Urteil des FG Münster vom 07.11.2002

FG Münster (Einkünfte, Adv, Wirtschaftliche Leistungsfähigkeit, Vollziehung, Beschränkung, Aussetzung, Zahl, Steuerfestsetzung, Kapitalvermögen, Erlass)

Datum:
Gericht:
Spruchkörper:
Entscheidungsart:
Tenor:
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Aktenzeichen:
Finanzgericht Münster, 8 V 4220/02 E
07.11.2002
Finanzgericht Münster
8. Senat
Beschluss
8 V 4220/02 E
Die Vollziehung des Einkommensteueränderungsbescheides 1999 vom
09.08.2002 wird in folgender Höhe ausgesetzt:
18.186,65 EUR Einkommensteuer
998 EUR Zinsen zur Einkommensteuer und
1.000,29 EUR Solidaritätszuschlag.
Im Übrigen wird der Antrag abgewiesen.
Die Kosten des Verfahrens werden dem Antragsteller zu 85 v.H. und dem
Finanzamt zu 15 v.H. auferlegt.
Die Beschwerde wird zugelassen.
G r ü n d e:
Zu entscheiden ist, ob die Einkommensteuerbescheide 1999 und 2000 wegen eventueller
Verfassungswidrigkeit der Verlustverrechnungsregelung des § 2 Abs. 3
Einkommensteuergesetz (EStG) in der Fassung des Steuerentlastungsgesetzes
1999/2000/2002 (im Folgenden EStG 1999) von der Vollziehung auszusetzen sind.
Der Antragsteller (Ast.) bezieht als Zahnarzt Einkünfte aus selbständiger Arbeit und als
Angestellter eines zahntechnischen Labors Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit.
Weiterhin hat er Kapitaleinkünfte und aufgrund verschiedener Beteiligungen Einkünfte aus
Gewerbebetrieb. Außerdem bezieht er Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung (VuV)
aus insgesamt 11 Mietobjekten, wovon er eines im Jahr 1983, zwei im Jahr 1989, eines im
Jahr 1995 und die Übrigen in der Zeit von 1998 bis 2000 angeschafft hat. Die alle in NRW
gelegenen Mietobjekte dienen im Wesentlichen der Wohnungsmiete. Zwei Mietobjekte
vermietet der Ast. an große Einzelhandelsketten. Bei einem der zuletzt genannten Objekte
hat der Ast. für das Jahr 2000 einen vom Antragsgegner (Ag.) (Finanzamt -FA-) unter
Vorbehaltsfestsetzung anerkannten sofort abzugsfähigen Aufwand in Höhe von 503.037
DM geltend gemacht. Im Übrigen hat der Ast. hohe Schuldzinsbeträge für die Mietobjekte
geltend gemacht. Sie betragen z. B. beim Objekt C , P Straße (im folgenden Objekt I)
106.592 DM (1999) und 104.592 DM (2000), beim Objekt C, P2 Straße (Objekt II) 156.230
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DM (1999) und 200.268 DM (2000) und beim Objekt C2 , Am T platz (Objekt III) 170.021
DM (1999) und 255.322 DM (2000).
Außerdem hat der Ast. für die Mietobjekte die sogenannte Normal-AfA in Anspruch
genommen. Sie betrug für das Objekt I 41.847 DM jeweils in den Jahren 1999 und 2000, für
das Objekt II 117.868 DM (1999) und 119.417 DM (2000) und für das Objekt III 20.830 DM
(1999) und 36.926 DM (2000).
In dem zuletzt noch im Einspruchsverfahren streitigen
EInkommensteueränderungsbescheid vom 05.03.2002 für 1999 und erstmaligen
Einkommensteuerbescheid vom 05.03.2002 für 2000 setzte das FA die Einkommensteuer
1999 auf 149.303 DM (= 76.337,41 EUR) und die Einkommensteuer 2000 auf 93.187 DM (=
47.645,76 EUR) unter Vorbehalt der Nachprüfung fest. Der zuvor mit Einspruch
angegriffene Einkommensteuervorauszahlungsbescheid vom 02.02.2001 hat sich durch
diese Jahresveranlagung erledigt. Unter Berücksichtigung von Lohnsteuerabzugsbeträgen
und vorausgezahlten Beträgen musste der Ast. für 1999 noch 18.186,65 EUR
Einkommensteuer, 998 EUR Zinsen zur Einkommensteuer und 1.000,29 EUR
Solidaritätszuschlag, insgesamt also 20.184,94 EUR nachzahlen. Für das Jahr 2000 ergab
sich ein Erstattungsanspruch in Höhe von 57.188,93 EUR an Einkommensteuer und
3.409,29 EUR Kirchensteuer, insgesamt also 60.598,22 EUR.
