Urteil des FG Münster vom 07.05.2002

FG Münster (Gesetzlicher Vertreter, Grobe Fahrlässigkeit, Satzung, Buchführung, Erfüllung, Verfassung, Passiven, Einspruch, Parteifähigkeit, Organisation)

Datum:
Gericht:
Spruchkörper:
Entscheidungsart:
Tenor:
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Aktenzeichen:
Finanzgericht Münster, 1 K 2429/00 L
07.05.2002
Finanzgericht Münster
1. Senat
Urteil
1 K 2429/00 L
Die Klage wird abgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.
Die Revision wird zugelassen.
T a t b e s t a n d
Streitig ist, ob der Kläger (Kl.) für rückständige Lohnsteuer (LSt) eines Sportvereins, dessen
Vorsitzender er war, haftet.
Der Kl. unterrichtet als Oberstudienrat an einer Berufsschule die Fächer ******* und
******************. Er war seit 1991 bis zur Auflösung des Vereins 1. Vorsitzender des
*********** Sportvereins H****von 19**/19** e.V. (*SV H*** ******e.V.; im Folgenden: "*SV"
oder "Verein") und wird vom Beklagten (Bekl.) für rückständige LSt des Vereins aus den
Anmeldungszeiträumen November 1995 bis März 1997 in Anspruch genommen. Das
Amtsgericht (AG) H*** hat den am 13.8.1998 gestellten Antrag auf Eröffnung des
Konkursverfahrens über das Vermögen des Vereins am 8.12.1998 mangels Masse
abgelehnt.
Der Verein gliederte sich in sieben Abteilungen für die einzelnen Sportarten. Unter diesen
Abteilungen war die im Jahr 1984 gegründete Eissportabteilung ab etwa 1992/1993 mit
einem Anteil von ca. 2/3 am Gesamtumsatz des Vereins die wirtschaftlich bedeutsamste.
Diese Bedeutung beruhte darauf, dass eine Mannschaft am Spielbetrieb der
***Eishockeyliga *****des Deutschen Eishockey-Bundes (DEB) teilnahm. Die hier
streitgegenständliche LSt ist durch Lohnzahlungen an Spieler dieser - halbprofessionell
geführten - Eishockey-Mannschaft entstanden. Von den im Streitzeitraum ca. 1.000
Mitgliedern des *SV entfielen ca. 400 - 450 auf die Eissportabteilung.
Nach der im maßgeblichen Zeitraum gültigen Satzung des Vereins vom 18.3.1994 (mit
Änderungen vom 3.5.1995) bestand der Vorstand i.S.d. § 26 des Bürgerlichen
Gesetzbuches (BGB) aus dem 1. und 2. Vorsitzenden (Nr. 8 Satz 1 der Satzung). Diese
hatten jeweils Einzelvertretungsbefugnis, welche der 2. Vorsitzende aber nur im
Einvernehmen mit dem 1. Vorsitzenden ausüben durfte. Zu den satzungsmäßigen Organen
des Vereins gehörten neben dem genannten Vorstand i.S.d. § 26 BGB auch noch der
Hauptvorstand, die Abteilungsvorstände und die Abteilungsvorsitzenden; letztere als
besondere Vertreter i.S.d. § 30 BGB (Nr. 7 der Satzung). Eine Eintragung der besonderen
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Vertreter ins Vereinsregister erfolgte allerdings nicht. Die Vertretungsmacht der
Vorsitzenden und Abteilungsvorstände war in der Weise beschränkt, dass zu
Rechtsgeschäften mit einem Geschäftswert von über 6.000 DM pro Jahr die Zustimmung
des Hauptvorstands erforderlich war (Nr. 8 Satz 4 der Satzung). Der Hauptvorstand war für
alle Angelegenheiten des Vereins zuständig, soweit diese nicht durch die Satzung einem
anderen Organ übertragen waren, insbesondere für die Buchführung (Nr. 9 Buchst. d der
Satzung). Er hatte Informations-, Kontroll- und Eingriffsrechte gegenüber den
Abteilungsvorständen, konnte Mahnungen aussprechen, Weisungen erteilen und
Beschlüsse annullieren (Nr. 9 Buchst. g der Satzung). Die Abteilungsvorstände hatten im
Wesentlichen die Organisation des Sportbetriebs sowie Mitgliederangelegenheiten zur
Aufgabe (Nr. 12 der Satzung).
Bereits seit 1993 befasste sich der Verein mit einer organisatorischen Neuordnung der
Eissportabteilung. Dabei stand sowohl in internen Papieren als auch im Schriftverkehr mit
dem Finanzamt immer wieder die Frage im Mittelpunkt, wie der Hauptvorstand von der
Haftung für Steuerschulden aus dem ****liga-Spielbetrieb befreit werden könne. In einem
umfangreichen juristischen Gutachten des heutigen Prozessvertreters des Kl. für den *SV
vom 25.7.1995, auf das Bezug genommen wird, war ausführlich dargelegt, dass die
Mitglieder des Hauptvorstands die Verantwortung für den Gesamtverein tragen und auch
für Steuerschulden der Abteilungen - erforderlichenfalls im Wege der persönlichen
Haftungsinanspruchnahme - aufkommen müssten. Hingeweisen wurde insbesondere auf
die mit der Beschäftigung bezahlter Sportler verbundenen Gefahren.
