Urteil des FG Münster vom 25.06.2003
FG Münster: einkünfte, steuersatz, abfindung, berufsausübung, begünstigung, zukunft, kirchensteuer, berufsfreiheit, vorverfahren, gleichbehandlung
Finanzgericht Münster, 10 K 4005/02 E,Ki
Datum:
25.06.2003
Gericht:
Finanzgericht Münster
Spruchkörper:
10. Senat
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
10 K 4005/02 E,Ki
Tenor:
Die Klage wird abgewiesen.
Die Kosten des Verfahrens tragen die Kläger.
Die Revision wird nicht zugelassen.
G r ü n d e:
1
Streitig ist die Verfassungsmäßigkeit des § 34 Abs. 1 Einkommensteuergesetz (EStG) in
der Fassung des Steuerentlastungsgesetzes 1999/2000/2002 (StEntlG) vom 24.03.1999
( BGBl I 1999, 402).
2
Der zusammen mit der Klägerin zur Einkommensteuer veranlagte Kläger schloss am
30.11.1999 mit seiner Arbeitgeberin eine Aufhebungsvereinbarung, nach der der
bestehende Arbeitsvertrag auf Veranlassung des Arbeitgebers zum 30.06.2000 endete.
Für den Verlust des Arbeitsplatzes erhielt er eine Abfindung i.H.v. 525.000 DM. Diese
Abfindung sowie eine Jubiläumszuwendung in Höhe von 30.600 DM flossen dem
Kläger - nach Einbehalt von Lohnsteuern - im Streitjahr 2000 zu.
3
Bei der Einkommensteuerveranlagung 2000 besteuerte der Beklagte die Abfindung und
die Jubiläumszuwendung in Höhe von -bei Berücksichtigung des steuerfreien Betrages
nach § 3 Nr. 9 EStG- insgesamt 531.600 DM nach § 34 Abs. 1 EStG i.d.F. des StEntlG
und setzte die Einkommensteuer unter Ansatz weiterer Einkünfte beider Kläger und
Berücksichtigung von Lohnersatzleistungen auf 202.657 DM fest.
4
Mit der nach erfolglosem Vorverfahren erhobenen Klage begehren die Kläger, die
Abfindung gemäß dem 1998 noch geltenden § 34 EStG i.d.F. des Gesetzes zur
Fortsetzung der Unternehmenssteuerreform vom 29. Oktober 1997 (EStG a.F.) mit dem
halben Steuersatz zu besteuern.
5
Sie sind der Auffassung, die sog. Fünftel-Regelung des § 34 Abs. 1 EStG i.d.F. des
StEntlG führe wegen ihrer übrigen Einkünfte im Vergleich zur früheren Regelung zu
einer vom Gesetzgeber nicht beabsichtigten überproportionalen Einschränkung der
Tarifentlastung, sodass sich die Ermäßigung kaum auswirke. Außerdem verstoße
6
§ 34 Abs. 1 EStG i.d.F. des StEntlG gegen den Gleichheitssatz nach Art. 3 und die
Berufsfreiheit nach Art. 12 Grundgesetz (GG).
7
Die Kläger beantragen,
8
1. die Festsetzung der Einkommensteuer, des Solidaritätszuschlages und
der Kirchensteuer für das Jahr 2000 unter Anwendung von § 34 EStG in der
für das Veranlagungsjahr 1998 gültigen Fassung für die vom Kläger im
Veranlagungszeitraum 2000 bezogenen außerordentlichen Einkünfte,
9
hilfsweise für den Fall des Unterliegens die Revision zuzulassen,
10
2. die Hinzuziehung eines Bevollmächtigten zum Vorverfahren für
notwendig zu erklären.
11
Der Beklagte beantragt,
12
die Klage abzuweisen.
13
Er ist der Auffassung, die Besteuerung sei zutreffend erfolgt. § 34 EStG i.d.F des StEntlG
verstoße nicht gegen die Verfassung.
14
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die gewechselten Schriftsätze, insbesondere
auf den Schriftsatz der Klägervertreter vom 29.08.2002 und die Steuerakten des
Beklagten Bezug genommen.
15
Die Beteiligten haben gemäß § 90 Abs. 2 Finanzgerichtsordnung (FGO) auf die
Durchführung einer mündlichen Verhandlung verzichtet.