In den Bescheiden sah das FA von den negativen Einkünften in Höhe von 1.311.115 DM
(1999) und 443.041 DM (2000) gemäß § 2 Abs. 3 EStG Beträge in Höhe von 757.557 DM
(1999) und 106.989 DM (2000) als nicht ausgleichsfähige Verluste an. Es ging dabei von
folgenden Beträgen aus:
1999 DM
2000 DM
Einkünfte aus Gewerbebetrieb
. /. 375.826
. /. 2.826
Einkünfte aus selbständiger Arbeit
934.019
437.435
Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit
73.097
21.667
Einkünfte aus Kapitalvermögen
113.003
Einkünfte aus Vuv
. /. 935.289
./. 440.215
Summe der positiven Einkünfte
1.007.116
572.105
Summe der negativen Einkünfte
. /. 1.311.115
./ . 443.041
davon ausgleichsfähig nach § 2 Abs. 3 EStG
553.558
336.052
Gesamtbetrag der Einkünfte
453.558
236.053
Unter Berücksichtigung von weiteren Beträgen verblieb noch ein zu versteuerndes
Einkommen in Höhe von 322.099 DM (1999) und 219.898 DM (2000). Wegen der weiteren
Einzelheiten zur Berechnung wird auf die o. a. Bescheide verwiesen.
Der Ast. hatte gegen den bereits zuvor ergangenen Einkommensteuerbescheid 1999 vom
02.02.2001 ebenso wie gegen den Einkommensteuervorauszahlungsbescheid 2000 vom
02.02.2001 Einspruch mit der Begründung eingelegt, es bestünden ernstliche Zweifel an
der Anwendung der Mindestbesteuerung nach § 2 Abs. 3 EStG (Hinweis auf Beschluss des
Finanzgerichts Münster 4 V 1612/00, 4 V 1617/00 EFG 2000, 1253).
Die Einkommensteuerbescheide 1999 und 2000 vom 05.03.2002 wurden Gegenstand des
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Einspruchsverfahrens.
Nachdem das FA zunächst hinsichtlich des ursprünglich ergangenen
Einkommensteuerbescheides 1999 vom 02.02.2001 und des
Einkommensteuervorauszahlungsbescheides 2000 vom 02.02.2001 Aussetzung der
Vollziehung (AdV) gewährt hatte, widerrief es mit Bescheid vom 17.12.2001 die AdV. Zur
Begründung berief es sich auf den BFH-Beschluss vom 09.05.2001 XI B 151/00, BStBl. II
2001, 552. Danach bestünden an der Verfassungsmäßigkeit des § 2 Abs. 3 Satz 3 EStG
1999 keine ernstlichen Zweifel.
Die Einsprüche wies das FA als unbegründet zurück (Einspruchsentscheidung -EE- vom
07.06.2002). Es berief sich im Wesentlichen auf die Ausführungen des Bundesfinanzhofs
(BFH) in dem o. a. Beschluss vom 09.05.2001 und führte ergänzend aus:
Soweit sich der Sachverhalt im Streitfall vom Sachverhalt im vom BFH entschiedenen Fall
unterscheide, ergebe sich keine andere Beurteilung. Wenn der Ast. seine negativen
Einkünfte aus VuV vorliegend auch nicht durch nach dem Fördergebietsgesetz begünstigte
Investitionen herbeigeführt habe, so habe er doch planvoll und bewusst seine Verluste bei
dieser Einkunftsart dadurch erreicht, dass er verstärkt im Immobilienbereich tätig geworden
sei und dabei der Fremdfinanzierung im besonderen Maße Vorzug gegeben habe. Der
dadurch bedingte Werbungskostenabzug für Schuldzinsen habe insbesondere Verluste
entstehen lassen, die zu einer Verrechnung mit positiven Einkünften aus anderen
Einkunftsarten zur Verfügung stehen würden. Von einer bewussten und planvollen
Herbeiführung von Verlusten sei auch im Bezug auf die negativen Einkünfte aus
Gewerbebetrieb auszugehen, die aus Beteiligungen des Ast. resultieren würden. Bei dieser
Sachlage seien die vom BFH aufgestellten Grundsätze jedenfalls entsprechend auf den
Streitfall zu übertragen.
Hiergegen richtet sich die Klage des Ast., die unter dem Az. 8 K 3603/02 E anhängig ist.
Über sie hat der Senat noch nicht entschieden. Der Ast. hält darin an seiner
Rechtsauffassung fest und verweist zur Begründung auf die ausführlichen Erläuterungen in
dem Beschluss des Finanzgerichts Berlin vom 04.03.2002 6 B 6333/01 EFG 2002, 597 und
auf den Beschluss des Finanzgerichts Düsseldorf vom 04.03.2002
3 V 5245/01 A (E) EFG 2002, 921. Der Ast. weist darauf hin, dass der BFH in seinem
Beschluss vom 09.05.2001 a.a.O. keine abschließende Würdigung der zu entscheidenen
Rechtsfrage getroffen habe.
Nach Einreichung der o. a. Klage hat der Ast. beim FA die AdV der für die Kalenderjahre
1999 und 2000 festgesetzten Einkommensteuer in voller Höhe beantragt, da ohne die
Beschränkung des Verlustausgleichs die Steuerschulden der betreffenden Jahre 0 DM
betragen hätten.
