Urteil des FG Münster vom 05.04.2005
FG Münster: echte rückwirkung, unternehmen, gesellschafter, dispositionen, personengesellschaft, vertrauensschutz, behandlung, zukunft, gesetzesänderung, steuerfestsetzung
Finanzgericht Münster, 8 K 3815/01 G,F
Datum:
05.04.2005
Gericht:
Finanzgericht Münster
Spruchkörper:
8. Senat
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
8 K 3815/01 G,F
Tenor:
Die Klagen werden abgewiesen.
Die Kosten des Verfahrens werden den Klägerinnen auferlegt.
Die Revision gegen das Urteil betreffend die Klägerin zu 1.) wird
zugelassen.
G r ü n d e:
1
Streitig ist zwischen den Beteiligten, ob bei einer sogenannten Mehrmütterorganschaft
einheitliche und gesonderte Feststellungen von Gewerbeertrag und Gewerbekapital für
die - zur Willensbildung in der Organgesellschaft - in einer GbR
zusammengeschlossenen Gesellschaften bzw. deren Organträger durchzuführen sind.
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Die Klin. zu 1) (X AG) ist hundertprozentige Tochtergesellschaft der Klin. zu 2) (C AG).
Zwischen beiden Gesellschaften besteht seit dem 1.01.1988 ein Beherrschungs- und
Ergebnisübernahmevertrag. Zwischen den Beteiligten ist insoweit unstreitig, dass es
sich bei der Klin. zu 2) um die Organträgerin der Klin. zu 1) handelt. Bei der Klin. zu 2)
sind die Gewerbesteuermessbescheide für die Jahre 1988 ff. wegen anhängiger
Rechtsmittel noch nicht bestandskräftig.
3
Die Klin. zu 1) ist zudem gemeinsam mit der D-GmbH, I, N-GmbH, J, H-GmbH, M und
der S-AG, J, Gesellschafter der F-Gesellschaft mbH. Die Klin. zu 1) ist am Stammkapital
der GmbH mit 28,76 % beteiligt.
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Am 26.08.1959 gründeten die Gesellschafter der GmbH die G-gemeinschafts-GbR. Bei
dieser handelt es sich um eine Gemeinschaft, die Trägerin des gemeinsamen Willens
der GmbH ist und daneben die GmbH mit Betriebskapital ausstattet. Das hingegebene
Investitionsdarlehn betrug in allen Streitjahren 36.753.393,47 DM. Daneben wurden der
GmbH noch weitere Darlehensbeträge zur Verfügung gestellt, die sich bis zum Streitjahr
1990 auf über 10.000.000 DM aufsummierten. Aus den vorliegenden
Gewinnermittlungen ergaben sich für die Streitjahre folgende Zinserträge aus den
Darlehenshingaben und folgende Gewinne bzw. Verluste (1995 nur Zinserträge
Darlehn):
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Erträge aus
Gewinnabführung
Erträge aus Zinsen und ähnliche
Erträge
Summe der
Erträge
1988 3.335.848,94 DM
2.721.338,97 DM
6.057.187,91
DM
1989 3.506.206,86 DM
3.519.794,54 DM
7.026.001,40
DM
1990 3.092.465,95 DM
4.024.639,72 DM
7.117.105,67
DM
1991 3.265.674,88 DM
4.384.150,67 DM
7.649.825,55
DM
1992 2.864.410,91 DM
4.954.307,96 DM
7.818.718,87
DM
1993 2.738.790,28 DM
4.434.752,86 DM
7.173.543,14
DM
1994 2.682.035,07 DM
3.525.090,15 DM
6.207.125,22
DM
1995
3.146.750,00 DM
1996 2.886.626,09 DM
2.648.377,68 DM
5.535.003,77
DM
1997 5.715.048,38 DM
1.071.338,32 DM
6.786.386,70
DM
1998 5.583.495,26 DM
1.033.373,64 DM
6.616.868,90
DM
1999 6.169.199,80 DM
910.737,55 DM
7.079.937,35
DM
6
Seit dem 30.12.1981 bestand zwischen der F-Gesellschaft mbH und der G-
gemeinschafts-GbR ein Ergebnisübernahmevertrag, der zum 31.12.1988 außer Kraft
trat, und durch einen neuen Ergebnisübernahmevertrag zwischen der GmbH und der G-
gemeinchafts-GbR mit Wirkung zum 1.01.1989 ersetzt wurde.
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In den für die Jahre 1988 bis 1999 ergangenen Gewerbesteuermessbescheiden wurde
die G-gemeinschafts-GbR von dem Bekl. im Einklang mit den bis dahin ergangenen
Urteilen des BFH zur Mehrmütterorganschaft als Organträgerin behandelt.
Dementsprechend wurde die F-Gesellschaft mbH als Organgesellschaft angesehen.
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Die festgestellten Gewerbeerträge bzw. das jeweils festgestellte Gewerbekapital bei der
G-gemeinschafts-GbR wiesen die folgenden Werte aus:
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Gewerbeertrag
Gewerbekapital
1988 4.092.500,00 DM
35.536.000,00 DM
10
1989 5.382.200,00 DM
43.727.000,00 DM
1990 4.344.200,00 DM
57.382.000,00 DM
1991 4.191.300,00 DM
30.721.000,00 DM
1992 4.569.100,00 DM
41.242.000,00 DM
1993 4.136.200,00 DM
-10.153.000,00 DM
1994 3.393.200,00 DM
- 7 .348.000,00 DM
1995 17.769.600,00 DM
- 8.941.000,00 DM
1996 17.546.300,00 DM
- 4.647.000,00 DM
1997 8.000.881,00 DM
14.154.000,00 DM
1998 6.517.900,00 DM
1999 -9.805.605,00 DM (= vortragsfähiger Gewerbeverlust)
a.
. . .
