Urteil des FG Münster vom 24.05.2005
FG Münster: gesellschaft mit beschränkter haftung, grundstück, bemessungsgrundlage, festpreis, lieferung, prüfer, einbau, eugh, nebenleistung, ausführung
Finanzgericht Münster, 15 K 3850/03 U
Datum:
24.05.2005
Gericht:
Finanzgericht Münster
Spruchkörper:
15. Senat
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
15 K 3850/03 U
Tenor:
Unter Änderung des Umsatzsteueränderungsbescheides vom
12.11.2002 in der Fassung der Einspruchsentscheidung vom
17.05.2003 wird die Umsatzsteuer 1999 auf 158.274,69 EUR
festgesetzt.
Die Kosten des Verfahrens trägt das Finanzamt.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand:
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Streitig ist, ob Zusatzleistungen, die nach Abschluss des notariellen Grunderwerb- und
Bauvertrages vereinbart und ausführt wurden, nach § 4 Nr. 9 a Umsatzsteuergesetz
(UStG) steuerbefreit sind.
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Die Klägerin (Klin.) ist Organträgerin der Firma T*************gesellschaft mit
beschränkter Haftung (GmbH). Die GmbH schloss mit den Erwerbern M*****, X****,
T*******, N*****, Y****, C*******, E******, P*********, U*********, I*********, O******, D*****,
V*****, W******** und L****** notarielle Kauf- und Bauwerkverträge über den Verkauf
eines Grundstückes oder Erbbaurechts bzw. Wohnungseigentumsrechts an einem
Grundstück einschließlich eines gemäß der vereinbarten Baubeschreibung zu
errichtenden Gebäudes bzw. einer zu errichtenden Wohnung ab. Der in jedem Vertrag
vereinbarte einheitliche Festpreis für das Grundstück und das Gebäude lag zwischen
257.250 DM und 603.100 DM. Wegen der Einzelheiten wird auf die Schlussrechnungen
Bezug genommen, die keine Aufteilung des Festpreises in einen Anteil für den
Grunderwerb und für die Bauleistungen enthalten (Anlage zum Schriftsatz des
beklagten Finanzamtes - FA - vom 24.03.2004 "Rechnungen über Zusatzleistungen").
Mit Ausnahme des Vertrages mit dem Erwerber E****** enthielten die notariellen
Verträge die Klausel, dass auf Wunsch der Käufer Abweichungen gegenüber der
Baubeschreibung möglich und die dadurch eintretenden Preisänderungen schriftlich zu
vereinbaren und Sonderwünsche gegebenenfalls direkt mit den zuständigen
Handwerkern zu vereinbaren und abzurechnen waren. Die Rohbauten errichtete die
GmbH mit eigenen Arbeitnehmern; die weiteren Arbeiten vergab sie an
Subunternehmer. Nach Abschluss der notariellen Verträge vereinbarte die GmbH mit
den Erwerbern, die das erworbene Eigentum nach Fertigstellung des Objektes
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zumindest teilweise selber bezogen, die Ausführung von Zusatzleistungen, die vom
zusätzlichen Einbau von Wänden, Treppen, Fenster und Duschen bis zur zusätzlichen
Errichtung von Garagen und Freisitzüberdachung sowie der Verwendung höherwertigen
Materials reichten. Die Entgelte für die Sonderleistungen betrugen zwischen 6.690 DM
und 42.900 DM. Wegen der Einzelheiten wird auf die Schlussrechnungen verwiesen.
