Urteil des FG Münster vom 07.05.2002

FG Münster (Gewinnerzielungsabsicht, Alter, Gehalt, Anfang, Organisation, Steigerung, Einkünfte, Wechsel, Gerichtsakte, Zahl)

Datum:
Gericht:
Spruchkörper:
Entscheidungsart:
Tenor:
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Aktenzeichen:
Finanzgericht Münster, 1 K 3882/00 E
07.05.2002
Finanzgericht Münster
1. Senat
Urteil
1 K 3882/00 E
Die Klage wird abgewiesen.
Die Kosten des Verfahrens tragen die Kläger.
Die Revision wird zugelassen.
T a t b e s t a n d
Streitig ist, ob der Kläger (Kl.) seine freiberufliche ärztliche Tätigkeit auch in deren
Schlussphase noch mit Einkunftserzielungsabsicht ausgeübt hat.
Der am 03.11.1914 geborene Kl. war von 1964 bis 1998 als niedergelassener Arzt in H***
tätig. Das Gebäude, in dem sich die Praxis befand, stand im jeweils hälftigen Miteigentum
der Kl. Von der Gesamtfläche entfielen 40% auf die Praxis, der Rest auf die Wohnung der
Kl.
Die am 20.04.1921 geborene Ehefrau des Kl., die Klägerin (Klin.), arbeitete seit Beginn in
der Praxis mit. Ab dem 01.12.1966 war auch die gemeinsame Tochter der Kl. (geb.
10.09.1947) in der Praxis tätig.
Seit 1991 erzielte der Kl. in allen Jahren Verluste aus seiner Tätigkeit, die er durch
Einnahmen-Überschuss-Rechnung ermittelte: Während die Einnahmen in diesem Zeitraum
kontinuierlich von ca. 77.000 DM im Jahre 1991 auf durchschnittlich 16.000 DM in den
Streitjahren zurückgingen, wiesen die Ausgaben nur einen leichten Rückgang von ca.
84.000 DM im Jahr 1991 auf durchschnittlich 70.000 DM in den Streitjahren auf.
Die Personalkosten sind in den Jahren seit 1991 unverändert bei ca. 43.000 DM geblieben.
Seit 1991 waren als Arbeitnehmer nur noch die Klin. und die Tochter der Kl. tätig. Die Klin.
war im Rahmen eines geringfügig entlohnten Beschäftigungsverhältnisses
(Jahresarbeitslohn ca. 6.000 DM) mit dem Geldverkehr sowie mit Reinigungsarbeiten
befasst. Die Tochter bezog als Arzthelferin ein Bruttogehalt von ca. 2.000 DM monatlich.
Nur in den Jahren 1991 bis 1993 waren noch zusätzliche Aushilfslöhne für
Reinigungskräfte i.H.v. jeweils rund 4.000 DM angefallen.
Im Einzelnen nahmen Einnahmen und Ausgaben die folgende Entwicklung:
Einnahmen Ausgaben davon Personal- Verlust
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kosten
1991
76.892,00
DM
84.553,00
DM
43.892,00 DM
7.661,66
DM
1992
74.562,00
DM
93.132,00
DM
44.255,00 DM
18.569,47
DM
1993
61.455,00
DM
100.404,00
DM
45.812,00 DM
38.949,97
DM
1994
46.720,00
DM
80.730,00
DM
42.534,00 DM
34.009,40
DM
1995
40.098,00
DM
78.564,00
DM
42.344,00 DM
38.466,62
DM
1996
34.242,00
DM
81.846,00
DM
42.372,00 DM
47.603,12
DM
1997 (Streitjahr)
15.282,00
DM
71.629,00
DM
43.796,00 DM
56.348,20
DM
1998 (Streitjahr)
17.360,00
DM
67.597,00
DM
43.216,36 DM
50.236,74
DM
1999 (nur nachträgl.
Einnahmen/Ausgaben
7.836,00
DM
16.561,00
DM
10.325,00 DM
8.724,00
DM
Ausweislich des Praxisschildes war die Praxis täglich von 9 bis 11 Uhr sowie nach
Vereinbarung geöffnet. Der Kl. behandelte in den Streitjahren zwischen 31 und 50
Patienten pro Quartal. Bereits im Jahre 1982 hatte der Kl. einen Schlaganfall erlitten, war
seither gesundheitlich beeinträchtigt und musste von seiner Tochter zu auswärtigen
Terminen gefahren werden.
Zum 31.12.1998 - im Alter von 84 Jahren - stellte der Kl. den Praxisbetrieb ein. Gleichzeitig
schied die Klin. - im Alter von 77 Jahren - als Arbeitnehmerin aus. Die Tochter wurde erst
zum 31.03.1999 entlassen, da sie noch Abwicklungsarbeiten durchführte. Zum 01.04.1999
wurde die Tochter von der Klin. angestellt und mit Hauswirtschaftsaufgaben betraut. In den
verbleibenden neun Monaten des Jahres 1999 bezog sie ein Gehalt von 19.242 DM.
Zwischen den Beteiligten ist mittlerweile unstreitig, dass ein etwaiger Aufgabegewinn den
Freibetrag nach § 16 Abs. 4 des Einkommensteuergesetzes (EStG) jedenfalls nicht
übersteigen würde. Auch die Höhe der Betriebsausgaben ist unstreitig.
Für die Jahre 1991 bis 1996 legte der Beklagte (Bekl.) die vom Kl. erklärten Verluste den
Einkommensteuer-(ESt-)Festsetzungen ohne Beanstandungen zugrunde. Im Rahmen der
ESt-Veranlagung 1997 bat der Bekl. um die Vorlage der Arbeitsverträge, um einen
Nachweis der Lohnzahlungen und um Mitteilung, mit welchen Aufgaben das Personal in
den Streitjahren noch befasst gewesen sei. Der Kl. erwiderte, er sehe keine Veranlassung,
auf den Fragenkatalog einzugehen.
Mit Bescheid vom 04.10.1999 setzte der Bekl. die ESt für 1997 auf 11.422 DM fest, ohne
die geltend gemachten Verluste zu berücksichtigen. Gleichzeitig ergingen
Vorauszahlungsbescheide für die Jahre ab 1998.
In ihren Einsprüchen gegen den Steuerbescheid und die Vorauszahlungsbescheide
vertraten die Kl. die Auffassung, es stelle einen Grundrechtseingriff dar, wenn die
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Behandlung älter gewordener Patienten durch einen schwächer werdenden Arzt der
Privatsphäre zugeordnet werde. Die zum 31.12.1998 erfolgte Praxisaufgabe sei eine
angemessene und rechtzeitige Reaktion auf die Verluste gewesen.
Am 08.06.2000 wies der Bekl. die Einsprüche als unbegründet zurück. Der Kl. habe es trotz
nachhaltiger Verluste unterlassen, geeignete Maßnahmen zur Herstellung und Steigerung
der Rentabilität zu ergreifen. Die geringer werdenden Einnahmen seien auf erhebliche
negative Umstrukturierungen zurückzuführen: Die Leistungsfähigkeit des Kl. sei schwächer
geworden und der Patientenstamm habe sich fortlaufend verkleinert, während die
Personalkosten trotz geringer werdender Einnahmen konstant geblieben seien. Das private
Interesse an den Verlusten ergebe sich daraus, dass Gehaltszahlungen an Angehörige als
Betriebsausgaben abgesetzt und mit anderen positiven Einkünften verrechnet werden
könnten. Entfalle die Gewinnerzielungsabsicht erst zu einem späteren Zeitpunkt, komme es
nicht darauf an, dass sich wärend der gesamten Tätigkeit des Kl. ein Totalgewinn ergeben
habe.
Mit der am 29.06.2000 eingegangenen Klage verfolgen die Kl. ihr Begehren weiter. Sie
weisen darauf hin, dass § 18 Abs. 4 Satz 2 EStG nur auf die Sätze 2 und 3 des § 15 Abs. 2
EStG, nicht aber auf den Satz 1 verweise, in dem das Tatbestandsmerkmal der
Gewinnerzielungsabsicht gefordert werde. Nach der Rechtsprechung (Rspr.) bestehe ein
Anscheinsbeweis für das Vorliegen von Gewinnerzielungsabsicht, wenn die
verlustbringende Betätigung die Haupttätigkeit des Steuerpflichtigen darstelle. Gerade die
Beschäftigung von zwei Arbeitnehmern zeige die Ernsthaftigkeit der Betätigung. Aus
verfassungsrechtlichen Gründen dürfe es nicht darauf ankommen, dass es sich bei diesen
Arbeitnehmern um nahe Angehörige des Kl. handele.
