Urteil des FG Münster vom 03.06.2005
FG Münster: eingliederung, unternehmen, firma, betriebsstätte, bedingung, steuersubjekt, kapitalgesellschaft, mehrheit, streichung, datum
Finanzgericht Münster, 9 K 1493/01 G
Datum:
03.06.2005
Gericht:
Finanzgericht Münster
Spruchkörper:
9. Senat
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
9 K 1493/01 G
Tenor:
Die Klage wird abgewiesen.
Die Kosten des Verfahrens trägt die Klägerin.
G r ü n d e:
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I.
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Streitig ist, ob das Gewerbekapital der Klägerin (Klin.) im Erhebungszeitraum 1995 noch
ihrer ehemaligen Organträgerin zuzurechnen ist.
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Die Klin. ist eine GmbH, deren Unternehmensgegenstand in der Produktion und im
Vertrieb von Datenverarbeitungssystemen besteht. Ihr Wirtschaftsjahr entspricht dem
Kalenderjahr.
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Die Anteile an der Klin. wurden zunächst in vollem Umfang von der (später in Y....
GmbH umbenannten) Firma X............... GmbH (X.. GmbH) gehalten. Bei der X.. GmbH
handelte es sich in gewerbesteuerlicher Hinsicht um die Organträgerin der Klin. Mit
Vertrag vom 18.08.1995 verkaufte die X.. GmbH mit Wirkung vom gleichen Tage
sämtliche Anteile an der Klin. an die Firma Z...... B. V. mit Sitz in den Niederlanden.
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Mit Bescheid vom 10.10.1997 über den einheitlichen Gewerbesteuermessbetrag für
Vorauszahlungszwecke ab 1995 setzte der Beklagte (Bekl.) den
Gewerbesteuermessbetrag für Vorauszahlungszwecke auf 61.624 DM fest. Der
Gewerbesteuermessbetrag entfiel in voller Höhe auf den Messbetrag nach dem
Gewerbekapital.
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Gegen diesen Bescheid legte die Klin. Einspruch ein. Zur Begründung machte sie
geltend, das Gewerbekapital sei bei Beendigung einer Organschaft im laufenden
Wirtschaftsjahr nach Abschnitt 83 Abs. 3 Satz 1 Gewerbesteuerrichtlinien 1990
(GewStR 1990) für den betreffenden Erhebungszeitraum noch voll beim Organträger zu
erfassen. Das Gewerbekapital sei bei der Ermittlung der Gewerbesteuer für 1995
folglich nicht mehr bei der Klin. zu berücksichtigen. Der Bekl. folgte dem und setzte den
Gewerbesteuermessbetrag für Vorauszahlungszwecke mit Schreiben vom 12.02.1997
auf 0 DM fest.
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Nach Vorlage der Gewerbesteuererklärung für 1995 erließ der Bekl. einen gemäß § 164
Abs. 1 Abgabenordnung (AO) unter dem Vorbehalt der Nachprüfung stehenden
Gewerbesteuermessbescheid für 1995, in dem er den Messbetrag nach dem
Gewerbekapital unter Hinweis darauf, dass das Gewerbekapital noch dem bisherigen
Organträger (X.. GmbH) zuzurechnen sei, ebenfalls mit 0 DM festsetzte.
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Im Jahre 1999 fand bei der Klin. eine Betriebsprüfung durch das Finanzamt für
Großbetriebsprüfung Bielefeld statt. Der Prüfer vertrat die Ansicht, der Klin. sei nicht nur
der Gewerbeertrag für den Erhebungszeitraum 1995 in Höhe von ./. 31.066.620 DM,
sondern auch das Gewerbekapital für 1995 in Höhe von 38.822.000 DM zuzurechnen,
da die X.. GmbH die Anteile an der Klin. mit Vertrag vom 18.08.1995 veräußert habe und
aufgrunddessen die Voraussetzungen einer gewerbesteuerlichen Organschaft mangels
finanzieller Eingliederung der Klin. für das gesamte Wirtschaftsjahr 1995 nicht
vorgelegen hätten. Wegen der Einzelheiten wird auf Tz. 36 des in den Akten
befindlichen Auszuges aus dem Betriebsprüfungsbericht vom 06.12.1999 Bezug
genommen.
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Der Bekl. folgte der Auffassung des Prüfers und erließ am 28.06.2000 einen gemäß §
164 Abs. 2 AO geänderten Gewerbesteuermessbescheid 1995, in dessen Rahmen er
gegenüber der Klin. einen Gewerbesteuermessbetrag nach dem Gewerbekapital in
Höhe von (2 v.T. von 38.822.000 DM =) 77.644 DM festsetzte.
