Urteil des FG Münster vom 12.11.2001

FG Münster (Anerkennung, Eltern, Steuer, Gestaltung, Anpassung, Scheingeschäft, Sicherheitsleistung, Minderung, Zivilprozessordnung, Gegenleistung)

Datum:
Gericht:
Spruchkörper:
Entscheidungsart:
Tenor:
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Aktenzeichen:
Finanzgericht Münster, 12 K 4166/00 E
12.11.2001
Finanzgericht Münster
12. Senat
Urteil
12 K 4166/00 E
Unter Änderung der Einkommensteuerbescheide 1997 vom 31.05.1999
und 1998 vom 20.12.1999 jeweils in Gestalt der Einspruchsentscheidung
vom 06.06.2000 werden die Einkommensteuer 1997 auf 36.178 DM und
die Einkommensteuer 1998 auf 8.062 DM festgesetzt.
Die Kosten des Verfahrens werden dem Beklagten auferlegt.
Die Zuziehung eines Bevollmächtigten zum Vorverfahren war notwendig.
Das Urteil ist wegen der Kostenentscheidung ohne Sicherheitsleistung
vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte kann die Vollstreckung durch
Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des
Kostenerstattungsanspruchs der Kläger abwenden, soweit nicht die
Kläger zuvor Sicherheit in derselben Höhe leisten.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand:
Die Kläger (Kl.) sind Eheleute, die in den Streitjahren 1997 und 1998 zur Einkommensteuer
(ESt) zusammen veranlagt wurden.
Mit notariellem Vertrag vom 31.07.1992 erwarb der Kl. von seinem Vater, dem Kaufmann K
S, im Wege der vorweggenommenen Erbfolge das Eigentum an dem Grundstück O, Flur,
Flurstück. Nach § 3 des Vertrages verpflichtete sich der Kl. zur Zahlung eines monatlichen
Betrages von zunächst 900 DM als "dauernde Last" an den Vater und dessen Ehefrau.
Desweiteren wurde eine Änderung des zu zahlenden Betrages für den Fall vereinbart, dass
sich der Lebenshaltungskostenindex in Bezug auf das Basisjahr 1985 eines 4-Personen-
Arbeitnehmerhaushalts mittleren Einkommens, der im Bundesanzeiger für Mai 1992 mit
114,9 Punkten angegeben ist, um 5 Punkte verändert.
Zur Vereinfachung wurden für bestimmte Indexstände konkret zu zahlende Beträge
festgesetzt.
Wegen der weiteren Einzelheiten der Vereinbarung wird auf den Vertrag vom 31.07.1992
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Bezug genommen.
Die vereinbarte Indexklausel ist von der Landeszentralbank in Nordrhein-Westfalen
genehmigt worden.
Mit notariellem Vertrag vom 09.11.1994 vereinbarten die Vertragsparteien unter
Abänderung des Vertrages vom 31.07.1992, dass die Verpflichtung zur Zahlung der
dauernden Last nur noch zu Gunsten des Vaters des Kl. gelten solle. Desweiteren wurde
vereinbart, dass ab dem 01.12.1994 ein monatlicher Betrag in Höhe von 1.400 DM zu
zahlen sei. Im Übrigen sollten die Bestimmungen des Vertrages vom 31.07.1992,
insbesondere die Wertsicherungsklausel, bestehen bleiben. Wegen der weiteren
Einzelheiten wird auf den Vertrag vom 09.11.1994 Bezug genommen.
Im Rahmen der ESt-Erklärung 1997 machten die Kl. einen Betrag in Höhe von 16.800 DM
als dauernde Last geltend.
Der Beklagte (Bekl.) veranlagte die Kl. zunächst antragsgemäß und setzte mit Bescheid
vom 14.04.1998 die ESt 1997 auf 29.942 DM fest. Der Bescheid erging unter dem
Vorbehalt der Nachprüfung, § 164 Abs. 1 Abgabenordnung (AO).
Ab Dezember 1998 führte der Bekl. beim Kl. eine Betriebsprüfung (Bp) durch. Dabei stellte
der Prüfer fest, dass die Zahlungen pünktlich per Dauerauftrag jeweils zum Monatsbeginn
geleistet worden seien, dass jedoch die Wertsicherungsklausel seit 1995 nicht mehr
beachtet worden sei. Trotz Veränderung der Indizes sei letztmals zum November 1993 eine
Anpassung vollzogen worden. Daher fehle es an einer tatsächlichen Durchführung der
Vereinbarung, mit der Folge, dass diese steuerrechtlich nicht anzuerkennen sei.
Wegen der Einzelheiten der Feststellungen wird auf den Bp-Bericht vom 22.03.1999 Bezug
genommen.
Der Bekl. änderte daraufhin den ESt-Bescheid 1997 gemäß § 164 Abs. 2 AO und setzte mit
Bescheid vom 31.05.1999 die ESt 1997 auf 42.360 DM fest.
Auch bei der Festsetzung der ESt 1998 erkannte der Bekl. die geltend gemachten
Zahlungen an den Vater in Höhe von 16.800 DM nicht als dauernde Last an. Mit
Bescheiden vom 20.12.1999 setzte er die ESt 1998 auf 13.010 DM fest.
Dagegen legten die Kl. Einsprüche ein. Diese begründeten sie im Wesentlichen damit,
dass zunächst im Mai 1995 mündlich vereinbart worden sei, ab dem 1. Juli 1995 die
Anwendung der Wertsicherungsklausel auszusetzen und zwar längstens bis 30.06.1999.
Mit dieser Regelung sei der Verschlechterung der wirtschaftlichen Situation des Kl.
Rechnung getragen worden. Diese mündliche Vereinbarung sei in der notariellen
Nachtragsvereinbarung vom 16.06.1999 auch schriftlich fixiert worden. Wie vereinbart sei
ab 01.07.1999 der gestiegene Lebenshaltungskostenindex berücksichtigt worden.
Die Einsprüche blieben ohne Erfolg. In der Einspruchsentscheidung (EE) vom 06.06.2000
führte der Bekl. aus, dass die Anerkennung eines Vertrages zwischen nahen Angehörigen
voraussetze, dass die gegenseitigen Rechte und Pflichten klar und eindeutig vereinbart
und die Vereinbarung ernsthaft gewollt und tatsächlich durchgeführt würden. An einer
solchen korrekten Durchführung fehle es im Streitfall, da die Parteien die in § 3 des
Vertrages vereinbarte Wertsicherungsklausel nicht umgesetzt hätten.
Mit der am 10.07.2000 erhobenen Klage verfolgen die Kl. ihr Begehren weiter.
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Sie sind der Ansicht, dass der Bekl. die Berücksichtigung der dauernden Last zu Unrecht
abgelehnt habe, da die im notariellen Übergabevertrag vom 09.11.1994 ausdrücklich
vereinbarte Wertsicherungsklausel von der Landeszentralbank genehmigt worden sei und
zwischen den Parteien durch mündlichen Vertrag vom 01.07.1995 diese
Wertsicherungsklausel bis längstens 30.06.1999 ausgesetzt worden sei.
Die Kl. beantragen,
unter Aufhebung der EE vom 06.06.2000 und unter Änderung der angefochtenen
Bescheide die auf Grund des Übergabevertrages gezahlten Beträge als Sonderausgaben
abzuziehen.
Der Bekl. beantragt,
die Klage abzuweisen.
Zur Begründung beruft er sich auf die EE.
Der Berichterstatter hat die Sach- und Rechtslage mit den Beteiligten am 21.02.2001
erörtert; auf das Protokoll wird Bezug genommen.
Die Entscheidung ergeht im Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung, §
90 Abs. 2 Finanzgerichtsordnung (FGO).
Entscheidungsgründe:
Die Klage ist begründet.
Die angefochtenen Verwaltungsakte sind rechtswidrig und verletzen die Kl. in ihren
Rechten, § 100 Abs. 1 FGO. Die Zahlungen der Kl. an den Vater des Kl. aufgrund des
Vertrages vom 09.11.1994 sind als dauernde Last abziehbar.
Nach § 10 Abs. 1 Nr. 1 a Einkommensteuergesetz (EStG) sind als Sonderausgaben
abziehbar die auf besonderen Verpflichtungsgründen beruhenden Renten und dauernden
Lasten, die nicht mit Einkünften in Zusammenhang stehen, die bei der Veranlagung außer
Betracht bleiben.
Nach ständiger Rechtsprechung werden Leistungen, die im Rahmen einer Vereinbarung
einer vorweggenommenen Erbfolge gegen Zusage von Versorgungsleistungen an den
Vermögensübergeber erbracht werden, als dauernde Last zum Abzug zugelassen (BFH-
Urteil vom 15.07.1991 GrS 1/90, BStBl II 1992, 78 und BFH-Urteil vom 05.07.1990 GrS 4-
6/89, BStBl II 1990, 847). Ein solcher Vertrag liegt vor, wenn Eltern mit Rücksicht auf die
künftige Erbfolge ihr Vermögen auf einen oder mehrere Abkömmlinge übertragen und sich
gleichzeitig von den Übertragsnehmern die Leistung eines ausreichenden
Lebensunterhalts bis zu ihrem Tod ausbedingen. Die Zahlungen werden dabei nicht
unbedingt nach dem Wert der Gegenleistung, sondern nach dem Versorgungsbedürfnis
des Berechtigten und der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit des Verpflichteten bemessen.
Im Vordergrund steht dabei der Gedanke, das übertragene Vermögen der Familie zu
erhalten (BFH-Urteil vom 31.08.1994 X R 44/93, BStBl. II 1996, 676). In steuerrechtlicher
Hinsicht werden die Versorgungsleistungen aus einer Vermögensübergabe den
Sonderausgaben zugerechnet, da sich der Vermögensübergeber in Gestalt von
Versorgungsleistungen typischerweise Erträge seines Vermögens vorbehält, die nunmehr
allerdings vom Vermögensübernehmer erwirtschaftet werden müssen. Es handelt sich
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dabei weder um Unterhaltsleistungen im Sinne von § 12 Nr. 1 EStG noch um
Zuwendungen aufgrund freiwillig begründeter Rechtspflicht (BFH-Urteil vom 11.03.1992 X
R 141/88, BStBl. II 1992, 499).
Der Vertrag vom 09.11.1994 stellt einen solchen Vermögensübergabevertrag dar; die
Eltern des Kl. haben diesem im Wege der vorweggenommenen Erbfolge umfangreichen
zum Teil verpachteten Grundbesitz übertragen und sich Erträge durch eine abänderbare
Zahlungsverpflichtung in Höhe von 900 DM monatlich vorbehalten.
Der Vertrag ist auch steuerrechtlich anzuerkennen.
Übergabeverträge sind als Vertäge zwischen nahen Angehörigen nur dann steuerlich
anzuerkennen, wenn die gegenseitigen Rechte und Pflichten von vornherein klar und
eindeutig vereinbart sind und der Vertrag tatsächlich entsprechend durchgeführt wird (BFH-
Urteil vom 17.01.1991 IV R 132/85, BStBl. II 1991, 607 und BFH-Urteil vom 28.04.1987 IX
R 40/81, BFH/NV 1987, 712).
Diesen Anforderungen hält das Vertragsverhältnis zwischen dem Kl. und seinen Eltern
stand.
Zwischen den Beteiligten ist unstreitig, dass ein rechtlicher Mindestbestand der den
Vertragstypus prägenden Regelungen klar und eindeutig festgelegt worden ist.
Wesentlicher Inhalt des Übergabevertrages ist nämlich der Umfang des übergebenen
Vermögens, die Höhe der Versorgungsleistungen und die Art und Weise der Zahlung
(BFH-Urteil vom 31.08.1994 X R 79/92, BFH/NV 1995, 382).
Die Vereinbarung ist auch tatsächlich durchgeführt worden. Nach den allgemeinen
steuerrechtlichen Grundsätzen für die Anerkennung von Verträgen mit Angehörigen
müssen die Vertragspartner ihren Vertragspflichten nachkommen und die vereinbarten
Leistungen wie einander fremde Vertragspartner erbringen. Unter Berücksichtigung der
neueren Rechtsprechung des BFH, nach der nicht jede Abweichung bei der Durchführung
eines Vertrages steuerschädlich ist (vgl. BFH Urteil vom 07.05.1996 IX R 69/94, BStBl. II
1997, 196 und BFH-Urteil vom 15.02.1998 IX R 30/96, BStBl. II 1998, 349), hält es der
Senat für die steuerrechtliche Anerkennung eines Versorgungsvertrages für ausreichend,
wenn die Parteien sich in den wesentlichen Punkten an die Vereinbarung gehalten haben.
So ist es im Streitfall.
Der Anerkennung des Übergabevertrages steht nicht entgegen, dass die Parteien die
Wertsicherungsklausel unberücksichtigt gelassen haben; denn der Vertrag ist im Übrigen in
allen Punkten befolgt worden ist.
Bei der Wertsicherungsklausel handelt es sich nicht um eine vertragliche Regelung, die so
bedeutsam ist, dass deren Nichtanwendung oder Unwirksamkeit die steuerliche
Nichtanerkennung des gesamten Vertrages zur Folge hätte. Der Senat schließt sich der
Rechtsprechung des 4. und 7. Senats des Finanzgerichts Münster an (Urteile 7 K 7481/99
E vom 28.12.2000, EFG 2001, 489 und 4 K 7352/99 E vom 26.03.2001, EFG 2001, 1033).
Die Hauptleistungsverpflichtung, nämlich die Versorgung des Empfängers, kann
grundsätzlich auch ohne Berücksichtigung der Wertsicherungsklausel erfüllt werden,
solange der Ausgangsbetrag tatsächlich gezahlt wird. Da die Kl. nur den Abzug dieses
Betrages verlangen, ist es unschädlich, dass ein wegen der Wertsicherungsklausel
möglicherweise geschuldeter höherer Betrag nicht verlangt und gezahlt worden ist.
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Auch nach der Rechtsprechung des BFH kann aus dem Umstand, dass der
Vermögensübergeber über einen längeren Zeitraum nicht von seinem Recht auf
Anpassung Gebrauch macht, nicht gefolgert werden, dass der Übergabevertrag nicht wie
vereinbart durchgeführt worden ist (BFH-Urteil vom 15.07.1992 X R 31/91, BFH/NV 1993,
18).
Zwar sollte nach den Vereinbarungen des Kl. mit seinem Vater die Wertsicherung
automatisch und nicht erst durch Verlangen des Vertragspartners eintreten. Diesen
Unterschied sieht der Senat jedoch nicht als erheblich an.
Der BFH stellt in seiner neueren Rechtsprechung zu der Anerkennung von Verträgen
zwischen nahen Angehörigen auch darauf ab, ob nach Würdigung aller Umstände des
Einzelfalles ausgeschlossen werden kann, dass ein Scheingeschäft oder eine
rechtsmissbräuchliche Gestaltung vorliegt (BFH-Urteil vom 17.02.1998 IX R 30/96, BStBl. II
1998, 349).
Dies ist hier der Fall. Aus der tatsächlichen Durchführung der wesentlichen Vertragsinhalte
lässt sich erkennen, dass weder ein Scheingeschäft noch eine rechtsmissbräuchliche
Gestaltung vorliegt.
Unter diesen Umständen kann dahinstehen, ob bereits 1995 ein mündlicher Vertrag
zwischen den Beteiligten geschlossen geworden ist, nach dem die Wertsicherungsklausel
zeitweise ausgesetzt worden ist, und wie eine solche Vereinbarung steuerrechtlich zu
würdigen wäre.
Die festzusetzende Steuer berechnet sich wie folgt:
1997:
zu versteuerndes Einkommen bislang: 142.660 DM
Minderung lt. Urteil: 16.800 DM
zu versteuerndes Einkommen neu: 125.860 DM
Steuer lt. Splittingtabelle: 30.898 DM
+ Kindergeld: 5.280 DM
gesamt: 36.178 DM
1998:
zu versteuerndes Einkommen bislang: 71.113 DM
Minderung lt. Urteil: 16.800 DM
zu versteuerndes Einkommen neu: 54.313 DM
Steuer lt. Splittingtabelle: 8.062 DM
Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 Abs. 1 Satz 1 FGO.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus den §§ 151, 155 FGO
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i.V.m. §§ 708 Nr. 10, 711 Zivilprozessordnung.
Die Entscheidung über die Zuziehung des Bevollmächtigten folgt aus § 139 Abs. 3 Satz 3
FGO.
Die Revision war wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zuzulassen, § 115
Abs. 2 Nr. 1 FGO.