Urteil des FG Münster vom 26.05.2004

FG Münster: verordnung, staat, einspruch, versicherungspflicht, niederlassungsfreiheit, eugh, veranlagung, auflage, behörde, arbeitslosigkeit

Finanzgericht Münster, 1 K 2067/01 Kg
Datum:
26.05.2004
Gericht:
Finanzgericht Münster
Spruchkörper:
1. Senat
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
1 K 2067/01 Kg
Tenor:
Die Klage wird abgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten der Verfahren.
Die Revision wird nicht zugelassen.
T a t b e s t a n d
1
Streitig ist die Zahlung von Kindergeld für die Streitjahre 1998 bis 2002 an den Kläger,
einen Niederländer.
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Der Kläger und seine Ehefrau wohnten in den Streitjahren in den Niederlanden. Seit
1996 betreibt der Kläger ausschließlich in der Bundesrepublik Deutschland einen
Fischhandel. Für die VZ 1997 bis VZ 2002 ist er antragsgemäß in der Bundesrepublik
Deutschland unbeschränkt einkommensteuerpflichtig. In der deutschen
Rentenversicherung ist der Kläger im Streitzeitraum nicht versicherungspflichtig
gewesen. Die Ehefrau war bis zum 20. Dezember 1998 in den Niederlanden
beschäftigt. Seit dem 1. Mai 1999 ist sie im Betrieb des Klägers als sog. geringfügig
Beschäftigte angestellt. Beiträge zur deutschen Arbeitslosenversicherung für die
Ehefrau des Klägers wurden nicht abgeführt.
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Der Kläger beantragte am 26. Mai 1999 für sein am 6. August 1998 geborenes Kind N
und am 23. August 2001 für sein am 19. Februar 2001 geborenes Kind J Kindergeld.
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Durch Bescheid vom 19. November 1999 setzte die Beklagte das Kindergeld für das
Kind N ab Januar 1999 auf monatlich 125,00 DM ("hälftiges" Kindergeld in 1999) fest.
Hiergegen legte der Kläger am 2. Dezember 1999 Einspruch ein, den die Beklagte
durch Einspruchsentscheidung vom 8. März 2001 zurückwies. Der Kläger legte am 11.
April 2001 Klage ein.
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Durch Bescheid vom 23. Mai 2002 setzte die Beklagte das Kindergeld für das Kind J für
den Zeitraum von April bis Dezember 2001 auf 69,02 Euro fest und erhöhte die laufende
Kinderzahlung für beide Kinder ab Januar 2002 auf 154,00 Euro ("hälftiges"
Kindergeld). Für die Monate Februar und März 2001 setzte der Beklagte das Kindergeld
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für das Kind J in "voller" Höhe fest. Hiergegen legte der Kläger am 27. Juni 2002
Einspruch ein, der durch Einspruchsentscheidung vom 8. November 2002
zurückgewiesen worden ist. Der Kläger legte am 10. Dezember 2002 Klage ein.
Die Klagen sind in der mündlichen Verhandlung vom 26. Mai 2004 zur gemeinsamen
Entscheidung verbunden worden.
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Die niederländischen Behörden haben bis September 1998 Kindergeld in Höhe von
monatlich 88,89 DM gezahlt. In den Niederlanden hängt der nationale Anspruch auf
Kindergeld allein vom Wohnsitz des Berechtigten ab (Klageerwiderung der Beklagten
vom 16.7.2001, Bl. 31 d. GA). Seit dem 1. April 2000 zahlen sie Kindergeld in Höhe der
Hälfte des in den Niederlanden festzusetzenden Kindergelds. Sie sind der Auffassung,
dass für den Zeitraum Oktober 1998 bis März 2000 kein Anspruch des Klägers oder
seiner Ehefrau auf niederländisches Kindergeld bestand.
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Der Kläger ist der Rechtsansicht, dass er als Folge der unbeschränkten
Einkommensteuerpflicht auch kindergeldberechtigt i.S.d. § 62 Abs. 1 Nr. 2b EStG sei.
Für den Zeitraum von Oktober 1998 bis März 2000 läge eine Einschränkung durch § 65
Abs. 1 Nr. 2 EStG nicht vor, da weder der Kläger noch seine Ehefrau für diesen Zeitraum
in den Niederlanden Kindergeld erhalten hätten. Diesbezüglich verweist er auf die
Schreiben der Sociale Verzekeringsbank (SVB) vom 27. Juli 1999 (Bl. 16 d.
