Urteil des FG Münster vom 07.12.2007

FG Münster: treu und glauben, fristlose kündigung, wirtschaftliche identität, verlustabzug, bindungswirkung, datum, einkünfte, steuererklärung, handel, anlagevermögen

Finanzgericht Münster, 9 K 4673/04 K, F
Datum:
07.12.2007
Gericht:
Finanzgericht Münster
Spruchkörper:
9. Senat
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
9 K 4673/04 K, F
Tenor:
Unter Änderung der Bescheide über die gesonderte Feststellung des
verbleibenden Verlustabzugs zur Körperschaftsteuer zum 31. Dezember
2001 vom 6. April 2004 und die gesonderte Feststellung des
vortragsfähigen Gewerbeverlustes zum 31. Dezember 2001 vom 19.
April 2004 und unter Aufhebung der Einspruchsentscheidungen vom 29.
Juli 2004 wird der verbleibende Verlustabzug zur Körperschaftsteuer auf
den 31. Dezember 2001 auf 212.913 DM und der vortragsfähige
Gewerbeverlust auf den 31. Dezember 2001 auf 177.683 DM festgestellt.
Die Revision wird zugelassen.
Die Kosten des Verfahrens trägt zu 75 % der Beklagte und zu 25 % die
Klägerin.
Das Urteil ist wegen der Kostenentscheidung gegen Sicherheitsleistung
in Höhe des Kostenerstattungsanspruchs der Klägerin vorläufig
vollstreckbar.
Streitig ist, ob der Fortführung eines Verlustvortrags entgegensteht, dass der Klägerin,
einer GmbH, nach der Übertragung von 94% ihrer Anteile mehrere Darlehen des neuen
Gesellschafters zugeführt worden sind.
1
Die Klägerin wurde mit notariell beurkundetem Vertrag vom 31. Juli 1984 gegründet. Ihr
Gegenstand ist die Forschung und Entwicklung sowie die Herstellung von
lichttechnischen Anlagen. Insbesondere befasst sie sich mit der Entwicklung und
Reparatur von medizinischen Lasergeräten. Ihr Stammkapital beträgt 50.000 DM.
Gründungsgesellschafter waren der Diplom-Physiker QU und der Arzt XM. Seit dem
Jahr 1992 hielt QU nominal 3.000 DM (6%) und XM nominal 47.000 DM (94%) der
Anteile.
2
Am 16. Februar 1996 verstarb XM. Seine Erben veräußerten die Beteiligung mit notariell
beurkundetem Vertrag vom 26. Mai 1997 für 1 DM an den Arzt KT. Ferner traten die
Erben Ansprüche gegen die Klägerin aus Gesellschafterdarlehen i.H.v. 53.412,50 DM
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für eine Gegenleistung von 2 DM an KT ab. In derselben Urkunde wurde die bisherige
Geschäftsführerin abberufen und durch den in X ansässigen Kaufmann CQ ersetzt. Ein
Anstellungsvertrag mit CQ, der keinerlei Bezüge erhält und an der Klägerin nicht
beteiligt ist, wurde nicht abgeschlossen. KT wurde Einzelprokura erteilt.
Aus den Jahresabschlüssen der Klägerin ergeben sich die folgenden Kennzahlen
(jeweils auf volle DM gerundet):
4
1996 1997 1998 1999 2000 2001
5
Stand Gesellschafterdarlehen 53.413 85.977 102.111 106.079 106.079 223.334
6
– Erhöhung Darlehen 32.564 16.134 3.968 0 117.255
7
Summe der Aktiva 31.841 32.941 21.619 57.333 28.910 69.191
8
– davon Anlagevermögen 4 4 4 4 4 4
9
– dav. fertige/unfert. Erzeugn. 26.126 28.825 18.253 18.253 18.253 0
10
– davon Kassenbestand 641 584 33 1.369 1.052 6.818
11
Stand laufendes Bankkonto ./. 13.617 ./. 9.795 ./. 9.342 22.523 5.647 51.860
12
Umsatzerlöse 50.205 36.259 38.596 100.310 53.691 1.313
13
Mietaufwand 10.204 10.607 9.970 9.000 9.000 6.453
14
Löhne und Gehälter 24.663 24.663 24.663 36.663 60.717 19.738
15
Wareneingang 351 4.028 621 882 6.738 11.180
16
Jahresergebnis ./. 14.293 ./. 21.747 ./. 25.305 33.271 ./. 48.307 ./. 98.141
17
Das Anlagevermögen der Klägerin besteht aus einem Laserdetektor, einer
Tischkreissäge und einem Oszilloskop. Die drei genannten Wirtschaftsgüter waren
jeweils bereits im Jahr 1985 für insgesamt 4.346 DM angeschafft worden.
