beschwert sein kann, ist auch eine abweichende
Festsetzung von Steuern aus Billigkeitsgründen gemäß § 163 AO in Form einer
höheren Steuerfestsetzung nicht ausgeschlossen. Eine abweichende Festsetzung von
Steuern aus Billigkeitsgründen gemäß § 163 AO kann insbesondere aufgrund einer von
den Finanzbehörden erlassenen Übergangsregelung in Fällen einer geänderten
Rechtsprechung geboten sein. Zu beachten ist jedoch, dass für die Auslegung
derartiger Verwaltungsanweisungen nicht maßgebend ist, wie das Gericht eine solche
Anweisung verstünde, sondern wie die Verwaltung sie verstanden hat und verstanden
wissen wollte und wie sie dementsprechend verfahren ist (vgl. BFH-Urteil vom
21.10.1999 I R 68/98, BFH/NV 2000, 891).
81
Im Streitfall beruft die Klin. sich für die begehrte abweichende Steuerfestsetzung aus
Billigkeitsgründen zu Unrecht auf das BMF-Schreiben vom 01. 11. 2000 (BStBl I 2000,
1510). Nach dessen Wortlaut dürfen zur Anwendung des Beschlusses des Großen
82
Senats des BFH vom 7. 8. 2000 zwar im zeitlichen Anwendungsbereich des
Anrechnungsverfahrens "die bisherigen Grundsätze zur phasengleichen Aktivierung
von Dividendenansprüchen weiterhin angewendet werden." Das FA hat die Anwendung
dieser Übergangsregelung zugunsten der A GmbH jedoch ermessensfehlerfrei mit der
Begründung abgelehnt, nach den "bisherigen" Grundsätzen sei eine phasengleiche
Aktivierung nur bei einer einjährigen Mindestbesitzzeit der Anteile in Betracht
gekommen und daran fehle es im Streitfall.
Der BFH ist in seiner Rechtsprechung vor dem Vorlagebeschluss des I. Senats an den
Großen Senat - entgegen der Ansicht der Klin. - davon ausgegangen, dass eine
phasengleiche Aktivierung nur bei einer ganzjährigen Beteiligung in Betracht kommt.
Davon geht der I. Senat in seinem Vorlagebeschluss vom 16. 12.1998 I R 50/95 (BStBl II
1999, 551) selbst aus. Soweit die Klin. diese Rechtsprechung kritisiert oder eine
unglückliche Wortwahl annimmt, ändert dies nichts an dem Bestand der damaligen
Rechtsprechung. Von dieser Rechtsprechung ging auch die Verwaltung aus (vgl. OFD
Hannover v. 28. 09. 1999, Juris-Dokument). Diese "alte" Rechtsprechung ist durch den
Vorlagebeschluss des I. Senats auch (noch) nicht geändert worden, sondern der I.
Senat hat lediglich seine Überlegungen und die Zweifelsfragen dargelegt, aufgrund
dessen er den Großen Senat angerufen hat. Erst und nur dieser sollte nunmehr die
anstehenden Fragen entscheiden. An diese "alte" Rechtsprechung (d.h. an die
Rechtsprechung vor dem Vorlagebeschluss und vor der Entscheidung des Großen
Senats) knüpft somit die Übergangsregelung der Verwaltung an. Für eine
weitergehende Billigkeitsregelung bestand auch keine Veranlassung. Für diese
Interpretation des BMF-Schreibens spricht des Weiteren die Verfügung der OFD Kiel
vom 01.01.2003 (Juris-Dokument). Zwar weist die Klin. zutreffend darauf hin, dass dort
zum einen die "alte" Rechtslage zur phasengleichen Aktivierung dargestellt wird und
zum anderen unter dem "alten Recht" das Anrechnungsverfahren verstanden wird.
Gleichwohl enthält auch diese Verwaltungsanweisung keinen Hinweis darauf, dass die
phasengleiche Aktivierung übergangsweise nicht nur nach der "alten" Rechtslage,
sondern nach einer modifizierten "alten" Rechtslage zugelassen werden sollte. Dafür,
dass die vom FA vorgetragene Auslegung der Übergangsregelung einer allgemeinen
Verwaltungspraxis widerspricht, hat die Klin. nichts vorgetragen. Vielmehr hat ein
Finanzamt im Verfahren vor dem FG München (Urteil vom 26. 2. 2002 6 K 80/01, Juris-
Dokument) zur Frage der Übergangsregelung ebenfalls geltend gemacht, die
Beteiligung müsse mindestens ein Jahr bestanden haben.
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4. Die Kostenentscheidung folgt aus § 136 Abs. 1 FGO; die Nebenentscheidungen
beruhen auf §§ 155, 151 Abs. 3 FGO i. V. m. §§ 768, 711 der Zivilprozessordnung.
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5. Die Revision war gemäß § 115 Abs. 2 Nr. 1, 2 FGO wegen grundsätzlicher
Bedeutung, zur Fortbildung des Rechts und zur Sicherung einer einheitlichen
Rechtsprechung geboten. Klärungsbedürftig erscheint, in welchen Fällen Ansprüche auf
Gewinnausschüttungen ausnahmsweise noch phasengleich aktiviert werden dürfen.
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