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Daraus ergaben sich die folgenden Gewerbesteuermessbeträge:
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Messbetrag nach dem
Gewerbeertrag
Messbetrag nach dem
Gewerbekapital
Einheitlicher Gewerbe-
steuermessbetrag
1988 202.825,00 DM
70.832,00 DM
273.657,00 DM
1989 267.310,00 DM
87.214,00 DM
354.524,00 DM
1990 215.410,00 DM
114.524,00 DM
329.934,00 DM
1991 207.765,00 DM
61.202,00 DM
268.967,00 DM
1992 226.655,00 DM
82.244,00 DM
308.899,00 DM
1993 202.010,00 DM
0,00 DM
202.010,00 DM
1994 164.860,00 DM
0,00 DM
164.860,00 DM
1995 883.680,00 DM
0,00 DM
883.680,00 DM
1996 872.515,00 DM
0,00 DM
872.515,00 DM
1997 395.240,00 DM
28.068,00 DM
423.308,00 DM
1998 321.095,00 DM
321.095,00 DM
1999 0,00 DM
0,00 DM
13
In den Urteilen vom 9.06.1999 (I R 43/97, BStBI. II 2000, 695 ff. und I R 37/98, BFH/NV
2000, 347 ff.) gab der BFH seine bisherige Rechtsprechung auf und entschied, dass die
Beteiligung an der Organgesellschaft unmittelbar den Gesellschaftern der
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Organgesellschaft und nicht mehr der von ihnen gegründeten BGB-Gesellschaft
zuzurechnen sei, sofern die BGB-Gesellschaft lediglich der einheitlichen Willensbildung
diene und keiner eigenen gewerblichen Tätigkeit nachgehe.
Daraufhin stellten die Klin. zu 1) mit Schreiben vom 1.12.2000 für sich und die Klin. zu 2)
bei dem Bekl. die Anträge, die für die Mehrmütter-GbR ergangenen Messbescheide
bzw. Verlustfeststellungen ab 1988 aufzuheben und die gewerbesteuerlichen
Besteuerungsgrundlagen für die streitgegenständlichen Veranlagungsjahre einheitlich
und gesondert festzustellen.
15
Mit Bescheiden vom 12.03.2001 lehnte der Bekl. diese Anträge ab.
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Bei der Klin. zu 1) begründete er die Ablehnung im wesentlichen damit, dass die
Bescheide für die Veranlagungsjahre bis einschließlich 1995 bestandskräftig seien und
dass er im übrigen an das BMF-Schreiben zur Mehrmütterorganschaft vom 4.12.2001
gebunden sei, wonach die Urteile des BFH vom 9.06.1999 bis auf weiteres nicht
anzuwenden seien und eine Neuregelung durch den Gesetzgeber abzuwarten sei.
17
Bei der Klin. zu 2) wies der Bekl. in seinem Ablehnungsbescheid im wesentlichen
darauf hin, dass die Klin. zu 2) nicht zur Antragstellung befugt sei.
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Den gegen die Ablehnung der beantragten gesonderten und einheitlichen
Feststellungen eingelegten Sprungklagen stimmte der Bekl. nicht zu und wies die
insoweit als außergerichtliche Rechtsbehelfe zu behandelnden Klagen mit Bescheiden
vom 11.06.2001 zurück.
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Gegen die Ablehnung der Durchführung von gesonderten und einheitlichen
Feststellungen von Gewerbeertrag und Gewerbekapital richten sich die vorliegenden
Klagen.
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Die Klägerinnen sind der Auffassung, dass im Hinblick auf die Zulässigkeit der Klage
die Rechtslage noch ungeklärt sei, welche Organe bzw. welche Firmen bei einer
Mehrmütterorganschaft mehrstufiger Art in die Feststellungen einzubeziehen seien. So
sprächen gewichtige Gründe sowohl für ein einstufiges als auch für eine mehrstufiges
Feststellungsverfahren. Vorrangig werde hier die Klage der Klin. zu 1) betrieben; das
Verfahren der Klin. zu 2) werde jedoch aufrecht erhalten.
21
Darüber hinaus sei die Klage begründet. Denn die Klägerinnen hätten einen Anspruch
auf Anwendung der neuen BFH-Rechtsprechung zur Mehrmütterorganschaft. Die
Durchführung der beantragten gesonderten und einheitlichen Feststellungen der
gewerbesteuerlichen Besteuerungsgrundlagen für die Streitjahre sei daher zu Unrecht
abgelehnt worden. Bei dem BMF-Schreiben vom 4.12.2001 handele es sich insoweit
nicht um einen zulässigen Nichtanwendungs-, sondern um einen rechtswidrigen
Untätigkeitserlass.
22
Die Klägerinnen sind der Meinung, dass ihnen die Anwendung der BFH-
Rechtsprechung aus Vertrauensschutzgesichtspunkten zustehe. Insbesondere sei -
unter dem Gesichtspunkt des Vertrauensschutzes - die ohne Übergangsregelung
vorgenommene rückwirkende Gesetzesänderung nicht verfassungsgemäß. Denn sie
verstoße gegen den Grundsatz der Verfassungswidrigkeit von Gesetzen mit echter
Rückwirkung. So sei durch die neuere Rechtsprechung des BVerfG die Vornahme von
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Dispositionen als schützenswerter Vertrauenstatbestand noch mehr als bisher
hervorgehoben und gestärkt worden. Die Klägerinnen hätten auch tatsächlich
entsprechende Dispositionen vorgenommen. Denn die die Klin. zu 2.) habe - wenn auch
mit anderen Gründen - seit 1988 Rechtsmittel gegen ihre
Gewerbesteuermessbetragsbescheide eingelegt. Damit habe die Klin. zu 2) all das
unternommen, was vernünftigerweise möglich gewesen sei, um die bisherige
steuerliche Handhabung - Messbetragsfestsetzungen bei der G-gemeinschafts GbR - zu
ändern. Insoweit habe sie disponiert und es stehe ihr auch der entsprechende
Dispositionsschutz zu. Denn umfasst vom Dispositionsschutz seien alle
Steuerpflichtigen, deren Verfahren bis zum Zeitpunkt der BFH-Entscheidung offen
gehalten seien. Dabei könne es keinen Unterschied machen, in welcher
verfahrensrechtlichen Konstellation und mit welcher Begründung die jeweiligen
Steuerpflichtigen ihre Verfahren offen hielten. Ferner sei hier zu beachten, dass sich die
vertrauensschützende Disposition einer der mehreren Mütter auch auf die anderen
auswirke. Denn die Zurechnung auf die Mütter könne bei einer Mehrmütterorganschaft
auch nur einheitlich und damit für alle gemeinsam erfolgen. Dies entspreche dem
Gedanken des BFH in seinen Entscheidungen vom 9. Juni 1999, dass wegen der
Einheitlichkeit der Rechtsanwendung ein Feststellungsverfahren durchzuführen sei.