18
Das Gesellschafterdarlehen wurde nicht verzinst. Am 7. August 1999 erklärte KT, er
werde seine Forderung bis auf Weiteres nicht geltend machen und trete im Rang, auch
für den Fall eines Konkurses, hinter die Forderungen aller übrigen Gläubiger zurück.
19
Trotz der erheblichen Steigerung der Erlöse im Jahr 1999 sind die Aufwendungen
gegenüber den Vorjahren nahezu unverändert geblieben. Hingegen sind die
Aufwendungen im Jahr 2000 trotz des starken Rückgangs der Erlöse deutlich
angestiegen.
20
Der Wirtschaftsprüfer bzw. die Steuerberaterin der Klägerin fügte den
Jahresabschlüssen für 1999 bis 2001 die Erklärung bei, dass die Bilanz in den
Positionen "unfertige Leistungen" und "Bestand Waren" vorläufig sei. Zur Begründung
wurde darauf verwiesen, dass noch Rechtsstreitigkeiten mit einem Herrn NI anhängig
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seien, der mit den Inventuren beauftragt gewesen sei. Deshalb sei es nicht möglich, die
notwendigen Unterlagen beizubringen. Die Klägerin hatte das Arbeitsverhältnis mit NI,
der als leitender technischer Angestellter tätig war, am 19. März 2001 fristlos gekündigt.
Weil das Arbeitsgericht keinen Grund für eine fristlose Kündigung erkennen konnte,
haben sich die Arbeitsvertragsparteien am 4. Juni 2002 auf ein einvernehmliches
Ausscheiden des NI zum 31. August 2001 geeinigt. Weshalb die Klägerin gleichwohl
den NI auch mit der Erstellung der nachfolgenden Inventur zum 31. Dezember 2001
beauftragt hat, hat sie bisher nicht erläutert.
In den Jahren 2002 und 2003 hat die Klägerin keine nennenswerten, in den Jahren
2004 bis 2007 gar keine Umsätze erzielt.
22
Auf den 31. Dezember 1996 ist für die Klägerin ein verbleibender Verlustabzug zur KSt
i.H.v. 101.289 DM festgestellt worden. Der Stand der nachfolgenden Veranlagungen
und Feststellungen stellt sich wie folgt dar (alle Beträge in DM):
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1997 1998 1999 2000
24
Abgabe Steuererklärung 27.01.99 09.09.99 02.07.01 07.08.02
25
Datum der KSt-Bescheide 01.03.99 20.10.99 17.08.01 09.10.02
26
Gesamtbetrag der Einkünfte ./. 21.748 ./. 25.306 33.271 ./. 48.307
27
festgesetzte Körperschaftsteuer (KSt) 0 0 0 0
28
verbleibender Verlustabzug KSt 123.037 148.343 115.072 163.379
29
vortragsfähiger Gewerbeverlust 87.807 113.113 79.842 128.149
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Veranlagungsstatus KSt VdN VdN VdN VdN
31
Veranlagungsstatus KSt-Verlust VdN endgültig endgültig VdN
32
Veranlagungsstatus GewSt-Messbetrag endg. endgültig endgültig endgültig
33
Veranlagungsstatus Gewerbeverlust endgültig endgültig endgültig endgültig
34
Für das Streitjahr 2001 gab die Klägerin zunächst trotz entsprechender Aufforderung
keine Steuererklärungen ab. Der Beklagte (das Finanzamt – FA –) schätzte daraufhin
die Besteuerungsgrundlagen und setzte, ausgehend von einem Gesamtbetrag der
Einkünfte von 0 DM, die KSt 2001 mit Bescheid vom 11. September 2003 unter dem
Vorbehalt der Nachprüfung auf 0 DM fest. Den verbleibenden Verlustabzug zur KSt auf
den 31. Dezember 2001 stellte er – ohne Nebenbestimmung – auf 163.379 DM fest. Am
22. September 2003 erließ das FA unter dem Vorbehalt der Nachprüfung einen
Bescheid über die gesonderte Feststellung des vortragsfähigen Gewerbeverlusts auf
den 31. Dezember 2001 über 128.149 DM. Alle genannten Bescheide wurden formell
bestandskräftig.
