Urteil des FG Münster vom 04.03.2010

FG Münster (50 jahre, herstellungskosten, echte rückwirkung, rückwirkung, zeitpunkt, unechte rückwirkung, höhe, norm, teil, umsatzsteuer)

Finanzgericht Münster, 5 K 3484/08 U
Datum:
04.03.2010
Gericht:
Finanzgericht Münster
Spruchkörper:
5. Senat
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
5 K 3484/08 U
Sachgebiet:
Finanz- und Abgabenrecht
Tenor:
Die Klage wird abgewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens.
Tatbestand
1
Die Beteiligten streiten über die Höhe der Bemessungsgrundlage für die Privatnutzung
eines dem Unternehmen zugeordneten Gebäudes.
2
Die Klägerin (Klin.) ist Eigentümerin des Grundstücks M-weg ... in C, das mit einem im
Jahr 2001 fertig gestellten Einfamilienhaus bebaut ist. Einige Räume des Hauses
vermietete sie mit Mietvertrag vom 30. Juli 2001 an ihren Ehemann, der dort seitdem
eine Steuerberaterpraxis betreibt. Im Übrigen wird das Gebäude von den Eheleuten zu
Wohnzwecken genutzt. Die vermieteten Räume machen 27,96% der Gesamtfläche des
Einfamilienhauses aus.
3
Die Klin. ordnete das Grundstück in vollem Umfang ihrem Unternehmensvermögen zu
und nahm den gesamten Vorsteuerabzug aus den Herstellungskosten des Gebäudes
(284.080,55 € x 16% = 45.452,89 €) in Anspruch.
4
In ihrer am 27. Juli 2006 beim Beklagten (Bekl.) eingegangenen Umsatzsteuererklärung
für das Streitjahr 2004 gab die Klin. sonstige Leistungen nach § 3 Abs. 9a des
Umsatzsteuergesetzes (UStG) in Höhe von 4.099,- € an. Diesen Betrag errechnete sie
mit 2% der auf den privat genutzten Teil des Gebäudes (72,04% von 284.080,55 € =
204.651,63 €) entfallenden mit Vorsteuerabzug belasteten Herstellungskosten. Die
Umsatzsteuererklärung ergab eine festzusetzende Steuer in Höhe von 964,38 €.
5
Mit Änderungsbescheid vom 15. August 2006 erhöhte der Bekl. die
Umsatzsteuerfestsetzung auf 3.736,06 €. Dabei berücksichtigte er eine auf die
Gebäudenutzung entfallende unentgeltliche Wertabgabe in Höhe von 204.651,63 € x
10% = 20.465,16 € sowie weitere auf Nebenkosten (Wasser, Strom und Heizung)
entfallende Beträge.
6
Am 15. September 2006 legte die Klin. Einspruch ein, mit dem sie eine Berechnung der
unentgeltlichen Wertabgabe mit 2% begehrte und sich gegen die Höhe des Ansatzes
der auf die Nebenkosten entfallenden unentgeltlichen Wertabgabe wendete. Nachdem
der Bekl. die Umsatzsteuerfestsetzung mit Bescheid vom 23. Oktober 2006 auf 3.714,07
€ herabgesetzt hatte, war die Höhe des Ansatzes der Nebenkosten nicht mehr streitig.
Mit Änderungsbescheid vom 11. Oktober 2007 setzte der Bekl. die Umsatzsteuer auf
2.404,31 € fest. Die unentgeltliche Wertabgabe wurde in diesem Bescheid mit 12.279,- €
berücksichtigt. Dabei half der Bekl. dem Begehren der Klin. insoweit ab, als er die auf
die Monate Januar bis Juni 2004 entfallende unentgeltliche Wertabgabe mit 2% der
anteiligen Herstellungskosten berechnete. Für die übrigen Zeiträume blieb es bei der
bisherigen Berechnung.
7
Mit Einspruchsentscheidung vom 11. August 2008 wies der Bekl. den Einspruch als
unbegründet zurück. Die Berechnung der unentgeltlichen Wertabgabe sei nach der
Änderung des § 10 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 UStG durch das Gesetz zur Umsetzung von EU-
Richtlinien in nationales Steuerrecht und zur Änderung weiterer Vorschriften
(EURLUmsG) vom 9. Dezember 2004 mit Wirkung ab dem 1. Juli 2004 mit 10% der mit
Vorsteuerabzug belasteten Anschaffungs- oder Herstellungskosten vorzunehmen. Im
Gegensatz zu den früheren Zeiträumen gebe es ab diesem Zeitpunkt keine rechtliche
Grundlage für den Ansatz der ertragsteuerlichen Abschreibung in Höhe von 2%.