Das FA hat mit Bescheid vom 31.07.2002 die AdV unter Hinweis auf den o. a. BFH-
Beschluss vom 09.05.2001 abgelehnt. Ergänzend hat es ausgeführt, die AdV des
Einkommensteuerbescheides 2000 scheitere schon daran, dass sich aufgrund des zum
Streitgegenstand gewordenen Bescheides vom 05.03.2002 eine Steuererstattung ergeben
habe.
Der Ast. beantragt nunmehr bei Gericht unter Bezugnahme auf die Klagebegründung AdV
der Einkommensteuerbescheide 1999 und 2000 vom 05.03.2002 in Höhe von 80.503,76
EUR (1999) und 50.220,72 EUR (2000). Er meint, aufgrund der bereits zitierten
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Entscheidungen des Finanzgerichts Berlin und des Finanzgerichts Düsseldorf bestünden
in dem beantragten Umfang erhebliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit der angefochtenen
Einkommensteuerbescheide 1999 und 2000.
Der Ast. beantragt,
die Vollziehung der Einkommensteuerbescheide 1999 und 2000 vom 05.03.2002 bzw.
jetzt vom 09.08.2002 in Höhe von 80.503,76 EUR (1999) und 50.220,72 EUR (2000)
auszusetzen.
Das FA beantragt,
den Antrag zurückzuweisen.
Es beruft sich zur Begründung auf seinen ablehnenden Bescheid vom 31.07.2002 und führt
ergänzend aus, an der Verfassungsmäßigkeit der "Mindestbesteuerung" gemäß § 2 Abs. 3
EStG 1999 bestünden keine ernstlichen Zweifel. Das Bundesverfassungsgericht habe sich
zum Normengeflecht des Kindergeld- und Steuerrechts bereits mit einem Verbot des
vertikalen Verlustausgleichs befasst und dieses mit dem Grundgesetz für vereinbar erklärt
(BVerfG-Beschluss vom 29.05.1990 1 BvL 20/84, 1 BvL 26/84, 1 BvL 4/86, BStBl. II 1990,
653).
Durch die Vorschrift des § 2 Abs. 3 EStG seien keine besonderen Personengruppen
betroffen; es liege auch kein Eingriff in den spezifischen Schutzbereich eines anderen
Grundrechts vor. Gleichwohl müsste die Gesetzesänderung dem Willkürgebot des Artikel 3
Grundgesetz (GG) standhalten. Das bedeute, dass ein ausreichender
Differenzierungsgrund vorliegen müsse. Dabei sei vorrangig auf die objektiven
Gegebenheiten abzustellen, weniger auf die Begründung durch den Gesetzgeber.
Für die Einführung der "Mindestbesteuerung" gebe es einleuchtende sachliche Gründe. In
Zeiten notwendiger Haushaltssanierung sei schon der Versuch, aktuelle Steuerausfälle zu
begrenzen, ein legitimes Anliegen. Zur Gewährleistung einer leistungsgerechten
Besteuerung müsse dabei auf fiktive Verluste, die durch Steuervergünstigungen oder die
Ausnutzung offener "Schlupflöcher" entstanden sein, nicht zwingend Rücksicht genommen
werden, weil die Leistungsfähigkeit real nicht gemindert sei. Die übermäßige
Inanspruchnahme von Steuervergünstigungen und die Ausnutzung steuerlicher
"Schlupflöcher" müsse eher Missbilligung finden. Derartige Möglichkeiten einzuschränken,
um eine gleichmäßige Besteuerung herzustellen, sei als gesetzliches Ziel sachlich
gerechtfertigt und sogar begrüßenswert. Mit diesem Anliegen bleibe der Gesetzgeber auch
konsequent; er setze sich nicht in Widerspruch zu vorherigen Entscheidungen. Vor allem
wolle der Gesetzgeber an dieser Stelle weder zuvor eingeräumte steuerliche Subventionen
streichen noch erreichen, dass durch günstige Gestaltung erzielte Verluste letztlich
unberücksichtigt blieben. Es bleibe bei der Entscheidung, die auf der Ebene der
Einkünfteermittlung gefallen sei: Der Verlust wirke sich steuerlich aus. In Frage stehe nur
seine zeitliche Zuordnung zu einem Veranlagungszeitraum. Nicht ob, sondern nur wann
sich die Verluste auswirken würden, entscheide sich über §§ 2 Abs. 3 und 10 d EStG.
Beträge die gemäß § 2 Abs. 3 EStG 1999 vom Verlustausgleich ausgeschlossen würden,
gingen dem Steuerpflichtigen nicht verloren. Sie würden über § 10 d EStG 1999 lediglich in
andere Perioden verlagert.
Mit einigen Einschränkungen sei die Begrenzung des vertikalen Verlustausgleichs und
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-abzugs auch geeignet, den gewünschten Erfolg herbeizuführen. Grundsätzlich könne
davon ausgegangen werden, dass hohe positive Einkünfte in einer Einkunftsart tatsächlich
vorhandene Leistungsfähigkeit signalisiere. Vielfach würden hinzutretende Verluste fiktiv
oder zumindest gewollt sein. In diesen Fällen würden sie auf Umständen beruhen, die
einer Einbeziehung in das Konzept "Mindestbesteuerung" sachlich rechtfertigen würde.
