Urteil des FG Münster vom 14.09.2006
FG Münster: ausübung der option, erwerb, einkünfte, short position, lieferung, optionsgeschäft, optionsrecht, differenzgeschäft, daten, prämie
Finanzgericht Münster, 8 K 4710/01 E
Datum:
14.09.2006
Gericht:
Finanzgericht Münster
Spruchkörper:
8. Senat
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
8 K 4710/01 E
Tenor:
Die Klage wird abgewiesen.
Die Kosten des Verfahrens tragen die Kläger.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand:
1
Zu entscheiden ist, ob der Beklagte (das Finanzamt -FA-) zu Recht im Rahmen der
Einkommensteuer-Festsetzung 1996 Spekulationsgewinne gem. §§ 22 Nr. 2, 23 Abs. 1
Satz 1 Nr. 1 b Einkommensteuergesetz (EStG) in Höhe von 17.971 DM und Einkünfte
aus Leistungen gem. § 22 Nr. 3 EStG in Höhe von 43.602 DM berücksichtigt hat.
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Die Kläger (Kl.) sind Eheleute, die zusammen zur Einkommensteuer veranlagt werden.
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Der Kl. erzielte im Streitjahr 1996 als Parfümeur Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit.
Außerdem war er in großem Umfang am Kapitalmarkt tätig. Neben Zinsen aus
Sparguthaben und festverzinslichen Wertpapieren erzielte er auch Dividenden aus
Aktien im In- und Ausland. Außerdem tätigte er Spekulations-, Options- und
Finanztermingeschäfte an verschiedenen Terminbörsen.
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Für die Jahre 1994 bis 1996 fand bei dem Kl. eine Außenprüfung (Ap) statt.
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Der Prüfer stellte fest, dass der Kl. im Streitjahr 1996 Wertpapiere ge- und verkauft hat.
Soweit bei den 37 Verkaufsgeschäften der Verkauf innerhalb von sechs Monaten
stattfand, erzielte der Kl. hieraus einen Veräußerungsverlust i. H. v. insgesamt 8.304,46
DM.
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Der Kl. führte unter Einschaltung einer Bank im Streitjahr 1996 außerdem
Optionsgeschäfte u. a. an der Deutschen Terminbörse (DTB) durch. Er erwarb Rechte,
innerhalb einer bestimmten Frist Wertpapiere zu einem festgelegten Basiswert zu
kaufen (call) oder zu verkaufen (put). Dies sind sogenannte long-Positionen. Hierfür
zahlte er Optionsprämien.
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Weiterhin schloss der Kl. hinsichtlich der long-Positionen 44 sogenannte
Glattstellungsgeschäfte (Gegengeschäfte zu den Eröffnungsgeschäften) ab, für die er
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Glattstellungsgeschäfte (Gegengeschäfte zu den Eröffnungsgeschäften) ab, für die er
seinerseits Optionsprämien erhielt. Soweit diese Geschäfte innerhalb eines Zeitraums
von sechs Monaten erfolgten, erzielte der Kl. unter Berücksichtigung von Courtage und
Provision hieraus einen Gewinn i. H. v. insgesamt 26.275,90 DM. Zum Teil entfiel dieser
Gewinn auf long-Positionen, die sich nicht auf Wertpapiere sondern auf den Deutschen
Aktien-Index (DAX) bezogen.
Außerdem verpflichtete sich der Kl. als Verkäufer von Kaufoptionen (call) und
Verkaufsoptionen (put) und somit als sogenannter Stillhalter (short-Positionen). Hierfür
erhielt er Optionsprämien. In acht Fällen bezogen sich diese Verkaufsgeschäfte auf
Aktien und in 38 Fällen auf den DAX.
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Auch hinsichtlich der short-Positionen schloss der Kl. Glattstellungsgeschäfte ab, für die
er seinerseits Optionsprämien zu zahlen hatte.
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Für die Glattstellungsgeschäfte bei den vom Kl. eingeräumten Optionsrechten (short-
Positionen) erzielte er im Streitjahr 1996 unter Berücksichtigung von Courtage und
Provision einen Überschuss i. H. v. insgesamt 43.602,32 DM. Ein Teil dieses
Überschusses entfiel auf short-Positionen, die sich nicht auf Wertpapiere sondern auf
den DAX bezogen.
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Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Ap-Bericht vom 8.11.1999 (insbesondere
auf Tz. 15 i. V. m. der Anlage 3) und auf den vom Beklagten (Finanzamt - FA -)
vorgelegten Ordner, in dem die o. a. Geschäfte dokumentiert sind sowie auf den
Schriftsatz des FA vom 19.10.2004 nebst Anlagen verwiesen.
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Außerdem tätigte der Kl. im Streitjahr 1996 an der DTB Geschäfte (Eröffnungs- und
Glattstellungsgeschäfte) mit Terminkontrakten (sogenannten Future), wobei sich diese
zum Einen auf Bundesanleihen zum Anderen auf den DAX bezogen.
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Der Prüfer ging hinsichtlich der o. a. Tätigkeit des Kl. von einer privaten
Vermögensverwaltung und nicht von der Erzielung gewerblicher Einkünften aus und
nahm deshalb die Besteuerung entsprechend dem BMF-Schreiben vom 10.11.1994
BStBl. I 1994, 816 über die einkommensteuerrechtliche Behandlung von Options- und
Finanztermingeschäften an der Deutschen Terminbörse (DTB) und von anderen als
Optionsscheine bezeichneten Finanzinstrumenten im Bereich der privaten
Vermögensverwaltung vor. Dementsprechend sah er die Geschäfte des Kl. mit dem
Bund-Future und dem DAX-Future nicht als steuerpflichtig an, wohl aber die übrigen
vom Kl. getätigten o. a. Geschäfte.
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Der Prüfer meinte, dass der vom Kl. mit den Optionsrechten (long-Positionen) erzielte
Gewinn i. H. v. 26.275,90 DM unter Abzug des vom Kl. mit der Veräußerung von
Wertpapieren gemachten Verlustes i. H. v. 8.304,46 DM, somit ein Betrag i. H. v.
17.971,44 DM als Veräußerungsgewinn gem. § 22 Nr. 2, § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1
Buchst. b EStG in der Fassung des Streitjahres und der Überschuss aus den short-
Positionen i. H. v. 43.602,23 DM als Einkünfte aus Leistungen gem. § 22 Nr. 3 EStG
steuerpflichtig seien.
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Das FA berücksichtigte dementsprechend im Einkommensteuer-Änderungsbescheid
1996 vom 26.11.1999 erstmals zusätzliche Spekulationsgewinne gem. § 22 Nr. 2, § 23
Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Buchst. b EStG i. H. v. 17.971,00 DM und Einkünfte aus Leistungen
gem. § 22 Nr. 3 EStG i. H. v. 43.602,00 DM.
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Mit dem hiergegen eingelegten Einspruch beantragten die Kl., bei den sonstigen
Einkünften gem. § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Buchst. b EStG die Spekulationsgewinne um
5.442,63 DM und die Einkünfte aus Leistungen gem. § 22 Nr. 3 EStG um 18.008,73 DM
zu kürzen. Die Beträge würden sich aufgrund der steuerlich unbeachtlichen DAX-
Optionsgeschäfte ergeben. Zur Begründung verwiesen sie auf ein Schreiben vom
12.10.1999 des Rechtsanwaltes Dr. LC, H.
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Im Gegensatz zu den Anweisungen der Finanzbehörden seien sämtliche Geschäfte in
DAX-Optionen sogenannte offene Differenzgeschäfte, die von vorneherein nur einen
Anspruch auf einen Barausgleich bei Ausübung geben würden. Einerseits würden die
Finanzbehörden im BMF-Erlass vom 10.11.1994, BStBl. I 1994, 816, sagen, dass eine
Option auf den DAX dem Inhaber bei Ausübung lediglich einen Anspruch auf
Barausgleich gewähre, also ein steuerpflichtiges Spekulationsgeschäft von vorneherein
nicht in Betracht komme, andererseits sollten bei Glattstellung solcher Geschäfte durch
ein Gegengeschäft jedoch dann steuerpflichtige Geschäfte entstehen, wenn diese
Geschäfte innerhalb der damals noch gültigen 6-Monats-Periode stattfinden würden.
Diese Darstellung sei insbesondere unter Berufung auf die im Erlass zitierten BFH-
Urteile inkonsequent und falsch.
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Zum Einen seien grundsätzlich bereits verdeckte Differenzgeschäfte, bei denen keine
diesem Geschäft zugrunde liegenden Produkte angeschafft oder veräußert würden,
keine Anschaffungs- und Veräußerungsgeschäfte im Sinne des § 23 EStG, wenn keine
Waren geliefert würden und nur die Differenz gezahlt würde, so ausdrücklich der BFH
im Urteil vom 06.12.1983, VIII R 172/83, BStBl. II 1984, 132. In der BFH-Rechtsprechung
heiße es ausdrücklich, dass solche Differenzgeschäfte, die wie z. B. Termingeschäfte,
keine Umsätze von Wirtschaftsgütern hätten, weder zu Einkünften aus
Spekulationsgeschäften noch aus sonstigen Leistungen führen würden. Als
Begründung ziehe der BFH auch heran, dass im Umsatzsteuerrecht ebenfalls
angenommen werde, dass bei der Durchführung von Differenzgeschäften ein
Leistungsaustausch nicht stattfinde, den Teilnehmern vielmehr zu Spieleinnahmen
verholfen werde (Hinweis auf BFH-Urteil vom 13.10.1988, IV R 220/85, BStBl. II 1989,
39).
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Sämtliche vorerwähnten BFH-Entscheidungen seien zu verdeckten Differenzgeschäften
ergangen, also zu solchen Geschäften, bei denen der Barausgleich nur stillschweigend
vereinbart worden sei. Im Fall der DAX-Option sei aber ein Barausgleich in den
Optionsbedingungen festgeschrieben, es handele sich mithin also bereits um offene
Differenzgeschäfte. Da bei offenen Differenzgeschäften die Differenzerzielungsabsicht
das einzige Kriterium sei, könne in konsequenter Anwendung der BFH-Rechtsprechung
hier keine Besteuerung erfolgen. Etwas anderes würde nur dann gelten, wenn es sich
um andere Arten von Optionen handele, wie beispielsweise um Aktienoptionen. Hier
könnten dann die dem Optionsgeschäft zugrunde liegenden Aktien bei Ausübung
bezogen werden, so dass hier ein Wirtschaftsgut erworben werde und kein "Spiel"
stattfinde. Richtigerweise habe der BFH bei der Spekulation in Aktienoptionen
entschieden, dass hier ein Wirtschaftsgut erworben bzw. veräußert werde, da die der
Option zugrunde liegenden Aktien jederzeit erworben werden könnten (Hinweis auf
BFH-Urteil vom 24.07.1996, X R 139/93, BFH/NV 1997, 105).
