Urteil des FG Münster vom 08.02.2006

FG Münster: einkünfte, verlustabzug, existenzminimum, vermietung, verpachtung, kirchensteuer, einverständnis, beschränkung, bestimmtheitsgebot, zahnarzt

Finanzgericht Münster, 1 K 5671/03 E,F
Datum:
08.02.2006
Gericht:
Finanzgericht Münster
Spruchkörper:
1. Senat
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
1 K 5671/03 E,F
Tenor:
Die Klage wird abgewiesen.
Die Kosten des Verfahrens trägt der Kläger.
Die Revision wird zugelassen.
T a t b e s t a n d
1
Die Beteiligten streiten über die Verfassungsmäßigkeit der Regelung zur
sogenannten Mindestbesteuerung nach § 2 Abs. 3 Sätze 2 bis 8 EStG a.F.
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Der Kläger (Kl.) erzielte im Streitjahr als selbständiger Zahnarzt Einkünfte aus
freiberuflicher Tätigkeit in Höhe von 570.171 DM. Die Einkünfte aus der
Vermietung von bebauten Grundstücken und aus Beteiligungen an
Vermietungsobjekten betrugen insgesamt ./. 370.177 DM. Im Rahmen der
Ermittlung der Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung wurden
Abschreibungen in Höhe von 280.736 DM berücksichtigt. Die Veräußerung
von Anteilen an einer Kapitalgesellschaft erbrachte einen Verlust gemäß § 17
EStG in Höhe von 30.348 DM. Die Veräußerung von Wertpapieren führte zu
einem Verlust nach § 23 EStG in Höhe von 9.740 DM.
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Unter Anwendung des § 2 Abs. 3 EStG wurden die Verluste von insgesamt
400.525 DM im Einkommensteuer(ESt)-Bescheid 2001 vom 17.07.2003 nur in
Höhe von 335.086 DM mit dem Gewinn aus freiberuflicher Tätigkeit
verrechnet, im Übrigen den Verlustvorträgen des Vorjahres hinzugerechnet
und gesondert festgestellt. Nach dem ESt-Bescheid 2001 beträgt das zu
versteuernde Einkommen bei Ansatz eines Verlustabzuges aus Jahren bis
1998 in Höhe von 151.000 DM 69.094 DM und die festgesetzte ESt 17.934
DM. Bei einem vollständigen Verlustausgleich – ohne Anwendung von § 2
Abs. 3 EStG a.F. – wäre die ESt 2001 auf 0,00 DM festgesetzt worden.
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Die gegen den ESt-Bescheid 2001 und die gesonderte Feststellung des
verbleibenden Verlustabzuges zur ESt zum 31.12.2001 eingelegten
Einsprüche blieben ohne Erfolg. Zur Begründung der gegen die
Einspruchsentscheidung (EE) vom 26.09.2003 erhobenen Klage trägt der Kl.
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vor, die Regelung in § 2 Abs. 3 Sätze 2 bis 8 EStG a.F. sei verfassungswidrig.
Sie verstoße gegen das Leistungsfähigkeitsprinzip, weil sie nicht nur
Buchverluste, sondern alle negativen Einkünfte erfasse, also auch solche, die
auf wirtschaftlicher Tätigkeit beruhten. Die von ihm erlittenen Verluste seien
keine Buchverluste. Die negativen Einkünfte aus Vermietung und
Verpachtung resultierten nicht aus sogenannten Steuersparmodellen.
Im Übrigen verstoße § 2 Abs. 3 Sätze 2 bis 8 EStG a.F. auch gegen das in
Artikel 20 Abs. 3 GG verankerte Bestimmtheitsgebot, weil die Regelung
wegen der Kompliziertheit für den Steuerpflichtigen nicht nachvollziehbar sei.
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Der Kl. beantragt sinngemäß,
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den ESt-Bescheid 2001 vom 17.07.2003 in Gestalt der EE vom
26.09.2003 und den Bescheid über die gesonderte Feststellung des
verbleibenden Verlustabzugs zur ESt 2001 zu ändern und die ESt
2001 sowie den verbleibenden Verlustabzug zur ESt 2001 unter
Berücksichtigung der erzielten Verluste festzusetzen,
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hilfsweise, im Unterliegensfall, die Revision zuzulassen.
