Urteil des FG Münster vom 07.05.2002
FG Münster: einkünfte, volljährigkeit, berufsausbildung, einzelrichter, einverständnis, vollstreckbarkeit, zivilprozessordnung, abgabenordnung, arbeitsamt, datum
Finanzgericht Münster, 14 K 4247/01 Kg
Datum:
07.05.2002
Gericht:
Finanzgericht Münster
Spruchkörper:
14. Senat
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
14 K 4247/01 Kg
Tenor:
Der Beklagte wird unter Aufhebung des Bescheids vom 27.03.2001 in
Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 23.07.2001 verpflichtet, für den
Zeitraum Juli 2000 bis Dezember 2000 Kindergeld in gesetzlich
bestimmter Höhe zu gewähren.
Der Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.
Tatbestand:
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Es ist zu entscheiden, ob die Einkünfte und Bezüge eines Kindes, das das 18. aber
noch nicht das 27. Lebensjahr vollendet hat und für einen Beruf ausgebildet wird, den
anteiligen Jahresgrenzbetrag übersteigen (§ 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchstabe a und
Satz 2 Einkommensteuergesetz (EStG)).
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Die Klägerin (Klin.) erhielt für ihre am 10.06.1982 geborene Tochter Ö**** K*** (Ö.K.)
Kindergeld. Ö.K. befand sich seit dem 01.08.1999 in der Berufsausbildung als
Lebensmittelverkäuferin. Die Ausbildung sollte am 31.07.2001 enden. Ausweislich der
Ausbildungsbescheinigung vom 11.01.2001 erzielte Ö.K. im Monat Juli des Streitjahres
2000 eine Ausbildungsvergütung i.H.v. 1.061 DM und in den Monaten ab August des
Streitjahres 2000 eine solche i.H.v. monatlich 1.211 DM. Ö.K. erhielt im Monat Juni 2000
Urlaubsgeld i.H.v. 862,25 DM und im Monat November 2000 Weihnachtsgeld i.H.v.
756,88 DM. Mit Bescheid 27.03.2001 hob der Beklagte (Bekl.) - das Arbeitsamt (AA) -
die Festsetzung des Kindergeldes für Ö.K. für den Zeitraum ab Juli 2000 nach § 175
Abs. 1 Nr. 2 Abgabenordnung (AO) auf und forderte den für den Zeitraum von Juli 2000
bis Dezember 2000 gezahlten Betrag i.H.v. insgesamt 2.100 DM nach § 37 Abs. 2 AO
zurück. Das Einspruchsverfahren blieb erfolglos.
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Im Klageverfahren verfolgt die Klin. ihr Begehren weiter. Die Einkünfte und Bezüge ihrer
Tochter Ö.K. hätten während deren Ausbildung im Jahr 2000 den anteiligen
Grenzbetrag nicht überschritten.
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Die Klin. beantragt,
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den Bescheid des Bekl. vom 27.03.2001 in Gestalt der Einspruchsentscheidung
6
(EE) vom 23.07.2001 aufzuheben.
Der Bekl. beantragt,
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die Klage abzuweisen.
8
Das Urlaubsgeld sei anteilig mit 6/12 von 862,25 DM d.h. 431,12 DM dem Zeitraum ab
dem Monat Juli 2000 zuzurechnen und zwar unabhängig davon, ob es in einem
Kürzungsmonat bis zur Volljährigkeit oder in einem Monat nach der Volljährigkeit
zugeflossen sei (BFH, Gerichtsbescheid vom 01.03.2000 - VI R 140/99 - rkr., n.v.). Es
sei wirtschaftlich auf alle vollen Kalendermonate des Ausbildungsverhältnisses im
Kalenderjahr zu verteilen, da es sich arbeitsrechtlich um so genanntes aufgestautes
Arbeitsentgelt handele.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten
wird auf den Inhalt der gewechselten Schriftsätze und die Kindergeldakte verwiesen.
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Nachdem den Beteiligten eine Äußerung zu der Frage anheim gestellt worden war, ob
der Übertragung der Sache auf den Einzelrichter Gründe entgegenstehen, hat der Senat
mit Beschluss vom 05.11.2001 die Entscheidung des Rechtsstreits dem Einzelrichter
übertragen (§ 6 Finanzgerichtsordnung (FGO)).
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Der erkennende Richter hat in dieser Sache am 04.01.2002 verhandelt. Auf die
Sitzungsniederschrift wird Bezug genommen.
12
Der erkennende Richter entscheidet mit Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche
Verhandlung (§ 90 Abs. 2 FGO).
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Entscheidungsgründe:
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Die Klage ist begründet.
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Der Bescheid des Bekl. vom 27.03.2001 in Gestalt der EE vom 23.07.2001 ist
rechtswidrig. Die Klin. hat für den Zeitraum Juli 2000 bis Dezember 2000 für ihre Tochter
Ö.K. Anspruch auf Kindergeld.