Die Beschränkung des vertikalen Verlustausgleichs und -abzugs berge die Gefahr, dass
Personen von der "Mindestbesteuerung" getroffen würden, die "echte" Verluste erlitten
hätten. Eine theoretische Alternative, diesen Effekt zu vermeiden, wäre gewesen, für
Zwecke der "Mindestbesteuerung" eine zweite Bemessungsgrundlage zu ermitteln, die
ohne Steuervergünstigungen und andere nicht gewünschte Steuerminderungen die wahre
Leistungsfähigkeit messe. Die Differenz zwischen beiden Bemessungsgrundlagen würden
dann die (fiktiven) Verluste ausdrücken, die gezielt auf verschiedene Perioden verteilt
werden könnten. Praktisch wäre ein solches Verfahren aber nicht durchführbar. Schon im
Hinblick auf Steuervergünstigungen wäre der gesetzliche Regelungsaufwand für eine
solche Zweitbemessungsgrundlage fachlich wie politisch kaum zu bewältigen und selbst
die administrative Umsetzung schwierig. Die täglich neu sich öffnenden
"Steuerschlupflöcher" hätten sich einer gesetzlichen Regelung sogar vollends entzogen.
Zur Verwirklichung seiner verfassungsrechtlich legitimen Ziele stünde dem Gesetzgeber
aus praktischen Gründen kein gezielter Zugriff offen. Es sei deshalb nicht zu beanstanden,
wenn er mit der Beschränkung der vertikalen Verlustkompensation eine indirekte
Annäherung gewählt habe.
Zudem führe die "Mindestbesteuerung" lediglich zu einer zeitlichen Verlagerung der
Verluste, nicht zu deren Aberkennung. In der Regel dürfte die "Mindestbesteuerung" sogar
zu einer niedrigeren Gesamtsteuer führen. Die relativ moderaten Folgen der
"Mindestbesteuerung" könnten als Ausfluss eines indirekten Ansatzes sogar dann
hingenommen werden, wenn der Steuerpflichtige vorübergehend ungewollt echte Verluste
erleide. Denn im Normalfall werde er versuchen, sprudelnde Quellen auszubauen und eine
verlustbringende Tätigkeit umzustrukturieren oder gar abzustoßen. In einer
periodenübergreifenden Betrachtung erweise sich auch dieser Steuerpflichtige in der
Regel als hinreichend leistungsfähig, sogar in einer verlustträchtigen Periode eine Steuer
zu entrichten. Die Belastung werde schließlich im Regelfall durch eine sinkende
Gesamtbelastung gemildert.
Etwas anderes könne gelten, wenn der Steuerpflichtige dauerhaft echte Verluste erleide
und positive Einkünfte aus seiner anderen Einkunftsart erziele. Hier könne es im
Ausnahmefall dazu kommen, dass für diese positiven Einkünfte nach Anwendung der
Verlustausgleichsbeschränkung des § 2 Abs. 3 EStG 1999 tatsächlich Einkommensteuer
festgesetzt und erhoben werde, obwohl bei Betrachtung des Gesamtergebnisses im
Durchschnitt ein Verlust erzielt würde (z. B.: ein Steuerpflichtiger erziele hohe echte
Verluste aus einer gewerblichen Tätigkeit und positive Einkünfte aus nichtselbständiger
Arbeit). Aus dem Arbeitslohn würden Investitionen im Gewerbebetrieb finanziert. Wäre ein
uneingeschränkter Verlustausgleich möglich, würden in der Summe negative Einkünfte
vorliegen. Nach Berücksichtigung der vertikalen Verlustverrechnungsbeschränkung des §
2 Abs. 3 EStG 1999 verbleibe jedoch tatsächlich eine festzusetzende Einkommensteuer.
Die "Mindestbesteuerung" könne insoweit eine bestehende Existenzgefährdung weiter
steigern, weil der Steuerpflichtige die Steuern aus Mittel bezahlen müsste, die er
tatsächlich insgesamt nicht erwirtschaftet habe. Selbst wenn man dies als
Verfassungsverstoß werte, könne dieser nicht zur Aufhebung des Gesetzes führen, weil
andere Abhilfe möglich sei. Der Besteuerung nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit
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des Steuerpflichtigen könne grundsätzlich bei Vorliegen der Voraussetzungen des § 163
bzw. § 227 AO ggfl. noch durch eine abweichende Steuerfestsetzung oder den Erlass von
Ansprüchen aus dem Steuerschuldverhältnis Rechnung getragen werden, wenn die
Festsetzung/Erhebung der Steuern ausnahmsweise aus persönlichen Gründen unbillig
wäre.
