Urteil des FG Münster vom 23.06.2009

FG Münster: einspruch, rücknahme, anmeldung der forderung, nichtigkeit, ermessensfehler, bindungswirkung, steuererklärung, steuerfestsetzung, gespräch, datum

Finanzgericht Münster, 1 K 3947/06 U,F
Datum:
23.06.2009
Gericht:
Finanzgericht Münster
Spruchkörper:
1. Senat
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
1 K 3947/06 U,F
Sachgebiet:
Finanz- und Abgabenrecht
Tenor:
Die Klage wird abgewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens.
Tatbestand:
1
Streitig ist, ob die Änderung eines Feststellungsbescheides gemäß § 251 Abs. 3 AO
möglich ist.
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Am 17.1.2003 ist über das Vermögen der Klägerin das Insolvenzverfahren eröffnet
worden. Der Beklagte meldete darauf hin die Umsatzsteuer 2002 in Höhe von
153.959,121 Euro als Forderung zur Insolvenztabelle an. Dieser Betrag beruhte auf
einer Schätzung anhand des Umsatzsteuer-Überwachungsbogens (vgl. Inso-Akte
GmbH & Co. KG ), da weder die Klägerin noch der Insolvenzverwalter als Vertreter der
Klägerin eine Umsatzsteuererklärung für 2002 eingereicht hatten. Die
Steuerberechnung datiert vom 4.3.2003.
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Gegen die zur Tabelle angemeldete Forderung hat der Insolvenzverwalter Widerspruch
erhoben. Darauf hin erließ der Beklagte am 14.1.2004 einen Feststellungsbescheid
nach § 251 Abs. 3 AO, in dem die angemeldete Forderung in Höhe von 153.959,12 Euro
festgestellt wurde. Der Bescheid war mit einer Rechtsbehelfsbelehrung versehen.
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Am 12.2.2004 legte der Insolvenzverfahren gegen diesen Bescheid Einspruch ein, den
er ohne weitere Begründung am 10.3.2004 zurücknahm. Die angemeldete
Umsatzsteuerforderung für 2002 wurde darauf hin in voller Höhe anerkannt und in die
Tabelle eingetragen. Das Schreiben des Insolvenzgerichts M datiert vom 8.11.2004.
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Der Insolvenzverwalter reichte am 24.8.2004 die Umsatzsteuererklärung für 2002 ein,
die er unter dem 23.8.2004 unterschrieben hatte. Er beantragte, die
Forderungsanmeldung entsprechend den dort genannten Zahlen zu reduzieren. Der
Beklagte fasste diesen Antrag als einen solchen auf schlichte Änderung gemäß § 172
Abs. 1 Satz 1 Nr. 2a AO auf. Dieser Antrag wurde durch negativen
Feststellungsbescheid vom 22.10.2004 abgelehnt. Gegen diesen Bescheid legte der
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Insolvenzverwalter am 8.11.2004 Einspruch ein. Dieser Einspruch richtete sich
gleichzeitig gegen den Feststellungsbescheid vom 14.1.2004. Er begründete diesen
damit, dass die Umsatzsteuerforderung auf einer Schätzung beruhe und die
Umsatzsteuererklärung nunmehr vorliege. Mangels Rechtsbehelfsbelehrung sei der
Einspruch auch fristgerecht eingelegt worden.
Mit Schreiben vom 24.5.2005 begründete das Büro den Einspruch vom 8.11.2004
gegen den Feststellungsbescheid vom 14.1.2004 und den negativen
Feststellungsbescheid vom 22.10.2004. Aus ihrer Sicht läge eine Strafschätzung vor,
die zur Nichtigkeit des Feststellungsbescheides führe.