8
Die Klin. hat am 12. September 2008 Klage erhoben. Sie ist der Ansicht, die
Gesetzesänderung stelle in Bezug auf den Zeitraum vom 1. Juli bis zum 14. Dezember
2004 eine unzulässige Rückwirkung dar, da der Tatbestand der Privatnutzung insoweit
vor der Veröffentlichung der Gesetzesänderung am 15. Dezember 2004 verwirklicht
worden sei.
9
Die Klin. beantragt (Bl. 20, 52 GA),
10
den Umsatzsteueränderungsbescheid 2004 vom 15. August 2006, geändert durch
Bescheide vom 23. Oktober 2006 und vom 11. Oktober 2007, in Gestalt der
Einspruchsentscheidung vom 11. August 2008, dahingehend zu ändern, dass die
Umsatzsteuer hinsichtlich der unentgeltlichen Wertabgabe dergestalt berechnet
wird, dass für die Zeit vom 1.1.2004 bis 14.12.2004 2% und für die Zeit ab
15.12.2004 10% der vorsteuerbelasteten Herstellungskosten berücksichtigt
werden.
11
Der Bekl. beantragt (Bl. 27 GA),
12
die Klage abzuweisen.
13
Er verweist zur Begründung auf die Einspruchsentscheidung. Die Gesetzesänderung
beinhalte keine unzulässige Rückwirkung, da bereits seit dem 13. April 2004 kein
Vertrauensschutz mehr bestanden habe. Das Bundesministerium der Finanzen (BMF)
habe bereits in seinem Schreiben vom 13. April 2004 die Meinung vertreten, dass der
Begriff der "Kosten" in § 10 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 UStG in der bis zum 30. Juni 2004
gültigen Fassung (UStG a. F.) dahingehend auszulegen sei, dass Anschaffungs- und
Herstellungskosten nicht auf den ertragsteuerlichen Abschreibungszeitraum, sondern
auf den nach § 15a UStG maßgeblichen Berichtigungszeitraum zu verteilen seien.
14
In der Sache hat am 12. November 2009 ein Erörterungstermin vor dem Berichterstatter
15
stattgefunden. Auf das Sitzungsprotokoll wird Bezug genommen. Der Bekl. hat im
Erörterungstermin und die Klin. hat mit Schriftsatz vom 15. Januar 2010 auf die
Durchführung einer mündlichen Verhandlung verzichtet.
Entscheidungsgründe
16
Die zulässige Klage ist unbegründet.
17
Der geänderte Umsatzsteuerbescheid in Gestalt der Einspruchsentscheidung ist nicht
rechtswidrig und verletzt die Klin. nicht in ihren Rechten (§ 100 Abs. 1 Satz 1 der
Finanzgerichtsordnung, FGO). Der Bekl. hat die private Nutzung des Einfamilienhauses
für das Streitjahr 2004 zutreffend als steuerpflichtigen Umsatz in Höhe von 12.279,- €
erfasst.
18
Soweit ein Teil des vollständig dem Unternehmen der Klin. zugeordneten
Einfamilienhauses (72,04%) zu Wohnzwecken genutzt wird, liegt eine Verwendung
eines Gegenstandes vor, die gemäß § 3 Abs. 9a Nr. 1 UStG einer sonstigen Leistung
gegen Entgelt gleichgestellt ist.
19
Der Bekl. ist zutreffend für die Bemessung der unentgeltlichen Wertabgabe für den
Zeitraum vom 1. Januar bis zum 30. Juni 2004 von 2% der auf den privat genutzten Teil
entfallenden vorsteuerbelasteten Herstellungskosten des Gebäudes und für den
Zeitraum vom 1. Juli bis zum 31. Dezember 2004 von 10% dieser Herstellungskosten
ausgegangen.
20
Gemäß § 10 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 UStG a. F. ist eine sonstige Leistung nach § 3 Abs. 9a
Nr. 1 UStG nach den bei der Ausführung dieser Umsätze entstandenen Kosten, soweit
sie zum vollen oder teilweisen Vorsteuerabzug berechtigt haben, zu bemessen. Soweit
Kosten im Sinne dieser Vorschrift Herstellungskosten eines Gebäudes darstellen, sind
diese für bis zum 30. Juni 2004 ausgeführte Umsätze nach § 7 Abs. 4 des
Einkommensteuergesetzes (EStG) auf 50 Jahre zu verteilen (BFH-Urteil vom 19. April
2007 V R 56/04, BStBl II 2007, 676). Insoweit ist die vom Bekl. vorgenommene
Berechnung zwischen den Beteiligten unstreitig.
