Urteil des FG Münster vom 17.11.2003
FG Münster: soziale sicherheit, aufenthaltserlaubnis, besitz, ausländer, duldung, einreise, familie, verfassungskonform, beschränkung, eng
Finanzgericht Münster, 4 K 4828/02 Kg
Datum:
17.11.2003
Gericht:
Finanzgericht Münster
Spruchkörper:
4. Senat
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
4 K 4828/02 Kg
Tenor:
Die Klage wird abgewiesen.
Die Kosten des Verfahrens trägt der Kläger.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand:
1
Die Beteiligten streiten darum, ob ein Bürgerkriegsflüchtling aus Bosnien/-Herzegowina
während des Zeitraumes der Duldung seines Aufenthaltes in der Bundesrepublik
Deutschland Anspruch auf Kindergeld hat.
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Der Kläger (Kl.) und seine Familie (Ehefrau und drei Söhne) sind
Bürgerkriegsflüchtlinge aus Bosnien/Herzegowina und leben seit dem 18.06.1992 in
Deutschland. Ausländerrechtlich waren sie hier zunächst nur geduldet. Der Kl. war vom
28.07.1992 bis zum 08.10.1992 nichtselbständig tätig, und zwar als Arbeitnehmer der
Firma "M". Seit dem 01.06.1995 betreibt der Kl. im Rahmen einer Gesellschaft
bürgerlichen Rechts ("O-GbR") einen Grillwagen im Rahmen einer selbständigen
Tätigkeit.
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Den Angaben des Kl. zufolge hat er erstmals im August 1992 einen Antrag auf
Bewilligung von Kindergeld gestellt, der - wohl im Hinblick auf seinen damaligen
ausländerrechtlichen Status als (nur) Geduldeter - abgelehnt worden sei. Der Beklagte
(Bekl.) hat dazu mitgeteilt, dass ein entsprechender Kindergeldantrag bei ihm nicht mehr
feststellbar sei.
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Seit August 1999 besitzt der Kl. eine Aufenthaltserlaubnis. Im Hinblick darauf wurde ihm
auf Grund seines Kindergeldantrags vom 28.09.1999 nunmehr Kindergeld für seine drei
Söhne ab dem Monat August 1999 bewilligt.
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Mit (nachfolgendem) Kindergeldantrag vom 26.04.2001 beantragte der Kl. erfolglos die
rückwirkende Bewilligung von Kindergeld für die Zeit von Juni 1992 (Einreise der
Familie in die Bundesrepublik Deutschland) bis Juli 1999.
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Der Bekl. begründete seine ablehnende Entscheidung damit, dass der Kl. im streitigen
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Zeitraum weder im Besitz einer Aufenthaltsberechtigung noch einer
Aufenthaltserlaubnis gewesen sei. Gemäß § 62 Abs. 2 Satz 1 Einkommensteuergesetz
(EStG) hätten Ausländer jedoch nur dann Anspruch auf Kindergeld, wenn sie im Besitz
derartiger (qualifizierter) Aufenthaltstitel seien. Kindergeld - so der Bekl. - könne dem Kl.
auch nicht auf Grund der Regelungen des deutsch-jugoslawischen Abkommens über
soziale Sicherheit vom 12.10.1968 (BGBl II 1969, 1438) gewährt werden, da hiernach
nur Arbeitnehmer, nicht jedoch Selbständige - wie der Kl. - begünstigt würden.
Hiergegen richtet sich die vom Kl. beim Sozialgericht erhobene Klage, die - soweit sie
die Bewilligung von Kindergeld ab dem 01.01.1996 betraf - mit Beschluss des
Sozialgerichts vom 19.08.2002 an das Finanzgericht Münster verwiesen wurde.
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Der Kl. hat zwischenzeitlich sein Begehren im vorliegenden - beim Finanzgericht
Münster anhängigen - Rechtsstreit dahingehend eingeschränkt, dass er die Bewilligung
von Kindergeld für seine drei Söhne für die Zeit von Juli 1997 bis Juli 1999 begehrt. Er
vertritt die Ansicht, dass ihm auf Grund des deutsch-jugoslawischen Abkommens über
soziale Sicherheit Kindergeld zustehe. Hierbei sei unerheblich, dass er im streitigen
Zeitraum nur über eine ausländerrechtliche Duldung verfügt habe. Nach der
Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG, Urteil vom 12.04.2000 -B 14 KG 3/99
R-, BSGE 86, 115) stehe ihm auf Grund der Regelung des Artikel 28 des deutsch-
jugoslawischen Abkommens über soziale Sicherheit Kindergeld für seine drei Söhne
zu.
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Der Kl. beantragt,
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den Bekl. zu verpflichten, ihm Kindergeld für seine Söhne E1 (geb. am 13.05.1981),
T (geb. am 29.09.1983) und E2 (geb. am 24.11.1992) für die Zeit von Juli 1997 bis
einschließlich Juli 1999 in gesetzlicher Höhe zu bewilligen,
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hilfsweise, die Revision zuzulassen.
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Der Bekl. hat schriftlich beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Er hält an seiner bereits im Verwaltungsverfahren vertretenen Rechtsauffassung fest,
wonach der Kl. als Ausländer gemäß § 62 Abs. 2 Satz 1 EStG nicht kindergeldberechtigt
sei, weil er im streitigen Zeitraum weder im Besitz einer Aufenthaltsberechtigung noch
einer Aufenthaltserlaubnis gewesen sei. Die Regelungen des deutsch-jugoslawischen
Abkommens über soziale Sicherheit seien nicht einschlägig, weil Artikel 28 des
Abkommens nur Arbeitnehmer, nicht aber selbständig tätige Personen - wie den Kl.-
begünstige.