Kindergeldakte), 19. April 2001 (Bl. 41 d. Kindergeldakte) und 13. Dezember 2002 (Bl.
188 d. GA). Diese wertet er als Bescheide, an deren Wirkung auch die Beklagte
gebunden sei.
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Die Beklagte änderte den Bescheid vom 19. November 1999 in Gestalt der
Einspruchsentscheidung vom 8. März 2001 durch Bescheid vom 3. Februar 2003
dahingehend, dass er für die Monate Oktober bis Dezember 1998 Kindergeld in Höhe
von 110,00 DM ("hälftiges" Kindergeld in 1998) für das Kind N festsetzte. Sie
verpflichtete sich in der mündlichen Verhandlung vom 26. Mai 2004 außerdem, für die
Monate August und September 1998 für das Kind N Kindergeld i.H.v. 50% der
gesetzlichen Höhe festzusetzen.
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Der Kläger beantragt deshalb nunmehr,
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die Beklagte unter Änderung des Bescheides vom 19. November 1999 in
Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 8. März 2001 und des
Änderungsbescheides vom 3. Februar 2003 sowie des Bescheides vom 23.
Mai 2002 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 8. November 2002 zu
verpflichten, an den Kläger für den Zeitraum August 1998 bis März 2001
Kindergeld für das Kind N sowie für den Zeitraum ab April 2001 Kindergeld für
die Kinder N und J, jeweils in der geltenden ungekürzten Höhe, festzusetzen.
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Die Beklagte beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Die Beklagte verweist auf ihre Einspruchsentscheidungen und trägt ergänzend vor, dass
Kindergeld gemäß § 65 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG im vorliegenden Fall nicht zu zahlen
sei, da der Kläger wie seine Ehefrau ihren Wohnsitz in den Niederlanden hätten und
dort grundsätzlich kindergeldberechtigt wären. Den vorrangigen Regelungen des EU-
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Gemeinschaftsrechts (Art. 13 Abs. 2 lit. b i.V.m. Art. 73 EG-Verordnung 1408/71)
unterläge der Kläger nicht, da er kein Selbständiger i.S.d. Art. 1 lit a VO 1408/71 i.V.m.
Anhang I Teil I lit C der VO 1408/71 wäre. Dies sei aufgrund seiner fehlenden
Beitragspflicht zu einer gesetzlichen Rentenversicherung der Fall. Zugunsten des
Klägers sei jedoch Art. 12 Abs. 2 VO 1408/71 anzuwenden, wonach für jedes Kind die
Hälfte des jeweiligen Kindergeldsatzes zu zahlen sei, wenn ansonsten wegen des
Zusammentreffens mit einer Familienleistung in einem anderen EU-Staat nach allein
nationalen Vorschriften kein Kindergeld gewährt werden dürfe. Diese "Halbe-Halbe-
Regelung" ergäbe sich aus dem zu Art. 12 VO 1408/71 ergangenen Art. 7 Abs. 1 DVO
574/72. Auch Kindergeld nach dem EStG falle unter den Geltungsbereich dieser
Vorschrift. Ein Anspruch für die Zeit bis September 1998 bestehe nicht, da die Ehefrau
des Klägers bis zu diesem Zeitraum als Arbeitnehmerin An
spruch auf niederländisches Kindergeld gehabt hätte. Ein Anspruch der Ehefrau auf
Zahlung von deutschem Kindergeld aus dem sog. geringfügigen
Beschäftigungsverhältnis scheide aus, da dieses versicherungsfrei sei und folglich auch
die Ehefrau für diesen Zeitpunkt nicht unter den Regelungsgehalt der VO 1408/71 falle.
Das die niederländischen Behörden die "Halbe-Halbe-Regelung" fälschlicherweise erst
ab dem 1. April 2000 anwendeten, dafür habe die Beklagte nicht einzutreten. Da weder
der Kläger noch seine Ehefrau unter den Regelungsgehalt der VO 1408/71 fielen,
gingen die ansonsten hinsichtlich des Beginns anzuwendenden Vorschriften der Art.
10a VO 1408/71 und Anhang 8 DVO (sog. "Quartalsregelung") dem § 66 Abs. 2 EStG
nicht vor. Folglich wäre für das erstgeborene Kind N erst ab dem Monat der Geburt, also
August 1998, hälftiges Kindergeld zu zahlen.