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Zwar behaupte der BFH in diesem Fall, der Überschuss werde nur deshalb erzielt, weil
das Optionsrecht als solches übertragen werde. Der hier vom BFH entschiedene Fall
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sei jedoch nicht vergleichbar, da es sich um Aktien-Optionsrechte handele, denen bei
Ausübung ein Bezug von Aktien zugrunde liegen würde, mithin es sich bei der Option
um ein echtes Wirtschaftsgut handele. Dies sei nach der vorerwähnten anderslautenden
BFH-Rechtsprechung eben gerade bei verdeckten bzw. offenen Differenzgeschäften
grundsätzlich nicht der Fall.
Es sei streng zu unterscheiden zwischen Geschäften in Optionsscheinen, also
Geschäfte in Wertpapieren, sowie Geschäften in Optionen, denen ein real zu
beziehendes Wirtschaftsgut zugrunde liege, und Geschäften in Optionen, die lediglich
im Wege des Barausgleichs ausgeglichen würden, sogenannte offene
Differenzgeschäfte. Eine weitere Überlegung zeige die Richtigkeit dieser Auffassung. In
dem Erlass vom 10.11.1994 heiße es, dass Financial Futures, also DTB-Futures, per se
nicht zur Besteuerung führen würden, da das Basisobjekt nicht lieferbar sei. Unter III. 2.
zu den DAX-Futures heiße es ausdrücklich, dass bei DAX-Futures, da das Basisobjekt
nicht lieferbar sei, Gewinne oder Verluste aus der Glattstellung oder aus dem zu
erbringenden Barausgleich steuerlich unbeachtlich seien. Da Futures und Optionen
grundsätzlich steuerlich gleichbehandelt werden müssten und immer dann, wenn eine
Lieferung des Basisobjektes nicht möglich sei, kein steuerbares Geschäft nach der
höchstrichterlichen BFH-Rechsprechung vorliegen solle, müsse dies, was für DAX-
Futures gelte, konsequenterweise auch bei DAX-Optionen gelten, so dass auch dort
Geschäfte aus Glattstellungen steuerfrei bleiben müssten.
22
Das FA wies den Einspruch als unbegründet zurück (Einspruchsentscheidung vom
25.07.2001). Es meinte, es sei zutreffend davon ausgegangen, dass die DAX-
Optionsgeschäfte sowohl zu Einkünften aus Spekulationsgeschäften ( § 23 Abs. 1 S. 1
Nr. 1 b EStG), als auch zu Einkünften aus Leistungen gemäß § 22 Nr. 3 EStG führen
würden.
23
Inhalt des Optionsgeschäftes sei grundsätzlich der Erwerb oder die Veräußerung des
Rechts, eine bestimmte Anzahl von Wertpapieren einer bestimmten, zum Optionshandel
zugelassenen Aktienart (Basisaktien) jederzeit während der Laufzeit der Option zu
einem im Voraus vereinbarten Preis (Basispreis) entweder vom Kontrahenten
(Stillhalter) zu kaufen oder an ihn zu verkaufen. Für dieses Recht habe der Inhaber der
Option bei Abschluss des Optionsgeschäftes die Optionsprämie zu zahlen.
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Ein Future hingegen sei eine für beide Vertragsparteien verbindliche Vereinbarung, zu
einem festgelegten künftigen Zeitpunkt einen bestimmten Basiswert zu einem
vereinbarten Preis zu kaufen bzw. zu verkaufen.
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Der Unterschied zwischen Option und Future bestehe darin, dass eine Option für ihren
Käufer ein Recht, aber keine Verpflichtung zum Kauf bzw. Verkauf des Basiswertes
darstelle. Beim Optionsgeschäft habe nur der Verkäufer der Option die Verpflichtung zur
Lieferung bzw. zur Abnahme gegen Zahlung, sofern der Optionsinhaber von seinem
Recht Gebrauch mache. Beim Future hingegen bestehe definitiv sowohl eine
Verpflichtung zur Lieferung, als auch zur Abnahme gegen Zahlung. Nach den
Regelungen im BMF-Schreiben vom 10.11.1994 a. a. O. werde grundsätzlich zwischen
Optionsgeschäften an der DTB und Finanztermingeschäften im Bereich der privaten
Vermögensverwaltung unterschieden. Gewinne und Verluste aus der Glattstellung oder
aus dem zu erbringenden Barausgleich seien bei DAX-Futures steuerlich unbeachtlich,
weil das Basisprojekt nicht lieferbar sei (Tz. 21). Der Betriebsprüfer habe im Streitfall die
Futures auf den Deutschen Aktienindex (DAX) auch steuerlich nicht berücksichtigt.
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Die Option auf den DAX gewähre dem Inhaber bei der Ausübung lediglich einen
Anspruch auf Barausgleich. Es komme auch für diese Fälle ein steuerpflichtiges
Spekulationsgeschäft nicht in Betracht (Tz. 17). Bei der Glattstellung solcher DAX-
Optionsgeschäfte durch ein Gegengeschäft würden aber die Ausführungen in den Tz. 8
und 12 entsprechend gelten. Danach sei die Differenz zwischen der gezahlten und der
aus dem glattgestellten Abschluss des Stillhaltergeschäfts erzielten Optionsprämie als
Spekulationsgewinn bzw. –verlust unter den weiteren Voraussetzungen des § 23 EStG
zu berücksichtigen.
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Für den Verkauf von Kauf- oder Verkaufsoptionen auf den DAX würden die
Bestimmungen der Tz. 13, 15 und 16 entsprechend gelten. Kaufe der Verkäufer einer
Kaufoption eine solche der gleichen Serie unter Closing-Vermerk, handele es sich bei
der gezahlten Optionsprämie wirtschaftlich betrachtet um Aufwendungen zur Befreiung
von der zuvor eingegangenen Stillhalter-Bindung und damit um Aufwendungen zur
Sicherung der vereinnahmten Optionsprämie. Die für den glattstellenden Kauf einer
Kaufoption vom Stillhalter gezahlte Optionsprämie einschließlich der Nebenkosten
dürften daher als Werbungskosten bei den Einkünften aus § 22 Nr. 3 EStG abgezogen
werden. Diese Ausführungen würden entsprechend auch für den Verkäufer einer
Verkaufsoption gelten (Tz. 16). Die in der Anlage 3 (ab S. 7) des
Betriebsprüfungsberichts aufgeführten Glattstellungen der DAX-Optionen würden
Einkünfte aus § 22 Nr. 3 EStG darstellen. Die getätigten Optionsgeschäfte hätten alle mit
der Glattstellung geendet. Der Auffassung der Kl., dass Futures und Optionen
grundsätzlich steuerlich gleichbehandelt werden müssten, wenn eine Lieferung des
Basisobjektes nicht möglich sei, stehe der o. g. Erlass des BMF entgegen.
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Mit der hiergegen eingelegten Klage haben die Kl. zunächst begehrt, die
Optionsgeschäfte auf den DAX in der von ihnen genannten Höhe nicht der Besteuerung
zu unterwerfen und den Steuerbescheid entsprechend abzuändern. Sie berufen sich
insoweit weiterhin auf das Schreiben des Rechtsanwaltes Dr. LC vom 12.10.1999.
29
Darüber hinaus berufen sich die Kl. nunmehr auf das Urteil des
Bundesverfassungsgerichts vom 09.03.2004 2 BvL 17/02 BGBl. I 2004, 591, BStBl. II
2005, 56. Sie meinen, daraus ergebe sich, dass die vom FA der Steuerfestsetzung 1996
bei den vom Kl. getätigten Spekulationsgeschäften zugrunde gelegten Vorschriften des
§ 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Buchst. b EStG und des § 22 Nr. 3 EStG in den jeweils für das
Streitjahr 1996 geltenden Fassungen wegen eines strukturellen Vollzugsdefizits mit
Artikel 3 Abs. 1 des GG unvereinbar und deshalb nichtig seien.
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Die Kl. beantragten,
31
den Einkommensteueränderungsbescheid 1996 vom 26.11.1999 in der
Fassung der Einspruchsentscheidung vom 25.07.2001 mit der Maßgabe zu
ändern, dass Spekulationsgewinne gem. § 22 Nr. 2, § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 b
EStG in Höhe von 17.971 DM und Einkünfte aus Leistungen gem. § 22 Nr. 3
EStG in Höhe von 43.602 DM außer Ansatz bleiben.
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Das FA beantragt,
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die Klage abzuweisen.
34
Es hält unter Hinweis auf die Einspruchsentscheidung an seiner Rechtsauffassung fest.
Wegen weiterer Einzelheiten wird auf den Inhalt der vom Finanzamt vorgelegten
Steuerakten sowie auf den Inhalt der gewechselten Schriftsätze mit Anlagen verwiesen.
35
Der Senat hat in diesem Verfahren am 03.06.2004, 16.09.2004, 05.04.2005 und
14.09.2006 mündlich verhandelt. Auf die Niederschriften hierüber wird Bezug
genommen.
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Der Senat hat in diesem Verfahren mit Beschluss vom 05.04.2005, 8 K 4710/01 E (EFG
2005, 1117) das Verfahren ausgesetzt und dem BVerfG die Frage vorgelegt, ob § 23
Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 b EStG und § 22 Nr. 3 Satz 1 EStG jeweils in der für den
Veranlagungszeitraum 1996 maßgeblichen Fassung des Einkommensteuergesetzes
vom 07.09.1990 (BGBl I S. 1898) insoweit mit Art. 3 GG unvereinbar und nichtig seien,
als im Veranlagungszeitraum 1996 die Durchsetzung des Steueranspruchs bei der
Veräußerung von Wertpapieren und bei der Durchführung von Optionsgeschäften
wegen struktureller Vollzugshindernisse weitgehend vereitelt werde.
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Zur Begründung hat der Senat u. a. ausgeführt, im Veranlagungszeitraum 1996 sei die
Durchsetzung dieser Normen bei der Veräußerung von Wertpapieren und bei der
Durchführung von Optionsgeschäften wegen struktureller Vollzugshindernisse
weitgehend vereitelt worden. Die vom BVerfG in seinem Spekulationsurteil vom
09.03.2004, 2 BvL 17/02, BVerfGE 110/94, BStBl. II 2005, 56 getroffenen Feststellungen
zum Erhebungsdefizit und die sich daraus ergebenden Rechtsgrundsätze seien auch
auf das Jahr 1996 übertragbar. Dem Gesetzgeber habe sich auch für das Jahr 1996 die
Erkenntnis aufdrängen müssen, dass für Spekulationsgeschäfte mit Wertpapieren und
Optionsrechten die Gleichheit im Belastungserfolg prinzipiell nicht zu erreichen sein
würde. In einer Anmerkung zum Zinsurteil des BVerfG vom 27.06.1991, 2 BvR 1493/89,
BVerfGE 84, 239, BStBl. II, 1991, 654 habe Felix in FR 1991, S. 375 (389 ff.) darauf hin
gewiesen, dass jenes Urteil präjudizielle Wirkung für weitere Steuervollzugs-defizitäre
Bereiche entfalten werde; beispielhaft habe Felix die Besteuerung von Wertpapier-
Spekulationsgeschäften aufgeführt. Außerdem sei auf den Abschlussbericht der
Arbeitsgruppe "Steuerausfälle" des Landesfinanzministerium Nordrhein-Westfalen
hinzuweisen, den auch das BVerfG zur Grundlage seines Spekulationsurteils gemacht
habe.
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Eine Übergangszeit könne nicht mehr das Jahr 1996 umfassen. Der Rechtsprechung
des Bundesfinanzhofes seien keine entsprechenden Anhaltspunkte zu entnehmen.
Nach dem Bericht des Bundesrechnungshofes vom 24.04.2002 seien "etwa ab dem
Jahr 1994 bis zum Ende des Jahres 1996" die Aktienkurse deutlich gestiegen.
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Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Vorlagebeschluss vom 05.04.2005, 8 K
4710/01 E, juris Dok. Nr. 2005 70706 und EFG 2005, 1117 verwiesen.
40
Die 3. Kammer des 2. Senats des BVerfG hat die Vorlage mit Beschluss vom
16.04.2006, 2 BvL 8/05 als unzulässig angesehen und zur Begründung ausgeführt:
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Das Finanzgericht befasse sich nur ungenügend mit der einschlägigen Rechtsprechung
des BVerfG und deren Konsequenzen für die Bemessung einer dem Gesetzgeber
hinsichtlich der hier zur Prüfung gestellten Normen einzuräumenden Übergangsfrist zur
Korrektur strukturell gegenläufiger Erhebungsregeln. Nach den vom BVerfG im
Einzelnen ausgeführten Maßstäben seien zunächst die Fachgerichte dazu zu berufen,
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die tatsächlichen Grundlagen zu ermitteln und darzustellen, die für die Beantwortung der
verfassungsrechtlichen Frage notwendig seien, für welche Jahre der Gesetzgeber für
ein strukturelles Vollzugsdefizit bei einer bestimmten Norm des materiellen Steuerrechts
verantwortlich gemacht werden könne.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Beschluss des BVerfG vom 18.04.2006,
2 BvL 8/05, juris Dok. Nr. KVRE 363580601, BFH/NV 2006, Beilage 3, 364, HFR 2006,
716 Bezug genommen.
43
Entscheidungsgründe:
44
Die Klage ist unbegründet.
45
Der erkennende Senat ist nicht davon überzeugt, dass § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 b EStG
und § 22 Nr. 3 Satz 1 EStG jeweils in der für das Streitjahr 1996 maßgeblichen Fassung
des EStG vom 07.09.1990, BGBL I, 1990, 1898 insoweit wegen Verstoßes gegen Art. 3
GG verfassungswidrig und nicht mehr anzuwenden ist, als im Veranlagungszeitraum
1996 die Durchsetzung des Steueranspruchs bei der Veräußerung von Wertpapieren
und bei der Durchführung von Optionsgeschäften wegen struktureller
Vollzugshindernisse weitgehend vereitelt wird (vgl. unter 1.).
46
Auf der Grundlage dieser Vorschriften hat das FA zu Recht in dem von den Kl.
angegriffenen Einkommensteueränderungsbescheid 1996 vom 26.11.1999 den Gewinn
bei der Veräußerung von Optionsrechten (long-Positionen) gem. § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr.
1 b EStG in Höhe von 26.275,90 DM berücksichtigt und hiervon zutreffend den im
selben Jahr erzielten Verlust aus der Veräußerung von Wertpapieren in Höhe von
8.304,46 DM gem. § 23 Abs. 3 Satz 4 EStG abgezogen, so dass es zutreffend nach
diesen Vorschriften insgesamt noch 17.971,44 DM in dem Änderungsbescheid
berücksichtigt hat (vgl. unter 2.).
47
Das FA hat ebenfalls zu Recht den vom Kl. bei der Einräumung von Optionsrechten
(short-Positionen) in Höhe von 43.602,23 DM erzielten Gewinn gem. § 22 Nr. 3 EStG im
Einkommensteueränderungsbescheid 1996 vom 26.11.1999 der Besteuerung zu
Grunde gelegt (vgl. unter 3.).
48
1.
49
a. Hinsichtlich des möglicherweise bestehenden strukturellen Vollzugsdefizits bei
der Anwendung der Vorschriften des § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 b EStG und des § 22
Nr. 3 EStG ist der Senat nunmehr der Auffassung, dass auch dann, wenn man ein
strukturelles Vollzugsdefizit im Veranlagungszeitraum 1996 hinsichtlich der
Durchsetzung des Steueranspruchs bei der Veräußerung von Wertpapieren und
bei der Durchführung von Optionsgeschäften unterstellt (vgl. dazu auch unter b)),
dem Gesetzgeber auch noch für das Jahr 1996 eine Übergangsfrist mit der Folge
der Anwendbarkeit der o. a. Vorschriften zuzubilligen ist. Der 2. Senat des BVerfG
hat in seinem Urteil vom 09.03.2004, 2 BvL 17/02, BVerfGE 110, 94, BStBl. II
2005, 56 die Vorschrift des § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 b EStG in ihrer für die
Veranlagungszeiträume 1997 und 1998 geltenden Fassung für mit Art. 3 Abs. 1
50
GG unvereinbar und nichtig erklärt, soweit sie Veräußerungsgeschäfte bei
Wertpapieren betrifft. Die Vorschrift des § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 b EStG hatte in
ihrer im Streitjahr 1996 gültigen Fassung denselben Wortlaut wie die im konkreten
Normenkontrollverfahren 2 BvL 17/02 zur Prüfung gestellte Norm (vgl. BVerfGE
110/94, 95 f.). Der IX. Senat des Bundesfinanzhofes ist in seinen Urteilen vom
01.06.2004, IX R 35/01, BStBl. II 2005, 26 unter II. 2. a und vom 29.06.2004, IX R
26/03, BStBl. II 2004, 995 unter II. 1. a cc zwar davon ausgegangen, dass (auch) in
den Jahren 1989 bis 1994 ein vergleichbares Vollzugsdefizit bestanden habe, wie
es das BVerfG für die Jahre 1997 und 1998 festgestellt habe; indes hat der IX.
Senat des Bundesfinanzhofs in seinen Entscheidungen – unbeschadet eines evtl.
strukturellen Vollzugsdefizits – dem Gesetzgeber in den Veranlagungszeiträumen
1989 bis 1994 eine Übergangsfrist mit der Folge der Anwendbarkeit des § 23 Abs.
1 Satz 1 Nr. 1 b EStG in jenen Jahren zugebilligt. Das Finanzgericht München hat
mit Beschluss vom 27.04.2005, 1 V 885/05, EFG 2005, 1199 ausgeführt, es sei
auch für das Jahr 1995 auszuschließen, dass das BVerfG den § 23 Abs. 1 Satz 1
Nr. 1 b für Wertpapiergeschäfte für nichtig erklären würde; vielmehr sei davon
auszugehen, dass trotz gleichheitswidrigen Vollzugsdefizits dem Gesetzgeber
eine Übergangsfrist zugebilligt würde, die das Jahr 1995 mitumfasse und
innerhalb der die Vorschrift des § 23 Abs. 1 Nr. 1 b EStG wegen des
rechtsstaatlichen Kontinuitätsgebots noch anzuwenden sei. Auf die gegen jenen
Beschluss eingelegte Nichtzulassungsbeschwerde hat der IX. Senat des
Bundesfinanzhofs mit Beschluss vom 29.11.2005, IX B 80/05; BFH/NV 2006, 716
unter II. 2. die Auffassung des Finanzgerichts München bestätigt und ausgeführt,
dass das Finanzgericht zu Recht auch das Jahr 1995 in die nach der
Rechtsprechung des Bundesfinanzhofes dem Gesetzgeber zuzubilligende
Übergangsfrist einbezogen habe; zwar habe die Finanzverwaltung mit der
Arbeitsgruppe - Steuerausfälle - des Landesministeriums Nordrhein-Westfalen
selbst Erklärungsdefizite bei den Spekulationsgewinnen festgestellt. Deren
Ergebnisse hätten aber erst im Jahr 1994 vorgelegen und hätten vom Gesetzgeber
noch nicht für das Jahr 1995 umgesetzt werden können (vergleiche zum
Vorstehenden Bundesverfassungsgerichtsbeschluss vom 18.04.2006, 2 BvL 8/05,
BFH/NV 2006, Beilage 3, 364 unter I. 1.). Der 2. Senat des BVerfG hat die
verfassungsrechtlichen Maßstäbe zur Beantwortung der Frage, ab wann dem
Gesetzgeber ein strukturelles Vollzugsdefizit bei einer
einkommensteuerrechtlichen Norm zugerechnet werden kann mit der Folge, dass
der mit dem Erhebungsdefizit verbundene Verstoß gegen die tatsächliche
Belastungsgleichheit auf die materielle-rechtliche Grundlage für die
Steuererhebung zurückwirkt, in seinen Urteilen vom 27.06.1991, 2 BvR 1493/89
BVerfGE 84, 239, 272, 284 f. und vom 09.03.2004, 2 BvL 17/02 BVerfGE 110, 94,
136 f. ausgeführt. Danach war dem Gesetzgeber zunächst Gelegenheit zu geben,
sich auf die durch das Urteil zur Zinsbesteuerung offen gelegte
verfassungsrechtliche Lage einzustellen (BVerfGE 84, 239, 284 f.). Daraus folgt –
entsprechend der im Zinsurteil (BVerfGE 84, 239, 285) bestimmten Übergangsfrist
– jedenfalls für Veranlagungszeiträume bis einschließlich 1992, dass dem
Gesetzgeber ein eventuelles Vollzugsdefizit einer Norm des materiellen
Steuerrechts – auch der §§ 22 und 23 EStG – verfassungsrechtlich schon deshalb
nicht zum Vorwurf gemacht werden kann, weil die auf diesen Fall anzuwendenden
gleichheitsrechtlichen Maßstäbe vor Erlass des Zinsurteils noch nicht erkannt
worden waren (BVerfGE 84, 239, 284). Indes hatte die vom 2. Senat des BVerfG in
seinem Zinsurteil den Gesetzgeber zur Nachbesserung gesetzte Frist (BVerfGE
84, 239, 284 f.) nur für die materielle Steuernorm des § 22 EStG Gültigkeit, die in
jener Entscheidung zur Prüfung gestanden hat. Drängt sich hinsichtlich einer
anderen Steuernorm – etwa der Vorschriften der §§ 22 und 23 EStG – dem
Gesetzgeber erst nachträglich ein struktureller Erhebungsmangel auf, so trifft ihn
zwar die verfassungsrechtliche Pflicht, diesen Mangel binnen angemessener Frist
zu beseitigen (BVerfGE 84, 239, 272). Für die Beantwortung der Frage, ab
welchem Kalenderjahr ein Verstoß gegen die tatsächliche Belastungsgleichheit
dem Steuergesetzgeber zuzurechnen ist mit der Folge, dass die materiell-
rechtliche Grundlage für die Steuererhebung selbst verfassungswidrig wird, lassen
sich indes keine allgemein gültigen verfassungsrechtlichen Maßstäbe entwickeln;
die Antwort hängt maßgeblich von Tatsachen ab, die für jeden Einzelfall einer
gleichheitswidrig vollzogenen Steuernorm gesondert festzustellen sind. Insoweit
entscheidungserhebliche Tatsachen können beispielsweise Zeitpunkt, Art und
Ausmaß der in Fachkreisen öffentlich geführten Diskussionen, die Entwicklung auf
Märkten, auf die die einschlägige Besteuerung abzielt, oder die Ergebnisse von
Gutachten anerkannter Institutionen oder verwaltungsinterner Untersuchungen
sein. So hat der 2. Senat des BVerfG in seinem Urteil vom 09.03.2004, 2 BvL
17/02 u. a. auf den im Jahr 1994 vorgelegten Abschlussbericht der vom
Finanzministerium des Landes Nordrhein-Westfalen eingesetzten Arbeitsgruppe
"Steuerausfälle" abgestellt (vgl. im Einzelnen BVerfGE 110, 94, 98 f. und 136 f.),
die Entwicklung der Börsenkurse betrachtet (BVerfGE 110, 94, 137) und die
Reaktion des Gesetzgebers auf seit 1997 bestehende Differenzen in der
Rechtsprechung des VII. und des VIII. des Bundesfinanzhofes und auf die in den
Jahren ab 1999 festzustellende Diskussion zur Besteuerungswirklichkeit bei der
dort zur Prüfung gestellten Norm gewürdigt (BVerfGE 110, 94, 99 ff. und 137).
