Urteil des FG Münster vom 23.01.2002

FG Münster (Herstellungskosten, Einkünfte, Gebäude, Anschaffungskosten, Datum, Werterhöhung, Erneuerung, Zustand, Kaufpreis, Form)

Datum:
Gericht:
Spruchkörper:
Entscheidungsart:
Tenor:
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Aktenzeichen:
Finanzgericht Münster, 8 K 6315/99 F
23.01.2002
Finanzgericht Münster
8. Senat
Urteil
8 K 6315/99 F
Unter Änderung der Bescheide zur gesonderten und einheitlichen Fest-
stellung der Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung vom 04.08.1998
in der Fassung der Einspruchsentscheidung vom 13.09.1999 werden die
Einkünfte in der Weise niedriger festgestellt, dass hinsichtlich des Ver-
mietungsobjektes Sstraße 20 die bisher für die Streitjahre 1995 - 1997 als
anschaffungsnahe Aufwendungen behandelten Kosten von insgesamt
netto 70.033,00 DM als Werbungskosten berücksichtigt werden, und zwar
- in Höhe von 23.910,00 DM für 1995,
- in Höhe von 26.604,00 DM für 1996 und
- in Höhe von 19.519,00 DM für 1997.
Die Berechnung der Einkünfte wird dem Beklagten übertragen.
Die Kosten des Verfahrens trägt der Beklagte.
Die Revision wird zugelassen.
T a t b e s t a n d :
Zu entscheiden ist, ob Bauaufwendungen als Herstellungskosten in Form der
anschaffungsnahen Herstellungskosten angefallen sind oder ob diese Aufwendungen
sofort abziehbare Erhaltungsaufwendungen sind.
Die Kläger, die untereinander eine Miteigentumsgemeinschaft bilden, erwarben unter
anderem am 01.10.1994 das um 1920 erbaute Einfamilienhaus in H, Sstraße 20 nebst 5
Garagen. Hierfür wurden insgesamt 618.185,60 DM aufgewendet - dieser Betrag enhält
auch die Anschaffungs-Nebenkosten. Von diesen Anschaffungskosten entfallen
223.656,15 DM auf den Grund und Boden, 25.000,00 DM auf die Garage und 369.525,45
DM auf das Gebäude. Das Gebäude hat eine Wohnfläche von etwa 300 qm, die auf drei
Etagen verteilt sind. Es war zum Zeitpunkt des Kaufes von den bisherigen Eigentümern
bewohnt worden, die es darüber hinaus noch ca. 11 Monate zu Wohnzwecken nutzten.
Genutzt wurde von ihnen das Erdgeschoss. Das Gebäude ist insgesamt vermietet. Der
Mieter nutzt das Gebäude für - kurzfristig angelegtes - betreutes Wohnen. Hinsichtlich der
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Vermietungsumsätze haben die Kläger zur Umsatzsteuer optiert.
In den Jahren 1995 bis 1997 wurden Baumaßnahmen durchgeführt, für die ein
Gesamtbetrag von brutto 89.387,00 DM angefallen ist (= netto 77.728,00 DM). Nach einer
gerichtlichen Erörterung ist unstreitig, dass es sich bei allen Maßnahmen um
Reparaturaufwendungen handelt. Das gilt auch für größere Rechnungsbeträge, mit denen
zum Beispiel Fenster ausgewechselt wurden sowie Sanitär-, Heizungs- und
Elektroarbeiten durchgeführt wurden. Ohne Berücksichtigung der Verwaltungsgrundsätze
zu anschaffungsnahem Herstellungsaufwand (Abschnitt 157 Einkommensteuerrichtlinien)
sind diese Maßnahmen daher nach Ansicht der Beteiligten auch rechtlich als
Erhaltungsaufwendungen zu qualifizieren.
Der Beklagte, der zunächst für 1995 und 1996 die Kosten, wie von den Klägern beantragt,
auch steuerlich in den Festsetzungen, die unter dem Vorhalt der Nachprüfung standen, als
Erhaltungsaufwendungen berücksichtigt hatte, hat nach Abgabe der Feststellungserklärung
für 1997 einen wesentlichen Teil dieser Kosten nur noch als anschaffungsnahen
Herstellungsaufwand berücksichtigt und die Einkünfte anderweitig festgestellt.