Auf Sitzungen des Hauptvorstands sowie auf Jahreshauptversammlungen kam es immer
wieder zu lebhaften Diskussionen um die Buchführung, insbesondere im Hinblick auf den
Eishockey-Spielbetrieb. So forderte der Hauptvorstand die Eissportabteilung am 10.8.1994
auf, die den Zeitraum ab dem 1.6.1994 betreffenden Buchführungsunterlagen dem
Hauptkassierer zu übermitteln. Mit Schreiben vom 27.9.1995 forderte der *SV den
Abteilungsleiter Eissport auf, Informationen über Vertragsgestaltung, Darlehen und
Kompensationsgeschäfte mit bezahlten Sportlern zu geben.
Mitte November 1995 erklärte der damalige Vorsitzende der Eissport-Abteilung,
*******A*****, seinen Rücktritt. Vom 14.11.1995 bis zum 8.5.1996 bekleidete ***** M****
diese Funktion kommissarisch; am 8.5.1996 wurde der Staatsanwalt *********S********* zum
Abteilungsvorsitzenden gewählt. Nachdem auch dieser am 3.10.1996 zurückgetreten war,
übte der Kl. bis März 1997 kommissarisch auch das Amt des Abteilungsvorsitzenden
Eissport aus.
Am 9.5.1996 wurde erstmals ein Bankeinzug über Lohn- und Umsatzsteuerschulden der
Eissportabteilung nicht eingelöst. Auf der einen Tag später stattfindenden
Jahreshauptversammlung des Vereins erhob der Kl. nach einer lebhaften Diskussion über
die Buchführung Einspruch gegen die Entlastung der Kassenführung. In der Folgezeit kam
es immer häufiger zur Nichteinlösung von Lastschriften über Steueransprüche. In der
Jahreshauptversammlung am 30.1.1997 erklärte der Hauptvorstand, dass man sich
Regressansprüche gegen den ehemaligen Eissportvorstand unter ****** A******vorbehalte.
Am 30.6.1997 fand die Gründungsversammlung des *SV H*** Eissport e.V. statt. Dieser
Zweigverein übernahm ab dem 1.8.1997 sämtliche Aufgaben der bisherigen
Eissportabteilung des *SV einschließlich aller Dienst- und Arbeitsverträge mit Spielern,
musste im Jahr 1998 aber ebenfalls die Eröffnung des Konkursverfahrens beantragen.
Ab März 1998 fand eine LSt-Außenprüfung für den Zeitraum Oktober 1995 - Januar 1998
beim Verein statt. Dabei wurde u.a. festgestellt, dass die nach den Lohnjournalen der
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Vereinsbuchführung einbehaltenen LSt-Beträge deutlich über den beim FA angemeldeten
Beträgen lagen: Der Verein hatte ab September 1996 jeweils nur den Betrag des
Vormonats angemeldet, obwohl die Lohnzahlungen monatsweise unterschiedlich
ausgefallen waren und in allen Monaten deutlich über den angemeldeten Beträgen
gelegen hatten. Darüber hinaus waren einige Lohnzahlungen vollständig unversteuert
geblieben: U.a. hatte der Spieler B*********in den Monaten September und Oktober 1996
jeweils 7.000 DM erhalten, von denen nur 1.500 DM versteuert worden waren. Zudem
wurden Fehler bei der lohnsteuerlichen Behandlung der Sonntags- und Nachtzuschläge
und des Fahrtkostenersatzes festgestellt. Ferner waren in der Tennisabteilung entstandene
Aushilfslöhne zwar von der Abteilung an den Hauptverein gemeldet, von diesem jedoch
nicht in den LSt-Anmeldungen berücksichtigt worden.
In der Handakte des LSt-Außenprüfers ist zudem u.a. ein Vertrag mit einem Spieler namens
K********* enthalten, der für den Zeitraum vom 1.9.1996 bis zum 31.8.1997 gelten sollte und
in dem eine monatliche Bruttovergütung von 1635,85 DM zzgl. Fahrtkostenersatz
ausgewiesen war. Getrennt von diesem maschinenschriftlichen Vertrag gab der Verein
(Unterschrift nicht lesbar; über der Unterschrift steht: "Für den Vorstand") eine
handschriftliche Erklärung ab. Darin hieß es u.a., dass der Vertrag "aus Steuergründen"
über 12 Monate laufe, insgesamt aber eine höhere Vergütung (2.500 DM) "heraus komme".
Ferner seien die Punktprämien "aus Steuergründen" nicht im Vertrag enthalten. Zudem
werde dem Spieler eine Wohnung und ein Kraftfahrzeug gestellt.
Am 3.6.1998 erging gegen den Verein ein LSt-Haftungs- und -Nachforderungsbescheid
über 69.988,39 DM, gegen den am 24.6.1998 wegen der Nachtzuschläge und der Höhe
des Nettosteuersatzes Einspruch eingelegt wurde. Am 31.5.1999 wies der Bekl. den
Einspruch als unbegründet zurück; diese an den Verein z.Hd. des Kl. gerichtete
Einspruchsentscheidung wurde nicht angefochten.