16
Die Klage ist nicht begründet.
17
Der Einkommensteuerbescheid 2000 vom 14.02.2001 i.d.F. der
Einspruchsentscheidung ist rechtmäßig und verletzt die Kläger nicht in ihren Rechten (§
100 Abs. 1 Finanzgerichtsordnung -FGO-).
18
Der Beklagte hat die Einkommensteuer 2000 gemäß den im Streitjahr geltenden
Vorschriften des EStG festgesetzt. Dabei hat er insbesondere zutreffend die Berechnung
der auf außerordentlichen Einkünften des Klägers anzusetzenden Einkommensteuer
nach dem im Streitjahr geltenden § 34 Abs. 1 Satz 2 EStG i.d.F. des StEntlG
vorgenommen.
19
Nach dieser Vorschrift beträgt die für die außergewöhnlichen Einkünfte anzusetzende
Einkommensteuer das Fünffache des Unterschiedsbetrags zwischen der
Einkommensteuer für das um diese Einkünfte verminderte zu versteuernde Einkommen
(verbleibendes zu versteuerndes Einkommen) und der Einkommensteuer für das
verbleibende zu versteuernde Einkommen zuzüglich eines Fünftels dieser Einkünfte
(sog. Fünftelregelung). Dieser Steuersatz ist den Klägern für die vom Kläger erzielten
außerordentlichen Einkünfte in Höhe von insgesamt 531.600 DM gewährt worden. Dies
ist zwischen den Beteiligten auch nicht streitig.
20
Die von den Klägern begehrte Besteuerung mit dem sog. halben Steuersatz nach dem
21
für den Veranlagungszeitraum 1998 geltenden § 34 Abs. 1 EStG a.F. scheidet nach der
geltenden Gesetzeslage für das Streitjahr aus, da nach § 52 Abs. 1 Satz 1 EStG
erstmals für den Veranlagungszeitraum 1999 das EStG i.d.F. des StEntlG anzuwenden
ist.
Der Senat hat im Streitfall auch keine verfassungsrechtlichen Bedenken gegen die
Anwendung der sog. Fünftelregelung des § 34 Abs. 1 EStG i.d.F. des StEntlG.
22
Diese Regelung wurde eingeführt, weil die bisherige Anwendung des sog. halben
Steuersatzes Steuerpflichtige, die regelmäßig dem Spitzensteuersatz unterlagen,
übermäßig begünstige; auch wurde die bisherige Regelung auf Grund
unterschiedlicher Entlastung außerordentlicher Einkünfte und der Einkünfte aus
mehrjähriger Tätigkeit für zu kompliziert gehalten (vgl. Begründung zum Gesetzentwurf
der Regierungsfraktionen, BTDrucks 14/23, 183; siehe zum Hintergrund der Reform
auch Juchum, DB 2000, 343).
23
Gegen die Abschaffung des sog. halben Steuersatzes zu Gunsten der sog.
Fünftelregelung bestehen keine verfassungsrechtlichen Bedenken, soweit die
Regelung mit Wirkung für die Zukunft getroffen wurde. Es steht im Ermessen des
Gesetzgebers, welchem ermäßigten Steuertarif er außerordentliche Einkünfte
unterwerfen will. Den Systemwechsel vom halben Steuersatz zum Fünftelverfahren
konnte der Gesetzgeber jederzeit vornehmen.
24
Der aus dem Rechtsstaatsprinzip des Art. 20 Abs. 3 des GG folgende Vertrauensschutz
steht einem Systemwechsel für die Zukunft grundsätzlich nicht entgegen. Auch bei
unbefristeten und über Jahrzehnte wirkenden Steuervergünstigungen kann der
Steuerpflichtige sich nicht darauf berufen, dass die gesetzlichen Rahmenbedingungen
nicht zu seinen Lasten verändert werden dürften (ebenso BFH-Beschlüsse vom
10.07.2002 XI B 68/02, BFH/NV 2002, 1568, vom 09.12.2002 X B 28/02, BFH/NV 2003,
471, vom 07.03.2003 IV R 163/02, BFH/NV 2003, 777 und vom 25.02.2003 III B 130/02,
BFH/NV 2003, 773, jeweils m.w.N.).
