Urteil des FG Münster vom 18.02.2010
FG Münster (einkommen, erstattung, haushalt, auszahlung, gesetzliche grundlage, anrechenbares einkommen, abgrenzung zu, eltern, höhe, familie)
Finanzgericht Münster, 6 K 390/08 AO
Datum:
18.02.2010
Gericht:
Finanzgericht Münster
Spruchkörper:
6. Senat
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
6 K 390/08 AO
Sachgebiet:
Finanz- und Abgabenrecht
Tenor:
Unter teilweiser Aufhebung der Einspruchsentscheidung vom
15.01.2008 und des Abrechnungsteils des Bescheides vom 07.09.2007
wird die Beklagte verpflichtet, einen Teil des festgesetzten Kindergeldes
nach Maßgabe der Urteilsgründe an die Klägerin auszuzahlen. Im
Übrigen wird die Klage abgewiesen.
Die Kosten des Verfahrens tragen die Klägerin zu 94% und die Beklagte
zu 6%.
Die Kosten der Beigeladenen sind nicht erstattungsfähig.
Die Revision wird zugelassen.
Das Urteil ist hinsichtlich des Kostenerstattungsanspruchs vorläufig
vollstreck-bar, sofern die Beklagte nicht zuvor Sicherheit in derselben
Höhe leistet.
Tatbestand:
1
Streitig ist die Erstattung von Kindergeld an die Stadt M (Beigeladene) als
Sozialleistungsträger i.S. des § 74 Abs. 2 Einkommensteuergesetz (EStG).
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Die Klägerin (Kl.) stammt aus Syrien. Sie ist mit Herrn O verheiratet. Beide sind leibliche
Eltern der Kinder S (geb. 25.05.1988), a (geb. 02.04.1989), J (geb. 29.05.1990), Sa (geb.
28.07.1991), Si (geb. 12.04.1995) und Y (geb. 29.05.1999). Die Familie hält sich seit
Juni 1990 in Deutschland auf. Die Kinder lebten im Streitzeitraum - Juni 2000 bis
Februar 2005 - mit den Eltern in einem gemeinsamen Haushalt. Die Kl. und ihr
Ehemann bezogen für sich und ihre Kinder bis zum 31.12.2004 Sozialleistungen von
der Beigeladenen in Form von Hilfe zum Lebensunterhalt,
Unterkunftskostenzuschüssen und Bekleidungsgeldern nach dem
Bundessozialhilfegesetz (BSHG), ab dem 01.01.2005 erhielten sie entsprechende
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Sozialleistungen nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II). Auf die Kinder
entfiel dabei für den Zeitraum von Juni 2000 bis Februar 2005 ein
Gesamtleistungsbetrag i.H. von insgesamt 74.096,30 EUR. Hinsichtlich der monatlichen
Leistungsbeträge sowie weiterer Einzelheiten wird auf die Aufstellung der Beigeladenen
zum Schriftsatz vom 15.08.2008 sowie die von der Beigeladenen vorgelegten
Kostenblätter, Berechnungsprotokolle und Leistungsbescheide verwiesen (Bl. 32 u. 33
Gerichtsakte nebst Anlagenhefter).
Die Kl. hatte am 24.03.2000 und am 13.05.2005 die Festsetzung und Auszahlung von
Kindergeld für ihre sechs Kinder bei der Beklagten (Bekl.) beantragt. Die Bekl. lehnte
die Anträge mit Bescheiden vom 02.05.2000 und 15.06.2005 ab. Ein gegen den
Ablehnungsbescheid vom 02.05.2000 geführtes Einspruchsverfahren blieb erfolglos.
Gegen die Einspruchsentscheidung vom 06.11.2000 erhob die Kl. Klage zum
Finanzgericht Münster (Aktenzeichen 11 K 7481/00 Kg).
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Auf einen erneuten Antrag vom 21.10.2005 setzte die Bekl. mit Bescheid vom
18.11.2005 Kindergeld zugunsten der Kl. für deren sechs Kinder zunächst mit Wirkung
ab Oktober 2005 fest und zahlte die entsprechenden Beträge an die Kl. aus.
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Mit Schreiben vom 11.06.2007 teilte die Beigeladene der Bekl. mit, dass die Kl., ihr
Ehemann und deren Kinder in der Vergangenheit Sozialleistungen bezogen hätten und
machte insofern einen Erstattungsanspruch im Hinblick auf das der Kl. möglicherweise
für zurückliegende Zeiträume zustehende Kindergeld i.S. des § 74 Abs. 2 EStG i.V. mit §
104 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) geltend. Den Erstattungsanspruch wollte
sie vor der Auszahlung noch präzisieren.
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Im Anschluss an zwei Telefonate mit den zuständigen Bearbeitern des Sozialamtes der
Beigeladenen setzte die Bekl. mit auf § 172 Abs. 1 Abgabenordnung (AO) gestütztem
Änderungsbescheid vom 07.09.2007 Kindergeld zugunsten der Kl. für deren sechs
Kinder mit Wirkung ab Juni 2000 bis einschließlich September 2005 fest. Die
nachträgliche Festsetzung des Kindergeldes führte zur Erledigung des
finanzgerichtlichen Verfahrens 11 K 7481/00 Kg in der Hauptsache.