Am 13.9.1999 erließ der Bekl. gegen den Kl. den angefochtenen Haftungsbescheid wegen
"Lohnsteuer 1998" über 38.731,03 DM. Diesem Betrag lagen allein diejenigen LSt-Beträge
zugrunde, die auf vollständig unversteuerten Lohnzahlungen sowie auf den Differenzen
zwischen Lohnjournalen und Steueranmeldungen beruhten. Als Begründung für die
Haftungsinanspruchnahme führte der Bekl. aus, die Pflichtverletzung des Kl. als
gesetzlichem Vertreter des Vereins liege in der unterbliebenen Einbehaltung und
Abführung der LSt. Er habe grob fahrlässig gehandelt, weil man als Vereinsvorsitzender
wissen müsse, dass die angemeldeten Beträge in zutreffender Höhe abzuführen seien.
Auch an ehrenamtliche Vereinsvorstände seien ähnliche Anforderungen zu stellen wie an
GmbH-Geschäftsführer. - Hinsichtlich der übrigen gegen den Verein gerichteten LSt-
Forderungen sah der Bekl. hingegen von einer Inanspruchnahme des Kl. ab, weil er
insoweit von einem entschuldbaren Rechtsirrtum (Sonntags-, Feiertags- und
Nachtzuschläge) bzw. von einer Erfüllung der dem Vorstand hinsichtlich der pauschalen
LSt (Fahrtkostenersatz, Aushilfen) lediglich obliegenden Pflicht zur anteiligen Tilgung
ausging.
Im Einspruchsverfahren vertrat der Kl. die Auffassung, er sei bereits nicht der richtige
Adressat für einen Haftungsbescheid. Angesichts der faktischen Selbständigkeit der
Abteilungen seien diese als nichtrechtsfähige Vereine anzusehen, so dass allein die
Abteilungsvorsitzenden als gesetzliche Vertreter i.S.d. § 34 der Abgabenordnung (AO) in
Anspruch genommen werden könnten. Die Erfüllung der lohnsteuerlichen Pflichten sei eine
originäre Aufgabe der Abteilungen. Er selbst könne aber auch für die Zeit, als er zusätzlich
den Vorsitz der Eissportabteilung innehatte, nicht in Anspruch genommen werden. Denn
dort habe er nur repräsentative, aber keine geschäftsführenden Tätigkeiten
wahrgenommen.
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Selbst wenn er als 1. Vorsitzender zu den möglichen Adressaten eines
Haftungsbescheides gehören würde, fehle es aber an einer Pflichtverletzung seinerseits.
Jedenfalls habe er nicht grob fahrlässig gehandelt. Dazu behauptet er, er sei auf die
Informationen aus der Eissportabteilung angewiesen gewesen; die steuerlichen
Angelegenheiten seien durch den Steuerberater P****** bzw. den Hauptkassierer G******mit
Unterstützung des Steuerberaters W******* erledigt worden. Der ihm als Vorsitzenden
obliegenden Aufgabe, den Informationsfluss zwischen Abteilungen und Hauptvorstand zu
gewährleisten, sei er nachgekommen. Er habe keinen Anlass gehabt, an der korrekten
Amtsführung des Abteilungsvorsitzenden S*********, eines Staatsanwalts, zu zweifeln. Die
gesamte Organisationsstruktur des Vereins sei für einen Profibetrieb untauglich gewesen.
Eine grobe Fahrlässigkeit scheide jedenfalls hinsichtlich der an den Spieler
B*********gezahlten 2 x 5.500 DM aus. Denn dem Kl. habe sich nach seinem
Erkenntnishorizont die Lohnsteuerpflicht dieser als "Vermittlungsprovision" bezeichneten
Zahlungen nicht erschlossen.
Selbst wenn ihm eine grob fahrlässige Pflichtverletzung vorzuwerfen sei, sei diese
jedenfalls nicht kausal für den Haftungsschaden geworden. Denn der Hauptverein hätte
mangels eigener Mittel die in der Abteilung entstandene LSt gar nicht zahlen können.
Die Einspruchsentscheidung vom 28.3.2000 führte lediglich zu einer Herabsetzung der
Haftungssumme auf 38.009,03 DM wegen der Herausnahme der Säumniszuschläge.
Erstmals nannte der Bekl. nunmehr die LSt-Anmeldungszeiträume November 1995 bis
März 1997. Lohnsteuerliche Betriebsstätte sei der Hauptverein gewesen; die
Eissportabteilung habe nicht alle Wesensmerkmale eines nichtrechtsfähigen Vereins
erfüllt. Die Pflichtverletzung liege zunächst in der zu geringen Anmeldung der LSt, ferner
auch in der Nichtabführung. Sofern dem Verein keine ausreichenden Mittel zur Verfügung
gestanden hätten, hätten auch die Nettolöhne nur anteilig ausgezahlt werden dürfen. Die
grobe Fahrlässigkeit wurde nunmehr mit der Nichtabführung der nur treuhänderisch
verwalteten LSt begründet; auch der nichtkaufmännische Vereinsvorstand müsse sich die
elementarsten steuerlichen Pflichten aneignen bzw. entsprechende Informationen
einholen. Eine Überwachung der übrigen Organe des Vereins bzw. Organmitglieder durch
den Kl. habe vollständig gefehlt. Die Inanspruchnahme des Kl. sei auch ermessensgerecht.