Nach Abschluss der Arbeiten einschließlich der Zusatzleistungen erteilte die GmbH den
Erwerbern im Streitjahr 1999 Schlussrechnungen, in denen sie den jeweils notariell
vereinbarten Festpreis und das Entgelt für die jeweiligen Zusatzleistungen sowie die
Preisabzüge für Minderkosten und Eigenleistungen der Erwerber abrechnete, wobei sie
keine Umsatzsteuer (USt) offen auswies. In ihrer USt-Erklärung behandelte die Klin.
auch die Zusatzleistungen als nach § 4 Nr. 9 a UStG steuerbefreite Umsätze. Im
Rahmen einer bei der Klin. durchgeführten Betriebsprüfung (Bericht des Finanzamtes
für Groß- und Konzernbetriebsprüfung C********* vom 14.08.2002, Tz. 11) vertrat der
Prüfer die Auffassung, die Sonderleistungen seien nicht umsatzsteuerbefreit, weil sie
nicht der Grunderwerbsteuer (GrESt) unterlägen. Für die eventuelle Steuerbarkeit des
Vorgangs nach dem GrESt sei allein das notarielle Verpflichtungsgeschäft maßgeblich.
Nachträgliche Änderungen des Umfangs des Bauauftrages hätten aber nur dann
grunderwerbsteuerliche Auswirkung, wenn auch der notarielle Vertrag geändert werde,
was vorliegend nicht geschehen sei. Folglich unterlägen die Zusatzleistungen der USt
und dementsprechend sei auch der Vorsteuerabzug aus den zugehörigen Vorbezügen
zu gewähren. Für das Streitjahr ermittelte der Prüfer ein Ausgangssteuermehr von
35.790,94 DM und ein Vorsteuermehr von 29.371,33 DM. Entsprechend dem Bericht
erließ das FA am 12.11.2002 einen geänderten USt-Bescheid 1999, in dem es die USt
auf 161.556,99 EUR = 315.978 DM festsetzte. Aufgrund der Prüfung wurde bei den
meisten Erwerbern GrESt auf die Zusatzleistungen nacherhoben.
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Der Einspruch der Klin. gegen den USt-Bescheid 1999 vom 12.11.2002 blieb erfolglos.
Zur Begründung seiner Einspruchsentscheidung (EE) vom 17.05.2003, beim
Empfangsbevollmächtigten der Klin. eingegangen am 10.06.2003, führte das FA an, die
steuerliche Behandlung der Zusatzleistungen durch die Klin. führe zu einer
unzulässigen Lücke in der Besteuerung von Erlösen aus Immobilienverkäufen. Die
Zusatzleistungen stellten selbständige Hauptleistungen und keine Nebenleistungen zu
den notariell vereinbarten Lieferungen dar, so dass die Zusatzlieferungen nicht das
Schicksal der Hauptlieferungen teilten, die umsatzsteuerfrei seien.
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Hiergegen richtet sich die Klage, mit der die Klin. die Umsatzsteuerfreiheit für ihre
Zusatzleistungen erstrebt. Sie vertritt die Auffassung, die Zusatzleistungen stellten
Nebenleistungen zu der umsatzsteuerfreien Hauptlieferung, der Grundstückslieferung,
dar, weil sie der Ergänzung und Abrundung dieser Hauptlieferung dienten.
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Die Klin. beantragt,
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unter Änderung des USt-Bescheides 1999 vom 12.11.2002 in der Fassung
der EE vom 17.05.2003 die USt 1999 nach Reduzierung um 6.419,61 DM
(35.790,94 DM ./. 29.371,33 DM) neu festzusetzen,
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hilfsweise, die Revision zuzulassen.
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Das FA beantragt,
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die Klage abzuweisen,
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hilfsweise, die Revision zuzulassen.
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Es trägt vor: Die Zusatzleistungen seien als umsatzsteuerpflichtig zu behandeln, weil
anderenfalls eine planwidrige Besteuerungslücke entstehe.
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Entscheidungsgründe:
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Die Klage ist begründet.
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Der USt-Änderungsbescheid 1999 vom 12.11.2002 in der Fassung der EE vom
17.05.2003 ist rechtswidrig und verletzt die Klin. in ihren Rechten, § 100 Abs. 1 Satz 1
Finanzgerichtsordnung (FGO).