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Der Senat hat in der Sache mündlich verhandelt. Wegen der Einzelheiten wird auf die
Sitzungsniederschrift vom 17.11.2003 verwiesen.
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Entscheidungsgründe:
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Die Klage ist nicht begründet.
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Der Ablehnungsbescheid des Bekl. vom 09.08.2001 und die Einspruchsentscheidung
(EE) vom 21.03.2002 sind rechtmäßig und verletzen den Kl. nicht in seinen Rechten, §
100 Abs. 1 Satz 1 Finanzgerichtsordnung (FGO). Der Bekl. hat zu Recht entschieden,
dass dem Kl. für den Zeitraum von Juli 1997 bis Juli 1999 ( Erteilung der
Aufenthaltserlaubnis im August 1999) kein Anspruch auf Kindergeld zusteht.
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Für das Kindergeldbegehren des vor August 1999 ausländerrechtlich nur geduldeten Kl.
fehlt es an einer materiellen Anspruchsgrundlage. § 62 Abs. 2 Satz 1 EStG beschränkt
den Kreis der kindergeldberechtigten Ausländer auf solche Personen, die im Besitz
einer Aufenthaltsberechtigung (§ 27 des Gesetzes über die Einreise und den Aufenhalt
von Ausländern im Bundesgebiet - Ausländergesetz (AuslG) -) oder einer
Aufenthaltserlaubnis (§ 15 AuslG) sind. Über beides verfügte der Kl. bis August 1999
unstreitig nicht. Aufenthaltsbewilligung oder -befugnis (§§ 28, 30 AuslG) berechtigen
hingegen nach dem eindeutigen Wortlaut des § 62 Abs. 2 Satz 1 EStG nicht zum
Kindergeldbezug. Der Senat hält diese gesetzliche Regelung für verfassungskonform
(vgl. dazu Bergkemper in Herrmann/Heuer/Raupach, § 62 EStG Anm. 12 sowie
Blümich/Heuermann, § 62 EStG Rz. 36). Die Vorschrift verstößt nach Auffassung des
Senats insbesondere nicht gegen den Gleichheitsgrundsatz des Art. 3 Abs. 1 GG, denn
der Gesetzgeber darf bei der Frage der Kindergeldberechtigung nach dem konkreten
ausländerrechtlichen Status des jeweiligen Anspruchstellers differenzieren. Nach
Ansicht des Senats ist es verfassungsrechtlich unbedenklich, wenn der Gesetzgeber nur
Ausländern, die im Besitz einer Aufenthaltsberechtigung oder Aufenthaltserlaubnis sind,
einen Kindergeldanspruch zubilligt, weil deren Aufenthalt - im Gegensatz zu
Ausländern, die nur über eine Aufenthaltsbefugnis verfügen - von einem auf Dauer
angelegten Bleiberecht in der Bundesrepublik Deutschland getragen wird. Die
Entscheidung des Gesetzgebers, nur Ausländern, die im Besitz einer
Aufenthaltsberechtigung oder Aufenthaltserlaubnis sind, einen Anspruch auf Kindergeld
zu gewähren, ist mithin nicht willkürlich.
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Hinsichtlich einer Anspruchsberechtigung nach Artikel 28 des deutsch-jugoslawischen
Abkommens über soziale Sicherheit hat der Bundesfinanzhof (Beschluss vom
04.11.2002 - VIII B 131/02- BFH/NV 2003, 168) entschieden, bereits durch die bisherige
Rechtsprechung sei geklärt, dass Artikel 28 des deutsch-jugoslawischen Abkommens
über soziale Sicherheit seinem Wortlaut gemäß zu verstehen sei und nur die dort
ausdrücklich genannten Personenkreise (Arbeitnehmer) erfasse. Anders als nach dem
deutschen materiellen Kindergeldrecht hätten nach dem - in den Teilrepubliken
unterschiedlichen - jugoslawischen Recht nur Arbeitnehmer Anspruch auf Kindergeld.
Die gegenseitig eingegangenen Verpflichtungen hätten also nur durch eine
Beschränkung des sachlichen Geltungsbereichs auf das "Kindergeld für Arbeitnehmer"
auch für Deutschland im Gleichgewicht gehalten werden können. Dies sei der Grund
dafür, dass der Arbeitnehmerbegriff des Artikel 28 des Abkommens eng auszulegen sei.
Nach dieser Rechtsprechung, der der Senat folgt, besteht eine Kindergeldberechtigung
des Kl. danach auch nach Artikel 28 des deutsch-jugoslawischen Abkommens über
soziale Sicherheit nicht, denn der Kl. war im jetzt noch streitigen Zeitraum
ausschließlich selbständig tätig und kein Arbeitnehmer im Sinne dieser Bestimmung
des Abkommens.
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Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 Abs. 1 FGO.
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Der Senat läßt die Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zu (§
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115 Abs. 2 Nr. 1 FGO). Zur Frage, ob ein Ausländer, dessen Aufenthalt im Inland
lediglich auf der Grundlage des § 30 AuslG gestattet ist, einen Anspruch auf Kindergeld
hat, sind noch mehrere Revisionsverfahren beim BFH anhängig (VIII R 40/02 -
Vorinstanz: FG Münster, Urteil vom 05.05.2000, 11 K 7518/99 Kg, EFG 2002, 1461- und
VIII R 39/02 -Vorinstanz: FG München, Urteil vom 05.12.2001, 9 K 5246/00, EFG 2002,
1314-).