Urteil des FG Münster vom 10.08.2006

FG Münster: eltern, unterhaltspflicht, leistungsfähigkeit, auszahlung, haushalt, verfügung, heizung, form, werkstatt, bestimmungsrecht

Finanzgericht Münster, 14 K 4461/05 Kg
Datum:
10.08.2006
Gericht:
Finanzgericht Münster
Spruchkörper:
14. Senat
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
14 K 4461/05 Kg
Tenor:
Die Einspruchsentscheidung vom 10. Oktober 2005 wird aufgehoben
und die Beklagte verpflichtet, die Klägerin unter Beachtung der
Rechtsauffassung des Senates neu zu bescheiden. Im Übrigen wird die
Klage abgewiesen.
Die Kosten des Rechtsstreites trägt die Beklagte. Die außergerichtlichen
Kosten des Beigeladenen werden nicht erstattet.
Gründe
1
I.
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Die Beteiligten streiten über die Abzweigung von Kindergeld.
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Die Klägerin gewährt den Kindern B***** U (geb. x. September 1971) und N***** U*****
(geb. x. November 1979) seit dem 1. April bzw. 1. Mai 2004 Leistungen der
Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung. Dies erfolgte zunächst nach dem
Grundsicherungsgesetz (GSiG), seit dem 1. Januar 2005 beruhen die Leistungen auf
den Regelungen des 4. Kapitels des 12. Buches des Sozialgesetzbuches (SGB XII).
B***** und N***** leben im Haushalt ihrer Eltern. Sie arbeiten in der Werkstatt
"D**********" für behinderte Menschen.
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Bis zum 31. März 2005 rechnete die Klägerin bei der Bemessung der Leistung nicht nur
das Einkommen der Kinder aus ihrer Beschäftigung in der Werkstatt "B**********" an,
sondern auch das für sie ihrem Vater (dem Beigeladenen) gezahlte Kindergeld.
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Gegen die Berücksichtigung des Kindergeldes als Einkommen der Kinder hat der
Beigeladene, der zugleich auch der Betreuer (§§ 1897 ff. Bürgerliches Gesetzbuch -
BGB) der Kinder ist, im Februar 2005 Widerspruch eingelegt. Zur Begründung führte er
an, dass er seit dem 1. Januar 2005 Arbeitslosengeld II erhalte. Auf den Bedarf des
Lebensunterhaltes werde ebenfalls das Kindergeld für die beiden Kinder angerechnet.
Da er das Kindergeld zur Deckung des eigenen Lebensbedarfes benötige, bitte er, die
Grundsicherungsleistungen der Kinder ohne Anrechnung des Kindergeldes zu
gewähren.
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Die Klägerin gab dem Widerspruch statt. Sie beantragte zugleich mit Schreiben vom 9.
März 2005 bei der Beklagten die Abzweigung des Kindergeldes, da der Beigeladene
den Lebensunterhalt der Kinder nicht, auch nicht teilweise sicherstelle. Die Beklagte
lehnte den Abzweigungsantrag am 18. März 2005 ab. Zur Begründung verwies sie
darauf, dass eine Unterhaltspflichtverletzung der Eltern nicht bestehe. Durch die
Haushaltsaufnahme der Kinder werde in ausreichender Höhe Unterhalt gewährt.
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Der hiergegen gerichtete Einspruch blieb ohne Erfolg (Einspruchsentscheidung vom 10.
Oktober 2005). Zur Begründung verwies die Beklagte erneut darauf, dass der
kindergeldberechtigte Elternteil seine Unterhaltspflicht erfülle. Der Umfang der
Unterhaltsleistungen erreiche das auf das Kind entfallende Kindergeld. Die Kinder
lebten im Haushalt des Kindesvaters. Mindestens durch die Gewährung der Unterkunft
erfülle der Kindergeldberechtigte seine Unterhaltspflicht.