35
Am 24. November 2003 reichte die Klägerin ihre KSt-Erklärung 2001 ein. Das FA erließ
am 6. April 2004 einen Bescheid, in dem es hieß, eine gesonderte Feststellung des
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verbleibenden Verlustabzugs zur KSt sei nicht durchzuführen, weil ein verbleibender
Verlust nicht bestehe. In diesem Bescheid ist weder eine Änderungsvorschrift noch das
Verhältnis zum Verlustfeststellungsbescheid vom 11. September 2003 genannt. Mit
einem nach § 164 Abs. 2 der Abgabenordnung (AO 1977) geänderten Bescheid vom
19. April 2004 entschied das FA ferner, dass auf den 31. Dezember 2001 keine
gesonderte Feststellung des vortragsfähigen Gewerbeverlusts vorzunehmen sei, weil
ein solcher Verlust nicht bestehe.
Inhaltlich wich das FA insoweit von der Steuererklärung ab, als es Aufwendungen für
Material sowie für Reparaturen und Instandhaltungen (insgesamt 48.607 DM) wegen
des Fehlens von Erlösen nicht zum Betriebsausgabenabzug zuließ, sondern als
Warenbestand aktivierte. Hierdurch erhöhte sich das von der Klägerin erklärte Ergebnis
(./. 98.141 DM) auf ./. 49.534 DM. Diese Änderung ist zwischen den Beteiligten im
Klageverfahren unstreitig geworden. Ferner führte das FA – unter Hinweis auf die
Vorschrift des § 8 Abs. 4 des Körperschaftsteuergesetzes (KStG) – aus, die Verluste
seien wegen Wegfalls der wirtschaftlichen Identität der Klägerin nicht mehr abzugsfähig.
Eine weitere Begründung enthalten die Bescheide nicht.
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Im Einspruchsverfahren führte die Klägerin aus, sie sei weiterhin unternehmerisch tätig.
Die Geschäftsführung sei durch CQ in X ausgeübt worden. In den Jahren 2001 und
2002 habe sie nach geeigneten Räumen gesucht. Die Erlöse der Jahre 2001 und 2002
seien dadurch erzielt worden, dass die Klägerin ihren Kunden Reparaturarbeiten in
Rechnung gestellt habe, die sie ihrerseits an Fremdfirmen vergeben habe. Das FA wies
die Einsprüche als unbegründet zurück, ohne dies weiter zu begründen, insbesondere
ohne die Anwendung des § 8 Abs. 4 KStG näher zu erläutern.
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Im Klageverfahren behauptet die Klägerin, nach der Übertragung der Anteile auf KT
dieselben Tätigkeiten durchgeführt zu haben wie zuvor. KT benötige als Arzt die von der
Klägerin hergestellten Therapiegeräte zur Behandlung von Nervenleiden. Mit den
Geräten, die körpereigene Stammzellen erzeugten, könne erreicht werden, dass Blinde
sehen und Lahme gehen. Ursache des Umsatzeinbruchs des Jahres 2001 sei ein
schädigendes Verhalten des NI gewesen. Ein adäquater Ersatz für NI sei erst Jahre
später gefunden worden. Nun sei es gelungen, "mit einer neuen Mannschaft auf einer
neuen technischen Basis diese Therapie-Geräte neu zu entwickeln". Ab 2008 sei zu
erwarten, dass wieder Umsätze erzielt werden könnten. Aufgrund der Verkleinerung der
Geräte könne man zudem davon ausgehen, dass der Kundenkreis sich nicht mehr – wie
bisher – auf KT beschränken werde, sondern auch dritte Interessenten erreicht werden
könnten.