Des weiteren wirke sich das Offenhalten der Gewerbesteuermessbescheide der Klin. zu
2) auch auf die Klin. zu 1) aus. Zudem bestehe bei einem Steuerpflichtigen auch ein
schutzwürdiges Vertrauen in das zuletzt als richtig erkannte Recht. Dies stehe im
Einklang mit Regelungen, die bei der rückwirkenden Wiedereinführung der Gepräge-
Theorie beachtet worden seien. Zwar habe auch dieses Gesetz eine echte Rückwirkung
bewirkt. Jedoch habe es sich im Fall der Aufgabe der Gepräge-Rechtsprechung um eine
überwiegend verschärfende Rechtsprechung gehandelt. Zudem sei auch klar gewesen,
dass aus rechtspolitischen Gründen die Gepräge-Theorie für die Zukunft auf jeden Fall
wiederhergestellt werden sollte. Des Weiteren habe der Gesetzgeber hier durch eine
Übergangsregelung das Vertrauen derjenigen Steuerpflichtigen geschützt, die nach
Bekannt werden des damaligen BFH-Urteils Dispositionen (§ 52 Abs. 20 b EStG)
getroffen hätten. Darüber hinaus hätten nach Verwaltungsanweisungen in Einzelfällen,
wenn die Personengesellschaft keine steuerlichen Vorteile aufgrund der Gepräge-
Rechtsprechung in Anspruch genommen habe, sondern sich im Gegenteil gegen ihre
Behandlung als Gewerbebetrieb gewehrt und mit dieser Begründung die Steuerpflicht
von Veräußerungsgewinnen bestritten habe, Veräußerungs- bzw. Entnahmegewinne
nach § 163 AO außer Betracht gelassen werden können. U.a. aus den genannten
Gründen habe der BFH die Verfassungsmäßigkeit dieses rückwirkenden Gesetzes
bestätigt bzw. das BVerfG eine entsprechende Verfassungsbeschwerde nicht
angenommen.
Dagegen wirkte die Aufgabe der früheren Rechtsprechung bei der
Mehrmütterorganschaft steuerentlastend und es sollte zudem nach den Planungen der
Finanzverwaltung die Mehrmütterorganschaft für die Zukunft möglicherweise sogar
völlig abgeschafft werden. Zudem wurde hier - trotz der für die Klägerinnen vorteilhaften
Rechtsprechung - keine aus Vertrauensschutzgründen - erforderliche
Übergangsregelung geschaffen.
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Entsprechend hätten das Finanzgericht München mit Urteil vom 19.11.2003 7 K
3723/03, EFG 2004, 412 und das FG Berlin mit Beschluss vom 29. März 2004 8 B
8204/03, EFG 2004, 1145 zur Verfassungswidrigkeit der rückwirkenden
Wiederherstellung der gewerbesteuerlichen Behandlung der Mehrmütterorganschaft
entschieden. Der Klage stehe auch die bis einschließlich 1995 eingetretene
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Bestandskraft der gegenüber der G-gemeinschafts-GbR ergangenen
Gewerbesteuermessbescheide nicht entgegen. Denn gem. § 181 Abs. 5 AO könne eine
gesonderte Feststellung nach Ablauf der für sie geltenden Feststellungsfrist insoweit
noch erfolgen, als sie für eine Steuerfestsetzung bedeutsam sei, für die die
Festsetzungsfrist im Zeitpunkt der gesonderten Feststellung noch nicht abgelaufen sei.
Dies sei hier der Fall, da die Gewerbesteuermessbetragsveranlagungen der Klin. zu 2)
aufgrund der laufenden Rechtsmittel noch nicht bestandskräftig geworden seien.
Die Klin. zu 1) beantragt (sinngemäß),
26
den Bekl. zu verpflichten,
27
für die Kalenderjahre 1988 bis 1999 den Gewerbeertrag und das
Gewerbekapital der F-Gesellschaft mbH und der G-gemeinschaft GbR
einheitlich und gesondert für die beteiligten Gesellschaften festzustellen,
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hilfsweise das Verfahren auszusetzen und im Wege einer konkreten
Normenkontrolle die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts nach Art.
100 Abs. 1 Grundgesetz dazu einzuholen, ob die mit Rückwirkung erfolgte
Änderung des § 2 Abs. 2 Satz 3 i.V.m. § 36 Abs. 2 Gewerbesteuergesetz
durch Art. 4 des Unternehmenssteuerfortent-wicklungsgesetzes vom 20.12.
2001 (Bundessteuerblatt I 2002 Seite 35) verfassungswidrig ist.
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Die Klin. zu 2) stellt für sich entsprechende Anträge.
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Der Bekl. beantragt,
31
die Klage abzuweisen.
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Er verweist auf die Gründe seiner EE und ist der Auffassung, dass die angefochtenen
Einspruchsentscheidungen zu Recht erfolgt seien, da die Verwaltung nicht rechtswidrig
untätig geworden sei, sondern lediglich die geplante rückwirkende Gesetzesänderung
abgewartet habe. Ein schutzwürdiges Vertrauen in die bisherige Verwaltungsauffassung
sei nicht gegeben, da die Verwaltung zu keinem Zeitpunkt die geänderte
Rechtsprechung angewandt habe. Die neuen gesetzlichen Regelungen bei der
Mehrmütterorganschaft seien deswegen auch unter dem Gesichtspunkt einer echten
Rückwirkung zulässig gewesen.
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Die Klagen haben keinen Erfolg.
34
I.) Die Klage der Klin. zu 2) ist - mangels Klagebefugnis - unzulässig.