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Mit der hiergegen gerichteten Klage verfolgt die Klägerin ihr Begehren weiter. Zur
Begründung trägt sie vor:
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Die Eltern der Kinder, die seit Jahren arbeitslos seien und von öffentlichen Leistungen
lebten, seien mangels Leistungsfähigkeit nicht unterhaltspflichtig. Damit seien die
Voraussetzungen für eine Abzweigung des Kindergeldes gem. § 74 Abs. 1
Einkommensteuergesetz (EStG) erfüllt.
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Unbeachtlich sei, ob die Eltern ihren Kindern freiwillig Unterhalt gewährten. Zudem
werde von den Eltern nicht dargelegt, dass sie Unterhaltsleistungen in bar oder natura
erbrächten. Wäre dies der Fall, müssten diese leistungsmindernd auf die Ansprüche der
Kinder auf Grundsicherungsleistungen nach dem SGB XII angerechnet werden.
Insoweit entbehre die Behauptung der Beklagten, der kindergeldberechtigte Elternteil
erfülle seine Unterhaltspflicht und der Umfang der Leistungen erreiche die Höhe des
Kindergeldes, jeder Grundlage. Dies gelte insbesondere in Bezug auf die Behauptung,
der Beigeladene gewähre den Kindern Unterkunft. Zwar habe der Beigeladene die
Kinder in seine Wohnung aufgenommen, jedoch entstünden hierfür keine Kosten. Der
auf die Kinder entfallende Anteil an Kosten für Unterkunft und Heizung werde in die
Leistung der Grundsicherung nach dem SGB XII einbezogen und an den Beigeladenen
ausgezahlt. Dementsprechend seien bei der Bemessung der den Eltern gewährten
Grundsicherung nach dem SGB II auch nur die verbleibenden, auf die Eltern
entfallenden Kosten der Unterkunft und Heizung berücksichtigt. Der Beigeladene und
dessen Ehefrau hätten gar nicht die wirtschaftlichen Mittel, um den Kindern Unterkunft
im unterhaltsrechtlichen Sinne zu gewähren. Die Vorschriften des § 74 Abs. 1 Satz 1
und Abs. 2 EStG bezögen sich eindeutig auf materielles Unterhaltsrecht, d. h. auf die
Pflicht zur Gewährung von Bar- und Naturalunterhalt. Der Kindergeldberechtigte, der
lediglich über die Leistungen für Arbeitssuchende verfüge, sei danach aber nicht
unterhaltsverpflichtet.
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Unberücksichtigt müsse demgegenüber bleiben, dass der Beigeladene bzw. dessen
Ehefrau möglicherweise Unterhalt in Form von Betreuungsleistungen für ihre Kinder
erbrächte. Dies ergebe sich, wie der Bundesfinanzhof in seiner Entscheidung vom 16.
April 2002 (VIII R 50/01) bestätigt habe, aus dem Sinn der gesetzlichen Regelung.
Durch sie solle sichergestellt werden, dass auch ohne eine Verletzung von
Unterhaltspflichten durch den Kindergeldberechtigten, wie sie in § 74 Abs. 1 Satz 1
EStG gefordert werde, das Kindergeld nicht dem Unterhalt der Eltern diene, sondern
dem Kind zugute komme. So liege auch der Streitfall. Das Kindergeld werde auf den
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Bedarf des Beigeladenen an Arbeitslosengeld II als Einkommen angerechnet und
müsse daher von diesem zur Bestreitung des notwendigen Lebensunterhaltes
verbraucht werden. Der Kindergeldberechtigte gebe das Kindergeld nicht an seine
Kinder zur Deckung deren Lebensunterhaltes weiter, so dass eine Berücksichtigung des
Kindergeldes als Einkommen der Kinder bei der Gewährung der Grundsicherung nach
dem SGB XII ausscheide (vgl. BVerwG Urteil vom 28. April 2005, 5 C 28/04; SG
Gelsenkirchen S 8 SO 20/05). Dementsprechend bleibe das Kindergeld Einkommen
des Beigeladenen und führe zur Minderung des Anspruchs auf Arbeitslosengeld II.
Im Streitfall sei von einer Ermessensreduzierung auf Null auszugehen, denn allein die
Abzweigung und Auszahlung des festgesetzten Kindergeldes an sie – die Klägerin – sei
ermessensfehlerfrei.