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Mit dem gleichen Bescheid vom 07.09.2007 teilte die Bekl. der Kl. ferner mit, dass der
Kindergeldbetrag für den Zeitraum von Juni 2000 bis einschließlich Februar 2005 i.H.
von 56.322,46 EUR an die Beigeladene erstattet werde, da diese für den
entsprechenden Zeitraum Sozialleistungen ohne die Anrechnung von Kindergeld
gewährt habe. Der Anspruch gelte insofern gemäß § 74 Abs. 2 EStG i.V. mit den §§ 103,
104, 107 SGB X gegenüber der Kl. als erfüllt. Der auf die Monate März bis September
2005 entfallende Kindergeldbetrag i.H. von 6.993,- EUR werde dagegen an die Kl.
ausgezahlt.
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Ebenfalls mit Schreiben vom 07.09.2007 informierte die Bekl. die Beigeladene über die
nachträgliche Kindergeldfestsetzung und die zu erwartenden Erstattungen. Die
Erstattungsbeträge wurden am 11./12.09.2007 an die Beigeladene ausgezahlt.
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Mit Schreiben vom 08.10.2007 legte die Kl. Einspruch gegen den Bescheid der
Familienkasse vom 07.09.2007 ein, soweit darin über die Erstattung und Auszahlung
des Kindergeldes an die Beigeladene entschieden worden war.
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Mit Einspruchsentscheidung vom 15.01.2008 wies die Bekl. den Einspruch als
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unbegründet zurück. Dabei führte sie aus, dass die auf den Zeitraum von Juni 2000 bis
Februar 2005 entfallenden Kindergeldnachzahlungsbeträge i.H. von 56.322,50 EUR zu
Recht gemäß § 74 Abs. 2 EStG i.V. mit den §§ 103, 104, 107 SGB X an die Beigeladene
als nachrangigem Sozialleistungsträger, der für den streitbefangenen Zeitraum
Sozialleistungen für die Kl. und deren Familie erbracht habe, erstattet und überwiesen
worden seien. Der Erstattungsanspruch bestehe gemäß § 104 Abs. 2 SGB X nicht nur,
wenn der andere Leistungsträger seine Leistungen an den kindergeldberechtigten
Elternteil erbracht habe, sondern auch, wenn die Leistungen unmittelbar den Kindern
gewährt worden seien.
Die Kl. hat am 07.02.2008 die vorliegende Klage erhoben.
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Zur Begründung ihrer Klage führt sie aus, dass die Auszahlung des nachträglich
festgesetzten Kindergeldes an die Beigeladene rechtswidrig sei. Auszugehen sei vom
"Zuflussprinzip". Soweit Kindergeld zu leisten sei, müsse dies ungeschmälert direkt dem
Kindergeldberechtigten ausgezahlt werden. Es sei mit der Gesetzeslage nicht zu
vereinbaren, dass Teilzahlungen an den Sozialleistungsträger überwiesen würden.
Dafür sei schon keine gesetzliche Grundlage ersichtlich. Außerdem sei der
Erstattungsanspruch von der Beigeladenen nicht bestimmt genug geltend gemacht
worden. Im Ergebnis hätte daher keine Verrechnung bzw. Erstattung erfolgen dürfen.
Eine solche sei rechtlich nicht haltbar (Verweis auf die Entscheidung des VG Ansbach,
Gerichtsbescheid v. 18.11.2003, Az.: AN 13 K 02.01566).
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Die Kl. beantragt,
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die Bekl. unter teilweise Aufhebung des Bescheides vom 07.09.2007 und der
Einspruchsentscheidung vom 15.01.2008 zu verpflichten, das für den Zeitraum von
Juni 2000 bis einschließlich Februar 2005 festgesetzte Kindergeld für ihre Kinder
S, a, J, Sa, Si und Y i.H. von 56.322,46 EUR an sie auszuzahlen,
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hilfsweise, die Revision zuzulassen.
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Die Bekl. beantragt,
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die Klage abzuweisen,
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hilfsweise, die Revision zuzulassen.
19
Die Bekl. weist im Rahmen ihrer Gegenäußerung erneut darauf hin, dass der Kl. seit
Juni 2000 Sozialleistungen ohne Anrechnung von Kindergeld durch die Beigeladene
gezahlt worden seien. Die Erstattung der nachträglich festgesetzten Kindergeldbeträge
an die Beigeladene als im Bezug auf das Kindergeld nachrangigem
Sozialleistungsträger für den deckungsgleichen Zeitraum sei daher zu Recht erfolgt.
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Der 6. Senat des Finanzgerichts Münster hat die Stadt M mit Beschluss vom 07.08.2008
zu dem Verfahren beigeladen. Mit Beschluss vom 04.01.2010 hat der 6. Senat des
Finanzgerichts Münster einen Antrag der Kl. auf Gewährung von Prozesskostenhilfe
abgelehnt.
21
Der erkennende Senat hat am 18.02.2010 mündlich in der Sache verhandelt. Auf die
Sitzungsniederschrift wird Bezug genommen.
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Hinsichtlich des weiteren Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakten 6 K 390/08
AO und 11 K 7481/00 Kg sowie die beigezogenen Verwaltungsvorgänge
(Kindergeldakte 200852) verwiesen.
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Entscheidungsgründe:
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Die Klage ist zulässig, allerdings nur zum Teil begründet.
25
I. Der Abrechnungsteil des Bescheides vom 07.09.2007 und die
Einspruchsentscheidung vom 15.01.2008 sind insoweit rechtmäßig und verletzen die Kl.
nicht in ihren Rechten, als die von der Beigeladenen im Zeitraum von Juni 2000 bis
Februar 2005 für die Kinder der Kl. erbrachten Sozialleistungen das für den
Streitzeitraum festgesetzte Kindergeld bei monatsweiser Betrachtung übersteigen.
