Urteil des FG Münster vom 17.08.2010

FG Münster (kläger, fälligkeit, zahlung, wiederkehrende ausgabe, wirtschaftliche zugehörigkeit, zugehörigkeit, beginn, 1995, leistung, beitrag)

Finanzgericht Münster, 1 K 1821/07 E
Datum:
17.08.2010
Gericht:
Finanzgericht Münster
Spruchkörper:
1. Senat
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
1 K 1821/07 E
Sachgebiet:
Finanz- und Abgabenrecht
Tenor:
Die Einkommensteuerfestsetzung 2005 in der Gestalt der
Einspruchsentscheidung vom 30.3.2007 wird dahingehend geändert,
dass bei den Sonderausgaben weitere 6.000 Euro als kapitalgedeckte
Rentenversicherung i.S.d. § 10 Abs. 1 Nr. 2 lit. b EStG berücksichtigt
werden. Die Berechnung der Einkommensteuer wird dem Beklagten
auferlegt.
Der Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.
Die Revision wird zugelassen.
Das Urteil ist wegen der Kosten ohne Sicherheitsleistung vorläufig
vollstreckbar. Der Beklagte kann die Vollstreckung durch
Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des
Kostenerstattungsanspruchs der Kläger abwenden, soweit nicht die
Kläger zuvor Sicherheit in derselben Höhe leisten.
T a t b e s t a n d
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Streitig ist, ob der Erstbeitrag für eine Rentenversicherung als im Vorjahr geleistet gilt.
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Die Kläger sind Eheleute und werden im Streitjahr 2005 zusammen zur
Einkommensteuer veranlagt. Die Klägerin schloss im Streitjahr 2005 einen
Rentenversicherungsvertrag bei der A Lebensversicherung AG (VN 31 797 236 002) ab.
Versicherungsbeginn war der 1.12.2005, der jährlich zu zahlende Beitrag betrug 6.000
Euro. Das erste Versicherungsjahr lief vom 1.12.2005 - 12 Uhr - bis 1.12.2006 - 12 Uhr.
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Am 23.12.2005 wurde der Klägerin am 19.12.2005 ausgefertigte Versicherungsschein
übersandt. Der Erstbeitrag wurde im Rahmen des Lastschriftverfahrens vom Konto 330
bei der IngDiba eingezogen. Der Einzug erfolgte auf diesem Konto am 3.1.2006.
Ausweislich der Versicherungsbedingungen wurde der erste Beitrag (sog.
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Einlösungsbeitrag) mit dem Zugang des Versicherungsscheins bei der Klägerin,
frühestens am 1.12.2005, fällig.
Die Kläger machten den Versicherungsbeitrag der Klägerin im Rahmen ihrer
Einkommensteuererklärung 2005 als eigene kapitalgedeckte Rentenversicherung mit
Laufzeitbeginn nach dem 31.12.2004 (sog. Basisrente i.S.d. § 10 Abs. 1 Nr. 2 lit. b EStG
i.d.F. VZ 2005) geltend. Daneben machten sie einen identischen Beitrag für die
entsprechende Versicherung des Klägers geltend, bei dem allerdings der
Lastschrifteinzug bereits am 27.12.2005 erfolgt war.
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Der Beklagte erkannte den Versicherungsbeitrag für die Rentenversicherung der
Klägerin im Einkommensteuerbescheid für 2005 vom 30.1.2007 nicht an. Zwar ging er
insoweit davon aus, dass die Voraussetzungen des § 10 Abs. 1 Nr. 2 lit. b EStG i.d.F.
VZ 2005 vorliegen. Eine Zurechnung des erst in 2006 eingezogenen Beitrags nach
2005 lehnte er ab. Es fehle an dem Abfluss im Streitzeitraum 2005. § 11 Abs. 2 Satz 2
EStG sei nicht anwendbar. Es liege nicht der Fall der Zahlung einer regelmäßig
wiederkehrenden Leistung im vom Jahr der wirtschaftlichen Zugehörigkeit
abweichenden Jahr vor. Der Schwerpunkt der Gegenleistung - hier also des
Versicherungsschutzes - liege mit 11/12 in 2006.
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Der hiergegen am 6.2.2007 eingelegte Einspruch der Kläger wurde durch Entscheidung
vom 30.3.2007 als unbegründet abgewiesen.
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Die Kläger haben am 26.4.2007 Klage eingelegt.
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Die Kläger sind der Ansicht, dass es sich bei dem Erstbeitrag um eine regelmäßig
wiederkehrende Ausgabe i.S.d. § 11 Abs. 2 Satz 2 EStG handele. Die Beitragszahlung
sei für den Zeitraum 1.12.2005 bis 1.12.2006 erfolgt und am 3.1.2006 innerhalb der dort
genannten kurzen Zeit von maximal 10 Tagen fällig gewesen. Insoweit sei auf die
Fälligkeit des Beitrags bereits zum 23.12.2005 (Zugang des Versicherungsscheins)
abzustellen. Dieser sei für die Frage der wirtschaftlichen Zugehörigkeit entscheidend.
Eine Aufteilung der Beiträge sei nicht vorzunehmen.
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Hinsichtlich der Zuordnung von Versicherungsbeiträgen verweisen die Kläger auf die
Entscheidung des BFH vom 9.5.1974 (VI R 161/72, BStBl II 1974, 547). Dieses Urteil sei
durch die Entscheidung des BFH vom 23.9.1999 (IV R 1/99, BStBl II 2000, 121) bestätigt
worden. Hiernach komme es auf die wirtschaftliche Zugehörigkeit der fälligen Beiträge
zum entsprechenden Kalenderjahr an. Die Zahlungsweise, etwa monatlich oder jährlich,
sei ohne Bedeutung.
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Ergänzend verweist die Klägerseite auf ein Urteil des BFH vom 1.8.2007 (XI R 48/05,
BStBl II 2008, 282)
,
Vorauszahlungen für das IV. Quartal 1999 beträfe. Diese sei dort als regelmäßig
wiederkehrende Ausgaben des VZ 1999 berücksichtigt worden. Die OFD Rheinland
habe in der Folge durch Verfügung vom 29.6.2009 (S 2142 - 2009/0003 - St 142) die
Rechtsauffassung vertreten, dass bei fristgerechter Abgabe der Voranmeldung und
Deckung des Kontos die Erteilung der Einzugsermächtigung für die Zuordnung im
Vorkalenderjahr ausreiche.
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Die Kläger beantragen,
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den Einkommensteuerbescheid 2005 vom 30.1.2007 in Gestalt der
Einspruchsentscheidung vom 30.3.2007 dahingehend zu ändern, dass im
Rahmen der Sonderausgaben weitere 6.000 Euro für die kapitalgedeckte
Rentenversicherung bei der AXA Lebensversicherung (VN 317 97 236 002)
gemäß § 10 Abs. 1 Nr. 2 lit. B EStG in der für das Streitjahr 2005 gültigen
Fassung berücksichtigten werden.
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Der Beklagte beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Der Beklagte verweist auf seine im Verwaltungsverfahren vorgetragene Rechtsansicht
und macht erneut deutlich, dass er von einer zeitraumbezogenen Leistung ausgehe,
deren Schwerpunkt in 2006 liege. Fraglich sei bereits, ob hier regelmäßig
wiederkehrende Ausgaben vorlägen. Regelmäßig wiederkehrend seien Zahlungen, die
nach dem zugrunde liegenden Rechtsverhältnis grundsätzlich am Beginn oder am Ende
des Kalenderjahres zahlbar seien, zu dem sie wirtschaftlich gehörten. Im vorliegenden
Fall liege zwar eine Fälligkeit des Einlösungsbeitrags innerhalb des 10-Tages-
Zeitraums. Es sei aber ansonsten von der Fälligkeit zum 1.12. eines jeden Jahres
auszugehen. Eine Regelmäßigkeit der Zahlung im Folgejahr sei nicht anzunehmen und
deshalb auch keine regelmäßig wiederkehrende Zahlung i.S.d. § 11 Abs. 2 Satz 2
EStG.
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Weiter sei zu beachten, dass die Gegenleistung für den Erstbeitrag zumindest zu 11/12
im Jahr 2006 erfolge. Die Gegenleistung sei der zu gewährende Versicherungsschutz.
Zwar habe der BFH im Urteil vom 9.5.1974 (VI R 161/72, VI R 161/72) entschieden,
dass es für die Frage der wirtschaftlichen Zugehörigkeit allein auf den Zeitpunkt der
Fälligkeit der Leistung ankomme. Dem stünden jedoch u.a. die BFH-Urteile vom
24.7.1986 (IV R 309/84, BStBl II 1987, 16), vom 6.7.1995 (IV R 63/94, BStBl II 1996,
266), vom 23.09.1999 (IV R 1/99, BStBl II 2000, 121) und vom 1.8.2007 (XI R 48/05,
BStBl II 2008, 282) entgegen. Diese Urteile beträfen zwar die Gewinnermittlung nach §
4 Abs. 3 EStG, doch sei von einer Gleichbehandlung auszugehen (so auch FG
Rheinland-Pfalz, Urteil vom 18.5.1994, 1 K 1617/93, EFG 1994, 925).