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Die Klägerin beantragt,
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die Beklagte unter Aufhebung des Ablehnungsbescheides vom 18. März
2005 und der Einspruchsentscheidung vom 10. Oktober 2005 zu
verpflichten, das Kindergeld für die Kinder B***** U***** und N***** U***** ab
dem 1. April 2005 an die Klägerin auszuzahlen.
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Die Beklagte beantragt,
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die Klage abzuweisen,
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hilfsweise für den Fall des Unterliegens die Revision zuzulassen.
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Sie ist der Ansicht, die begehrte Abzweigung scheide aus, da der kindergeldberechtigte
Elternteil seine Unterhaltspflicht erfülle. Der Umfang der Unterhaltsleistungen erreiche
das auf das Kind entfallende Kindergeld. Die Kinder lebten im Haushalt des
Kindergeldberechtigten. Mindestens durch die Gewährung der Unterkunft erfülle der
Kindergeldberechtigte seine Unterhaltspflicht.
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Gegen den der Klage teilweise stattgebenden Gerichtsbescheid vom 7. Juni 2006 hat
die Beklagte einen Antrag auf Durchführung der mündlichen Verhandlung gestellt. Zur
Begründung verweist sie im Wesentlichen auf ihre bisherigen Ausführungen. Sie meint,
dass die Betreuung eines Kindes durch einen Elternteil als Unterhaltsleistung zu
berücksichtigen sei. Die Kinder würden durch den Beigeladenen, der
Betreuungsaufwand leiste und sie materiell versorge, tatsächlich unterhalten. Eine
Abzweigung widerspreche außerdem den vorliegenden Weisungen zu § 74 EStG.
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Mit Beschluss vom 21. April 2006 ist der kindergeldberechtigte Vater zum Verfahren
beigeladen (§ 60 Abs. 3 Finanzgerichtsordnung – FGO) worden.
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Der Senat hat am 10. August 2006 mündlich verhandelt. Auf die Sitzungsniederschrift
wird verwiesen.
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II.
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Der Senat konnte mündlich verhandeln und in der Sache entscheiden. Die im Termin
nicht erschienenen Verfahrensbeteiligten waren ordnungsgemäß zum Termin geladen
und gem. § 91 Abs. 2 FGO über die Folgen eines Nichterscheinens belehrt worden.
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Die Klage ist teilweise begründet.
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Die Beklagte wird gem. § 101 Satz 2 FGO verpflichtet, die Klägerin unter Beachtung der
Rechtsauffassung des Gerichtes neu zu bescheiden. Die Einspruchsentscheidung vom
10. Oktober 2005 ist ermessensfehlerhaft. Soweit die Klägerin darüber hinaus die
Abzweigung des Kindergeldes begehrt hat, ist die Klage ohne Erfolg, da ein Fall der
Ermessensreduzierung auf Null, der dem Gericht eine über § 102 FGO hinausgehende
Entscheidung erlaubt hätte, nicht vorliegt.
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Bei der Ablehnung der von der Klägerin begehrten Abzweigung des Kindergeldes
handelt es sich um eine Ermessensentscheidung der Beklagten. Gem. § 74 Abs. 1 EStG
kann das Kindergeld bei Vorliegen bestimmter Voraussetzungen auch an die Person
oder Stelle erfolgen, die dem Kind Unterhalt gewährt. Nach § 102 FGO können
Ermessensentscheidungen vom Finanzgericht nur darauf überprüft werden, ob die
gesetzlichen Grenzen des Ermessens überschritten sind oder von dem Ermessen in
einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht ist
(vgl. z.B. BFH Urteil vom 16. Juli 1997 XI R 32/96, BStBl II 1998, 7). Dies ist im Streitfall
anzunehmen, denn die Beklagte hat verkannt, dass der Beigeladene mangels
Leistungsfähigkeit nicht unterhaltspflichtig ist und etwaige Sach- und
Betreuungsleistungen der Eltern keine Gewährung von Unterhalt darstellen.