Dementsprechend ergingen für die Streitjahre 1995 und 1996 am 04.08.1998
Änderungsbescheide und für das Streitjahr 1997 mit gleichem Datum eine erstmalige
Feststellung. Die Einspruchsverfahren hatten im Wesentlichen keinen Erfolg. Der Beklagte
berücksichtigte lediglich 8.849,00 DM als Erhaltungsaufwand, während 70.033,00 DM netto
(= 80.538,00 DM brutto) als anschaffungsnaher Herstellungsaufwand nach Abschnitt 157
Abs. 2 Satz 5 Einkommensteuerrichtlinien berücksichtigt wurde. Dementsprechend wurden
die Einkünfte mit Einspruchsentscheidung vom 13.09.1999 anderweitig festgestellt.
Mit der daraufhin erhobenen Klage verfolgen die Kläger ihr Begehren weiter, auch die
bisher nicht als sofort abzugsfähige Kosten anerkannten Bauaufwendungen als
Erhaltungsaufwand zu berücksichtigen, wobei teilweise eine Verteilung größeren
Erhaltungsaufwandes auf das Folgejahr erstrebt wird (§ 82 b EStDV). Sie tragen im
Wesentlichen vor, es handele sich um laufende Renovierungskosten. Soweit größerer
Aufwand angefallen seien, habe es sich um die Beseitigung versteckter Mängel gehandelt.
Nach den Rechtsprechungsgrundsätzen und der Verwaltungsauffassung seien derartige
Aufwendungen auch nicht als anschaffungsnaher Herstellungsaufwand anzusehen, da der
Kaufpreis durch diese Mängel nicht beeinflusst worden sei. Mehrere Handwerker könnten
bestätigen, dass Mängel beseitigt worden seien, die vorher nicht erkennbar gewesen seien.
Darüber hinaus müsse auch berücksichtigt werden, dass nach neuerer Rechtsprechung
des Bundesfinanzhofes die Verwaltungsauffassung zu anschaffungsnahem
Herstellungsaufwand zumindest in Frage gestellt worden sei. Allein entscheidend sei nur
noch, ob die Baumaßnahmen zu einer wesentlichen Wertverbesserung geführt hätten.
Auch dieses könne hier nicht festgestellt werden. Im Übrigen sei auch fraglich, inwieweit
der von der Verwaltung angegebene Prozentsatz von 15 v. H. der Anschaffungskosten
aussagekräftig sei, da die Grenze früher bei 20 v. H. gelegen habe und der letztgenannte
Gesamtbetrag durch die im Streitfall zu beurteilenden Aufwendungen nicht überschritten
worden sei.
Die Klägerin beantragt sinngemäß,
unter Änderung der Feststellungsbescheide vom 04.08.1998 und der Ein
spruchsentscheidung vom 13.09.1999 die Einkünfte in der Weise niedriger festzustellen,
dass die in diesem Verfahren streitigen anschaffungsnahen
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Nettobeträgen in den Streitjahren als Werbungskosten berücksichtigt werden, und zwar in
Höhe von 23.910,00 DM für 1995, 26.604,00 DM für 1996 und 19.519,00 DM für 1997,
hilfsweise, die Revision zuzulassen.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen,
hilfsweise, die Revision zuzulassen.
Er meint, die Verwaltungsgrundsätze zum anschaffungsnahen Herstellungsaufwand seien
bisher auch vom BFH nicht aufgegeben worden. Da die im Streitfall maßgebende Grenze
der Nettoanschaffungskosten des Gebäudes für Renovierungsaufwendungen in den
folgenden drei Jahren nach der Anschaffung bei 15 v. H. liege, konkret also 55.428,00 DM
betrage, und die angefallenen Netto-Renovierungsaufwendungen mit 70.033,00 DM über
diesem Betrag lägen, müssten diese Kosten als anschaffungsnahe Herstellungskosten
berücksichtigt werden und könnten daher nur im Rahmen der Regelungen zu den
Abschreibungen für Abnutzungen (AfA) berücksichtigt werden. Die Art der Aufwendungen
sei nicht maßgebend, da die Höhe bereits für eine Wertverbesserung spreche. Eine
Berücksichtigung der Kosten als sofort abziehbare Werbungskosten scheide damit aus.
Wegen weiterer Einzelheiten wird auf die genannten Steuerbescheide, die
Einspruchsentscheidung vom 13.09.1999, die in dem Verwaltungsverfahren eingereichten
Rechnungsbelege und Steuererklärungen, die Schriftsätze der Beteiligten vom 07.10.,
25.11. und 17.12.1999 sowie die Schriftsätze vom 13.01. und 03.03.2000 Bezug
genommen. Ergänzend wird auch auf die Niederschrift über den Erörterungstermin vom
05.12.2001 verwiesen.
Das Gericht entscheidet mit Einverständnis der Beteiligten gemäß § 90 Abs. 2 FGO ohne
mündliche Verhandlung.
