Urteil des FG Münster vom 06.11.2002
FG Münster: adv, buchführung, vollziehung, einkünfte, zwangsvollstreckung, konkursverfahren, konkursmasse, konkurseröffnung, abgabenordnung, schranke
Finanzgericht Münster, 8 V 3326/02 E,Ki, 8 V 3789/02 G, U
Datum:
06.11.2002
Gericht:
Finanzgericht Münster
Spruchkörper:
8. Senat
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
8 V 3326/02 E,Ki, 8 V 3789/02 G, U
Tenor:
Die Anträge werden abgewiesen.
Die Kosten des Verfahrens tragen die Antragsteller.
G r ü n d e:
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Zu entscheiden ist über die Zulässigkeit von Anträgen auf Aussetzung der Vollziehung
(AdV).
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Die Antragsteller (Ast.) sind Eheleute, die gemeinsam zur Einkommensteuer veranlagt
werden. Der Ast. betreibt in N ein Restaurant. Die Ehefrau ist in seinem Betrieb als
Angestellte beschäftigt. Sie erzielte in den Streitjahren 1998 bis 2000 Einkünfte aus
nichtselbständiger Arbeit in Höhe von 42.550 DM (1998) 90.500 DM (1999) und 96.000
(2000).
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Im Rahmen einer Außenprüfung (Ap) beim Ast. sahen die Prüfer die Buchführung als
nicht ordnungsgemäß an. Aufgrund eines durchgeführten Zeit-Reihen-Vergleichs
nahmen sie Umsatz und Gewinnzuschätzungen in Höhe von 401.700 DM (1998),
175.900 DM (1999) und 250.200 DM (2000) vor. Wegen der Einzelheiten wird auf Ap-
Bericht vom 05.04.2002 verwiesen.
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Entsprechend diesen Feststellungen erließ der Antragsgegner (Ag. - das Finanzamt -
FA-) gegenüber den Ast. Einkommensteueränderungsbescheide 1998 bis 2000 vom
24.04.2002 sowie gegenüber dem Ast. Umsatzsteueränderungsbescheide 1998 bis
2000 vom 24.04.2002 sowie Gewerbesteuermessbetragsbescheide 1998 bis 2000 vom
06.06.2002, auf deren Inhalt verwiesen wird.
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Hiergegen legten die Ast. bzw. der Ast. (betreffend Umsatzsteuer und
Gewerbesteuermessbeträge) Einspruch ein. Sie meinten, dass die Buchführung des
Ast. ordnungsgemäß sei und bestritten die Höhe der Gewinnzuschätzung (Schreiben
der Ast. vom 06.05.2002 und vom 26.03.2002).
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Gleichzeitig beantragten sie AdV dieser Bescheide.
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Diese Anträge lehnte das FA mit Bescheid vom 27.05.2002 betreffend
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Diese Anträge lehnte das FA mit Bescheid vom 27.05.2002 betreffend
Einkommensteuer 1998 bis 2000 und mit Bescheid vom 04.07.2002 betreffend
Umsatzsteuer und Gewerbesteuermessbescheide 1998 bis 2000 ab.
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Nunmehr beantragen die Ast. AdV betreffend Einkommensteuer 1998 bis 2000
(Aktenzeichen 8 V 3326/02 E, Ki) und der Ast. AdV betreffend Umsatzsteuer (sowie
Zinsen zur Umsatzsteuer) und Gewerbesteuermessbeträge 1998 bis 2000 bei Gericht.
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Sie meinen, es bestünden ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Bescheide,
soweit diese die ursprünglichen Bescheide auf der Grundlage der Tz. 9 - 11 des Ap-
Berichts vom 05.04.2002 ändern würden. Entgegen der Auffassung des FA sei die
Kassenführung des Ast. formell und auch materiell ordnungsgemäß. Die Beweiskraft der
Buchführung sei daher nicht eingeschränkt, da sie keine gravierenden Mängel aufweise.
Es lägen allenfalls geringfügige Versäumnisse bei der Buchführung (hier: nicht
jederzeitige Feststellung der Kassensturzfähigkeit) vor, die allenfalls die
Berücksichtigung eines Sicherheitszuschlages nicht aber eine Vollschätzung
rechtfertigen würden. Wegen der Einzelheiten wird auf die Schreiben vom 20.06.2002,
10.07.2002, 07.08.2002 im Verfahren 8 V 3326/02 E, Ki und auf die Schreiben vom
12.07.2002 und vom 07.08.2002 im Verfahren 8 V 3789/02 G, E sowie auf die diesen
Schreiben beigefügten Anlagen verwiesen.