Auch können in verschiedenen Veranlagungszeiträumen unterschiedliche
Tatsachen von Bedeutung sein oder die gleichen Tatsachen unterschiedlich zu
gewichten sein (vgl. zum Vorstehenden BVerfG-Beschluss vom 18.04.2006, 2 BvL
8/05 a.a.O. unter II. 2. aa). Unter Berücksichtigung dieser Rechtsgrundsätze ist der
Senat nunmehr abweichend von seiner Auffassung im Vorlagebeschluss vom
05.04.2005, 8 K 4710/01 E, der Meinung, dass die o. a. Vorschriften des § 23 Abs.
1 Satz 1 Nr. 1 b und § 22 Nr. 3 EStG auch bei Unterstellung eines Vollzugsdefizits
für das Jahr 1996 noch anzuwenden sind. Die dem Gesetzgeber insoweit
zuzubilligende Übergangsfrist umfasst deshalb ebenfalls noch das Streitjahr 1996,
weil die Frage des gleichheitswidrigen Vollzugsdefizits in der Fachwelt für die
Vorschrift des § 20 EStG (vgl. die Nachweise in BVerfGE 84, 239, BStBl. II 1991,
654 unter C. II. 1. b dd der Gründe) deutlich früher aufgeworfen worden sind, als für
§ 23 EStG (vgl. dazu die Nachweise im Urteil des BVerfG vom 09.03.2004, 2 BvR
17/02, BVerfGE 110, 94, BStBl. II 2005, 56 unter A. I. 4. der Gründe). Zwar gab es
für den Gesetzgeber auch bereits vor 1996 Möglichkeiten zu der Erkenntnis zu
kommen, dass auch bei Wertpapiergeschäften einschließlich von
Optionsgeschäften sowohl bei long-Positionen als auch bei short-Positionen ein
strukturelles Vollzugsdefizit vorhanden sein konnte. Für den Gesetzgeber, d. h.
hier konkret vor allem für die Finanzverwaltung, die dem Gesetzgeber häufig bei
den als notwendig angesehenen Änderungen von steuerrechtlichen Vorschriften
mit Vorschlägen durch Erstellung von Kabinett-Vorlagen zuarbeitet, konnte z. B.
der Aufsatz von Felix in FR 1991, 375, 389 ff., ein Anlass sein, sich mit den dort
aufgeführten möglicherweise bestehenden strukturellen Vollzugsdefiziten im
Einzelnen näher zu befassen. Es ist allerdings für den Senat nicht ersichtlich, ob
dieses geschehen ist. Nach den Ausführungen des Bundesfinanzministeriums in
der Stellungnahme zum Vorlagebeschluss des erkennenden Senats hat allerdings
erstmals die im Jahre 1994 vom Finanzminister des Landes Nordrhein-Westfalen
eingesetzte Arbeitsgruppe "Steuerausfälle" angeführt, dass Spekulationseinkünfte
nach § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 b EStG weitgehend nicht erklärt würden. Die beiden
o. a. genannten Anhaltspunkte waren für den erkennenden Senat neben der
Tatsache, dass nach dem Bericht des Bundesrechnungshofs vom 24.04.2002, BT
Drucks 14/8863 Seite 4 ab dem Jahr 1994 bis zum Ende des Jahres 1999 die
Aktienkurse deutlich gestiegen sind, für die vom Senat vertretene Auffassung im
Vorlagebeschluss vom 05.04.2005 maßgebend, dass sich die Gesetzgeber schon
1996 die Erkenntnis eines gleichheitswidrigen Gesetzesvollzugs habe aufdrängen
müssen. Der Senat ist aber nunmehr mit der 3. Kammer des 2. Sentas des BVerfG
der Meinung, dass allein aufgrund dieser Gesichtspunkte nicht zwingend bereits
für das Jahr 1996 vom Ablauf einer dem Gesetzgeber einzuräumenden
Übergangsfrist ausgegangen werden muss. Der Gesetzgeber ist im Bereich des
Einkommensteuerrechts in erster Linie der damalige Deutsche Bundestag. Es
liegen keine Anhaltspunkte dafür vor, dass die Mitglieder des damaligen
Deutschen Bundestages bereits in 1995 die Erkenntnis eines Vollzugsdefizits im
Bereich der einkommensteuerlich relevanten Spekulationsgeschäfte haben
konnten oder mussten und sie deshalb als Gesetzgeber hätten handeln müssen.
In der breiten Öffentlichkeit einschließlich der Presse bzw. der Fachpresse ist
hierüber nicht diskutiert worden. Dies wird bestätigt durch die weiteren
Ausführungen des Bundesfinanzministeriums in seiner Stellungnahme gegenüber
dem BVerfG (vgl. Beschluss des BVerfG vom 18.04.2006, 2 BvL 8/05 a.a.O. unter
I. 4. aa der Gründe). Danach hat sich aufgrund der Situation an den Aktienmärkten
im Jahr 1996 die Frage der Verifikation von Spekulationsgeschäften aus privaten
Veräußerungsgeschäften noch nicht in vergleichbarem Maß wie für die beiden
Folgejahre gestellt, da – wie auch die Kurzstudie 1/98 des deutschen B-Instituts e.
V. zeige – erst im Jahre 1996 ein verstärkter Erwerb von Aktien durch private
Haushalte eingesetzt habe, der im Jahr 1997 durch eine positive Entwicklung des
DAX unterstützt worden sei. Für die Jahre 1997 und 1998 habe sich eine
wesentlich andere Situation als im Jahr 1996 ergeben.
b. Hiervon unabhängig meint der Senat im Übrigen nunmehr, dass das strukturelle
Vollzugsdefizit, dass der Senat hinsichtlich der in seinem Vorlagebeschluss vom
05.04.2005, 8 K 4710/01 E, a.a.O. genannten Vorschriften für das Jahr 1996 noch
bejaht hat, nicht mehr besteht. Das strukturelle Vollzugsdefizit ist durch das erst mit
Wirkung ab dem 01.04.2005 durch das Gesetz zur Förderung der Steuerehrlichkeit
vom 23.12.2003 (BGBl I 2003, 2928) eingeführte gesetzliche
Kontenabrufverfahren (§ 93 Abs. 7, § 93b AO) auch bereits für wesentlich frühere
Zeiträume als behoben zu beurteilen. Hinsichtlich der Nichtdeklaration von
Gewinnen aus privaten Veräußerungsgeschäften gem. § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2
EStG 1999 eines seit 1999 bestehenden Depots hat der BFH im Urteil vom
29.11.2005, IX R 49/04 BStBl. II 2006, 178. zutreffend für den
Veranlagungszeitraum 1999 ausgeführt, dass ein normatives Defizit bei den
Erhebungsregeln jedenfalls nach der Einführung des sogenannten
Kontenabrufverfahrens nicht mehr besteht. Zur Begründung hat der BFH
ausgeführt: "Nach § 93 Abs. 7 AO kann das FA bei den Kreditinstituten über das
Bundesamt für Finanzen einzelne Daten aus den nach § 93 b Abs. 1 AO zu
führenden Dateien abrufen, wenn dies zur Festsetzung oder Erhebung von
Steuern erforderlich ist und ein Auskunftsersuchen an den Steuerpflichtigen nicht
zum Ziele geführt hat oder keinen Erfolg verspricht. Welche Daten dies sind, ergibt
sich aus § 24 c des Kreditwesengesetzes (KWG). Danach müssten die
Kreditinstitute eine Datei führen, in der sie die in dessen Abs.1 Nr. 1 und 2
genannten Daten speichern, nämlich die Nummer eines Kontos, das der
Verpflichtung zur Legitimationsprüfung im Sinne des § 154 Abs. 2 Satz 1 AO
unterliegt, oder eines Depots sowie der Tag der Errichtung und der Tag der
Auflösung und der Name, sowie bei natürlichen Personen der Tag der Geburt, des
Inhabers und eines Verfügungsberechtigten sowie der Name und die Anschrift
eines abweichend wirtschaftlich Berechtigten (§ 8 Abs. 1 des Gesetzes über das
Aufspüren von Gewinnen aus schweren Straftaten). Aufgrund dieser
Rechtsgrundlagen können die Finanzbehörden nach näherer Maßgabe der im
Zusammenhang mit diesen Vorschriften erlassenen Verwaltungsanweisung, die
im durch BMF-Schreiben vom 10.03.2005 (BStBl. I 2005, 422) geänderten
Anwendungserlass zur Abgabenordnung enthalten sind und die §§ 92 und 93 AO
(Auskunftsersuchen; Kontenabruf) betreffen, bei den Kreditinstituten die o. g.
Daten abrufen, wenn dies zur Festsetzung oder Erhebung von Steuern erforderlich
ist. Der einzelfallbezogene, bedarfsgerechte und gezielte Zugriff auf
Kontostammdaten verschafft der Finanzbehörde zunächst zwar nur die Kenntnis
über das Bestehen von Konten (BT Drucks. 15/1309, S. 2) und damit noch nicht
die zur Ermittlung der für belastende Maßnahmen hinreichenden Tatsachen. Es
ermöglicht aber weitere Ermittlungen, um sie aufzufinden. Denn nur dann, wenn
das FA erfahren hat, bei welchem Kreditinstitut der Steuerpflichtige ein Konto oder
ein Depot unterhält, kann es vom Kreditinstitut nach § 93 Abs. 1 AO Auskunft über
Konten- oder Depotbewegungen verlangen. Deshalb führt die Kontenabfrage zur
Effektivierung bestehender Ermittlungsmöglichkeiten (BVerfG-Beschluss vom
22.03.2005, 1 BvR 2357/04, 1 BvQ 2/05, BVerfGE 112, 284; BFH/NV 2005,
Beilage 3, 251; DStRE 2005, 482, m. w. N.). Dieses Verfahren führt zu einer
umfassenden Verifizierung der vom Steuerpflichtigen zu erklärenden Einkünfte
aus der Veräußerung von Wertpapieren, so dass von einem strukturellen
Vollzugsdefizit nicht (mehr) auszugehen ist. Zwar können Finanzbehörden Konten
und Depots nicht routinemäßig oder stichprobenhaft abrufen, sondern nur wenn
dies im Einzelfall zur Festsetzung oder Erhebung von Steuern erforderlich ist.
Dabei ist indes ein begründeter Verdacht steuerlicher Unregelmäßigkeiten nicht
notwendig (vgl. Stahl, Kölner Steuerdialog – KÖSDI – 7/2005, 14704 ff., m. w. N.);
ein hinreichender Anlass für Ermittlungsmaßnahmen ist schon dann zu bejahen,
wenn auf Grund konkreter Anhaltspunkte oder auf Grund allgemeiner Erfahrungen
die Möglichkeit einer Steuerverkürzung in Betracht kommt (vgl. dazu BFH-
Beschluss vom 16.07.2002, IX R 62/99, BStBl. II 2003, 74, unter B III. 3 d am Ende;
vgl. auch Anwendungserlass zur AO zu § 93 Abs. 7 AO Nr. 2). So kann die
ungeklärte Herkunft von Eigenmitteln ebenso einen Kontenabruf angezeigt sein
lassen, wie z. B. das (jahrelange) Halten eines Depots, ohne das weitere
Veräußerungsgeschäfte deklariert wurden." (vgl. zum Vorstehenden BFH-Urteil
vom 29.11.2005, IX R 49/04 BStBl. II 2006, 178 unter II. 2. b der Gründe). Auf
Grund des Kontenabrufverfahrens können Erkenntnisse auch bezogen auf das
Streitjahr 1996 gewonnen werden. Der Senat schließt sich hierzu den
Erwägungen an, die der BFH in seinem Urteil vom 29.11.2005, IX R 49/04 a.a.O.
unter II. 2. b bb der Gründe (insoweit für das Jahr 1999) angestellt hat und verweist
zur Vermeidung von Wiederholungen auf diese Erwägungen. Die
Vollzugsmöglichkeiten sind auch für das Streitjahr 1996 durch die Möglichkeit des
Kontenabrufs effektiver ausgestaltet worden. Ebenso wie für den
Veranlagungszeitraum 1996, der dem BFH-Urteil vom 29.11.2005, IX R 49/04
a.a.O. zu Grunde lag, gilt die auf 10 Jahre verlängerte Festsetzungsfrist wegen
Steuerhinterziehung (§ 169 Abs. 2 Satz 2 AO) auch noch für den
Veranlagungszeitraum 1996. Denn bei einer Abgabe der
Einkommensteuererklärung in 1997 läuft die verlängerte Festsetzungsfrist
frühestens zum 31.12.2007 ab. Werden Gewinne aus privaten
Veräußerungsgeschäften nicht erklärt – und nur diese Fälle bilden die
"Archillesferse" des Vollzugsdefizits –, so ist regelmäßig der Tatbestand der
Steuerhinterziehung erfüllt (BFH-Urteil vom 29.11.2005 a.a.O. unter II. 2. b bb (5.)
der Gründe m. w. N.). Das vor Einführung des sogenannten Kontenabrufverfahrens
bestehende Vollzugsdefizit konnte rechtlich auch nachträglich beseitigt werden.
Auch das BVerfG hält in seinem Urteil vom 09.03.2004, 2 BvL 17/02 a.a.O. unter
C. III. 3. d der Gründe "Nachbesserungen" der Bundes- und
Landesfinanzverwaltungen beim Vollzug für möglich. Dies gilt aber erst Recht für
gesetzliche Nachbesserungen wie sie mit dem automatisierten Kontenabruf
vorgenommen wurden. Dabei kann offen bleiben, ob und inwieweit § 23 Abs. 1
Satz 1 Nr. 1 b und § 22 Nr. 3 Satz 1 EStG vor der Einführung dieses Verfahrens
deshalb verfassungsrechtlich problematisch war, weil der Gesetzgeber bis zur
Einführung der Auskunftsmöglichkeiten gem. § 93 Abs. 7 i. V. m. § 93 b AO mit der
rechtlichen Gestaltung des Erhebungsverfahrens die Gleichheit im
Belastungserfolg prinzipiell verfehlt hat. Denn es handelt sich – allenfalls – um
eine bloß temporäre Unvereinbarkeit, die die Norm so lange unanwendbar macht,
als die Vollzugsmängel bestehen (vgl. BFH-Urteil vom 29.11.2005, IX R 49/04
a.a.O. unter II. 2. b bb (5.) der Gründe m. w. N.). Es wird zwar vereinzelt in der
Literatur bezweifelt, dass das erst zum 01.04.2005 eingeführte
Kontenabrufverfahren wirklich, wie der BFH meint, bereits eine ausreichende, zur
Heilung des § 23 EStG führende Wirkung für die Veranlagungszeiträume ab 1999,
und das gilt genauso für das Jahr 1996, zu entfalten vermag (kritisch Harenberg in
NWB-Fach 3, 13819, 13823). Die zum 01.04.2003 beim Bundesamt für Finanzen
errichtete sogenannten Kontenevidenzzentrale konnte die zum 31.12.1999 bereits
geschlossenen Kontenverbindungen nicht mehr erfassen. Die Finanzverwaltung
hat darüber hinaus erstmals zum 01.04.2005 Zugriff auf die Daten der
Kontenevidenzzentrale. Der BFH hat indes das aus der Löschung sämtlicher
Kontenverbindungen der bereits 1999 bestehenden Kontenverbindungen
innerhalb der letzten drei Jahre sich ergebende Verifikationsproblem gesehen.
Indes bewertet er dieses mehr als eine empirische, verfassungsrechtlich also nicht
durchschlagende Ineffizienz der Rechtsnorm. Ergänzend weist der BFH darauf
hin, dass nach den Feststellungen des dem Verfahren beigetretenen BMF davon
auszugehen sei, dass nur ein geringer Teil von Bankkunden sämtliche, bereits im
Jahre 1999 bestehende Kontenverbindungen mit einer Bank in den letzten Jahren
gekündigt habe. Deshalb sei – wie das BMF in seiner Stellungnahme zutreffend
hervorhebe – im Regelfall auch für das Streitjahr 1999 die Durchsetzung des
Besteuerungsanspruchs bei den Einkünften aus privaten
Veräußerungsgeschäften mit Wertpapieren gewährleistet (BFH-Urteil vom
29.11.2005, IX R 49/04 a.a.O. unter II. 2. e der Gründe). Der Senat schließt sich
dieser Beurteilung des BFH auch für das hier vorliegende Streitjahr 1996 an. Der
Senat geht dabei davon aus, dass das Instrument der Kontenabfrage auch von der
Finanzverwaltung intensiv genutzt wird. Dies wird nach Auffassung des Senats
auch zu einer nachträglichen Überprüfung der Veranlagungen 1996 führen, in
denen die Nichterklärung von Spekulationseinkünften auf Grund konkreter
Momente oder auf Grund allgemeiner Erfahrungen einen Kontenabruf angezeigt
erscheinen lässt (vgl. dazu Rdn. 2. 3. des BMF-Schreibens vom 10.03.2005,
BStBl. I 2005, 422).
51
Der Senat sieht sich in seiner Auffassung auch durch das BFH-Urteil vom
07.09.2005, VIII R 90/04, BStBl. II 2006, 61 bestätigt. Darin meint der BFH, dass
soweit der Gesetzgeber Anlass zur Nachbesserung der Zinsbesteuerung gem. § 20
EStG gehabt habe, er dieser Verantwortung für die Veranlagungszeiträume seit 1998
gerecht geworden sei. Der Gesetzgeber habe seit 1998 das im Regelfall der
Besteuerung zur Anwendung kommende Ermittlungsinstrumentarium der
Finanzämter kontinuierlich wesentlich erweitert und so im Ergebnis nahezu
lückenlose Kontrollmöglichkeiten geschaffen. Zur Begründung stellt der BFH
ebenfalls für die Verfassungsmäßigkeit der Zinsbesteuerung ab 1998 entscheidend
auf die ab 01.04.2005 bestehende Kontenabfragemöglichkeit der Finanzverwaltung
ab.
52
Das Finanzamt hat zu Recht in dem von den Kl. angegriffenen
Einkommensteueränderungsbescheid 1996 vom 26.11.1999 den Gewinn bei der
Veräußerung von Optionsrechten (long-Positionen) gem. §§ 22 Nr. 2, 23 Abs. 1 Satz 1
Nr. 1 b EStG in Höhe von 26.275,90 DM berücksichtigt und hiervon zutreffend den im
selben Jahr erzielten Verlust aus der Veräußerung von Wertpapieren in Höhe von
8.304,46 DM gem. § 23 Abs. 3 Satz 4 EStG abgezogen, so dass zutreffend nach diesen
Vorschriften insgesamt noch 17.971,44 DM in dem Änderungsbescheid berücksichtigt
worden sind.
53
a)
54
Der Kl. war im Rahmen der von ihm getätigten Wertpapiergeschäfte und der von ihm an
der deutschen Terminbörse (jetzt EUREX) getätigten Optionsgeschäfte nicht gewerblich
im Sinne des § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 EStG tätig. Er hat mit seinem Wertpapierhandel
bzw. Optionshandel die Grenzen privater Vermögensverwaltung nicht überschritten. Die
Optionsgeschäfte haben nach Art, Anzahl und Volumen den Rahmen an einer privaten
Vermögensverwaltung nicht überschritten. Der Kl. hat keine speziell gewonnenen
beruflichen Erfahrungen eingesetzt und ist stets nur für eigene Rechnung tätig
geworden. Er hat außerdem kein eigenes Büro unterhalten und für die Durchführung der
Aufträge eine Bank eingeschaltet. Wegen der Gründe im Einzelnen nimmt der Senat zur
Vermeidung von Wiederholungen auf die den Beteiligten bekannten Gründe im
Vorlagebeschluss des Senats vom 05.04.2005, 8 K 4710/01 E, unter B. I. a. der Gründe
Bezug.
55
b)
56
Ein Spekulationsgeschäft (§ 22 Nr. 2 EStG) ist gemäß § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Buchst. b
EStG die Veräußerung von Wirtschaftsgütern, insbesondere von Wertpapieren, bei
denen der Zeitraum zwischen Anschaffung und Veräußerung nicht mehr als sechs
Monate beträgt. Die Regelung erfasst nur Veräußerungsgeschäfte über Wirtschaftsgüter.
Der Begriff Wirtschaftsgut entspricht grundsätzlich demjenigen der übrigen
Einkunftsarten (vgl. BFH-Urteil vom 14.11.1978 VIII R 72/76 BStBl. II 1979, 298) und
umfasst sämtliche vermögenswerte Vorteile, die selbständig bewertbar und längerfristig
nutzbar sind. Selbständige Wirtschaftsgüter sind deshalb auch entgeltlich erworbene
Optionsrechte; ihre Veräußerung innerhalb der Spekulationsfrist unterliegt nach §§ 22
Nr. 2, 23 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. b EStG der Besteuerung (vgl. bereits BFH-Urteil vom
19.05.1982 I R 257/78 BStBl. II 1982, 768). Für den Erwerb und die Veräußerung von
Wertpapieroptionen gelten keine Besonderheiten. Inhalt eines solchen
57
Optionsgeschäftes ist der Erwerb oder die Veräußerung des Rechts, eine bestimmte
Anzahl von Wertpapieren einer bestimmten, zum Optionshandel zugelassenen Aktienart
(Basisaktien) jederzeit während der Laufzeit der Option zu einem im voraus vereinbarten
Preis (Basispreis) entweder vom Kontrahenten (Stillhalter) zu kaufen (Kaufoption) oder
an ihn zu verkaufen (Verkaufsoption). Für dieses Recht hat der Inhaber der Option bei
Abschluss des Optionsgeschäftes die Optionsprämie zu zahlen. Allerdings ist das
"Optionsrecht" nicht schon beim Optionsgeber (Stillhalter) ein – selbstgeschaffenes –
selbständiges, im Vermögensbereich übertragbares Wirtschaftsgut (BFH-Urteil vom
28.11.1984 I R 290/81, BStBl. II 1985, 264; BFH-Urteil vom 28.11.1990 X R 197/87
BStBl. II 1991, 300 m. w. N.). Das wird es erst in der Hand des Optionsnehmers, der
gegen Zahlung der Optionsprämie das Optionsrecht erworben hat. Der Gewinn aus der
Veräußerung des entgeltlich erworbenen Optionsrechtes an einen Dritten innerhalb der
Spekulationsfrist unterliegt deshalb nach §§ 22 Nr. 2, 23 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 Buchst. b
EStG der Einkommensteuer (BFH-Urteil vom 21.07.1995 X B 167/94 BFH/NV 1996, 34
m. w. N. aus der Literatur und Rechtsprechung der Finanzgerichte). Es ist aber ohne
Bedeutung, ob zivilrechtlich nicht nur der Ersterwerb der Option vom Stillhalter
(Primärgeschäft), sondern auch die Weiterveräußerung des Optionsrechtes durch oder
an eine nicht termingeschäftsfähige Person (Sekundärgeschäft) ein unverbindliches
Börsentermingeschäft i. S. d. §§ 50 ff Börsengesetz ist (verneinend für Geschäfte mit
abgetrennten Aktienoptionsscheinen: BGH-Urteil vom 16.04.1991 XI Z R 88/90 BGHZ
114, 177; bejahend für Verträge über Weiterveräußerung, Rückkauf und Aufhebung
laufender unverbriefter Aktienoptionen: BGH-Urteil vom 04.02.1992 XI ZR 32/91 BGHZ
117, 135) und/oder dem Differenzeinwand (§§ 762, 764 BGB) unterliegt. Einen
Rechtsgrundsatz des Inhalts, dass Differenzgeschäfte wegen ihres "Spielcharakters"
schlechthin nicht steuerbar wären, gibt es nicht (BFH-Urteil vom 28.11.1990 X R 197/87
BStBl. II 1991, 300). Für die Anwendung der §§ 22 Nr. 2, 23 EStG ist allein
entscheidend, ob es sich um ein Rechtsgeschäft handelt, das auf die entgeltliche
Übertragung eines Wirtschaftsgutes an eine andere Person gerichtet ist. Dass nach
bürgerlichem Recht Ansprüche aus Differenzgeschäften zwar erfüllbar, aber nicht
einklagbar sind, ist für den Tatbestand des § 22 Nr. 2, § 23 EStG ohne Bedeutung.
Gegenteiliges ergibt sich auch nicht aus den Entscheidungen des BFH vom 08.12.1981
VIII R 125/79 BStBl. II 1982, 618 und vom 25.08.1987 IX R 65/86 BStBl. II 1988, 248.
Nach dieser Rechtsprechung ist bei Devisentermingeschäften wegen des Fehlens einer
Verpflichtung zur Lieferung von Gegenständen der Tatbestand des
Spekulationsgeschäftes (§ 22 Nr. 2, § 23 EStG) und mangels entgeltlicher Leistung der
Tatbestand des §§ 22 Nr. 3 EStG nicht erfüllt. Im Streitfall dagegen hat der Kl. die
entgeltlich erworbenen Optionsrechte während der Laufzeit der Option innerhalb der
Frist des § 23 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 Buchst. b EStG durch Glattstellung veräußert (vgl. dazu
unten). Der von ihm erzielte Überschuss ist – auch wenn bei Nichtausübung der Option
durch den Letzterwerber letztlich nur Kurserwartungen und Kursdifferenzen den Wert
des Optionsrechtes bei Erwerb und Veräußerung beeinflusst haben – Ergebnis des auf
effektive Übertragung des Optionsrechtes gerichteten und tatsächlich durchgeführten
Vertrages und deshalb ein Veräußerungsgeschäft im Sinne des § 22 Nr. 2, § 23 EStG
(vgl. zum Vorstehenden BFH-Urteil vom 24.07.1996 X R 139/93 BFH/NV 1997, 105 m.
w. N.). Das Optionsgeschäft endet entweder mit Ausübung der Option oder deren
Verfall. Ebenso wie dem Optionsgeschäft unbeschadet des möglichen
Differenzcharakters des nachfolgenden Kauf- oder Verkaufsgeschäfts steuerrechtlich
ein Anschaffungsgeschäft zugrunde liegt (vgl. BFH-Urteil vom 28.11.1990 X R 197/87
BStBl. II 1991, 300), lässt auch die gleichzeitige Anschaffung und Veräußerung von
Kauf- und Verkaufsoptionen die Leistungsverpflichtung der Optionsgeber unberührt (vgl.
Giloy DStZ 1991, 551). Diese Rechtsgrundsätze treffen auch für die an der Deutschen
Terminbörse (DTB) – jetzt EUREX – getätigten Optionsgeschäfte in der Form
standardisierter Doppeloptionen (sogenannte Closing-Trades) zu. Deshalb kann ein
Doppeloptionsgeschäft an der DTB auch kein (verdecktes) Differenzgeschäft sein.
Anders als bei den steuerfreien Differenzgeschäften im Sinne der BFH-Rechtsprechung,
denen Kaufverträge zugrunde liegen, besteht bei Doppel-Optionsgeschäften, die
Leistungsverpflichtung des Optionsgebers allein im Leistungsaustausch zur
Optionsprämie. Die Verwertung der Option ist ein nachfolgender, eigenständig zu
beurteilender Vorgang (vgl. Giloy DStZ 1991, 551 und Warnke in Lademann/Söffing,
Brockhoff Kommentar zum EStG, Stand März 1998, § 23 Rdn. 253). Die Closing Trades
führen durch Kombinationen unterschiedlicher Basisgeschäfte (Kauf/Verkaufsoptionen)
unter unmittelbarer Verrechnung der Rechte und Pflichten aus beiden Geschäften zur
Glattstellung. Wie dieses Institut der sogenannten Glattstellung einer Kauf-Position an
der DTB (jetzt EUREX) steuerlich zu beurteilen ist, war lange Zeit unklar bzw. streitig.
Inzwischen dürfte mit den beiden BFH-Urteilen vom 24.06.2003 IX R 2/02 BStBl. II 2003,
752 und vom 29.06.2004 IX R 26/03 BStBl. II 2004, 995 eine Klärung erfolgt sein. Der
Senat hat sich im Vorlagebeschluss vom 05.04.2005, 8 K 4710/01 E, unter B. I. 2. nach
Darstellung der unterschiedlichen Auffassungen in der Literatur zur Steuerpflicht von
Glattstellungsgeschäften bei long-Positionen der Rechtsauffassung des BFH in dessen
Urteilen von 24.06.2003, IX R 2/02, BStBl. II 2003, 752 und vom 29.06.2004, IX R 26/03,
BStBl. II 2004, 995 angeschlossen. Hieran hält er fest. Zu den Wirtschaftsgütern, die
Gegenstand eines Spekulationsgeschäftes sein können, zählen auch Optionen. Denn
es handelt sich um vermögenswerte Vorteile, die selbstständig bewertbar und
längerfristig nutzbar sind. Der Begriff des Wirtschaftsguts wird in § 23 Abs. 1 EStG in
keinem anderen Sinne gebraucht, als in den Vorschriften über die übrigen
Einkommensarten. Das gilt auch für die an der DTB (jetzt: EUREX) gehandelten
Optionen. Der Erwerber einer Put/Call-Option erwirbt bei einer Option im
konventionellen Handel das Recht, vom Stilhalter jederzeit während der Laufzeit der
Option (amerikanische Variante) oder zu einem vorgegebenen Zeitpunkt (europäische
Variante) die den Gegenstand des Optionsgeschäfts bildenden Wertpapiere oder
Rechte zum vereinbarten Preis zu kaufen oder an ihn zu verkaufen. Für dieses Recht
hat der Erwerber bei Abschluss des Optionsgeschäftes die Optionsprämie zu zahlen.
Der Kl. hat die erworbenen Optionen durch Gegengeschäfte veräußert. Das
Gegengeschäft, mit dem der Optionsberechtigte seine Position glattstellt, führt zu einer
Veräußerung der Option (vgl. im Einzelnen BFH-Urteil vom 24.06.2003, IX R 2/02 a.a.O.
m. w. N.). Die vom BFH vorgenommene Beurteilung wird am besten dem Sinn und
Zweck des Gesetzes gerecht. Mit der Glattstellung werden die Werterhöhungen des
Optionsrechtes realisiert. Der Optionsberechtigte erhält für das Gegengeschäft, mit dem
er Optionsrechte in gleicher Serie verkauft, eine Prämie, die den Wert der (erworbenen)
Optionsrechte repräsentiert. Zwar verkauft er nicht die erworbenen Optionen, aber
Positionen der gleichen Serie und zwar genau mit dem Ziel, eine Werterhöhung zu
verwirklichen. Dann ist aber neben dem Wortlaut auch der Zweck erfüllt, den das Gesetz
mit der Besteuerung der privaten Veräußerungsgeschäfte verbindet; denn mit der
Glattstellung realisiert der Optionsberechtigte die Wertsteigerung im Privatvermögen in
Form erzielter Kursgewinne (vgl. auch Heuermann DB 2003, 1919, 1921). Bei diesen
oben dargestellten Optionsgeschäften (long-Positionen) an der DTB kommt es entgegen
der Auffassung der Kl. auch nicht darauf an, dass die zugrundeliegenden Basiswerte bei
Optionen, die – wie hier – teilweise nicht auf Aktien gerichtet sind, sondern von der
Entwicklung des DAX abhängig sind, nicht geliefert werden können. Denn entscheidend
ist nicht, wie ein dem Optionsgeschäft nachfolgendes Ausführungsgeschäft abgewickelt
wird oder werden kann. Entscheidend ist, dass der Erwerber einer Option, unabhängig
davon, welcher Basiswert der Option zugrunde liegt, ein Wirtschaftsgut erwirbt, welches
er im konventionellen Handel durch Veräußerung an Dritte oder vorliegend an der DTB
durch ein Glattstellungsgeschäft mit eventuellem wirtschaftlichen Gewinn veräußern
kann. Dies wird ihm an der DTB durch die dort praktizierte Art der Geschäftsabwicklung
unabhängig davon ermöglicht, ob bei einer Ausübung der Option der Basiswert geliefert
werden kann. Wenn der zugrunde liegende Wert nicht geliefert wird oder nicht geliefert
werden kann (z. B. bei einem Index-Wert) wandelt sich die Verpflichtung aus der Option
in einen Barausgleich. Das ändert aber entgegen der Auffassung der Kl. nichts daran,
dass das Optionsrecht selbst als fungibler Gegenstand das für § 23 EStG maßgebende
Wirtschaftsgut ist (BFH-Urteil vom 29.06.2004 IX R 26/03 BStBl. II 2004, 995 für
Devisenoptionen). Wegen der weiteren Einzelheiten der Begründung nimmt der Senat
auf die den Beteiligten bekannten Gründe im Vorlagebeschluss des Senats vom
05.04.2005, 8 K 4710/01 E, unter B. I. 2. der Gründe Bezug.
3.
58
Das Finanzamt hat ebenfalls zu Recht die Optionsprämien, die der Kl. als Stillhalter für
das Einräumen von Optionsrechten (short-Positionen) erhalten hat, als Einkünfte aus
Leistungen gem. § 22 Nr. 3 EStG der Besteuerung zu Grunde gelegt und dabei die vom
Kl. bei den Glattstellungsgeschäften gezahlten Optionsprämien als Werbungskosten
berücksichtigt.
59
Leistungen im Sinne von § 22 Nr. 3 EStG ist jedes Tun, Unterlassen oder Dulden, das
Gegenstand eines entgeltlichen Vertrages sein kann und das um des Entgeltes Willen
erbracht wird; ausgenommen sind Veräußerungsvorgänge und veräußerungsähnliche
Vorgänge im privaten Bereich, bei denen ein Entgelt dafür erbracht wird, dass ein
Vermögenswert in seiner Substanz endgültig aufgegeben wird (Urteile des BFH vom
21.09.1982 VIII R 73/79 BStBl. II 1983, 201; vom 28.11.1984 I R 290/81 BStBl. II 1985,
264; vom 9.08.1990 X R 140/88 BStBl. II 1990, 1026).
60
Unter diese Vorschrift fällt nach der ständigen Rechtsprechung des BFH, der sich der
erkennende Senat anschließt, auch das Entgelt, das der Stillhalter als Entschädigung
für die Bindung und die Risiken, die er durch die Begebung des Optionsrechts eingeht,
unabhängig vom Zustandekommen des Wertpapiergeschäfts allein für die Stillhaltung
erhält. Dies gilt auch für den Optionshandel an der DTB (BFH-Urteil vom 29.06.2004 IX
R 26/03 BStBl. II 2004, 995 m. w. N.).
61
Bei den umstrittenen Optionsgeschäften handelt es sich nicht um
Veräußerungsvorgänge oder um veräußerungsähnliche Vorgänge, bei denen ein
Entgelt dafür gezahlt wird, dass ein Vermögenswert in seiner Substanz endgültig
aufgegeben wird (vgl. oben).
62
Der Erwerber einer Put-Call-Option erwirbt das Recht, vom Stillhalter jederzeit während
der Laufzeit der Option (amerikanische Variante) oder zum vorgegebenen Zeitpunkt
(europäische Variante) die den Gegenstand des Optionsgeschäfts bildenden
Wertpapiere oder Rechte zum vereinbarten Preis zu kaufen oder an ihn zu verkaufen
(BFH-Urteile vom 28.11.1984 I R 290/81 BStBl. II 1985, 264; vom 28.11.1990 X R
197/87 BStBl. II 1991, 300; vgl. auch BGH-Urteile vom 16.02.1981 II ZR 179/80 BGHZ
80, 80; vom 22.10.1984 II ZR 262/83, BGHZ 92, 317). Dem entspricht die Verpflichtung
des Stillhalters, die Ausübung der Option zu dulden und sich zur Erfüllung Leistungs-
oder Abnahmepflichten bzgl. des Gegenstandes der Option bereit zu halten. Diese
Bindung an sein Vertragsangebot nimmt dem Stillhalter die Befugnis im Rechtssinne,
63
über den Optionsgegenstand – im Falle einer Verkaufsoption gleichsam "negativ" – zu
verfügen. Umgekehrt ermöglicht sie dem Optionsnehmer, für eine bestimmte Zeit
Kursänderungen oder sonst bedeutsame Umstände zu Lasten des Stillhalters
auszunutzen und so auf dessen Kosten zu spekulieren. Mit dem dargestellten Inhalt
bedeutet das Stillhalten durch den Optionsverkäufer eine wirtschaftlich und rechtlich
selbständige Leistung, die losgelöst von dem etwa nachfolgenden Effektengeschäft zu
beurteilen ist. Es handelt sich nicht um eine Neben-, sondern um die eigentliche
Hauptleistung des Verkäufers des Optionsvertrages, die inhaltlich spiegelbildlich dem
Optionsrecht des Optionsnehmers entspricht. Das vom Optionsverkäufer hierfür
bezogene Entgelt dient seiner Entschädigung für die Bindung und die Risiken, die er
durch die Begebung des Optionsrechts eingeht (vgl. oben).
Ungeachtet des spekulativen Charakters des Optionsgeschäfts und der dadurch
bedingten rechtlichen Nähe zum Termineinwand (§ 50 ff. des Börsengesetzes in der
Fassung vor dem Gesetz zur Änderung des Börsengesetzes vom 11.07.1989 BGBl I
1989, 1412) und zum Differenzeinwand (§§ 762 ff. des Bürgerlichen Gesetzbuches)
erbringt der Stillhalter durch das vereinbarungsgemäße Bereithalten von Geldbeträgen
bzw. Wertpapieren gegen Erhalt der Optionsprämie eine wirtschaftlich und rechtlich
selbständige Leistung gegen Entgelt, die auch in steuerrechtlicher Hinsicht losgelöst
von einem etwa nachfolgenden Wertpapiergeschäft zu beurteilen ist. Der Optionsvertrag
und das Wertpapiergeschäft sind wirtschaftlich und rechtlich nicht derart miteinander
verknüpft, dass sie steuerrechtlich als Einheit aufzufassen wären.
64
Die Leistung des Stillhalters ist ein wirtschaftlich relevantes Verhalten, das als solches
marktgerecht vergütet wird. Die eigenständige wirtschaftliche Bedeutung des
Wertpapieroptionsgeschäftes liegt insbesondere darin, dass der Anleger durch den
Erwerb von Kaufoptionen mit einem gegenüber dem Erwerb der Basiswerte per Kasse
relativ geringen Kapitaleinsatz an möglichen Kurssteigerungen der Basiswerte
teilhaben kann (Hebel- oder Leverage-Effekt). Durch Optionskombinationen kann er
unterschiedliche Anlagestrategien verfolgen und Verluste begrenzen. Der Stillhalter
seinerseits spekuliert darauf, dass sein Vertragspartner die Option verfallen lässt. Tritt
dieser Fall ein, ist offenkundig, dass mit der verbleibenden Prämie lediglich die
Einräumung der Option abgegolten wurde. Das wirtschaftliche Eigengewicht des
Wertpapieroptionsgeschäftes kommt weiterhin darin zum Ausdruck, dass seit geraumer
Zeit Optionen Gegenstand eines Sekundärmarktes sind; Gewinne können auch durch
die Veräußerung der laufenden Option realisiert werden (vgl. BFH-Urteil vom
28.11.1990 X R 197/87 BStBl. II 1991, 300 unter I. 2 d der Gründe m. w. N.).
65
Die Leistung des Optionsgebers ist auch dann nach § 22 Nr. 3 EStG steuerbar, wenn
das Optionsgeschäft zivilrechtlich ein Differenzgeschäft im Sinne des § 764 BGB sein
sollte. In Übereinstimmung mit dem BFH-Urteil vom 28.11.1984 I R 290/81 BStBl. II
1985, 264 (unter III.) ist darauf abzustellen, dass das Optionsgeschäft von beiden
Vertragsteilen durch die Einräumung des Optionsrechts einerseits und durch die
Zahlung des Optionsentgelts andererseits voll erfüllt wird. Anders als bei privaten
Waren- und Devisentermingeschäften "in der Art eines Differenzgeschäftes", bei denen
nach Auffassung des VIII. Senats des BFH eine bürgerlich-rechtliche Beurteilung "mit
der Rechtsfolge aus § 117 Abs. 1 und 2 BGB" (BFH-Urteil vom 8.12.1981 VIII R 125/79
BStBl. II 1982, 618, 620 unter 1 b aa) zur Verneinung eines schuldrechtlich wirksamen
Anschaffungs- bzw. Veräußerungsgeschäfts führt, wird die im Tatbestand des § 22 Nr. 3
EStG vorausgesetzte Leistung, die dann auch tatsächlich erbracht wird, durch eine
Bewertung als Differenzgeschäft (§ 764 BGB) nicht ausgeschlossen.
