Urteil des FG Münster vom 07.07.2010

FG Münster (treu und glauben, abtretung, sicherungsabtretung, entstehung des anspruchs, erwerb, erhebliche bedeutung, verwertung, sicherung, umstände, zeitpunkt)

Finanzgericht Münster, 11 K 2975/08 AO
Datum:
07.07.2010
Gericht:
Finanzgericht Münster
Spruchkörper:
11. Senat
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
11 K 2975/08 AO
Tenor:
Die Klage wird abgewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens.
Die Revision wird zugelassen.
Streitig ist die Wirksamkeit einer Abtretungsanzeige.
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Die Klägerin ist eine GmbH, deren Geschäftszweck in § 2 Nr. 1 des
Gesellschaftsvertrags vom 19.10.2005 wie folgt umschrieben ist: "Gegenstand des
Unternehmens ist Erwerb und Verwaltung von Anteilen und Beteiligungen an anderen
Unternehmen, Übernahme von Forderungen, Rechten und Sicherungsgütern zum
Zwecke der Verwertung sowie alle artverwandten Geschäfte, die dem
Gesellschaftszweck dienlich sind."
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Am 19.06.2006 ging beim Beklagten eine Abtretungsanzeige auf amtlichem Vordruck
ein betreffend die Abtretung eines Teilbetrags von .......... € aus den USt-
Erstattungsansprüchen 1999 und 2000 der Z. GmbH an die Klägerin. Unter "Grund der
Abtretung" wurde das Feld "Sicherungsabtretung" angekreuzt. Weitere Angaben zum
Grund wurden nicht gemacht.
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Mit Schreiben vom 22.06.2006 teilte der Beklagte der Z. GmbH unter Bezugnahme auf §
46 Abs. 4 AO mit, dass er die Abtretung für unwirksam halte. Ob eine entsprechende
Mitteilung auch an die Klägerin erfolgt ist, lässt sich den Akten nicht entnehmen.
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Die Z. GmbH hatte im Jahr 2002 u.a. gegen die USt-Bescheide 1999 und 2000
Einspruch eingelegt und im Rahmen des Einspruchsverfahrens am 29.12.2005
geänderte USt-Erklärungen für 1999 und 2000 eingereicht. Nach Durchführung einer
USt-Sonderprüfung wurden am 06.06.2006 geänderte USt-Bescheide erlassen, welche
zu USt-Guthaben von .................. € (1999) und .............. € (2000) führten (Bl. 97-102 d.A.).
Mit Schreiben vom 29.05.2006 (Bl. 96 d.A.) teilte die Z. GmbH dem Beklagten mit, dass
die "Steuererstattung aus UST 1997 – UST 2001" auf einem Konto der GmbH bei der
Volksbank T. überwiesen werden soll. Die Änderung der Kontoverbindung wurde von
dem anderen Geschäftsführer der Z. GmbH mit Schreiben vom 19.06.2006 widerrufen.
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Der Beklagte nahm die Streitigkeiten zwischen den Geschäftsführern hinsichtlich der
Kontoverbindung zum Anlass, u.a. die Erstattungsbeträge zur USt 1999 und 2000 von
insgesamt .......... € am 05.09.2006 beim Amtsgericht C. (Az: .... HL ....../06) unter Verzicht
auf das Rücknahmerecht zu hinterlegen.
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Mit Schreiben vom 23.08.2007 begehrte die Klägerin die Auszahlung des abgetretenen
Betrags. Am 04.10.2007 erließ der Beklagte einen Abrechnungsbescheid nach § 218
Abs. 2 AO, mit dem er feststellte, dass die Klägerin keinen Anspruch auf die USt-
Erstattungen 1999 und 2000 der Z. GmbH habe. Die Abtretung sei nichtig, weil als
Grund "Sicherungsabtretung" angegeben sei, jedoch zum geschäftsmäßigen Erwerb
und Einziehung von zur Sicherung abgetretenen Ansprüchen nur Unternehmen befugt
seien, denen das Betreiben von Bankgeschäften erlaubt sei. Im Übrigen sei selbst dann,
wenn die Abtretungsanzeige wirksam gewesen sei, der Auszahlungsanspruch der
Klägerin durch die Hinterlegung mit Rücknahmeverzicht gem. §§ 376, 378 BGB
erloschen.