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Nach § 74 Abs. 1 Satz 1 EStG kann das für ein Kind festgesetzte Kindergeld an das
Kind ausgezahlt werden, wenn der Kindergeldberechtigte ihm gegenüber seiner
gesetzlichen Unterhaltspflicht nicht nachkommt. Dies gilt nach Satz 3 auch dann, wenn
der Kindergeldberechtigte mangels Leistungsfähigkeit nicht unterhaltspflichtig ist oder
nur Unterhalt in Höhe eines Betrages zu leisten braucht, der geringer ist als das für die
Auszahlung in Betracht kommende Kindergeld. Die Auszahlung kann gem. Satz 4 auch
an die Person oder Stelle erfolgen, die dem Kind Unterhalt gewährt. Satz 4 der
Regelung bewirkt eine Erweiterung der für eine Auszahlung in Betracht kommenden
Auszahlungsempfänger. Bei Vorliegen der tatbestandlichen Voraussetzungen der Sätze
1 oder 3 für eine Auszahlung an das Kind kann die Auszahlung stattdessen auch an die
den Unterhalt gewährende Person oder Stelle erfolgen (vgl. z.B. BFH Urteil vom 25. Mai
2004 VIII R 21/03, BFH/NV 2005, 171 mwN).
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Im Streitfall ist der Tatbestand des § 74 Abs. 1 Satz 3 EStG erfüllt. Diese Vorschrift setzt
- anders als Satz 1 - keine Verletzung der Unterhaltpflicht voraus, sondern erfasst den
Sachverhalt, dass der Kindergeldberechtigte wegen fehlender Leistungsfähigkeit
entweder überhaupt keinen Barunterhalt oder einen niedrigeren Unterhalt als das
Kindergeld zahlen muss (vgl. z.B. BFH Urteil vom 25. Mai 2004 VIII R 21/03, BFH/NV
2005, 171 mwN).
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Der Beigeladene ist unstreitig mangels Leistungsfähigkeit nicht barunterhaltspflichtig.
Dies gilt gleichermaßen für die Kindesmutter.
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Ohne Belang ist demgegenüber, ob der Beigeladene oder die Kindesmutter – obwohl
dazu nicht verpflichtet – möglicherweise Sachleistungen an die Kinder erbracht haben.
Soweit die Beklagte dargelegt hat, der Beigeladene gewähre den Kindern jedenfalls
Unterkunft und erfülle so die bestehende Unterhaltspflicht, verkennt sie, dass es nach
dem ausdrücklichen Wortlaut des § 74 Abs. 1 Satz 3 EStG für die Entscheidung, das
Kindergeld an die dem Kind Unterhalt gewährende Person auszuzahlen, ausreicht,
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dass der Kindergeldberechtigte mangels Leistungsfähigkeit nicht unterhaltspflichtig ist.
Dass tatsächlich kein Unterhalt gezahlt wird, ist gerade nicht erforderlich. Daneben
übersieht die Beklagte, dass die Kosten der Unterkunft der Kinder von den Leistungen
der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung erfasst sind (§ 42 SGB XII) und
dementsprechende Aufwendungen für den Beigeladenen nicht entstehen.
Unabhängig davon stellen etwaige seitens des Beigeladenen erbrachte Sach- bzw.
Betreuungsleistungen keine Gewährung von Unterhalt dar, da sie entgegen § 1612 Abs.
1 BGB nicht in Form der Geldrente gezahlt werden. Eine Berufung auf die Regelung des
§ 1612 Abs. 2 Satz 1 BGB, wonach Eltern ein Bestimmungsrecht haben, in welcher Art
und für welche Zeit im Voraus der Unterhalt gewährt werden soll, ist im Streitfall
ausgeschlossen. Zum einen gilt diese Regelung bereits nach dem Wortlaut nur für
Eltern, die einem "unverheirateten Kind Unterhalt zu gewähren haben", d.h. für zum
Unterhalt verpflichtete Eltern. Zum anderen steht den Eltern ein Bestimmungsrecht gem.