25
Aus Art. 3 Abs. 1 GG folgt ebenfalls kein Anspruch auf Beibehaltung der alten
Gesetzeslage. Die Vorschrift verlangt die Gleichbehandlung "aller Menschen" vor dem
Gesetz und damit auch eine gleichmäßige Belastung; die Belastungsgleichheit hat sich
am Maßstab der Folgerichtigkeit zu orientieren. Der Gleichheitssatz ist umso strikter, je
mehr er den Einzelnen als Person betrifft, und umso mehr für gesetzgeberische
Gestaltungen offen, als allgemeine, für rechtliche Gestaltungen zugängliche
Lebensverhältnisse geregelt werden. Im Sachbereich des Steuerrechts hat der
Gesetzgeber bei der Auswahl des Steuergegenstandes und bei der Bestimmung des
Steuersatzes einen weit reichenden Gestaltungsraum.
26
Nachdem der Gesetzgeber die durch die Anwendung des halben Steuersatzes
übermäßige Begünstigung von Steuerpflichtigen mit Spitzensteuersätzen erkannt hatte,
war er zumindest berechtigt, wenn nicht sogar verpflichtet, die einmal getroffene
Belastungsentscheidung folgerichtig im Sinne der Belastungsgleichheit umzusetzen
(ähnlich BFH-Beschluss in BFH/NV 2002, 1568).
27
Auch aus der erneuten Einführung eines -ergänzend anwendbaren- modifizierten
halben Steuersatzes mit Wirkung vom Veranlagungszeitraum 2001 an ergibt sich keine
Verpflichtung des Gesetzgebers, für die Jahre 1999 und 2000 rückwirkend eine
28
Übergangsregelung zu schaffen. Der Senat schließt sich insoweit den Auffassungen
des XI. Senats des BFH in BFH/NV 2002, 1568, des X. Senats des BFH in BFH/NV
2003, 471, des IV. Senats des BFH in BFH/NV 2003, 777 und des III. Senats des BFH in
BFH/NV 2003, 773 an und sieht von einer weiter gehenden Begründung ab.
Ein Verstoß gegen die Berufsfreiheit nach Art. 12 Abs. 1 Satz 1 GG liegt ebenfalls nicht
vor. Der Senat vermag nicht zu erkennen, dass dem Kläger durch die Regelung des §
34 Abs. 1 Satz 2 EStG i.d.F. des StEntlG die von ihm gewählte Berufsausübung
beschränkt oder unmöglich gemacht würde.
29
Bei ihrem Vorbringen, durch die Regelung des § 34 Abs. 1 Satz 2 EStG i.d.F. des
StEntlG werde ihr wirtschaftlicher Erfolg aus ihrer laufenden Berufsausübung zu mehr
als 100 % abgeschöpft, verkennen die Kläger, dass auch im Streitfall lediglich die -nach
Auffassung des Gesetzgebers in den Vorjahren übermäßige- Begünstigung
außerordentlicher Einkünfte nicht mehr gewährt wird.
30
Die festgesetzte Einkommensteuer von 202.657 DM beträgt lediglich 30,6% der
(steuerpflichtigen) Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit von insgesamt 662.375 DM
bzw. 34,04 % des zu versteuernden Einkommens von 595.292 DM. Bei dieser Sachlage
kann von der erdrosselnden Besteuerung der Berufsausübung der Kläger keine Rede
sein.
31
Schließlich liegt auch kein Verstoß gegen das Rückwirkungsverbot vor, da § 34 Abs. 1
i.d.F. des StEntlG schon bei Vereinbarung der (Entlassungs-)Entschädigung am
30.11.1999 nicht nur bekannt, sondern bereits in Kraft getreten war.
32
Der Solidaritätszuschlag und die Kirchensteuer sind zutreffend mit 5,5 % bzw. 9 % der
festgesetzten Einkommensteuer festgesetzt. Eigenständige Gründe gegen die
Festsetzung dieser Beträge sind weder vorgetragen noch nach Aktenlage ersichtlich.
33
Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 Abs. 1 FGO.
34
Die Revision war nicht nach § 115 Abs. 2 FGO zuzulassen. Die Frage der
Verfassungsmäßigkeit des § 34 Abs. 1 EStG i.d.F des StEntlG ist durch die angeführte
höchstrichterliche Rechtsprechung ausreichend geklärt.
35