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Unzutreffenderweise hat das FA die von der GmbH erbrachten Zusatzleistungen, die
wie unter den Beteiligten unstreitig ist, nach § 2 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 UStG der Klin.
zuzurechnen sind, als umsatzsteuerpflichtig erachtet. Die Zusatzleistungen sind nach §
4 Nr. 9 a UStG als steuerbefreit zu qualifizieren.
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Dabei kann dahinstehen, ob diese Leistungen in Verbindung mit den laut notariellem
Vertrag erbrachten Leistungen eine nach § 4 Nr. 9 a UStG steuerfreie Hauptleistung
darstellen. Nach § 4 Nr. 9 a UStG sind die Umsätze umsatzsteuerbefreit, die unter das
Grunderwerbsteuergesetz (GrEStG) fallen. Die umsatzsteuerliche Vorschrift stellt nicht
darauf ab, ob ein Umsatzentgelt beim Leistungsempfänger in die
grunderwerbsteuerliche Bemessungsgrundlage einbezogen worden bzw.
einzubeziehen ist. Für die USt ist jede Leistung separat daraufhin zu prüfen, ob sie als
Vorgang, nicht als bloße Bemessungsgrundlage, unter das GrEStG fällt. Eine
umsatzsteuerlich einheitliche Beurteilung von Grundstückslieferung und weiteren
Leistungen kann selbst unter Berücksichtigung der wirtschaftlichen Betrachtung des 2.
Senats des BFH zum GrEStG (zuletzt in BStBl II 2000, 34) nicht dadurch herbeigeführt
werden (vgl. BFH in BStBl II 1993, 316; BFH in BFH/NV 1994, 198), dass die Umsätze,
deren Entgelte in die grunderwerbsteuerliche Bemessungsgrundlage beim Erwerber
eingehen, vom selben Unternehmer getätigt werden (vgl. BFH in BFH/NV 1995, 456). Ist
die Verbindung zwischen der Grundstückslieferung und der Bauleistung nur zeitlich und
rechtsgeschäftlich hergestellt worden, ist die Bauleistung nicht nach § 4 Nr. 9 a UStG
umsatzsteuerfrei (vgl. BFH in BStBl II 1992, 206, und in BStBl II 1993, 316 Ziffer 1 b;
BFH in BFH/NV 1994, 198 Ziffer 5, und in BFH/NV 1995, 456, zuletzt BFH in BFH/NV
2001, 1617). Im Streitfall könnte gerade die letztere Fallgestaltung vorliegen, da die
Verbindung zwischen der Grundstückslieferung bzw. der Lieferung des Erbbaurechtes
oder des Wohnungseigentumsrechtes und der Ausführung der bauwerklichen
Zusatzarbeiten eher zufällig allein durch eine rechtsgeschäftliche Verknüpfung mittels
der dem notariellen Vertragsabschluss nachfolgenden Vereinbarung entstand. Die laut
den Schlussrechnungen von der GmbH erbrachten Zusatzleistungen stellen jedenfalls
umsatzsteuerliche Nebenleistungen zu der steuerfreien Hauptleistung, bestehend aus
Grundstückslieferung und der Bauleistung laut dem Kauf- und Bauwerksvertrag mit der
Folge dar, dass sie umsatzsteuerrechtlich das Schicksal der Hauptleistung teilen, selbst
wenn wie vorliegend für die Nebenleistung ein besonderes Entgelt verlangt und
entrichtet wurde (vgl. Umsatzsteuerrichtlinien [UStR] 2005, Abschnitt 29 Abs. 5 Satz 2).