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Hiergegen hat die Klägerin Einspruch eingelegt. Sie trug vor, dass die Abtretung der
Steuererstattungsansprüche nicht geschäftsmäßig erfolgt sei. Nähere Angaben dazu,
welches Rechtsgeschäft der Abtretung zugrunde gelegen habe, machte sie allerdings
nicht. Insbesondere reichte sie trotz mehrfacher Aufforderung des Beklagten (s.
Schreiben vom 27.02.2008 und 14.04.2008) den der Abtretung zugrundeliegenden
Vertrag mit der Z. GmbH nicht ein.
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Der Beklagte wies den Einspruch mit Einspruchsentscheidung vom 02.07.2008 zurück.
Zur Begründung führte er an, dass bei der Beurteilung der Frage der
Geschäftsmäßigkeit des Handelns juristischer Personen dem bestehenden
Gesellschaftsvertrag eine erhebliche Bedeutung zukomme. Denn juristische Personen
würden zur Wahrnehmung eines bestimmten Geschäftszwecks gegründet und dürften
sich grundsätzlich nur in dem vorgegebenen Aufgabenfeld betätigen (§§ 3 Abs. 1, Nr. 3
i.V.m. 1 GmbHG). Ausweislich ihres Gesellschaftsvertrags sei Gegenstand des
Unternehmens der Klägerin u.a. die Übernahme von Forderungen, Rechten und
Sicherungsgütern zum Zwecke der Verwertung. Der Unternehmenszweck der Klägerin
bestehe somit insbesondere in der wirtschaftlichen Verwendung der zuvor genannten
Vermögenspositionen. Soweit die Klägerin nun vortrage, bei der vorliegenden Zession
nicht geschäftsmäßig gehandelt zu haben, könne dem kein Gehör geschenkt werden.
Abgesehen von dem pauschalen Vortrag, die Steuererstattungsansprüche nicht
geschäftsmäßig erworben zu haben, bleibe sie jeder weiteren Darlegung schuldig.
Einer solchen habe es aber ihrerseits bedurft. Denn bei lebensnaher Betrachtung
spreche eine Vermutung dafür, dass Handlungen einer Kapitalgesellschaft, die unter
ihren Gesellschaftszweck fallen, auch geschäftsmäßig vorgenommen würden.
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Gegen das Vorliegen einer Sicherheitsabtretung spreche auch die geringe zeitliche
Differenz zwischen der Abtretungsanzeige und der Zahlungsaufforderung an das
Finanzamt. Offensichtlich sei es der Klägerin von Anfang an um die Verwertung der
Forderung gegangen. Aber selbst wenn eine Sicherheitsabtretung vorliegen würde, sei
diese unzulässig, da zur Sicherung abgetretene Ansprüche nur von Unternehmen
geschäftsmäßig erworben und eingezogen werden dürften, denen das Betreiben von
Bankgeschäften erlaubt sei.
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Im Klageverfahren weist die Klägerin darauf hin, dass zwischen Abtretung (15.06.2006)
und erster Zahlungsaufforderung (23.08.2007) immerhin mehr als ein Jahr gelegen habe
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und es sich hierbei wohl kaum um eine "geringe zeitliche Differenz" handele.
Der Beklagte verkenne zudem, dass es sich bei der Abtretung keinesfalls um den
geschäftsmäßigen Erwerb und die geschäftsmäßige Verwertung von
Steuererstattungsforderungen gehandelt habe. Vielmehr liege ein Einzelfall ohne
Wiederholungsabsicht vor. Sie - die Klägerin - habe von der Z. GmbH einen
umfangreichen Beratungsauftrag betreffend die Teilung/Aufspaltung der Gesellschaft
erhalten. Die Abtretung habe der Sicherung der entstandenen und entstehenden
Honoraransprüche gedient. Dies ergebe sich u.a. aus der Auftragsbestätigung vom
15.06.2006 (Bl. 68) über einen Leistungsumfang von mindestens 850 Stunden à ..... €
zzgl. Spesen/Auslagen und Kosten externer Rechtsberatung. Letztlich habe sich ein
Rechnungsbetrag von ........... € ergeben. Bislang sei allerdings nur ein
Rechnungsentwurf (Bl. 84) erstellt worden und keine Rechnung, weil von der Z. GmbH
wegen der Zerstrittenheit derer Gesellschafter/Geschäftsführer eine Zahlung nicht zu
erwarten sei und die Klägerin nicht selbst USt-Schuldner werden wolle.
