Urteil des FG Münster vom 07.06.2002

FG Münster (Eigentumswohnung, Gebäude, Pflege, Abschreibung, Firma, Verpflegung, Abnutzung, Inventar, Präsenz, Zusicherung)

Datum:
Gericht:
Spruchkörper:
Entscheidungsart:
Tenor:
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Aktenzeichen:
Finanzgericht Münster, 4 K 3780/99 E
07.06.2002
Finanzgericht Münster
4. Senat
Urteil
4 K 3780/99 E
Die Klage wird abgewiesen.
Die Kläger tragen die Kosten des Verfahrens.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand:
Streitig ist bei der Einkommensteuerveranlagung für 1996, ob eine von den Klägern (Kl.) im
Streitjahr angeschaffte, in einer Seniorenwohnanlage gelegene Eigentumswohnung
Wohnzwecken dient und daher eine Absetzung für Abnutzung (AfA) in Höhe von 5 % gem.
§ 7 Abs. 5 Satz 1 Nr. 3 b des Einkommensteuergesetzes (EStG) zu gewähren ist.
Die Firma A GmbH &Co. hatte ein an der B Straße in C gelegenes Grundstück erworben
und errichtete darauf die Wohnanlage D. Dabei wurde ein auf dem Grundstück
vorhandenes, nach Angaben der Firma A GmbH &Co. denkmalgeschütztes,
sanierungsbedürftiges Gebäude in die Anlage integriert. Es wies nach Angabe der Firma A
GmbH &Co. nach einem von ihr vorgenommenen Umbau einen neubauähnlichen Zustand
auf. Die Wohnanlage umfasst insgesamt 30 Wohneinheiten. Die gesamte Anlage wurde -
wie von Anfang an geplant - mit Mietvertrag vom 31.12.1994 für den Zeitraum vom
"01.07.1996 (spätestens mit dem Tag der Bezugsfertigkeit) bis 30.06.2016" an die E GmbH,
F, vermietet. In Teilziffer 1.4 des Mietvertrages ist ausgeführt: "Der Mieter wird das
Mietobjekt als eine Seniorenwohnanlage für betreutes Wohnen mit 30 Apartments
einschließlich notwendiger Nebennutzflächen bzw. Gemeinschaftsflächen wie
Aufenthaltsräume, Pflegebäder, Abstellräume und Pkw-Einstellplätze mit Räumlichkeiten
für eine häusliche Krankenpflegestation und eine Restauration mit Schwerpunkt der
Verpflegung der Bewohner, jedoch auch für externe Senioren (z. B. Ambulanter
Mittagstisch) betreiben". Gem. Ziffer 1.5 des Mietvertrages wurde vereinbart, dass der
Mieter Untermietverträge für betreutes Wohnen sowie für die Sozialstation und die
Restauration abschließen darf. Nach den Angaben der E GmbH umfassen die monatlichen
Kosten für ein betreutes Wohnen in der Wohnanlage D u. a. eine obligatorische Grund-
Service-Pauschale, die ein Notrufsystem, 24-stündige Präsenz von vollexaminierten
Fachkräften des Gesundheits- und sozialpflegerischen Zentrums G e. V. im Haus, soziale
und kulturelle Betreuung sowie persönliche Hilfen durch den G e. V., außerordentliche
Nutzung aller Gemeinschaftseinrichtungen der Wohnanlage nach Absprache mit der
Hausleitung (z. B. für private Feiern), sowie die Zusicherung der Pflege in der Wohnung bis
zum Tod umfasst. Sollte jedoch ärztlich und pflegerisch festgestellt werden, dass eine
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optimale Pflege in der Wohnung nicht mehr gewährleistet werden kann, besteht ein
Vorzugsrecht bei der Belegung eines Pflegeapartments in den E GmbH-Häusern F und H.
