Urteil des FG Münster vom 19.05.2009
FG Münster: zdg, freiwillige dienstleistung, berufsausbildung, unentgeltlich, eltern, willkürverbot, aussetzung, unterhaltsaufwendungen, gestaltung, gleichbehandlung
Finanzgericht Münster, 8 K 2947/08 Kg
Datum:
19.05.2009
Gericht:
Finanzgericht Münster
Spruchkörper:
8. Senat
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
8 K 2947/08 Kg
Sachgebiet:
Finanz- und Abgabenrecht
Tenor:
Die Klage wird abgewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens.
T a t b e s t a n d :
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Streitig ist die Rechtsfrage, ob Kindergeld auch für ein über 25 Jahre altes Kind zu
gewähren ist, das einen sog. "Anderen Dienst" im Ausland gem. § 14b Zivildienstgesetz
(ZDG) absolviert hat.
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Die Klägerin (Klin.) ist Mutter des im Januar 1983 geborenen Kindes K. Sie bezog für K
laufend bis einschließlich Januar 2008 (Vollendung des 25. Lebensjahres) Kindergeld.
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K leistete nach der Schulzeit vom 29.7.2003 bis 30.9.2004 in X (Ausland) statt des
Zivildienstes einen sog. "Anderen Dienst" i.S. des § 14 ZDG. Die Dienstleistung erfolgte
– wie vom Gesetz vorgesehen – unentgeltlich. Lediglich Versicherungsleistungen (u.a.
Krankenversicherungen) wurden vom Bund übernommen. Wegen der weiteren
Einzelheiten wird auf die Bescheinigung des Bischöflichen Generalvikariats N vom
10.7.2003 Bezug genommen (Bl. 29 der Kindergeldakte).
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Unmittelbar nach Ende des Dienstes im Ausland nahm K an der Universität N ein
Studium auf.
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Mit Bescheid vom 19.2.2008 hob die beklagte Familienkasse (FK) die
Kindergeldfestsetzung gegenüber der Klin. für K mit Wirkung ab Februar 2008 gem. § 70
Abs. 2 Einkommensteuergesetz (EStG) auf. Im Bescheid führte die FK an, für K sei
bereits für die Zeit der Dienstleistung i.S. des § 14b ZDG Kindergeld gezahlt worden.
Eine Verlängerung über das 25. Lebensjahr hinaus könne deshalb nicht erfolgen.
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Im Einspruchsverfahren begehrte die Klin. die Fortbewilligung des Kindergeldes über
die Vollendung des 25. Lebensjahres hinaus für die Dauer des gesetzlichen
Grundwehrdienstes. Die FK berücksichtige nicht ausreichend die wirtschaftliche
Situation eines Dienstleistenden nach § 14b ZDG. Anders als ein
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Grundwehrdienstleistender bezöge ein Dienstleistender i.S. des § 14b ZDG keinen
Sold, die Tätigkeit sei unentgeltlich. Die Unterhaltspflicht der Erziehungsberechtigten
bestehe daher fort. Grundwehrdienst und Anderer Dienst i.S. des § 14b ZVG seien
gleich zu behandeln. Die Berufsausbildung verzögere sich in beiden Fällen.
Mit Einspruchsentscheidung (EE) vom 30.6.2008, auf die Bezug genommen wird, wies
die FK den Einspruch als unbegründet zurück.
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Die Klin. erhob am 4.8.2008 Klage. Sie beruft sich auf einen Verstoß gegen den
Gleichbehandlungsgrundsatz. Auch habe sie seinerzeit nicht wissen können, dass
durch die Absolvierung des Dienstes im Ausland keine Verlängerung des
Kindergeldanspruchs begründet worden sei. Die Entscheidung sei getroffen worden in
der Annahme, dass keine weiteren wirtschaftlichen Nachteile während des Studiums
eintreten würden. Der Auslandsdienst von zwölf Monaten habe den Abschluss des
Studiums entsprechend verzögert.
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Die Klin. beantragt (sinngemäß),
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den Aufhebungsbescheid vom 19.2.2008 in Gestalt der EE vom 30.6.2008
aufzuheben und ihr auch für die Dauer des Anderen Dienstes i.S. des § 14b ZDG
von zwölf Monaten über die Vollendung des 25. Lebensjahres von K hinaus
Kindergeld in der gesetzlichen Höhe zu zahlen.