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Aus diesem Sachverhalt ergebe sich deutlich, dass tatsächlich eine
Sicherungsabtretung vorliege. Folgerichtig sei in dem amtlichen Vordruck auch das Feld
"Sicherungsabtretung" angekreuzt worden. Für diesen Fall stelle der amtliche Vordruck
keine weiteren Anforderungen an die Bestimmung des Abtretungsgrundes, so dass
solche von der Klägerin auch schlechterdings nicht verlangt werden könnten.
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Mit Schriftsatz vom 07.06.2010 führte die Klägerin auf Nachfrage des Gerichts
ergänzend aus, dass der Beratungsauftrag der Z. GmbH aus Dezember 2005 / Januar
2006 stamme und dabei auch die Honorierung und der Umfang der Tätigkeit vereinbart
worden sei. Später, am 15.06.2006, sei sodann die Sicherung des Honorars
dokumentiert worden. Abgeschlossen sei der Auftrag gegen Ende Juli 2007 gewesen.
Zu diesem Zeitpunkt hätten sich die Auseinandersetzungen zwischen den
Gesellschaftern/Geschäftsführern zugespitzt. Auf Nachfrage zu der Bezahlung der
erbrachten Leistungen sei sie – die Klägerin – immer wieder darauf hingewiesen
worden, dass diese aus den abgetretenen Steuererklärungen erfolge.
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Im Laufe des Klageverfahrens hat die Klägerin eine weitere Abtretungsanzeige
eingereicht, wonach diese die Klageforderung von .......... € am 20.11.2008 an ihren
Prozessbevollmächtigten weiter abgetreten hat.
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Die Klägerin beantragt,
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unter Änderung des Abrechnungsbescheids vom 04.10.2007 in Gestalt der
Einspruchsentscheidung vom 02.07.2008 festzustellen, dass der Klägerin ein
Auszahlungsanspruch von .......... € zustand.
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Der Beklagte beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Er hält daran fest, dass die Abtretung unwirksam sei.
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Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten wird auf die Schriftsätze der Beteiligten und die
Steuerakten Bezug genommen.
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Entscheidungsgründe:
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Die Entscheidung ergeht mit Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche
Verhandlung (§ 90 Abs. 2 FGO).
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Die Klage ist zulässig, aber unbegründet.
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Der Abrechnungsbescheid vom 04.10.2007 ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin
nicht in ihren Rechten.
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Der Beklagte ist zu Recht davon ausgegangen, dass die am 19.06.2006 angezeigte
Abtretung unwirksam ist und die Klägerin die in der Abtretungsanzeige genannten
Steuerforderungen mithin nicht erworben hat.
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1. Gem. § 46 Abs. 1 AO können Ansprüche auf Erstattung von Steuern abgetreten
werden. Wirksam wird die Abtretung allerdings erst, wenn sie der zuständigen
Finanzbehörde nach Entstehung des Anspruchs auf einem amtlichen Vordruck unter
Angabe des Abtretenden, des Abtretungsempfängers sowie der Art und Höhe des
abgetretenen Anspruchs und des Abtretungsgrundes angezeigt worden ist (§ 46 Abs. 2
und 3 AO). Die Angabe des Abtretungsgrundes dient u.a. dazu, dem Finanzamt einen
Hinweis darauf zu geben, ob es sich bei der Abtretung um einen geschäftsmäßigen
Erwerb von Erstattungs- oder Vergütungsansprüchen handeln könnte. Denn gem. § 46
Abs. 4 Satz 1 AO ist der geschäftsmäßige Erwerb von Erstattungs- bzw.
Vergütungsansprüchen zum Zwecke der Einziehung und sonstigen Verwertung auf
eigene Rechnung unzulässig. Eine Ausnahme besteht nach § 46 Abs. 4 Satz 2 und 3
AO für die Sicherungsabtretung. Zur Sicherung abgetretene Ansprüche dürfen
geschäftsmäßig erworben und eingezogen werden, allerdings nur von Unternehmen,
denen das Betreiben von Bankgeschäften erlaubt ist. Erfolgt die Sicherungsabtretung
nicht geschäftsmäßig, fällt sie nicht unter die Sondervorschrift des § 46 Abs. 4 AO und
ist nach der Grundvorschrift des § 46 Abs. 1 AO für jedermann erlaubt.
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Bei Zessionaren, denen - wie der Klägerin - das Betreiben von Bankgeschäften nicht
erlaubt ist und die mithin nicht unter das Privileg des § 46 Abs. 4 Satz 2 und 3 AO fallen,
ist somit letztlich allein das Kriterium der Geschäftsmäßigkeit ausschlaggebend für die
Zulässigkeit der Abtretung. Erfolgte die Abtretung geschäftsmäßig, ist sie nach § 46 Abs.