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Die Klin. zu 2) ist nicht Beteiligte an dem hier in Betracht kommenden
Feststellungsverfahren. Der BFH hat in seinen Entscheidungen vom 9.06.1999 I R
37/98 und I R 43/97 festgelegt, dass die bei einer Mehrmütterorganschaft den jeweiligen
Muttergesellschaften zuzurechnenden Gewerbeerträge und Gewerbekapitalien in
entsprechender Anwendung des § 180 Abs. 1 Nr. 2 a AO einheitlich und gesondert
festzustellen seien. Dies würde grundsätzlich bedeuten, dass nur die X AG als Beteiligte
an der der F-Gesellschaft mbH und der G-gemeinschafts-GbR Feststellungsbeteiligte
wäre. Die Besonderheit im Streitfall ist jedoch, dass die "Muttergesellschaft" X AG
wiederum eine Organgesellschaft der C AG ist. D.h., die X AG ist kein eigenständiges
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gewerbesteuerliches Subjekt. Die Gewerbesteuermessbeträge aus anteiligem
Gewerbeertrag und Gewerbekapital der X AG werden danach zwar beim Organträger,
der C AG, festgesetzt. Gegen die C AG als Feststellungsbeteiligte sprechen jedoch
gewichtige Gründe: Denn zivilrechtlich ist ausschließlich die X AG an der F-Gesellschaft
mbH und der G-gemeinschafts-GbR beteiligt. Ein entsprechendes
Beteiligungsverhältnis an der GmbH und der GbR fehlt dagegen bei der C AG. Hier
ergibt sich die gewerbesteuerliche Beteiligung allein aus dem Konstrukt eines
steuerlichen Organschaftsverhältnisses zwischen der X AG und der C AG. Gegen eine
Einbeziehung der C AG in das Feststellungsverfahren spricht zudem, dass in einem
solchen mehrstöckigen Fall das Feststellungsinanzamt auch zu überprüfen hätte, ob
überaupt ein (weiteres) anzuer-kennendes Organschaftsverhältnis vorliegt. Das würde
mit der Überprüfungskompetenz des jeweiligen Betriebsfinanzamt kollidieren und
dadurch dem Zweck einer einheitlichen und gesonderten Feststellung zuwider laufen,
nämlich im Interesse der Steuerverwaltung ein ökonomisches Verfahren abzuwickeln
und der Gefahr von unterschiedlichen Entscheidungen beteiligter Finanzämter
entgegenzuwirken.
Am konkreten Verfahren zur gesonderten und einheitlichen Feststellung kann allein aus
diesen Erwägungen nur die X AG beteiligt sein. Für eine solche Auslegung spricht
zudem das allgemeine Steuerverfahrensrecht. Denn eine unmittelbare Zurechnung auf
die C AG würde dazu führen, dass dann durch das Steuergeheimnis geschützte
Verflechtungen zwischen Unternehmen aufgedeckt würden. Insoweit kann grundsätzlich
Feststellungsbeteiligte nur die X AG sein.
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Soweit die Klägerinnen Parallelen zu den sogenannten "Zebragesellschaften" und der
damit verbundenen mehrstufigen Umqualifizierung von Einkünften ziehen, spielt eine
solche Umqualifizierung hier keine Rolle. Vielmehr ist das weitere
Organschaftsverhältnis eher mit einer sogenannten Unterbeteiligung oder einer
verdeckten Treuhand vergleichbar. Dort aber hat der BFH schon mit Beschluss vom
5.11.1973 GrS 3/72 BStBl II 1974, 414 entschieden, dass in einem solchen Fall
grundsätzlich in einem besonderen Feststellungsverfahren (II. Stufe) entschieden
werden muss.
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Da die Anträge der Klägerinnen beide auf die einheitliche und gesonderte Feststellung
in der I. Stufe gerichtet waren, ist die Klage der Klin. zu 2) insoweit unzulässig.
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II.) Die Klage der Klin. zu 1.) ist nicht begründet.
40
Die Klin. kann nicht mit Erfolg geltend machen, dass ihr und ihren Mitgesellschaftern
Gewerbeertrag und Gewerbekapital im Rahmen einer einheitlichen und gesonderten
Feststellung unmittelbar zugerechnet werden. Denn diesem Begehren stehen Art. 2
UntStFG vom 20.12. 2001 (BStBl. I 2002, 35 ff.) zu § 14 Abs. 2 KStG und Art. 4 UntStFG
zu § 2 Abs. 2 GewStG entgegen.
41
Danach ist gemäß § 2 Abs. 2 Satz 3 GewStG n.F. im Fall des § 14 Abs. 2 KStG n.F. die
Personengesellschaft Organträger. Schließen sich mehrere gewerbliche Unternehmen
im Sinne des § 14 Abs. 1 Nr. 2 KStG n.F., die gemeinsam im Verhältnis zur
Organgesellschaft die Voraussetzungen des Absatzes 1 Nr. 1 erfüllen, in der
Rechtsform einer Personengesellschaft lediglich zum Zweck der einheitlichen
Willensbildung gegenüber der Organgesellschaft zusammen, ist nach Abs. 2 die
Personengesellschaft als gewerbliches Unternehmen anzusehen, wenn jeder
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Gesellschafter der Personengesellschaft im übrigen ein gewerbliches Unternehmen
unterhält. Dies liegt hier unstreitig vor.
Nach Art 4 UntStFG zu § 36 Abs. 2 GewStG n.F. ist § 2 Abs. 2 Satz 3 GewStG n.F. auch
für Erhebungszeiträume vor dem Erhebungszeitraum 2002 anzuwenden. An der
Verfassungsmäßigkeit dieser Norm hat der Senat keine Zweifel.
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Die sogenannte Mehrmütterorganschaft hatte sich ursprünglich als Gebilde der
Rechtspraxis entwickelt und ist auf ein Urteil des RFH aus dem Jahre 1926
zurückzuführen ( RFH v. 11.08.1926, I A 147/26).
44
Anerkannt war seither, dass sich gewerbliche Unternehmen lediglich zur einheitlichen
Willensbildung gegenüber einer Kapitalgesellschaft zu einer GbR zusammenschließen
konnten, mit der weiteren Folge, dass diese Personengesellschaft dann als reine
Innengesellschaft angesehen wurde. Die Finanzverwaltung vertrat in Einklang mit der
Rechtsprechung des BFH die Auffassung, dass durch diesen Zusammenschluss ein
eigener Organkreis aus der GbR ( Organträgerin ) und der Kapitalgesellschaft (
Organgesellschaft ) gebildet werde, so dass für körperschafts- und gewerbesteuerliche
Zwecke in der Vergangenheit die Zurechnung des Einkommens-/Gewerbeertrags der
Organgesellschaft bei der GbR erfolgte ( Vgl. A 52 Abs.6 KStR 95, A 14 Abs.6 5.5
GewStR 98).
45
Die Voraussetzung eines gewerblichen Unternehmens war bei einem
Zusammenschluss in der Form einer lediglich zum Zweck der einheitlichen
Willensbildung geschlossenen GbR auch dann erfüllt, wenn nicht die GbR selbst,
sondern alle an ihr beteiligten Gesellschafter einen Gewerbebetrieb unterhielten.
46
Die Willensbildungs~GbR wurde von jeher nicht als Mitunternehmerschaft im Sinne des
§ 15 Abs. 1 Nr. 2 EStG angesehen, da ihr Unternehmenszweck nicht darauf gerichtet ist,
Einkünfte zu erzielen. Vielmehr beschränkt sie sich einzig darauf, die einheitliche
Willensausübung der Gesellschafter der Organgesellschaft dieser gegenüber
sicherzustellen.
