Urteil des FG Münster vom 06.09.2005

FG Münster: vollziehung, verkehrswert, aussetzung, summarisches verfahren, adv, haus, härte, einspruch, stadt, ertragswert

Finanzgericht Münster, 3 V 3008/05 F
Datum:
06.09.2005
Gericht:
Finanzgericht Münster
Spruchkörper:
3. Senat
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
3 V 3008/05 F
Tenor:
Der Antrag wird abgewiesen.
Die Kosten des Verfahrens trägt der Antragsteller.
Tatbestand:
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Streitig ist, ob das Finanzamt (FA) den Bedarfswert zutreffend ermittelt hat,
insbesondere ob die Bedarfsbewertung verfassungsgemäß ist.
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Am 19.05.2002 starb Frau A...... Der Antragsteller (Ast.) erbte zusammen mit seinen
beiden Geschwistern S..... und B..... das mit einem Mehrfamilienhaus bebaute
Grundstück A-Str. 52 in B-Stadt zu gleichen Teilen. Nach Aufforderung durch das FA ist
eine Erklärung zur Feststellung des Grundbesitzwerts abgegeben worden.
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Das FA stellte den Bedarfswert auf 361.000 € fest und rechnete ihn zu je 1/3 dem Ast.
und seinen beiden Geschwistern; wegen der Einzelheiten wird auf den Bescheid über
die gesonderte und einheitliche Feststellung des Grundbesitzwerts auf den 19.05.2002
für Zwecke der Erbschaftsteuer vom 02.06.2004 Bezug genommen.
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Der Ast. und seine beiden Geschwister legten Einspruch ein. Nach Vorlage eines
Gutachtens, mit dem ein Verkehrswert von 330.000 € ermittelt wurde, änderte das FA
den angefochtenen Bescheid und stellte den Bedarfswert auf 330.000 € fest; Bescheid
vom 30.11.2004.
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Der Ast. legte Einspruch ein und beantragte Aussetzung der Vollziehung (AdV). Gemäß
den Feststellungen der Finanzverwaltung betrage der Bedarfswert durchschnittlich 51%
des Verkehrswerts. Im Streitfall würden aber 100% des Verkehrswerts zugrunde gelegt.
Es bestehe eine nicht unwesentliche Abweichung vom Durchschnittswert. Da im
Streitfall der berücksichtigte Wert weit über dem Durchschnittswert liege, müsse es
dementsprechend zahlreiche Werte geben, die weit unter 51 % lägen. Dies sei mit dem
Gleichheitsgrundsatz des Art. 3 des Grundgesetzes (GG) nicht vereinbar.
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Das FA wies den Einspruch und den Antrag auf AdV mit Einspruchsentscheidung (EE)
vom 14.10.2004 als unbegründet zurück. Die Bewertung entspreche der gesetzlichen
Regelung.
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Regelung.
Der Ast. erhob Klage (3 K 2466/05 F), über die noch nicht entschieden ist. Außerdem
stellte er einen Antrag auf AdV.
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Er halte die Grundbesitzbewertung in der derzeitigen gesetzlichen Form für
verfassungswidrig. Sie verstoße gegen Art. 14 Abs. 1 GG und Art. 3 Abs. 1 GG. Die
Problematik der unterschiedlichen Bewertung der verschiedenen Arten von Vermögen
sei Gegenstand einer Vorlage des BFH (II R 61/99) beim Bundesverfassungsgericht (1
BvL 10/02). Bei den aufgrund pauschalierter Berechnungsmethoden festgestellten
Werten werde kritisiert, dass nach den Feststellungen des Bundesfinanzministeriums
und der Finanzbehörden der Grundbesitz durchschnittlich lediglich 50 % des
Verkehrswerts betrage. Dies könne er, soweit die Bedarfsbewertung ihn selbst betreffe,
nicht bestätigen.
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Für das Haus A-Str. 52 in B-Stadt sei zunächst ein Grundbesitzwert in Höhe von
361.000,00 € festgesetzt worden, der noch über dem tatsächlichen Verkehrswert von
330.000,00 € liege. Aufgrund eines Sachverständigengutachtens sei der Verkehrswert
von 330.000 € nunmehr als Bedarfswert angesetzt worden.
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Für das Haus A-Str. 44, um das es im Streitfall nicht gehe, sei der Grundbesitzwert auf
453.000,00 € festgesetzt worden, während in einem früheren Gutachten der
Finanzverwaltung der Verkehrswert auf 562.421 € beziffert worden sei. Bei dem Haus A-
Str. 44 würden somit 78,88 % des Verkehrswertes angesetzt und bei dem Haus A-Str.