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Der Beklagte erließ am 18.8.2006 insgesamt drei Einspruchsentscheidungen. Der
Beklagte wies dabei in einer Entscheidung den Einspruch gegen den Bescheid gemäß
§ 251 Abs. 3 AO über die Feststellung der Umsatzsteuer 2002 im Insolvenzverfahren als
unzulässig zurück (Einspruchsentscheidung 1, Bl. 2ff. d. GA). In einer weiteren
Einspruchsentscheidung vom gleichen Datum, die sich mit der Ablehnung des Antrags
auf Änderung bzw. Rücknahme des Feststellungsbescheides betreffend Umsatzsteuer
2002 nach § 130 Abs. 1 AO befasste, wurde der Einspruch als unbegründet
zurückgewiesen (Einspruchsentscheidung 2, Bl. 5 d. GA). Schließlich wurde in einer
dritten Einspruchsentscheidung vom 18.8.2006 ein Einspruch wegen Ablehnung des
Antrags auf Änderung der Umsatzsteuer 2002 im Insolvenzverfahren als unbegründet
zurückgewiesen, da es an den notwendigen Korrekturvorschriften fehle
(Einspruchsentscheidung 3, Bl. 9ff. d. GA).
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Die Klägerin legte am 18.9.2006 gegen alle drei Einspruchsentscheidungen Klage ein.
Mit dieser verfolgt sie ihr Ziel fort, eine Änderung der Umsatzsteuerberechnung und
Anmeldung der Forderung des Beklagten zu erreichen.
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Im Erörterungstermin vom 19.5.2008 wurde der Rechtsstreit hinsichtlich der
Einspruchsentscheidung 1 vom 18.8.2006 von den Parteien übereinstimmend für
erledigt erklärt. Diese Einspruchsentscheidung wurde im Anschluss aufgehoben (Bl. 66
d. GA).
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Der Klägervertreter trägt vor, dass die Steuerberechnung vom 4.3.2003 ein Bescheid
gewesen sei. Allerdings hätte der Bescheid ein Feststellungsbescheid gemäß § 251
Abs. 3 AO sein müssen. Da dies nicht der Fall gewesen wäre, wäre der Bescheid
nichtig. Zu beachten sei, dass in dem Einspruch gegen den dann erlassenen
Feststellungsbescheid auch ein Antrag auf Änderung der Steuerfestsetzung gemäß §
164 Abs. 2 Satz 2 AO zu sehen sei. Dieser sei bislang nicht entschieden worden.
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Der Feststellungsbescheid gemäß § 251 Abs. 3 AO sei ersatzlos aufzuheben. Die
Steuerfestsetzung sei zu ändern und zwingend in Folge dessen auch die lediglich
vollstreckungsrechtliche Feststellung gemäß § 251 Abs. 3 AO.
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Dies sei von dem Mitarbeiter der Beklagten, Herrn K , in einem Gespräch vom 3.6.2004
mit einer Mitarbeiterin des Rechtsanwaltsbüros , Frau P , auch zugesagt worden.
Ausweislich des Gesprächsvermerks habe er erklärt, dass die
Rücknahme/Teilrücknahme der angemeldeten Forderung erfolge, wenn die prüfbaren
Steuererklärungen vorlägen. Auf den Hinweis, dass der Insolvenzverwalter die
angemeldeten Forderungen fälschlicherweise anerkannt habe, habe Herr K erklärt, dass
dies für die Berichtigung keine Hinderung darstelle. Er würde dann die Anmeldung
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anhand der korrigierten Berechnung berichtigen.
Abgesehen von dem bisher Dargestellten sei der durch Einspruch angegriffene
Bescheid vom 22.10.2004, mit dem der Änderungsantrag abgelehnt worden sei, schon
aufgrund seiner Bezeichnung als "negativer Feststellungsbescheid" nichtig. Ein solcher
Bescheid sei in der AO nicht geregelt und der Rechtsprechung und Lehre nicht bekannt.
Letztere kennten unter der Bezeichnung "negativer Feststellungsbescheid" nur den
Ablehnungsbescheid i.S.d. §§ 155 Abs. 1 Satz 3, 171 Abs. 1 AO. Dem Bescheid vom
22.10.2004 fehle es folglich an der erforderlichen Bestimmtheit. Werde diese Nichtigkeit
festgestellt, so sei im Verfahren des Einspruchs gegen den eventuell neu zu
erlassenden Feststellungsbescheid gemäß § 251 Abs. 3 AO die richtige
Umsatzsteuerfestsetzung erzwingbar.