Während des AdV-Verfahrens hat das FA am 09.08.2002 geänderte
Einkommensteuerbescheide 1999 und 2000 erlassen. Während bei der Einkommensteuer
1999 die der Besteuerung zu Grunde gelegte Berechnung des Gesamtbetrages der
Einkünfte unverändert blieb, sah das FA in dem Einkommensteueränderungsbescheid
2000 vom 09.08.2002 von den nunmehr zugrunde gelegten negativen Einkünften in Höhe
von 1.294.683 DM gemäß § 2 Abs. 3 EStG einen Betrag in Höhe von 958.630 DM als nicht
ausgleichsfähigen Verlust an. Die festgesetzte Einkommensteuer 2000 und der
festgesetzte Solidaritätszuschlag blieben unverändert.
Das FA ging dabei von folgenden Beträgen aus:
DM
Einkünfte aus Gewerbebetrieb
./. 22.916
Einkünfte aus selbständiger Arbeit
437.435
Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit
21.667
Einkünfte aus Kapitalvermögen
113.003
Einkünfte aus VuV
./. 1.271.767
Summe der positiven Einkünfte
572.105
Summe der negativen Einkünfte
1.294.683
davon ausgleichsfähig nach § 2 Abs. 3 EStG
336.053
Gesamtbetrag der Einkünfte
236.053
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der Einkommensteuerakte und der
Gerichtsakten Bezug genommen.
Der Antrag auf AdV ist hinsichtlich des Einkommensteuerbescheides 2000 vom 05.03.2002
bzw. jetzt vom 09.08.2002 unbegründet und hinsichtlich des Einkommensteuerbescheides
1999 vom 05.03.2002 bzw. jetzt vom 09.08.2002 in dem im Tenor genannten Umfang
begründet. Im Übrigen ist der Antrag auch insoweit unbegründet.
Unabhängig davon, ob ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des
Einkommensteuerbescheides 2000 vom 05.03.2002 (bzw. vom 09.08.2002) bestehen, ist
wegen § 69 Abs. 2 Satz 8 EStG eine AdV nicht möglich.
Nach § 69 Abs. 2 Satz 8 FGO in der Fassung des Jahressteuergesetzes 1997 sind bei
Steuerbescheiden sowohl die Aussetzung als auch die Aufhebung der Vollziehung auf die
festgesetzte Steuer, vermindert um die anzurechnenden Steuerabzugsbeträge, um die
anzurechnende Körperschaftsteuer und um die festgesetzten Vorauszahlungen,
beschränkt; dies gilt nicht, wenn die Aussetzung oder Aufhebung der Vollziehung zur
Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint.
Die Voraussetzungen dieser Vorschrift liegen hier vor. Laut der Abrechnung im
Einkommensteuerbescheid 2000 vom 05.03.2002 bzw. 09.08.2002 verblieb nach Abzug
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der anzurechnenden Steuerabzugsbeträge und der festgesetzten Vorauszahlungsbeträge
kein positiver Betrag übrig wegen dessen noch die AdV möglich wäre. Dafür, dass die AdV
zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig ist, ist nichts vorgetragen worden und nach
Inhalt der vorliegenden Steuerakten auch nichts ersichtlich.
Hinsichtlich des EInkommensteueränderungsbescheides 1999 vom 05.03.2002 bzw. jetzt
vom 09.08.2002 ist hingegen der AdV-Antrag in dem Umfang wie unter Abzug der
festgesetzten Vorauszahlungen noch Einkommensteuer in Höhe von 18.218,86 EUR sowie
Zinsen zur Einkommensteuer in Höhe von 998 EUR und Solidaritätszuschlag in Höhe von
1.029 EUR zu zahlen waren, begründet, weil an dessen Rechtmäßigkeit bei der im
Aussetzungsverfahren gebotenen summarischen Prüfung der Sach- und Rechtslage
ernstliche Zweifel bestehen. Im Übrigen war der weitergehende Antrag auf AdV gemäß §
69 Abs. 2 Satz 8 FGO unbegründet (vgl. oben).
Nach § 69 Abs. 3 Satz 1 i.V.m. Abs. 2 Satz 2 FGO kann das Gericht der Hauptsache die
Vollziehung eines angefochtenen VA auf Antrag ganz oder teilweise aussetzen, wenn
ernstliche Zweifel an seiner Rechtmäßigkeit bestehen. Ernstliche Zweifel sind
anzunehmen, wenn eine summarische Prüfung ergibt, dass neben den für die
Rechtmäßigkeit sprechenden Umständen gewichtige, gegen die Rechtmäßigkeit
sprechende Gründe zu Tage treten, die Unentschiedenheit in der Beurteilung der
entscheidungserheblichen Rechtsfragen oder Unklarheit in der Beurteilung von Tatfragen
auslösen (ständige Rechtsprechung des BFH, vgl. z. B. Beschluss vom 20.05.1997 VIII B
108/96, BFH/NV 1997, 462 m.w.N.). Eine derartige Unsicherheit besteht auch dann, wenn
gegen Normen, die dem angefochtenen VA zu Grunde liegen, Bedenken hinsichtlich deren
Verfassungsmäßigkeit aufkommen.