1.
E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e :
Die Klage ist begründet.
Die Kläger sind durch die von ihnen angegriffenen Feststellungen in ihren Rechten verletzt
(§ 100 Abs. 1 Satz 1 FGO), denn die vom Beklagten als Herstellungskosten behandelten
Aufwendungen sind im Rahmen der Einkünfte der Kläger aus Vermietung und Verpachtung
(§ 21 EStG) Erhaltungsaufwendungen. Sie sind damit nicht nur über die Regelungen der
Absetzungen für Abnutzungen (AfA) als Werbungskosten zu berücksichtigen (§ 9 Abs. 1 Nr.
7 EStG), sondern stellen in vollem Umfang sofort abzugsfähige Werbungskosten dar (§ 9
Abs. 1 Satz 1 EStG). Für das Streitjahr 1995 stand ihnen gemäß § 82 b EStDV das Recht
zu, den dort angefallenen größeren Erhaltungsaufwand teilweise auch im Folgejahr 1996
steuermindernd geltend zu machen.
Die Qualifizierung von Bauaufwendungen als Herstellungskosten richtet sich im
Steuerrecht nach § 255 Abs. 2 Handelsgesetzbuch (HGB) - BFH-Beschluss vom
4. Juli 1990 GrF 1/89, BFHE 160, 466, BStBl. II 1990, 830, BFH-Urteil vom 17. Juni 1997,
VIIII R 30/95, BFHE 183, 470, BStBl. II 1997, 802. Danach kann die frühere
Rechtsprechung des Bundesfinanzhofes (BFH) zum anschaffungsnahen
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Herstellungsaufwand nicht mehr uneingeschränkt herangezogen werden. Diese beruhte
auf der Vorstellung, dass die Kosten für die Instandsetzung eines reparatur- und
modernisierungsbedürftigen Gebäudes den Kaufpreis gemindert und die anschließende
Instandsetzung des Gebäudes um einen Wert erhöht haben, der in den
Anschaffungskosten des Erwerbers noch nicht enthalten ist (so u. a. BFH-Urteil vom 23.
September 1992, X R 10/92, BFHE 169, 331, BStBl. II 1993, 338). Demgegenüber sieht die
neuere, insbesondere durch den IX. Senat geprägte Rechtsprechung die
anschaffungsnahen Aufwendungen nicht mehr als einen Teil des Anschaffungsgeschäftes
in Form von Herstellungskosten, sondern als nachträgliche Herstellungskosten an. Das
ergibt sich aus der maßgeblichen Begriffsbestimmung des § 255 Abs. 2 HGB. Diese fordert
eine über den ursprünglichen Zustand hinausgehende wesentliche Verbesserung durch
die zu beurteilenden Instandhaltungsmaßnahmen, um Herstellungskosten annehmen zu
können (BFH-Urteile vom 1. Oktober 1997, X R 149/ 94, BFHE 184, 412, BStBl. II 1998,
247, 248 f., vom 9. Mai 1995, VIIII R 5/93, BFHE 178, 40, BStBl. II 1996, 588, vom 9. Mai
1995, VIIII R 116/92, BFHE 177, 454, BStBl. II 1996, 632, 634 sowie vom 19. Juni 1997,
VIIII R 30/95, BFHE 183, 470, BStBl. II 1997, 802, 804). Diesen Überlegungen und
Abgrenzungskriterien hat sich auch der X. Senat ausdrücklich angeschlossen (BFH-Urteile
vom 1. Oktober 1997, X R 149/94, BFHE 184, 412, BStBl. II 1998, 247 und vom 16.
Dezember 1998, X R 89/95, BFHNV 1999, 776). Auch der erkennende Senat folgt dieser
neueren Rechtsprechung.
Eine wesentliche Wertverbesserung im Sinne des § 255 Abs. 2 HGB ist dann gegeben,
wenn die Baumaßnahmen nach objektiven Maßstäben den Gebrauchswert als Ganzes
deutlich erhöhen. Dieses wird noch nicht allein dadurch erreicht, dass hohe Aufwendungen
getätigt werden oder eine werterhöhende Modernisierung durchgeführt wird, die einem
Wohnhaus einen modernen Wohnkomfort gibt, der dem Ursprünglichen entspricht, wenn
also der Wohnkomfort an die Zeitumstände angepasst wird. Gleiches gilt, wenn die
Maßnahmen dazu dienten, das Haus lediglich in ordnungsgemäßem Zustand zu erhalten.