4 Satz 1 AO unzulässig, erfolgte sie dagegen nicht geschäftsmäßig, ist sie erlaubt.
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Geschäftsmäßig i.S. des § 46 Abs. 4 AO handelt, wer die Tätigkeit (Erwerb von
Forderungen) selbständig und mit der Absicht, sie zu wiederholen, ausübt. Für eine
Wiederholungsabsicht im Sinne dieser Auslegung spricht, wenn für den Erwerb von
Erstattungsansprüchen organisatorische Vorkehrungen getroffen werden, wie z.B. das
Bereithalten vorformulierter Abtretungserklärungen, die allerdings nicht notwendige
Voraussetzung für die Geschäftsmäßigkeit sind. Eine entscheidende Rolle bei der
Beurteilung der Geschäftsmäßigkeit spielen in der Regel die Zahl der Erwerbsfälle und
der Zeitraum ihres Vorkommens. Vereinzelte, nur gelegentlich und anlässlich besonders
begründeter Einzelfälle vorgenommene Abtretungen sind regelmäßig nicht als
geschäftsmäßig anzusehen (st. Rspr. vgl. BFH, Urteil vom 05.02.2005 – VIII R 54/04,
BStBl II 2006, 348 m.w.N.). Für die Beurteilung der Geschäftsmäßigkeit des
Forderungserwerbs kommt es somit stets auf die Umstände des Einzelfalls an.
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Hinsichtlich der Prüfung, ob Geschäftsmäßigkeit vorliegt, ist der Kenntnisstand des
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Finanzamts bei Eingang der Abtretungsanzeige maßgebend. Die Abtretungsanzeige ist
eine einseitige empfangsbedürftige Willenserklärung, die nach § 133 BGB
auslegungsfähig ist. Nach den zu dieser gesetzlichen Bestimmung entwickelten
Rechtsgrundsätzen ist entscheidend, wie das Finanzamt als Erklärungsempfänger die
Abtretungsanzeige nach ihrem objektiven Erklärungswert verstehen musste. Bei der
Ermittlung des in der Abtretungsanzeige verkörperten Willens können nur solche
Umstände berücksichtigt werden, die für das Finanzamt als Empfänger im Zeitpunkt des
Zugangs der Erklärung erkennbar gewesen sind. Umstände, die erst nach Zugang der
Erklärung zutage treten, können keine Beachtung finden (vgl. BFH, Urteil vom
05.10.2004 – VII R 37/03, BStBl II 2005, 238).
Im Streitfall ist folglich maßgebend, wie der Beklagte die Abtretungsanzeige im
Zeitpunkt ihres Zugangs, also am 19.06.2006, verstehen musste und ob zu diesem
Zeitpunkt aus der Sicht eines objektiven Empfängers hinreichende Anhaltspunkte
vorgelegen haben, die gegen einen geschäftsmäßigen Erwerb des
Steuererstattungsanspruchs durch die Klägerin gesprochen haben.
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Daran fehlt es. Umstände, aus denen der Beklagte den Schluss hätte ziehen können,
dass die Klägerin den Erstattungsanspruch nicht geschäftsmäßig erwerben wollte,
waren für ihn im Zeitpunkt des Zugangs der Abtretungsanzeige nicht erkennbar.
Insbesondere ergab sich aus dem bloßen Ankreuzen des Feldes "Sicherungsabtretung"
nicht, dass diese nicht geschäftsmäßig erfolgt ist. Weitere Angaben zu dem der
Abtretung zugrunde liegenden schuldrechtlichen Lebenssachverhalt – wobei kurze
stichwortartige Kennzeichnungen grundsätzlich genügen (BFH, Urteil vom 13.11.2001 -
VII R 107/00, BStBl II 2002, 402) – enthielt die Abtretungsanzeige nicht. Auch die
außerhalb der Abtretungsanzeige erkennbaren Indizien reichten nicht aus, um eine
Geschäftsmäßigkeit verneinen zu können. Zwar mag es sich bei der
streitgegenständlichen Abtretung möglicherweise um den ersten Erwerb von
Steuerforderungen seitens der Klägerin gehandelt haben; jedoch kann auch schon der
erstmalige Erwerb in Wiederholungsabsicht und damit geschäftsmäßig erfolgt sein. Dies
gilt erst recht, wenn es sich bei dem Zessionar – wie hier – um eine GmbH handelt, zu
deren Geschäftszweck ausdrücklich die "Übernahme von Forderungen, Rechten und
Sicherungsgütern zum Zwecke der Verwertung" gehört.