Mit notariellem Vertrag vom 20.12.1996 kaufte die Klin. von der Firma A GmbH &Co. eine
der in der Wohnanlage D gelegenen, im November 1996 fertig gestellten
Eigentumswohnungen. Die im Dachgeschoss gelegene Wohnung hat eine Wohnfläche
von 39,63 qm und verfügt über einen Wohnraum, einen Schlafraum, eine Küche, ein Bad
und eine Diele. Der Kaufpreis, in dem Kosten für Inventar in Höhe von 19.500 DM enthalten
waren, betrug insgesamt 230.031,67 DM. In dem Kaufvertrag ist u. a. ausgeführt, dass der
Käuferin bekannt sei, dass das Vertragsobjekt sehr aufwendige und in der Herstellung
kostenintensive Gemeinschaftsflächen beinhalte, und zwar aufgrund der Tatsache, dass
die Gebäude der Seniorenwohnanlage für betreutes Wohnen gem. Mietvertrag der E GmbH
vom 31.12.1994 genutzt würden. Die Klin. wurde ferner darauf hingewiesen, dass sie nach
§ 571 des Bürgerlichen Gesetzbuchs (BGB) in die sich ergebenden Rechte und
Verpflichtungen aus dem Mietverhältnis eintrete.
Mit ihrer Einkommensteuererklärung für das Streitjahr (1996) machten die zusammen zur
Einkommensteuer veranlagten Kl. eine AfA nach § 7 Abs. 5 Satz 1 Nr. 3 b EStG in Höhe
von 5 % geltend. Der Beklagte (Bekl.) gewährte hingegen mit Einkommensteuerbescheid
vom 09.03.1999, geändert durch Bescheid vom 10.05.1999, nur eine Gebäude-AfA nach §
7 Abs. 4 Nr. 2 a EStG in Höhe von 2 %, zeitanteilig für zwei Monate, mit der Begründung,
die Eigentumswohnung der Klin. diene nicht Wohnzwecken. Die Überlassung der
Wohnräume werde von den damit verbundenen Dienstleistungen überlagert. Darüber
hinaus ließ der Bekl. eine von den Kl. beantragte Abschreibung gem. § 7 i EStG mangels
Nachweises für das Vorliegen eines Baudenkmals unberücksichtigt. Mit ihren bereits
gegen den Einkommensteuerbescheid vom 09.03.1999 erhobenen Einspruch, den sie
auch nach Erlass des Änderungsbescheides vom 10.05.1999 aufrecht erhielten, begehrten
die Kl. weiterhin eine AfA nach § 7 Abs. 5 Satz 1 Nr. 3 b EStG in Höhe von 5 % und eine
Abschreibung nach § 7 i EStG. Sie trugen zur Begründung vor: Die Wohnung diene
ausschließlich Wohnzwecken. Das Wohnen sei nur insofern "betreut", als ein Notrufsystem
vorhanden sei, gesundheits- und sozialpflegerische Fachkräfte 24-stündig präsent seien
und ein Vorzugsrecht zur Belegung von Pflegeapartments in anderen Einrichtungen des
Mieters in F und H bestehe. Leistungen wie Verpflegung, Reinigung von Wohnung und
Wäsche seien jedoch nicht Gegenstand des Untermietvertrages, sondern könnten auf
Wunsch des jeweiligen Untermieters gesondert und individuell vereinbart werden. Der
Einspruch wurde vom Bekl. mit Einspruchsentscheidung vom 08.06.1999, auf die Bezug
genommen wird, als unbegründet zurückgewiesen. Zur Begründung wurde u. a. erneut
ausgeführt, die Eigentumswohnung diene nicht Wohnzwecken. Entscheidend sei, zu
welchem Zweck der Mieter die Wohnung nutze. Es werde nicht nur eine reine
Vermietungsleistung erbracht, sondern eine Art betreutes Wohnen gewährleistet. Die
Dienst- und Fürsorgeleistungen, die gerade älteren Menschen besonders wichtig seien,
gäben im Streitfall dem Vertragsverhältnis zwischen Mieter und Untermieter das Gepräge.
