Urteil des FG Münster vom 23.10.2002
FG Münster: einkünfte, erwerb, versicherungsnehmer, minderung, fonds, provision, anschaffungskosten, vermietung, aufwand, sicherheitsleistung
Datum:
Gericht:
Spruchkörper:
Entscheidungsart:
Tenor:
1
2
3
4
Aktenzeichen:
Finanzgericht Münster, 12 K 5082/01 E
23.10.2002
Finanzgericht Münster
12. Senat
Urteil
12 K 5082/01 E
Die Einkommensteuerbescheide 1996 und 1997 vom 25.01.2001 werden
mit der Maßgabe geändert, dass die Provisionsanteile in 1996 in Höhe
von 13.000 DM und in 1997 in Höhe von 180.000 DM steuerfrei belassen
werden.
Die Neuberechnung der Einkommensteuer nach diesem Urteil wird dem
Beklagten übertragen.
Die Revision wird zugelassen.
Die Kosten des Verfahrens trägt der Beklagte.
Das Urteil ist wegen der Kostenentscheidung ohne Sicherheitsleistung
vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte kann die Vollstreckung durch
Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des Kostenerstattungs-
anspruchs des Klägers abwenden, soweit nicht der Kläger zuvor
Sicherheit in derselben Höhe leistet.
G r ü n d e:
Strittig ist, ob der Kläger (Kl.) sonstige Einkünfte im Sinne des § 22 Nr. 3
Einkommensteuergesetz (EStG) erzielt hat.
Der Kl. hatte in den Streitjahren 1996 und 1997 Einkünfte aus Gewerbebetrieb, Vermietung
und Verpachtung, nichtselbstständiger Arbeit und Kapitalvermögen.
Er schloss in den Streitjahren jeweils einen privaten Versicherungsvertrag ab. Der
Abschluss der Verträge wurde durch Versicherungsvertreter vermittelt. Den
Versicherungsvertretern standen aus der Vermittlung der Verträge Provisionsansprüche
gegen die Versicherungsunternehmen zu. Sie verpflichteten sich gegenüber dem Kl., die
Provisionen teilweise an den Kl. weiterzuleiten. Dies war Voraussetzung für den Abschluss
der Versicherungsverträge. Wegen der Einzelheiten wird auf die in der Betriebsprüfungs
(Bp)-Akte abgeheftete Vereinbarung vom 14.01.1997 Bezug genommen. Der Kl. erhielt
Provisionsanteile in Höhe von 13.000 DM (1996) und 180.000 DM (1997).
5
6
7
8
9
10
11
12
13
14
15
16
Der Kl. zog aus diesem Sachverhalt in seinen Einkommensteuer (ESt)-Erklärungen 1996
und 1997 keine steuerlichen Konsequenzen. Der Erklärungsvordruck Anlage KSO
"sonstige Einkünfte" enthält unter "Leistungen" lediglich die Angabe "nicht steuerpflichtige
Provision für eigene Versicherung 13.000 DM". Die ESt-Erklärung 1997 enthält keine
Angaben zu diesem Sachverhalt.
Der Beklagte (Bekl.) veranlagte den Kl. zunächst nach Erklärung, ohne die dem Kl.
überlassenen Provisionen der Versicherungsvertreter als Einkünfte nach § 22 Nr. 3 EStG
zu erfassen.
Nachdem er anlässlich einer Bp den vorstehend dargestellten Sachverhalt überprüft hatte,
änderte er die ESt-Bescheide der Streitjahre nach § 164 Abs. 2 Abgabenordnung (AO) und
setzte die dem Kl. überlassenen Provisionsanteile der Versicherungsvertreter als sonstige
Einkünfte nach § 22 Nr. 3 EStG an. Hiergegen legte der Kl. erfolglos Einspruch ein. Der
Bekl. vertrat die Auffassung, dass der Kl. durch den Abschluss der Versicherungsverträge
gegen Überlassung eines Teils der Provisionen der Versicherungsvertreter Leistungen im
Sinne des § 22 Nr. 3 EStG erbracht habe. Bei den an ihn weitergeleiteten
Provisionsbeträgen der Versicherungsvertreter handele es sich um Eigenprovisionen, die
nach der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) als sonstige Einkünfte im Sinne
von § 22 Nr. 3 EStG zu versteuern seien.