Insofern besteht ein Anspruch der Beigeladenen auf Erstattung des monatlichen
Kindergeldes aus § 74 Abs. 2 EStG i.V. mit den §§ 103, 104, 107 SGB X.
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Dagegen sind der Abrechnungsteil des angefochtenen Bescheides vom 07.09.2007 und
die Einspruchsentscheidung vom 15.01.2008 insoweit rechtswidrig und verletzen die Kl.
in ihren Rechten, als die von der Beigeladenen im Zeitraum von Juni 2000 bis Februar
2005 für die Kinder der Kl. erbrachten Sozialleistungen das für den Streitzeitraum
festgesetzte Kindergeld bei monatsweiser Betrachtung unterschreiten, der jeweilige
Kindergeldanspruch also betragsmäßig über den jeweils gewährten Sozialleistungen
liegt. Insofern besteht ein Anspruch der Beigeladenen auf Erstattung des festgesetzten
Kindergeldes aus § 74 Abs. 2 EStG i.V. mit den §§ 103, 104, 107 SGB X lediglich in der
Höhe der tatsächlich erbrachten und den monatlichen Kindergeldanspruch nicht
erschöpfenden Sozialleistungen. Das diese Sozialleistungen bei monatsweiser
Betrachtung übersteigende Kindergeld ist dagegen noch an die Kl. auszuzahlen.
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Schließlich sind der Abrechnungsteil des angefochtenen Bescheides vom 07.09.2007
und die Einspruchsentscheidung vom 15.01.2008 insoweit rechtwidrig und verletzten
die Kl. in ihren Rechten, als die Erstattung des Kindergeldes an die Beigeladene nur
unter Berücksichtigung eines monatlichen Freibetrages i.H. von 20,50 EUR hätte
erfolgen dürfen (§ 74 Abs. 2 EStG i.V. mit § 104 Abs. 1 S. 2 SGB X, § 76 Abs. 2 Nr. 5
BSHG).
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1) Die Bekl. hat zu Recht festgestellt, dass die Beigeladene wegen der Erbringung
nachrangiger Sozialleistungen für die Kinder der Kl. dem Grunde nach einen Anspruch
auf Erstattung des für den Zeitraum von Juni 2000 bis Februar 2005 festgesetzten
Kindergeldes hat und dass der Anspruch der Kl. auf Auszahlung des Kindergeldes
insofern als erfüllt gilt. Diese Rechtswirkungen folgen aus § 74 Abs. 2 EStG i.V. mit den
§§ 104 Abs. 1 S. 1, Abs. 2, 107 SGB X und § 47 AO.
29
a) Gemäß § 74 Abs. 2 EStG (bis zum Streitjahr 2001 noch § 74 Abs. 3 EStG) gelten die
§§ 102 bis 109 und 111 bis 113 SGB X für Erstattungsansprüche gegen die
Familienkasse im Kindergeldrecht entsprechend.
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§ 104 Abs. 1 S. 1 SGB X bestimmt Folgendes: Hat ein nachrangig verpflichteter
Leistungsträger Sozialleistungen erbracht, ohne dass die Voraussetzungen des § 103
Abs. 1 SGB X vorliegen, ist der Leistungsträger erstattungspflichtig, gegen den der
Berechtigte vorrangig einen Anspruch hat oder hatte, soweit der vorrangig verpflichtete
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Leistungsträger nicht bereits selbst geleistet hat, bevor er von der Leistung des anderen
Leistungsträgers Kenntnis erlangt hat. Ein Erstattungsanspruch besteht gemäß § 104
Abs. 2 SGB X auch dann, wenn von einem nachrangig verpflichteten Leistungsträger für
einen Angehörigen Sozialleistungen erbracht worden sind und ein anderer mit
Rücksicht auf diesen Angehörigen einen Anspruch auf Sozialleistungen gegenüber
einem vorrangig verpflichteten Leistungsträger hat. Soweit ein entsprechender
Erstattungsanspruch besteht, gilt der Anspruch des Berechtigten gegen den vorrangig
zur Leistung verpflichteten Leistungsträger als erfüllt (§ 107 Abs. 1 SGB X) und ist damit
erloschen (§ 47 AO).
Die in den zitierten Vorschriften zum Ausdruck kommenden Tatbestandsmerkmale der
Gleichartigkeit sowie des Vor- und Nachrangverhältnisses sieht der erkennende Senat
im Streitfall für das zugunsten der Kl. festgesetzte Kindergeld einerseits und die den
Kindern der Kl. gewährten Sozialleistungen andererseits als erfüllt an.
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b) Das der Kl. zustehende Kindergeld und die den Kindern der Kl. seitens der
Beigeladenen in der Vergangenheit gewährten Sozialleistungen sind gleichartige
Leistungen.
33
Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts setzt § 104 Abs. 1 SGB X eine
Gleichartigkeit der Leistungen der beiden im Erstattungsverhältnis stehenden
Sozialleistungsträger voraus, weil nach dem gesetzlichen Tatbestand ein
Erstattungsanspruch nur ausgelöst werden kann, wenn der erstleistende Träger eine
Verpflichtung des in Anspruch genommenen zweiten Trägers erfüllt hat (vgl. BSG,
Urteile v. 22.09.1988, 2 RU 9/88, BSGE 57, 218; v. 25.04.1990, 5 J 12/89, BSGE 67, 6).