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Hiergegen wendet sich die Klin. nach erfolglosem Einspruchsverfahren
(Einspruchsentscheidung -EE- vom 06.02.2001) mit der vorliegenden Klage. Zur
Begründung trägt die Klin. vor, es sei zwar zutreffend, dass ertragsteuerrechtlich die
Steuerpflicht für ein gesamtes Wirtschaftsjahr bei der ehemaligen Organgesellschaft
eintrete, wenn die finanzielle Eingliederung der Organgesellschaft während des
Wirtschaftsjahres ende. Das gelte jedoch nicht für die Gewerbekapitalsteuer, weil es
sich hierbei um eine Stichtagsabgabe handele. Denn § 12 Abs. 5 Gewerbesteuergesetz
in der für den Erhebungszeitraum 1995 geltenden Fassung (GewStG a.F.) normiere,
dass das Gewerbekapital nach dem Stand zu Beginn des Erhebungszeitraumes
festgesetzt werde. Für die Frage, ob Gewerbekapitalsteuer zu erheben sei, sei daher
ausschließlich auf die Verhältnisse am Stichtag, also zu Beginn des
Erhebungszeitraumes, abzustellen. Da zu diesem Zeitpunkt die Voraussetzungen der
gewerbesteuerlichen Organschaft noch vorgelegen hätten, sei das Gewerbekapital der
Klin. für den Erhebungszeitraum, in den das Ende des Organschaftsverhältnisses falle,
weiterhin vollständig der X.. GmbH zuzurechnen.
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Hierfür spreche auch, dass nach § 13 Abs. 4 GewStG in der bis einschließlich zum
Erhebungszeitraum 1985 geltenden Fassung die Gewerbekapitalsteuer pro rata
temporis für die Monate zu entrichten gewesen wäre, in denen die Voraussetzungen
einer Organschaft noch vorgelegen hätten. Mit der Streichung dieser Vorschrift und der
Einführung von § 12 Abs. 5 GewStG a.F. habe der Gesetzgeber von dieser Regelung
Abstand genommen und ausdrücklich auf die Verhältnisse zu Beginn des
Erhebungszeitraumes abgestellt. Soweit der Bekl. geltend mache, § 12 Abs. 5 GewStG
a.F. stelle lediglich eine hinreichende und keine notwendige Bedingung in Bezug auf
den Wertansatz des Gewerbekapitals dar, so treffe dies aus den vorgenannten Gründen
nicht zu. Dies ergebe sich auch aus der Gesetzesbegründung, der zu Folge die
Umqualifizierung der Gewerbekapitalsteuer in eine Stichtagsabgabe als eine
Systemänderung zu qualifizieren sei. Nach der Gesetzesbegründung solle die
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Gewerbekapitalsteuer als Stichtagsabgabe voll erhoben werden, wenn die
Betriebseinstellung im Laufe eines Erhebungszeitraums erfolge; sie solle nicht erhoben
werden, soweit die Gewerbesteuerpflicht erst im Laufe eines Erhebungszeitraumes
eintrete. Nach der Gesetzesbegründung seien mithin maßgebend die Verhältnisse zu
Beginn des Erhebungszeitraums. Die Gewerbekapitalsteuer solle bei dem
Steuersubjekt anfallen, dem das Gewerbekapital zu Beginn des Erhebungszeitraumes
zuzurechnen sei.
Die Klin. beantragt,
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den Gewerbesteuermessbescheid für 1995 vom 28.06.2000 in Gestalt der
Einspruchsentscheidung vom 06.02.2001 dahingehend zu ändern, dass der
Gewerbesteuermessbetrag nach dem Gewerbekapital auf 0 DM festgesetzt wird,
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hilfsweise, die Revision zuzulassen.
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Der Bekl. beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Er vertritt unter Bezugnahme auf die EE vom 06.02.2001 die Ansicht, die Wirkungen von
§ 2 Abs. 2 Satz 2 GewStG träten nur dann ein, wenn das Organschaftsverhältnis
während des gesamten Wirtschaftsjahres der Organgesellschaft bestanden habe.