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Der Berichterstatter hat die Sach- und Rechtslage am 2. April 2003 erörtert. Die
mündliche Verhandlung fand am 26. Mai 2004 statt. Hinsichtlich weiterer Einzelheiten
wird auf die Gerichtsakten und die beigezogenen Verwaltungsvorgänge verwiesen.
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E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e
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Die Klage ist unbegründet.
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1. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Zahlung des deutschen Kindergeldes in der für
die einzelnen Streitzeiträume geltenden ungekürzten Höhe, da er nicht unter den
Regelungsbereich der EG-VO 1408/71 fällt. Folglich entfällt ein Anspruch auf
Kindergeld aus Art. 73 EG-VO 1408/71. Unbeachtlich ist, inwieweit ihm aufgrund des
Art. 12 Abs. 2 EG-VO 1408/71, ggf. im Wege der Analogie, zu Recht Kindergeld in Höhe
der Hälfte des jeweils gültigen deutschen Kindergelds zu zahlen war, da
Klagegegenstand des vorliegenden Verfahrens allein die Erhöhung des gezahlten
deutschen Kindergeldes auf die ungekürzte gesetzliche Höhe in den Streitzeiträumen
ist.
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Artikel 73 EG-VO 1408/71 bestimmt, dass auch ein Selbständiger, dessen
Familienangehörige in einem anderen Mitgliedsstaat wohnen, als dem für die Zahlung
von Kindergeld zuständigen Staat, Kindergeld von diesem Staat erhalten kann. Der
Begriff des Selbständigen wird für Zwecke dieser Verordnung in Art. 1 lit a EG-VO
1408/71 legal definiert. Demnach ist ein Selbständiger jede Person, die gegen ein
Risiko oder gegen mehrere Risiken, die von den Zweigen eines Systems der sozialen
Sicherheit für Selbständige erfasst werden, pflichtversichert oder freiwillig versichert ist.
Daneben ist im Falle des Kindergeldes nach Anhang I Teil I lit C lit b zu beachten, dass
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dieser Selbständige in einer Versicherung der selbständigen Erwerbstätigen für den Fall
des Alters versicherungs- oder beitragspflichtig oder in der gesetzlichen
Rentenversicherung versicherungspflichtig sein muss. Diese Einschränkung des
Selbständigenbegriffes für Zwecke der Sozialen Sicherung ist europarechtskonform
(Entscheidung des EuGH 5. Kammer vom 30. Januar 1997, Rechtssachen C-4-95 und
C-5/95, EUGHE I 1997, 511, Abl EG 1997, Nr. C 74, 9). Es stellt insbesondere keine
Verletzung des Grundsatzes der Niederlassungsfreiheit nach Art. 43 EG-Vertrag dar, da
wie im vorliegenden Fall ein Niederländer mit Wohnsitz in den Niederlanden durch
diese Einschränkung nicht anders behandelt wird, als ein Deutscher mit Wohnsitz in
den Niederlanden. Auch dieser hat, soweit er in der deutschen Rentenversicherung
nicht versicherungspflichtig ist, keinen Anspruch auf Kindergeld aufgrund der EG-VO
1408/71.
Der so definierte Selbständigenbegriff der EG-VO 1408/71 trifft auf den Kläger nicht zu,
so dass eine Anwendung dieser EG-Verordnung nicht möglich ist. Der Kläger ist in den
Streitzeiträumen zwar in der Bundesrepublik Deutschland selbständig tätig gewesen, er
unterliegt aber unstreitig nicht der Versicherungspflicht der deutschen
Rentenversicherung.
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2. Der Kläger hat darüber hinaus auch keinen Anspruch auf Kindergeld nach den
Vorschriften des EStG. Er war zwar aufgrund seiner Anträge auf Veranlagung zur
deutschen Einkommensteuer gemäß § 1 Abs. 3 EStG in der Bundesrepublik
Deutschland unbeschränkt einkommensteuerpflichtig und damit gemäß § 62 Abs. 1
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Nr. 2b EStG auch ohne Wohnsitz in der Bundesrepublik Deutschland grundsätzlich
kindergeldberechtigt. Dieser Anspruch wird im vorliegenden Fall aber gemäß § 65 Abs.