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Die Ast. beantragen,
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die Vollziehung folgender Bescheide auszusetzen:
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Einkommensteuerbescheide 1998 bis 2000 jeweils vom 24.04.2002,
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Umsatzsteuerbescheide (sowie Zinsen zur Umsatzsteuer) 1998 bis 2000 jeweils
vom 24.04.2002 und
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Bescheide über den Gewerbesteuermessbetrag 1998 bis 2000 jeweils vom
06.06.2002.
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Das FA beantragt,
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die Anträge zurückzuweisen.
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Es meint, es bestünden keine ernstlichen Zweifel an der Rechtmäßigkeit der aufgrund
der Ap ergangenen Steuerbescheide. Die Hinweise in den Schreiben der Ast. zu
geringfügigen Mängeln in der Buchführung und der fehlenden Berechtigung zur
Vollschätzung seien falsch. Denn zum einen handele es sich um erhebliche Mängel in
der Kassen- und Buchführung und zum anderen seien die festgestellten
Kalkulationsdifferenzen für eine Vollschätzung ausreichend. Wegen der Einzelheiten
wird auf die Schreiben des FA vom 16.07.2002 und vom 23.08.2002 im Verfahren 8 V
3326/02 E, Ki und vom 06.09.2002 im Verfahren 8 V 3789/02 G, U verwiesen.
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Am 13.05.2002 hat das FA wegen rückständiger laufender Steuer in Höhe von 116.860
EUR den Antrag auf Eröffnung eines Insolvenzverfahrens gemäß § 17
Insolvenzordnung (InsO) über das Vermögen des Ast. beim Amtsgericht N gestellt.
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Mit Beschluss vom 23.07.2002 ordnete das Amtsgericht N in dem
Insolvenzeröffnungsverfahren über das Vermögen des Ast. die Einholung eines
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schriftlichen Sachverständigengutachtens an. Mit weiterem Beschluss vom 02.08.2002
ordnete es zur Sicherung der zukünftigen Insolvenzmasse (§ 21 Abs. 2 Nr. 3, § 88 InsO)
an:
"Maßnahmen der Zwangsvollstreckung einschließlich der Vollziehung eines Arrest
oder einer einstweiligen Verfügung gegen den Schuldner werden untersagt, soweit
nicht unbewegliche Gegenstände betroffen sind; bereits begonnene Maßnahmen
werden einstweilen eingestellt."
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Mit Beschluss vom 13.10.2002 betreffend die Bestellung des vorläufigen
Insolvenzverwalters wurde u.a. die o.a. Sicherungsanordnung nochmals wiederholt.
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Die Sachbearbeiterin der Vollstreckungsstelle des FA Frau L hat auf telefonische
Anfrage des Berichterstatters mitgeteilt, dass das FA wegen der Forderungen aus den in
den Verfahren 8 V 3326/02 E, Ki und 8 V 3789/02 G, U streitigen Bescheiden bisher
nicht in Grundstücke (unbewegliche Gegenstände) vollstreckt habe. Dies sei auch
zukünftig nicht beabsichtigt, da ihr keine Grundstücke bekannt seien, die das FA zum
Gegenstand von Vollstreckungsmaßnahmen machen könne.
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Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der Gerichtsakten sowie auf den
Inhalt der vom FA vorgelegten Steuerakten Bezug genommen.
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Die AdV-Anträge sind wegen Wegfalls des Rechtsschutzbedürfnisses unzulässig
geworden.
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Nach der Rechtsprechung des BFH fehlt das Rechtsschutzbedürfnis für einen AdV-
Antrag, wenn der Steuerpflichtige während eines Konkursverfahrens AdV wegen einer
Forderung begehrt, die bei Eröffnung des Konkursverfahrens bereits entstanden war, so
dass deren Einzelzwangsvollstreckung während des Konkursverfahrens nicht mehr in
Betracht kommt. Eine wie immer geartete "Vollziehung" wegen dieser Ansprüche,
insbesondere eine Zwangsvollstreckung finde während der Dauer des
Konkursverfahrens weder in das zur Konkursmasse gehörige noch in das sonstige
Vermögen des Gemeinschuldners statt (§ 14 Konkursordnung -KO-). Die Durchsetzung
derartiger Ansprüche sei vielmehr nur nach Maßgabe der Vorschriften der KO möglich
(§ 12 KO). Die bereits vor der Konkurseröffnung "begründeten" Steuerforderungen
würden lediglich ein Recht zur Teilnahme am Konkursverfahren gewähren (vgl. BFH-
Urteil vom 27.11.1974 I 185/73 BStBl. II 1975, 208).
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Dasselbe gilt im Rahmen der ab 01.01.1999 in Kraft getretenen InsO. So bald das
Insolvenzverfahren über das Vermögen des Steuerpflichtigen eröffnet worden ist, findet
während eines Insolvenzverfahrens keine Vollstreckung in das zur Insolvenzmasse
gehörige oder in das sonstige Vermögen des Gemeinschuldners statt (§ 89 Abs. 1 InsO).
