Urteil des FG Münster vom 03.04.2003

FG Münster (Vaterschaft, Prozesskosten, Anerkennung, Agb, Zivilprozess, Zukunft, Privatsphäre, Entziehen, Gestaltung, Belastung)

Datum:
Gericht:
Spruchkörper:
Entscheidungsart:
Tenor:
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Aktenzeichen:
Finanzgericht Münster, 3 K 1240/01 E
03.04.2003
Finanzgericht Münster
3. Senat
Urteil
3 K 1240/01 E
Die Klage wird abgewiesen.
Die Kosten des Rechtsstreits trägt der Kläger.
Die Revision wird zugelassen.
G r ü n d e:
Die Parteien streiten, ob die Kosten eines Vaterschaftsprozesses gem. § 33
Einkommensteuergesetz (EStG) als außergewöhnliche Belastungen zu berücksichtigen
sind.
Durch Urteil des AG E*********vom 22.09.1994 wurde festgestellt, dass der Kl. Vater seiner
am 31.01.1993 geborenen Tochter ist. Aus den Urteilsgründen ergibt sich, dass der Kl. im
Vaterschaftsprozess behauptet hatte, seine Beziehung zur Kindesmutter habe nur von
Dezember 1991 bis Februar 1992 gedauert, und es sei deshalb in der gesetzlichen
Empfängniszeit vom 04.04.1992 bis zum 03.07.1992 zu keinerlei persönlichem Kontakt mit
der Kindesmutter gekommen. Die Vaterschaft wurde auf Grund eines
Sachverständigengutachtens festgestellt, wonach für den Kl. eine biostatistische
Vaterschaftswahrscheinlichkeit von 99,966 % bestand (vgl. Urteilskopie in den
Steuerakten).
Die Prozeßkosten beliefen sich auf 5.295,20 DM, wobei 4.683,20 DM auf die
Sachverständigenentschädigung entfielen. Auf diese Prozesskosten zahlte der Kl. im
Streitjahr 1999 4.950,95 DM und machte die Aufwendungen in seiner ESt-Erklärung als
außergewöhnliche Belastungen geltend.
Durch Bescheid vom 14.09.2000 setzte der Beklagte (Bekl.) die ESt für das Streitjahr 1999
fest, ohne die Prozesskosten Steuer mindernd zu berücksichtigen.
Hiergegen wandte sich der Kl. mit seinem Einspruch vom 10.10.2000. Er verwies auf die
Urteile des FG Köln vom 17.12.1985 (5 K 445/83) und des Hessischen FG vom 21.01.1986
(1 K 560/83, EFG 1986, 401). Er führte dazu aus, er habe den Vaterschaftsprozess nicht
leichtfertig geführt, weil er begründete Zweifel an seiner Vaterschaft gehabt habe.
Tatsächlich habe lediglich ein einmaliger Kontakt zu der Kindesmutter stattgefunden. Es
sei daher unzumutbar gewesen, die Vaterschaft anzuerkennen.
Der Bekl. wies den Einspruch durch Einspruchsentscheidung vom 05.02.2001 als
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unbegründet zurück. Er bezog sich auf das Urteil des BFH vom 09.05.1996 (III R 224/94,
BStBl II 1996, 596). Eine ausnahmsweise Anerkennung der Prozesskosten als
außergewöhnliche Belastungen komme nicht in Betracht, da der Kl. nicht dargelegt habe,
ohne den Rechtsstreit seine Existenzgrundlage zu verlieren bzw. seine lebensnotwendigen
Bedürfnisse im Üblichen nicht mehr befriedigen zu können.
Mit seiner am 02.03.2001 erhobenen Klage verfolgt der Kl. sein Begehren weiter.