Im Streitfall bestehen ernstliche Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit der Vorschrift des § 2
Abs. 3 EStG 1999. Zur Begründung nimmt der Senat Bezug auf die Gründe in den
Beschlüssen des Finanzgerichts Münster vom 07.09.2000 4 V 1612, 1617/00 E EFG 2000,
1253, vom 15.11.2000 4 V 1612/1617/00 E EFG 2001, 77 sowie des Hessischen
Finanzgerichts vom 04.12.2001 11 V 3177/01 EFG 2002, 777, des Finanzgerichts Berlin
vom 04.03.2002 6 B 6333/01 EFG 2002, 597 und des Finanzgerichts Düsseldorf vom
04.03.2002 3 V 5245/01 A, E EFG 2002, 921.
Die dort geäußerten Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit des § 2 Abs. 3 EStG 1999
werden von der nahezu einhelligen Auffassung in der Literatur geteilt (vgl. Birk/Kulosa,
verfassungsrechtliche Aspekte des Steuerentlastungsgesetzes 1999/2000/2002 FR 1999,
433; Kirchhof, EStG, Stand 12/2001, § 2 Rdn. 129 ff; Seeger in Schmidt, EStG, Stand
02/2002, § 2 Rdn. 77 ff; Stuhrmann in Blümlich, EStG-KSt-GewStG, Stand 06/1999 § 2
Rdn. 15; Kirchhof/Söhn Stand 05/2002 § 2 Rdn. D 251 ff; Handzik in Littmann, EStG, Stand
05/2002 § 2 Rdn. 207 ff; Hallerbach in Hermann Heuer, EStG, Stand 04/2001 § 2 Rdn. R 9
ff; Holdorf, Frage der Verfassungsmäßigkeit der Verlustabzugsbeschränkung nach § 2 Abs.
3 EStG, BB 2001, 2085; Kohlhaas, BB 2001, 1665, Hergarten, Besteuerung nach der
Leistungsfähigkeit - ein ausgehöhltes Prinzip?; DStR 2001, 1876; Stapperfend FR 2000,
1204; Offerhaus, Die Steuerreform - eine Herausforderung an den Rechtsstaat, DStZ 2000,
9; Herzig/Briesemeister, Systematische und grundsätzliche Anmerkungen zur
Einschränkung der steuerlichen Verlustnutzung, DStR 1999, 1377; Raupach/Böckstiegel,
die Verlustregelungen des Steuerentlastungsgesetzes 1999/2000/2002 FR 1999, 617 ff;
a.A. Altfelder, FR 2000, 1209 und DB 2001, 350 (Ist die "Mindestbesteuerung"
verfassungswidrig?); Werner, BB 2001, 656; Lindberg in Frotscher, EStG, Stand 06/1999, §
2 Rdn. 81 ff.
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Die Zweifel bestehen zum einen im Hinblick auf Artikel 3 GG. Aus dem aus Artikel 3 Abs. 1
GG resultierenden Gleichbehandlungsgebot leitet sich das Prinzip der Steuergerechtigkeit
ab. Als Maßstab hierfür wird die finanzielle und wirtschaftliche Leistungsfähigkeit des
Steuerpflichtigen herangezogen (BVerfG-Beschluss vom 22.02.1984 1 BvL 10/80 BStBl. II
1984, 357, 359).
Durch die pauschale Versagung des vertikalen Verlustausgleichs wird für die Besteuerung
eine Leistungsfähigkeit zu Grunde gelegt, die weder in dem betreffenden noch in einem
früheren Veranlagungszeitraum erlangt wurde, sondern bestenfalls in einem zukünftigen
Zeitraum erlangt wird (Hergarten DStR 2001, 1876, 1877).
Darüber hinaus werden Gewinneinkünfte durch die Möglichkeit, gewillkürtes
Betriebsvermögen zu bilden und in gewerblich infizierte oder geprägte
Personengesellschaft einzubringen, durch die ab 1999 geltende Neuregelung in § 2 Abs. 3
EStG in 1999 vergleichsweise privilegiert, Steuerpflichtige mit Einkünften aus selbständiger
und nichtselbständiger Arbeit im Gegensatz zu Steuerpflichtigen mit Einkünften aus
anderen Einkunftsarten demgegenüber am stärksten diskriminiert (Raupach/Böckstiegel
FR 1999, 617, 618).
Zum anderen bestehen Zweifel, ob nicht § 2 Abs. 3 EStG 1999 gegen das in Artikel 20 Abs.
3 GG normierte Rechtsstaatsprinzip verstößt. Hieraus wird u. a. das Prinzip der
Rechtssicherheit abgeleitet, welches wiederum den Grundsatz der Bestimmtheit von
Gesetzen nach sich zieht. Danach müssen Gesetze hinsichtlich ihres Tatbestandes und
ihrer Rechtsfolge so klar formuliert sein, dass die Rechtslage für den Betroffenen erkennbar
ist und er sein Verhalten danach richten kann (BVerfG-Beschluss vom 03.11.1982 1 BvR
210/79, BVerfGE 62, 169, 183).
Dieses dürfte aber gerade angesichts der Kompliziertheit dieser Vorschrift nicht der Fall
sein. So hat kürzlich u. a. der Vizepräsident der Bundessteuerberaterkammer Hans Günter
Senger anlässlich der 66. Bundeskammerversammlung der Steuerberater am
07./08.10.2002 in München ausgeführt:
"Ein weiteres Lehrbeispiel für das Steuerwirrwarr ist die Mindestbesteuerung nach § 2 Abs.
