Urteil des FG Münster vom 07.04.2003

FG Münster (Fahrlehrer, Mündliche Prüfung, Berufsausbildung, Einkünfte, Unterbringung, Subjektiv, Ausbildungskosten, Staatsexamen, Vollstreckung, Weiterbildung)

Datum:
Gericht:
Spruchkörper:
Entscheidungsart:
Tenor:
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Aktenzeichen:
Finanzgericht Münster, 4 K 394/00 E
07.04.2003
Finanzgericht Münster
4. Senat
Urteil
4 K 394/00 E
Der Einkommensteuerbescheid 1996 vom 26.05.1999 wird unter Aufhe-
bung der Einspruchsentscheidung vom 08.12.1999 nach Maßgabe der
Entscheidungsgründe geändert. Die Berechnung der Einkommensteuer
wird dem Beklagten übertragen.
Der Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.
Das Urteil ist wegen der Kosten ohne Sicherheitsleistung vorläufig
vollstreckbar. Der Beklagte darf die Vollstreckung gegen Sicherheits-
leistung in Höhe des beizutreibenden Betrags abwenden, wenn nicht der
Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand:
Streitig ist, ob Aufwendungen des Klägers (Kl.) für eine Fahrlehrerausbildung als
vorweggenommene Werbungskosten zu berücksichtigen sind.
Der 1968 geborene Kl. schloss seine Schulausbildung im Jahr 1987 mit dem Abitur ab.
Anschließend leistete er Wehrdienst. Zum Wintersemester 1988/1989 begann er ein
Lehramtstudium (Primarstufe). Im Jahr 1994 erzielte er - neben dem Studium - als
Versicherungsvertreter und musikalischer Alleinunterhalter geringe Einkünfte (Gewinn:
2.300 DM). Der Kl. beendete sein Studium nicht, sondern brach es Ende September 1994
ab. Im Rahmen der Prüfungen für das 1. Staatsexamen absolvierte er die schriftlichen
Arbeiten, legte die mündliche Prüfung jedoch nicht ab. Anschließend war er als
Konzertveranstalter gewerblich tätig. Im Jahr 1995 erzielte einen Gewinn von 25.570 DM,
im Streitjahr einen Gewinn von 31.660 DM. Im Herbst des Streitjahres stellte der Kl. seine
Tätigkeit als Konzertveranstalter ein und begann am 01. Oktober eine Ausbildung zum
Fahrlehrer bei der Fahrlehrer-GmbH in C, einer amtlich anerkannten
Fahrlehrerausbildungsstätte. Der Lehrgang endete am 28.02.1997. Durch die Teilnahme
an dem Lehrgang entstanden dem Kl. Kosten in Höhe von insgesamt 12.256 DM
(Lehrgangskosten: 7.650 DM; Lehrmittelkosten: 506 DM; 5 Monate Unterbringung mit
Vollpension: 3.700 DM; Heizungszuschlag für 5 Monate: 400 DM). Diesen Betrag überwies
der Kl. am 27.10.1996.
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Bereits vor Beginn der Fahrlehrerausbildung (im Sommer 1996) hatte der Kl. die
Fahrerlaubnis Klasse 1a erworben, wodurch ihm Aufwendungen in Höhe von 1.758 DM
entstanden waren. Der Besitz der Fahrerlaubnis Klasse 1a war Voraussetzung für die
Ablegung der Fahrlehrerprüfung. Darüber hinaus entrichtete der Kl. im Oktober des
Streitjahres im Hinblick auf die bevorstehende Fahrlehrerprüfung eine Verwaltungsgebühr
in Höhe von 320 DM.
2 Monate nach Ende des Lehrgangs absolvierte der Kl. die Prüfung zum Fahrlehrer. Seit
Juni 1997 ist er als angestellter Fahrlehrer tätig und erzielt Einkünfte aus nichtselbständiger
Arbeit.
Nachdem der Kl. für das Streitjahr zunächst keine Einkommensteuererklärung abgegeben
hatte, erließ der Bekl. einen - unter dem Vorbehalt der Nachprüfung stehenden -
Schätzungsbescheid. In der daraufhin eingereichten Einkommensteuererklärung machte
der Kl. Werbungskosten für die Fahrlehrerausbildung in Höhe von 14.334 DM geltend. Der
Beklagte (Bekl.) erließ zunächst einen entsprechenden Einkommensteuerbescheid, der
ebenfalls unter dem Vorbehalt der Nachprüfung stand. Im Februar 1999 wurde beim Kl.
eine Betriebsprüfung für die Jahre 1994 bis 1996 durchgeführt. Der Prüfer gelangte u.a. zu
dem Ergebnis, bei den Aufwendungen für die Fahrlehrerausbildung handele es sich um
Ausbildungskosten für einen künftigen Beruf, die als Kosten der Lebensführung zu
qualifizieren und im Rahmen des Sonderausgabenabzugs gem. § 10 Abs. 1 Nr. 7
Einkommensteuergesetz (EStG) in der für das Streitjahr geltenden Fassung mit dem
Höchstbetrag von 2.400 DM (auswärtige Unterbringung) zu berücksichtigen seien. Der
Bekl. folgte dem und erließ einen entsprechenden Änderungsbescheid. Den Vorbehalt der
Nachprüfung hob er auf.