Neben dem Kl. würden noch der Hauptkassierer G***** und der 2. Vorsitzende D****
herangezogen werden. Dagegen scheide eine Haftung weiterer Mitglieder des
Hauptvorstands sowie der Abteilungsvorstände aus, weil diese nicht gesetzliche Vertreter
des Vereins gewesen seien.
Mit der am 18.4.2000 eingegangenen Klage verfolgt der Kl. sein Begehren weiter. Er
wiederholt und vertieft seine Ausführungen im Einspruchsverfahren, insbesondere zur
Frage der rechtlichen Selbstständigkeit der Eissportabteilung und der groben
Fahrlässigkeit.
Am 19.12.2000 hat der Bekl. 1.161 DM aus einem Körperschaftsteuer-Guthaben auf die
LSt-Schulden des Vereins für den Zeitraum 1998 (fälschliche Bezeichnung für den
Haftungszeitraum) verrechnet. Zwischen den Beteiligten ist in der mündlichen Verhandlung
unstreitig geworden, dass dieser Betrag dem in der Einspruchsentscheidung
ausgewiesenen Negativbetrag für Lohnsteuer 2/1996 i.H.v. 1.160,94 DM entspricht.
Der Kl. beantragt,
den Haftungsbescheid vom 13.9.1999 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom
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28.3.2000 aufzuheben,
hilfsweise die Revision zuzulassen.
Der Bekl. beantragt,
die Klage abzuweisen,
hilfsweise die Revision zuzulassen.
Zur Begründung bezieht er sich im Wesentlichen auf die Einspruchsentscheidung. Er hält
eine Haftungsinanspruchnahme des Abteilungsvorstands weiterhin nicht für möglich. Ein
nichtrechtsfähiger Verein existiere hier nicht, da die Abteilungen nicht im Rechtsverkehr
erkennbar als sebständiges Gebilde aufgetreten seien.
Für den Fall, dass das Gericht zwischen dem Zeitraum, in dem der Kl. gleichzeitig
Abteilungsvorsitzender Eissport war (ab 3.10.1996), und dem übrigen Zeitraum
differenzieren wolle, äußert der Bekl. vorsorglich die Auffassung, dass auch schon der LSt-
Anmeldungszeitraum September 1996 in den erstgenannten Zeitraum einzubeziehen sei.
Zwar sei diese Anmeldung bereits zum 10.10.1996 und damit nur wenige Tage nach dem
Amtsantritt des Kl. in der Eissportabteilung abzugeben gewesen; jedoch habe der Kl. aus
den vorangegangenen Diskussionen Kenntnisse der Problematik gehabt, die zu einer
erhöhten Überprüfungspflicht führen müssten. Er hätte dann jedenfalls zu einem späteren
Zeitpunkt eine berichtigte LSt-Anmeldung einreichen müssen.
Die Einordnung der "Provisionszahlungen" an den Spieler B*********als Arbeitslohn müsse
der Kl. gegen sich gelten lassen, da er den gegen den Verein gerichteten LSt-
Haftungsbescheid auch insoweit hätte anfechten können, dies aber nicht getan habe.
Der Berichterstatter hat die Sache am 20.11.2001 erörtert; der Senat hat am 7.5.2002
mündlich verhandelt. Wegen der Einzelheiten wird auf die jeweiligen Protokolle Bezug
genommen. Der Senat hat die Körperschaftsteuer-Akte des *SV und die Akte über das
während des Einspruchsverfahrens geführte gerichtliche Verfahren über die Aussetzung
der Vollziehung des Haftungsbescheids (1 V 6716/99 L) beigezogen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der
Gerichtsakte und auf die beigezogenen Verwaltungsvorgänge Bezug genommen.
E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e
Die Klage ist unbegründet.
Der angefochtene Haftungsbescheid in Gestalt der Einspruchsentscheidung ist rechtmäßig.
Die Haftungsinanspruchnahme des Kl. beruht auf § 191 Abs. 1 Satz 1, § 69 Satz 1 der
Abgabenordnung (AO). Danach können die in §§ 34, 35 AO bezeichneten Personen durch
Haftungsbescheid in Anspruch genommen werden, soweit Ansprüche aus dem
Steuerschuldverhältnis infolge vorsätzlicher oder grob fahrlässiger Verletzung der ihnen
auferlegten Pflichten nicht oder nicht rechtzeitig festgesetzt oder erfüllt werden.
I. Der Kl. ist zutreffender Adressat des Haftungsbescheids. Denn er war als 1. Vorsitzender
des *SV im Haftungszeitraum gemäß § 26 Abs. 2 Satz 1 BGB dessen gesetzlicher Vertreter
i.S.d. § 34 Abs. 1 Satz 1 AO.
