Urteil des FG Münster vom 09.07.2003

FG Münster (Treu Und Glauben, Wiedereinsetzung in den Vorigen Stand, Die Post, Steuerberater, Verwirkung, Konkludentes Verhalten, Zugang, Bilanz, Bekanntgabe, Zustellung)

Datum:
Gericht:
Spruchkörper:
Entscheidungsart:
Tenor:
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Aktenzeichen:
Finanzgericht Münster, 1 K 6301/99 E
09.07.2003
Finanzgericht Münster
1. Senat
Urteil
1 K 6301/99 E
Die Klage wird abgewiesen.
Die Kosten des Verfahrens trägt der Kläger
Ta t b e s t a n d
Strittig ist die Bekanntgabe eines Bescheides über einen höheren Teilwert gemäß § 55
Abs. 5 Einkommensteuergesetz (EStG) sowie die Bewertung eines dort genannten
Grundstücks.
Der Kläger war als Landwirt tätig. Im Rahmen einer steuerlichen Außenprüfung durch das
Finanzamt für Betriebsprüfung der Land- und Forstwirtschaft in 1993 für die
Wirtschaftsjahre 1987/1988 - 1991/1992 wurden u.a. Grundstücksverkäufe korrigiert. Die
entsprechenden Einkommensteuerbescheide ergingen in 1996. Gegen diese wurde
Einspruch erhoben mit der Begründung, dass der Beklagte einen Antrag auf Feststellung
des höheren Teilwertes vom 19.12.1975, der u.a. auch das Grundstück in C, Flur 16, Nr.
172 betraf, bislang nicht beschieden hätte. Dieser Antrag war vom verstorbenen
Steuerberater des Klägers, dem Steuerberater Dr. D, im Namen des Klägers gestellt
worden. Ausweislich der Akten des Beklagten (Bl. 48 der Vermögensteuerakte Bd. III) war
der Bescheid über die Feststellung des Teilwertes/der Teilwerte für Grund und Boden am
1.7.1970 nach § 55 Abs. 5 EStG vom 7.12.1997 am 12.12.1977 zur Post aufgegeben
worden. In diesem an den Kläger unter der Anschrift ... adressierten Bescheid wurde für "C,
Flur 16, Nr. 322 - 347 (früher Flur 16 Nr. 207) HF, S" ein Teilwert am 1.7.1970 von 545.625
DM festgestellt. In den Erläuterungen hieß es wörtlich:
"Für die Flächen C, Flur 16, Nr. 172 und E Kspl., Flur 38, Nr. 64 ist eine Bewertung mit dem
Teilwert nicht möglich, da bis heute kein rechtskräftiger Bebauungsplan für diese Flächen
besteht und zum 1.7.1970 keine Gründe für eine Höherbewertung vorlagen. Für die in der
beigefügten Anlage aufgeführten Flächen ist ein höherer Teilwert nicht festzustellen, da
diese Grundstücke seit dem 1.1.68 zum Privatvermögen gehören. (Telefongespräch mit
Ihrem Berater vom 25.5.76)."
Auf der Vorderseite dieses Bescheides war "25 DM/m2" handschriftlich vermerkt.
Auf der Rückseite zu einer Mitteilung des verstorbenen Steuerberaters des Klägers vom
19.12.1975 über den Verkauf von Grundstücken (Bl. 47 d. Vermögens-steuerakte Bd. III)
befindet sich der folgende Vermerk vom 25.5.1976:
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"Die Grundstücke lagen seit 1968 alle im Bebauungsgebiet. Der Teilwert zum 1.7.1970 lag
somit weit über den durchschnittli. Wert f. die Landw. Grundstücke. Da alle Grundstücke
(mit Ausnahme der privaten Grundst.) vor dem 1.7.1972 verkauft wurden, ist somit kein
Veräußerungsgewinn festzustellen. Eine Feststellung des höheren TWs erübrigt sich. (Mit
Berater besprochen). Ab 1.1.68 Grundvermögen."
Der im Bescheid vom 12.12.1977 festgestellte Teilwert ist bereits in der Bilanz zum
30.6.1978 berücksichtigt worden. Daneben waren diese Teilwerte Gegenstand
verschiedener steuerlicher Außenprüfungen. So wurde in Anlage 3 zum Bp-Bericht vom
14.6.1983 für das fragliche Grundstück (23.564 qm) ein anzusetzender Wert von 235.640
DM (= 10 DM/qm) ermittelt. In der nachfolgenden Anschlussprüfung bestand Einigkeit
zwischen den Parteien, dass noch 20.000 qm dieser Fläche Teil des landwirtschaftlichen
Grund- und Bodenwertes seien. In Anlage 7 des entsprechenden Berichtes ist der gesamte
Grund und Boden per 30.6.1987 mit 1.588.529,40 DM angesetzt worden. In beiden Fällen
bestand Einigkeit zwischen den Parteien.