Der Kl. legte erfolglos Einspruch ein.
Mit seiner Klage macht der Kl. geltend, die Aufwendungen für die Ausbildung zum
Fahrlehrer seien als Werbungskosten zu berücksichtigen. Diese Auffassung werde durch
die neuere Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) bestätigt.
Der Kl. beantragt,
den Einkommensteuerbescheid 1996 vom 26.05.1999 unter Aufhebung der
Einspruchsentscheidung vom 08.12.1999 dahingehend zu ändern, dass - unter Minderung
der Sonderausgaben um 2.400 DM - bei den Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit ein
Werbungskosten-Überschuss von 14.334 DM berücksichtigt wird.
Der Bekl. beantragt,
die Klage abzuweisen,
hilfsweise, die Revision zuzulassen.
Er vertritt die Ansicht, die Aufwendungen für die Fahrlehrerausbildung könnten nicht als
vorweggenommene Werbungskosten anerkannt werden. Der Kl. habe nicht dargelegt, dass
er die Ausbildung zum Fahrlehrer arbeitsmarktbedingt absolviert habe. Zudem habe es sich
um eine Erstausbildung gehandelt. Der Kl. habe das Lehramtstudium nicht abgeschlossen.
Die Berichterstatterin hat die Sache erörtert. Der Kl. hat im Erörterungstermin vorgetragen,
er habe seine Tätigkeit als Konzertveranstalter aufgegeben und eine Ausbildung zum
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Fahrlehrer begonnen, weil die Tätigkeit als Konzertveranstalter mit wirtschaftlichen Risiken
verbunden gewesen sei. Er habe nie voraussagen können, ob ein Konzert in finanzieller
Hinsicht erfolgreich verlaufen werde. Zudem seien die Umsätze generell rückläufig
gewesen. Auf das Protokoll des Erörterungstermins vom 04.04.2003 und das der
Senatssitzung vom 07.04.2003 wird Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die Klage ist zulässig und begründet. Der Einkommensteuerbescheid und die
Einspruchsentscheidung sind rechtswidrig und verletzen den Kl. in seinen Rechten (§ 100
Abs. 1 Finanzgerichtsordnung - FGO -). Der Bekl. hat die Aufwendungen für die
Fahrlehrerausbildung zu Unrecht nicht als Werbungskosten berücksichtigt.
Gem. § 9 Abs. 1 Satz 1 EStG sind Werbungskosten Aufwendungen zur Erwerbung,
Sicherung und Erhaltung der Einnahmen. Nach der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs
(BFH) liegen Werbungskosten vor, wenn die Aufwendungen objektiv mit dem Beruf
zusammen hängen und sie subjektiv zur Förderung des Berufs getätigt werden. Dabei
liegen vorweggenommene Werbungskosten vor, wenn der Steuerpflichtige noch keine
Einnahmen erzielt, die Aufwendungen jedoch in einem hinreichend konkreten objektiv
feststellbaren Zusammenhang mit späteren Einnahmen stehen (vgl. BFH Urteil vom
04.12.2002 VI R 120/01, BFH/NV 2003, 255 mit weiteren Nachweisen). Diese
Voraussetzungen sind erfüllt. Die dem Kl. durch die Ausbildung zum Fahrlehrer
entstandenen Aufwendungen hingen objektiv mit dem später ausgeübten Beruf des
Fahrlehrers und den damit verbundenen Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit
zusammen. Der Kl. hat diese Aufwendungen - subjektiv - getätigt, um später den Beruf des
Fahrlehrers ausüben zu können.
§ 10 Abs. 1 Nr. 7 EStG steht dieser Beurteilung nicht entgegen. Gem. § 10 Abs. 1 Nr. 7
EStG in der für das Streitjahr geltenden Fassung sind Aufwendungen des Steuerpflichtigen
für seine Berufsausbildung oder seine Weiterbildung in einem nicht ausgeübten Beruf bis
zu 1.800 DM (bei auswärtiger Unterbringung bis zu 2.400 DM) als Sonderausgaben zu
berücksichtigen, wenn sie weder Betriebsausgaben noch Werbungskosten sind. Nach der
neueren Rechtsprechung des BFH, der sich der Senat anschließt, führt ein Wechsel der
Berufs- oder Erwerbsart (abweichend von der bisherigen ständigen Rechtsprechung des
BFH) nicht dazu, dass die zu Grunde liegenden Aufwendungen zwingend als
Berufsausbildungskosten i.S.d. § 10 Abs. 1 Nr. 7 EStG zu qualifizieren sind und deshalb
nur ein beschränkter Sonderausgabenabzug möglich ist. Vielmehr können Aufwendungen
für eine auf die Erzielung von Einnahmen gerichtete Umschulungsmaßnahme
Werbungskosten sein. Ob die Bildungsmaßnahme eine neue Basis für andere Berufsfelder
schafft oder einen Berufswechsel vorbereitet, ist unerheblich (BFH Urteil vom 04.12.2002
VI R 120/01, aaO). Dass der Kl. beabsichtigte, von seiner bisherigen Tätigkeit als
Konzertveranstalter zum Beruf des Fahrlehrers zu wechseln, steht einer Qualifizierung der
Aufwendungen als Werbungskosten dementsprechend nicht entgegen.