An dieser Stelle kann noch offen bleiben, ob auch die Abteilungsvorsitzenden zu den von
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§§ 34, 35 AO erfassten Personen - ggf. unter dem Gesichtspunkt der gesetzlichen
Vertretung eines nichtrechtsfähigen Untervereins - gehören. Denn selbst wenn dies der Fall
wäre, würde dadurch die Stellung des Kl. als gesetzlicher Vertreter des Hauptvereins nicht
aufgehoben. Nur dieser Hauptverein - und nicht etwa eine einzelne Abteilung - hat aber die
hier streitgegenständlichen LSt-Anmeldungen abgegeben. Dies folgt zum einen daraus,
dass in die LSt-Anmeldungen nicht nur solche Steuerbeträge einbezogen wurden, die in
der Eissportabteilung entstanden waren, sondern auch Steuerbeträge aus anderen
Abteilungen (z.B. der Tennisabteilung). Zum anderen ist auf den Anmeldungen der
Stempel des Hauptvereins verwendet worden.
II. Der Gesamtbetrag des Haftungsschadens ist mittlerweile zwischen den Beteiligten
unstreitig. Ohnehin wäre dem Kl. eine Berufung auf die etwaige materielle Fehlerhaftigkeit
des gegen den *SV ergangenen LSt-Nachforderungs- und -Haftungsbescheids vom
3.6.1998 gemäß § 166 AO verwehrt. Denn dieser Bescheid ist nach Erlass der
Einspruchsentscheidung vom 31.5.1999 unanfechtbar geworden; der Kl. wäre aber als
gesetzlicher Vertreter des Vereins in der Lage gewesen, den Bescheid anzufechten.
Daran ändert der Umstand nichts, dass während des Einspruchsverfahrens über den
Nachforderungs- und Haftungsbescheid das Konkursverfahren über das Vermögen des
Vereins beantragt (am 13.8.1998), der Antrag aber mangels Masse am 8.12.1998
abgelehnt worden ist. Denn der Kl. war nach der Ablehnung der Eröffnung gemäß § 48
BGB Liquidator des - dann aufgelösten - Vereins und hätte die Einspruchsentscheidung
auch in dieser Eigenschaft anfechten können.
III. Die von § 69 AO geforderte Pflichtverletzung des Kl. liegt hier in der zu geringen
Anmeldung - und damit auch zu geringen Zahlung - der entstandenen Lohnsteuerbeträge.
Angesichts der zahlreichen klar erkennbaren Krisenanzeichen (dazu im Einzelnen
nachstehend unter IV.) bestanden für den Kl. über das normale Maß hinaus gesteigerte
Überwachungspflichten hinsichtlich der Vorgänge in der Eissportabteilung. Dass der Kl.
diesen Überwachungspflichten in auch nur annähernd zureichender Weise
nachgekommen wäre, ist weder vorgetragen noch sonst ersichtlich.
Angesichts der weitreichenden Eingriffsrechte, die die Vereinssatzung dem Hauptvorstand
gegenüber den Abteilungsvorständen gewährte, waren dem Kl. ohne weiteres zu jeder Zeit
Möglichkeiten zur Einwirkung auf die Eissportabteilung gegeben.
IV. Diese Pflichtverletzung geschah auch grob fahrlässig. Grob fahrlässig handelt, wer die
Sorgfalt, zu der er nach seinen persönlichen Kenntnissen und Fähigkeiten verpflichtet und
imstande ist, in ungewöhnlich großem Maße verletzt (vgl. Tipke/Kruse, § 69 AO Tz. 26
m.w.N.).
Ob auch ein nur ehrenamtlich tätiger Vereinsvorsitzender nach denselben Grundsätzen
haftet wie ein GmbH-Geschäftsführer, richtet sich nach den jeweiligen besonderen
Umständen des Streitfalles (BFH-Urteil vom 23.6.1998 VII R 4/98, BStBl. II 1998, 761
(763)). Für den hier zu beurteilenden Fall ist der Senat davon überzeugt, dass an den
langjährig in der Eishockeybranche engagierten und juristisch gut beratenen Kl. durchaus
hohe Sorgfaltsanforderungen zu stellen sind.
1. Dies gilt zum einen für die von der LSt-Außenprüfung festgestellten Differenzen
zwischen den Lohnjournalen des Vereins und den in den LSt-Anmeldungen angegebenen
Beträgen.
Insoweit handelt es sich um einen Fehler, der auch für einen steuerlichen Laien mit der
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Vereins-, Berufs- und Lebenserfahrung des Kl. ohne weiteres feststellbar war. Der Kl. hatte
auch Anlass, sich mit der Buchführung des Vereins zu befassen, da die entsprechenden
Probleme ihm seit langem bekannt waren. Dies folgt zum einen aus der Aufforderung des
Hauptvorstands an die Eissportabteilung vom 10.8.1994, die Buchführungsunterlagen zu
übermitteln, ferner aus der weiteren Aufforderung vom 27.9.1995, Informationen über
Vertragsgestaltung, Darlehen und Kompensationsgeschäfte zu geben. Auch die
zahlreichen Rücktritte in der Eissportabteilung während des Haftungszeitraums hätten dem
Kl. verdeutlichen müssen, dass er persönlich seinen Überwachungspflichten hätte
nachkommen müssen. Der Kl. selbst hat aufgrund der ihm bekannten Buchführungsmängel
auf der Jahreshauptversammlung des Vereins am 10.5.1996 beantragt, der Kassenführung
die Entlastung zu versagen.
Demgegenüber kann der Kl. nicht mit seiner Behauptung durchdringen, die ihm bekannten
Buchführungsmängel hätten lediglich die Finanzbuchhaltung, nicht aber die
Lohnbuchhaltung betroffen. Denn der Kl. konnte nicht annehmen, dass die nach Aktenlage
hochgradige Unordnung der Verhältnisse beim *SV auf die Finanzbuchhaltung beschränkt
war, zumal die Lohnbuchhaltung an zahlreichen Stellen eng mit der Finanzbuchhaltung
verzahnt war. Diese Verzahnung zeigt sich zum einen daran, dass zahlreiche Lastschriften
über Lohnsteuerzahlungen nicht eingelöst wurden, was auch dem Kl. bekannt war. Zum
anderen hatte die Tennisabteilung ihre Aushilfslöhne korrekt an den Hauptverein gemeldet;
dennoch nahm dieser die entsprechenen Beträge nicht in die LSt-Anmeldungen auf. Dies
verdeutlicht, dass das herrschende Durcheinander nicht auf die Finanzbuchhaltung
begrenzt war. Da dem Kl. dies ohne weiteres erkennbar bzw. sogar bekannt war, geschah
das Unterlassen von Überwachungs- bzw. Korrekturmaßnahmen grob fahrlässig. Es
genügte in dieser Situation keinesfalls, sich auf die unzureichenden freiwillig erteilten
Informationen der Eissportabteilung zu verlassen. Dies vor allem deshalb, weil die
Buchführung nach der Vereinssatzung dem Hauptvorstand - und nicht etwa den
Abteilungen - oblag; letztgenannte waren hauptsächlich für den Sportbetrieb und für
Mitgliederangelegenheiten zuständig.
Ein Vorstandsmitglied, das wesentliche Angelegenheiten delegiert und die delegierte
Tätigkeit nicht genügend kontrolliert, handelt nach der Rspr. des BFH aber grob fahrlässig
(BFH-Urteil vom 27.9.2001 V R 17/99, BStBl. II 2002, 169 (171)).
2. Auch hinsichtlich der nicht dem LSt-Abzug unterworfenen, als "Provisionen"
bezeichneten Zahlungen an den Spieler B*********hat der Kl. grob fahrlässig gehandelt.
Nach der Vereinssatzung war zu Rechtsgeschäften der Abteilungsvorstände mit einem
Wert von über 6.000 DM im Jahr die Zustimmung des Hauptvorstands erforderlich. Diese
Satzungsvorschrift ist - soweit aus dem Akteninhalt, insbesondere aus den in der LSt-
Handakte enthaltenen Vertragskopien, ersichtlich - weitgehend beachtet worden. Die
"Provisionszahlungen" in Höhe von 11.000 DM überschritten den genannten
Schwellenwert deutlich. Die entsprechende Vereinbarung musste dem Kl. bekannt
gewesen sein.
Der Kl. kann auch nicht mit der Behauptung durchdringen, ihm habe sich die
steuerrechtliche Einordnung dieser Zahlung als Bestandteil des Arbeitslohns nicht
erschließen können. Denn den Arbeitsverträgen mit den Spielern sind - wie die
handschriftliche Zusatzvereinbarung mit dem Spieler K********* exemplarisch zeigt - in der
Realität "aus Steuergründen" durchaus andere Inhalte beigelegt worden als in der
maschinenschriftlich niedergelegten Vereinbarung dokumentiert. Bei dieser Sachlage hätte
der Kl. substantiiert vortragen müssen, dass er hinsichtlich des Spielers B******** -
ausnahmsweise - tatsächlich nichts von der Sondervereinbarung wissen konnte und
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insoweit von den Verantwortlichen in der Eissportabteilung bewusst getäuscht worden ist.
Ein derartiger Vortrag ist indes ebensowenig erfolgt wie eine Konkretisierung der
behaupteten Vermittlungstätigkeiten des Spielers B********.
Über die besonderen steuer- und haftungsrechtlichen "Gefahren", die die Beschäftigung
bezahlter Sportler für einen Verein und dessen Vorstand mit sich bringt, hatte der Kl.
spätestens seit dem vom Prozessvertreter erstellten ausführlichen Gutachten vom
25.7.1995 klare Kenntnis. In diesem Gutachten ist auf die entsprechenden "Gefahren" an
zahlreichen Stellen deutlich und zutreffend hingewiesen.
3. Der Annahme grober Fahrlässigkeit steht auch nicht die Rechtsprechung des BFH
entgegen, wonach in den Fällen, in denen Anmeldungen zwar abgegeben werden, aber
inhaltlich unrichtig sind, nicht ohne weiteres eine grob fahrlässige Pflichtverletzung
angenommen werden kann (BFH-Urteil vom 27.11.1990 VII R 20/89, BStBl. II 1991, 284).