Der Bundesfinanzhof hat sich dieser Rechtsauffassung auch für den
Anwendungsbereich des § 74 Abs.2 EStG angeschlossen. Eine Gleichartigkeit der
Leistungen soll dabei jedenfalls vorliegen, wenn beide Leistungen demselben Zweck
dienen (vgl. BFH, Urteile 25.05.2004, VIII R 21/03, BFH/NV 2005, 171; v. 07.12.2004,
VIII R 59/04, BFH/NV 2005, 864).
34
Im vorliegenden Fall ist diese Zweckübereinstimmung gegeben. Die Beigeladene hat
den Kindern der Kl. im Streitzeitraum Regelleistungen in Geld nach dem BSHG (Juni
2000 bis Dezember 20004) und später nach dem SGB II (Januar und Februar 2005) in
Form von Hilfe zum Lebensunterhalt, Zuschüssen zu den Kosten der Unterkunft sowie
Bekleidungsgelder gewährt. Hierbei handelt es sich insgesamt um Leistungen zur
Sicherung des Lebensunterhaltes. Die Leistungen dienen der Gewährung einer
sozialen Grundsicherung in Form des verfassungsrechtlichen Existenzminimums.
Diesem Zweck dient - jedenfalls teilweise - auch das nach der Neugestaltung im
Einkommensteuergesetz durch das Jahressteuergesetz 1996 als Steuervergütung
ausgezahlte Kindergeld (§ 31 S. 1 EStG). Soweit es darüber hinaus auch der Förderung
der Familie dient (§ 31 S. 2 EStG), stellt es zwar keine Sozialleistung im formellen Sinne
dar, ist jedoch - jedenfalls wegen der ausdrücklichen Verweisung in § 74 Abs. 2 EStG -
trotzdem als eine gegenüber der Sicherung des Lebensunterhalts nach dem BSHG bzw.
dem SGB II vorrangige Leistung i.S. des § 104 Abs. 1 S. 1 SGB X anzusehen (vgl. etwa
BFH, Urteile v. 14.05.2002, VIII R 88/01, BFH/NV 2002, 1156; v. 07.12.2004, VIII R
59/04, BFH/NV 2005, 864; Beschluss v. 31.01.2007, III B 167/06, BFH/NV 2007, 685;
FG Rheinland-Pfalz, Urteil v. 18.10.2002, 3 K 1503/02, juris; Hessisches FG, Urteile v.
23.06.2004, 3 K 1659/02, EFG 2004, 1783; v. 07.09.2006, 13 K 3592/04, ZFSH/SGB
2007, 494; FG Niedersachsen, Urteile v. 04.08.2005, 10 K 293/03, EFG 2006, 988; v.
16.10.2007, 15 K 647/04, juris; FG Münster, Urteil v. 01.07.2004, 6 K 2517/03 AO, EFG
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2004, 1780; FG München, Urteil v. 11.09.2007, 12 K 1275/05, juris).
c) Die beigeladene Stadt M war im Verhältnis zur beklagten Familienkasse auch ein
nachrangiger Sozialleistungsträger i.S. des § 104 Abs. 1 SGB X.
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Nachrangig verpflichtet ist ein Leistungsträger, soweit dieser bei rechtzeitiger Erfüllung
der Leistungsverpflichtung eines anderen Leistungsträgers selbst nicht zur Leistung
verpflichtet gewesen wäre (§ 104 Abs. 1 S. 2 SGB X).
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Der Kl. stand rechtlich ein Anspruch auf Kindergeld für den streitbefangenen Zeitraum
von Juni 2000 bis Februar 2005 zu. Dieser Anspruch stand allerdings erst nach der
Festsetzung durch den angefochtenen Bescheid vom 07.09.2007 zur Auszahlung an,
obwohl er zu den von der Beigeladenen in der Vergangenheit monatlich erbrachten
Sozialleistungen eigentlich in einem Vorrangverhältnis gestanden hätte, die Leistungen
nach dem BSHG sowie nach dem SGB II also nachrangig zu erbringen gewesen wären.
Denn sowohl § 2 Abs. 1 BSHG als auch §§ 1 ff. SGB II bestimmen, dass Sozialhilfe bzw.
Hilfe zur Sicherung des Lebensunterhaltes u.a. nicht erhält, wer die erforderliche Hilfe
von anderen, insbesondere von Trägern anderer Sozialleistungen bekommt (sog.
Systemsubsidiarität). Das Kindergeld als mit der Sozialhilfe bzw. der Hilfe zum
Lebensunterhalt zweckidentischer Leistung stellt nach den sozialrechtlichen
Vorschriften anrechenbares Einkommen dar. Seine Gewährung wirkt sich daher
anspruchsmindernd auf die dem Kindergeldberechtigten oder einer in seinem Haushalt
lebenden Bedarfsgemeinschaft - Eltern nebst minderjährige Kinder - zustehenden
Sozialleistungen nach dem BSHG und dem SGB II aus (vgl. §§ 11 Abs. 1 S. 1 u. 2, 28
Abs. 1 S. 1 sowie §§ 76, 77 BSHG, ferner die ab dem 01.01.2005 geltenden
Regelungen der §§ 9 Abs. 1 u. Abs. 2 sowie 11 Abs. 1 S. 1 u. 3 SGB II). Vor diesem
Hintergrund hätte die beigeladene Stadt M, wenn der Anspruch auf Kindergeld durch die
beklagte Familienkasse nur rechtzeitig (vor Auszahlung der nach dem BSHG und dem
SGB II gewährten Sozialleistungen) festgesetzt worden wäre, der Höhe nach
verminderte (nämlich um das gesetzliche Kindergeld gekürzte) Sozialleistungen
gegenüber der Familie der Kl. als Bedarfsgemeinschaft erbracht. Die nach dem BSHG
bzw. dem SGB II gewährten Sozialleistungen sind angesichts dieser sozialrechtlichen
Vorgaben also im Verhältnis zum Kindergeld nachrangige Leistungen. Vor diesem
Hintergrund führt die Anwendung der Erstattungsvorschriften des § 74 Abs. 2 EStG i.V.
mit den §§ 103, 104, 107 SGB X im Streitfall dazu, das eigentliche Vor- und
Nachrangverhältnis zur Geltung zu bringen.