Im April 1986 kam es zu einem Brand des Wohnhauses des Klägers, bei dem auch
Unterlagen vernichtet wurden.
Das fragliche Grundstück in C, Flur 16, Nr. 172 lag nach dem Bebauungsplan 1967 zwar
außerhalb dieses Bebauungsplan, war aber von Baugebiet umgeben. Die ehemalige
Hofstelle befand sich auch auf diesem Grundstück.
Mit Schreiben vom 16.1.1997 hatte der jetzige steuerliche Berater des Klägers, die B-
Steuerberatungsgesellschaft mbH, um Überprüfung hinsichtlich der Bescheidung des
Antrags gemäß § 55 Abs. 5 EStG gebeten und in diesem Schreiben angegeben, dass nach
Auskunft der Kläger "ein einschlägiger Antrag auf höhere Teilwertfeststellung i.S.v. § 55
Abs. 5 EStG bei der zuständigen Finanzverwaltung gestellt und auch entsprechend
beschieden" worden sei.
Der Feststellungsbescheid wurde in Kopie dem Schreiben des Beklagten vom 28.1.1997
an den jetzigen Steuerberater des Klägers beigefügt. Gegen den Feststellungsbescheid in
Kopie legte der Kläger am 28.2.1997 Einspruch ein. Die
B-Steuerberatunggesellschaft wies darauf hin, dass sie hinsichtlich eines
Feststellungsbescheides gemäß § 55 Abs. 5 EStG keine Empfangsvollmacht besitze.
Im Einspruchsverfahren gab das Büro des verstorbenen Steuerberaters an, dass ein
Original des Feststellungsbescheides in den alten Akten nicht vorhanden sei. Allerdings
sei aus den Akten ersichtlich, dass am 3.7.1979 eine Kopie des Bescheides vom
verstorbenen Steuerberater beim Finanzamt abgeholt worden sei. Die im Bescheid
angesprochene Anlage soll allerdings ausweislich eines Vermerks des verstorbenen
Steuerberaters nicht übergeben worden sein. Mit Einspruchsentscheidung vom 7.9.1999
wies der Beklagte den Einspruch gegen den Feststellungsbescheid gemäß § 55 Abs. 5
EStG als unzulässig zurück.
Der Kläger reichte am 6.10.1999 Klage ein. Er begehrt den Erlass des am 19.12.1975
beantragten Feststellungsbescheides. Dieser Bescheid sei ihm bislang nicht zugegangen.
Die Überreichung der Kopie an den verstorbenen steuerlichen Berater am 3.7.1979 sei
unbeachtlich, da eine Empfangsvollmacht dieses Beraters nicht vorgelegen habe. Auch
habe dieser lediglich Informationen beim Beklagten eingefordert. Er habe nicht als
Empfangsbote auftreten wollen. Die Zusendung der Kopie des Feststellungsbescheides
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mit Schreiben vom 28.1.1997 an die B-Steuerberatungsgesellschaft mbH sei ebenfalls
mangels Empfangsvollmacht unbeachtlich. Der in den Akten befindliche Bescheid sei
außerdem vorläufig hinsichtlich des fraglichen Grundstücks, da eine abschließende
Klärung der Zugehörigkeit der Grundstücke zu den Flurstücken noch nötig gewesen sei.
Die Ablehnung sei nur im Erläuterungsteil und nicht im Feststellungsteil erfolgt, sodass ein
Verwaltungsakt nicht vorliegen könne. Dies ergebe sich auch daraus, dass die Anlage, auf
die im Bescheid hingewiesen werde, fehle, sodass es an der nötigen Bestimmtheit des
Bescheides fehle. Zu beachten sei weiter, dass für eine Ablehnung des Antrages auf
Feststellung gemäß § 55 Abs. 5 EStG der Sachbearbeiter an sich das dafür vorgesehene
Kästchen anzukreuzen und die entsprechende Fläche unter lfd. Nr. 2 aufzuführen habe.
Hinsichtlich des festzustellenden Teilwerts geht der Kläger davon aus, dass der beantragte
Wert von 25 DM/qm anzusetzen sei. Es handele sich um eine Fläche im Innenbereich, mit
einer Bebauung sei zu rechnen gewesen. Diese sei auch nach § 34 BauGB a.F. möglich
gewesen, ohne dass es eines Bebauungsplanes bedurft hätte. Eine Fläche von 3.723 qm
der insgesamt 23.574 qm großen Fläche sei außerdem bereits im Bebauungsplan vom
7.6.1968 überplant gewesen. Dies ergebe sich aus der Erklärung des Klägers anlässlich
der steuerlichen Schlussbesprechung vom 5.10.1989.