Während des Klageverfahrens ergingen die ESt-Bescheide für 1998 und 1999, die zum
Gegenstand des Verfahrens wurden.
Die Kl. beantragen sinngemäß,
unter Abänderung der ESt-Bescheide für 1997 vom 04.10.1999, für 1998 vom
23.10.2000 und für 1999 vom 05.09.2001 sowie unter Aufhebung der
Einspruchsentscheidungen vom 08.06.2000 Verluste des Kl. aus freiberuflicher Tätigkeit
i.H.v. 56.349 DM für 1997, 50.237 DM für 1998 und 8.724 DM für 1999 zu berücksichtigen,
hilfsweise, die Revision zuzulassen.
Der Bekl. beantragt,
die Klage abzuweisen,
hilfsweise, die Revision zuzulassen.
Er ist der Auffassung, dass die Gewinnerzielungsabsicht auch bei freiberuflichen
Tätigkeiten zu den erforderlichen Tatbestandsmerkmalen gehöre. Vorliegend sei die
Gewinnerzielungsabsicht erst im siebten aufeinanderfolgenden Verlustjahr verneint
worden, als überdeutlich geworden sei, dass der Kl. die negative Entwicklung nicht mehr
würde umkehren können. Es sei nicht nachzuvollziehen, weshalb der Kl. bei einem derart
geringen Arbeitsumfang an der Anzahl, der zeitlichen Beschäftigungsdauer und der
Entlohnung der Angestellten in vollem Umfang festgehalten habe. Die von den Kl.
angeführten Entscheidungen zur Vermutung der Gewinnerzielungsabsicht bei
Haupttätigkeiten könnten auf den Streitfall nicht angewendet werden, weil die
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Steuerpflichtigen in den Urteilsfällen wesentlich jünger und ihre Einnahmen höher
gewesen seien als hier.
Der Berichterstatter hat die Sache am 29.01.2002 mit den Beteiligten erörtert. Diese haben
auf die Durchführung einer mündlichen Verhandlung verzichtet.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der
Gerichtsakte und auf die beigezogenen Verwaltungsvorgänge Bezug genommen.
E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e
Der Senat entscheidet gemäß § 90 Abs. 2 FGO ohne mündliche Verhandlung.
Die Klage ist unbegründet.
I. Die angefochtenen Bescheide sind rechtmäßig. Verluste des Kl. aus freiberuflicher
Tätigkeit sind nicht zu berücksichtigen. Denn dem Kl. fehlte es bei seiner ärztlichen
Tätigkeit in den Streitjahren an der erforderlichen Einkunftserzielungsabsicht.
Auch bei den Einkünften aus selbständiger Arbeit (§ 18 EStG) gehört die
Gewinnerzielungsabsicht - entgegen der Auffassung der Kl. - zu den
Tatbestandsmerkmalen (BFH-Urteil vom 22.4.1998 XI R 10/97, BStBl. II 1998, 663). Dem
steht der fehlende Verweis auf § 15 Abs. 2 Satz 1 EStG in § 18 Abs. 4 Satz 2 EStG nicht
entgegen. Denn bereits aus § 2 Abs. 1 EStG ("Einkünfte erzielt") folgt für alle Einkunftsarten
das Erfordernis der Einkunftserzielungsabsicht. Im Übrigen verweist § 18 Abs. 4 Satz 2
EStG auf § 15 Abs. 2 Sätze 2 und 3 EStG, in denen ebenfalls von der
Gewinnerzielungsabsicht die Rede ist.