Denn diese von der Rechtsprechung vorgenommene Einschränkung gilt dann nicht, wenn
die Fehlerhaftigkeit der Anmeldungen durch solche Maßnahmen hätte aufgedeckt werden
können, zu denen für den Vertreter nach den besonderen Umständen des Falles bei
ordnungsgemäßer Erfüllung seiner Überwachungspflicht Anlass bestanden hat (BFH,
a.a.O.). Nach dem Vorstehenden ist vorliegend genau dies aber der Fall.
Der Kl. kann sich auch nicht darauf berufen, dass andere Personen - etwa der
Steuerberater oder der Hauptkassierer - vorrangig mit der Erstellung der LSt-Anmeldungen
betraut gewesen waren. Denn selbst bei einer eindeutigen schriftlichen Klarstellung der
Aufteilung der Verantwortlichkeiten - an der es im Streitfall ohnehin fehlt - kann es nur so
lange zu einer Begrenzung der Verantwortlichkeit kommen, als kein Anlass besteht, an der
exakten Erfüllung der steuerlichen Verpflichtungen durch die hierfür intern zuständigen
Personen zu zweifeln (BFH-Urteil vom 23.6.1998 VII R 4/98, BStBl. II 1998, 761). Der Kl.
hatte aber bereits vom Beginn des Haftungszeitraums an Anlass zu entsprechenden
Zweifeln.
V. Die Pflichtverletzung war entgegen der Auffassung des Kl. auch kausal für den
Haftungsschaden. Die Behauptung, bei zutreffender Anmeldung der LSt hätten dem
Hauptverein jedenfalls die Mittel für die Steuerzahlung gefehlt, ist insofern nicht plausibel,
als die tatsächlich angemeldeten Steuerbeträge im Haftungszeitraum jeweils - wenn auch
teilweise erst mit Verzögerung nach Nichteinlösung von Lastschriften - gezahlt worden
sind. Es ist schon nicht substantiiert vorgetragen, dass dem Verein gerade die Mittel für die
nicht angemeldeten Spitzenbeträge gefehlt hätten. Selbst wenn dies der Fall gewesen sein
sollte, hätte der Verein dann aber auch die Löhne der Spieler nur anteilig gekürzt
auszahlen dürfen.
VI. Schließlich hat der Bekl. auch sein - vom Finanzgericht nur in den Grenzen des § 102
Satz 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO) überprüfbares - Ermessen fehlerfrei ausgeübt.
Dies gilt hinsichtlich des Auswahlermessens auch insoweit, als der Bekl. sich aus
Rechtsgründen nicht in der Lage gesehen hat, auch die jeweiligen Abteilungsvorsitzenden
der Eissportabteilung - die den Tatbestand der schuldhaften Pflichtverletzung nach dem
Sachvortrag des Kl. möglicherweise in noch höherem Maße erfüllen als der Kl. selbst - als
Haftungsschuldner in Anspruch zu nehmen. Denn die Abteilung war zwar als
nichtrechtsfähiger Verein anzusehen (dazu unten 1.), sie hatte aber keine steuerlichen
Pflichten i.S.d. § 34 AO zu erfüllen (dazu unten 2.). Auch eine Inanspruchnahme der
Abteilungsvorsitzenden als faktisch Verfügungsberechtigte nach § 35 AO scheidet aus
(dazu unten 3.).
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1. Der Senat tritt der Rechtsauffassung des Kl. bei, wonach es sich bei der
Eissportabteilung nach der tatsächlichen Organisationsstruktur des *SV um einen
nichtrechtsfähigen Verein i.S.d. § 54 BGB gehandelt hat.
a) Nach der Rechtsprechung der Zivilgerichte können Untergliederungen eines
eingetragenen Vereins unter bestimmten Voraussetzungen ihrerseits als nichtrechtsfähige
Vereine behandelt werden. Entscheidendes Kriterium ist, ob die Untergliederung die
Verfassung eines Vereins besitzt. Diese Frage kann nur nach dem Gesamtbild der
Verhältnisse beurteilt werden. Bei diesem Gesamtbild sind vor allem die folgenden Indizien
von Bedeutung (BGH-Urteil vom 19.3.1984 II ZR 168/83, BGHZ 90, 331 = NJW 1984, 2223:
Ortsgruppe der Deutschen Lebensrettungs-Gesellschaft; OLG Bamberg, Urteil vom
8.7.1981 3 U 53/81, NJW 1982, 895; KG, Beschluss vom 28.1.1983 1 W 5046/81, OLGZ
1983, 272 (273): Handballabteilung eines Sportvereins; LG Regensburg, Urteil vom
11.8.1987 4 O 592/87, NJW-RR 1988, 184, rkr.: Tennisabteilung eines Sportvereins;
Sauter/Schweyer, Der eingetragene Verein, 16. Aufl. 1997, Rn. 329):
Vorhandensein einer körperschaftlichen Verfassung (d.h. handlungsfähige
Organisation; vor allem Existenz eines eigenen Vorstands und einer eigenen
Mitgliederversammlung);
Führung eines Gesamtnamens;
Unabhängigkeit vom Wechsel der Mitglieder;
eigenständige Wahrnehmung von Aufgaben neben der unselbständigen Tätigkeit für den
Hauptverein.