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Da die Zahlung wirtschaftlich zwei Kalenderjahre beträfe, sei allein die Grundregel des
§ 11 Abs. 2 Satz 1 EStG anwendbar. Eine Aufteilung entsprechend der wirtschaftlichen
Zugehörigkeit (vgl. etwa HHR-Birk/Kister, § 11 Rn 85) werde mit einer Annäherung an
das Realisationsprinzip begründet, überzeuge aber angesichts der engen Grenzen des
Wortlautes des § 11 Abs. 2 EStG nicht. Andernfalls müssten auch Zahlungen aus Zeiten
weit vor Ultimo aufgeteilt werden, was nicht dem Zweck des § 11 Abs. 2 EStG
entspräche.
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Kein Raum sei im vorliegenden Fall für Billigkeitsregelungen, da es ansonsten eine
Entlastung der Versicherung auf Kosten der Allgemeinheit erfolge. Die von der
Klägerseite angesprochene Verfügung der OFD Rheinland betreffe allein den Fall der
Umsatzsteuervorauszahlungen.
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Der Berichterstatter hat den Sach- und Streitstand mit den Beteiligten am 2.9.2008
erörtert. Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche
Verhandlung einverstanden erklärt. Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten wird auf die
Gerichtsakte und die beigezogenen Verwaltungsvorgänge verwiesen.
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E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e
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Die Klage ist begründet.
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Die von der Klägerseite geltend gemachten Sonderausgaben in Höhe von 6.000 Euro
für die Rentenversicherung gemäß § 10 Abs. 1 Nr. 2 lit. b EStG idF VZ 2005 der
Klägerin bei der A Lebensversicherung AG sind gemäß § 11 Abs. 2 Satz 2 EStG im
Streitjahr 2005 zu berücksichtigen.
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Es liegt, davon gehen die Parteien zu Recht übereinstimmend aus, eine
Rentenversicherung vor, deren Beiträge gemäß § 10 Abs. 1 Nr. 2 lit. b EStG i.d.F. VZ
2005 als Sonderausgaben abziehbar sind. Die Voraussetzungen ergeben sich aus dem
im Veranlagungsverfahren eingereichten Versicherungsschein. So dienen die Beiträge
nicht nur einer kapitalgedeckten Altersversorgung nicht vor Vollendung des 60.
Lebensjahres (Bl. 2 des Versicherungsscheins) sondern sehen Leistungen für
Hinterbliebene ausdrücklich nur in den Grenzen des § 10 Abs. 1 Nr. 2 lit. B EStG i.d.F.
VZ 2005 vor (Bl. 2 des Versicherungsscheins). Auch die übrigen Vorschriften sind von
der Versicherungsgesellschaft erkennbar in die Tarif- und Leistungsbeschreibung
aufgenommen worden.
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Im vorliegenden Fall sind die jährlich von der Klägerin zu entrichtenden Beiträge zur
fraglichen Rentenversicherung regelmäßig wiederkehrende Ausgaben i.S.d. § 11 Abs. 2
Satz 2 EStG, für deren Behandlung Abs. 1 Satz 2 des § 11 EStG entsprechend gilt. § 11
Abs. 1 Satz 2 EStG bestimmt, dass regelmäßig wiederkehrende Einnahmen, die dem
Steuerpflichtigen kurze Zeit vor Beginn oder kurze Zeit nach Beendigung des
Kalenderjahres, zu dem sie wirtschaftlich gehören, zugeflossen sind, als in diesem
Kalenderjahr zugeflossen gelten. Auf den Fall der regelmäßig wiederkehrenden
Ausgaben angewandt bedeutet dies, dass solche Ausgaben, soweit sie kurze Zeit vor
Beginn oder kurze Zeit nach Beendigung des Kalenderjahres, zu dem sie wirtschaftlich
gehören, abgeflossen sind, zu diesem gehören. Durch diese Ausnahmeregelungen in §
11 EStG soll trotz des Zufluss-Abflussprinzips die periodengerechte Berücksichtigung
für bestimmte dort genannte Ausnahmefälle sichergestellt werden (so BFH-Urteil vom
