Urteil des FG Münster vom 07.12.2005
FG Münster: ausübung der option, verfall, einkünfte, beendigung, erwerb, differenzausgleich, verlustvortrag, termingeschäft, fälligkeit, leistungsfähigkeit
Finanzgericht Münster, 10 K 5715/04 F
Datum:
07.12.2005
Gericht:
Finanzgericht Münster
Spruchkörper:
10. Senat
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
10 K 5715/04 F
Tenor:
Unter Aufhebung des Ablehnungsbescheides vom 01.09.2004 in der
Fassung der Einspruchsentscheidung vom 21.10.2004 und Änderung
des Feststellungsbescheids vom 13.04.2005 wird der verbleibende
Verlustvortrag aus privaten Veräußerungsgeschäften zum 31.12.2000
auf 9.078,10 Euro festgestellt.
Die Kosten des Verfahrens tragen der Kläger zu 1/3 und der Beklagte zu
2/3.
Die Revision wird zugelassen.
Das Urteil ist wegen der Kostenentscheidung gegen Sicherheitsleistung
in Höhe des Kostenerstattungsanspruchs des Klägers vorläufig
vollstreckbar.
G r ü n d e :
1
Streitig ist, ob ein Termingeschäft im Sinne von § 23 Absatz 1 Satz 1 Nr. 4
Einkommensteuergesetz (EStG) auch bei Verfall wertlos gewordener Kaufoptionen
vorliegt.
2
Mit der Einkommensteuererklärung für das Streitjahr 2000 und der Erklärung zur
Feststellung des verbleibenden Verlustvortrags zum 31.12.2000 machte der Kläger u.a.
einen Verlust aus privaten Veräußerungsgeschäften in Höhe von insgesamt 27.621,42
DM geltend.
3
Darin enthalten waren -neben weiteren unstreitigen Beträgen aus dem Erwerb und der
Veräußerung diverser Wertpapiere- folgende Aufwendungen (Kurswerte, Provisionen,
Courtagen, Abwicklungsentgelte) für den Erwerb von Kaufoptionen, die der Kläger bei
Fälligkeit wegen Wertlosigkeit nicht ausübte, sondern verfallen ließ:
4
Kenn-Nr. Bezeichnung Kaufdatum Fälligkeit Aufwendungen
5
710547 01.11.1999 11.12.2000 9.866,91 DM
6
710545 05.07.2000 11.12.2000 6.727,51 DM
7
710731 04.08.2000 11.09.2000 4.503,44 DM
8
710734 26.10.2000 11.12.2000 4.948,26 DM
9
26.046,12 DM
10
Der Beklagte vertrat die Auffassung, bei Verfall einer Kaufoption liege ein privates
Veräußerungsgeschäft nach § 23 Absatz 1 Nr. 4 EStG nicht vor und stellte mit Bescheid
über die gesonderte Feststellung des verbleibenden Verlustabzugs zur
Einkommensteuer zum 31.12.2000, der gemäß § 164 Abgabenordnung (AO) unter dem
Vorbehalt der Nachprüfung erging, den verbleibenden Verlustvortrag für Einkünfte aus
privaten Veräußerungsgeschäften mit 1.576 DM fest.
11
Mit Schreiben vom 22.07.2004 beantragte der Kläger, den Verlustfeststellungsbescheid
zu ändern und den verbleibenden Verlustvortrag bezüglich der Einkünfte aus privaten
Veräußerungsgeschäften um 26.046 DM auf 27.622 DM zu erhöhen. Der gegen den
Ablehnungsbescheid vom 01.09.2004 erhobene Einspruch blieb erfolglos.
12
Mit der Klage vertritt der Kläger weiterhin die Auffassung, seit der 1999 geltenden
Gesetzesfassung sei auch der Verlust aus dem Verfall eines nicht ausübten, befristeten
Optionsrechts als privater Veräußerungsverlust zu berücksichtigen. Nach der neuen
Gesetzesfassung komme es für die Realisierung des Besteuerungstatbestandes
ausdrücklich nicht mehr auf die Durchführung einer Veräußerung an. Bereits die
Tätigung des Termingeschäftes als solches löse die Folgen des § 23 EStG aus.