Veräußere ein Organträger seine Beteiligung an der Organgesellschaft während des
Wirtschaftsjahres, so sei eine finanzielle Eingliederung der Organgesellschaft in dem
betreffenden Erhebungszeitraum nur dann anzunehmen, wenn das Wirtschaftsjahr der
Organgesellschaft mit Zustimmung des Finanzamtes auf den Zeitpunkt der Veräußerung
der Anteile umgestellt werde. Dies sei vorliegend jedoch nicht geschehen. § 12 Abs. 5
GewStG a.F. stelle keine von § 2 Abs. 2 Satz 2 GewStG a.F. abweichende Regelung
dar, sondern betreffe lediglich die Höhe des anzusetzenden Gewerbekapitals. Ob dem
Grunde nach ein Messbetrag nach dem Gewerbekapital beim Organträger oder bei der
Organgesellschaft festzusetzen sei, ergebe sich nicht aus § 12 Abs. 5 GewStG a.F.,
sondern aus § 2 Abs. 2 Satz 2 GewStG a.F. Im vorliegenden Falle existierten seit dem
01.01.1995 wieder zwei Gewerbebetriebe. Dies habe zur Folge, dass das
Gewerbekapital für 1995 der ehemals als Betriebsstätte der X.. GmbH anzusehenden
Klin. zugerechnet werden müsse.
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II.
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Die zulässige Klage ist nicht begründet.
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Der Bekl. hat für den Erhebungszeitraum 1995 zu Recht gegenüber der Klin. einen
Gewerbesteuermessbetrag nach dem Gewerbekapital in Höhe von (2 v.T. von
38.822.000 DM =) 77.644 DM festgesetzt.
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Gem. § 2 Abs. 2 Satz 2 GewStG a.F. gilt eine Kapitalgesellschaft als Betriebsstätte
eines inländischen gewerblichen Unternehmens, wenn sie in dieses Unternehmen in
der Weise eingegliedert ist, dass die Voraussetzungen des § 14 Nr. 1 und 2
Körperschaftsteuergesetz in der für das Streitjahr geltenden Fassung (KStG a.F.) erfüllt
sind. Nach § 14 Nr. 1 KStG a.F. setzt die finanzielle Eingliederung einer
Organgesellschaft in das Unternehmen des Organträgers u. a. voraus, dass der
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Organträger an der Organgesellschaft vom Beginn ihres Wirtschaftsjahrs
ununterbrochen und unmittelbar in einem solchen Maße beteiligt ist, dass ihm die
Mehrheit der Stimmrechte aus den Anteilen an der Organgesellschaft zusteht.
Der Bekl. ist im vorliegenden Falle zutreffend davon ausgegangen, dass die
Voraussetzungen des § 2 Abs. 2 Satz 2 GewStG a.F. i. V. m. § 14 Nr. 1 KStG a.F. im
Erhebungszeitraum 1995 nicht erfüllt waren, weil die Klin. nicht während ihres gesamten
(vom 01.01. bis zum 31.12.1995 reichenden) Wirtschaftsjahres in das Unternehmen der
ehemaligen Organträgerin, der X.. GmbH, finanziell eingegliedert war. Denn die X..
GmbH hat ihre Beteiligung an der Klin. mit Wirkung vom 18.08.1995 an die Firma Z......
B.V. verkauft; eine Umstellung des Wirtschaftsjahres der Klin. auf den Zeitpunkt der
Veräußerung der Anteile wurde nicht vorgenommen. Hieraus folgt - wie zwischen den
Beteiligten unstreitig ist -, dass der von der Klin. im Wirtschaftsjahr 1995 erwirtschaftete
Gewerbeverlust in Höhe von 31.066.620 DM für den Erhebungszeitraum 1995 nicht
mehr der X.. GmbH, sondern der Klin. selbst zuzurechnen ist. Gleiches muss indes für
die Zurechnung des Gewerbekapitals gelten, denn § 2 Abs. 2 Satz 2 GewStG a.F.
enthält keine besonderen - stichtagsbezogenen - Voraussetzungen für die Zurechnung
des Gewerbekapitals. Nach § 2 Abs. 2 Satz 2 GewStG a.F. i.V.m. § 14 Nr. 1 KStG a.F.
kommt folglich auch eine Zurechnung des Gewerbekapitals zum Organträger nur dann
in Betracht, wenn die finanzielle Eingliederung der Organgesellschaft in das
Unternehmen des Organträgers während des gesamten Wirtschaftsjahres der
Organgesellschaft bestanden hat.
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Entgegen der von der Klin. (unter Bezugnahme auf Abschnitt 83 Abs. 3 Satz 1 GewStR
1990 sowie Lenski/Steinberg, Gewerbesteuergesetz, § 12 Anm. 92, Blümich/Gosch, §
12 GewStG Rz. 48 und Glanegger/Güroff, GewStG, 5. Aufl., § 2 Rz. 203) vertretenen
Ansicht kann etwas anderes nicht aus § 12 Abs. 5 GewStG a.F. hergeleitet werden.