38
d) Einem Erstattungsanspruch der Beigeladenen wegen der den Kindern der Kl.
gewährten Sozialleistungen steht nicht entgegen, dass das Kindergeld nach
sozialrechtlichen Maßstäben unter Geltung des BSHG prinzipiell nicht den Kindern
selbst, sondern dem Einkommen des kindergeldberechtigten Elternteils zuzurechnen
war.
39
Allerdings hat der 3. Senat des Bundesfinanzhofs in letzter Zeit in mehreren
Entscheidungen klargestellt, dass eine Erstattung von nachträglich festgesetztem
Kindergeld gemäß § 74 Abs. 2 EStG in den Fällen und für die Zeiträume ausscheiden
soll, in denen Sozialleistungen an ein in einem eigenen Haushalt lebendes Kind
erbracht worden sind, während das Kindergeld unter Geltung des BSHG (bis zum
31.12.2004) regelmäßig als Einkommen beim anspruchsberechtigten Elternteil zu
berücksichtigen war. Das eine Erstattung rechtfertigende Tatbestandsmerkmal der
Gleichartigkeit i.S. des § 104 Abs. 1 S. 1 SGB X zwischen Kindergeld und der Hilfe zum
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Lebensunterhalt sei - so der Bundesfinanzhof - nur dann gegeben, wenn der
Kindergeldanspruch und der Anspruch auf Hilfe zum Lebensunterhalt in einer Person
zusammen fielen, das Kindergeld also zum Einkommen des Hilfeempfängers gehöre,
dem der Sozialleistungsträger Sozialhilfeleistungen erbracht habe. Soweit
Hilfeempfänger dagegen nicht der Elternteil, der Anspruch auf das Kindergeld habe,
sondern das im eigenen Haushalt lebende Kind sei, scheide eine Erstattung von
nachträglich festgesetztem Kindergeld gemäß § 74 Abs. 2 EStG grundsätzlich aus, es
sei denn, das Kindergeld sei ausnahmsweise als Einkommen des Kindes anzusehen,
weil es an das Kind gemäß § 74 Abs. 1 EStG abgezweigt werde oder ihm zumindest
tatsächlich zufließe (vgl. BFH, Urteile v. 17.04.2008, III R 33/05, BStBl. II 2009, 919; v.
19.06.2008, III R 89/07, BFH/NV 2008, 1995; v. 17.07.2008, III R 87/06, BFH/NV 2008,
1833). Folgerichtig hat der 3. Senat des Bundesfinanzhofs in einer weiteren
Entscheidung, in der das Kindergeld an ein Hilfe zum Lebensunterhalt erhaltendes Kind
abgezweigt worden war (§ 74 Abs. 1 EStG), die Voraussetzungen eines
Erstattungsanspruchs zugunsten des Sozialhilfeträgers mit der Begründung bejaht, dass
das Kindergeld nach sozialrechtlichen Maßstäben dem Sozialleistungen empfangenden
Kind als Einkommen zuzurechnen sei (vgl. Beschluss v. 15.10.2009, III B 57/08,
BFH/NV 2010, 196).
Die vorgenannten Entscheidungen führen nach Ansicht des erkennenden Senats
jedoch nicht dazu, vorliegend einen Erstattungsanspruch der Beigeladenen gemäß § 74
Abs. 2 EStG i.V. mit § 104 Abs. 1 u. 2 SGB X zu verneinen. Zwar besteht auch zwischen
der kindergeldberechtigten Kl. und ihren Hilfe zum Lebensunterhalt empfangenden
Kindern rein formal betrachtet keine Personenidentität. Der Sachverhalt im Streitfall
unterscheidet sich jedoch insofern maßgeblich von den Gegebenheiten der
Entscheidungen des Bundesfinanzhofes, als hier die Kinder der Kl. minderjährig sind
und zum Haushalt der Eltern gehören, mit der Kl. und ihrem Ehemann also eine
sozialrechtliche Bedarfsgemeinschaft bilden, während es sich dort (in den vom
Bundesfinanzhof entschiedenen Fallgestaltungen) um volljährige Kinder handelte, die
in einem eigenen Haushalt lebten und folglich keine sozialrechtliche
Bedarfsgemeinschaft mit dem kindergeldberechtigtem Elternteil mehr bestand.
41
Diese Unterschiede in tatsächlicher Hinsicht sind aufgrund der für
Bedarfsgemeinschaften geltenden besonderen sozialrechtlichen Regelungen auch in
rechtlicher Hinsicht beachtlich. Bei minderjährigen und im Haushalt der Eltern lebenden
Kindern war das Kindergeld unter der Geltung des BSHG (bis zum 31.12.2004) nach der
Rechtsprechung der Sozialgerichte zwar prinzipiell den Eltern als Einkommen
zuzurechnen (Zuflussprinzip, vgl. etwa BVerwG, Urteile v. 17.12.2003, 5 C 25/02, NJW
2004, 2541; v. 28.04.2005, 5 C 28/04, NJW 2005, 2873; BSG, Urteil v. 08.02.2007, B 9b
SO 6/06 R, HFR 2008, 74). Es wurde jedoch über §§ 11 Abs. 1 S. 2 und über § 28 Abs.