47
Die Verwaltungsauffassung führte gewerbesteuerlich dazu, dass die positiven und
negativen Erträge der Organgesellschaft der Mehrmütter-GbR zuzurechnen waren. Ein
Ausgleich von gewerbesteuerlichen Verlusten der Organgesellschaft mit den einzelnen
Gesellschaftern der GbR erfolgte nicht.
48
Mit Urteilen vom 09.06.1999 ( BFH v. 09.06.1999, I R 43/97, BStBI II 2000, 695 und I R
37/98 NV) gab der BFH seine bis dahin der Verwaltungsauffassung entsprechende
Rechtsauffassung zur Mehrmütterorganschaft auf. Unter Anlehnung an die
zwischenzeitlich herrschende Lehre im Zivilrecht, wonach eine abhängige Gesellschaft
durchaus in mehrere herrschende Unternehmen eingegliedert sein kann (sogenannte
Lehre von der mehrfachen Abhängigkeit ), bejahte der BFH die organschaftliche
Verbindung im Rahmen einer Mehrmütterorganschaft direkt zu den einzelnen
Gesellschaftern der Organgesellschaft. Die Willensbildungs-GbR sollte
gewerbesteuerlich keine Bedeutung mehr haben. Da die Willensbildungs-GbR selbst
kein gewerbliches Unternehmen betrieb, war sie aus diesem Grunde auch keine
taugliche Organträgerin. Organträger sollten danach nur die Gesellschafter der
Willensbildungs-GbR sein, mit der Folge, dass Gewinne und Verluste der
Organgesellschaft mit Gewinnen und Verlusten der Mehrmüttergesellschaften
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verrechenbar sein sollten.
Aufgrund eines Erlasses der Finanzverwaltung ( BMF-Schreiben vom 04.12.2000,
BStBl. I 2000, 1571) wurden die Urteile des BFH jedoch nicht in noch laufenden
Verfahren angewandt. Die Zurechnung des Gewerbeertrags der Organgesellschaft
erfolgte weiterhin bei der Mehrmütter-GbR, nicht bei ihren Gesellschaftern. Die im Erlass
von der Verwaltung angekündigte gesetzliche Neuregelung wurde in Gestalt der § 14
Abs. 2 KStG, § 2 Abs. 2 S. 3 GewStG durch das
Unternehmenssteuerfortentwicklungsgesetz gesetzlich geregelt.
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Die Neuregelungen zur Mehrmütterorganschaft traten nach der gesetzlichen Regelung
zum 01.01.2002 auch für die Veranlagungszeiträume 2000 und früher mit Wirkung für
die Vergangenheit in Kraft.
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Die Anwendung der rückwirkenden gesetzlichen Wiederherstellung des
Rechtszustandes der Mehrmütterorganschaft, wie er vor der Rechtsprechungsänderung
durch die BFH-Urteile vom 09.06.1999 bestand, begegnet in diesem Fall keinen
verfassungsrechtlichen Bedenken.
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Die Klägerinnen können nämlich kein Vertrauen in Anspruch nehmen, da die
Verwaltung keinen entsprechenden Vertrauenstatbestand geschaffen hat.
53
Der Grundsatz des Vertrauensschutzes beruht auf dem Bedürfnis nach
Rechtssicherheit. Verfassungsrechtlicher Prüfungsmaßstab für die Beurteilung
rückwirkender Gesetze ist deshalb zunächst der aus dem Rechtsstaatsprinzip des Art.
20 Abs. 3 GG hergeleitete Grundsatz der Rechtssicherheit, aus dem sich für den Bürger
der Schutz seines Vertrauens sowohl gegenüber der Verwaltung als auch gegenüber
dem Gesetzgeber ergibt ( Herzog, in: Maunz/Dürig, Komm. z. GG, Art.20 VII, Rn.65 ). Der
Staatsbürger soll die ihm gegenüber vorgenommenen staatlichen Eingriffe voraussehen
und sich entsprechend einrichten können; er soll darauf vertrauen dürfen, dass sein dem
geltenden Recht entsprechendes Handeln von der Rechtsordnung mit den daran
anknüpfenden Rechtsfolgen auch in Zukunft als rechtmäßig anerkannt bleibt.
54
Auf der anderen Seite kann der Steuerbürger jedoch grds. nicht darauf vertrauen, dass
steuerliche Regelungen auch für die Zukunft erhalten bleiben. Es besteht gerade
hinsichtlich der Haushaltslage ein Bedürfnis, die Steuergesetze jedenfalls für die
Zukunft verändern zu können. Voraussetzung ist aber, dass der Gesetzgeber nicht in
unvorhergesehener Weise Gesetze rückwirkend schafft und damit in abgeschlossene,
ggf. nicht mehr rückgängig zu machende Dispositionen des Steuerpflichtigen eingreift.
Das Rechtsstaatsprinzip verbietet dem Gesetzgeber deshalb nicht, an Vergangenes
anzuknüpfen, verpflichtet ihn aber auf Kontinuität (d.h. Gewähr von Stetigkeit,
Berechenbarkeit und Voraussehbarkeit der Gesetzgebung), Vertrauensschutz und
schonende Übergänge.
55
Die Grundsätze der Rückwirkungsdogmatik liegen in der Unterscheidung zwischen
sogenannter echter (retroaktiver) Rückwirkung und unechter (retrospektiver)
Rückwirkung, die auf die Rechtsprechung des BVerfG zurückgeht.
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Die gesetzliche Kodifikation der Mehrmütterorganschaft stellt eine echte Rückwirkung
dar, da das Unternehmenssteuerfortentwicklungsgesetz vom 20.12.2001 auch an die
Veranlagungszeiträume vor 2000 anknüpft und somit nachträglich in abgewickelte, der
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Vergangenheit angehörende Tatbestände eingreift. Der Gesetzgeber hat hierdurch also
an vor Inkrafttreten der Neuregelung abgeschlossene Tatbestände für die Gesellschafter
einer Mehrmütterorganschaft nunmehr ungünstigere Rechtsfolgen geknüpft als im
Zeitpunkt der Vollendung dieser Tatbestände voraussehbar war.