Denn diese Vorschrift regelt - wie sich aus § 12 Abs. 1 bis 4 GewStG a.F. und der
systematischen Stellung der Vorschrift in Abschnitt III. des GewStG a.F. ergibt - lediglich,
dass das Gewerbekapital nach dem Stand zu Beginn des Erhebungszeitraums zu
ermitteln ist. Der Vorschrift ist jedoch nicht zu entnehmen, dass das stichtagsbezogen
ermittelte Gewerbekapital abweichend von § 2 Abs. 2 Satz 2 GewStG a.F. einem
Organträger auch dann zuzurechnen sein soll, wenn die finanzielle Eingliederung der
Organgesellschaft nicht während ihres gesamten Wirtschaftsjahres bestanden hat. Auch
den von der Klin. in Bezug genommenen Erwägungen des Gesetzgebers anlässlich der
Einführung einer Stichtagsregelung für die Ermittlung des Gewerbekapitals (vgl. BT-
DrS. 10/1636, S. 68 ff, 70) lassen sich angesichts des Umstandes, dass sich die
Erläuterungen ausschließlich auf Fälle der Betriebseröffnung und -einstellung sowie der
Umstellung des Wirtschaftsjahres beziehen, keine Anhaltspunkte dafür entnehmen,
dass es sich bei § 12 Abs. 5 GewStG a.F. um eine von § 2 Abs. 2 Satz 2 GewStG a.F.
abweichende Regelung für die Zurechnung des Gewerbekapitals zu einem Organträger
handeln sollte. Die Einführung einer separaten Zurechnungsregelung für das
Gewerbekapital erschiene im Übrigen auch nicht sachgerecht, denn sie würde für den
Erhebungszeitraum, innerhalb dessen eine Organschaft beendet wird, zu einem
Auseinanderfallen der Besteuerung von Gewerbeertrag und Gewerbekapital der
ehemaligen Organgesellschaft führen.
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Eine Einstufung von § 12 Abs. 5 GewStG a.F. als stichtagsbezogener Zurechnungsnorm
für das Gewerbekapital lässt sich schließlich auch nicht dadurch belegen, dass § 13
Abs. 4 GewStG in der bis zum Erhebungszeitraum 1985 geltenden Fassung zeitgleich
mit der Einführung von § 12 Abs. 5 GewStG a.F. aufgehoben worden ist. Denn entgegen
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der Ansicht der Klin. wäre eine anteilige Zurechnung des Gewerbekapitals für den
Zeitraum bis zum Verkauf der Anteile am 18.08.1995 auch bei Fortgelten der Vorschrift
wegen der während des Organschaftsverhältnisses durchgängig bestehenden
sachlichen Gewerbesteuerpflicht der Klin. (vgl. BFH-Urteil vom 16. Februar 1977 I R
183/74, BStBl II 1977, 560) nicht in Betracht gekommen. Aus dem gleichen Grunde ist
der vorliegende Sachverhalt auch nicht mit dem Fall vergleichbar, in dem die
Gewerbesteuerpflicht eines neu gegründeten Gewerbebetriebes im Verlaufe eines
Kalenderjahres beginnt. Denn die Festsetzung eines Gewerbesteuermessbetrages
nach dem Gewerbekapital für den (abgekürzten, vgl. § 14 Abs. 2 Satz 3 GewStG a.F.)
Erhebungszeitraum der Gründung scheitert bei einem solchen Betrieb - im Gegensatz
zur Klin. - bereits daran, dass an der Feststellung eines Einheitswertes für das
Betriebsvermögen auf den nach § 12 Abs. 1 Satz 2 GewStG a.F. maßgeblichen Stichtag
(1.1. des Gründungsjahres) fehlt.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 Abs. 1 FGO.
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Die Revision war nicht zuzulassen. Der vorliegende Rechtsfrage ist keine von
grundsätzlicher Bedeutung i.S.v. § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO, denn sie betrifft ausschließlich
die mit Wirkung vom Erhebungszeitraum 1998 aufgehobenen Vorschriften über die
Festsetzung des GewSt-Messbetrags nach dem Gewerbekapital und damit
ausgelaufenes Recht. Die Zulassung der Revision erscheint auch nicht gem. § 115 Abs.
2 Nr. 2 FGO zur Fortbildung des Rechts erforderlich, denn es bestehen keine
Anhaltspunkte dafür, dass sich die Rechtsfrage weiterhin bei einem nicht
überschaubaren Personenkreis stellen wird (vgl. BFH-Beschluss vom 19. Dezember
2002 V B 61/02, BFH/NV 2003, 638).
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