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Unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des EuGH ist nach der neueren
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Rechtsprechung des BFH eine Leistung umsatzsteuerlich als Nebenleistung zu einer
Hauptleistung anzusehen und teilt umsatzsteuerlichrechtlich deren Schicksal, wenn sie
für den Leistungsempfänger keinen eigenen Zweck hat, sondern das Mittel darstellt, um
die Hauptleistung des Leistenden unter optimalen Bedingungen in Anspruch zu
nehmen. Entscheidend ist die Sicht des Durchschnittsverbrauchers (vgl. EuGH-Urteile
in UR 1999, 38 und 254; BFH in BStBl II 2001, 658, und in BStBl II 2003, 378; ferner
UStR 2005 Abschnitt 29 Abs. 5 Satz 4). Bietet ein Unternehmer ein Grundstück mit
einem noch zu errichtenden Gebäude, das nach der Baubeschreibung "ohne Komfort"
nur eine "Grundnutzung" für Wohnzwecke ermöglicht, zu einem Festpreis an, geht der
Unternehmer regelmäßig als selbstverständlich davon aus, dass jedenfalls der
Erwerber, der eine Selbstnutzung des Gebäudes plant und den Erwerb nicht nur als
reine Kapitalanlage etwa durch Fremdvermietung ansieht, Zusatzleistungen mit dem
Ziel der Steigerung des Wohnwertes und der Nutzungsmöglichkeit des erworbenen
Objektes beauftragt. Von dieser im Bauträgergeschäft üblichen Konstellation ging auch
die GmbH aus, anderenfalls wäre unverständlich, warum die von ihr mit den Erwerbern
abgeschlossenen notariellen Verträge bereits eine Klausel über die Erteilung von
Zusatzleistungen und die Verpflichtung des Unternehmers zur Berücksichtigung von
Sonderwünschen der Erwerber enthielten. Selbstnutzer entsprechen im Regelfall dieser
Erwartung und beauftragen nur begrenzt durch ihre finanziellen Möglichkeiten und
durch den für das Grundstück bauplanungsrechtlich vorgegebenem Rahmen
Sonderleistungen, die teilweise bereits bei Abschluss des notariellen Vertrages
feststehen, spätestens aber in der Bauphase angefragt und in Auftrag gegeben werden,
und die, wie gerichtsbekannt ist, vom Einbau besserer Materialien über Veränderungen
im Zuschnitt der Räume bis zur Schaffung zusätzlicher Wohn- und Abstellflächen - zum
Teil in Form einer in der Standardversion nicht angebotenen Garagenerrichtung -
reichen können. Bei solchen Fallgestaltungen besteht aus der Sicht des
Durchschnittsverbrauchers der Inhalt des dem Unternehmer erteilten Auftrages aus der
Lieferung eines fertig bebauten Grundstückes, dessen Umfang sich nach dem Inhalt des
Bauvertrages in der Fassung der Vereinbarungen über die Zusatzleistungen bestimmt.
In allen Erwerbsfällen erbrachte die GmbH Zusatzleistungen, die allein dazu dienten,
eine nach den Vorstellungen des jeweiligen Erwerbers im Vergleich zum Nutzungswert
laut Baubeschreibung "verbesserten Wohnwert" des erworbenen Objektes zu
ermöglichen (vgl. zum Ganzen auch Walkhoff in UR 1981, 193 Ziffer III). Dafür spricht
auch das Verhältnis der Kosten für die Hauptleistung laut notariellem Vertrag zwischen
257.250 DM und 603.100 DM und für die Sonderwünsche zwischen 6.690 DM und
42.900 DM. Schließlich scheint auch die Finanzverwaltung von der Umsatzsteuerfreiheit
der Zusatzleistungen ausgegangen zu sein, anderenfalls hätte sie sicherlich generell
auf die grunderwerbsteuerliche Nachbesteuerung der Zusatzleistungen verzichtet.
Steuerberechnung laut Urteil:
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Umsatzsteuer laut Bescheid vom 12.11.2002 in DM: 315.978,00 DM
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./. Ausgangssteuer auf Zusatzleistung: 35.790,94 DM
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+ Vorsteuerkorrektur für Zusatzleistung: 29.371,33 DM
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Umsatzsteuer laut Urteil in DM: 309.558,39 DM
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Umsatzsteuer laut Urteil in EUR: 158.274,69 EUR
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO und die Entscheidung über die
vorläufige Vollstreckbarkeit und die Abwendungsbefugnis auf §§ 151, 155 FGO in
Verbindung mit §§ 708 Nr. 10, 711 Zivilprozessordnung.
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Die Revision war wegen grundsätzlicher Bedeutung zuzulassen, § 115 Abs. 2 FGO.
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