1 Satz 1 Nr. 2 EStG ausgeschlossen.
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§ 65 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG schließt einen Anspruch auf Festsetzung von Kindergeld
aus, soweit für die Kinder Leistungen, die im Ausland gewährt werden und dem
Kindergeld vergleichbar sind, gezahlt worden sind oder hätten gezahlt werden müssen.
Dabei kommt es auch auf den Ehegatten als weitere Person an, zu der die Kinder in
einem Kindschaftsverhältnis i.S.d. § 63 EStG stehen (vgl. Weber-Grellet in Schmidt, 23.
Auflage, München 2004, § 65 EStG, Rz. 1).
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Im vorliegenden Fall sind sowohl der Kläger wie auch seine Ehefrau aufgrund ihres
Wohnsitzes in den Niederlanden im Streitzeitraum dort kindergeldberechtigt. Dass der
Wohnsitz in den Niederlanden nach dort geltendem nationalem Recht zur
Kindergeldberechtigung führt, steht für den Senat aufgrund der unbestrittenen
Feststellungen des Beklagten im Schriftsatz vom 16.7.2001 fest. Auch hat der Kläger,
der insoweit gemäß § 90 Abs. 2 AO i.V.m. § 76 Abs. 1 S. 4 FGO vorlagepflichtig ist,
keine anderslautenden Rechtsvorschriften des nationalen niederländischen Rechts
vorgelegt. Der Senat kann auch aufgrund der tatsächlichen Feststellungen des FG
Düsseldorf in dem der Entscheidung des BFH vom 13. August 2002 (VIII R 54/00, BFHE
200, 204, BStBl II 2002, 869) davon ausgehen, dass die diesbezüglichen Angaben der
Beklagten zutreffend sind. In der dort genannten Entscheidung hatte das FG Düsseldorf
(Urteil vom 12. Juli 2000, Az. 9 K 3159/99 Kg, EFG 2000, 1139) für das Jahr 1998 diese
grundsätzliche Kindergeldberechtigung aufgrund des Wohnsitzes nach nationalem
niederländischen Recht festgestellt. Dass sich diese rechtliche Situation in den
Folgejahren geändert hat, ist dem Senat nicht bekannt, insbesondere auch nicht vom
Kläger vorgetragen worden.
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Das nationale niederländische Kindergeldrecht wird im Fall der Ehefrau des Klägers
nicht durch die Vorschriften der EG-VO 1408/71 verdrängt, da diese Verordnung auch
auf die Ehefrau des Klägers nicht anwendbar ist. Diese ist keine Arbeitnehmerin i.S.d.
EG-VO 1408/71. Etwas anderes ergibt sich auch für die Zeit ab dem 1. Mai
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1999, also ab dem Zeitpunkt, ab dem die Ehefrau des Klägers als sog. geringfügig
Beschäftigte im Betrieb des Klägers arbeitete, nicht. Gemäß Anhang I Teil I lit C lit a der
VO 1408/71 sind Arbeitnehmer i.S.d. EG-VO 1408/71 nur diejenigen, die im Fall der
Arbeitslosigkeit pflichtversichert sind. Eine solche Pflichtversicherung bestand gemäß §
27 Abs. 2 SGB III für eine geringfügige Beschäftigung im Streitzeitraum - wie übrigens
auch heute noch - nicht. Ein geringfügig Beschäftigter ist kein Arbeitnehmer i.S.d. EG-
VO 1408/71 (vgl. auch FG Münster, 1. Senat, Urteil vom 17. Dezember 2001, EFG 2002,
848).
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Eine andere rechtliche Beurteilung kann sich auch nicht aufgrund der vorgelegten
Schreiben niederländischer Behörden ergeben. Soweit diese dem Kläger bescheinigt
haben, dass kein Kindergeld in den Niederlanden an ihn oder seine Ehefrau gezahlt
worden ist, wenden sie die Regelungen des Gemeinschaftsrechts falsch an. Dabei kann
dahinstehen, ob die vorgelegten Schreiben Bescheidscharakter haben. Denn selbst
wenn dies der Fall wäre, bindet eine fehlerhafte Entscheidung einer ausländischen
Behörde bei der Auslegung von Vorschriften des Gemeinschaftsrechts weder die
inländischen Behörden noch die inländischen Gerichte (BFH-Urteil, BFHE 200, 204,
BStBl II 2002, 869).
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3. Mangels Revisionsgründen gemäß § 115 Abs. 2 FGO konnte die Revision nicht
zugelassen werden.
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4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO.
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