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Nach § 62 Abs. 1, § 63 Abs. 1 Satz 2, § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 a i.V.m. Satz 2 EStG in
der für das Streitjahr 2000 geltenden Gesetzesfassung wird ein Kind, das das 18., aber
noch nicht das 27. Lebensjahr vollendet hat, für das Kindergeld dann berücksichtigt,
wenn es für einen Beruf ausgebildet wird und Einkünfte und Bezüge von nicht mehr als
13.500 DM im Kalenderjahr hat.
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Bei einem Kind, das sich im ganzen Kalenderjahr in Berufsausbildung befindet, ist nach
der Rechtsprechung des BFH (Urteil vom 01.03.2000 - VI R 162/98 - BStBl. II 2000, 459)
der Jahresgrenzbetrag des § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG für alle Monate um 1/12 zu mindern,
zu deren Beginn das Kind sein 18. Lebensjahr noch nicht vollendet hatte
(Kürzungsmonate nach § 32 Abs. 4 Satz 5 EStG). Einkünfte und Bezüge, die auf diese
Monate entfallen, bleiben außer Ansatz (§ 32 Abs. 4 Satz 6 EStG). Auf welche Monate
Einkünfte und Bezüge "entfallen" ist innerhalb des Kalenderjahres nicht nach dem
Zuflusszeitpunkt, sondern nach der wirtschaftlichen Zurechnung zu bestimmen. Die im
Laufe des Jahres aus dem Berufsausbildungsverhältnis gezahlten Sonderzuwendungen
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(z.B. Urlaubsgeld, Weihnachtsgeld) sind den Monaten anteilig zuzuordnen, in den
Berufsausbildung stattgefunden hat (BFH, Urteil vom 12.04.2000 - VI R 34/99 - BStBl. II
2000, 464). Das gilt jedenfalls dann, wenn die Sonderzuwendung im Zeitraum der
Volljährigkeit zugeflossen ist (BFH, Urteil 12.04.2000 - VI R 135/99 - BStBl. II 2000,
466). Ist die Sonderzuwendung dagegen vor dem Zeitraum der Volljährigkeit in einem
Kürzungsmonat zugeflossen, kann sie den Monaten nach der Volljährigkeit auch dann
nicht anteilig zugeordnet werden, wenn in dem gesamten Kalenderjahr
Berufsausbildung stattgefunden hat. Die Kindergeldansprüche nach den Abs. 3 und 4
des § 32 EStG sind getrennt von einander zu beurteilen.
§ 32 Abs. 3 EStG regelt abschließend die Anspruchsvoraussetzungen für minderjährige
Kinder, während volljährige Kinder allein nach § 32 Abs. 4 EStG berücksichtigt werden.
Danach wird ein Kind bis zur Vollendung des 18. Lebensjahres unabhängig von seinen
Einkünften und Bezügen berücksichtigt. Erst die mit der Vollendung des 18.
Lebensjahres verbundene Statusänderung führt zur Anwendung des § 32 Abs. 4 EStG
und damit dazu, dass Einkünfte und Bezüge des Kindes zu berücksichtigen sind.
Dementsprechend kommt es auf Einkünfte und Bezüge aus Monaten bis einschließlich
dem des Eintritts der Volljährigkeit nicht an. Deshalb bleiben Einkünfte und Bezüge des
Kindes bis einschließlich dieses Monats auch dann unberücksichtigt, wenn in den
Folgemonaten Kindergeld wegen Berufsausbildung des Kindes (§ 32 Abs. 4 Satz 1 Nr.
2 a EStG) gezahlt wird (BFH, in BStBl. II 2000, 459).
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Die Anwendung dieser Grundsätze führt zu folgendem Ergebnis: Maßgebender
Beurteilungszeitraum sind nach Volljährigkeit der Tochter Ö.K. die Monate Juli 2000 -
Dezember 2000, sodass der Jahresgrenzbetrag von 13.500 DM auf 6.750 DM zu
ermäßigen ist. Als auf diesen Zeitraum entfallende Einkünfte und Bezüge der Tochter
Ö.K. sind anzusetzen die laufenden Lohnzahlungen (7.116 DM) sowie das zeitanteilige
Weihnachtsgeld i.H.v. 378,44 DM (= 6/12 von 756,88 DM), also insgesamt 7.494,44 DM
abzüglich des zeitanteiligen Arbeitnehmer-Pauschbetrages von 1.000 DM (= 6/12 von
2.000 DM). Entgegen der Ansicht des Bekl. kann das im Monat Juni 2000 zugeflossene
Urlaubsgeld nicht anteilig mit 6/12 von 862,25 DM, d.h. 431,12 DM, dem Streitzeitraum
Juli 2000 bis Dezember 2000 zugerechnet werden. Diese Sonderzuwendung ist der am
10.06.2000 volljährig gewordenen Tochter Ö.K. in einem Kürzungsmonat zugeflossen.
Einkünfte und Bezüge der Tochter Ö.K. bis einschließlich des Monats Juni 2000 bleiben
unberücksichtigt (a.A.: BFH, Gerichtsbescheid vom 01.03.2000 - VI R 140/99 -rkr., n.v.).
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Da die Einkünfte und Bezüge der Tochter Ö.K. i.H.v. 6.494,44 DM (= 7.494,44 DM ./.
1.000 DM) den anteiligen Jahresgrenzbetrag von 6.750 DM nicht übersteigen, hat der
Bekl. das Kindergeld zu Unrecht versagt.
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Die Revision ist zuzulassen. Die Fortbildung des Rechts und die Sicherung einer
einheitlichen Rechtsprechung erfordern eine Entscheidung des Bundesfinanzhofs (§
115 Abs. 2 Nr. 2 FGO).
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO.
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Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus den §§ 151 Abs. 3, 155
FGO i.V.m. den §§ 708 Nr. 10, 711 Zivilprozessordnung (ZPO).
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