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Ferner behauptet sie, die Erhöhung des Gesellschafterdarlehens im Jahr 2001 beruhe
darauf, dass KT während des Jahres laufende Aufwendungen der Klägerin aus seinem
eigenen Vermögen bezahlt habe; am Jahresende sei die Gesamtsumme dieser
"Auslagen" dann auf das Darlehenskonto gebucht worden.
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Nachdem die Klägerin ihren schriftsätzlich gestellten Antrag in der mündlichen
Verhandlung eingeschränkt hat, beantragt sie nunmehr,
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unter Änderung der Bescheide über die gesonderte Feststellung des verbleibenden
Verlustabzugs zur KSt zum 31. Dezember 2001 vom 6. April 2004 und die
gesonderte Feststellung des vortragsfähigen Gewerbeverlusts zum 31. Dezember
2001 vom 19. April 2004 und unter Aufhebung der Einspruchsentscheidungen vom
42
29. Juli 2004 den verbleibenden Verlustabzug zur KSt auf den 31. Dezember 2001
auf 212.913 DM und den vortragsfähigen Gewerbeverlust auf den 31. Dezember
2001 auf 177.683 DM festzustellen,
hilfsweise, die Revision zuzulassen.
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Das FA beantragt,
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die Klage abzuweisen,
45
hilfsweise, die Revision zuzulassen.
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Es ist der Auffassung, die Klägerin trage die Beweislast für das Absehen von der
Anwendung des § 8 Abs. 4 KStG, weil sie durch Anwendung des § 10d des
Einkommensteuergesetzes (EStG) eine Steuerminderung begehre. Weil die Klägerin
ihre Mitwirkungspflichten nicht erfüllt habe, sei derzeit davon auszugehen, dass neben
dem zeitlichen auch ein sachlicher Zusammenhang zwischen der Anteilsübertragung
und der Gewährung des Darlehens bestehe. Insbesondere sei unklar geblieben, in
welchen Räumen die Klägerin ihr Gewerbe betreibe, wo ein etwaiger Warenbestand
lagern könnte, welches Personal beschäftigt werde, welchen Tätigkeiten sie nachgehe,
warum so geringe Erlöse erzielt würden und ob sie ihren Geschäftsbetrieb überhaupt
noch fortführe.
47
Der Senat hat am 7. Dezember 2007 mündlich verhandelt. Auf das Protokoll wird Bezug
genommen.
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E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e
49
Die Klage ist begründet. Die angefochtenen Verlustfeststellungsbescheide sind insoweit
rechtswidrig und verletzten die Klägerin in ihren Rechten, als das FA darin die
Fortführung des auf den 31. Dezember 2000 festgestellten Verlustvortrags und die
Erhöhung um den im Jahr 2001 erzielten Verlust versagt hat (§ 100 Abs. 1 Satz 1 der
Finanzgerichtsordnung – FGO –).
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1. Der Bescheid über die Nichtdurchführung einer gesonderten Feststellung des
verbleibenden Verlustabzugs zur KSt zum 31. Dezember 2001 vom 6. April 2004 ist
allerdings wirksam, auch wenn darin das Verhältnis zum vorangehenden
Feststellungsbescheid nicht ausdrücklich genannt ist. Dies gilt ungeachtet der
Rechtsprechung, wonach ein Steuerbescheid nichtig ist, wenn für denselben
Veranlagungszeitraum bereits zuvor ein Steuerbescheid ergangen ist und der zweite
Bescheid sein Verhältnis zum vorangehenden Bescheid nicht erkennen lässt (BFH-
Urteil vom 23. August 2000 X R 27/98, BFHE 193, 19, BStBl II 2001, 662, unter II.2.a).
51
Der BFH hat seine Auffassung in der zitierten Entscheidung im Wesentlichen auf die
Titelfunktion des Steuerbescheids gestützt: Soweit das FA bereits über einen Titel
verfüge, dürfe es sich nicht erneut einen Titel verschaffen. Auf Feststellungsbescheide
ist diese Überlegung hingegen nicht übertragbar. Denn diese ermöglichen selbst keine
Vollstreckung, sondern bedürfen zunächst der Umsetzung in Steuerbescheide. Die vom
BFH gesehene Gefahr der Existenz zweier Titel für denselben Veranlagungszeitraum
droht daher bei Feststellungsbescheiden nicht.