Er meint, die Zwangsläufigkeit der ihm entstandenen Aufwendungen könne nicht deshalb
abgelehnt werden, da er seine Vaterschaft auch habe anerkennen können. Insoweit werde
den Besonderheiten des Vaterschaftsfeststellungsprozesses nicht ausreichend Rechnung
getragen. Es handele sich insoweit um einen Statusprozess mit weit reichenden
familienrechtlichen, erbrechtlichen und finanziellen Konsequenzen. Dem Prozessrisiko
könne der in Anspruch genommene potentielle Vater nicht ausweichen. Im Übrigen sei ein
Anerkenntnis der Vaterschaft bei begründeten Zweifeln nicht zumutbar. Begründete Zweifel
an seiner Vaterschaft habe der Kl. hier deshalb gehabt, da er die Mutter des Kindes kaum
gekannt habe. Es sei lediglich zu einem Kontakt gekommen. Er habe daher annehmen
müssen, dass die Mutter einen "freizügigen" Lebenswandel geführt habe. Diese Zweifel
habe auch das AG E*********geteilt, das seine Vaterschaft durch einen Gutachten habe
klären lassen.
Der Kl. beantragt,
Prozesskosten i.H.v. 4.950,95 DM als außergewöhnliche Belastungen zu berücksichtigen
und die Einkommensteuer 1999 entsprechend herabzusetzen.
Der Bekl. beantragt,
die Klage abzuweisen.
Zur Begründung bezieht er sich auf seine EE. Er meint, der Kl. habe auch ohne einen
entsprechenden Prozess seine Vaterschaft gutachterlich klären lassen können.
Die Parteien haben auf mündliche Verhandlung verzichtet.
Die zulässige Klage ist nicht begründet.
Nach § 33 Abs. 3 EStG wird auf Antrag die Einkommensteuer ermäßigt, wenn einem
Steuerpflichtigen zwangsläufig größere Aufwendungen als der überwiegenden Mehrzahl
der Steuerpflichten gleicher Einkommens- und Vermögensverhältnisse sowie gleichen
Familienstandes erwachsen (außergewöhnliche Belastung).
Bei den Kosten eines Zivilprozesses spricht nach der ständigen Rechtsprechung des BFH
eine Vermutung gegen die Zwangsläufigkeit (vgl. BFH -Urteile vom 09.05.1996 a. a. O. und
vom 04.12.2001 III R 31/00, BStBl. II 2002, 382 m. w. N.).
Zwangsläufigkeit i. S. d. § 33 Abs. 2 EStG ist nur gegeben, wenn auf die Entschließung des
Steuerpflichtigen in der Weise Gründe von außen einwirken, dass er ihnen nicht
ausweichen kann. Kosten sind nur dann zwangsläufig, wenn auch das die
Zahlungsverpflichtung adäquat verursachende Ereignis für den Steuerpflichtigen
zwangsläufig ist. An diesen Voraussetzungen fehlt es im Allgemeinen bei einem
Zivilprozess, da der Steuerpflichtige bei ungewissen Erfolgsaussichten (nur bei einem
verlorenen Zivilprozess wird der Steuerpflichtige überhaupt mit Prozesskosten belastet)
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das Prozesskostenrisiko nach Abwägung des Für und Wider um der bei einem Obsiegen
erlangten Vorteile willen bewusst in Kauf nimmt. Die ihm daraus entstehenden Kosten
beruhen dann auf seiner freien Entscheidung und nicht auf unausweichlichen
Einwirkungen von außen.
Allerdings handelt es sich bei dem Grundsatz, dass Kosten eines Zivilprozesses keine
außergewöhnlichen Belastungen sind, nicht um eine starre Regel. Die Vielfalt der
prozessualen Gestaltungen erfordert vielmehr eine Berücksichtigung des jeweiligen
Streitgegenstandes und der Ursachen des Streits (vlg. BFH - Urteile, a.a.O.). So hat der
BFH die Kosten einer Ehescheidung und bestimmter Scheidungsfolgesachen anerkannt,
da sich die Ehepartner dem Scheidungsbegehren aus tatsächlichen Gründen nicht
entziehen könnten, wenn die Ehe zerrüttet sei und zu Lebzeiten nur durch eine gerichtliche
Entscheidung gelöst werden könne. Ausnahmsweise könne das Prozesskostenrisiko für
den Steuerpflichtigen auch dann zwangsläufig entstehen, wenn ein für ihn existentiell
wichtiger Bereich berührt sei und er ohne Durchführung des Rechtsstreits Gefahr laufe,
seine Existenzgrundlage zu verlieren und seine lebensnotwendigen Bedürfnisse in dem
üblichen Rahmen nicht mehr befriedigen zu können.