6.7.1995 IV R 63/94, BStBl II 1996, 266).
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Die von der Klägerin zu leistenden Beiträge sind regelmäßig wiederkehrende Ausgaben
i.S. des § 11 Abs. 2 Satz 2 EStG. Regelmäßig wiederkehrende Zahlungen liegen nach
der auf der Rechtsprechung des BGH fußenden BFH-Rechtsprechung dann vor, wenn
die Zahlung von vornherein und ihrer Natur nach auf Leistungen gerichtet ist, die nicht
einmal, sondern in regelmäßiger Wiederkehr zu erbringen sind (BFH-Urteil vom
24.7.1986 IV R 309/84, BStBl II 1987 unter Hinweis auf BFH-Urteil vom 10.7.1986 III ZR
133/85, ZIP 1986, 1037). Diese Rechtsprechung ist durch das Urteil des BFH vom
1.8.2007 (XI R 48/05, BStBl II 2008, 282) bestätigt worden. Im vorliegenden Fall liegen
regelmäßig wiederkehrende Ausgaben vor, da die Klägerin aufgrund des
Rentenversicherungsvertrags zur jährlichen Zahlung des Jahresbeitrags von 6.000 Euro
verpflichtet ist.
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Die hier allein zu beurteilende Ausgabe ist auch kurze Zeit nach Beendigung des
Kalenderjahres 2005 abgeflossen, zu dem sie wirtschaftlich gehört. Nicht erheblich ist
für die Geltung der Ausnahmevorschriften in § 11 Abs. 1 EStG bzw. § 11 Abs. 2 EStG,
dass die Zahlung noch in dem Kalenderjahr fällig geworden ist, in dem der
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Zahlungsfluss erfolgt (so für den Fall der Einnahme: BFH-Urteil vom 6.7.1995 IV R
63/94, BStBl II 1996, 266). Im vorliegenden Fall ist die Zahlung am 3.1.2006, also
unstreitig innerhalb des kurzen Zeitraums von 10 Tagen nach Beginn des
Kalenderjahres 2006, erfolgt. Die Fälligkeit des hier in Rede stehenden Erstbeitrags ist
insoweit unerheblich.
Der Erstbeitrag gehört auch in voller Höhe in das Streitjahr 2005. Eine Aufteilung des
Jahresbeitrags auf das Versicherungsjahr war nicht vorzunehmen. Entscheidend ist im
vorliegenden Fall, dass der Erstbeitrag im Streitjahr bereits fällig geworden ist. Dies gilt
aus Sicht des Senats jedenfalls für Ausgaben im Bereich der Sonderausgaben, soweit
es sich um Vorauszahlungen handelt. Der Beitrag zur Rentenversicherung wird jährlich
im Voraus fällig. In einem solchen Fall ist die Fälligkeit aus Sicht des Senats als
Zuordnungskriterium entscheidend. Die Fälligkeit bestimmt in einem solchen Fall, in
welches Kalenderjahr die Zahlung gehört. Im vorliegenden Fall liegt die Fälligkeit noch
im Streitjahr, nämlich aufgrund des Zugangs des Versicherungsscheins am 23.12.2005
an gerade diesem Tag. Beachtet man auch den Sinn der Ausnahmevorschrift des § 11
Abs. 2 Satz 2 EStG, dass nämlich bei regelmäßig wiederkehrenden Ausgaben
Zufallsergebnisse vermieden werden sollen (so BFH-Urteil vom 9.5.1974 VI R 161/72,
BStBl II 1974, 547), so erscheint es auch zwingend, den Abfluss der Ausgabe als in
2005 erfolgt zu fingieren. Allein durch die Erteilung des Lastschrifteinzugs kommt es -
ohne dass der Steuerpflichtige dies beeinflussen kann - zufällig hier zu einer
Abbuchung erst im Folgejahr, anders als beim vergleichbaren Fall des Klägers. Beim
Kläger ist der Einzug gerade noch im Jahr der Fälligkeit erfolgt. Soweit in den von der
beklagten Seite zitierten Urteilen auf die Fälligkeit mittlerweile nicht mehr abgestellt wird
(so etwa BFH-Urteil vom 6.7.1994 IV R 63/94, BStBl II 1995 für den Fall der
Resthonorarabschlusszahlung einer Kassenärztlichen Vereinigung, anders ggf. BFH-
Urteil vom 1.8.2007 XI R 48/05, BStBl II 2008, 282, welches zumindest die
Fälligkeitsproblematik anspricht), ist dies im vorliegenden Fall bei Vorauszahlungen von
Sonderausgaben unerheblich. Keine Notwendigkeit besteht hinsichtlich der Aufteilung
der Leistung.
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Die Berechnung der Einkommensteuer wird gemäß § 100 Abs. 2 Satz 2 FGO dem
Beklagten auferlegt.
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Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 135 Abs. 1 FGO.
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Die Revision ist gemäß § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO zuzulassen.
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