Urteil des FG Münster vom 20.02.2002

FG Münster: unterhaltspflicht, einkünfte, belastung, unterhaltsaufwendungen, eltern, begriff, zivilrecht, aufwand, höchstbetrag, steuerrecht

Finanzgericht Münster, 10 K 7470/00
Datum:
20.02.2002
Gericht:
Finanzgericht Münster
Spruchkörper:
10. Senat
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
10 K 7470/00
Tenor:
Unter Änderung des Einkommensteuerbescheides 1998 i.d.F. der Ein-
spruchsentscheidung wird die Einkommensteuer 1998 auf 9.353,06
EUR festgesetzt.
Die Kosten des Verfahrens trägt der Beklagte.
Gründe:
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Streitig ist die Berücksichtigung von Unterhaltszahlungen als außergewöhnliche
Belastung.
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Die Klägerin erzielte im Streitjahr 1998 Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit als
technische Angestellte mit einem Bruttoarbeitslohn von 84.341,- DM. In ihrer
Einkommensteuererklärung beantragte sie, Unterhaltszahlungen an ihren verheirateten
Sohn in Höhe von 12.000,- DM als außergewöhnliche Belastung zu berücksichtigen.
Sie gab an, ihr 1965 geborener Sohn lebe mit Ehefrau und Kind in einem eigenen
Haushalt und studiere an der Universität....... . Die Ehefrau des Sohnes werde von ihren
Eltern unterhalten, da sie ebenfalls noch Studentin sei.
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Die Einkünfte des Sohnes betrugen im Streitjahr 1.200 DM (Einnahmen 3.200.- DM,
gemindert um Werbungskosten von 2.000,- DM).
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Der Beklagte ließ die Unterhaltszahlungen unberücksichtigt. Der hiergegen gerichtete
Einspruch blieb erfolglos.
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Die Klägerin meint, sie sei nachweislich für den Unterhalt ihres Sohnes aufgekommen.
Ihr stehe deshalb ein Unterhaltsfreibetrag gemäß § 33a Einkommensteuergesetz (EStG)
zu.
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Die Klägerin beantragt sinngemäß,
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unter Änderung des Einkommensteuerbescheides 1998 vom 15.03.2000 idF der
Einspruchsentscheidung vom 07.11.2000 Unterhaltsaufwendungen von 12.000,-
DM zu berücksichtigen.
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Der Beklagte beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Er meint, der Sohn der Klägerin sei im Streitjahr nicht mehr
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unterhaltsberechtigt gewesen. § 33a Abs. 1 Satz 1 EStG in der Fassung des
Jahressteuergesetzes 1996 setze nicht nur Verwandtschaft in gerader Linie voraus.
Vielmehr müsse die unterhaltene Person auch - zivilrechtlich - bedürftig sein. Die
Unterhaltspflicht bzw. -berechtigung reiche danach grundsätzlich nur bis zum
Regelabschluß eines Studiums (Palandt, 60. Aufl. § 1610 BGB Rz 22). Im Streitfall habe
der im Streitjahr 33-jährige Sohn der Klägerin die Regelabschlußzeiten für ein
rechtswissenschaftliches Studium weit überschritten.
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Die Klage ist begründet.
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Der Beklagte hat zu Unrecht die beantragte Steuerermäßigung gemäß § 33a Abs. 1
EStG (in der für das Streitjahr geltender Fassung) nicht gewährt.
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Nach dieser Vorschrift kann eine Steuerermäßigung nur für Aufwendungen beansprucht
werden, die gegenüber einer "gesetzlich unterhaltsberechtigten Person" erfolgen.
Gemeint ist damit die familienrechtliche Unterhaltsberechtigung nach den Vorschriften
des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB). Der Gesamtbetrag der Einkünfte ermäßigt sich
hiernach um bis zu 12.000,- DM, wenn die Aufwendungen eines Steuerpflichtigen der
Abgeltung der Unterhaltsansprüche des Ehegatten (§§ 1360 ff und §§ 1569 ff. BGB -
Unterhaltspflicht während der Ehe bzw. nach Scheidung - ) und der in gerader Linie
verwandten Personen ( §§ 1601 ff., 1589 BGB - Eltern/Kinder) dienen.
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Für einen Rückgriff auf das Zivilrecht über die Frage der potentiellen
Unterhaltsberechtigung hinaus trifft die Vorschrift des § 33a Abs. 1 Satz 1 EStG keine
Regelung (vgl. Schmidt/Glanegger, EStG, 20. Aufl., § 33a Rz 19). Das
Jahressteuergesetz 1996 hat das Erfordernis der gesetzlichen Unterhaltsberechtigung
eingeführt, um den Abzug von Unterhaltsaufwendungen bei nicht oder nicht näher
Verwandten aufzuheben (vgl. Müller, FR 1997, 705, 711). Hat der Steuerpflichtige, wie
hier die Klägerin für ihren Sohn, Zahlungen für eine ihm gegenüber
unterhaltsberechtigte Person geleistet, dann stellt dieser Betrag unabhängig von einer
zivilrechtlichen Verpflichtung bis zum Höchstbetrag einen außergewöhnlichen Aufwand
dar, der zur Minderung der (steuerlichen) Leistungsfähigkeit führt. Liegen wie im
Streitfall auch die weiteren Voraussetzungen des § 33a Abs. 1 EStG vor, nämlich
eigene Einkünfte und Bezüge des Unterhaltsberechtigten von nicht mehr als 1.200,- DM
und Einhaltung der Opfergrenze (Schmidt/Glanegger, a.a.0.), ist die Steuerermäßigung
ungeachtet der zivilrechtlichen Unterhaltsverpflichtung zu gewähren. Nach Auffassung
des Senats ist es nicht Aufgabe der Finanzverwaltung, über die zivilrechtliche
Unterhaltsberechtigung hinaus einzelnen Umständen für eine zivilrechtliche
Unterhaltsverpflichtung nachzugehen. Demzufolge verweisen auch die Richtlinien (R
190 Abs. 1 EStR 1996) lediglich auf Vorschriften, die wie die §§ 1601, 1606 und 1608
BGB die Unterhaltsberechtigung bzw. die Reihenfolge der Unterhaltsverpflichtung
betreffen.
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Im Übrigen verwendet das Steuerrecht schon seit längerem den Begriff der gesetzlich
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unterhaltsberechtigten Person in § 12 Nr. 2 EStG. Nach der hierzu ergangenen
höchstrichterlichen Rechtsprechung (Urteile des BFH vom 31.10.1969 VI R 60/68,
BStBl. II 1970, 115 und vom 18.10.1974 VI R 175/72, BStBl. II 1975, 502) läßt der BFH
die potentielle Unterhaltspflicht zur Ausfüllung des gesetzlichen Tatbestandsmerkmals
genügen. Ausdrücklich nicht erforderlich ist hiernach, dass auch die subjektiven
(konkreten) Voraussetzungen einer Unterhaltspflicht gegeben sind. Der Senat geht
davon aus, dass der Gesetzgeber den Begriff der gesetzlich unterhaltsberechtigten
Person in den §§ 12 Nr. 2 und 33a Abs. 1 EStG nicht unterschiedlich hat regeln wollen.
Auch im Rahmen einer außergewöhnlichen Belastung ist bei Vorliegen der übrigen
steuerrechtlichen Voraussetzungen deshalb eine Steuerermäßigung schon dann zu
gewähren, wenn die Unterhaltsverpflichtung (nur) potentiell vorliegt (so auch OFD
Berlin, FR 1999, 1334; Schmidt/Glanegger, a.a.0.).
Der Sohn der Klägerin gehört zu dem Kreis der gesetzlich potentiell
Unterhaltsberechtigten. Ob nach den Vorschriften des BGB die Klägerin noch eine
Unterhaltspflicht trifft, obwohl ihr Sohn die Regelabschlußzeit erheblich überschritten hat
(§ 1610 BGB), ist für das zu entscheidende Verfahren ohne Bedeutung.
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Die Einkommensteuer 1998 berechnet sich hiernach wie folgt:
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zu versteuerndes Einkommen
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bisher 82.676,- DM
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darauf entfallende Einkommensteuer 23.089,- DM
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zu versteuerndes Einkommen
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laut Urteil 70.676,- DM
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darauf entfallende Einkommensteuer 18.293,- DM
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= 9.353,06 EUR
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 Finanzgerichtsordnung.
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