Auch hat der BFH nicht ausnahmslos die Zwangsläufigkeit der außergewöhnliche
Aufwendungen auslösenden Ereignisse geprüft und bei deren Vermeidbarkeit einen
Abzugsbetrag versagt. Vielmehr hat er die für die Entstehung außergewöhnlicher
Aufwendungen verantwortlichen Ursachen unter Berücksichtigung von Sinn und Zweck
des § 33 EStG nach steuer- und verfassungsrechtlichen Maßstäben gewertet (vgl. BFH -
Urteil vom 09.05.1996, a.a.O.). Deshalb sind zum Schutz der Privatsphäre des
Steuerpflichtigen die Ursachen von Krankheitskosten nicht näher zu prüfen (vgl. Urteil des
FG Berlin vom 15.01.2001 9 K 9469/00, EFG 2001, 500 m.w.Nw.). Auch soweit an der
Entstehung der Aufwendungen die besonderen Verhältnisse im Straßenverkehr mitwirken,
stehe die Ursächlichkeit eigenen gegebenenfalls vermeidbaren Verhaltens des
Steuerpflichtigen der Anerkennung außergewöhnlicher Belastungen nicht entgegen, da der
Steuerpflichtige zur Verwirklichung seines Grundrechts der Freizügigkeit im Allgemeinen
gezwungen sei, am Straßenverkehr teilzunehmen und sich dessen besonderen Risiken
auszusetzen (vgl. BFH - Urteil vom 09.05.1996, a.a.O.).
Auf der Basis dieser Rechtsprechung wird die Frage der Anerkennung von Kosten für ein
Vaterschaftsfeststellungsverfahren in der finanzgerichtlichen Rechtsprechung
unterschiedlich beurteilt. So hat das FG Berlin in seinem Urteil vom 15.01.2001 (a.a.O.)
derartige Aufwendungen als agB anerkannt. Es sei zu berücksichtigen, dass die
Feststellung der Vaterschaft Gestaltungswirkung habe, da ein lebenslanges
Verwandtschaftsverhältnis begründet bzw. aufgehoben werde. Zudem handele es sich um
einen zivilrechtlichen Sonderfall, bei dem zum Schutz der Privatsphäre die
Zwangsläufigkeit des auslösenden Ereignisses nicht geprüft werden könne. Unter
Berücksichtigung dieser Gesichtspunkte könne die Anerkennung von Aufwendungen für
einen Vaterschaftsprozess, der nicht leichtfertig geführt werde, nicht versagt werden. Dem
gegenüber hat das FG München in seinem Urteil vom 24.10.2000 (6 K 1641/99, EFG 2001,
141) die Anerkennung von Aufwendungen für einen Vaterschaftsprozess als agB
abgelehnt. Die Prozesskosten seien Folge eines vorhergehenden Verhaltens des Kl. und
beruhten nicht auf unabwendbaren Ereignissen, die - wie etwa ein nicht verschuldeter
Unfall - von außen in der Weise auf den Kl. eingewirkt hätten, dass der Prozess und das
ihn auslösende Ereignis unvermeidbar gewesen wären. So habe auch die Möglichkeit
bestanden, die Vaterschaft anzuerkennen.
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Unter Einbeziehung der geschilderten Rechtsprechungsgrundsätze sieht der erkennende
Senat im vorliegenden Fall die Kosten für das Vaterschaftsfeststellungsverfahren nicht als
zwangsläufig entstandene Aufwendungen an.