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Es läge im vorliegenden Fall keine Schätzungsfestsetzung vor, welche, wenn sie denn
vorläge, nach den Verwaltungsanweisungen-AEAO unter dem VdN hätte festgestellt
werden müssen. Letztere hätte dazu geführt, dass eine Änderbarkeit möglich sein
müsse.
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Die erfolgte Schätzung sei als Strafschätzung anzusehen, da keine Vorsteuer
berücksichtigt worden sei.
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Hinsichtlich der Ablehnung der Änderung des Feststellungsbescheides sei zu beachten,
dass diese nicht in jedem Fall unter Hinweis auf den Fristablauf abzulehnen sei. Eine
Änderbarkeit müsse möglich sein, da ansonsten eine Bevorteilung des Fiskus
gegenüber anderen Gläubigern vorliege.
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Eine Änderbarkeit ergibt sich nach Ansicht des Klägervertreters auch aufgrund der im
Erörterungstermin aufgehobenen Einspruchsentscheidung. Diese Aufhebung führe
dazu, dass der Feststellungsbescheid im Verwaltungsverfahren nun änderbar sei. Das
Klageverfahren werde sich dann als Folge dessen erledigen.
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Der Klägervertreter beantragt,
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1. den Beklagten zu verpflichten, den Bescheid vom 14.1.2004 entsprechend der
Umsatzsteuererklärung für 2002 vom 23.8.2004 zu ändern und die Bescheide vom
22.10.2004 und 18.8.2006 aufzuheben.
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2. hilfsweise den Beklagten zu verpflichten, den Änderungsantrag vom 24.8.2004
unter Berücksichtigung der Auffassung des Gerichts neu zu bescheiden.
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3. hilfsweise den Beklagten zu verpflichten, den Antrag gemäß § 164 Abs. 2 Satz 2
AO vom 8.11.2004 unter Berücksichtigung der Auffassung des Gerichts neu zu
bescheiden.
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4. weiterhin hilfweise die Nichtigkeit des Bescheides vom 22.10.2004 festzustellen.
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27
Der Beklagte beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Der Beklagte ist der Ansicht, dass eine Änderung des Feststellungsbescheides gemäß
§ 251 Abs. 3 AO hier nicht möglich ist. Die Gründe für eine Rücknahme hätten mit dem
zunächst fristgerecht eingelegten Einspruch geltend gemacht werden müssen. Dieser
Einspruch sei zurückgenommen worden. Ein offensichtlicher und schwerwiegender
Rechtsverstoß, der es ausnahmsweise geboten mache, dennoch eine Änderung gemäß
§ 130 AO vorzunehmen, könne aufgrund der Einspruchsrücknahme ebenfalls nicht
vorliegen. Die Rücknahme des Einspruchs führe zum alleinigen Verschulden der
Klägerseite an der nun fehlenden Berichtigungsmöglichkeit. Entschuldungsgründe
hinsichtlich der Rücknahme des Einspruchs seien nicht vorgetragen worden. Eine
Strafschätzung sei nicht erkennbar. Die Schätzung sei anhand der Umsätze der
Vorjahre erfolgt. Im Hinblick auf die Regelung des § 17 Abs. 2 UStG sei es vertretbar,
Vorsteuern nicht anzusetzen.
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Die Anerkennung der geltend gemachten Forderung durch den Insolvenzverwalter wirke
wie eine bestandskräftige Festsetzung. Eine Korrektur sei deshalb nur nach den
Vorschriften der §§ 172ff. InsO möglich.