Da die Wohnung nicht zu einem Betriebsvermögen der Klin. gehöre, sondern zum
Privatvermögen, könne die Abschreibung nicht auf 4 % erhöht werden und es könnten erst
recht nicht die von den Kl. begehrten 5 % AfA gewährt werden. Auch eine Abschreibung
gem. § 7 i EStG komme nicht in Betracht, weil die Kl. die dafür erforderlichen Nachweise,
insbesondere die dafür erforderliche Bescheinigung, nicht eingereicht hätten.
Die Kl. haben daraufhin Klage erhoben und zunächst neben ihrem Begehren auf
Gewährung einer AfA von 5 % gem. § 7 Abs. 5 Satz 1 Nr. 3 b EStG auch die Gewährung
einer Abschreibung in Höhe von 975 DM für Inventar sowie eine geänderte Zinsfestsetzung
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begehrt. Der begehrten AfA für Inventar hat der Bekl. mit Änderungsbescheid vom
08.05.2002 entsprochen. Ihr Begehren auf eine geänderte Zinsfestsetzung haben die Kl. im
Erörterungstermin vor dem Berichterstatter am 16.04.2002 fallen gelassen. Hinsichtlich der
nunmehr nur noch begehrten AfA von 5 % gem. § 7 Abs. 5 Satz 1 Nr. 3 b EStG wiederholen
und vertiefen sie ihr bisheriges Vorbringen.
Die Kl. beantragen,
den Einkommensteuerbescheid des Bekl. vom 08.05.2002 für 1996 zu ändern und eine
Gebäude-AfA für die Eigentumswohnung der Klin. in Höhe von 5 % zu gewähren.
Der Bekl. beantragt,
die Klage abzuweisen.
Zur Begründung bezieht er sich hinsichtlich der Versagung der 5 %igen AfA auf die
Ausführungen in der Einspruchsentscheidung.
Entscheidungsgründe:
Die Klage ist unbegründet.
Der angefochtene Einkommensteuerbescheid des Bekl. vom 08.05.2002, der gem. § 68 der
Finanzgerichtsordnung (FGO) Gegenstand des vorliegenden Verfahrens geworden ist, ist
rechtmäßig und verletzt die Kl. nicht in ihren Rechten (§ 100 Abs. 1 Satz 1 FGO).
Der Bekl. hat zu Recht die von den Kl. begehrte AfA von 5 % versagt.
Nach § 7 Abs. 4 Satz 1 EStG sind bei Gebäuden als Absetzung für Abnutzung die
folgenden Beträge bis zur vollen Absetzung abzuziehen:
1) bei Gebäuden, soweit sie zu einem Betriebsvermögen gehören und nicht Wohnzwecken
dienen und für die der Bauantrag nach dem 31.03.1985 gestellt worden ist, jährlich 4 %,
2) bei Gebäuden, soweit sie die Voraussetzungen der Nr. 1 nicht erfüllen und die
a) nach dem 31.12.1924 fertig gestellt worden sind, jährlich 2 %,
b) vor dem 01.01.1925 fertig gestellt worden sind, jährlich 2,5 % der Anschaffungs- oder
Herstellungskosten.
Nach § 7 Abs. 5 Satz 1 Nr. 3 EStG können bei im Inland belegenen Gebäuden, die vom
Steuerpflichtigen hergestellt oder bis zum Ende des Jahres der Fertigstellung angeschafft
worden sind, abweichend von Absatz 4 als Absetzung für Abnutzung die folgenden
Beträge abgezogen werden:
Bei Gebäuden im Sinne des Absatzes 4 Satz 1 Nr. 2, soweit sie Wohnzwecken dienen, die
vom Steuerpflichtigen
b) - nur diese Alternative ist hier in Betracht zu ziehen - aufgrund eines nach dem
31.12.1995 gestellten Bauantrags hergestellt oder aufgrund eines nach diesem Zeitpunkt
rechtswirksam abgeschlossenen obligatorischen Vertrags angeschafft worden sind, im Jahr
der Fertigstellung und in den folgenden 7 Jahren jeweils 5 % der Anschaffungs- oder
Herstellungskosten.