Hiergegen richtet sich die Klage, mit der der Kl. weiterhin geltend macht, bei den
streitbefangenen Zahlungen habe es sich nicht um Entgelte für eigene Leistungen
gehandelt, sondern um Zuwendungen auf der privaten Ebene, durch die sein eigener
Aufwand zum Erwerb der Versicherungsansprüche gemindert worden sei. Die vom Bekl.
zitierten Urteile des BFH vom 27.05.1998 X R 94/96 und X R 17/95 seien im Streitfall nicht
einschlägig.
Der Kl. beantragt,
die geänderten ESt-Bescheide 1996 und 1997 vom 25.01.2001 mit der Maßgabe zu
ändern, dass die streitbefangenen Provisionsbeträge steuerfrei belassen werden.
Der Bekl. beantragt,
die Klage abzuweisen.
Der Bekl. trägt ergänzend zu den Gründen seiner Einspruchsentscheidung (EE) vor:
Der Kl. habe bei dem Abschluss der Versicherungsverträge in den Streitjahren nicht nur
Versicherungsschutz erlangen wollen, sondern auch von den Provisionen profitieren
wollen, die grundsätzlich den Versicherungsvertretern zugestanden hätten. Diese Erträge
seien nach § 22 Nr. 3 EStG steuerpflichtig. Ziel dieser Vorschrift sei es, die Provisionen, die
für den Abschluss eines Versicherungsvertrages gezahlt worden seien, steuerlich zu
erfassen. In der Regel erfolge dies als Betriebseinnahme bei den Versicherungsvertretern.
Dort, wo diese Voraussetzungen nicht vorlägen, greife die Vorschrift des § 22 Nr. 3 EStG
ein. Dies sei auch von der Rechtsprechung bestätigt worden.
Die Klage ist begründet.
Der Bekl. hat die an den Kl. weitergeleiteten Anteile an den Provisionen der
Versicherungsvertreter in Höhe von 13.000 DM (1996) und 180.000 DM (1997) zu Unrecht
in den geänderten ESt-Bescheiden als sonstige Einkünfte im Sinne des § 22 Nr. 3 EStG
17
18
19
20
erfasst.
Unter den Begriff der sonstigen Leistungen nach dieser Vorschrift fällt jedes Tun,
Unterlassen und Dulden, das Gegenstand eines entgeltlichen Vertrages sein kann und um
des Entgelts willen erbracht wird (BFH-Urteil vom 27.05.1998 X R 94/96, BStBl. II 1998,
619; Schmidt/Heinicke EStG § 22 Rz. 31). Entgelte im Zusammenhang mit
Vermögensumschichtungen fallen nicht unter § 22 Nr. 3 EStG.
Der Kl. hat durch den Abschluss der Versicherungsverträge mit den
Versicherungsunternehmen keine Leistungen "um des Entgelts willen" erbracht. Die
Versicherungsprovisionen sind von den jeweiligen Versicherungsvertretern für die
Vermittlung der Verträge der Versicherungsunternehmen mit dem Kl. verdient worden.
Nicht der Kl. hat die Vertragsabschlüsse vermittelt, sondern die Versicherungsvertreter. Der
Kl. hat lediglich Versicherungsverträge abgeschlossen, die in erster Linie seiner
Zukunftssicherung dienten, nicht aber dem Erwerb der Anteile an den Provisionen der
Versicherungsvertreter. Die ihm zugeflossenen Provisionsanteile der
Versicherungsvertreter minderten seinen finanziellen Aufwand für den Erwerb der
Versicherungsansprüche. Sie stellten gewissermaßen Preisnachlässe dar. Insofern
handelte es sich um Zahlungen auf der Vermögensebene. Aus der Sicht des Kl. wurde die
Höhe des finanziellen Aufwandes für den Erwerb der Versicherungsansprüche auch durch
die Höhe der den Versicherungsvertretern durch den Abschluss der Verträge zustehenden
Provisionsansprüche beeinflusst. Denn die Provisionsansprüche der
Versicherungsvertreter werden letztlich auch durch die Prämienzahlungen der
Versicherungsnehmer finanziert. Die Weiterleitung eines Teils der Provisionen der
Versicherungsvertreter an den Kl. stellt - wirtschaftlich betrachtet - eine Minderung der
Kosten dar, die der Kl. aufwenden muss, um seine Versicherungsansprüche zu erwerben.
Die dem Kl. zugeflossenen Provisionsanteile stellen sich als Preisnachlässe für den Kl.
dar, nicht aber als Entgelte für sonstige Leistungen im Sinne des § 22 Nr. 3 EStG (vgl. Urteil
des Finanzgerichts Münster vom 23.04.1991 15 K 8048/88 E, EFG 1992, 132).