52 100 % des Verkehrswertes. Wenn nun aber amtlicherseits festgestellt sei, dass der
durchschnittliche Grundbesitzwert bei 51 % des Verkehrswerts liege, so sei der Ansatz
von 78,8 % und 100 % keine nur geringfügige Abweichung von dem Durchschnittswert.
Er hätte sonst eine wesentlich höhere Steuer zu entrichten als andere Immobilienerben.
Durch die Festsetzungsmethodik sei nachgewiesen, dass der Gleichheitssatz des Art. 3
Abs. 1 GG verletzt sei.
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Des Weiteren sei zu beanstanden, dass Vermögenswerte aus der Land- und
Forstwirtschaft sowie von Unternehmen durch die hier angewandten
Bewertungsmethoden steuerlich noch niedriger bewertet seien, als die Werte aus den
von seinen Eltern erfolgten Übertragungen von Mehrfamilienhäusern. Es sei auch nicht
berücksichtigt, dass die Häuser seines Vaters letztendlich aus dessen selbständiger
unternehmerischer Tätigkeit als Tischlermeister erwachsen seien. Sie seien letztendlich
eine Fortführung seines Betriebs. Insgesamt habe sein Vater sieben Häuser gebaut und
mit jedem Haus sei bedingt durch die damit verbundene Arbeit der Anteil seiner Arbeit
als Tischlermeister entsprechend geringer geworden. Dies sei zuletzt soweit gegangen,
dass der Tischlereibetrieb keinen Gewinn mehr abgeworfen habe und er vom FA
gezwungen worden sei, diesen zu schließen und sein Gewerbe abzumelden.
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Der Ast. begründet seine Klage und seinen Antrag auf AdV weiter damit, dass er auch
das Erbschaftsteuergesetz in der jetzigen Form für verfassungswidrig hält. Wegen der
Ausführungen zur Begründung betreffend das gesamte Erbschaftsteuergesetz wird auf
den Schriftsatz des Ast. vom 03.02.02005 (3 K 6445/02) Bezug genommen.
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Im Übrigen nimmt der Ast. Bezug auf sein Vorbringen im Einspruchsverfahren.
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Eine AdV entspreche auch der Billigkeit, denn der Staatskasse entstehe durch die über
der Marktlage liegenden hohen Zinsen kein Schaden, wenn er mit seiner Klage
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letztendlich unterliege, andererseits würde ihm ein Schaden durch Zinsausfälle
entstehen.
Der Ast. beantragt sinngemäß,
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AdV für den Bescheid über die Festsetzung des Grundbesitzwertes für Zwecke
Erbschaftsteuer in der Weise zu gewähren, dass der Bedarfswert in Höhe von
maximal 51 % des Verkehrswerts (330.000,00 €) festgesetzt wird.
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Das FA hat keinen Antrag gestellt.
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Die vom FA vorgenomme Ermittlung des Bedarfswerts entspreche dem
Bewertungsgesetz.
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Entscheidungsgründe;
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Der zulässige Antrag ist nicht begründet.
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Nach § 69 Abs. 3 i.V.m. § 69 Abs. 2 Satz 2 Finanzgerichtsordnung (FGO) ist die
Aussetzung der Vollziehung bzw. die Aufhebung der Vollziehung anzuordnen, wenn
ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Bescheids bestehen oder
wenn die Vollziehung für den Betroffenen eine unbillige, nicht durch überwiegende
öffentliche Interessen gebotene Härte zur Folge hätte. Ernstliche Zweifel liegen vor,
wenn neben den für die Rechtmäßigkeit sprechenden Umständen gewichtige gegen die
Rechtmäßigkeit sprechende Umstände zutage treten, die Unentschiedenheit in der
Beurteilung der Rechtsfragen oder Unklarheit in der Beurteilung der Tatfragen auslösen.
Das Aussetzungsverfahren ist ein summarisches Verfahren. Zweifel tatsächlicher oder
rechtlicher Art können deshalb in diesem Verfahren nicht abschließend geklärt werden.
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Nach der im Verfahren der Aussetzung der Vollziehung gebotenen summarischen
Prüfung bestehen nach Auffassung des Senats keine ernstlichen Zweifel an der
Rechtsmäßigkeit des angefochtenen Bescheids über die Feststellung des
Grundbesitzwertes. Der Grundstückswert, der aufgrund der Bedarfsbewertung nach §
146 BewG ermittelt wurde, ist auch dann verfassungsgemäß, wenn der so ermittelte
Bedarfswert mehr als 50 v.H. des Verkehrswerts beträgt (vgl. FG Münster, Urteil vom
07.06.2001 3 K 7778/98 EW, EFG 2004, 967, Revision zugelassen durch den BFH auf
Nichtzulassungsbeschwerde mit Beschluss vom 19.02.2004 II B 137/01, nicht in juris
dokumentiert, das Revisionsverfahren wird unter dem Az. II R 7/04 geführt; zum
Meinungsstand von Schrifttum und Rechtsprechung zur Ertragsbewertung unter
verfassungsrechtlichen Gesichtspunkten vgl. Gürsching/Stenger, BewG, VStG,
Kommentar, § 146 BewG Anm. 51 ff.).