Um eine Werterhöhung anzunehmen, müssen darüber hinausgehende Baumaßnahmen
erfolgen (BFH-Urteile vom 17. Juni 1997, BFHE 183, 470, BStBl. II 1997, 802, 804 und vom
28. April 1998, VIIII R 66/95, BFHE 186, 220, BStBl. II 1998, 515 sowie BFH-Beschluss
vom 17. Juni 1998, VIIII B 61/98, BFHNV 1999, 32). Keine wesentliche Wertverbesserung
im Sinne der genannten Regelung stellt zum Beispiel das Zumauern einiger Fenster und
Türen und die Erweiterung anderer, sowie das Entfernen oder Versetzen von
Zwischenwänden dar. Auch schlichte Modernisierungsmaßnahmen reichen nicht aus.
Gleiches gilt für die Erneuerung der Heizung, der Strom- und Wasserinstallation sowie der
Sanitärgegenstände, den Austausch der Rollläden und Fenster, eine Dachneueindeckung
und die Erneuerung des Außenputzes. Derartige Maßnahmen stellen typische Erhaltungs-
und Modernisierungsmaßnahmen dar, die auch dann nicht Herstellungskosten werden,
wenn sie umfangreich sind und zu einer Werterhöhung des Hauses geführt haben (so der
IX. Senat ausdrücklich in seinem Urteil vom 17. Juni 1997, BFHE 183, 470, BStBl. II 1997,
802, 804).
Im Streitfall ist eine wesentliche Wertverbesserung im oben genannten Sinne nicht
feststellbar. Vielmehr stellen alle Baumaßnahmen ausschließlich Instandsetzungs- und
Modernisierungsmaßnahmen dar. Das zeigen zum Einen die eingereichten Belege, die in
ihrer Mehrzahl nur Kleinbeträge aufweisen. Gleiches gilt aber auch für die Rechnungen mit
größeren Rechnungsbeträgen zwischen rund 5.000,00 DM und gut 21.000,00 DM. Die in
den dortigen Rechnungen vom 05.09.1995, 15.09.1995, 19.09.1995, 23.11.1995 und
21.02.1997 ausgewiesenen und belegten Arbeiten - Auswechslung von Fenstern,
Heizungsarbeiten, Dachlukenfensterarbeiten, Elektroarbeiten und Dacharbeiten stellen nur
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Reparaturarbeiten dar. Hierüber besteht seit der Erörterung vom 05.12.2001 zwischen den
Beteiligten Einigkeit.
Allein die Überschreitung der 15 %-Grenze in Abschnitt 157 Abs. 2 Satz 5
Einkommensteuerrichtlinien (EStR) führt entgegen der Auffassung des Beklagten nicht zur
Umqualifizierung des Reparaturaufwandes in anschaffungsnahen Herstellungsaufwand.
Hinzu kommt, dass auch die mit Wirkung ab 1994 von der Finanzverwaltung
vorgenommene Absenkung der Grenze für anschaffungsnahen Herstellungsaufwand von
bisher 20 % auf 15 % nicht durch die bisherige Rechtsprechung gedeckt ist. Der BFH hat
vielmehr in seiner früheren Rechtsprechung zur Frage des anschaffungsnahen
Herstellungsaufwandes Bauaufwendungen von mindestens 20 v. H. der
Gebäudeanschaffungskosten verlangt (vgl. BFH-Beschluss vom 22. August 1966, GrS
2/66, BStBl. III 1966, 672, 674). Danach läge die Grenze für anschaffungsnahe
Herstellungskosten im Streitfall bei (20 % von 369.525,45 DM =) 73.905,09 DM. Die im
vorliegenden Fall streitigen Aufwendungen betragen dagegen nur 70.033,00 DM.
Angesichts der obigen Ausführung kann dahinstehen und braucht daher nicht weiter
aufgeklärt zu werden, ob der Klage auch aus den von der bisherigen Rechtsprechung
anerkannten Gründen der Beseitigung versteckter Mängel zu entsprechen ist.
Gegen die Höhe der Aufwendungen bestehen keine Bedenken. Der Beklagte hat im
Übrigen in soweit auch keine Einwendungen erhoben. Die teilweise Berücksichtung von
Aufwendungen aus dem Jahre 1995 im Jahr 1996 ist durch § 82 b EStDV gedeckt.
Die Übertragung der Berechnung der Einkünfte auf den Beklagten beruht auf § 100 Abs. 2
Satz 2 FGO.
Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 135 Abs. 1 FGO.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus den § § 151 und 155 FGO
i. V. m. den §§ 708 Nr. 10 und 711 ZPO.
Die Revision wird wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zugelassen
(§ 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO).