Urteil des FG Münster vom 29.05.2008

FG Münster: erblasser, lebensgemeinschaft, schlüssiges verhalten, beendigung, tod, mitarbeit, ausgleichszahlung, vermögensverwaltung, anteil, zusammenarbeit

Finanzgericht Münster, 3 K 1354/06 Erb
Datum:
29.05.2008
Gericht:
Finanzgericht Münster
Spruchkörper:
3. Senat
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
3 K 1354/06 Erb
Tenor:
Die Erbschaftsteuerbescheide vom 04.11.2005 und die
Einspruchsentscheidungen vom 14.03.2006 werden aufgehoben.
Die Kosten des Rechtsstreits trägt der Beklagte.
Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar.
Der jeweilige Kostenschuldner darf die Vollstreckung durch
Sicherheitsleistung in Höhe des jeweils zu vollstreckenden Betrages
abwenden, wenn nicht der jeweilige Kostengläubiger
T a t b e s t a n d
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Die Beteiligten streiten, ob Zahlungen der Erben an die nichteheliche Lebenspartnerin
des Erblassers als Nachlassverbindlichkeiten steuermindernd berücksichtigt werden
können.
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Die Kläger (Kl.) sind Geschwister und beerbten ihren am 14.01.2004 verstorbenen Vater
zu je ½.
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Der Erblasser hatte seit 1980 mit Frau U in Ehe ähnlicher Gemeinschaft
zusammengelebt. Beide hatten seit dem Beginn ihrer Partnerschaft eine Filialkette mit
15 Geschäften aufgebaut und nach deren Veräußerung bzw. Übertragung nach und
nach Immobilien zu Vermietungszwecken erworben.
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Nach dem Tod des Erblassers machte Frau U gegenüber den Erben Ansprüche
geltend, da sie sich über den Rahmen einer bloßen Mithilfe in einer Lebens- oder
Familiengemeinschaft hinaus um den Aufbau des Vermögens des Verstorbenen
gekümmert habe. Zwischen ihr und dem Verstorbenen habe eine Übereinkunft
dahingehend bestanden, dass sie einen angemessen Anteil an dem gemeinsam
erwirtschafteten Vermögen erhalten sollte. In Anerkennung der Leistungen von Frau U
erklärten sich die Kl. zu einer Ausgleichszahlung an Frau U bereit. Durch
privatschriftliche Vereinbarung vom 25.03.2004 setzten die Kl. und Frau U den
Ausgleichsanspruch einvernehmlich auf 822.607 Euro fest. Zu den näheren
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Einzelheiten wird auf die Kopien der Vereinbarungen (Bl. 18 – 20 der GA 3 K 1354/06)
Bezug genommen. In Erfüllung dieser Vereinbarung übertrugen die Kl. u.a. durch
notariellen Vertrag vom 20.04.2004 den hälftigen Anteil am Grundsbesitz C-str. in I an
Frau U. Auf die Kopie des notariellen Vertrages (Bl. 38 f der Steuerakte) wird Bezug
genommen.
In ihrer am 05.11.2004 abgegebenen Erbschaftsteuererklärung machten die Kl. den von
Frau U geltend gemachten Ausgleichsanspruch von 822.607 Euro als
Nachlassverbindlichkeit geltend. Sie legten dazu einen Beschluss des AG C über die
Kostenfestsetzung in der Erbscheinsangelegenheit vor, in dem der Rechtspfleger davon
ausging, dass die 822.607 Euro als Nachlassverbindlichkeiten zu berücksichtigen seien
(Bl. 21/22 der GA 3 K 1354/06).
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Durch ErbSt-Bescheide vom 25.08.2005 setzte der Beklagte (Bekl.) die Erbschaftsteuer
für jeden der Kl. auf 255.303 Euro fest. Dabei berücksichtigte der Bekl. die
Ausgleichszahlungen wie beantragt als Nachlassverbindlichkeit. Die Festsetzung
erfolgte unter dem Vorbehalt der Nachprüfung.
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In der Folge vertrat der Bekl. die Auffassung, dass der Ausgleichszahlung an Frau U
kein zivilrechtlich durchsetzbarer Anspruch zu Grunde gelegen habe. Vielmehr habe
das andauernde persönliche Engagement von Frau U im privaten und beruflichen
Bereich sowie im Bereich der Vermögensverwaltung des Erblassers honoriert und
abgegolten werden sollen. Durch geänderte ErbSt-Bescheide vom 04.11.2005 setzte
der Bekl. deshalb die ErbSt für jeden Kl. auf 330.239 Euro fest, ohne die
Ausgleichszahlung an Frau U als Nachlassverbindlichkeiten zu berücksichtigen.