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Der Gesetzgeber ist durch den Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom
22.06.1995 (2 BvR 552/91, BStBl. II 1995, 671) aufgefordert worden, die
erbschaftsteuerliche Bemessungsgrundlage für die Übertragung von Grundvermögen
neu zu regeln, weil die verfassungsrechtliche Überprüfung der bisherigen Regelung
ergeben hatte, dass die erbschaftsteuerliche Belastung des Grundvermögens
gegenüber der Belastung anderer Vermögensarten, insbesondere des
Kapitalvermögens, in unvertretbarer Weise begünstigt war. Das
Bundesverfassungsgericht hat deshalb gefordert, dass für die einzelnen vererblichen
wirtschaftlichen Einheiten und Wirtschaftsgüter Bemessungsgrundlagen zu finden
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seien, die deren Wert in ihrer Relation zueinander realitätsgerecht wiedergeben.
Um dieser Vorgabe zu entsprechen, hat der Gesetzgeber in einem kontrovers
diskutierten Gesetzgebungsverfahren (vgl. Darstellung bei Rössler/Troll/Halaczinsky, §
138 BewG, Rdnr. 10, § 146 BewG, Rdnr. 1 - 4; Seer, a.a.O.; S. 289) die sogenannte
Bedarfsbewertung eingeführt. Im Unterschied zur Einheitsbewertung ist der ermittelte
Bedarfsgrundstückswert nicht an den Stichtag der letzten Hauptfeststellung - 01.01.1964
- gebunden, sondern durch seine zeitnähere Feststellung den aktuellen Verkehrswerten
angenähert. Es ist jedoch nicht Ziel der neu eingeführten Bedarfsbewertung, einen
Grundstückswert zu ermitteln, der dem gemeinen Wert im Sinne des § 9 BewG
möglichst nahe kommt. Die Bedarfsbewertung ergibt vielmehr im pauschalierten
Verfahren einen eigenständigen Steuerwert, der regelmäßig unter dem Verkehrswert
des Grundstücks liegt. Damit wollte der Gesetzgeber dem Umstand Rechnung tragen,
dass insbesondere das selbstbewohnte, aber auch das bewirtschaftete Grundvermögen
regelmäßig nicht - wie z.B. das Kapitalvermögen - zur freien wirtschaftlichen Disposition
steht, sondern mit seiner Substanz oder mit seinem Ertragswert auf Dauer genutzt wird.
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Bei der Neugestaltung der erbschaftsteuerlichen Erfassung des Grundvermögens hatte
der Gesetzgeber demnach zu beachten, dass bei einer Bewertung des jeweiligen
Grundvermögens einerseits der nach objektiven Merkmalen annäherungsweise zu
bestimmende Verkehrswert nicht überschritten wird, andererseits Garantien des
Erbrechts und Eigentums ausreichend Beachtung finden.
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Die vom Gesetzgeber eingeführte und im Streitfall hinsichtlich des vom Ast. durch
Erbfall erworbenen Grundstücks zu beurteilende Bedarfsbewertung hält sich nach
Auffassung des Senats innerhalb dieser verfassungsrechtlich vorgezeichneten Grenzen.
Der Grenzziehung durch den Verkehrswert hat der Gesetzgeber dadurch Rechnung
getragen, dass er dem Steuerpflichtigen in § 146 Abs. 7 BewG die Möglichkeit einräumt
nachzuweisen, dass die in Anwendung der Abs. 2 - 6 getroffene Wertfeststellung über
dem Verkehrswert liegt.
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Etwas Anderes ergibt sich auch nicht daraus, dass der Gesetzgeber bei der Regelung
der Bedarfsbewertung für bebaute Grundstücke das Ertragswertverfahren gewählt hat,
um im Durchschnitt einen Wert in Höhe von nur ca. 50 % des Verkehrswerts zu erhalten
(vgl. Zweiten Bericht des Finanzausschusses vom 05.11.1996, Bundestagsdrucksache
13/5952, 28). Die Regelung in § 146 Abs. 7 BewG zeigt, dass der Gesetzgeber einen
Wert bis zur Höhe des Verkehrswerts als zutreffenden Bedarfswert akzeptiert.
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Bedenken gegen die Verfassungsmäßigkeit der Bedarfsbewertung gem. § 146 BewG
können sich allerdings aus einer Ungleichbehandlung verschiedener Steuerpflichtiger
bei Werten von einerseits nur 50 % und andererseits bis zu 100 % des Verkehrswertes
ergeben. Es fragt sich, ob derartige Bewertungsdifferenzen noch durch das Recht des
Gesetzgebers abgedeckt werden, im Steuerrecht als Massenverfahrensrecht
typisierende und pauschalierende Regelungen zu finden. Da bei Wegfall des § 146
BewG wegen Verfassungswidrigkeit aber der Verkehrswert anzusetzen wäre, hält der
Senat es jedenfalls im Verfahren wegen Aussetzung der Vollziehung für gerechtfertigt,
von der Zulässigkeit eines derartigen Gestaltungsspielraums des Gesetzgebers
auszugehen.
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Im Übrigen schließt sich der Senat der Auffassung des FG Rheinland-Pfalz an, das trotz
der Kritik an der Bedarfsbewertungsmethode diese mit Rücksicht auf die weitgehende
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Gestaltungsfreiheit des Gesetzgebers für verfassungsmäßig hält (vgl. FG Rheinland-
Pfalz, Urteile vom 28.07.1998 2 K 8388/97, EFG 1998, 1563 und vom 24.07.2001 2 K
1704/00, EFG 2002, 180; die gegen das Urteil vom 24.07.2001 eingelegte Revision hat
der BFH mit Urteil vom 10.11.2004 II R 69/01, BStBl II 2005, 259 als unbegründet
zurückgewiesen, ohne auf die verfassungsrechtliche Problematik einzugehen; Beschluß
des Hessischen Finanzgerichts vom 11.09.1998 3 V 4925/98, StE 1998, 802). Die
Anwendung des Ertragswertverfahrens gem. § 146 BewG erscheint deshalb noch als
sachgerecht und nicht als willkürlich, weil der Ertragswert nach oben durch den
Nachweis eines niedrigeren Verkehrswerts (§ 146 Abs. 7 BewG) und nach unten durch
den Mindestwert (§ 146 Abs. 6 i.V.m. § 145 Abs. 3 BewG) begrenzt wird. Auch Seer
(a.a.O., S. 289) weist darauf hin, dass gerade in Fällen der Grundstücksbewertung "die
konsequente Umsetzung des Belastungsgrundes für jeden Einzelfall insgesamt zu
einem unverhältnismäßigen Vollzugsaufwand führen würde. Es gibt für ein Grundstück
keinen absolut zutreffenden Marktwert, sondern allenfalls ein Marktwertniveau auf dem
sich mit mehr oder weniger großen Abweichungen vertretbare Verkehrswerte bilden."
Soweit der BFH in seinem Vorlagebeschluss vom 22.05.2002 (II R 61/99, BStBl II 2002,
598, Az. beim BVerfG 1 BvL 10/02) die Auffassung vertreten hat, dass "das auf einem
einheitlichen Faktor von 12,5 beruhende "vereinfachte" Ertragswertverfahren für
bebaute Grundstücke (§§ 146 ff. BewG) ... nach Auffassung des Senats gegen das
Gleichbehandlungsverbot verstößt", folgt dem der erkennende Senat aus den oben
dargestellten Erwägungen nicht.
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Auch soweit der Ast. von einer unbilligen Härte ausgeht, hat der Antrag auf Aussetzung
der Vollziehung keinen Erfolg . Dem Ast. entsteht entgegen seiner Auffassung kein
wirtschaftlicher Schaden, wenn keine Aussetzung der Vollziehung gewährt wird. Denn
im Fall des Obsiegens im Hauptsacheverfahren erhält er Prozesszinsen gem. § 236 AO.
Andere Gründe, die für das Vorliegen einer unbilligen Härte sprechen, wenn die
Aussetzung der Vollziehung abgelehnt wird, hat der Ast. nicht vorgetragen und sind
nach Aktenlage auch nicht erkennbar.
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Im Hauptsacheverfahren werden die Geschwister des Ast., Frau Astrid Schneider und
herr B..... gem § 60 Abs. 3 FGO notwendig beizuladen sein, da die Entscheidung ihnen
gegenüber nur einheitlich ergehen kann. Im Verfahren über die Aussetzung der
Vollziehung ist eine Beiladung aber nicht erforderlich (vgl. BFH, Beschlüsse vom
22.10.1980 I S 1/80, BStBl. II 1981, 99 und vom 03.12.1985 VII B 65/85, BFH/NV 1986,
419).
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Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 Abs. 1 FGO.
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Die Beschwerde war gem. § 128 Abs. 3 i.V.m. § 115 Abs. 2 Nrn. 1 und 2 FGO
zuzulassen.
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