1 S. 1 BSHG als Einkommen der Bedarfsgemeinschaft behandelt und insgesamt auf die
Sozialleistungen der Bedarfsgemeinschaft angerechnet. Anders als in den vom
Bundesfinanzhof entschiedenen Fallgestaltungen des Auseinanderfallens von
elterlichem Haushalt einerseits und dem Haushalt des Kindes andererseits, wird das
Einkommen (und damit auch das Kindergeld) eines Elternteils im Rahmen einer
sozialrechtlichen Bedarfsgemeinschaft auch dem anderen Elternteil und den zum
Haushalt gehörenden minderjährigen Kindern zugerechnet und führt damit im Ergebnis
zu einer Kürzung von der Bedarfsgemeinschaft insgesamt zustehenden
Sozialleistungen.
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Seit dem Außerkrafttreten des BSHG (mit Wirkung ab dem 01.01.2005) wird das
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Kindergeld sozialrechtlich sogar ausdrücklich den in der Bedarfsgemeinschaft lebenden
minderjährigen Kindern als Einkommen zugerechnet, vgl. § 11 Abs. 1 S. 3 SGB II (s.a. §
82 Abs. 1 S. 2 Zwölftes Buch Sozialgesetzbuch - SGB XII). Den Neuregelungen soll
nach der Rechtsprechung der Sozialgerichte im Hinblick auf die §§ 11, 28 BSHG
möglicherweise sogar nur eine klarstellende Bedeutung zukommen (vgl. BSG, Urteil v.
08.02.2007, B 9b SO 6/06 R, HFR 2008, 74 unter Verweis auf BVerwG, Urteil v.
28.04.2005, 5 C 28/04, NJW 2005, 2873).
Mit Blick auf die genannten Vorschriften sowohl des BSHG als auch des SGB II hätte
die Beigeladene also, wenn der Anspruch der Kl. auf Kindergeld rechtzeitig festgesetzt
worden und ihr bekannt gewesen wäre, aufgrund der sozialrechtlichen Zuordnung des
Einkommens eines Elternteils zur Bedarfsgemeinschaft (quasi als Gesamteinkommen
beider Elternteile und der im Haushalt lebenden minderjährigen Kinder) insgesamt
lediglich um das Kindergeld gekürzte Sozialleistungen an die Bedarfsgemeinschaft
erbringen müssen. Im Streitfall war zum Zeitpunkt der Erbringung der Sozialleistungen
(ab Juni 2000) über den Kindergeldanspruch allerdings noch nicht entschieden, so dass
die Gewährung der Sozialleistungen an die Bedarfsgemeinschaft zunächst ungekürzt
erfolgte. Die Auszahlung des nachträglich festgesetzten Kindergeldes an die Kl. hätte
jetzt zur Folge, dass die genannten Vorschriften über die Einbeziehung des
Kindergeldes als Einkommen bei der Ermittlung des sozialrechtlichen Leistungsbedarfs
der Bedarfsgemeinschaft unterlaufen würden. Der Familie der Kl. als
Bedarfsgemeinschaft würde sozial- und kindergeldrechtlich (bei einer Zusammenschau)
mehr gewährt, als ihr bei Beachtung des gesetzlich angelegten Vor- und
Nachrangverhältnisses eigentlich zugestanden hätte. Dies ist mit Blick auf den im
Sozialhilfe- und im Kindergeldrecht gleichermaßen angelegten Leistungszweck der
Sicherung des verfassungsrechtlichen Existenzminimums unvereinbar. Vor diesem
Hintergrund ist die Anwendung des § 74 Abs. 2 EStG i.V. mit den §§ 103 ff. SGB X im
vorliegenden Fall sachgerecht, denn sie bewirkt, dass die eigentlich vom Gesetzgeber
vorgesehene sozial- und kindergeldrechtliche Rechtslage wieder hergestellt wird.
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Bei Verneinung eines entsprechenden Erstattungsanspruchs wegen des Fehlens einer
formalen Personenidentität auch in Fällen von sozialrechtlichen Bedarfsgemeinschaften
hätte der Kindergeldberechtigte es im Übrigen durch eine von ihm hinausgezögerte
Stellung des Kindergeldantrags (und damit eine provozierte nachträgliche
Kindergeldfestsetzung) selbst in der Hand, die sozialgesetzlich vorgesehene
Anrechnung von Kindergeld als Einkommen der Bedarfsgemeinschaft zu seinen
Gunsten zu beeinflussen. Denn nachträglich festgesetztes Kindergeld wäre - anders als
vor der Gewährung von Sozialleistungen festgesetztes Kindergeld -regelmäßig
zusätzlich zu den bisher ungekürzten Sozialleistungen an den Kindergeldberechtigten
auszuzahlen. Dies aber widerspricht nach Ansicht des erkennenden Senats der sowohl
im BSHG als auch im SGB II und in den § 74 Abs. 2 EStG i.V. mit den §§ 103, 104, 107
SGB X angelegten Systemsubsidiarität der Sozialhilfe (bzw. Hilfe zum Lebensunterhalt)
und Kindergeld.
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Darüber hinaus ist zu beachten, dass die Anwendung der skizzierten Rechtsprechung
des 3. Senats des Bundesfinanzhofes auch auf Fälle sozialrechtlicher
Bedarfsgemeinschaften dazu führen würde, dass die Vorschrift des § 104 Abs. 2 SGB X
in ihrem Anwendungsbereich weitestgehend leer laufen würde.