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Der Beklagte (Bekl.) beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Er ist der Ansicht, § 2 Abs. 3 Sätze 2 bis 8 EStG a.F. sei nicht
verfassungswidrig. Das der Regelung zugrunde liegende Verteilungsprinzip
gelte auch beim Verlustvor- und –rücktrag nach § 10 d EStG und anderen
Verlustabzugsbeschränkungen (etwa in §§ 15 Abs. 4 und 15 a EStG). Sie
führe im Streitfall auch nicht zu einer Besteuerung des Existenzminimums. Die
Existenzgrundlagen würden bei positiven Einkünften von 570.171 DM und
negativen Einkünften von 400.525 DM, also einem positiven Saldo von
169.646 DM, sowie einer Steuernachforderung von 21.174 DM nicht in
verfassungswidriger Weise angegriffen.
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Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die zwischen den Beteiligten
gewechselten Schriftsätze und die Steuerakte Bezug genommen.
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Der Senat entscheidet gem. § 90 Abs. 2 FGO mit Einverständnis der
Beteiligten ohne mündliche Verhandlung.
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E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e
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Die Klage ist unbegründet.
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Der Bekl. hat die ESt 2001 zutreffend auf der Basis des § 2 Abs. 3 EStG in der
Fassung des Steuerentlastungsgesetzes (StEntlG) 1999 ff – aufgehoben
durch das Korb-II-Gesetz vom 22.12.2003, BGBl I 2140 – festgesetzt und
entsprechend den verbleibenden Verlustabzug zur ESt zum 31.12.2001
festgestellt. Zwischen den Beteiligten ist nicht streitig, dass der Bekl. § 2 Abs.
3 EStG a.F. zutreffend angewendet hat. Durchgreifende Bedenken gegen die
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Verfassungsmäßigkeit der Beschränkung des Verlustausgleichs hat der Senat
im Streitfall nicht.
Der Bundesfinanzhof (Beschlüsse vom 06. März 2003 XI B 7/02 bzw. XI B
76/02, BFHE 202, 141 bzw. 147, BStBl II 2003, 516 bzw. 523; vom 07. Juli
2004 XI B 231/02, BFH/NV 2005, 178; vom 29. April 2005 XI B 127/04,
BFH/NV 2005, 1189) hat gegen die Verfassungsmäßigkeit des § 2 Abs. 3
EStG a.F. nur insoweit Bedenken geäußert, als in Anwendung der Norm eine
ESt selbst dann festzusetzen ist, wenn die beschränkt ausgleichsfähigen
negativen Einkünfte die positiven Einkünfte dergestalt übersteigen, dass dem
Steuerpflichtigen infolge des tatsächlichen Mittelabflusses von seinem im
Veranlagungszeitraum Erworbenen nicht einmal das Existenzminimum
verbleibt. Das gilt jedenfalls dann, wenn der Verlustausgleich bei Vorliegen
"echter", durch tatsächlichen Mittelabfluss entstandener, die positiven
Einkünfte übersteigender Verluste begrenzt wird (BFH, Beschluss vom
25.02.2005 XI B 78/02, BFH/NV 2005, 1279). Bei der Prüfung, ob dem
Steuerpflichtigen im jeweiligen Veranlagungszeitraum von seinem im
Veranlagungszeitraum Erworbenen zumindest das Existenzminimum
verbleibt, können nur die jeweiligen positiven und negativen Einkünfte des
betreffenden Veranlagungszeitraums berücksichtigt werden. Verluste anderer
Veranlagungszeiträume sind ebenso wenig einzubeziehen wie etwa
Veränderungen auf der Vermögensebene (BFH, Beschluss vom 25. Juni 2004
XI B 20/03, BFH/NV 2005, 176). Dieser Auffassung des BFH schließt sich der
erkennende Senat an.
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Auch wenn im Streitfall davon ausgegangen wird, dass es sich bei den
negativen Einkünften um "echte" Verluste handelt, hat der Kl. im Streitjahr
insgesamt positive Einkünfte in Höhe von 169.646 DM erzielt. Der im ESt-
Bescheid 2001 angesetzte Verlustabzug aus den Jahren bis 1998 in Höhe
von 151.000 DM ist im vorliegenden Zusammenhang unbeachtlich (s.o.).
Unter Berücksichtigung der gezahlten Sonderausgaben (22.356 DM) und der
festgesetzten Steuerschuld (ESt 17.934 DM; Solidaritätszuschlag 897,27 DM,
Kirchensteuer 1.468,26 DM) ist dem Kl. offensichtlich mehr als das
Existenzminimum verblieben, so dass sich im Streitfall keine
verfassungsrechtlichen Bedenken gegen die Rechtmäßigkeit des
Verlustausgleichs ergeben.
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO, die
Revisionszulassung auf § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO.
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