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Ist - wie hier - anhand der Abtretungsanzeige nicht nachprüfbar, ob ein Fall des
geschäftsmäßigen Erwerbs i.S. des § 46 Abs. 4 Satz 1 AO gegeben ist, hat dies zur
Folge, dass die Anzeige an einem Formmangel leidet, der zur Unwirksamkeit der
Abtretung führt (§ 46 Abs. 2 AO). An der Unwirksamkeit der Abtretung ändert auch die
nachträgliche Bezeichnung des Abtretungsgrundes durch den Prozessbevollmächtigten
der Klägerin nichts. Denn die nach § 46 Abs. 3 AO geforderten Angaben zum
Abtretungsgrund können, jedenfalls wenn Angaben zum Lebenssachverhalt völlig
fehlen, nicht nachgeholt werden (vgl. BFH, Urteil vom 05.10.2004 – VII R 37/03, BStBl
II 2005, 238).
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2. Die Wirksamkeit der Abtretungsanzeige kann auch nicht aus dem Grundsatz von Treu
und Glauben hergeleitet werden. Zwar mag die Gestaltung des amtlichen Vordrucks,
welcher in der Rubrik "Grund der Abtretung / Verpfändung" lediglich die Auswahl
zwischen "Sicherungsabtretung (Ankreuzfeld) oder ___________ (Freitext)" bietet, in
der Klägerin die Vorstellung erweckt haben, dass es bei Ankreuzen des Feldes
"Sicherungsabtretung" keiner weiteren Angaben zum Lebenssachverhalt mehr bedarf.
Der Einwand der Klägerin, der Vordruck verleite geradezu zu unvollständigen Angaben,
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ist nicht aus der Luft gegriffen.
Ob eine hieraus resultierende "Mitveranlassung" der Finanzverwaltung an der Abgabe
unvollständiger Abtretungsanzeigen überhaupt dazu führen kann, dass eine
unwirksame Abtretungsanzeige als wirksam zu gelten hat, ist zweifelhaft. Selbst wenn in
derartigen Fällen der Rückgriff auf den Grundsatz von Treu und Glauben Beachtung
finden sollte, so kann sich zumindest die Klägerin nicht auf Treu und Glauben berufen.
Denn schutzbedürftig wäre sie nur dann, wenn tatsächlich eine Sicherungsabtretung
vorlag. Wurde das Feld "Sicherungsabtretung" dagegen zu Unrecht angekreuzt - hätte
die Klägerin also richtigerweise den Grund der Sicherungsabtretung freihändig
eintragen müssen -, beruht die Unvollständigkeit der Abtretungsanzeige nicht allein auf
der missverständlichen Vordruckgestaltung, sondern auf einer falschen rechtlichen
Würdigung durch die Klägerin, für die sie allein die Verantwortung trägt.
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Im Streitfall hat die Klägerin das Feld "Sicherungsabtretung" zu Unrecht angekreuzt.
Denn eine Sicherungsabtretung lag nicht vor.
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Eine Sicherungsabtretung ist grundsätzlich dadurch gekennzeichnet, dass der
Abtretungsempfänger die Forderung nicht behalten, sondern sie nur vorübergehend für
den Abtretenden zu Sicherungszwecken innehaben soll. Dementsprechend wird in der
Regel eine Sicherungsabtretung nur dann angenommen werden können, wenn der
Sicherungsnehmer Befriedigung zunächst aus dem zu sichernden Anspruch suchen
muss und sich erst nach Erfolglosigkeit dieser Bemühung aus der Sicherung befriedigen
darf. Ein Rückgriff auf die gestellte Sicherheit zur Verwertung kommt sonach nur
subsidiär, d. h. nur bei nicht vertragsgemäßer Erfüllung von Verpflichtungen des
Abtretenden gegenüber dem Abtretungsempfänger, in Betracht. Anders zu beurteilen ist
dagegen die von der Sicherungsabtretung zu unterscheidende Abtretung
erfüllungshalber. Diese Abtretung hat in erster Linie Befriedigungsfunktion. Der
Abtretungsempfänger erhält zusätzlich zu dem bisherigen Primäranspruch eine weitere
Befriedigungsmöglichkeit, die bei Inanspruchnahme nach dem Willen der
Vertragsparteien zur Tilgung der Primärschuld führt.
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Bei der Prüfung der Frage, ob eine Sicherungsabtretung vorliegt, ist ein strenger
Maßstab anzulegen. Nach der Rechtsprechung des BFH ist unter Berücksichtigung des
Gesetzeszwecks, dem Handel mit Lohnsteuererstattungsansprüchen entgegen zu
wirken, eine Sicherungsabtretung i.S. § 46 Abs.4 AO nur dann anzunehmen, wenn der
Sicherungszweck in einem solchen Maße überwiegt, dass andere Motive der Beteiligten
nur eine untergeordnete Rolle spielen. Insbesondere muss es als ausgeschlossen
angesehen werden können, dass sich der Abtretende durch den Vertrag seiner
Steuererstattungsforderung begeben wollte (BFH, Urteil vom 03.02.1984 - VII R 72/82,
BStBl II 1984, 411). Ob dies der Fall ist, ist nicht allein nach dem Wortlaut des
Kreditvertrages zu beurteilen, sondern es ist auf die gesamten Umstände, unter denen
die Geschäftsbeziehungen begründet worden sind, und auf ihren wirtschaftlichen
Zusammenhang abzustellen (BFH, Urteil vom 21.02.1989 – VII R 7/86, BFH/NV 1989,
555 m.w.N.).
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Im Streitfall erscheint es bei Würdigung der Gesamtumstände so gut wie
ausgeschlossen, dass eine Sicherungsabtretung vereinbart war. Denn die USt-
Erstattungsansprüche 1999 und 2000 waren im Zeitpunkt der Abtretung, d.h. am
15.06.2006, schon festgesetzt (Bescheide vom 06.06.2006) und ihre Auszahlung stand
unmittelbar bevor. Zumindest einer der Geschäftsführer hatte – offensichtlich in Kenntnis
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der unmittelbar bevorstehenden Änderungsbescheide – erst noch mit Schreiben vom
29.05.2006 dem Finanzamt eine Auszahlungsanweisung erteilt. Ist dem Zessionar
und/oder dem Zedenten bekannt, dass die abgetretene Forderung unmittelbar zur
Auszahlung ansteht, kann ein Sicherungszweck bei der Abtretung schon deshalb nicht
überwiegen, weil bekannt ist bzw. erwartet wird, dass das Sicherungsgut - die
Steuerforderung - alsbald nicht mehr existent sein wird und mithin alsbald auch keine
Sicherungsfunktion mehr erfüllen kann. Nach der Auszahlung steht als etwaiges
Sicherungsgut nur noch der ausgezahlte Geldbetrag zur Verfügung. Es wäre jedoch
lebensfremd anzunehmen, dass der Zessionar in einer derartigen Konstellation nach
den Vorstellungen der Beteiligten zunächst die Beitreibung der gesicherten Forderung,
hier des Honoraranspruchs, verfolgen soll und sich erst nach Erfolglosigkeit dieser
Bemühungen aus dem ihm schon vorliegenden Geldbetrag befriedigen darf. Vielmehr
wird es typischerweise dem Willen der Beteiligten entsprechen, dass sich der Zessionar
unmittelbar aus dem überwiesenen Betrag befriedigen soll. Bei dieser Ausgangslage ist
die Abtretung jedoch gerade nicht zur Sicherung eines anderen Anspruchs erfolgt,
sondern erfüllungshalber
Dass sich die Auszahlung der USt-Erstattungsansprüche aus von der Klägerin und der
Z. GmbH nicht vorhersehbaren Umständen letztlich verzögert hat, ändert am Wesen der
Abtretung als erfüllungshalber nichts. Denn maßgebend für die Beurteilung, ob eine
Sicherungsabtretung oder eine Abtretung erfüllungshalber vorliegt, sind allein die
Umstände und Vorstellungen der Parteien, wie sie bei Wirksamwerden der
Abtretungsanzeige vorlagen. Spätere Modifikationen der Abtretung haben auf eine
bereits abgegebene Abtretungsanzeige keinen Einfluss. Am 15.06.2010 war jedoch
weder bekannt noch absehbar, dass der Beklagte die USt-Erstattungsansprüche 1999
und 2000 nicht alsbald auszahlen würde.
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3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO. Die Revision wurde zur
Fortbildung des Rechts zugelassen (§ 115 Abs. 2 Nr. 2 FGO).
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