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Im Übrigen sieht der BFH selbst einen geänderten Steuerbescheid trotz des Fehlens
eines ausdrücklichen Hinweises auf den vorangegangenen Bescheid nach einer am
Grundsatz von Treu und Glauben orientierten Auslegung als wirksam an, wenn sich aus
den Umständen zwingend ergibt, dass es sich um einen Änderungsbescheid handelt
(BFH-Urteil vom 26. März 1981 VII R 3/79, BFHE 133, 163). Vorliegend konnte aus der
Sicht des Empfängers des Feststellungsbescheids vom 6. April 2004 aber kein Zweifel
bestehen, dass damit der vorangegangene Bescheid vom 11. September 2003 seine
Wirksamkeit verlieren sollte. Denn sowohl gemeinsam mit dem erstmaligen als auch
gemeinsam mit dem geänderten Verlustfeststellungsbescheid hatte das FA jeweils
einen KSt-Bescheid für 2001 erlassen. Der "geänderte" KSt-Bescheid vom 6. April 2004
erwähnt den vorangegangenen KSt-Bescheid zwar ebenfalls nicht ausdrücklich. In den
Erläuterungen bezieht sich das FA aber auf eine Anfrage vom 10. Dezember 2003.
Diese Anfrage steht im Zusammenhang mit dem ursprünglichen KSt-Bescheid vom
11. September 2003. Damit ergibt sich durch Auslegung hinreichend eindeutig, dass
sich der KSt-Änderungsbescheid vom 6. April 2004 auf den ursprünglichen KSt-
Bescheid vom 11. September 2003 bezog. Gleiches muss dann auch für den – zeitlich
parallel erlassenen – Verlustfeststellungsbescheid gelten.
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2. Die angefochtenen Verlustfeststellungsbescheide sind rechtswidrig, weil der
Verlustabzug jedenfalls nicht erst ab dem Streitjahr 2001, sondern allenfalls rückwirkend
ab dem Veranlagungszeitraum der Anteilsübertragung versagt werden könnte, insoweit
aber bereits bestandskräftige Feststellungsbescheide mit Bindungswirkung vorliegen,
und weil die im Streitjahr 2001 erzielten Verluste in jedem Fall in die Feststellung
einzubeziehen sind.
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a) Nach der neueren Rechtsprechung des BFH ist § 8 Abs. 4 Satz 1 KStG dahingehend
auszulegen, dass der Ausschluss des Verlustabzugs nicht erst ab dem Zeitpunkt der
Verwirklichung sämtlicher Tatbestandsmerkmale dieser Vorschrift eintritt. Vielmehr ist
der Verlustabzug vom Zeitpunkt der Anteilsübertragung an, also regelmäßig
rückwirkend, zu versagen (BFH-Urteil vom 5. Juni 2007 I R 9/06, DStR 2007, 2152,
unter II.3.). Der Senat hält diese Auslegung – gerade im Hinblick auf den Zweck des § 8
Abs. 4 KStG, den "Handel mit Verlusten" einzuschränken – für zutreffend. Denn auf
diese Weise wird sichergestellt, dass einerseits zwar die während der
Beteiligungsdauer der früheren Anteilseigner erzielten Verluste – unter den weiteren
Voraussetzungen des § 8 Abs. 4 KStG – nicht mit Gewinnen, die während der
Beteiligungsdauer der neuen Anteilseigner erwirtschaftet werden, verrechnet werden
können. Andererseits wird aber vermieden, dass auch solche Verluste, die erst während
der Beteiligungsdauer der neuen Anteilseigner erzielt werden – und daher nicht auf
einem "Handel" mit Verlusten beruhen können –, unter das Verlustabzugsverbot fallen.