21
Für nach dem 30. Juni 2004 ausgeführte Umsätze sind die Herstellungskosten nicht auf
50, sondern auf 10 Jahre zu verteilen. Dies ergibt sich aus § 10 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2
Satz 3 UStG in der durch Art. 5 Nr. 7 a) EURLUmsG vom 9. Dezember 2004 (BGBl I
2004, 3310, 3319) geänderten Fassung, nach der Anschaffungs- und
Herstellungskosten ab 500,- € gleichmäßig auf den maßgeblichen
Berichtigungszeitraum nach § 15a UStG zu verteilen sind. Dieser Berichtigungszeitraum
beträgt für Grundstücke einschließlich ihrer wesentlichen Bestandteile (z. B. Gebäude, §
94 des Bürgerlichen Gesetzbuches) 10 Jahre (§ 15a Abs. 1 Satz 2 UStG). Die
Neuregelung ist nach Art. 22 Abs. 3 EURLUmsG (BGBl. I 2004, 3310, 3330) mit Wirkung
vom 1. Juli 2004 in Kraft getreten.
22
Die gesetzliche Anordnung der Neuregelung des § 10 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 UStG verstößt
nicht gegen Verfassungsrecht. Insbesondere liegt kein Verstoß gegen das aus dem
Rechtsstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 3 des Grundgesetzes) folgende Rückwirkungsverbot
vor.
23
Nach der Rechtsprechung des BVerfG (vgl. Beschlüsse vom 22. März 1983 2 BvR
24
475/78, BVerfGE 63, 343, 353, und vom 14. Mai 1986 2 BvL 2/83, BB 1986, 1421)
entfaltet eine Rechtsnorm Rückwirkung, wenn der Beginn ihres zeitlichen
Anwendungsbereichs normativ auf einen Zeitpunkt festgelegt ist, der vor dem Zeitpunkt
liegt, zu dem die Norm rechtlich existent, d. h. gültig geworden ist. Dabei betrifft der
zeitliche Anwendungsbereich einer Norm, wie er vom BVerfG verstanden wird, allein die
zeitliche Zuordnung der normativ angeordneten Rechtsfolgen im Hinblick auf den
Zeitpunkt der Verkündung der Norm. Gefragt wird danach, ob diese Rechtsfolgen für
einen bestimmten, vor dem Zeitpunkt der Verkündung der Norm liegenden Zeitraum
eintreten sollen (Rückbewirkung von Rechtsfolgen) oder ob dies für einen nach oder mit
der Verkündung beginnenden Zeitraum geschehen soll. Während die Rechtsfolgen bei
der veranlagten Einkommensteuer in der Regel erst mit Ablauf des
Veranlagungszeitraums eintreten (BVerfG-Beschluss vom 14. Mai 1986 2 BvL 2/83, BB
1986, 1421; BFH-Urteil vom 22. Juli 1986 VIII R 93/85, BStBl II 1986, 845), ist für die
Umsatzsteuer der Ablauf des Voranmeldungszeitraums maßgeblich (Drüen in
Tipke/Kruse, § 4 AO Rn. 16a). Für Leistungen nach § 3 Abs. 9a entsteht die Steuer mit
Ablauf des Voranmeldungszeitraums, in dem diese Leistungen ausgeführt werden (§ 13
Abs. 1 Nr. 2 UStG).
Grundsätzlich entfällt das schutzwürdige Vertrauen des Steuerpflichtigen in den
Bestand der bisherigen Rechtslage im Zeitpunkt des Gesetzesbeschlusses des
Bundestages über die Neuregelung. Mit dem Tag des Gesetzesbeschlusses müssen
die Betroffenen mit der Verkündung und dem Inkrafttreten der Neuregelung rechnen. Es
ist ihnen von diesem Zeitpunkt an zuzumuten, ihr Verhalten auf die beschlossene
Gesetzeslage hin einzurichten. Der Gesetzgeber ist deshalb berechtigt, den zeitlichen
Anwendungsbereich einer Regelung auch auf einen Zeitpunkt von dem
Gesetzesbeschluss bis zur Verkündung zu erstrecken (ständige Rechtsprechung, z. B.