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Die dagegen erhobenen Einsprüche wies der Bekl. durch EE vom 14.03.2006 als
unbegründet zurück. Zwischen dem Erblasser und Frau U habe keine Innengesellschaft
i. S. d. BGH-Rechtsprechung zum Ausgleichsanspruch bei Beendigung nichtehelicher
Lebensgemeinschaften bestanden. Insbesondere habe Frau U kein Unternehmerrisiko
getragen und sei lediglich als Arbeitnehmerin tätig gewesen. Zu den weiteren
Einzelheiten wird auf die EE’en (Bl. 186 ff. der Steuerakte) hingewiesen.
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Mit ihren Klagen vom 03.04.2006 verfolgen die Kl. ihr Begehren auf Berücksichtigung
der Zahlung an Frau U als Nachlassverbindlichkeit weiter. Sie vertreten die Auffassung,
dass Frau U bei Beendigung der Lebensgemeinschaft mit dem Erblasser ein
Ausgleichsanspruch nach den vom BGH entwickelten Grundsätzen zustehe. So hätten
der Erblasser und Frau U ein Handelsunternehmen gegründet und geführt und danach
mit einem gewissen Grundkapital ein erhebliches Immobilienvermögen aufgebaut. Es
sei allerdings zutreffend, dass der Immobilienbesitz auf den Namen des Erblassers
erworben und verwaltet worden sei. Jedenfalls sei die über das Maß einer üblichen
häuslichen Mitarbeit hinausgehende Tätigkeit von Frau U sowohl beim Betrieb der
Filialkette als auch beim Erwerb und der Verwaltung des Immobilienvermögens allseits
– auch von den Kl. – anerkannt worden. Auch habe der Erblasser immer wieder darauf
hingewiesen, dass das Vermögen zum Teil seiner Partnerin zustehe. Zu einer
testamentarischen Regelung sei es allein aufgrund des unerwarteten Todes des
Erblassers nicht gekommen.
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Die Kl. beantragen,
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die ErbSt-Bescheide vom 04.11.2005 und die EE’en vom 14.03.2006 aufzuheben und
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die ErbSt auf 255.303 Euro festzusetzen.
Der Bekl. beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Unter Bezugnahme auf seine EE verweist er darauf, dass im Rahmen einer
nichtehelichen Lebensgemeinschaft persönliche und wirtschaftliche Leistungen nicht
gegeneinander auf- oder untereinander abgerechnet würden. Die tatsächliche Mitarbeit
von Frau U bei dem Aufbau der Einzelhandelskette sowie der Verwaltung der vom
Erblasser angeschafften Immobilien allein genüge nicht, um ein durch schlüssiges
Verhalten zu Stande gekommenes Austauschverhältnis zu begründen. Es sei nicht
belegmäßig nachgewiesen, dass Frau U zum Aufbau des Vermögens des Erblassers
finanziell beigetragen habe. Auch könne nicht ausgeschlossen werden, dass Frau U
bereits zu Lebzeiten – das Vorliegen einer BGB-Innengesellschaft unterstellt – einen
entsprechenden Ausgleich erhalten habe, da sie trotz fehlender monatlicher Entlohnung
Immobilien erworben und Kapitalvermögen aufgebaut habe.
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Die Berichterstatterin hat den Sach- und Streitstand mit den Beteiligten am 30.11.2007
erörtert und Frau U als Auskunftsperson gehört. Zu den Einzelheiten wird auf das
Protokoll des Erörterungstermins (Bl. 65 f der GA 3 K 1354/06) Bezug genommen.
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Der Senat hat in der Sache am 29.05.2008 mündlich verhandelt und Frau U als Zeugin
vernommen. Zu den Einzelheiten wird auf die Sitzungsniederschrift hingewiesen.
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Entscheidungsgründe
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Die Klage ist begründet. Die angefochtenen Bescheide und die
Einspruchsentscheidungen sind rechtswidrig und verletzen die Kl. in ihren Rechten,
weil der Bekl. den durch Frau U geltend gemachten Ausgleichsanspruch nicht als
Nachlassverbindlichkeit gem. § 10 Abs. 5 Nr. 1 ErbStG berücksichtigt hat.
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Gem. § 10 Abs. 5 Nr. 1 ErbStG sind die vom Erblasser herrührenden Schulden als
Nachlassverbindlichkeiten abzugsfähig. Es muss sich insoweit – in Abgrenzung zu den
Eigenschulden des Erben – um noch in der Person des Erblassers begründete
Verbindlichkeiten handeln. Soweit Verbindlichkeiten mit oder erst nach dem Tod des
Erblassers rechtswirksam entstehen, ist Voraussetzung für die Abzugsfähigkeit, dass sie
auf einem von ihm gesetzten oder ihm zurechenbaren Rechtsgrund beruhen (vgl.
Troll/Gebel/Jülicher Erbschaftsteuer- und Schenkungsteuergesetz Kommentar, § 10 Rdz
119 und 121). Ein auf der Anwendung gesellschaftsrechtlicher Grundsätze beruhender
Ausgleichsanspruch entsprechend §§ 730 ff. BGB bei Beendigung einer nichtehelichen
Lebensgemeinschaft durch Tod ist eine vom Erblasser herrührende Schuld i. S. d. § 10
Abs. 5 Nr. 1 ErbStG, da der Anspruch auf einem vom Erblasser gesetzten bzw. ihm
zurechenbaren Rechtsgrund – nämlich der Begründung und Führung einer
zivilrechtlichen Innengesellschaft über die nichteheliche Lebens- und
Wirtschaftsgemeinschaft hinaus – beruht.
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Der Lebenspartnerin des Erblassers stand bei Beendigung der Lebensgemeinschaft ein
Ausgleichsanspruch nach gesellschaftsrechtlichen Grundsätzen zu. Dieser
Ausgleichsanspruch ist als Nachlassverbindlichkeit i.S.d. § 10 Abs. 5 Nr. 1 ErbStG
abzugsfähig.
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Grundsätzlich bestehen bei Beendigung einer nichtehelichen Lebensgemeinschaft
keinerlei gegenseitige Ansprüche, da im Rahmen dieser Lebensgemeinschaft die
persönlichen Beziehungen derart im Vordergrund stehen, dass sie auch das die
Gemeinschaft betreffende vermögensmäßige Handeln der Partner bestimmen und
daher nicht nur in persönlicher, sondern auch in wirtschaftlicher Hinsicht grundsätzlich
keine Rechtsgemeinschaft besteht.
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Gleichwohl kann die Anwendung gesellschaftsrechtlicher Grundsätze ausnahmsweise
dann in Betracht kommen, wenn beide Partner durch gemeinsame Leistungen zur
Schaffung eines Vermögenswertes von erheblicher wirtschaftlicher Bedeutung
beitragen, den sie als gemeinsames Vermögen betrachten, auch wenn der
Vermögensgegenstand rechtlich nur einem der Partner zugeordnet ist. Dann verfolgen
nämlich die Partner einer eheähnlichen Lebensgemeinschaft über den Zweck der
Führung der Lebensgemeinschaft hinaus den Zweck, gemeinsam einen wirtschaftlichen
Wert zu schaffen, der von ihnen nicht nur gemeinsam genutzt werden, sondern ihn nach
ihrer Vorstellung auch gemeinsam gehören soll, in der Form einer sog.
Innengesellschaft (vgl. BGH, Urteile vom 28.09.2005 XII ZR 189/02, BGHZ 165, 1; vom
12.07.1982 II Z R 263/81, BGHZ 84, 388). Dabei kann nach Auffassung des BGH (Urteil
vom 04.11.1991 II Z R 26/91, NJW 1992, 906) die formale Zuordnung des Eigentums auf
einen der Partner nicht in jedem Falle ausschlaggebendes Indiz gegen eine
wirtschaftlich gemeinschaftliche Wertschöpfung sein. Ob die Partner der
Lebensgemeinschaft den Willen zur gemeinsamen Wertschöpfung hatten, ist anhand
einer Gesamtwürdigung aller Umstände zu beurteilen, wobei insbesondere etwaige
getroffene Absprachen, die wirtschaftliche Bedeutung des Objekts, der Umfang der
jeweiligen Beiträge der Partner und die finanziellen Verhältnisse der Partner
heranzuziehen sind. Jedenfalls setzt die Annahme einer nach gesellschaftsrechtlichen
Grundsätzen zu beurteilenden Zusammenarbeit der Partnen einen zumindest schlüssig
zustande gekommenen Vertrag voraus. Kann daraufhin eine Innengesellschaft der
Partner angenommen werden, so sind beiderseitige Leistungen gegeneinander zu
verrechnen und das Gesellschaftsvermögen bei einer Trennung entsprechend
auseinander zu setzen (vgl. Urteile des OLG Frankfurt vom 26.05.1999 19 U 98/98, ZEV
1999, 404 m. w. N. zur Rspr., des BGH vom 10.01.2000 II ZR 2047/98, ZEV 2000, 373).
Diese Grundsätze gelten nicht nur dann, wenn eine derartige Partnerschaft scheitert,
sondern auch im Fall ihrer Beendigung durch den Tod eines der Partner (vgl. BGH,
Urteil vom 31.10.2007 XII ZR 261/04, ZEV 2008, 41).
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Unter Berücksichtigung dieser Voraussetzungen und der Aussagen von Frau U sowohl
im Erörterungstermin als auch in der mündlichen Verhandlung geht der Senat davon
aus, dass zwischen dem Erblasser und Frau U eine Innengesellschaft i.S.d. vom BGH
dazu entwickelten Grundsätze bestand. Zwischen Frau U und dem Erblasser ist
zumindest schlüssig ein Vertrag über die Begründung einer Innengesellschaft zunächst
mit dem Zweck der Führung eines Gewerbebetriebs, danach mit dem Ziel gemeinsamer
Vermögensverwaltung in erheblichem Umfang zustande gekommen. Es war der
gemeinsame Wille vorhanden, im Zusammenwirken gemeinsame Werte zu schaffen,
die, auch wenn sie rechtlich jeweils nur einem der Partner zugeordnet waren, ihnen
doch gemeinsam gehören sollten.
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So haben nach den glaubhaften und vom Bekl. auch nicht angezweifelten
Darstellungen von Frau U der Erblasser und sie beschlossen, "zusammen etwas zu
tun". In Umsetzung dieses Entschlusses haben beide gemeinsam von 1980 an zunächst
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ein Filialunternehmen mit zuletzt 15 Einzelgeschäften aufgebaut und geführt. Dabei hat
auch Frau U eigene Ersparnisse als Startkapital in das Vorhaben eingebracht und ihren
ursprünglichen Beruf (Beamtin des mittleren Dienstes der Finanzverwaltung)
aufgegeben, um ihre Mitarbeit in dem Unternehmen zu ermöglichen. Nach und nach
sind dann die Filialgeschäfte übertragen bzw. veräußert und das Immobilienvermögen
aufgebaut worden. Es handelt sich insoweit um wirtschaftliche Aktivitäten erheblichen
Umfangs, wobei der daraus resultierende Arbeitsanfall gemeinschaftlich vom Erblasser
und Frau U geschultert wurde und weit über das hinausging, was im Rahmen einer
durch familiäre oder partnerschaftliche Beziehungen veranlasste Mitarbeit als üblich
anzusehen ist. Dass in diesem Zusammenhang das Vermögen im wesentlichen vom
Erblasser und nur zu einem geringen Teil von Frau U erworben wurde, spricht
vorliegend nach Auffassung des Senats nicht gegen das Bestehen einer
Innengesellschaft. Die rechtliche Zuordnung des erworbenen Vermögens auf nur einen
Partner ist nach der zitierten Rechtsprechung des BGH ohnehin kein notwendig gegen
das Bestehen einer Innengesellschaft sprechendes Indiz. Im vorliegenden Fall hat Frau
U auch nachvollziehbar dargelegt, warum letztlich mehr Vermögen auf den Namen des
Erblassers als auf ihren eigenen Namen erworben wurde. Zu Beginn der gemeinsamen
Tätigkeit stand sie selbst noch im Dienst der Finanzverwaltung und konnte demgemäß
nicht gleichzeitig einen Betrieb unterhalten. Aus diesem Grund ist nach ihrem Bekunden
auch ein Geschäft zunächst auf ihre Mutter angemeldet worden. Dieser Umstand zeigt
nach Auffassung des Senats bereits, dass der Erblasser und Frau U in Umsetzung ihres
gemeinsamen Entschlusses "zusammen reich" zu werden auch daran gedacht hatten,
erworbenes Vermögen auf beide Partner zu verteilen. Dass es im weiteren Ablauf
infolge von Zufällen und aus finanzierungs- und risikotaktischen Gründen zu einer
ungleichmäßigen Vermögensverteilung gekommen ist, schadet insoweit nicht. Denn es
bestand Einigkeit dahingehend, dass das Vermögen beiden gemeinsam zustehen
sollte.
Danach stand Frau U beim Tod des Erblassers ein Ausgleichsanspruch hinsichtlich des
durch ihre gemeinsame Tätigkeit erworbenen Vermögens zu, den sie einvernehmlich
mit den Kl. auf 822.607 Euro beziffert hat. In dieser Höhe sind
Nachlassverbindlichkeiten gem. § 10 Abs. 5 Nr. 1 ErbStG zu berücksichtigen.
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO, die Entscheidung zur vorläufigen
Vollstreckbarkeit auf §§ 155 FGO, 708 und 711 ZPO.
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