Er geht in Übereinstimmung mit der ständigen BFH Rechtsprechung davon aus, dass
Kosten für einen Zivilprozess nur in eng begrenzten Ausnahmefällen als agB
anzuerkennen sind. Ein derartiger Ausnahmefall ist hier nicht gegeben. Die entrichteten
Prozesskosten sind die Folge eines vorhergehenden Verhaltens des Kl., was das Ergebnis
der sereologischen Untersuchung und der Ausgang des Vaterschaftsprozesses beweisen.
Die Kosten beruhen nicht auf einem unabwendbaren Ereignis, das von außen in der Weise
auf den Kl. eingewirkt hätte, dass der Prozess und das ihn auslösende Ereignis für ihn
unvermeidbar gewesen wären. Der Senat verkennt insoweit nicht, dass es sich bei einem
Vaterschaftsfeststellungsverfahren um einen besonders ausgestalteten familienrechtlichen
Prozess mit Gestaltungswirkung für die Zukunft handelt, der auch zu erheblichen
finanziellen Auswirkungen führen kann. In die Zukunft wirkende Bindungen sowie
finanzielle Belastungen für die unterliegende Partei sind jedoch gerade typisch für alle
Zivilrechtsprozesse.
Einen Sachverhalt, der dem der Entscheidung des BFH vom 04.12.2001 a.a.O.
zugrundeliegenden vergleichbar wäre, hält der Senat nicht für gegeben. Zwar betrifft die
Frage der Vaterschaftsfeststellung ebenso einen Kernbereich menschlichen Lebens wie
die Frage des Umgangsrechts des nichtehelichen Vaters mit seinen Kindern. Jedoch war in
dem vom BFH entschiedenen Fall der Vater zwingend auf den Prozessweg verwiesen, da
ihm seitens der Kindesmutter der Umgang verweigert wurde.
Im hier vorliegenden Fall bestand aber auch die Möglichkeit der Anerkennung der
Vaterschaft. Der Senat hält es im vorliegenden Fall auch nicht für unzumutbar, den
Prozesskosten durch einen Anerkenntis der Vaterschaft - gegebenenfalls nach Einholung
eines entsprechenden serologischen Gutachtens - auszuweichen. Zwar hat der Kl.
vorgetragen, dass " begründete Zweifel" an seiner Vaterschaft bestanden hätten. Er hat
dazu jedoch lediglich vorgetragen, dass er annehmen musste, die Mutter des Kindes habe
einen "freizügigen Lebenswandel" geführt. Insoweit unterscheidet sich der vorliegende
Sachverhalt auch maßgeblich von dem durch das FG Berlin entschiedenen Fall, in dem
unstreitig ein anderer als Vater ernsthaft in Betracht kam (vgl. Urteil des FG Berlin vom
15.01.2001, a.a.O).
Der Senat sieht auch Unterschiede zu Verfahren, in denen der Steuerpflichtige auf Grund
einer Unachtsamkeit bei der Teilnahme am Straßenverkehr zu Schadensersatz verurteilt
wird. Denn in heutiger Zeit ist die Teilnahme am Straßenverkehr nicht nur zur Gestaltung
der Freizeit sondern auch für die Berufstätigkeit und damit für die Erwirtschaftung des
Lebensunterhalts in der Regel zwingend. Während er in der Gestaltung seiner
persönlichen Beziehungen fei ist, kann sich der Steuerpflichtige den Gefahren des
Straßenverkehrs tatsächlich nicht entziehen. Das rechtfertigt es, in den letztgenannten
Fällen nicht jede Unachtsamkeit einer Anerkennung der Prozesskosten als
außergewöhnlich Belastung ausschließen zu lassen.
Dass ohne die Führung des Vaterschaftsprozesses die Existenz des Kl. gefährdet gewesen
wäre, wurde nicht vorgetragen und ist auch nicht ersichtlich.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO.
Die Revision war gem. § 115 Abs. 2 Nr. 2 FGO zur Fortbildung des Rechts zuzulassen.