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Gegen eine Anwendung der skizzierten Rechtsprechung des Bundesfinanzhofes auf
den Streitfall spricht schließlich, dass eine Gleichartigkeit von Kindergeld einerseits und
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Hilfe zum Lebensunterhalt bzw. ähnlichen Geldleistungen nach dem BSHG
andererseits im Rahmen der (bisherigen) Rechtsprechung der Finanzgerichte prinzipiell
anerkannt war und auch noch anerkannt wird (vgl. etwa BFH, Urteile v. 14.05.2002, VIII
R 88/01, BFH/NV 2002, 1156; Urteil v. 07.12.2004, VIII R 59/04, BFH/NV 2005, 864; FG
Rheinland-Pfalz, Urteil v. 18.10.2002, 3 K 1503/02, juris; FG Niedersachsen, Urteile v.
04.08.2005, 10 K 293/03, EFG 2006, 988; v. 16.10.2007, 15 K 647/04, juris; FG
München, Urteil v. 11.09.2007, 12 K 1275/05, EFG 2008, 1135; FG Hessen, Urteile v.
07.09.2006, 13 K 3592/04, ZFSH/SGB 2007, 494; v. 07.11.2008, 3 K 2236/03, EFG
2009, 674; v. 09.11.2009, 13 K 1931/06, juris, letztere unter ausdrücklichem Rekurs auf
§ 104 Abs. 2 SGB X). Der erkennende Senat hält es für geboten, an dem Ergebnis der
Gleichartigkeit trotz fehlender formaler Personenidentität jedenfalls im Hinblick auf die
Fälle sozialrechtlicher Bedarfsgemeinschaften festzuhalten.
2) Allerdings hat die Bekl. den Erstattungsanspruch zugunsten der Beigeladenen der
Höhe nach in zweifacher Hinsicht fehlerhaft festgestellt.
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a) Die Bekl. hat zunächst nicht berücksichtigt, dass bei der Anrechnung des
Kindergeldes als Einkommen gemäß § 76 Abs. 2 Nr. 5 BSHG ein Freibetrag zugunsten
der Bedarfsgemeinschaft i.H. von 20,50 EUR monatlich anzusetzen gewesen wäre. In
dieser Höhe hätte das Sozialamt der Beigeladenen als nachrangig verpflichteter
Sozialleistungsträger seine Leistungen auch bei vorrangiger Auszahlung des
Kindergeldes erbringen müssen. Folglich ist der Erstattungsanspruch insofern zu
mindern (vgl. § 104 Abs. 1 S. 2 SGB X). Für den gesamten Zeitraum, in dem seitens der
Beigeladenen Leistungen nach dem BSHG unter Beachtung der
Einkommensverschonung hätten erfolgen müssen (Juni 2000 bis einschließlich
Dezember 2004), beläuft sich die Reduzierung des Erstattungsbetrages mithin auf
1.127,50 EUR (55 Monate x 20,50 EUR). Dieser (erstattungsfreie) Anteil des
Kindergeldes ist noch an die Kl. auszuzahlen.
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b) Darüber hinaus hat die Bekl. nicht beachtet, dass das für den Zeitraum von Juni 2000
bis einschließlich Dezember 2001 festgesetzte Kindergeld i.H. von monatlich 966,34
EUR sowie das für den Zeitraum von Januar 2002 bis Februar 2005 festgesetzte
Kindergeld i.H. von monatlich 999,- EUR die von der Beigeladenen für die Kinder der Kl.
im jeweiligen Monat erbrachten Sozialleistungen teilweise überschreitet. Eine
Erstattung des Kindergeldes ist nach Auffassung des erkennenden Senats jedoch nur
insoweit gerechtfertigt, als die Beigeladene monatlich mindestens dem festgesetzten
Kindergeld entsprechend hohe Sozialleistungen tatsächlich erbracht hat. Eine
entsprechende monatsweise Betrachtung ist schon deshalb geboten, weil sowohl das
Kindergeld als auch die seitens der Beigeladenen erbrachten Sozialleistungen nach
dem BSHG und dem SGB II nach dem sog. Monatsprinzip gewährt werden (vgl. für das
Kindergeld § 66 Abs. 1 EStG). Darüber hinaus enthält das in § 104 Abs. 1 S. 1 SGB X
angelegte Tatbestandsmerkmal der Gleichartigkeit neben einer zweckbezogenen auch
eine zeitliche Komponente (s.a. FG Rheinland-Pfalz, Urteil v. 18.10.2002, 3 K 1503/02,
juris). Erstattungsfähig sind daher überhaupt nur Sozialleistungen, die zeitgleich
erbracht werden. Eine Verrechnung der Kindergeld-Überhänge mit Sozialleistungs-
Überhängen anderer Monate, also mit solchen Differenzen, um die die von der
Beigeladenen gewährten Sozialleistungen den monatlichen Kindergeldanspruch
übersteigen, hält das Gericht nicht für zulässig.
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Aus den vorstehenden Erwägungen ergibt sich eine weitere Reduzierung des
zugunsten der Beigeladenen festgestellten Erstattungsbetrages wie folgt:
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Zeitraum Monatliches
Kindergeld
Sozialleistungen
Kinder der Kl.
Differenzbetrag
09/2001 966,34 EUR
917,54 EUR
48,80 EUR
10/2001 966,34 EUR
746,25 EUR
220,09 EUR
11/2001 966,34 EUR
961,01 EUR
5,33 EUR
02/2003 999,00 EUR
479,38 EUR
519,62 EUR
03/2003 999,00 EUR
944,98 EUR
54,02 EUR
10/2003 999,00 EUR
571,26 EUR
427,74 EUR
11/2003 999,00 EUR
342,41 EUR
656,59 EUR
12/2003 999,00 EUR
875,67 EUR
123,33 EUR
2.055,52 EUR
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Der die gewährten Sozialleistungen bei monatsweiser Betrachtung übersteigende
Kindergeldbetrag i.H. von 2.055,52 EUR ist noch zugunsten der Kl. auszuzahlen.
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c) Im Übrigen begegnet der Erstattungsanspruch der Beigeladenen der Höhe nach
keinen Bedenken. Einwände hat die Kl. insofern auch nicht erhoben.
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3) Den Vortrag der Kl., die beigeladene Stadt M habe ihren Erstattungsanspruch nicht
hinreichend detailliert gegenüber der Bekl. geltend gemacht, erachtet der erkennende
Senat für nicht durchgreifend.
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Zwar ist es richtig, dass die Familienkassen einen Erstattungsanspruch i.S. des § 74
Abs. 2 EStG i.V. mit § 104 Abs. 1 S. 1 SGB X erst prüfen sollen und können, wenn der
erstattungsberechtigte Sozialleistungsträger diesen detailliert geltend macht (vgl.
Dienstanweisung zur Durchführung des Familienleistungsausgleichs, 74.2.1 Abs. 1 DA-
FamEStG, Weber-Grellet in Schmidt28, München 2009, § 74 EStG Rz. 5; FG
Niedersachsen, Urteil v. 04.08.2005, 10 K 293/03, EFG 2006, 988).
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Eine entsprechende Geltendmachung und betragsmäßige Konkretisierung des
Erstattungsanspruchs ist jedoch vorliegend während des Verwaltungsverfahrens zum
Einen durch das Schreiben der Beigeladenen vom 11.06.2007 und zum Anderen durch
die anschließenden Telefonate der beklagten Familienkasse mit den Sachbearbeitern
des Sozialamtes der Beigeladenen geschehen. Auch während des außergerichtlichen
Rechtsbehelfsverfahrens fand noch Korrespondenz zwischen der Beigeladenen und der
Bekl. im Hinblick auf die Konkretisierung und Auszahlung des Erstattungsbetrages statt
(vgl. Schreiben der Beigeladenen vom 29.10.2007, Bl. 66 Kindergeldakte). Schließlich
ist zu beachten, dass die Beigeladene ihren Erstattungsanspruch für den streitigen
Zeitraum spätestens im finanzgerichtlichen Verfahren durch die Vorlage einer
Aufstellung über die den Kindern der Kl. monatsweise gewährten Sozialleistungen
nebst Kostenblättern, Leistungsbescheiden und Berechnungsprotokollen hinreichend
dargelegt hat. Das Gericht erachtet diese nachträgliche Konkretisierung mit Blick auf die
Regelung des § 126 Abs. 2 AO als zulässig. Im Übrigen weist es darauf hin, dass ein
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Erstattungsanspruchs i.S. des § 74 Abs. 2 EStG i.V. mit § 104 Abs. 1 S. 1 SGB X -
anders als Ansprüche im Anwendungsbereich des § 104 Abs. 1 S. 4 SGB X - keinen
vorherigen Kostenbeitragsbescheid gegenüber der Bekl. oder der Kl. voraussetzt.
4) Die von der Kl. im Rahmen der Klagebegründung zitierte Entscheidung des VG
Ansbach (Gerichtsbescheid v. 18.11.2003, AN 13 K 02.01566) ist nach Ansicht des
erkennenden Senats auf den Streitfall weder anwendbar noch übertragbar. In der
Entscheidung geht es um einen sozialrechtlichen Kostenerstattungsanspruch i.S. des §
7 Abs. 1 Asylbewerberleistungsgesetz (AsylbLG). Dessen Voraussetzungen und
Rechtsfolgen sind von den im Streitfall einschlägigen Ermächtigungsgrundlagen des §
74 Abs. 2 EStG i.V. mit den §§ 103 ff. SGB X zu unterscheiden.
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5) Die Tilgungswirkung der Erstattung gemäß § 107 SGB X ist auch nicht im Hinblick
auf die durch § 111 S. 1 SGB X angeordnete Ausschlussfrist für die Geltendmachung
der Erstattungsansprüche entfallen. Der Lauf der Jahresfrist beginnt frühestens mit dem
Zeitpunkt, zu dem der erstattungsberechtigte Leistungsträger von der Entscheidung des
erstattungspflichtigen Leistungsträgers Kenntnis erlangt hat (§ 111 S. 2 SGB X). Die
Kindergeldfestsetzung gegenüber der Kl. für den Streitzeitraum datiert vom 07.09.2007.
Erst in diesem Zeitpunkt wurden die bis dato gewährten Sozialleistungen durch die
Beigeladene zu einer gegenüber dem (nunmehr festgesetzten) Kindergeld
nachrangigen Sozialleistung.
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II. Die Kostenentscheidung folgt aus § 136 Abs. 1 FGO.
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III. Die Revision wird im Hinblick auf eine Abgrenzung zu den Entscheidungen des
Bundesfinanzhofes vom 17.04.2008 (III R 33/05, BStBl. II 2009, 919), vom 19.06.2008 (III
R 89/07, BFH/NV 2008, 1995) und 17.07.2008 (III R 87/06, BFH/NV 2008, 1833)
zugelassen.
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