Eine echte Rückwirkung ist zwar grundsätzlich unzulässig, da sich der Einzelne darauf
verlassen können soll, dass der Gesetzgeber an Tatbestände, die der Vergangenheit
angehören, keine ungünstigeren Rechtsfolgen mehr knüpft, als sie im Zeitpunkt der
Vollendung dieser Tatbestände vorhersehbar waren. Dies gilt allerdings nicht
ausnahmslos. So hat das BVerfG vier Sachverhaltsgruppen entwickelt, wonach eine
echte Rückwirkung ausnahmsweise auch unter verfassungsrechtlichen Aspekten
rechtmäßig sein soll. Danach ist das Vertrauen des Bürgers in die Beständigkeit der
geltenden Rechtslage dann nicht schutzwürdig, (1.) wenn der Bürger im Zeitpunkt, an
den der Eintritt der Rechtsfolge vom Gesetz zurückbezogen wird, mit dieser
Neuregelung rechnen musste, (2.) wenn das rückwirkend geänderte Recht unklar und
verworren war, (3.) wenn die Rückwirkung lediglich einen durch eine nichtige Norm
erzeugten Rechtsschein beseitigt, oder (4.), wenn zwingende Gründe des gemeinen
Wohls, die dem Gebot der Rechtssicherheit übergeordnet sein müssen, eine
Rückwirkungsanordnung rechtfertigen (vgl. Seewald, DÖV 1976, 228 (229)).
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Gegenstand des rechtsstaatlich und grundrechtlich gewährleisteten Vertrauensschutzes
ist aber die Vertrauensbetätigung, also das für die Besteuerung relevante Verhalten.
Dies erkennt in neueren Entscheidungen auch das BVerfG ( BVerfG II. Senat v.
03.12.1997 zur rückwirkenden Abschaffung von Sonderabschreibungen für
Schiffsbeteiligungen durch das JStG 1997, FR 1998, 377 ) an und bezieht den
Vertrauensschutz freiheitsrechtlich auf den Zeitpunkt des rechtserheblichen Verhaltens.
Das Rückwirkungsverbot wird damit zum Steuerplanungssicherheit vermittelnden
Institut, das in erster Linie den Dispositionsschutz bezweckt. Das BVerfG kehrt damit
weiter von seiner Rückwirkungsterminologie ab, die ausschließlich auf die Entstehung
von Rechtsfolgen und die Verwirklichung des Steuertatbestandes gerichtet war.
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Richtigerweise ist damit dem Rückwirkungsbegriff die vertrauensrechtlich relevante
Disposition des Steuerpflichtigen zugrunde zu legen. Danach sind für den
Rückwirkungsbegriff grds. zwei Zeitpunkte maßgeblich: Zum einen der Zeitpunkt, in
dem eine Disposition zeitlich abgeschlossen ist, und zum anderen der Zeitpunkt, in dem
der Vertrauensschutz infolge legislatorischer Maßnahmen entfällt. Eine Rückwirkung
i.S.d. allgemeinen Rückwirkungsverbots liegt dann nur noch vor, wenn ein Gesetz
Rechtsfolgen für Vertrauensbetätigungen ändert, die vor dem endgültigen
Gesetzesbeschluss als abgeschlossen zu beurteilen sind ( Tipke/ Lang, Steuerrecht, §
4, Rn. 170 ff).
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Entscheidend ist folglich die Abwägung zwischen Dispositionsschutz gegen
Gemeinwohlinteressen. Im konkreten Fall muss aber gesehen werden, dass die
Verwaltung durch ihren Nichtanwendungs- oder Untätigkeitserlass - im Gegenteil -
sogar dazu beigetragen hat, dass die Unternehmen Dispositionen unter Beachtung der
BFH-Rechtsprechung unterlassen. Die Klägerinnen haben zwar vorgetragen, dass sie
Dispositionen getroffen hätten. Der Senat vermag solche tatsächlich getroffenen
Dispositionen jedoch nicht zu erkennen. Soweit die Klin. meint, dass durch die ab
Streitjahr 1988 bei der Klin. zu 2) eingelegten Einsprüche gezeigt worden sei, dass man
im Hinblick auf die steuerliche Behandlung disponiert habe, überzeugt dieser Gedanke
nicht. Dagegen sprechen schon vernünftige wirtschaftliche Erwägungen, denn die
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Klägerinnen haben z.B. für die Streitjahre 1988 bis 1998 überhaupt keinen erkennbaren
wirtschaftlichen Vorteil aus einer geänderten Behandlung, sondern bei unterstellt
gleichen Hebesätzen einen wirtschaftlichen Nachteil, da sich durch eine die Erfassung
der Gewerbeerträge und Gewerbekapitalien bei den Organmüttern eine gegenüber der
bisherigen Steuerfestsetzung höhere Steuerfestsetzung ergeben würde. So ergaben
sich für die genannten Streitjahre bis 1998 stets positive Gewerbeerträge, und die
Gewerbekapitalien waren nur in vier Jahren negativ. Die Auswirkungen der sich über
das negative Gewerbekapital ergebenden Gewerbesteuerermäßigungen würden sich
jedoch erheblich geringfügiger auswirken, als der Wegfall der Vorteile des zusätzlichen
Staffeltarifs und der zusätzlichen bei der GbR gewährten Freibeträge beim
Gewerbeertrag und Gewerbekapital. Bei dieser Ausgangslage vermag der Senat nicht
zu erkennen, dass die Klin. schon in der Vergangenheit Dispositionen im Hinblick auf
eine zukünftige Rechtslage getroffen hat. Dies gilt um so mehr, als in den Einsprüchen
der Klin. zu 2) überhaupt nicht auf die gewerbesteuerliche Problematik bei der
Mehrmütterorganschaft eingegangen wurde. In diesem Licht ist auch die konstruiert
wirkende Behauptung der Klin. zu sehen, dass mit den Einsprüchen doch alles gemacht
worden sei, um das jetzige Feststellungsverfahren offen zu halten. Unabhängig davon,
ob durch die Einsprüche tatsächlich ein Offenhalten in dem behaupteten Umfang
erreicht werden kann, hätte bei dem behaupteten geheimen Dispositionsvorbehalt die
Klin. hellseherische Fähigkeiten haben müssen, denn sie hätte im voraus wissen
müssen, dass der BFH in 1999 zu der Auffassung gelangen wird, dass die den
jeweiligen Muttergesellschaften anteilig zuzurechnenden Gewerbeerträge und
Gewerbekapitalien in entsprechender Anwendung von § 180 Abs. 1 Nr. 2 a AO
einheitlich und gesondert festzustellen sind. Der Senat ist - weil im übrigen auch bei der
unmittelbar betroffenen Erdgasgemeinschaft GbR keine Rechtsbehelfe gegen die
Gewerbesteuermessbetragsveranlagungen eingelegt wurden - zu der Überzeugung
gelangt, dass die Klin. zu 2) ihre Einsprüche gegen ihre Gewerbesteuermessbescheide
(1988 bis 1998) nicht im Hinblick auf die steuerlichen Probleme bei der
Mehrmütterorganschaft, sondern ausschließlich aus anderen Erwägungen eingelegt hat.