Hinsichtlich des vom Beklagten erhobenen Einwandes der Verwirkung zu Lasten des
Klägers ist dieser der Rechtsansicht, dass das nötige Umstandsmoment nicht vorliege. Das
Fehlen des Feststellungsbescheides sei erst im Rahmen der Einkommensbesteuerung
1990 bis 1995 aufgefallen. Als das Fehlen dieses Feststellungsbescheides erkannt worden
sei, sei umgehend Einspruch eingelegt worden.
Der Kläger beantragt sinngemäß,
den Beklagten unter Aufhebung des Einspruchsbescheids vom 7.9.1999 zu verpflichten,
den Antrag des Klägers auf Teilwertfeststellung vom 19.12.1975 dahingehend zu
bescheiden, dass neben den Teilwerten entsprechend der Aktenausfertigung des
Bescheides vom 7.12.1977 auch für die Grundstücksflächen C, Flur 16, Nr. 172 ein Teilwert
in Höhe von 25 DM pro qm gemäß § 55 Abs. 5 EStG festgestellt wird.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Er behauptet, dass der Bescheid dem Kläger bereits im Dezember 1977 bekannt gegeben
worden sei. Dies zeige auch der Ansatz der im Bescheid vom 7.12.1977 festgestellten
Teilwerte in der Bilanz zum 30.6.1978. Der Bescheid könne anlässlich des Brandes des
Hauses des Klägers vernichtet worden sein. Der Beklagte ist der Ansicht, dass der Kläger
auf Grund seiner Verhaltensweise sein Einspruchsrecht verwirkt hat. Dabei verweist er
neben dem Ansatz des Wertes in den Bilanzen, der Aushändigung einer Kopie an den
verstorbenen steuerlichen Berater auch auf die angeblich enge Abstimmung des Klägers
mit dem verstorbenen steuerlichen Berater. Zu beachten sei auch, dass über den Wert des
fraglichen Grundstücks in verschiedenen steuerlichen Außenprüfungen Einigkeit
bestanden hätte. Das Verhalten des Klägers sei keine bloße Passivität sondern ein aktives
Handeln mit dem Inhalt, die Regelung des Feststellungsbescheides des Beklagten
umzusetzen.
Hinsichtlich des Wertansatzes von 25 DM/qm weist der Beklagte darauf hin, dass es sich
anders als bei den sonstigen im Bescheid vom 7.12.1977 bezeichneten Grundstücken um
ein bebautes Grundstück handele. Bei diesem seien die Kosten der Freilegung
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(Abrisskosten, Beseitigung von Wegebefestigungen etc.) zu berücksichtigen. Auch weist
der Beklagte darauf hin, dass hinsichtlich des Nachweises des Teilwertes seiner Meinung
nach der § 55 EStG eine Ausschlussfrist vorsehe, sodass eine Nachholung der
Begründung des Teilwertes im laufenden Verfahren nicht mehr möglich sei.
Hinsichtlich der Frage des Umfangs der Begründung verweist der Beklagte auf § 121 Abs.
2 Nr. 2 AO, wonach es einer Begründung nicht bedürfe, wenn dem Adressaten die
Auffassung der Finanzverwaltung bereits bekannt sei oder ohne schriftliche Begründung
erkennbar sei. Dies sei hier auf Grund des Telefonates mit dem Berater der Fall gewesen.
Die Kenntnis des Beraters hätten sich die Kläger zuzurechnen.
Der Berichterstatter hat mit den Beteiligten den Sach- und Streitstand am 13.9.2002 erörtert.
Auf das Protokoll zum Erörterungstermin wird verwiesen. Im Erörterungstermin übergab der
Prozessvertreter der Kläger Kopien eines Einspruchsschreibens des verstorbenen
Steuerberaters der Klägers vom 14.4.1978, worin dieser u.a. darauf hinweist, dass eine
Feststellung des Teilwerts durch das Finanzamt bisher nicht durchgeführt worden sei. Im
Erörterungstermin gab der Kläger an, seinem verstorbenen steuerlichen Berater
Empfangsvollmacht gegeben zu haben, was der Prozessvertreter aber bestritt. Der
Beklagte teilte nach dem Erörterungstermin mit, dass eine Empfangsvollmacht des
verstorbenen Prozessvertreters aus seinen Akten nicht ersichtlich sei.
Hinsichtlich des Weiteren Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und
der beigezogenen Verwaltungsvorgänge verwiesen.
E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e
Die Klage ist unbegründet.
Der Feststellungsbescheid vom 12.12.1977 ist dem Kläger am 3.7.1979 durch Überreichen
einer Kopie dieses Bescheides an den verstorbenen steuerlichen Berater wirksam bekannt
gegeben worden. Auch ist das Recht auf Bescheidung des Antrags vom 19.12.1975
verwirkt.
1. Bei dem Bescheid über die Feststellung des Teilwerts/der Teilwerte für Grund und
Boden am 1. Juli 1970 nach § 55 Abs. 5 EStG vom 7.12.1977 (Bl. 48 d.
Vermögensteuerakte III) handelt es sich um einen Verwaltungsakt, der hinsichtlich seines
Inhalts weder unbestimmt noch vorläufig ist.
Der Bescheid vom 7.12.1977 ist ein Feststellungsbescheid. Er muss gemäß § 119 Abs. 1
Abgabenordnung (AO) hinreichend bestimmt sein. Dazu müssen gemäß § 181 Abs. 1 AO
i.V.m. § 157 Abs. 1 Satz 2 AO zumindestens die Besteuerungsgrundlage und der
Feststellungsbeteiligte bezeichnet sein (vgl. Tipke/Kruse, AO, § 179, Tz. 5).
Feststellungsbeteiligter ist im vorliegenden Fall der Kläger. Festgestellt wird der Wert der
Grundstücke "C, Flur 16, Nr. 322 - 347 (früher Flur 16 Nr. 207)" sowie der Grundstücke C,
Flur 16, Nr. 172 und E Kspl., Flur 38, Nr. 64. Soweit es um die Feststellung der
Grundstücke "C, Flur 16, Nr. 322 - 347" geht, erfolgte eine positive Feststellung durch den
entsprechenden ausdrücklichen Ausspruch im Feststellungsbescheid. Hinsichtlich der
anderen zwei Fluren erfolgte der Ausspruch nicht ausdrücklich. Die Auslegung unter
Berücksichtigung der Begründung und des Kontextes, welche zulässig ist (BFH-Urteil vom
25. 9.1990, IX R 84/88, BFHE 162, 4, BStBl II 1991, 120), führt aber dazu, dass klar ist,
dass u.a. hinsichtlich des hier betroffenen Grundstücks eine negative Feststellung durch
Nichtnennung dieses Grundstücks im Ausspruch erfolgen sollte. Dem
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Feststellungsbescheid vom 7.12.1977 liegt ein Antrag des Klägers zu Grunde, der
sämtliche hier betroffene Grundstücke umfasste. Das Fehlen des Ausspruchs hinsichtlich
der Flur 16, Nr. 172 muss dazu führen, dass der Kläger als Adressat dieses Bescheides
annehmen kann, dass ein Teilwert hinsichtlich der Flur 16, Nr. 172 nicht oder noch nicht
festgestellt werden soll. Liest er die Gründe, so muss ihm klar sein, dass eine Feststellung
nicht erfolgen soll. Auf die im Begründungstext erwähnte Anlage kann es nicht ankommen.
Diese steht im Zusammenhang mit anderen Flächen, die gerade in dieser Anlage
aufgeführt waren. Hinsichtlich der hier fraglichen Fläche ist eine solche Nennung nicht
ersichtlich. Auch wird die Nichtfeststellung der Teilwerte der Grundstücke in dieser Anlage
mit der Zugehörigkeit dieser Flächen zum Privatvermögen des Klägers begründet und nicht
wie im Fall der Nichtfeststellung des Teilwertes des streitigen Grundstücks mit der
fehlenden Existenz eines Bebauungsplans. Für den objektiven Empfänger des
Feststellungsbescheides ist dies auch klar erkennbar. Einer weiter gehenden Begründung
bedurfte es schon deshalb nicht.
Die Feststellung ist in Bezug auf das fragliche Grundstück nicht vorläufig. Ein
entsprechender Zusatz ist in den Gründen nicht angegeben. Man wird die Gründe so
verstehen müssen, dass die Nichtfeststellung auf Grund des fehlenden Bebauungsplans
endgültig sein sollte. Hätte der Beklagte eine Vorläufigkeit seiner Entscheidung gewollt, so
ist davon auszugehen, dass dies entsprechend den Vorschriften der §§ 164, 165 AO
kenntlich gemacht worden wäre.
2. Der Feststellungsbescheid ist dem Kläger wirksam bekannt gegeben worden. Gemäß §
124 Abs. 1 Satz 1 AO wird ein Verwaltungsakt in dem Zeitpunkt wirksam, in dem er bekannt
gegeben wird. Bekanntgabe eines Verwaltungsakts liegt gemäß § 122 Abs. 1 Satz 1 AO
vor, wenn der Verwaltungsakt demjenigen Beteiligten bekannt gegeben wird, für den er
bestimmt ist. Gemäß § 122 Abs. 1 Satz 3 AO kann auch gegenüber einem
Bevollmächtigten bekannt gegeben werden. Ein schriftlicher Verwaltungsakt wie der
vorliegende Feststellungsbescheid, der durch die Post übermittelt wird, gilt gemäß § 122
Abs. 2 Nr. 1 AO am dritten Tag nach der Aufgabe als bekannt gegeben, außer wenn er
nicht zugegangen ist.
Im vorliegenden Fall fehlt es nach der Überzeugung des Gerichts an einem Zugang der
Feststellungsbescheides vom 7.12.1977 im Dezember 1977. Ein solcher Zugang wird von
dem Kläger wirksam bestritten. Der Beweis des Zugangs ist dem Beklagten nicht gelungen.
Der Kläger bestreitet, den Feststellungsbescheid überhaupt erhalten zu haben. Bloßes
Bestreiten des Zugangs reicht aus, wenn es in der Natur der Sache liegt, dass die Gründe
für den fehlenden Zugang gerade nicht substantiiert dargelegt werden können (BFH-Urteil
vom 5.12.1974 V R 111/74, BFHE 114, 176, BStBl II 1975, 256). Etwas anderes kann auch
im vorliegenden Fall nicht gelten. Hat der Kläger den Feststellungsbescheid nicht erhalten,
so kann er nicht darlegen, warum dieser Zugang nicht erfolgte. Es kommt deshalb nicht
darauf an, ob die Post ggf. auf Grund der nur abgekürzt wiedergegebenen Adresse die
Wohnung des Klägers in 1977 zustellen konnte oder nicht. Auch das hier erst Jahre später
ein Bestreiten des Zugangs in Folge einer steuerlichen Außenprüfung erfolgt, bei der die
Werte für das fragliche Rolle eine Bedeutung erlangen, rechtfertigen es nicht, eine höhere
Anforderung an die Substantiierung dieses Bestreitens zu stellen. Solche Umstände sind
im Rahmen der Prüfung einer Verwirkung zu berücksichtigen. Hinsichtlich des Grades der
Substantiierung bleibt festzuhalten, dass gerade nach Jahren ein Steuerpflichtiger eher
weniger vortragen kann als im unmittelbaren zeitlichen Zusammenhang mit der
Versendung des Schriftstücks. Im vorliegenden Fall muss deshalb das unsubstantiierte
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Bestreiten des Klägers, den Bescheid nicht erhalten zu haben, ausreichen.
Der Beklagte hat folglich gemäß § 122 Abs. 2 AO den Zugang des
Feststellungsbescheides im Dezember 1977 zu beweisen. Es gelten die allgemeinen
Beweisregeln, insbesondere die des Indizienbeweises (BFH-Urteil vom 23.2.1994 X R
27/92, BFH/NV 1994, 768). Die vorliegenden Indizien hat das Gericht im Rahmen der freien
Beweiswürdigung gemäß § 96 Finanzgerichtsordnung (FGO) zu würdigen. Ein
Anscheinsbeweis des Zugangs auf Grund des Vermerks der Aufgabe in den
Verwaltungsakten existiert nicht (BFH-Urteil vom 12.3.2003 X R 17/99, BFH/NV 2003,
1031; vom 14.3.1989 VII R 75/85, BFHE 156, 66, BStBl II 1989, 534).
Die vom Beklagten benannten Indizien reichen hier nicht aus, um den Zugang des
Bescheides beim Kläger anzunehmen. Das vom Beklagten vorgebrachte Indiz, dass die im
Bescheid vom 7.12.1977 festgestellten Teilwerte für die anderen Grundstücke bereits in der
Bilanz zum 30.6.1978 berücksichtigt worden sind, ist an sich ein sehr starkes Indiz dafür,
dass dem Kläger der Bescheid vom 7.12.1977 zugegangen sein muss. Hier ist allerdings
zu berücksichtigen, dass ein Gespräch zwischen dem Berater und dem zuständigen
Bearbeiter am 25.5.1976 stattgefunden hat. Gegenstand dieses Gespräches waren
zumindest die in der Anlage zum Bescheid aufgeführten Flächen, die seit dem 1.1.1968 im
Privatvermögen gehalten wurden. Dies ergibt sich unmittelbar aus dem Gesprächsvermerk
vom 25.5.1976. Es ist durchaus denkbar, dass in diesem Gespräch auch über die anderen
im Antrag vom 19.12.1975 genannten Grundstücke und damit auch über deren Teilwerte
gesprochen worden ist. So könnte der verstorbene Steuerberater des Klägers Kenntnis
über die Teilwerte erlangt haben, die er in der Bilanz zum 30.6.1978 ansetzte.
Gegen die Ansicht des Beklagten, dass der Kläger den Bescheid vom 7.12.1977 noch im
Dezember 1977 erhalten habe, und damit gegen das Indiz des Zugangs auf Grund des
Ansatzes in der Bilanz zum 30.6.1978, spricht aber auch, dass der verstorbene
Steuerberater noch im April 1978 auf die fehlende Bescheidung des Antrages im Rahmen
eines Einspruchsverfahrens in anderer Sache hingewiesen hat. Dies lässt sich nur so
erklären, dass der Berater zu diesem Zeitpunkt den Bescheid noch nicht kannte. Da dieser
Bescheid dem Kläger direkt zugesandt werden sollte, ist weiter davon auszugehen, dass
dieser Bescheid dann auch dem Kläger noch nicht bekannt war. Hätte er den Bescheid
gehabt, so ist nicht erkennbar, warum er diesen nicht an den Berater zur Überprüfung
weitergereicht hätte. Hierfür spricht etwa auch die Aussage des Klägers im
Erörterungstermin, dass er stets in enger Abstimmung mit dem Berater gehandelt habe.
Eine Behauptung, die auch vom Beklagten für sehr glaubhaft gehalten wird, da er sie als
Teil seiner Argumentation im Hinblick auf das Vorliegen einer Verwirkung benutzt.
Gegen das vom Beklagten angeführte Indiz, dass der Zugang durch den Ansatz in der
Bilanz zum 30.6.1978 bewiesen werde, spricht weiter, dass der verstorbene Berater am
3.7.1979 diesen Bescheid in Kopie beim Beklagten abgeholt hat. Zum einen zeigt dieses,
dass dem Berater bis zu diesem Augenblick der Bescheid selbst nicht bekannt war. Dies
wird auch für den Kläger gelten, da schwer vorstellbar ist, dass der Berater ansonsten
diesen Bescheid beim Beklagten extra noch einmal abholte. Zum anderen ist es aber gut
möglich, dass der Berater die Kenntnis über die Zahlen erst auf Grund dieser persönlich
abgeholten Bescheidkopie erlangt hat. Es ist durchaus vorstellbar, dass diese Bilanz vom
30.6.1978 erst nach dem 3.7.1979 erstellt worden ist.
Kein Indiz für den Zugang des Bescheides vom 7.12.1977 ist der später unstreitig
vorliegende Brand des Wohnhauses des Klägers. Dieser erfolgte erst 1986. Auch ist nicht
bekannt, welche Unterlagen verbrannt sind.
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Kein Indiz ist weiter die Aussage des jetzigen steuerlichen Beraters vom 16.1.1997,
wonach eine Bescheidung stattgefunden habe. Dies muss als bloße Annahme des
Beraters wie des Klägers zum damaligen Zeitpunkt zu werten sein.
3. Die Bekanntgabe des Feststellungsbescheides erfolgte durch Übergabe der Kopie des
Bescheides an den verstorbenen Steuerberater am 3.7.1979.
Die Übergabe einer Kopie, so weit sie zutreffend adressiert ist, erfüllt die wirksame
Bekanntgabe, selbst wenn der Beamte bei Übermittlung der Kopie möglicherweise
annimmt, die Urschrift sei bereits bekannt gegeben worden (BFH-Urteil vom 23.2.1994 X R
27/92, BFH/NV 1994, 768). Es ist sowohl in der Rechtsprechung des BFH (Urteil vom
15.1.1991 VII R 86/89, BFH/NV 1992, 81 m. w. N.) wie auch in der Rechtsprechung des
BVerwG (Urteil vom 15. Januar 1988 8 C 8/86, NJW 1988, 1612) anerkannt, dass eine
Fotokopie als besondere Abschrift die für den Adressaten bestimmte Ausfertigung nach
Inhalt und Fassung vollständig wiedergibt und somit eine fehlerhafte Zustellung heilen
kann. Das eine fehlerhafte Zustellung geheilt werden kann, ergibt sich aus § 9
Verwaltungszustellungsgesetz (VwZG). Entscheidend ist dabei, dass seitens der Behörde
ein Bekanntgabewillen vorliegt. Solange ein solcher Bekanntgabewillen weder durch
ausdrückliche Erklärung noch durch konkludentes Verhalten zurückgenommen worden ist,
wirkt er fort und ermöglicht auch dann eine Bekanntgabe, wenn der die Kopie
aushändigende Beamte selbst möglicherweise die Vorstellung hat, dass eine wirksame
Zustellung nach § 122 Abs. 1 AO bereits erfolgte (BFH-Urteil vom 15.1.1991 VII R 86/89,
BFH/NV 1992, 81; vom 23.2.1994 X R 27/92, BFH/NV 1994, 768 m. w. N.). Im vorliegenden
Fall kommt es deshalb allein darauf an, dass eine Kopie des Feststellungsbescheides am
3.7.1979 übergeben worden ist.
Die Heilung der fehlerhaften Zustellung aus Dezember 1977 konnte durch Übergabe der
Kopie an den verstorbenen Empfangsbevollmächtigten des Klägers erfolgen, obwohl der
Feststellungsbescheid an den Kläger persönlich adressiert war und ursprünglich an diesen
auch zugestellt werden sollte. § 9 Abs. 1 VwZG a.F. besagt, dass ein Zustellungsmangel
bei einer formgerechten Zustellung nach dem VwZG dadurch geheilt wird, dass der
Empfangsberechtigte das Schriftstück nachweislich erhalten hat. Hieraus hat die
Rechtsprechung den allgemeinen Rechtsgedanken entwickelt, dass jeder
Zustellungsmangel geheilt wird, wenn der Empfangsberechtigte das entsprechende
Schriftstück erhält (BFH-Urteil vom 15.1.1991 VII R 86/89, BFH/NV 1992, 81 m. w. N.).
Diese Heilungsmöglichkeit wurde im vorliegenden Fall auch nicht durch die Regelung des
§ 9 Abs. 2 VwZG a.F. ausgeschlossen, wonach eine Heilung nach § 9 Abs. 1 VwZG nicht
möglich war, wenn durch die Bekanntgabe eine Rechtsbehelfsfrist begann. Fristen i.S.d. §
9 Abs. 2 VwZG a.F. waren Klage-, Klagebegründungs-, Revisions- oder
Rechtsmittelbegründungsfristen (Tipke/Kruse, § 9 VwZG, Tz. 9). Der gegen den
Feststellungsbescheid zulässige Rechtsbehelf des Einspruches fällt nicht unter die in § 9
Abs. 2 VwZG a.F. genannten Rechtsmittel (BFH-Urteil vom 15.1.1991 VII R 86/89, BFH/NV
1992, 81). Die Möglichkeit einer Sprungklage blieb bei § 9 Abs. 2 VwZG a.F. außer
Betracht (BFH-Beschluss vom 22.11.1976 GrS 1/76, BFHE 121, 9, BStBl II 1977, 247).
Empfangsbevollmächtigter im vorliegenden Fall war der verstorbene Steuerberater des
Klägers. Die Zustellung konnte an ihn in dieser Eigenschaft gemäß § 122 Abs. 1 Satz 3 AO
erfolgen. Seine Empfangsvollmacht beruhte auf einer Duldungsvollmacht des Klägers.
Auch Personen, die nach Rechtsscheingrundsätzen bevollmächtigt sind, fungieren als
Bevollmächtigte i.S.d. § 122 Abs. 1 Satz 3 AO (BFH-Urteil vom 3.3.2003 IX B 206/02,
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BFH/NV 2003, 884). Eine Duldungsvollmacht liegt vor, wenn der Vertretene es wissentlich
geschehen lässt, dass ein anderer für ihn wie ein Vertreter auftritt und der Geschäftsgegner
dieses Dulden nach Treu und Glauben dahin verstehen darf, dass der als Vertreter
Handelnde bevollmächtigt ist (BFH-Urteil vom 28.1.1976 IV R 168/73, BFHE 118, 49, BStBl
II 1976, 344). Dies ist im vorliegenden Fall gegeben. Der verstorbene Steuerberater hat den
Antrag vom 19.12.1975 gefertigt und auch für den Kläger beantragt. Er telefonierte in dieser
Sache mit dem Beklagten und wies in seinem Schreiben vom 14.4.1978 auf die fehlende
Bescheidung des Antrags hin. Dies reichte aus, um auf Seiten des Beklagten davon
ausgehen zu dürfen, dass der verstorbene Steuerberater des Klägers mit
Duldungsvollmacht handelte, als er eine Bescheidkopie beim Beklagten abholte.
Die durch die Zustellung an den verstorbenen Bevollmächtigten des Klägers erfolgte
Bekanntgabe hat zur Folge, dass über den Antrag des Klägers vom 19.12.1975
bestandskräftig entschieden worden ist, da ein Einspruch des Klägers innerhalb der
Rechtsbehelfsfrist des § 355 Abs. 1 Satz 1 AO von einem Monat in 1979 nicht erfolgte. Eine
Wiedereinsetzung in den vorigen Stand scheitert bereits an der Jahresfrist des § 110 Abs. 3
AO. Der Einspruch des Klägers vom 7.9.1999 gegen den Feststellungsbescheid vom
7.12.1977 ist zu spät, die Klage deshalb bereits als unbegründet abzuweisen.
4. Die Klage ist aber auch als unbegründet abzuweisen, da der Anspruch des Klägers auf
Bescheidung des Antrages auf Feststellung gemäß § 55 Abs. 5 EStG im vorliegenden Fall
verwirkt ist.
Ein Recht auf Bescheidung kann nicht zeitlich unbegrenzt geltend gemacht werden. Nach
der Rechtsprechung des BVerfG, des BFH und anderer oberster Gerichtshöhe des Bundes
unterliegen etwa prozessuale Befugnisse der Verwirkung (BFH-Urteil vom 3.12.1975 I R
144/74, BFHE 117, 350, BStBl II 1976, 194 m.w.N.). Das Gleiche gilt für
verfahrensrechtliche Befugnisse eines Steuerpflichtigen. Dies ist Ausfluss des die gesamte
Rechtsordnung beherrschenden Grundsatzes von Treu und Glauben, worauf das
Rechtsinstitut der Verwirkung beruht. Verwirkung gilt anerkanntermaßen deshalb für alle
Beteiligten gleichermaßen auch im Steuerverfahrensrecht (BFH-Urteil vom 19.5.1992 VIII R
37/90, BFH/NV 1993, 87).
Der Tatbestand der Verwirkung setzt sich zusammen aus dem Zeitmoment und dem
Umstandsmoment. Unter dem Zeitmoment ist die zeitweilige Untätigkeit des
Anspruchsberechtigten zu verstehen (BFH-Urteil vom 19.5.1992 VIII R 37/90, BFH/NV
1993, 87). Das Umstandsmoment gliedert sich in den Vertrauenstatbestand und die
Vertrauensfolge. Der Vertrauenstatbestand liegt vor, wenn ein bestimmtes Verhalten des
Anspruchsberechtigten bei objektiver Beurteilung den Verpflichteten darauf vertrauen
lassen durfte, nicht mehr in Anspruch genommen zu werden. Das tatsächlich auf die
Nichtgeltendmachung des Anspruchs erfolgte Vertrauen des Verpflichteten ist die
Vertrauensfolge (BFH-Urteil vom 19.5.1992 VIII R 37/90, BFH/NV 1993, 87).
Im vorliegenden Fall haben sich die Beteiligten anlässlich einer steuerlichen Außenprüfung
in 1983 über den Grundbesitzwert des fraglichen Grundstücks geeinigt. Diese Einigung
liegt bereit 20 Jahre zurück. Der zeitliche Umstand der Verwirkung ist deshalb erfüllt. Diese
Einigung über den anzusetzenden Teilwert hatte weiter zur Folge, dass für alle Beteiligten,
auch für den Beklagten, nunmehr klar war, dass über diesen Wert nicht noch gesondert
eine Feststellung durchzuführen sei. Dementsprechend erfolgte auch bis zum Jahr 1997
kein weiteres Verlangen des Klägers auf Bescheidung des Antrags auf Feststellung nach §
55 Abs. 5 EStG aus 1975. Auf Grund der objektiven Beurteilung dieses Gesamtumstandes
war mit einem solchen Begehren des Klägers auch nicht mehr zu rechnen.
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Vertrauenstatbestand und -folge sind ebenfalls gegeben. Der Anspruch auf Feststellung
nach § 55 Abs. 5 EStG war deshalb bei Geltendmachung im Jahr 1997 bereits verwirkt.
Als weiterer Umstand, der zur Verwirkung dieses Anspruches des Klägers geführt hat, kann
auf die Übergabe der Kopie des Feststellungsbescheides an den verstorbenen
Steuerberater in 1979 abgestellt werden. Da es nach der Übergabe der Kopie weder zu
einem Einspruch seitens des Klägers kam, noch der Kläger bzw. dessen Steuerberater
weiter auf eine Bescheidung drängten, durfte der Beklagte davon ausgehen, dass die
Bescheidung des Antrages aus 1975 auch aus Sicht des Klägers in 1979 erfolgt war. Zeit-
und Umstandsmoment der Verwirkung sind auch in diesem Fall erfüllt.
5. Die Kostenfolge ergibt sich aus § 135 Abs. 1 FGO.