3 EStG, durch die eine Verlustverrechnung zwischen verschiedenen Einkunftsarten
eingeschränkt wurde. Sie ist ohne EDV nicht anwendbar und ohne spezielle Ausbildung
absolut unverständlich." (Pressemitteilung der Bundessteuerberaterkammer vom
07.10.2002).
Diese Auffassung wird von vielen Stimmen in der Literatur geteilt (vgl. z. B. Kirchhof, EStG,
a.a.O., § 2 Rdn. 129 ff; Handzik in Littmann, Bitz, Hellwig, EStR, a.a.O., § 2 Rdn. 203 ff;
Birk/Kulosa FR 1999, 433, 435).
Darüber hinaus bestehen Zweifel, ob § 2 Abs. 3 EStG gegen das Rückwirkungsverbot
verstößt, weil durch diese Regelung Sonderabschreibungen nach dem
Fördergebietsgesetz u. U. nur mit einer großen zeitlichen Verzögerung zum Abzug
zugelassen werden. Bei Subventionsgesetzen ist für den Vertrauensschutz auf den
Dispositionszeitpunkt abzustellen, also auf den Zeitpunkt der Kreditaufnahme bzw. der
Anschaffung der Gebäude (vgl. Holdorf, BB, 2001, 2085, 2090; Hergarten, DStR 2001,
1876, 1879).
Das FA kann sich nicht mit Erfolg auf den Beschluss des BFH vom 09.05.2001 XI B 151/00
BStBl. II 2001, 552 berufen, da der BFH die Frage, ob zwischen "echten" Verlusten und z.
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B. durch Sonderabschreibungen nach dem Fördergebietsgesetz entstandenen "unechten"
Verlusten zu unterscheiden ist, ausdrücklich offen gelassen hat. Im vorliegenden Fall geht
es aber gerade um sogenannte echte Verluste, die der Ast. bei seinen Investitionen in die
von ihm gekauften und renovierten Mietobjekte in NRW gehabt hat (im Wesentlichen
beruhen dabei die Verluste auf Schuldzinsen und Inanspruchnahme der Normal-AfA).
Darüber hinaus ist nach Auffassung des Senats eine hinreichend genaue Unterscheidung
zwischen "echten" und "unechten" Verlusten nicht möglich. Hierfür gibt es keine
eindeutigen Abgrenzungskriterien (vgl. dazu Kohlhaas in Anmerkungen zum BFH-
Beschluss vom 09.05.2001 BB 2001, 1665, 1667 r.Sp.).
Das FA kann sich auch nicht mit Erfolg darauf berufen, das Bundesverfassungsgericht
habe sich zum Normengeflecht des Kindergeld- und Steuerrechts bereits mit einem Verbot
des vertikalen Verlustausgleichs befasst und dieses mit dem Grundgesetz für vereinbar
erklärt (Hinweis auf BVerfG-Beschluss vom 29.05.1990 a.a.O.). Aus dieser Entscheidung
des BVerfG folgt gerade, dass eine Ungleichbehandlung bei horizontalem und vertikalem
Verlustausgleich nur unter eingeschränkten Voraussetzungen verfassungsgemäß ist. Bei
der Entscheidung ging es u. a. um die Verfassungsmäßigkeit des § 11 Abs. 1
Bundeskindergeldgesetz (BKGG). Nach dieser Vorschrift konnten Verluste wie im
Einkommensteuerrecht innerhalb der einzelnen Einkunftsart mit positiven Einkünften
verrechnet werden (so genannter horizontaler Verlustausgleich). Anders als im bis zum
Veranlagungszeitraum 1998 geltenden Einkommensteuerrecht wurde in § 11 Abs. 1 BKGG
allerdings der Ausgleich des Verlustes, der innerhalb der gleichen Einkunftsart durch den
horizontalen Verlustausgleich nicht verbraucht worden ist, mit anderen Einkunftsarten
untersagt.
Nachdem das BVerfG in dem Beschluss vom 29.05.1990 unter Hinweis auf die Vorlage
des Bundessozialgerichtes auf diese Ungleichbehandlung zwischen horizontalem und
vertikalem Verlustausgleich hingewiesen hat und sodann ausgeführt hat, hierfür seien
keine hinreichenden Gründe ersichtlich, hat es die Vorschrift des § 11 Abs. 1 BKGG
dennoch nicht als verfassungswidrig angesehen, weil der Gesetzgeber der
Verwaltungspraktikabilität entscheidendes Gewicht habe beimessen dürfen. Diesen
Gesichtspunkt als Rechtfertigung für eine Ungleichbehandlung hat es aber sogleich wieder
eingeschränkt (vgl. dazu BVerfG-Beschluss vom 29.05.1990 a.a.O. unter D II 3 a und b der
Gründe). Danach darf der Gesichtspunkt der Verwaltungsökonomie nur in geringfügigen
und besonders liegenden Fällen zur Ungleichheit führen, während stärkere Belastungen
ganzer Gruppen das Maß des verfassungsrechtlich zulässigen überschreiten könne. Das
BVerfG hat eine Überschreitung des verfassungsrechtlich zulässigen nicht angenommen,
weil es beim Kindergeld in den meisten Fällen allenfalls um höchstens 360 DM gehe.