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Die FK beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Die FK führt im Wesentlichen an, bei dem von K geleisteten Anderen Dienst i.S. des
§ 14b ZDG handele es sich nicht um einen Verlängerungstatbestand gem. § 32 Abs. 5
EStG.
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Wegen der weiteren Einzelheiten wird Bezug genommen auf die vorgelegten
Verwaltungsvorgänge, die EE vom 30.6.2008 und die Schriftsätze der Beteiligten.
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Die Beteiligten haben auf mündliche Verhandlung verzichtet.
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E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e :
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Die Klage, über die mit Einverständnis der Beteiligten gem. § 90 Abs. 2
Finanzgerichtsordnung (FGO) ohne mündliche Verhandlung entschieden werden
konnte, ist unbegründet. Der Aufhebungsbescheid ist rechtmäßig und verletzt die Klin.
nicht in ihren Rechten (§ 100 Abs. 1 Satz 1 FGO).
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Nach § 70 Abs. 2 EStG ist die Festsetzung des Kindergeldes aufzuheben oder zu
ändern, soweit in den Verhältnissen, die für den Anspruch auf Kindergeld erheblich
sind, Änderungen eintreten. Aufzuheben oder zu ändern ist mit Wirkung vom Zeitpunkt
der Änderung der Verhältnisse an.
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Im Streitfall haben sich mit Ablauf des Monats Januar 2008 die kindergeldbegründenden
Umstände zum Nachteil der Klin. geändert. Zwar befand sich K nach wie vor in einer
Berufsausbildung i.S. des § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a EStG. Allerdings hat er im
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Januar 2008 sein 25. Lebensjahr vollendet, was – unabhängig von einer Fortdauer der
Berufsausbildung – zur Beendigung des Anspruchs auf Kindergeld führt (vgl. zur
zeitlichen Anwendung der Herabsetzung der Altersbegrenzung vom 27. auf das 25.
Lebensjahr durch das Steueränderungsgesetz 2007 vom 19. Juli 2006, BGBl I 2006,
1652, § 52 Abs. 40 Sätze 6 ff.).
Eine Verlängerung des Kindergeldanspruchs über das 25 Lebensjahr hinaus gem. § 32
Abs. 5 Satz 1 EStG kommt nicht in Betracht. Nach dieser Vorschrift wird für ein Kind, das
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1. den gesetzlichen Grundwehrdienst oder Zivildienst geleistet hat, oder
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2. sich an Stelle des gesetzlichen Grundwehrdienstes freiwillig für die Dauer von nicht
mehr als drei Jahren zum Wehrdienst verpflichtet hat, oder
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3. eine vom gesetzlichen Grundwehrdienst oder Zivildienst befreiende Tätigkeit als
Entwicklungshelfer i.S. des § 1 Abs. 1 Entwicklungshelfer-Gesetz ausgeübt hat,
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für einen der Dauer dieser Dienste oder der Tätigkeit entsprechenden Zeitraum,
höchstens für die Dauer des inländischen gesetzlichen Grundwehrdienstes oder bei
anerkannten Kriegsdienstverweigerern für die Dauer des inländischen gesetzlichen
Zivildienstes, über das 21. oder 25. Lebensjahr hinaus berücksichtigt.
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Mit dieser Regelung wollte der Gesetzgeber einen Ausgleich dafür schaffen, dass
Kinder während der Ableistung des Grundwehr- oder Zivildienstes steuerlich und auch
kindergeldrechtlich nicht berücksichtigt werden, die Berufsausbildung sich aber
entsprechend zeitlich verzögert (vgl. BT-Drs. 13/1558, 155 f.; BFH-Urteil vom 14.
Oktober 2002 VIII R 68/01, BFH/NV 2003, 460; Grönke-Reimann in
Hermann/Heuer/Raupach, EStG/KStG, § 32 Rdnr. 150; Heuermann in Blümich,
EStG/KStG, § 32 Rdnr. 162).
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Allerdings handelt es sich bei den in § 32 Abs. 5 Satz 1 EStG genannten
Dienstleistungen um einen abschließenden Katalog. Im Falle der Absolvierung anderer
Dienste kann der Verlängerungstatbestand nicht in Anspruch genommen werden (BFH
in BFH/NV 2003, 460; Loschelder in Schmidt, EStG, 28. Aufl., § 32 Rdnr. 68; Jachmann
in Kirchhof/Söhn/Mellinghoff, EStG/KStG, § 32 Rdnr. C 65). Da der Sohn der Klin.
keinen der in § 32 Abs. 5 EStG genannten Dienste geleistet hat, kommt eine
fortdauernde Berücksichtung mit Kindergeld über das 25. Lebensjahr vom
Gesetzeswortlaut nicht in Betracht.