Der Senat verkennt nicht, dass der Kl., als er die Ausbildung zum Fahrlehrer begann, nicht
über eine abgeschlossene Berufsausbildung verfügte und sich der vorliegende Fall
deshalb von den Sachverhalten unterscheidet, die den jüngeren Urteilen des BFH zu
Grunde lagen (vgl. BFH Urteil vom 04.12.2002 VI R 120/01, aaO; Urteil vom 17.12.2002 VI
R 42/00, BFH/NV 2003, 474; Urteil vom 17.12.2002 VI R 20/01, BFH/NV 2003, 476; Urteil
vom 17.12.2002 VI R 121/01, BFH/NV 2003, 477). Der Umstand, dass der Kl. sein
Lehramtstudium nicht abgeschlossen und auch das 2. Staatsexamen nicht abgelegt hat,
rechtfertigt es nach Auffassung des Senats jedoch nicht, die Aufwendungen für die
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Fahrlehrerausbildung als Berufsausbildungskosten zu qualifizieren. Zwar spricht Einiges
dafür, die Kosten für eine erstmalige Berufsausbildung, die die eigentliche dauernde
Berufsgrundlage schaffen soll, nicht als vorweggenommene Werbungskosten, sondern als
Sonderausgaben zu qualifizieren (vgl. Schmidt/Drenseck, EStG, 21. Aufl. 2002, § 19 Rn. 60
"Ausbildungskosten"; Drenseck, StuW 1999, 3, 7 ff.; a.A. - ausschließlich auf den
Veranlassungszusammenhang abstellend - z.B. Söhn, StuW 2002, 97 ff; Kreft, FR 2002,
657 ff.). Zu berücksichtigen ist jedoch, dass der Kl. nach Abbruch seines Lehramtstudiums
zwei Jahre lang Einkünfte aus Gewerbebetrieb erzielte, indem er als Konzertveranstalter
tätig wurde. Die Art der Tätigkeit und auch die Dauer von zwei Jahren lässt darauf
schließen, dass der Kl. sich eine dauernde Berufs- und Lebensgrundlage schaffen wollte.
Die Ausbildung zum Fahrlehrer stellt wegen dieser deutlichen Zäsur nicht lediglich eine
(weitere) Bildungsmaßnahme dar, durch die die eigentliche Berufsgrundlage erst
geschaffen werden sollte. Im Übrigen kann es nach Ansicht des Senats keinen Unterschied
machen, ob der Steuerpflichtige nach Abbruch eines Studiums von einer fachfremden
Tätigkeit in einen anderen Beruf wechselt oder ob er das Studium zu Ende führt und dann
aus einer fachfremden Tätigkeit heraus eine Umschulung durchläuft.
Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus § 12 Nr. 1 EStG. Die Kosten für die
Fahrlehrerausbildung des Kl. waren nicht privat (mit-)veranlasst. Zwar war der Kl. - im
Unterschied zu den Steuerpflichtigen in den o.g. vom BFH entschiedenen Fällen - nicht
arbeitslos. Die Kosten für die Ausbildung zum Fahrlehrer hat der Kl. daher nicht deshalb
aufgewendet, um - nach Zeiten der Arbeitslosigkeit - wieder Einnahmen zu erzielen. Die
Absicht des Kl. lag jedoch darin, seine Einnahmen auf eine solidere Grundlage zu stellen,
insbesondere die mit der Tätigkeit als Konzertveranstalter verbundenen wirtschaftlichen
Risiken zu beseitigen. Sein Ziel bestand dementsprechend darin, Einnahmen zu sichern
und zu erhalten (§ 9 Abs. 1 Satz 1, 2. und 3. Fall EStG).
Die Berechnung der Einkommensteuer wird gem. § 100 Abs. 2 FGO dem Bekl. übertragen.
Die Entscheidung über die Kosten beruht auf § 135 Abs. 1 FGO. Die Entscheidung über die
vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 151 FGO i.V.m. §§ 708 Nr. 10, 711
Zivilprozessordnung.
Die Revision wird wegen grundsätzlicher Bedeutung zugelassen (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO).