Urteil des FG Münster vom 08.02.2006
FG Münster: einkünfte, existenzminimum, vermietung, verpachtung, beschränkung, kirchensteuer, einverständnis, einspruch, zahnarzt, datum
Finanzgericht Münster, 1 K 3953/04 E
Datum:
08.02.2006
Gericht:
Finanzgericht Münster
Spruchkörper:
1. Senat
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
1 K 3953/04 E
Tenor:
Die Klage wird abgewiesen.
Die Kosten des Verfahrens trägt der Kläger.
Die Revision wird zugelassen.
T a t b e s t a n d
1
Die Beteiligten streiten über die Verfassungsmäßigkeit der Regelung zur
sogenannten Mindestbesteuerung nach § 2 Abs. 3 Sätze 2 bis 8 EStG a.F.
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Der Kläger (Kl.) erzielte im Streitjahr als selbständiger Zahnarzt Einkünfte aus
freiberuflicher Tätigkeit in Höhe von 282.669 €. Die Einkünfte aus der
Vermietung von bebauten Grundstücken und aus Beteiligungen an
Vermietungsobjekten betrugen insgesamt ./. 209.289 €.
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Unter Anwendung des § 2 Abs. 3 EStG wurden die Verluste aus Vermietung
und Verpachtung (209.289 €) im Einkommensteuer(ESt)-Bescheid 2002 vom
09.06.2004 nur in Höhe von 167.085 € mit dem Gewinn aus freiberuflicher
Tätigkeit verrechnet und im Übrigen den Verlustvorträgen des Vorjahres
hinzugerechnet. Nach dem ESt-Bescheid 2002 beträgt das zu versteuernde
Einkommen 101.460 € und die festgesetzte ESt 40.263 €. Bei einem
vollständigen Verlustausgleich – ohne Anwendung von § 2 Abs. 3 EStG –
hätte sich ein zu versteuerndes Einkommen von 59.256 € und eine ESt von
19.799 € ergeben.
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Der gegen den ESt-Bescheid 2002 eingelegte Einspruch blieb ohne Erfolg.
Zur Begründung der gegen die Einspruchsentscheidung (EE) vom 21.06.2004
erhobenen Klage trägt der Kl. vor, die Regelung in § 2 Abs. 3 Sätze 2 bis 8
EStG a.F. sei verfassungswidrig. Sie verstoße gegen das
Leistungsfähigkeitsprinzip, weil sie nicht nur Buchverluste, sondern alle
negativen Einkünfte erfasse, also auch solche, die auf wirtschaftlicher
Tätigkeit beruhten. Die von ihm erlittenen Verluste seien keine Buchverluste.
Die negativen Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung resultierten nicht
aus sogenannten Steuersparmodellen.
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Im Übrigen verstoße § 2 Abs. 3 Sätze 2 bis 8 EStG auch gegen das in Artikel
20 Abs. 3 GG verankerte Bestimmtheitsgebot, weil die Regelung wegen der
Kompliziertheit für den Steuerpflichtigen nicht nachvollziehbar sei.
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Der Kl. beantragt sinngemäß,
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den ESt-Bescheid 2002 vom 09.06.2004 in der Gestalt der EE vom
21.06.2004 zu ändern und die ESt 2002 unter Berücksichtigung der
erzielten Verluste festzusetzen,
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hilfsweise, im Unterliegensfall, die Revision zuzulassen.
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Der Beklagte (Bekl.) beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Er ist der Ansicht, § 2 Abs. 3 Sätze 2 bis 8 EStG a.F. sei nicht
verfassungswidrig. Das der Regelung zugrunde liegende Verteilungsprinzip
gelte auch beim Verlustvor- und –rücktrag nach § 10 d EStG und anderen
Verlustabzugsbeschränkungen (etwa in §§ 15 Abs. 4 und 15 a EStG). Sie
führe im Streitfall auch nicht zu einer Besteuerung des Existenzminimums.
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Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die zwischen den Beteiligten
gewechselten Schriftsätze und die Steuerakte Bezug genommen.
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Der Senat entscheidet gem. § 90 Abs. 2 FGO mit Einverständnis der
Beteiligten ohne mündliche Verhandlung.
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E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e
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Die Klage ist unbegründet.
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Der Bekl. hat die ESt 2002 zutreffend auf der Basis des § 2 Abs. 3 EStG in der
Fassung des Steuerentlastungsgesetzes (StEntlG) 1999 ff – aufgehoben
durch das Korb-II-Gesetz vom 22.12.2003, BGBl I 2140 – festgesetzt.
Zwischen den Beteiligten ist nicht streitig, dass der Bekl. § 2 Abs. 3 EStG a.F.
zutreffend angewendet hat. Durchgreifende Bedenken gegen die
Verfassungsmäßigkeit der Beschränkung des Verlustausgleichs hat der Senat
im Streitfall nicht.
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Der Bundesfinanzhof (Beschlüsse vom 06. März 2003 XI B 7/02 bzw. XI B
76/02, BFHE 202, 141 bzw. 147, BStBl II 2003, 516 bzw. 523; vom 07. Juli
2004 XI B 231/02, BFH/NV 2005, 178; vom 29. April 2005 XI B 127/04,
BFH/NV 2005, 1189) hat gegen die Verfassungsmäßigkeit des § 2 Abs. 3
EStG a.F. nur insoweit Bedenken geäußert, als in Anwendung der Norm eine
ESt selbst dann festzusetzen ist, wenn die beschränkt ausgleichsfähigen
negativen Einkünfte die positiven Einkünfte dergestalt übersteigen, dass dem
Steuerpflichtigen infolge des tatsächlichen Mittelabflusses von seinem im
Veranlagungszeitraum Erworbenen nicht einmal das Existenzminimum
verbleibt. Das gilt jedenfalls dann, wenn der Verlustausgleich bei Vorliegen
"echter", durch tatsächlichen Mittelabfluss entstandener, die positiven
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Einkünfte übersteigender Verluste begrenzt wird (BFH, Beschluss vom
25.02.2005 XI B 78/02, BFH/NV 2005, 1279). Bei der Prüfung, ob dem
Steuerpflichtigen im jeweiligen Veranlagungszeitraum von seinem im
Veranlagungszeitraum Erworbenen zumindest das Existenzminimum
verbleibt, können nur die jeweiligen positiven und negativen Einkünfte des
betreffenden Veranlagungszeitraums berücksichtigt werden. Verluste anderer
Veranlagungszeiträume sind ebenso wenig einzubeziehen wie etwa
Veränderungen auf der Vermögensebene (BFH, Beschluss vom 25. Juni 2004
XI B 20/03, BFH/NV 2005, 176). Dieser Auffassung des BFH schließt sich der
erkennende Senat an.
Auch wenn im Streitfall davon ausgegangen wird, dass es sich bei den
negativen Einkünften um "echte" Verluste handelt, hat der Kl. im Streitjahr
insgesamt positive Einkünfte in Höhe von 73.380 € erzielt. Selbst unter
vollständiger Berücksichtigung der gezahlten Sonderausgaben (17.978 €) und
der festgesetzten Steuerschuld (ESt 40.263 €; Solidaritätszuschlag 2.163,64
€; Kirchensteuer 3.540,51 €) ist dem Kl. mit 9.435 € ein über dem
Existenzminimum (2002: 7.188 €) liegender Betrag verblieben, so dass sich
im Streitfall keine verfassungsrechtlichen Bedenken gegen die
Rechtmäßigkeit des Verlustausgleichs ergeben.
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO, die
Revisionszulassung auf § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO.
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