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Der Senat sieht auch keinen Anlass, den Verlängerungstatbestand des § 32 Abs. 5 Satz
1 EStG auf die hier zu entscheidende Konstellation eines Anderen Dienstes i.S. des
§ 14b ZDG analog anzuwenden. Es fehlt an der hierfür erforderlichen planwidrigen
Regelungslücke mit Interessenvergleichbarkeit zwischen dem gesetzlich geregelten
und nicht geregelten Sachverhalt (vgl. hierzu im Einzelnen Drüen in Tipke/Kruse,
AO/FGO, § 4 Rdnr. 365 ff. m.w.N.). Zum einen dürfte bereits keine planwidrige
Regelungslücke vorgelegen haben. Der Gesetzgeber hat die Verlängerungstatbestände
in § 32 Abs. 5 Satz 1 EStG dezidiert geregelt. Eine nicht beabsichtigte Nicht-
Berücksichtigung der Dienstleistungen i.S. von § 14b ZDG kann dem Gesetzgeber
daher nicht unterstellt werden. Zum anderen fehlt es zur Überzeugung des Senats an
einer Interessenvergleichbarkeit zwischen den in § 32 Abs. 5 Satz 1 EStG genannten
Verlängerungstatbeständen und der vorliegend in Frage stehenden Dienstleistung gem.
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§ 14b ZDG. Zwar weist die Klin. zu Recht darauf hin, dass sich regelmäßig auch im
Falle der Dienstleistung nach § 14b ZDG die Berufsausbildung des Kindes verzögert.
Auch stehen (freiwillige) Dienstleistung i.S. des § 14b ZDG und der "normale"
Zivildienst durchaus miteinander im Zusammenhang. Denn bei Erfüllung des Anderen
Dienstes (§ 14b ZDG) erlischt die Pflicht, Zivildienst leisten zu müssen (§ 14b Abs. 2
ZDG). Elementarer Unterschied zwischen beiden Arten von Dienstleistungen ist
allerdings, dass die Kindergeldberechtigten eines zivildienstleitenden Kindes für die
Dauer des Zivildienstes keinen Anspruch auf Kindergeld haben, während sich
diejenigen eines nach § 14b ZDG dienstleistenden Kindes – wie auch die Klin. – auf
den Tatbestand des § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. d EStG berufen können. Hiermit
mag vom Gesetzgeber zwar auch dem Umstand Rechnung getragen worden sein, dass
die Dienstleistung nach § 14b ZDG – anders als der Grundwehr- und Zivildienst –
unentgeltlich erfolgt (§ 14b Abs. 1 Nr. 2 ZDG), so dass die mit dem Kindergeldanspruch
typisierend zugrunde gelegte Unterhaltsverpflichtung der Erziehungsberechtigten
fortbesteht. Allerdings rechtfertigt der Gesetzgeber die Verlängerung des
Kindergeldanspruchs um Zeiten der Absolvierung des Grundwehr- und Zivildienstes –
wie dargelegt – insbesondere mit der fehlenden steuerlichen/kindergeldrechtlichen
Begünstigung wehrdienst- bzw. zivildienstleistender Kinder (BT-Drs. 13/1558, 155 f.).
Auf eben jenen Umstand kann sich der Berechtigte eines gem. § 14b ZDG
dienstleistenden Kindes nicht berufen.
Der Senat hält die Regelung des § 32 Abs. 5 Satz 1 EStG und die
Nichtberücksichtigung von Dienstleistungen gem. § 14b ZDG auch nicht für
verfassungswidrig. Eine Aussetzung des Verfahrens zur Vorlage an das
Bundesverfassungsgericht gem. Art. 100 Grundgesetz (GG) kommt somit nicht in
Betracht.