Demgegenüber geht es bei der Verlustausgleichsregelung in § 2 Abs. 3 EStG 1999 um
weit größere Auswirkungen. Das zeigt auch der hier vorliegende Fall.
Bei sehr großen Verlusten muss der Steuerpflichtige aufgrund der
Verlustbeschränkungsregelung in § 2 Abs. 3 EStG Steuern zahlen, obwohl seine gesamten
positiven Einkünfte durch Verluste aufgezehrt worden sind. Insoweit bleibt es in vielen
Fällen nicht bei einem Liquiditätsnachteil. Denn dies würde voraussetzen, dass der
Steuerpflichtige in den nächsten Jahren weiterhin sehr hohe positive Einkünfte hat und
dann die Verluste gemäß § 10 d EStG 1999 in zukünftigen Veranlagungszeiträumen
ausgleichen kann. Dies ist aber angesichts der wirtschaftlich unsicheren Lage von nicht
wenigen Gewerbebetrieben und unter Berücksichtigung der Wechselfälle des Lebens (z. B.
lang andauernde Krankheit, Berufsunfähigkeit) bei einer nicht zu vernachlässigenden Zahl
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von Steuerpflichtigen nicht der Fall. Der Steuerpflichtige, der aufgrund der
Mindestbesteuerung gemäß § 2 Abs. 3 EStG Steuern zahlen muss, muss sich unter
Umständen ohne entsprechendes Einkommen die Mittel für die Steuerbegleichung
beschaffen. Von der Lösung dieses Problems wird in vielen Fällen die wirtschaftliche
Existenz abhängen (vgl. Holdorf a.a.O. S. 2089 r.Sp.).
Insoweit hilft die Überlegung des FA nicht weiter, dass, falls man dieses als
Verfassungsverstoß werte, dieser Verfassungsverstoß nicht zur Aufhebung des Gesetzes
führe, weil andere Abhilfe möglich sei. Nach Auffassung des FA könne der Besteuerung
nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit des Steuerpflichtigen grundsätzlich bei
Vorliegen der Voraussetzungen des § 163 bzw. § 227 AO ggfl. durch eine abweichende
Steuerfestsetzung oder den Erlass von Ansprüchen aus dem Steuerschuldverhältnis
Rechnung getragen werden, wenn die Festsetzung/Erhebung der Steuern ausnahmsweise
aus persönlichen Gründen unbillig wäre.
Nach Auffassung des Senats kann jedoch der Steuerpflichtige, dessen wirtschaftliche
Existenz unter Umständen aufgrund der gesetzlichen Besteuerung gefährdet werden kann,
nicht darauf verwiesen werden, dass er die Möglichkeit habe, eine Billigkeitsregelung zu
beantragen (vgl. hierzu auch Holdorf a.a.O. S. 2090 l.Sp.). Eine solche von vornherein
durch eine gesetzliche Regelung vom Gesetzgeber in einer nicht unerheblichen Zahl von
Fällen in Kauf genommenen Gefährdung der wirtschaftlichen Existenz hält der Senat nicht
im Einklang mit der Verfassung. Dies auch dann nicht, wenn der Gesetzgeber mit dieser
Regelung dafür sorgen will, das Aufkommen an veranlagter Einkommensteuer zu erhöhen.
Die Erhöhung der Einkommensteuer kann nicht als rechtfertigender Grund für jedwede
gesetzliche Regelung dienen. Eine Besteuerung, die in einer nicht unerheblichen Zahl
unter Umständen zu einer wirtschaftlichen Existenzvernichtung führen kann, verstößt
gegen Artikel 14 GG.
Wenn das FA im hier vorliegenden Fall die Verluste entgegen der Regelung in § 2 Abs. 3
EStG 1999 in dem im Einkommensteueränderungsbescheid 1999 vom 05.03.2002 zu
Grunde gelegten Umfang von 935.289 DM bei den Einkünften aus VuV berücksichtigt hätte
und nicht - wie geschehen - in Höhe von nur 540.406 DM würden allein wegen des
Unterschiedsbetrags in Höhe von 393.883 DM das zu versteuernde Einkommen des Ast.
nicht mehr 322.099 DM betragen, sondern es würde einen negativen Betrag haben. Dies
hätte zur Folge, dass die Einkommensteuer 1999 0 DM und nicht 149.303 DM betragen
würde.
Die Einkommensteuer 2000 würde dementsprechend ebenfalls 0 DM und nicht 93.187 DM
betragen.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 136 Abs. 1 FGO.
Der Senat hat gegen diese Entscheidung die Beschwerde zugelassen, da er der
Rechtssache grundsätzliche Bedeutung beimisst (§§ 128 Abs. 3, 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO).