Urteil des FG Münster vom 09.07.2009

FG Münster: örtliche zuständigkeit, vollziehung, passivlegitimation, aussetzung, wechsel, sitzverlegung, gesellschaftsvertrag, geschäftsleitung, verwaltungsakt, erlass

Finanzgericht Münster, 5 V 902/09 F
Datum:
09.07.2009
Gericht:
Finanzgericht Münster
Spruchkörper:
5. Senat
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
5 V 902/09 F
Tenor:
Der Antrag wird abgelehnt.
Die Antragstellerin trägt die Kosten des Verfahrens.
Gründe:
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I.
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Die Beteiligten streiten über die Aussetzung der Vollziehung eines
Grundlagenbescheids.
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Die Antragstellerin (Astin.) wurde mit Gesellschaftsvertrag vom 22.11.2006 unter dem
Namen J GmbH & Co. ... KG mit Sitz in I gegründet. Komplementärin und
Geschäftsführerin war zunächst die J Geschäftsführungs GmbH, die nicht am Kapital der
Astin. beteiligt war. Frau TN ist seit der Gründung die einzige Kommanditistin mit einer
Kommanditeinlage von 145.000,- €. Die Eintragung ins Handelsregister erfolgte am
9.12.2006.
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In ihrer am 29.10.2007 beim Antragsgegner (Ag.) eingegangenen Erklärung zur
gesonderten und einheitlichen Feststellung von Besteuerungsgrundlagen erklärte die
Astin. für das Streitjahr 2006 einen Verlust aus Gewerbebetrieb in Höhe von 49.330,32
€.
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Mit Vertrag vom 25.8.2008 wurde der Gesellschaftsvertrag vom 22.11.2006
dahingehend geändert, dass die bisherige Komplementärin zum 31.8.2008 austritt und
an ihrer Stelle die F Geschäftsführungs GmbH i.G. als Komplementärin eintritt.
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Mit Bescheid vom 24.11.2008 stellte der Ag. einen Verlust der Astin. aus
Gewerbebetrieb für 2006 in Höhe von 1.099,76 € fest. Der Komplementärin wurde ein
Gewinnanteil in Höhe von 20.000,- € und der Kommanditistin ein Verlustanteil in Höhe
von 21.099,76 € zugerechnet. Dieser Verlust wurde als nach § 15b des
Einkommensteuergesetzes (EStG) nicht ausgleichsfähig behandelt. Mit dem Bescheid
wurde eine Feststellung des zum 31.12.2006 verbleibenden verrechenbaren Verlustes
für die Kommanditistin nach § 15b EStG in Höhe von 21.099,76 € verbunden.
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Gegen beide Bescheide legte die Astin. mit Schriftsatz vom 15.12.2008 beim Ag.
Einspruch ein, über den bisher noch nicht entschieden wurde.
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Am 22.12.2008 wurde neben des Wechsels der Komplementärin auch die Änderung der
Firma sowie die Sitzverlegung der Astin. von I nach M ins Handelsregister eingetragen.
Für M ist das Finanzamt X örtlich zuständig.
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Mit Schriftsatz vom 12.1.2009 stellte die Astin. beim Ag. einen Antrag auf "Aufhebung
der Vollziehung", der bislang ohne Mitteilung von Gründen gegenüber der Astin.
unbearbeitet blieb.
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Der Ag. hat bisher keine Aktenabgabe an das Finanzamt X veranlasst, aber auch keine
Zustimmung dieses Finanzamts zur weiteren Bearbeitung des Einspruchs eingeholt und
auch keine Zuständigkeitsvereinbarung getroffen.
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Die Astin. hat ihren am 20.3.2009 gestellten gerichtlichen Aussetzungsantrag gegen
den Ag. gerichtet, da bisher keine Aktenabgabe erfolgt sei. Sie beantragt,
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die Bescheide für 2006 über die gesonderte und einheitliche Feststellung von
Besteuerungsgrundlagen und des verrechenbaren Verlusts nach § 15b EStG vom
24.11.2008 von der Vollziehung auszusetzen.
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Der Ag. beantragt,
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den Antrag abzulehnen.
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Nach seiner Ansicht bestehen keine Zweifel an der Rechtmäßigkeit der angefochtenen
Bescheide.
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II.
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Der Antrag ist unzulässig, da er gegen den falschen Antragsgegner gerichtet ist.
Passivlegitimiert für einen gerichtlichen Antrag auf Aussetzung der Vollziehung ist nicht
der Ag., sondern allein das Finanzamt X.
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Da § 63 FGO im Aussetzungsverfahren nicht unmittelbar gilt, ist Antragsgegner eines
gerichtlichen Aussetzungsverfahrens (§ 69 Abs. 3 der Finanzgerichtsordnung - FGO)
wegen des engen Zusammenhangs zum Klageverfahren das für das Klageverfahren
prozessführungsbefugte Finanzamt. (BFH-Beschluss vom 24.5.1989 V S 2/88, BFH/NV
1990, 255; vgl. auch BFH-Beschluss vom 25.4.1985 IV S 10/84, BFH/NV 1986, 665). Da
im Streitfall noch kein Klageverfahren anhängig ist, sondern das Einspruchsverfahren
das Hauptsacheverfahren darstellt, richtet sich die Passivlegitimation danach, welches
Finanzamt für die behördliche Aussetzung der Vollziehung zuständig ist. Dies ist nach §
361 Abs. 2 Satz 1, 1. Halbs. der Abgabenordnung (AO) grundsätzlich das Finanzamt,
welches den angefochtenen Verwaltungsakt erlassen hat. Ist hingegen nachträglich
eine andere Finanzbehörde zuständig geworden, so entscheidet diese, es sei denn, die
alte Finanzbehörde führt das Einspruchsverfahren mit Zustimmung der nunmehr
zuständigen Finanzbehörde fort (§§ 361 Abs. 2 Satz 1, 2. Halbs., 367 Abs. 1 Satz 2, 26
Satz 2 AO). Die örtliche Zuständigkeit für gesonderte Feststellungen bei gewerblichen
Betrieben richtet sich gemäß § 18 Abs. 1 Nr. 2 AO vorrangig nach dem Sitz der
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Geschäftsleitung. Geschäftsleitung ist der Mittelpunkt der geschäftlichen Oberleitung (§
10 AO). Der Wechsel der örtlichen Zuständigkeit tritt in dem Zeitpunkt ein, in dem eine
der beiden Finanzbehörden von den den Wechsel begründenden Umständen erfährt (§
26 Satz 1 AO).
Im Streitfall stellt die Verlegung des Geschäftssitzes von I nach M einen Umstand dar,
der einen örtlichen Zuständigkeitswechsel begründet, denn es ist mangels anderer
Anhaltspunkte davon auszugehen, dass die Astin. am Ort ihres jeweiligen
Geschäftssitzes auch ihre geschäftliche Oberleitung hatte. Der Zuständigkeitswechsel
ist spätestens während des laufenden Einspruchsverfahrens eingetreten. Der Ag. hat
vor dem 20.3.2009 von der Sitzverlegung erfahren, da sich ein entsprechender
Handelsregisterauszug in den Steuerakten befindet. Eine Zustimmung des zuständig
gewordenen Finanzamts zur Fortführung des Verfahrens durch den Ag. liegt nicht vor.
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Unerheblich ist, ob der Zuständigkeitswechsel bereits vor dem 24.11.2008 eingetreten
ist und der Ag. deshalb bereits nicht für den Erlass der angefochtenen Bescheide
zuständig war. Die Frage der örtlichen Zuständigkeit der den Bescheid erlassenden
Behörde, die im Rahmen der Begründetheit des Antrags zu prüfen ist, ist von der hier
vorrangig zu prüfenden Passivlegitimation zu unterscheiden (vgl. BFH-Beschluss vom
28.1.2002 VII B 83/01, BFH/NV 2002, 934).
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Unerheblich ist auch, dass die Akten bisher nicht an das Finanzamt X abgegeben
wurden. Bei der Aktenabgabe handelt es sich um einen rein verwaltungsinternen
Vorgang, der Folge des Zuständigkeitswechsels ist. Sie hat keinen Einfluss auf die
Passivlegitimation. Diese richtet sich allein nach dem Gesetz.
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Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 Abs. 1 FGO.
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