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Zur Überzeugung des Senats liegt insbesondere kein Verstoß gegen den allgemeinen
Gleichheitsgrundsatz aus Art. 3 Abs. 1 GG vor. Der allgemeine Gleichheitssatz gebietet
dem Gesetzgeber, wesentlich Gleiches gleich und wesentlich Ungleiches ungleich zu
behandeln. Er gilt für ungleiche Belastungen wie auch für ungleiche Begünstigungen
(BVerfG-Urteil vom 9. Dezember 2008 2 BvL 1/07 u.a., NJW 2009, 48 m.w.N.). Dabei ist
die Ausprägung des allgemeinen Gleichheitsgrundsatzes je nach
Regelungsgegenstand und Differenzierungsmerkmal unterschiedlich. Es kommt neben
dem Willkürverbot auch ein strengeres Verhältnismäßigkeitserfordernis in Frage. Art. 3
Abs. 1 GG ist jedenfalls dann verletzt, "wenn sich ein vernünftiger, sich aus der Natur
der Sache ergebender oder sonst wie sachlich einleuchtender Grund für die gesetzliche
Differenzierung oder Gleichbehandlung nicht finden lässt" (vgl. BVerfG-Beschluss vom
4. Dezember 2002 2 BvR 400/98, 1735/00, BStBl II 2003, 534).
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Eine unterschiedliche Behandlung zwischen den in § 32 Abs. 5 Satz 1 EStG ab-
schließend genannten Dienstleistungen und dem vom Sohn der Klin. geleisteten
Anderen Dienst i.S. des § 14b ZDG ist durch sachliche Erwägungen hinreichend
gerechtfertigt. Denn für Zeiten der Dienstleistung nach § 14b ZDG besteht – wie
dargelegt – ein Kindergeldanspruch gem. § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. d EStG, im
Gegenteil zu den in § 32 Abs. 5 Satz 1 EStG genannten Diensten. Eine zusätzliche
Förderung mit Kindergeld über das 25. Lebensjahr hinaus wäre vor diesem Hintergrund
sogar ungerechtfertigt.
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Ferner ist zu berücksichtigen, dass Dienstleistungen i.S. des § 14b ZDG – anders als
der gesetzliche Grundwehr- und Zivildienst – auf rein freiwilliger Grundlage erfolgen.
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Zwar knüpft auch der Dienst nach § 14b ZDG an eine Anerkennung als
Kriegsdienstverweigerer an. Allerdings besteht keine Verpflichtung, anstelle des
entgoltenen Zivildienstes (im Inland oder auch Ausland) Dienst i.S. des § 14b ZDG zu
leisten. Insofern dürfte es sich nach Einschätzung des Senats regelmäßig um eine
ideelle Entscheidung des Kindes handeln, bei der – vermeintliche – Nachteile
hinsichtlich des Anspruchs auf Kindergeld hinzunehmen sind.
Die von der Klin. angeführten wirtschaftlichen Nachteile sind zudem nicht zwingend.
Etwaige fortwährende Unterhaltspflichten der Eltern gegenüber einem sich noch in der
Berufsausbildung befindlichen Kind, für das kein Anspruch auf Kindergeld (mehr)
besteht, begünstigt der Gesetzgeber mit einem steuerlichen Abzug als
außergewöhnliche Belastungen gem. § 33a Abs. 1 EStG. Unter der Voraussetzung,
dass das unterhaltene Kind über keine bzw. nur geringe eigene Einkünfte verfügt (und
auch kein oder nur geringes Vermögen besitzt), können die zum Unterhalt verpflichteten
Eltern Aufwendungen von bis zu EUR 7.680 steuerlich in Abzug bringen. Insofern kann
sich der Abzugsbetrag für Unterhaltspflichten gegenüber Kindern gem. § 33a Abs. 1
EStG steuerlich sogar günstiger auswirken als bei Unterhaltsaufwendungen gegenüber
kindergeldberechtigten Kindern. Denn die Maximalförderung nach § 33a Abs. 1 EStG ist
höher als die Summe der in § 32 Abs. 6 EStG genannten Freibeträge für (noch
begünstigte) Kinder zuzüglich des in § 33a Abs. 2 EStG geregelten
Ausbildungsfreibetrags.
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Ob die Klin. – wie sie vorträgt – im Falle der Kenntnis eines Erlöschens des
Kindergeldanspruchs mit Vollendung des 25. Lebensjahres ihres Sohnes von der
seinerzeit gewählten Gestaltung Abstand genommen hätte, ist weder aus
verfassungsrechtlichen noch aus einfachgesetzlichen Gründen von Bedeutung.
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO.
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Die Revision war nicht zuzulassen. Die Voraussetzungen des § 115 Abs. 2 FGO liegen
nicht vor. Die Entscheidung des Senats rechtfertigt sich durch die eindeutige
Gesetzeslage, an deren Verfassungsmäßigkeit keine Zweifel bestehen.
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