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Der Berichterstatter hat die Sach- und Rechtslage am 19.5.2008 mit den Beteiligten
erörtert. Der ebenfalls anwesende Herr K konnte sich an ein Gespräch am 3.6.2004
nicht erinnern. Er erklärte, dass er sich insbesondere nicht an eine Aussage der Gestalt
erinnern könne, dass mit Einreichung der USt-Erklärung eine Änderung möglich sei. Im
Rahmen seiner Tätigkeit in der Insolvenzstelle sei er hierfür auch nicht zuständig
gewesen. Er schließe eigentlich aus, eine solche Aussage gemacht zu haben.
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Der Klägervertreter überreichte in der mündlichen Verhandlung vom 23.6.2009 eine
Gesprächsnotiz der Mitarbeiterin des Rechtsanwaltsbüros über das Gespräch vom
3.6.2004.
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Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakte und die beigezogenen
Verwaltungsvorgänge verwiesen.
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Entscheidungsgründe:
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Die Klage ist unbegründet. Dies gilt sowohl für den Haupt- wie auch die Hilfsanträge.
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Der Beklagte hat im Rahmen seines Ermessens gehandelt, als er den Bescheid vom
14.1.2004 nicht entsprechend der eingereichten Umsatzsteuererklärung für 2002 vom
23.8.2004 geändert hat. Eine Verpflichtung zur Änderung aufgrund des Antrags vom
24.8.2004 oder vom 8.11.2004 besteht nicht. Der Bescheid vom 22.10.2004 ist nicht
nichtig.
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1. Hauptantrag auf Änderung des Feststellungsbescheides vom 14.1.2004
entsprechend der Umsatzsteuererklärung für 2002
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Es liegt kein Anspruch auf Teilrücknahme des Feststellungsbescheides vom 14.1.2004
vor.
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Der Feststellungsbescheid vom 14.1.2004 ist ein Feststellungsbescheid gemäß § 251
Abs. 3 AO, der vom Beklagten zu Recht erlassen worden ist, da der Insolvenzverwalter
gegen die zur Insolvenztabelle angemeldeten Forderung in Höhe von 153.959,12 Euro
Widerspruch erhoben hat. Dieser Bescheid ist, wie dort ausdrücklich geregelt, ein
schriftlicher Verwaltungsakt. Er unterliegt, da er kein Steuerbescheid ist, nicht den
Regelung der §§ 155ff. AO (vgl. nur BFH-Beschluss vom 22.06.1999 VII B 244/98,
BFH/NV 1999, 1583; FG Baden-Württemberg, Urteil vom 2.4.1993 9 K 403/91, EFG
1993, 763, FG Münster, Urteil vom 21.2.2008 8 K 38/05 U, EFG 919), sondern ist nach
den Vorschriften der §§ 129ff. AO änderbar, soweit kein Einspruch eingelegt worden ist.
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Da der Insolvenzverwalter als Vertreter der Klägerin den am 12.2.2004 eingelegten
Einspruch am 10.3.2004 gemäß § 362 Abs. 1 Satz 1 AO zurückgenommen hat, ist hier
eine Änderung des wirksam erlassenen Feststellungsbescheides aufgrund der
nachträglich eingereichten Umsatzsteuererklärung nur nach § 130 Abs. 1 AO möglich.