Der BFH hat in mehreren jüngeren Urteilen Provisionsnachlässe, die der
Eigenkapitalvermittler Fonds-Gesellschaften gewährt und die keine besonderen, über die
Beteiligung am geschlossenen Fonds hinausgehenden Leistungen der Gesellschafter
abgelten, nicht als Einnahmen (hier aus Vermietung und Verpachtung) behandelt, sondern
als Minderung der Anschaffungskosten der Immobilie (BFH-Urteile vom 26.02.2002 IX R
20/98, BFH/NV 2002, 854 und IX R 21/01, BFH/NV 2002, 913). Auch der Kl. hat keine
besonderen, über die Abschlüsse der Versicherungsverträge hinausgehenden Leistungen
erbracht, die abzugelten waren. Mithin ist es gerechtfertigt, die ihm gewährten
Provisionsanteile der Versicherungsvertreter als Minderung seiner "Anschaffungskosten"
für den Erwerb der Versicherungsansprüche zu behandeln.
Der BFH hat zwar in dem Urteil vom 27.05.1998 X R 17/95 (BStBl. II 1998, 618)
Provisionen, die ein Versicherungsvertreter vom Versicherungsunternehmen für den
Abschluss privater Versicherungen für sich und seine Ehefrau erhielt, als
Betriebseinnahmen seines Gewerbebetriebes behandelt. Der erforderliche wirtschaftliche
Zusammenhang zum Betrieb werde dadurch hergestellt, dass die Zahlungen auf der
gewerblichen Tätigkeit des Empfängers beruhten. Die private Zweckbestimmung der
Versicherungsverträge sei dagegen unbeachtlich. Der BFH hat darüber hinaus solche
"Eigenprovisionen", die nur aus einmaligem Anlass gezahlt wurden und keine
gewerblichen Einkünfte darstellten, in dem Urteil X R 94/96 als sonstige Einkünfte nach §
22 Nr. 3 EStG für steuerbar gehalten. In jenem Urteilsfall hatte der Steuerpflichtige mit
21
22
23
24
25
26
einem Versicherungsvermittler einen "Mitarbeitervertrag" geschlossen. Es war beabsichtigt,
dass der Steuerpflichtige nur zwei Lebensversicherungen "vermittle" bei denen er bzw.
seine Ehefrau Versicherungsnehmer waren. Der BFH sah die Leistungen des
"Mitarbeiters" im Sinne von § 22 Nr. 3 EStG darin, das er es dem Versicherungsvermittler
ermöglichte, die beiden Versicherungsverträge abzuschließen und dadurch einen
Provisionsanspruch zu erwerben. Die vom Versicherungsvermittler an den "Mitarbeiter"
gezahlte Provision sei die Gegenleistung hierfür. Der "Mitarbeitervertrag" bilde die
rechtliche und wirtschaftliche Grundlage der Zahlung; die private Zweckbestimmung der
Versicherungsverträge sei auch hier unerheblich.
Soweit diesen Urteilen zu entnehmen sein sollte, dass "Eigenprovisionen" (auch) dann zu
Einkünften aus § 22 Nr. 3 EStG führen, wenn der Versicherungsnehmer
- wie im Streitfall der Kl. - nicht Versicherungsvertreter bzw. Arbeitnehmer ("Mitarbeiter")
des Versicherungsvermittlers tätig geworden ist, folgt ihnen der Senat nicht (vgl. auch die
Anmerkungen zu den vorgenannten Urteilen in DStZ 1998, 907 und 908, sowie in KÖSDI
1998, 11711).
Die Berechnung der ESt der Streitjahre nach diesem Urteil wird gemäß § 100 Abs. 2 Satz 2
Finanzgerichtsordnung (FGO) dem Bekl. übertragen.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 Abs. 1 FGO.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus den §§ 151, 155 FGO
i.V.m. §§ 708 Nr. 10, 711 Zivilprozessordnung.
Die Zulassung der Revision beruht auf § 115 Abs. 3 Nr. 1 und 2 FGO. Es erscheint
notwendig klarzustellen, ob die Überlassung von Provisionen bzw. Provisionsanteilen für
Eigenversicherungen auch dann zu Einnahmen nach § 22 Nr. 3 EStG führen, wenn der
Provisionsempfänger - wie im Streitfall - beim Vertragsabschluss weder als
Versicherungsvertreter noch als Arbeitnehmer eines Versicherungsvertreters oder des
Versicherungsunternehmens tätig wird.