Nach ständiger Rechtsprechung des BFH, der sich der Senat anschließt, kann das Fehlen
von Gewinnerzielungsabsicht nur aufgrund einer zweistufigen Prüfung festgestellt werden
(BFH-Urteil vom 22.4.1998 XI R 10/97, BStBl. II 1998, 663; BFH-Urteil vom 17.6.1998 XI R
64/97, BStBl. II 1998, 727; beide m.w.N.): Auf der ersten Stufe muss feststehen, dass
aufgrund der konkreten betrieblichen Organisation auf Dauer objektiv kein Gewinn mehr
erzielbar ist (dazu unten 1). Auf der zweiten Stufe kann das Vorliegen von
Gewinnerzielungsabsicht aber nur dann verneint werden, wenn für die objektiv fehlende
Gewinnerzielungsmöglichkeit Gründe maßgeblich sind, die im persönlichen Bereich liegen
(dazu unten 2).
Diese Rechtsprechung ist zwar zu Fallkonstellationen ergangen, in denen es um die Frage
ging, ob die jeweiligen Steuerpflichtigen von Anfang an ohne Gewinnerzielungsabsicht
tätig geworden waren. Der Senat ist aber der Auffassung, dass die Grundsätze dieser
Rechtsprechung - mit den nachstehend angeführten Modifikationen - auch anzuwenden
sind, wenn zu entscheiden ist, ob eine langjährige Tätigkeit in ihrer Schlussphase mit
Gewinnerzielungsabsicht ausgeübt wird. Denn ansonsten müssten Verluste, die am Ende
einer betrieblichen oder beruflichen Tätigkeit aus persönlichen Gründen hingenommen
werden, nur deshalb einkommensteuerrechtlich berücksichtigt werden, weil in vorherigen
Phasen Gewinne angefallen waren. Dies wäre aber weder ein sachgerechtes noch ein vor
Art. 3 Abs. 1 des Grundgesetzes (GG) standhaltendes Differenzierungskriterium.
1. Objektiv konnte der Kl. jedenfalls ab dem ersten Streitjahr (1997) aufgrund der
Organisation seiner Praxis dauerhaft keinen Gewinn mehr erzielen.
In den angeführten Entscheidungen zur von Anfang an fehlenden Gewinnerzielungsabsicht
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hat der BFH insoweit allerdings jeweils auf die Prognose des "Totalgewinns" von der
erstmaligen Aufnahme bis zur endgültigen Einstellung der Tätigkeit abgestellt. In Fällen
wie dem vorliegenden, in dem eine jahrzehntelang mit Gewinnerzielungsabsicht
betriebene Tätigkeit allmählich ausläuft, kann es auf einen Totalgewinn aber nicht
ankommen. Vielmehr ist für diesen objektiven Teil der Betrachtung dann maßgebend, ob
ab dem Zeitpunkt des Auslaufenlassens der Tätigkeit über die Summe der verbleibenden
Perioden noch ein Gesamtgewinn erzielt werden kann.
Gegen diese Betrachtungsweise kann nicht mit Erfolg eingewandt werden, dass sie zu
einer unzulässigen Segmentierung einer einheitlichen betrieblichen Tätigkeit in Perioden
mit bzw. ohne Gewinnerzielungsabsicht führe. Denn ein Wechsel in der Beurteilung der
Gewinnerzielungsabsicht war schon nach der bisherigen Rspr. (BFH-Urteil vom
29.10.1981 IV R 138/78, BStBl. II 1982, 381) nicht ausgeschlossen und wird als
"Beurteilungswandel" bezeichnet (Schmidt/Weber-Grellet, 20. Aufl. 2001, § 16 EStG Rn.
177). Die Betrachtungsweise des Senats führt auch nicht dazu, dass übliche
Aufgabeverluste vom Abzug ausgeschlossen werden. Denn zum einen wird man schon auf
der ersten Stufe der Prüfung für eine objektiv negative Gewinnprognose einen Zeitraum
fordern müssen, dessen Dauer die für die Annahme einer Betriebsaufgabe geltenden
Höchstgrenzen (bis zu 18 Monaten) deutlich übersteigt. Zum anderen würde die
Verneinung der Gewinnerzielungsabsicht bei üblichen Aufgabevorgängen spätestens auf
der zweiten Stufe der Prüfung daran scheitern, dass für solche Vorgänge keine privaten
Gründe ersichtlich sind.
Nach diesen Maßstäben folgt die objektiv negative Gewinnprognose im Streitfall bereits
daraus, dass die Einnahmen aufgrund des kleiner werdenden Patientenstamms und dem
zunehmenden Alter des Kl. kontinuierlich zurück gingen, die Ausgaben aber angesichts
unterbleibender Umstrukturierungen nahezu konstant blieben. Allein die Personalkosten
waren in den Streitjahren fast drei Mal so hoch wie die Einnahmen. Mit einer Steigerung
der Einnahmen in den Folgejahren war angesichts der persönlichen Situation des Kl. nicht
zu rechnen. Bei einer Zahl von lediglich zwischen 31 und 50 behandelten Patienten im
Quartal (d.h. zwischen 0,5 und 0,8 Patienten je Arbeitstag) wären zudem auch
Umstrukturierungsmaßnahmen kaum erfolgversprechend gewesen. Denn allein die
notwendigen Betriebsausgaben für Raumkosten, Abschreibungen und Bedarfsmaterial
überstiegen bereits die Einnahmen. Diese objektiv negative Gewinnprognose wird letztlich
auch von den Kl. selbst nicht angegriffen.
2. Für die Hinnahme dieser dauerhaften Verluste waren im Streitfall persönliche Gründe
maßgebend.
Allerdings spricht bei Betrieben, die ihrer Art nach regelmäßig nicht zur Befriedigung
persönlicher Neigungen bestimmt sind, ein Anscheinsbeweis für das Vorliegen von
Gewinnerzielungsabsicht (BFH-Urteil vom 19.11.1985 VIII R 4/83, BStBl. II 1986, 289 -
Getränkegroßhandel; BFH-Urteil vom 22.4.1998 XI R 10/97, BStBl. II 1998, 663 -
Rechtsanwaltskanzlei). Dieser Anscheinsbeweis ist entkräftet, wenn der Bekl. die
ernsthafte Möglichkeit persönlicher Motive für die Hinnahme der Verluste darlegt. In diesem
Fall ist für die Entscheidung wieder die freie Überzeugung des Gerichts (§ 96 Abs. 1 Satz 1
FGO) maßgebend (BFH-Urteil vom 19.11.1985 VIII R 4/83, BStBl. II 1986, 289 (291)
m.w.N.).
So liegt es auch hier: Die ärztliche Tätigkeit wird regelmäßig zwar nicht zur Befriedigung
persönlicher Neigungen ausgeübt. Jedoch hat der Bekl. die Möglichkeit persönlicher
Motive (Abzug von Gehaltszahlungen an Angehörige) ernsthaft dargelegt.
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Vorliegend spricht für die Überzeugung des Senats, dass der Kl. die langjährigen Verluste
aus im persönlichen Bereich liegenden Neigungen und Motiven hingenommen hat,
zunächst, dass die Praxis trotz der erkennbar regelmäßig ansteigenden Verluste ohne
jegliche organisatorische Änderung fortgeführt wurde. Bereits diese unterbleibende
Reaktion ist ein Beweisanzeichen für das Vorliegen persönlicher Gründe (BFH-Urteil vom
19.11.1985 VIII R 4/83, BStBl. II 1986, 289 (292)).
Entscheidend für die Überzeugungsbildung des Senats ist aber, dass der Kl. durch die
Fortführung der Praxis Gehaltszahlungen an nächste Angehörige (Ehefrau bzw. Tochter)
als Betriebsausgaben abziehen konnte. Im Rahmen dieses Verfahrens ist offen geblieben,
ob diesen Gehaltszahlungen überhaupt eine angemessene - betrieblich und nicht etwa
hauswirtschaftlich veranlasste - Arbeitsleistung der genannten Angehörigen gegenüber
stand. Diese Unklarheit geht zu Lasten der Kl. Denn auf entsprechende
Aufklärungsbemühungen hat die Klägerseite lediglich ausgeführt, dass die Arbeitnehmer
nicht nach Erfolg, sondern nach dem Tarifvertrag bezahlt worden seien, aber weder
Arbeitsverträge vorgelegt noch Angaben zum konkreten Tätigkeitsumfang gemacht. Auch
die Tatsache, dass die Tochter der Kl. im unmittelbaren Anschluss an ihre Tätigkeit in der
Praxis von den Kl. - mit unverändertem Gehalt - als Haushaltshilfe angestellt worden ist,
deutet darauf hin, dass sie auch zuvor nicht ausschließlich mit betrieblichen Tätigkeiten
befasst war.
Diese Wertung ist dem Senat nicht - wie die Kl. meinen - aus verfassungsrechtlichen
Gründen verwehrt. Denn Art. 6 Abs. 1 GG hindert Behörden und Gerichte nicht daran, im
Einzelfall Feststellungen zu der Frage zu treffen, ob Vermögenszuwendungen zwischen
nahen Angehörigen auf betrieblicher Veranlassung oder aber auf familiären Beziehungen
beruhen (BVerfG-Beschluss vom 7.11.1995 2 BvR 802/90, BStBl. II 1996, 34 (36)).
Ergänzend tritt das - nach der Rspr. (BFH-Urteil vom 22.4.1998 XI R 10/97, BStBl. II 1998,
663) allein für eine Bejahung privater Motive noch nicht ausreichende - Beweisanzeichen
hinzu, dass die Kl. mit den Verlusten aus der Praxis ihre anderweitigen positiven Einkünfte
aus Gewerbebetrieb, Kapitalvermögen, Vermietung und Verpachtung sowie aus Leibrenten
ausgleichen und die entsprechende Steuerlast mindern konnten.
Die Kl. können sich nicht mit Erfolg auf das BFH-Urteil vom 22.4.1998 XI R 10/97, BStBl. II
1998, 663 berufen, mit dem der BFH bei einem Rechtsanwalt trotz einer Verlustphase von
22 Jahren Dauer das Vorliegen von Gewinnerzielungsabsicht bejaht hat. Denn in jenem
Fall war der Berufsträger mit vollem persönlichen Einsatz tätig; die erwirtschafteten
Einnahmen hätten objektiv ohne weiteres für die Erzielung regelmäßiger Gewinne
ausgereicht. Es fehlte damit bereits - anders als im vorliegenden Fall - an der objektiv
negativen Totalgewinnprognose.
Ebensowenig kann eine Anwendung der Grundsätze des von den Kl. angeführten BFH-
Urteils vom 15.11.1984 IV R 139/81, BStBl. II 1985, 205 der Klage zum Erfolg verhelfen.
Denn in jenem Fall hatte der Steuerpflichtige auf die eintretenden Verluste sofort reagiert
(Werbemaßnahmen, Veränderungen im Betriebsablauf, weitere Investitionen). Dass diese
Reaktionen letztlich nicht zum erwünschten betriebswirtschaftlichen Erfolg führten und der
Betrieb nach Vornahme mehrerer Umstrukturierungen nach acht Jahren endgültig
eingestellt werden musste, konnte nicht zu Lasten des dortigen Steuerpflichtigen gehen. Im
vorliegenden Fall ist aber eine Reaktion auf die Verluste in einem angemessenen Zeitraum
nach deren Eintritt gerade nicht erfolgt. Allein die erst acht Jahre nach Auftreten der
Verluste erfolgte Einstellung des bis dahin unverändert weitergeführten Betriebs ist noch
keine ausreichende "Reaktion".
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Bei dieser Sachlage kann offen bleiben, ob - wie der Bekl. meint - zusätzlich auch der
Gesichtspunkt, dass der Kl. bestrebt war, seine mit ihm alt gewordenen Patienten weiterhin
zu behandeln, als persönliches Motiv im Sinne der dargestellten Rechtsprechung in
Betracht kommt.
II. Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 Abs. 1 FGO.
Die Zulassung der Revision beruht auf § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO. Die Rechtssache hat
grundsätzliche Bedeutung, weil der BFH über ein Auslaufen der
Einkunftserzielungsabsicht nach langjähriger gewinnbringender Haupttätigkeit - soweit
ersichtlich - noch nicht selbst entschieden hat. Dem BFH-Urteil vom 29.10.1981 IV R
138/78, BStBl. II 1982, 381 liegt zwar ebenfalls ein Wandel zuvor vorhandener
Gewinnerzielungsabsicht zugrunde; dort war der BFH aber an die entsprechenden
Feststellungen des FG gemäß § 118 Abs. 2 FGO gebunden.