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Der Bescheid vom 10.3.2004 ist wirksam gemäß §§ 122 Abs. 1 Satz 1 AO, 124 Abs. 1
Satz 1 AO bekannt gegeben worden. Dies ist zwischen den Parteien unstreitig. Der
Bescheid ist nicht nichtig, da er nicht unter einem besonders schwerwiegenden Fehler
i.S.d. § 125 Abs. 1 AO leidet. Die Umsatzsteuerberechnung beruht zwar auf einer
Schätzung. Diese basiert im vorliegenden Fall auf den Umsatzsteuervoranmeldungen
für drei von vier Quartalen des Streitjahres 2002. Der USt-Überwachungsbogen weist für
2002 Umsätze von 497.793 Euro bei Umsätzen von 1.276.275 DM (= 652.549 Euro) im
Vorjahr. Es ist zumindest vertretbar, wenn ausgehend von diesen Zahlen für das
gesamte Jahr 2002 Umsätze von 850.000 Euro geschätzt werden. Diese übersteigen
zwar die bisherigen Zahlen und liegen im oberen Schätzungsbereich. Sie stellen aber
keine Strafschätzung, wie von Klägerseite behauptet, dar und führen deshalb nicht zur
Nichtigkeit des anschließend erlassenen Bescheides. Vielmehr ist der Beklagte
aufgrund der Nichtabgabe der Jahressteuererklärung durch den Steuerpflichtigen und
der sich hieraus ergebenden Mitwirkungspflichtverletzung berechtigt, Zuschläge bei den
Umsätzen und Abschläge bei den Vorsteuerbeträgen vorzunehmen. Diese Nachteile,
die Folge der Unkenntnis der wahren Begebenheiten sind, hat der Steuerpflichtige
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gegen sich gelten zu lassen (BFH-Beschluss vom 7.4.2009 XI B 115/08, BFH/NV 2009,
1085). Aufgrund der Insolvenz war es insbesondere auch zulässig eine
Vorsteuerberichtigung gemäß § 17 Abs. 1 Nr. 1 i.V.m. § 17 Abs. 2 Nr. 1 UStG
durchzuführen und im Rahmen der erfolgten Schätzung Vorsteuerbeträge nicht
anzusetzen.
Der Feststellungsbescheid vom 10.3.2004 wäre allerdings rechtswidrig, folgte man den
mit der Umsatzsteuererklärung vom 28.8.2004 dargelegten Zahlen. Eine
Änderungsverpflichtung durch den Beklagten gemäß § 130 Abs. 1 AO kann das Gericht
aber aufgrund der begrenzten Nachprüfungsmöglichkeit des Ermessensgebrauchs
gemäß § 102 Satz 1 FGO nicht aussprechen.
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Die Rücknahme eines rechtswidrigen Verwaltungsaktes steht nach dem Wortlaut des
§ 130 Abs. 1, Abs. 4 AO im pflichtgemäßen Ermessen der zuständigen Finanzbehörde.
Die gerichtliche Überprüfung beschränkt sich darauf, ob Ermessensfehler vorliegen oder
eine Reduzierung des Ermessens auf Null gegeben ist. Beides liegt nicht vor.
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§ 102 Satz 1 FGO sieht es als ermessensfehlerhaft an, wenn die gesetzlichen Grenzen
des Ermessens überschritten sind oder von dem Ermessen in einer dem Zweck der
Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht ist. Im vorliegenden Fall
hat der Beklagte zumindest vertretbar eine Änderung gemäß § 130 Abs. 1 AO deshalb
abgelehnt, weil es der Klägerin zumutbar war, das Rechtsbehelfsverfahren gegen den
Feststellungsbescheid durchzuführen. Es entspricht der BFH-Rechtsprechung, dass die
Rücknahme eines fehlerhaften Verwaltungsaktes dann verweigert werden kann, wenn
dieses Begehren bereits im Rahmen des Einspruchsverfahrens geltend gemacht
werden konnte (BFH-Beschluss vom 22.6.1999 VII B 244/98, BFH/NV 1999, 1583 für
den Fall eines Feststellungsbescheides gemäß § 251 Abs. 3 AO und BFH-Beschluss
vom 4.6.2008 I R 9/07, BFH/NV 2008, 1647 für einen Haftungsbescheid mwN.). Das
muss umso mehr gelten, wenn, wie im vorliegenden Fall, ein Einspruchsverfahren durch
Rücknahme von Klägerseite beendet worden ist – insbesondere ohne Angabe von
Gründen. Der Beklagte kann seine Abwägung zwischen dem durch die Bestandskraft
eingetretenen Rechtsfrieden einerseits und der materiellen Gerechtigkeit andererseits
so vornehmen, dass er der Bestandskraft den Vorrang einräumt (BFH-Beschluss vom
4.6.2008 I R 9/07, BFH/NV 2008, 1647 unter Hinweis auch auf BVerfG-Beschluss vom
30.1.2008 1 BvR 943/07, Homepage BVerfG).
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Da die Klägerseite ein Einspruchsverfahren begonnen hat, ist im vorliegenden Fall der
von der BFH-Rechtsprechung entwickelte Ausnahmefall, dass die Ablehnung der
Rücknahme nach § 130 Abs. 1 AO fehlerhaft ist, wenn ein Rechtsbehelfsverfahren nicht
durchgeführt werden konnte (vgl. BFH-Beschluss vom 4.6.2008 I R 9/07, BFH/NV 2008,
1647) nicht zu prüfen.
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Im vorliegenden Fall ergibt sich ein Ermessensfehler auch nicht daraus, dass ein
Sachbearbeiter des Beklagten eine Rücknahme gegenüber einer Mitarbeiterin eines
Bevollmächtigten des Insolvenzverwalters angekündigt hat. Zugunsten der Klägerseite
geht der Senat davon aus, dass am 3.6.2004, also vor Erstellung der Steuererklärung,
ein Mitarbeiter des Beklagten eine Rücknahme bzw. Teilrücknahme bei Vorlage einer
prüfbaren Steuererklärung in Aussicht gestellt hat. Diese Aussage des Herrn K ist aber
weder als Zusage noch als Erklärung im Rahmen einer tatsächlichen Verständigung
anzusehen. Eine Bindungswirkung im Rahmen der noch durchzuführenden
Ermessensentscheidung ist selbst dann nicht zu erkennen, wenn man zugunsten der
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Klägerseite unterstellte, dass der Mitarbeiter im Zeitpunkt des Telefonats für eine solche
Rücknahme zuständig gewesen sei. Der Beklagte blieb in diesem Fall verpflichtet, bei
Vorlage eines entsprechenden Änderungsantrags in die Ermessensprüfung einzutreten.
Diese Ermessensprüfung ist selbst dann voll umfänglich vorzunehmen, wenn im Vorfeld
ein mögliches Ergebnis, hier die Änderbarkeit, bestätigt worden ist. Eine
Bindungswirkung der Verwaltung im Vorfeld der Ermessensentscheidung kann nicht
bestehen, würde dies erkennbar einen Ermessensfehler durch Unterschreitung des
eingeräumten Ermessens nach sich ziehen. Eine solche Ermessensunterschreitung
liegt nämlich dann vor, wenn die Finanzbehörde ihren Ermessensrahmen nicht
ausschöpft, weil ihr das zugestandene Ermessen nicht bewusst ist oder weil sie die
Ermächtigungsnorm falsch auslegt (Kruse in T/K, § 5 Rz. 40). Dies ist insbesondere
auch dann der Fall, wenn die Finanzbehörde nicht alle gebotenen Erwägungen anstellt
(FG Münster, Urteil vom 11.12.2001, 1 K 3470/98 E, EFG 2002, 728). Würde man hier
der Aussage des Herrn K eine Bindungswirkung zusprechen, läge eine Fall der
Ermessensunterschreitung vor. Ausgehend von dem zu den Gerichtsakten überreichten
Gesprächsvermerk ist nämlich eine Abwägung des Herrn K mit der eingetreten
Bestandskraft nicht erkennbar. Insbesondere wird auch die erfolgte kommentarlose
Einspruchsrücknahme nicht problematisiert. Nach dieser Gesprächsnotiz setzt sich Herr
K vielmehr ohne weitere Erwägungen über die Tatsache, dass die angemeldeten
Forderungen anerkannt worden sind, hinweg und erklärt, dass dies kein Hindernis
darstelle. Weitere Erläuterungen werden nicht gegeben. Dieses Verhalten stellt
erkennbar eine Ermessenunterschreitung dar. Die Behörde durfte und musste sogar die
Möglichkeit nutzen, nach Einreichung der Steuererklärung ihr Ermessen in vollem
Umfang auszuüben.