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Im Streitfall liegen nur die Voraussetzungen des § 7 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 a EStG vor. Die
Gewährung einer AfA nach § 7 Abs. 5 Satz 1 Nr. 3 b scheitert daran, dass die
Eigentumswohnung der Klin. nicht Wohnzwecken dient, und die Gewährung einer AfA
nach § 7 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 EStG daran, dass die nicht Wohnzwecken dienende
Eigentumswohnung nicht zu einem Betriebsvermögen der Klin. gehört.
Es verbleibt daher nur die Möglichkeit der Gewährung einer AfA von 2 %.
Eine Seniorenwohnanlage, die baulich so gestaltet ist, dass sie neben der Unterbringung
der Pflege und Versorgung der Heimbewohner dient und dementsprechend genutzt wird,
dient nicht Wohnzwecken im Sinne des § 7 EStG. Ein Gebäude dient Wohnzwecken, wenn
es dazu geeignet und bestimmt ist, Menschen auf Dauer Aufenthalt und Unterkunft zu
ermöglichen. Im Falle der Vermietung muss die Wohnraumüberlassung aber dem
Mietverhältnis das Gepräge geben. Ein Gebäude dient dann nicht Wohnzwecken im Sinne
von § 7 EStG, wenn neben der eigentlichen Wohnungsüberlassung weitere Leistungen wie
etwa die volle Verpflegung, die Reinigung und Pflege der überlassenen Räume, die
Betreuung und Pflege bei leichten Erkrankungen sowie Hilfe bei der Gestaltung der Freizeit
und Kommunikation angeboten werden. Bei Räumen, die sowohl dem Wohnen als auch
anderen Zwecken dienen, kommt es darauf an, welchem Zweck sie überwiegend dienen
(Schleswig-Holsteinisches Finanzgericht, Urteil vom 03.11.1999 V 1685/98, EFG 2000,
166, Revision eingelegt, Aktenzeichen des BFH IX R 2/00). Die Eigentumswohnung der
Klin. dient nicht nur reinen Wohnzwecken, sondern wird für ein betreutes Wohnen genutzt.
Sie liegt innerhalb einer Wohnanlage, die ein Notrufsystem, eine 24-stündige Präsenz von
vollexaminierten Fachkräften des Gesundheits- und sozialpflegerischen Zentrums G e. V.,
soziale und kulturelle Betreuung sowie persönliche Hilfe durch den G e. V., eine
außerordentliche Nutzung aller Gemeinschaftseinrichtungen der Wohnanlage nach
Absprache mit der Hausleitung (z. B. für private Feiern), sowie grundsätzlich die
Zusicherung der Pflege in der Wohnung bis zum Tod beinhaltet. Unerheblich ist, dass
diese Leistungen nicht von der Klin. direkt erbracht werden, sondern von der E GmbH, an
die die Wohnanlage vermietet wurde (vgl. dazu grundsätzlich: Schleswig-Holsteinisches
Finanzgericht, Urteil vom 03.11.1999, a. a. O.). Die Klin. muss sich die Nutzung der Mieter,
an die die E GmbH die Wohnung u. a. der Klin. vermietet, zurechnen lassen. Die
Eigentumswohnung ist nämlich gerade zu diesem Nutzungszweck an die E GmbH
seinerzeit von der Firma A GmbH &Co. vermietet worden. Die Klin. ist mit dem Kauf der
Eigentumswohnung in dieses Mietverhältnis eingetreten.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 136 Abs. 1 Satz 3 FGO. Die Kl. haben während des
Klageverfahrens nur zu einem geringen Teil obsiegt, so dass es sachgerecht ist, ihnen die
Kosten des Verfahrens ganz aufzuerlegen.
Die Revision war wegen grundsätzlicher Bedeutung gem. § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO
zuzulassen.