Diese jeweils zur Frage der passiven Parteifähigkeit des § 50 Abs. 2 ZPO ergangene
Rechtsprechung hat - soweit ersichtlich - keinen Widerspruch gefunden.
b) Nimmt man eine Gesamtbetrachtung anhand der genannten Kriterien vor, so erfüllten die
Fachabteilungen des *SV die Voraussetzungen für die Annahme eines nichtrechtsfähigen
Vereins. Das wichtigste Indiz - die körperschaftliche Verfassung - ist gegeben, denn die
Abteilungen hatten jeweils eigene Mitgliederversammlungen und eigene Vorstände. In der
Hauptsatzung war ihre Verfassung klar geregelt. Sie waren auch unabhängig vom Wechsel
ihrer Mitglieder und hatten bestimmte Aufgaben zur eigenständigen Wahrnehmung
zugewiesen bekommen (z.B. Organisation des Sportbetriebs, Mitgliederangelegenheiten,
Teilbereiche der Kassenführung). Ob sie auch einen eigenen Namen führten, konnte der
Senat nicht sicher feststellen; dieses Indiz ist aber im Rahmen der Gesamtwürdigung von
minderer Bedeutung, wenn die übrigen Kriterien - wie hier - klar erfüllt sind. Nach
Auffassung des Senats ist - über die von der dargestellten Rechtsprechung genannten
Kriterien hinaus - eine bestimmte Mindestgröße des Gesamtvereins als ein weiteres Indiz
zu berücksichtigen. Bei einer Gesamtmitgliederzahl von ca. 1.000 und einer
Abteilungsmitgliederzahl von ca. 400 war diese Mindestgröße im Fall des *SV aber
erreicht.
2. Dieser nichtrechtsfähige Zweigverein hatte aber keine steuerlichen Pflichten i.S.d. § 34
Abs. 1 Satz 1 AO zu erfüllen. Insbesondere traf ihn nicht die Pflicht zur Abgabe von
Lohnsteuer-Anmeldungen. Denn aus der dargestellten zivilgerichtlichen Rechtsprechung
zur Frage der passiven Parteifähigkeit - auch - der Abteilungen folgt steuerrechtlich nicht,
dass allein diese als Arbeitgeber i.S.d. § 38 des Einkommensteuergesetzes (EStG) bzw. §
1 der Lohnsteuer-Durchführungsverordnung (LStDV) angesehen werden müssen. Dies
ergibt sich schon daraus, dass in den genannten Entscheidungen die Frage der passiven
Parteifähigkeit des Hauptvereins jeweils unbestritten war; im Streit war nur die Frage, ob
die - irrtümlich gegen die nichtrechtsfähige Untergliederung erhobene - Klage deshalb
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bereits unzulässig war. Dann besteht aber kein Bedürfnis, diese - zur Vermeidung
unzulässiger Klagen entwickelte - zivilrechtliche Rechtsfigur des nichtrechtsfähigen
Zweigvereins im Steuerrecht dahingehend zu erweitern, dass der Hauptverein für
Vorgänge in den Abteilungen steuerlich gar nicht mehr von Bedeutung ist.
Allenfalls könnte insoweit ein Wahlrecht des Vereins bestehen, die Arbeitgeberstellung
entsprechend zu gestalten und auf den Zweigverein zu verlagern. Letztlich kann der Senat
dies jedoch offen lassen, da der *SV ein solches Wahlrecht jedenfalls dahingehend
ausgeübt hätte, dass der Hauptverein als Arbeitgeber auftreten soll. Denn nur dieser ist
gegenüber dem Bekl. in den lohnsteuerlichen Angelegenheiten nach außen aufgetreten
und hat die LSt-Beträge sämtlicher Abteilungen einheitlich in einer einzigen LSt-
Anmeldung zusammengeführt.
3. Die Abteilungsvorsitzenden können auch nicht als faktische Verfügungsberechtigte nach
§ 35 AO in Anspruch genommen werden. Denn sie sind nach außen nicht als
Verfügungsberechtigte aufgetreten, sondern haben die Vertretungsregeln des Vereins -
insbesondere den Zustimmungsvorbehalt des Hauptvorstands für bedeutendere Geschäfte
- beachtet.
Für die Anwendung des § 35 AO wäre zudem erforderlich, dass die in Betracht
kommenden Personen tatsächlich und rechtlich in der Lage gewesen wären,
Rechtsverhältnisse herbeizuführen, aufgrund deren sie in der Lage wären, rechtlich
verbindlich die Pflichten des gesetzlichen Vertreters entweder selbst zu erfüllen oder durch
die Bestellung entsprechender Organe erfüllen zu lassen (BFH-Urteil vom 27.11.1990 VII R
20/89, BStBl. II 1991, 284 (286) betr. Alleingesellschafter einer GmbH). Daran fehlte es
hinsichtlich der Abteilungsvorsitzenden ebenfalls.
VII. Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 Abs. 1 FGO.
Die Zulassung der Revision beruht auf § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO. Denn die Frage der
Haftungsinanspruchnahme und der Ausübung des Auswahlermessens bei einem
Mehrsparten-Sportverein mit faktisch stark verselbständigten Abteilungen ist von der
Rechtsprechung noch nicht entschieden worden.