BVerfG-Beschlüsse vom 3. Dezember 1997 2 BvR 882/97, BVerfGE 97, 67, 79 m. w. N.
und vom 3. Juli 2001 1 BvR 382/01, HFR 2001, 905).
25
Die Rückbewirkung von Rechtsfolgen ("echte Rückwirkung") auf Zeiträume vor dem
Gesetzesbeschluss ist nur unter engen Voraussetzungen, etwa aus zwingenden
Gründen des Gemeinwohls oder wegen eines nicht - oder nicht mehr - vorhandenen
schutzbedürftigen Vertrauens des Einzelnen zulässig (vgl. BVerfG-Beschlüsse vom 14.
Mai 1986 2 BvL 2/83, BVerfGE 72, 200, 258 und vom 3. Dezember 1997 2 BvR 882/97,
BVerfGE 97, 67, 80). Ein schutzwürdiges Vertrauen in den Fortbestand einer günstigen
Rechtslage besteht nicht, wenn damit zu rechnen ist, dass der Gesetzgeber eine
Neuregelung schaffen wird, um eine aufgrund geänderter Rechtsprechung entstandene
Regelungslücke zu schließen (BVerfG-Beschluss vom 23. Juni 1993 1 BvR 133/89,
BVerfGE 89, 48). Eine Änderung mit Rückwirkung ist auch dann zulässig, wenn das
geltende Recht, das durch die Norm mit Rückwirkung verändert wurde, unklar und
verworren war. Dies ist dann der Fall, wenn die geänderte Norm von vornherein Anlass
zu zahlreichen Auslegungsproblemen gegeben hat, deren Lösung nicht allein aus dem
Wortlaut, sondern nur in einer Zusammenschau von Wortlaut, Entstehungsgeschichte,
System und gesetzgeberischer Zielsetzung möglich war (BVerfG-Beschluss vom 17.
Januar 1979 1 BvR 446/77, 1 BvR 1174/77, BVerfGE 50, 177).
26
Knüpft indessen eine Regelung mit Wirkung für die Zukunft die Rechtsfolgen an einen in
der Vergangenheit liegenden Sachverhalt an, so handelt es sich bei dieser sachlichen
Erstreckung um eine tatbestandliche Rückanknüpfung ("unechte Rückwirkung"), die
weniger strengen Beschränkungen unterliegt (vgl. BVerfG-Beschlüsse vom 15. Mai
1995 2 BvL 19/91, 2 BvR 1206/91, 2 BvR 1584/91, 2 BvR 2601/93, BVerfGE 92, 277,
27
344 und vom 3. Juli 2001 1 BvR 382/01, HFR 2001, 905). Insoweit sind belastende
Änderungen zulässig, wenn die Interessen der Allgemeinheit, die mit der Regelung
verfolgt werden, das Vertrauen des Einzelnen auf die Fortgeltung der bestehenden
Rechtslage überwiegen (vgl. BVerfG-Beschlüsse vom 8. März 1983 2 BvL 27/81,
BVerfGE 63, 312, 329 f. und vom 25. Mai 1993 1 BvR 1509/91, 1648/91, BVerfGE 88,
384).
Im Hinblick auf die Neuregelung des § 10 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 UStG durch das
EURLUmsG vom 9. Dezember 2004 liegt zwar nach den o. g. Grundsätzen eine echte
Rückwirkung insoweit vor, als Voranmeldungszeiträume, in denen eine Privatnutzung
im Sinne von § 3 Abs. 9a UStG erfolgt ist, bereits vor dem Bundestagesbeschluss am
28. Oktober 2004 abgelaufen waren. Es bestehen jedoch selbst insoweit keine
verfassungsrechtlichen Bedenken gegen die Anwendung der Neuregelung ab dem 1.
Juli 2004, wenn die engeren Voraussetzungen der echten Rückwirkung der Prüfung zu
Grunde gelegt werden.
28
Die Rückwirkung für einen Zeitraum von drei Monaten ist zulässig, da mit einer
gesetzlichen Neuregelung zu rechnen war und die bisherige Rechtslage unklar und
verworren war. Der Senat teilt die insoweit gegen die Zulässigkeit dieser Rückwirkung
vereinzelt vorgebrachten Bedenken nicht (Radeisen in Birkenfeld, Das große
Umsatzsteuer-Handbuch, § 125 Rn. 182; Meyer, Anmerkung zu FG Köln, Urteil vom 25.