13
Der Antrag auf Berücksichtigung des Verlustes aus der Kaufoption 710547 ::::::::::::::
werde fallengelassen, da die Jahresfrist überschritten sei.
14
Der Beklagte hat am 13.04.2005 einen geänderten Bescheid über die gesonderte
Feststellung des verbleibenden Verlustabzugs zur Einkommensteuer erlassen, in dem
die verbleibenden negativen Einkünfte aus privaten Veräußerungsgeschäften weiterhin
mit 1.576 DM festgestellt sind.
15
Der Kläger beantragt,
16
unter Änderung des Bescheids zum 31.12.2000 über die gesonderte Feststellung des
verbleibenden Verlustabzugs zur Einkommensteuer zusätzlich die Verluste aus den
Positionen 710545 ......................, 710734 ................ und 710731 ...............in Höhe von
insgesamt 16.179,21 DM zu berücksichtigen, hilfsweise die Revision zuzulassen.
17
Der Beklagte beantragt,
18
die Klage abzuweisen,
19
hilfsweise die Revision zuzulassen.
20
Er ist unter Hinweis auf das BMF-Schreiben vom 27.11.2001 IV C 3 – S 2256 – 265/01,
BStBl I 2001, 986 weiterhin der Auffassung, bei Verfall einer Option liege ein privates
21
Veräußerungsgeschäft nach § 23 Absatz 1 Nr. 4 EStG nicht vor.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die gewechselten Schriftsätze und die
Steuerakten Bezug genommen.
22
Die Klage ist begründet.
23
Die Ablehnung der Änderung der gesonderten Feststellung der verbleibenden
negativen Einkünfte aus privaten Veräußerungsgeschäften zum 31.12.2000 ist
rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten (§ 100 Absatz 1
Finanzgerichtsordnung -FGO-).
24
Die Aufwendungen des Klägers in Höhe von 16.179,21 DM im Zusammenhang mit den
verfallenden Optionsscheinen des Emittenten ............. sind bei den Einkünften aus
privaten Veräußerungsgeschäften als Werbungskosten zu berücksichtigen.
25
Nach § 22 Abs. 2 EStG gehören zu den sonstigen Einkünften die Einkünfte aus privaten
Veräußerungsgeschäften i.S.d. § 23 EStG.
26
Nach dem durch das Steuerentlastungsgesetz 1999/2000/2002 mit Wirkung ab dem
01.01.1999 eingefügten § 23 Abs. 1 S. 1 Nr. 4 S. 1 EStG sind private
Veräußerungsgeschäfte nunmehr auch Termingeschäfte, durch die der Steuerpflichtige
einen Differenzausgleich oder einen durch den Wert einer veränderlichen Bezugsgröße
bestimmten Geldbetrag oder Vorteil erlangt, sofern der Zeitraum zwischen Erwerb und
Beendigung des Rechts nicht mehr als ein Jahr beträgt. § 23 Abs. 1 S. 1 Nr. 4 S. 2 EStG
erklärt Zertifikate, die Aktien vertreten, und Optionsscheine zu Termingeschäften i.S.
dieser Vorschrift.
27
Auch nach dieser Gesetzesänderung ist weiterhin umstritten, ob für die Einräumung der
Option aufgewendete Beträge auch bei Verfallenlassen einer Option oder nur bei
tatsächlicher Geltendmachung bzw. Glattstellung der Option einkommensteuerlich als
Werbungskosten zu berücksichtigen sind.
28
Die Finanzverwaltung (vgl. BMF-Schreiben in BStBl I 2001, 986, Rdnr. 18 und 23) und
Teile der Literatur (vgl. z.B. Harenberg in Hermann/Heuer/Raupach EStG § 23 Rdnr.
200; Crezelius in Kirchhof/Söhn EStG § 23 Rdnr. B 109; Schlüter, DStR 2000, 226, 227
f.; wohl auch Heuermann, DB 2004, 1848, 1852) halten an der bisherigen Auffassung
fest, dass bei einem Verfall einer Kauf- bzw. Verkaufsoption deren Anschaffungs- und
Anschaffungsnebenkosten einkommensteuerlich ohne Bedeutung sind. Die für die
Option gezahlten Beträge seien Anschaffungskosten des der Option zugrunde
liegenden Basisgutes. Würden z.B. die Aktien geliefert, so erhöhe die Optionsprämie
die Anschaffungskosten der Aktien. Bei Verfall der Option "erlange" der Steuerpflichtige
keinen Differenzausgleich, so dass auch kein Termingeschäft i.S. des § 23 Abs. 1 Nr. 4
EStG vorliege. In diesem Falle verfalle auch die Optionsprämie ohne steuerliche
Auswirkung.
29
Die Gegenmeinung (z.B. Finanzgericht Baden-Württemberg, Urteil vom 05.06.2003 14
K 190/02, EFG 2004, 907; Weber-Grellet in Schmidt, EStG § 23 Rdnr. 29; Jacobs-
Soyka in Littmann-Bitz-Pust, EStG § 23 Rdnr. 59; Glenk in Blümich, EStG § 23 Rdnr.
55; Wendt, FR 1999, 333, 352; Geurts, DB 2002, 110, 113; Delp INF 1999, 586;
Philipowski, DStR 2004, 978) vertritt die Auffassung, unter den durch das
30
Steuerentlastungsgesetz 1999/2000/2002 eingeführten Tatbestand "Beendigung des
Rechts auf einen Differenzausgleich" falle grundsätzlich auch der Verfall eines nicht
ausgeübten, befristeten Optionsrechts. Insoweit würden auch bei einem Verfall einer
Option Einkünfte im Sinne des § 23 EStG erzielt, nämlich beim Stillhalter Gewinne und
beim Käufer Verluste in Höhe der Optionsprämie abzüglich bzw. zuzüglich der
Transaktionskosten.
Der erkennende Senat legt § 23 Absatz 1 Satz 1 Nr. 4 EStG dahingehend aus, dass
auch bei Verfall einer Option ein privates Veräußerungsgeschäft gegeben ist und
demzufolge die für die Anschaffung des Optionsrechtes getätigten Aufwendungen als
(vergebliche) Werbungskosten zu berücksichtigen sind.
31
Er verkennt dabei nicht, dass der 1. Halbsatz dieser Vorschrift von einem "Erlangen"
des Differenzausgleichs oder des durch den Wert einer veränderten Bezugsgröße
bestimmten Geldbetrages oder Vorteils spricht.
32
Dieser Wortlaut steht aber im Widerspruch zum 2. Halbsatz, der auf den Zeitraum
zwischen dem Erwerb des Rechtes auf einen Differenzausgleich und der "Beendigung"
dieses Rechtes abstellt. Eine solche Beendigung kann aber nicht nur durch einen
Barausgleich erfolgen, sondern auch durch den Verfall bei Zeitablauf. Denn eine Option
erlischt durch Ausübung der Option, durch Barausgleich, durch sog. Glattstellung an der
EUREX oder mit Ablauf der Optionsfrist durch bloßen Verfall. Der Gesetzgeber hat für
Termingeschäfte nach § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 EStG den für Veräußerungsgeschäfte
bei anderen Wirtschaftsgütern, insbesondere Wertpapieren, geltenden Begriff der
"Veräußerung" gerade nicht verwandt, sondern durch den Begriff der "Beendigung des
Rechts auf einen Differenzausgleich" ersetzt. Hätte er ein Termingeschäft nur in den
Fällen der tatsächlichen Ausübung der Option, des Erhalts des Barausgleichs bzw. der
Glattstellung besteuern wollen, hätte er dies entsprechend klar (etwa durch die
Formulierung: Zeitraum zwischen "Erwerb und Ausübung des Rechts") ausdrücken
können und ausgedrückt.