55
Die angeführte BFH-Entscheidung ist zwar zu § 8 Abs. 4 KStG in der Fassung vor der
Änderung durch das Gesetz zur Fortsetzung der Unternehmensteuerreform vom
29. Oktober 1997, BGBl. I 1997, 2590 (UntStRefFortG) ergangen. Nach Auffassung des
erkennenden Senats gelten diese Auslegungsgrundsätze aber gleichermaßen für § 8
Abs. 4 KStG in der Fassung des UntStRefFortG (§ 8 Abs. 4 KStG 1996 n.F.). Zum einen
ist durch die Gesetzesänderung der – für die vom BFH vorgenommene Auslegung
maßgebliche – Zweck dieser Norm unverändert geblieben. Zum anderen ist die
gesetzliche Regelung über den Ausgleich des Verlusts aus dem bis zum Zeitpunkt der
Anteilsübertragung verstrichenen Teil des Wirtschaftsjahres (§ 8 Abs. 4 Satz 3 KStG
1991, § 8 Abs. 4 Satz 4 KStG 1996 n.F.) durch das UntStRefFortG nicht geändert
worden. Auf diese Regelung hat der BFH seine Rechtsprechung zum maßgebenden
56
Zeitpunkt für die Versagung des Verlustabzugs aber wesentlich gestützt.
b) Nach diesen Grundsätzen ist jedenfalls der im Streitjahr 2001 erzielte Verlust
(./. 49.534 DM) in die Verlustfeststellungen zum 31. Dezember 2001 einzubeziehen.
57
Materiell-rechtlich hat die Klägerin auch einen Anspruch auf Fortführung der seit dem
Tag der Anteilsübertragung (26. Mai 1997) erwirtschafteten Verluste.
58
Aus verfahrensrechtlichen Gründen ist die Klage aber schon deshalb begründet, weil
die zum 31. Dezember 2000 für die KSt und die GewSt bestandskräftig festgestellten
Verlustvorträge in die – insoweit nur als Folgebescheide anzusehenden –
Verlustfeststellungsbescheide zum 31. Dezember 2001 zu übernehmen sind. Selbst
wenn materiell-rechtlich aufgrund der Anteilsübertragung im Jahr 1997 und der in der
Folgezeit vorgenommenen Zuführung neuen Betriebsvermögens die wirtschaftliche
Identität der Klägerin mit derjenigen Körperschaft, die die bis zur Anteilsübertragung
aufgelaufenen Verluste erzielt hat, entfallen wäre, hätte die Versagung des
Verlustabzugs verfahrensrechtlich – gegebenenfalls rückwirkend – bereits in den
Verlustfeststellungsbescheiden zum 31. Dezember 1997 umgesetzt werden müssen.
Für die Klägerin liegen aber sowohl zum 31. Dezember 1997 als auch für die folgenden
Verlustfeststellungszeitpunkte bis einschließlich dem 31. Dezember 2000
bestandskräftige Feststellungsbescheide vor. Diese entfalten gemäß § 182 Abs. 1 Satz
1 AO 1977 Bindungswirkung für die streitgegenständlichen
Verlustfeststellungsbescheide (vgl. BFH-Urteile vom 22. Dezember 2003 I R 18/02,
BFHE 204, 273, BStBl II 2004, 468, unter II.3., und vom 14. März 2006 I R 8/05, BFHE
212, 517, BStBl II 2007, 602, unter II.2.a).
59
3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 136 Abs. 1 Satz 1 FGO. Dabei war zu
berücksichtigen, dass die Klägerin ihren Klageantrag erst in der mündlichen
Verhandlung um etwa 25% eingeschränkt, diese Einschränkung aber nicht mehr zur
Ersparnis von Kosten geführt hat.
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Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 151 Abs. 1 Satz 1,
Abs. 3 FGO i.V.m. § 709 der Zivilprozessordnung.
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Die Revision wird wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache (§ 115 Abs. 2
Nr. 1 FGO) zugelassen. Zum einen ist höchstrichterlich bisher nicht geklärt, ob die
Rechtsprechung zur Nichtigkeit von Steuerbescheiden, die ihr Verhältnis zu einem
früher ergangenen Steuerbescheid für denselben Veranlagungszeitraum nicht erkennen
lassen, auch auf Feststellungsbescheide übertragbar ist. Zum anderen liegt bisher keine
Rechtsprechung zur Übertragbarkeit der zu § 8 Abs. 4 KStG 1991 ergangenen BFH-
Rechtsprechung zum maßgebenden Zeitpunkt für die Versagung des Verlustabzugs
(BFH-Urteil vom 5. Juni 2007 I R 9/06, DStR 2007, 2152, unter II.3.) auf die – hier
maßgebende – Vorschrift des § 8 Abs. 4 KStG 1996 n.F. vor.
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