66
Ob bereits das optionsbegründende Rechtsgeschäft unter denselben Voraussetzungen
wie das anschließende Wertpapiergeschäft dem Differenzeinwand unterliegt, ist
umstritten (vgl. zum Meinungsstand die Zitate im BFH-Urteil vom 28.11.1990 X R 197/87
BStBl. II 1991, 300 unter I. 5 der Gründe). Diese Frage kann hier indes dahingestellt
bleiben. Auch wenn man die Eigenschaft des Wertpapieroptionsgeschäftes als
Differenzgeschäft bejahen wollte, besagte dies nur, dass die Optionsprämie als Entgelt
für das Stillhalten denselben bürgerlich-rechtlichen Bestimmungen unterliegt wie das
Differenzgeschäft. Ob "Geschäfte mit Spielcharakter" steuerbar sind, richtet sich nach
dem jeweils einschlägigen Steuertatbestand. Einen Rechtsgrundsatz des Inhalts, das
Differenzgeschäfte wegen eines "Spielcharakters" schlechthin nicht steuerbar wären,
gibt es nicht. Vielmehr ist für die Anwendung des § 22 Nr. 3 EStG entscheidend, dass
der Optionsgeber auch dann eine Leistung gegen Entgelt erbringt, wenn sein Anspruch
auf das Entgelt dem Differenzeinwand unterliegt. Das nach bürgerlichem Recht
Ansprüche aus Differenzgeschäften zwar erfüllbar, aber nicht klagbar sind, ist für den
Tatbestand des § 22 Nr. 3 EStG ohne Bedeutung.
67
Die Rechtsprechung des BFH zur Nichtsteuerbarkeit privater Devisentermingeschäfte
ist auf die Aussage beschränkt, dass im Hinblick auf den Ausschluss einer Verpflichtung
zur effektiven Lieferung der Tatbestand des § 22 Nr. 2, § 23 EStG und mangels
entgeltlicher Leistung der Tatbestand des § 22 Nr. 3 EStG nicht erfüllt sind.
Demgegenüber erbringt der Stillhalter eines Optionsgeschäftes die vereinbarte
Leistung; die Optionsprämie ist sofort bei Vertragsschluss fällig. Wird der Anspruch auf
die Prämie beispielsweise in ein Kontokorrentkonto aufgenommen, "leistet" der
Stillhalter auch dann, wenn er die Prämie wegen des Differenz- und/oder
Börsentermineinwands nicht einklagen können sollte (vgl. zum vorstehenden BFH-Urteil
vom 28.11.1990 X R 197/87 BStBl. II 1991, 300 unter I. 5. der Gründe).
68
Es kommt entgegen der Auffassung der Kl. auch nicht darauf an, worauf die Option
beruht (vgl. Peter in Finanzrundschau – FR – 1998, 545, 548; Blümich/Glenk,
Einkommensteuergesetz, Körperschaftssteuergesetz, Gewerbesteuergesetz, § 23 EStG
Rz. 95 m. w. N.; Philipowski, Deutsches Steuerrecht – DStR – 2004, 978, 981). Zwar ist
die effektive Abnahme oder Lieferung der Basiswerte in Bezug auf den DAX
ausgeschlossen. Indes dient das vom Optionskäufer bezogene Entgelt allein seiner
Entschädigung für die Bindung und die Risiken, die er eingeht, weil er ein Optionsrecht
begibt. Dieses Stillhalten bedeutet eine wirtschaftliche und rechtlich selbständige
Leistung, die losgelöst von dem nachfolgenden Effektengeschäft und damit auch
unabhängig davon zu beurteilen ist, ob es zu einer Abnahme oder Lieferung von
Basiswerten oder von vornherein lediglich zu einem Ausgleich in Geld kommt (BFH-
Urteil vom 29.06.2004 IX R 26/03 BStBl. II 2004, 995 unter II. 1. b) aa) der Gründe).
69
Gegen die Steuerbarkeit der Optionsprämien nach § 22 Nr. 3 EStG spricht nicht, dass
die Einräumung der Option als "Veräußerung" eines Wirtschaftsguts beurteilt werden
müsste, was zur Folge hätte, dass das Stillhalter-Geschäft unter § 23 EStG zu
subsumieren wäre oder – falls es nicht dem Tatbestand des § 23 EStG erfüllte – auch
nicht nach § 22 Nr. 3 EStG steuerbar wäre (vgl. BFH-Urteil vom 29.06.2004 IX R 26/03
BStBl. II 2004, 995 unter II. 1. b) bb) mit Hinweis auf die ständige Rechtsprechung des
BFH, z. B. BFH-Urteile vom 10.09.2003 XI R 26/02 BStBl. II 2004, 218, und vom
14.09.1999 IX R 88/95 BStBl. II 1999, 776).
70
Der Steuertatbestand des § 22 Nr. 2 i. V. m. § 23 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 Buchst. b EStG kommt
71
schon deshalb nicht in Betracht, weil es an einem der "Veräußerung" vorgeschalteten
Erwerb fehlt.
Auch § 23 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 EStG ist nicht einschlägig (a. A. Schultze/Grelck in DStR
2003, 2103; Harenberg, in Kommentierte Finanzrechtsprechung – KFR – F. 3 EStG, §
23 4/03, S. 429, 431; ders., FR 2003, 1140). Danach sind Spekulationsgeschäfte
Veräußerungsgeschäfte, bei denen die Veräußerung der Wirtschaftsgüter früher erfolgt
als der Erwerb. Obschon die Norm Fälle abdecken soll, "in denen es dem
Steuerpflichtigen regelmäßig nur auf die Differenz ankommt" ( so die Begründung des
Regierungsentwurfes zu § 42 EStG 1925, zitiert nach Strutz, Kommentar zum
Einkommensteuergesetz vom 10. August 1925, 1929, § 42 Anm. 2), ist sie nicht bloß auf
den Unterschied zwischen dem vereinbarten Preis und dem Börsen- oder Marktpreis
ausgerichtet, sondern setzt nach ihrem Wortlaut den "Erwerb" des vorher veräußerten
Wirtschaftsgutes voraus (vgl. auch Strutz a. a. O., Anm. 7). Deshalb sind die
Tatbestandsmerkmale dieser Vorschrift so auszulegen wie in § 23 Abs. 1 S. 1 Nr. 1
EStG (vgl. Flume, DB 1978, 1097 ff.).
72
Nach diesen Maßstäben fehlt es im Streitfall bereits an der Veräußerung eines
Wirtschaftsguts. Nach der ständigen Rechtsprechung des BFH erfüllt die im Rahmen
eines Stillhaltergeschäfts eingeräumte Option beim Optionsgeber (hier beim Kl.) nicht
die Merkmale eines selbstgeschaffenen Wirtschaftsguts (BFH-Urteile vom 28.11.1984 I
R 290/81 BStBl. II 1985, 264; vom 28.11.1990 X R 197/87 BStBl. II 1991, 300 unter I. 3
und BFH-Urteil vom 18.12.2002 I R 17/02 BStBl. II 2004, 126, bereits zum Handel an der
DTB).
73
Heuermann in DB 2004, 1848, 1851 tritt mit überzeugenden Argumenten der u. a. von
Schultze/Grelck DStR 2003, 2103 vertretenen und von der Rechtsauffassung des BFH
abweichenden Auffassung im Schriftum entgegen, die die Prämie im Zusammenhang
mit der Optionseinräumung nicht als Bindungsentgelt sondern als Veräußerungsentgelt
sieht. Der Senat schließt sich dem an.
74
Ob das Glattstellen einer eingeräumten Option im Rahmen einer short-Position als
Termingeschäft die Voraussetzungen eines privaten Veräußerungsgeschäfts im Sinne
von § 23 Abs. 1 S. 1 Nr. 4 S. 2 EStG in der Fassung des Steuerentlastungsgesetzes
1999/2000/2002 vom 24.03.1999 (BGBl I, 402, BStBl. I 1999, 304) – EStG n. F. – erfüllt,
kann hier offen gelassen werden, weil dieser Tatbestand erst ab dem
Veranlagungszeitraum 1999 anwendbar ist. Nach § 52 Abs. 39 S. 2 EStG n. F. ist § 23
Abs. 1 S. 2 Nr. 4 EStG n. F. auf Termingeschäft anzuwenden, bei denen der Erwerb des
Rechts auf einen Differenzausgleich, Geldbetrag oder Vorteil nach dem 31.12.1998
erfolgt (vgl. zum Vorstehenden das BFH-Urteil vom 29.06.2004 IX R 26/03 BStBl. II
2004, 995 unter II. 1 b) bb) (1) und (2) der Gründe).
75
Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 Abs. 1 FGO.
76
Die Revision war gem. § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO wegen grundsätzlicher Bedeutung
zuzulassen. Der BFH hat über die Frage, ob hinsichtlich der hier anzuwendenden
einkommenssteuerlichen Vorschriften auch für das Jahr 1996 eine Übergangsfrist mit
der Folge der Anwendbarkeit der Vorschriften zuzubilligen ist, nicht entschieden.
Ebenso wenig hat der BFH bisher entschieden, ob die Auffassung des Senats zutrifft,
dass nach Einführung des sogenannten Kontenabrufverfahrens ein normatives Defizit
bei den Erhebungsregeln auch im Veranlagungszeitraum 1996 nicht mehr besteht.
77