33
Für diese Auslegung spricht auch die amtliche Begründung im Dritten Bericht des
Bundestags-Finanzausschusses zum Entwurf eines Steuerentlastungsgesetzes
1999/2000/2002, BT-Drucksache 14/443 vom 03.03.1999, Einzelbegründung zu § 23
EStG, in der es u.a. wörtlich heißt: "Der Besteuerung unterliegen sollen allgemein
Geschäfte, die ein Recht auf Zahlung eines Geldbetrages oder auf einen sonstigen
Vorteil (z.B. Lieferung von Wertpapieren) einräumen, der sich nach anderen
Bezugsgrößen (z.B. Wertentwicklung von Wertpapieren, Indizes, Futures, Zinssätzen)
bestimmt". Insoweit stellt auch die amtliche Begründung auf den Vorgang ab, durch den
das Recht eingeräumt wird, nicht aber auf die spätere Ausübung des Rechts oder einen
späteren Zahlungsvorgang.
34
Hinzu kommt, dass bei dieser Auslegung das System des Einkommensteuergesetzes
gewahrt wird. Danach können gewerbliche, freiberufliche und landwirtschaftliche
Tätigkeiten sowohl einen Gewinn als auch einen Verlust zur Folge haben. Auch die
Vermietung von Gegenständen, die Hingabe von Kapital zur Nutzung sowie sonstige
Leistungen und sogar unselbstständige Tätigkeiten können zu einem Verlust führen.
Bei all diesen Besteuerungstatbeständen kann es selbst dann zu negativen
Ergebnissen kommen, wenn gar keine Einnahmen zugeflossen sind. Auch bei
Termingeschäften sind steuerlich anzuerkennende Verluste möglich. Das ergibt sich
aus § 23 Absatz 3 Satz 5 EStG, der ausdrücklich von Gewinnen und Verlusten aus
35
Termingeschäften spricht. Ein solcher Verlust entsteht aber auch dann, wenn - wie hier
bei Verfall der Option - keine Einnahmen zufließen, also ein angeschafftes
Optionsrechte wertlos wird und verfällt.
Zudem gebietet auch der Grundsatz der Leistungsfähigkeit einen
Werbungskostenabzug auf Seiten des Optionsinhabers bei Verfall der Option wegen
Wertlosigkeit. Wenn ein Steuerpflichtiger –wie hier der Kläger- des Öfteren - teils mit
positivem, teils mit negativem Erfolg - Optionen erwirbt, bemisst sich seine steuerliche
Leistungsfähigkeit an dem Saldo der positiv und negativ verlaufenden Geschäfte. Es
verstößt gegen die Logik des Einkommensteuergesetzes, wenn bei Ermittlung der
steuerlichen Bemessungsgrundlage nur die glücklich verlaufenen Geschäfte besteuert
und alle anderen Geschäfte per Gesetzesdefinition von vornherein ausgeklammert
werden.
36
Durch die laut Urteil zusätzlich als Werbungskosten zu berücksichtigenden 16.179,21
DM erhöht sich der bereits bisher mit 1.576 DM festgestellte verblei-bende
Verlustvortrag aus privaten Veräußerungsgeschäften auf 17.755,21 DM (= 9.078,10
EUR).
37
Die Kostenentscheidung beruht auf § 136 Abs. 1 FGO. Dabei ist berücksichtigt, dass
der Kläger sein ursprüngliches Klagebegehren eingeschränkt hat.
38
Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit folgt aus §§ 151 FGO i.V.m. 709
Zivilprozessordnung.
39
Die Revision war gemäß § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO wegen grundsätzlicher Bedeutung
zuzulassen.
40