Ein besonderer Dispositionsschutz lässt sich daher für die Klin. auch aus diesen
eingelegten Einsprüchen nicht ableiten, zumal es sich für die Streitjahre 1988 bis 1998
wohl nur um einen rein akademischen Streit zu Lasten der Klägerinnen handelt, da eine
insgesamt niedrigere Gewerbesteuerfestsetzung nicht erkennbar erreicht werden kann.
Der Senat ist aufgrund der Ausführungen der Klin. auch nicht davon überzeugt, dass die
Klin. entsprechende Dispositionen für das Streitjahr 1999 getroffen hat. Er ist vielmehr
aufgrund der vorliegenden Geschehensabläufe zu der Überzeugung gelangt, dass die
Klägerinnen für die Streitjahre nicht disponiert haben, sondern sich nach Bekannt
werden der BFH-Urteile vom 9.06.1999 lediglich um eine nachträgliche Korrektur ihrer
Messbescheide bemüht haben. Somit machen die Klägerinnen nach Auffassung des
Senats lediglich geltend, dass sie einen Anspruch auf Behandlung entsprechend der
BFH-Urteile vom 09.06.1999 haben. Die geänderte Rechtsprechung des BFH zur
Behandlung der Mehrmütterorganschaft schafft aber allein ebenfalls kein Vertrauen in
den Fortbestand dieser Rechtsauffassung für die Klägerinnen.
Zwar können sich bei Änderung einer langjährigen Rechtsprechung grundsätzlich
Vertrauensschutztatbestände ergeben, die sich zum Teil überlagern: So wirkt die
Rechtsprechungsänderung zurück auf noch nicht abgeschlossene Fälle; soweit der
Steuerpflichtige aber im Vertrauen auf die alte Rechtsprechung disponiert hat, genießt
er bzgl. der alten Rechtsprechung Vertrauensschutz vor belastenden Eingriffen. Wird die
Rechtsprechungsänderung danach mit Rückwirkung gesetzlich außer Kraft gesetzt,
dann bietet auch die ändernde Rechtsprechung grds. Vertrauensschutz vor belastenden
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Eingriffen (vgl. Raupach, DStR 2001, 1325 (1330)).
Besonderer Vertrauensschutz kann sich in der letzteren Variante in vier zu
unterscheidenden Fällen ergeben:
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1. Die Verfahren ruhen zwangsweise gem. § 363 Abs. 2 AO im Hinblick auf die
Musterverfahren ( BFH-Urteile vom 09.06.1999).
2. Im Hinblick auf die Musterverfahren sind vorläufige Bescheide gem. § 165 Abs. 1
S. 1 AO ergangen.
3. Vorläufige Steuerbescheide sind aus anderen Gründen gem. § 165 Abs. 1 S. 1
bzw. 2 AO oder unter dem Vorbehalt der Nachprüfung gem. § 165 Abs. 1 S. 1 AO
ergangen.
4. Die Voraussetzungen für einen Vorbehalt der Nachprüfung fehlen oder sind
weggefallen (Vgl. Kirchhoff/ Raupach, DB-Beilage Nr. 3/2001, S. 1, 16).
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Voraussetzung bleibt jedoch stets, dass die Steuerpflichtigen - wie es hier eben nicht
der Fall ist - disponiert haben.
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Durch den Nichtanwendungserlass des BMF mussten die Klägerinnen hier sogar mit
einer Neuregelung rechnen, so dass auch im Sinne der alten Rechtsprechung des
BVerfG gegen die echte Rückwirkung des
Unternehmenssteuerfortentwicklungsgesetzes keine verfassungsrechtlichen Bedenken
bestehen. Für den Zeitpunkt des ,,Rechnenmüssens" hat das BVerfG in mehreren
Entscheidungen ( BVerfGE 30, 272 (287 ); 72, 200 ) zwar auf den Zeitpunkt des
endgültigen Gesetzesbeschlusses des Bundestags abgestellt, weil erst mit diesem
Beschluss der wesentliche Unsicherheitsfaktor zu dem ,,ob" und dem ,,wie" der
Neuregelung beseitigt werde. Allerdings betont das BVerfG in ständiger
Rechtssprechung, dass der Beschluss des Bundestags ,,in der Regel" der maßgebende
Zeitpunkt sei und lässt insoweit auch Ausnahmen zu. Ob und inwieweit auch
vorlegislatorische Maßnahmen, wie hier die Ankündigung einer erwarteten
Gesetzesänderung im Rahmen des Nichtanwendungserlasses des BMF, die
Schutzwürdigkeit des Vertrauens beeinträchtigen oder gar beseitigen können, ist nach
BVerfG v. 03.12.1997 (II. Senat v. 03.12.1997 zur rückwirkenden Abschaffung von
Sonderabschreibungen für Schiffsbeteiligungen durch das JStG 1997, FR 1998, 377 )
allerdings wieder fraglicher geworden. Dort wird zwar bestätigt, dass grds. nur der
Gesetzgeber die Kompetenz zur Änderung der Gesetzeslage habe und deshalb
vorlegislatorische Maßnahmen ungeeignet seien, die Schutzwürdigkeit des Vertrauens
in die bisherige Rechtslage entfallen zu lassen. Andererseits könne es einem
Unternehmen aber durchaus zugemutet werden, sich ab Ankündigung einer
Gesetzesänderung auf die neue Rechtslage einzustellen und diese in die
unternehmerischen Planungen mit einzubeziehen. Hier ist darüber hinaus zu beachten,
dass durch das Unternehmenssteuerfortentwicklungsgesetz die alte Rechtslage nach
zwischenzeitlicher Änderung der höchstrichterlichen Rechtsprechung des BFH lediglich
wiederhergestellt wurde. Durch die unverzügliche Ankündigung einer gesetzlichen
Neuregelung im Rahmen des Nichtanwendungserlasses und die konsequente
Nichtanwendung der BFH-Urteile auf alle anderen offenstehenden Fälle verhinderte
damit die Finanzverwaltung gerade die Entstehung eines Vertrauenstatbestandes auf
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Seiten der Klägerinnen.