Oktober 2006 7 K 4695/04, EFG 2007, 228; offen gelassen von Nds. FG, Urteile vom 13.
August 2009 16 K 462/07, EFG 2010, 284 und 16 K 463/07, EFG 2009, 2058).
29
Die Neuregelung war eine Reaktion des Gesetzgebers auf das EuGH-Urteil vom 8. Mai
2003 (C-269/00 – Seeling – Slg. 2003 I-4101) und der folgenden Entscheidung des BFH
(Urteil vom 24. Juli 2003 V R 39/99, BStBl II 2004, 371). Nach dieser Rechtsprechung
fällt die teilweise Nutzung eines vollständig dem Unternehmensvermögen zugeordneten
Gebäudes zu Wohnzwecken – entgegen der bisherigen nationalen Rechtsprechung (z.
B. BFH-Urteil vom 15. September 1994 XI R 82/92, BFH/NV 1995, 645 m. w. N.) - nicht
unter die Steuerbefreiung nach § 4 Nr. 12a UStG. Dies hat zur Folge, dass auch die auf
den privat genutzten Teil entfallenden Vorsteuern auf die Herstellungskosten zunächst
abzugsfähig sind. Eine Kompensation erfolgt erst in der Zukunft über den Tatbestand
des § 3 Abs. 9a UStG. Bemessungsgrundlage für diese sonstige Leistung waren nach §
10 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 UStG a. F. die "Kosten". Über die Verteilung von
Herstellungskosten auf mehrere Jahre enthielt das UStG a. F. keine Regelung.
Rechtsprechung, Literatur und Finanzverwaltung vertraten zur Altregelung jedoch
ursprünglich mehrheitlich die Auffassung, dass Herstellungskosten eines Gebäudes
entsprechend § 7 Abs. 4 EStG auf 50 Jahre zu verteilen seien (vgl. Nachweise in BFH-
Urteil vom 19. April 2007 V R 56/04, BStBl II 2007, 676). Bei dieser Auslegung war die
Rechtsprechung sich indessen bewusst, dass diese im Ergebnis der gesetzlichen
Zielsetzung (Neutralität der Umsatzsteuer) nicht entsprach.
30
Mit BMF-Schreiben vom 13. April 2004 (BStBl I 2004, 468) änderte die
Finanzverwaltung ihre bisherige Auffassung und vertrat nunmehr die Ansicht, dass
Herstellungskosten eines Gebäudes entsprechend des Berichtigungszeitraums nach §
15a UStG auf zehn Jahre zu verteilen seien. Ab diesem Zeitpunkt konnte die bisherige
Auslegung des Begriffs der "Kosten" in § 10 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 UStG a. F. nicht mehr
als herrschend bezeichnet werden. Da das Gesetz keine Regelung darüber enthielt, auf
welchen Zeitraum Herstellungskosten zu verteilen sind, konnten hierzu verschiedene
Auffassungen vertreten werden. Erst durch BFH-Urteil vom 19. April 2007 (V R 56/04,
31
BStBl II 2007, 676) wurde endgültige Klarheit über die Auslegung des § 10 Abs. 4 Satz
1 Nr. 2 UStG a. F. geschaffen.
Unter Berücksichtigung der Entstehungsgeschichte der Neuregelung war zum
maßgeblichen Zeitpunkt (1. Juli 2004) einerseits mit einer Neuregelung zu rechnen, da
absehbar war, dass der Gesetzgeber auf die "Seeling-Rechtsprechung" reagieren
würde, um eine Kompensation der auf den privat genutzten Teil der Herstellungskosten
eines Gebäudes entfallenden Vorsteuern innerhalb eines kürzeren Zeitraums als 50
Jahre vornehmen zu können. Andererseits war auch die Rechtslage seit dem Ergehen
des BMF-Schreibens vom 13. April 2004 unklar, da keine Einigkeit mehr über die
Auslegung des Kostenbegriffs bestand.
32
Die ab 1.7.2004 geltende Neuregelung ist auch europarechtskonform (EuGH-Urteil vom
14. September 2006 C-72/05 – Wollny – Slg. 2006 I-8297).
33
Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 Abs. 1 FGO.
34
Die Revision ist nicht zuzulassen, da kein Zulassungsgrund nach § 115 Abs. 2 FGO
vorliegt. Der Senat hat die vom BVerfG entwickelten Grundsätze zur Zulässigkeit der
Rückwirkung auf das EURLUmsG angewendet.
35