Die Durchsetzung derartiger Ansprüche gemäß § 87 InsO ist nur nach Maßgabe der
Vorschriften der InsO möglich (vgl. BFH-Urteil vom 11.08.2000 1 S 5/00 BFH/NV 2001,
314).
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Im vorliegenden Fall ist zwar das Insolvenzverfahren über das Vermögen des
Ehemannes (Ast.) noch nicht eröffnet worden. Wegen der bereits vor einem evtl. noch
folgenden Eröffnungsbeschluss ergangenen o. a. Beschlüsse des Amtsgerichts N im
Rahmen des Insolvenzeröffnungsverfahrens ist der Senat der Auffassung, dass das
Rechtschutzbedürfnis des Ast. für die Gewährung der AdV bereits jetzt entfallen ist. Aus
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diesen Beschlüssen ergibt sich, dass das FA aus den in diesen Verfahren streitigen
Steuerbescheiden nicht in das bewegliche Vermögen des Ast. vollstrecken kann. Eine
Vollstreckung wäre allenfalls nach den o.a. Beschlüssen in unbewegliche Gegenstände
(Grundstücke) möglich. Hierzu hat jedoch die Sachbearbeiterin der Vollstreckungsstelle
des FA auf telefonische Anfrage mitgeteilt, dass das FA wegen der Forderungen
aufgrund der in diesen Verfahren streitigen Bescheiden bisher nicht in Grundstücke
(unbewegliche Gegenstände) vollstreckt habe. Dies sei auch zukünftig nicht
beabsichtigt, da dem FA keine Grundstücke bekannt seien, die das FA zum Gegenstand
von Vollstreckungsmaßnahmen machen könne.
Aufgrund dieses Sachverhaltes ist jedenfalls zur Zeit eine Vollziehung der
angegriffenen Bescheide gegenüber dem Ast. ausgeschlossen. Für die Beurteilung der
Frage, ob eine bestimmte Sachurteilsvoraussetzung fehlt, ist grundsätzlich auf den
Zeitpunkt der Beschlussfassung abzustellen (vgl. BFH-Beschluss vom 17.01.1985 VII B
46/84 BStBl. II 1985, 302 m.w.N.).
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Zwar kommt hier evtl. eine Vollstreckung gegenüber der Ehefrau als Gesamtschuldner
gemäß § 44 Abgabenordnung (AO) hinsichtlich der Einkommensteuerbeträge in
Betracht. Das Insolvenzeröffnungsverfahren bezieht sich nämlich nur auf das Vermögen
des Ast.. Die Vollstreckungsbeschränkungen in den o.a. Beschlüssen des Amtsgerichts
N beziehen sich demgemäß nur auf das Vermögen des Ast..
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Der Senat verneint aber ebenfalls das Rechtschutzbedürfnis für den AdV-Antrag der
Antragstellerin (Astin.) hinsichtlich der in den streitigen Bescheiden festgesetzten
Einkommensteuerbeträge für 1998 bis 2000. Denn es ist bisher nichts dafür ersichtlich,
dass das FA überhaupt in das Vermögen der Ehefrau vollstrecken wird und will. Zwar
hat die Ehefrau eigene Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit in Höhe von 42.550 DM
(1998), 90.500 DM (1999) und 96.000 DM (2000). Sie hat aber ohne weiteres die
Möglichkeit, gemäß § 268 AO zu beantragen, dass die Vollstreckung wegen der hier
streitigen Einkommensteuerbeträge 1998 bis 2000 jeweils auf den Betrag beschränkt
wird, der sich nach Maßgabe der §§ 269 bis 278 AO bei einer Aufteilung der Steuern
ergeben würde. Da dem FA diese Möglichkeit bekannt ist, geht der Senat davon aus,
dass das FA nicht wegen der von den Ast. angegriffenen streitigen
Einkommensteuerbeträge 1998 bis 2000 in das Vermögen der Astin. vollstrecken wird.
Die Verteilung der Einkommensteuer gemäß § 268 ff. AO wirkt als materiell-rechtliche
Schranke, die jegliche Verwirklichung der Gesamtschuld über den auf den jeweiligen
Ehegatten entfallenden Aufteilungsbetrag hinaus ausschließt (vgl. BFH-Urteil vom
12.06.1990 VII 69/89 BStBl. II 1991, 493 m.w.N.). Der Senat geht davon aus, dass die
Astin. den auf sie entfallenden Teil der Einkommensteuerbeträge 1998 bis 2000 bereits
durch den Lohnabzug erfüllt hat.
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Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 Abs. 1 Finanzgerichtsordnung.
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