Der Senat ist ferner der Auffassung, dass auch der Vergleich zu den Regelungen bei
der Wiedereinführung der Gepräge-Theorie - wie der Kl. Vertr. unter Hinweis auf seinen
Aufsatz in DStR Heft 32/2001 S. 1325 - 1331 dargelegt hat - nicht zu einem anderen
Ergebnis führt. Denn die Gepräge-Rechtsprechung brachte in vielen normal gelagerten
Fällen durch die Erfassung der stillen Reserven bei Veräußerungs- und
Entnahmevorgängen sowie bei Geschäftsveräußerungen oder Geschäftsaufgaben eine
höhere ertragsteuerliche Belastung mit sich. Insoweit ist die Ausgangslage für die
Gesetzesänderung - entgegen der Ansicht des Kl-Vertr. - durchaus vergleichbar. Für die
Streitjahre 1988 bis 1998, in denen die alte Rechtslage für die Klin. insgesamt die
wirtschaftlich günstigere darstellt, können Vertrauensschutzgesichtspunkte dagegen
überhaupt keine maßgebende Rolle spielen.
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Ein schutzwürdiges Vertrauen hätten die Klägerinnen daher allenfalls hinsichtlich der
alten Verwaltungsauffassung und der bis zum 09.06.1999 geltenden Rechtsprechung
haben können, die jedoch - wie bereits ausgeführt - wegen der (zusätzlichen)
Freibeträge und des Staffeltarifs für die Streitjahre 1988 bis 1998 sogar zu einer
geringeren Gesamtgewerbesteuerbelastung führt.
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Unabhängig von den oben dargelegten Erwägungen liegt nach Auffassung des Senats
wegen der von der G-gemeinschafts-GbR an die F-Gesellschaft mbH hingegebenen
umfangreichen Investitionsmittel überhaupt keine reine Willensbildungs GbR vor.
Vielmehr liegt wegen der Darlehenshingaben und der dadurch erzielten Zinsgewinne
eine umfangreiche vermögensverwaltende Tätigkeit einer gewerblich geprägten
Personengesellschaft vor. Eine solche ist im Streitfall gegeben, da an der GbR
ausschließlich Kapitalgesellschaften als persönlich haftende Gesellschafter beteiligt
sind und nur diese oder Personen, die nicht Gesellschafter sind, zur Geschäftsführung
befugt sind (§ 15 Abs. 3 Nr. 2 EStG). Die Hingabe der verzinslichen Darlehn führt hier zu
einem einheitlichen Gewerbebetrieb kraft gesetzlicher Fiktion (vgl. Schmidt EStG 23.
Aufl. § 15 Rz 231, 232). Gemäß § 2 Abs. 1 GewStG ist nämlich unter "Gewerbebetrieb"
im Sinne des Gewerbesteuergesetzes ein gewerbliches Unternehmen im Sinne des
Einkommensteuergesetzes zu verstehen. Da es sich bei der Tätigkeit der G-
gemeinschafts-GbR nicht um eine reine Willensbildungstätigkeit, sondern auch um eine
vermögensverwaltende Tätigkeit handelt, die als ein eigener Gewerbebetrieb gilt, greift
schon die von der Klin. angeführte BFH-Rechtsprechung nicht, denn sie ist ausdrücklich
nur auf die Fälle beschränkt, in denen die BGB-Gesellschaft lediglich der einheitlichen
Willensbildung dient und keiner eigenen gewerbesteuerpflichtigen Tätigkeit nachgeht.
Eine eigene gewerbesteuerpflichtige Tätigkeit liegt jedoch - wie ausgeführt - hier in der
Vermögensverwaltung durch die Darlehenshingaben vor (vgl. auch Abschnitt 11 Abs. 4
GewStR sowie Schmidt EStG § 15 Rz 232 m.w.N.).
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Soweit der Kl-Vertr. in der mündlichen Verhandlung wegen der rechtlichen Auswirkung
der Darlehensgewährung eingewandt hat, dass in den von dem BFH entschiedenen
gleichgelagerten Fällen ebenfalls Darlehensgewährungen vorgelegen hätten, kann der
Senat diesen Sachverhalt aus den Entscheidungen des BFH nicht ableiten. Die
Rechtslage ist nach Auffassung des Senats hier unzweifelhaft.
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Der Senat braucht sich aus den oben genannten Erwägungen nicht mit den Problem
auseinandersetzen, ob für grundsätzlich festsetzungsverjährte Streitjahre überhaupt
noch die begehrte gesonderte und einheitliche Feststellung in Betracht kommt. Zu
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bedenken ist nämlich, dass eine solche Feststellung nur (partielle) Wirkungen für die
Muttergesellschaften hat, bei denen ebenfalls noch keine Festsetzungsverjährung bei
der Gewerbesteuer eingetreten ist.
Denn nach § 181 Abs. 5 AO kann eine nach Ablauf der Feststellungsfrist ergangene
Feststellung nur noch solchen Steuerfestsetzungen zugrunde gelegt werden, deren
Festsetzungsfrist im Zeitpunkt der Feststellung ebenfalls noch nicht abgelaufen war. Im
Streitfall würde dies dazu führen, dass für festsetzungsverjährte Jahre trotz der
Feststellung der Gewerbeerträge und Gewerbekapitalien noch eine partielle
Messbetragsveranlagung bei der G-gemeinschafts GbR bestehen bleiben würde. Ein
solches Ergebnis mit einer verbleibenden Gewerbesteuerveranlagung bei der
Willensbildungs GbR wäre jedoch zu gekünstelt und daher nicht mehr nachvollziehbar.
Insoweit ist aber der Senat der Auffassung, dass für eine Anwendung des § 181 Abs. 5
AO im Streitfall nur Raum sein könnte, wenn für alle Gewerbesteuerfestsetzungen der
Organmütter die Festsetzungsfrist noch nicht abgelaufen wäre.
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Mangels verfassungsrechtlicher Bedenken im konkreten Fall kam eine Aussetzung des
Verfahrens und eine Vorlage an das Bundesverfassungsgericht gemäß Art. 100 Abs. 1
Grundgesetz nicht in Betracht.
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO.
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Die Revision gegen das Urteil betreffend die Klin. zu 1.) wird wegen grundsätzlicher
Bedeutung der Rechtssache zugelassen (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO).
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