Folge des Dargestellten ist, dass eine Ermessensreduktion auf Null im Fall der
Rücknahme des Einspruchs nicht vorstellbar ist.
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2. Hilfsantrag über die Neubescheidung des Änderungsantrags vom 24.8.2004
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Eine Neubescheidung gemäß § 101 Satz 2 FGO ist im vorliegenden Fall nicht
auszusprechen, da ein Ermessensfehler des Beklagten in Bezug auf die angestrebte
Änderung des Feststellungsbescheides gemäß § 251 Abs. 3 AO nicht vorliegt. Es wird
auf die Ausführungen des Senats unter Nr. 1 der Entscheidung verwiesen.
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3. Hilfsantrag in Bezug auf eine Neubescheidung gemäß § 164 Abs. 2 Satz 2 AO
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Eine Änderung gemäß § 164 Abs. 2 Satz 1 AO aufgrund des gestellten
Änderungsantrags, aufgefasst als ein solcher i.S.d. § 164 Abs. 2 Satz 2 AO, ist nicht
möglich. Es fehlt bereits an der hierzu notwendigen Nebenbestimmung des Vorbehalts
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der Nachprüfung i.S.d. § 164 Abs. 1 Satz 1 AO. Eine solche Nebenbestimmung ist bei
einem Feststellungsbescheid gemäß § 251 Abs. 3 AO auch nicht vorgesehen. Zwar
lässt § 120 Abs. 2 Nr. 2 AO es grundsätzlich zu, dass ein Verwaltungsakt unter einer
Bedingung ergeht. Ein Vorbehalt der Nachprüfung i.S.d. § 164 Abs. 1 Satz 1 AO ist aber,
wie es sich ausdrücklich aus dem Wortlaut ergibt, auf die Steuerfestsetzung und damit
auf den Erlass von Steuerbescheiden i.S.d. § 155 Abs. 1 Satz 1 AO beschränkt. Ein
solcher Bescheid liegt, wie bereits unter Nr. 1 dargestellt, bei einem
Feststellungsbescheid gemäß § 251 Abs. 3 AO nicht vor. Da der Feststellungsbescheid
gemäß § 251 Abs. 3 AO auch nicht ansonsten unter der Bedingung der Geltung bis zur
Einreichung einer Umsatzsteuererklärung erlassen worden ist, erübrigen sich weitere
Ausführungen zur Änderbarkeit insoweit.
4. Hilfsantrag in Bezug auf die Nichtigkeit des Bescheides vom 22.10.2004
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Der Bescheid vom 22.10.2004 ist nicht nichtig. Vielmehr wird mit diesem zu Recht die
Änderung des Feststellungsbescheides gemäß § 251 Abs. 3 AO vom 14.1.2004
abgelehnt. Dies ergibt sich aus dem unter Nr. 1 Gesagten. Folglich fehlt es schon an
dem für eine Nichtigkeit notwendigen besonders schweren Fehler gemäß § 125 Abs. 1
AO. Dieser ergibt sich auch nicht deshalb, weil der Ablehnungsbescheid als negativer
Feststellungsbescheid überschrieben ist. Der Bescheid entspricht auch dem
Bestimmtheitsgrundsatz aus § 119 Abs. 1 AO. Der Inhalt des Bescheides stellt eindeutig
klar, dass durch diesen Bescheid die erstrebte Änderung des Feststellungsbescheides
vom 14.1.2004 abgelehnt wird. Unerheblich ist in diesem Zusammenhang, dass der
Beklagte zunächst von einer Änderungsmöglichkeit gemäß § 172 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2a
AO ausging. Soweit dieser Bescheid hierdurch überhaupt rechtsfehlerhaft ergangen ist,
ist dies in der Einspruchsentscheidung 3 vom 18.8.2006 korrigiert worden, indem dort
klargestellt worden ist, dass keine Korrekturvorschrift in Frage kommt.
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5. Kosten
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Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 135 Abs. 1 FGO.
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