§ 1612 Abs. 2 Satz 1 BGB auch nur dann zu, wenn sie für den gesamten Lebensbedarf
des Kindes aufkommen. Einzelne Naturalleistungen hingegen können nicht an die
Stelle der gesetzlich vorgesehenen monatlichen Geldleistungen treten
(Palandt/Diederichsen Bürgerliches Gesetzbuch, § 1612 Rz 13, BGH Urteil vom 25.
November 1992, XII ZR 164/91, FamRZ 1993, 417, vgl. auch BGH Urteil vom 25. April
2006 VI ZR 114/05, juris; aA wohl Hessisches FG Urteil vom 9. August 2004, 3 K
3524/02, juris).
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Mithin hatte die Beklagte gem. § 74 Abs. 1 EStG unter Ausübung des ihr eingeräumten
Ermessens darüber zu befinden, ob das Kindergeld an die Klägerin, die für den
Unterhalt der Kinder aufkommt, abzuzweigen ist. Die Beklagte ist dieser Pflicht nicht
nachgekommen. Sie ist fälschlicherweise davon ausgegangen, dass der Beigeladene
seiner Unterhaltsverpflichtung durch Gewährung von Unterkunft bzw.
Betreuungsleistungen nachkommt, und sah daher offenbar gar keine Möglichkeit für
eine Abzweigung des Kindergeldes an die Klägerin.
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Zu einer solchen Entscheidung war die Beklagte auch nicht durch eine sie bindende
Verwaltungsanweisung veranlasst. Vielmehr sieht die Dienstanweisung zur
Durchführung des Familienlastenausgleichs nach dem X. Abschnitt des
Einkommensteuergesetzes (DA-FamEStG, Stand August 2004) unter DA 74.1.1., Abs. 1
Satz 4 ausdrücklich vor, dass Kindergeld auch dann abgezweigt werden kann, wenn der
Berechtigte mangels Leistungsfähigkeit gegenüber dem Kind nicht unterhaltsverpflichtet
ist (§ 1603 BGB). Auch aus DA 74.1.1. Abs. 3 ergibt sich keine die Beklagte für den
Streitfall bindende Weisung. Die dortigen Darlegungen zu der Frage von
Unterhaltsaufwendungen für vollstationär untergebrachte volljährige behinderte Kinder
betreffen weder einen dem Streitfall gleichgelagerten Sachverhalt, noch treffen sie
Aussagen zu dem Fall, dass keine gesetzliche Unterhaltspflicht besteht. Schließlich
lassen auch die "Wichtigen Hinweise für die Familienkassen März 2006 – Nr. 3" keine
die Beklagte bindende Weisung erkennen. Die Darlegungen unter Ziffer 4 beziehen sich
auf den Fall des vollstationär untergebrachten volljährigen behinderten Kindes.
Außerdem – so die Verfügung – ist in den Fällen, in denen von einem Elternteil keinerlei
Unterhalt (d. h. weder materiell noch immateriell) geleistet wird, das Kindergeld
abzuzweigen. Die Regelung spricht demnach eine Abzweigungspflicht für bestimmte
Fälle aus und trifft - folgte man der Einschätzung der Beklagten, dass der Beigeladene
Naturalunterhalt leistet - auch einen anderen Fall. Wie in dem Streitfall gleichgelagerten
Fällen zu verfahren ist, lässt die Verfügung hingegen offen.
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Allerdings ist der Senat nicht der Auffassung, dass im Streitfall einzig und allein eine
Ermessensentscheidung, nämlich die, das Kindergeld in vollem Umfang an die Klägerin
auszuzahlen (sog. Ermessensreduzierung auf Null), rechtmäßig wäre.
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Der Bundesfinanzhof hat es in seiner Entscheidung vom 25. Mai 2004 (VIII R 21/03,
BFH/NV 2005, 171) als nicht für von vorneherein ausgeschlossen erachtet, dass es
vertretbar und damit ermessensgerecht i. S. des § 5 der Abgabenordnung (AO) sein
könnte, diejenigen Überlegungen in die Ermessenserwägungen einzubeziehen, die
dem § 76 Abs. 2 Nr. 5 des Bundessozialhilfegesetzes in der ab Mai 2002 gültigen
Fassung zugrunde liegen. Nach dieser Vorschrift wird bei Sozialhilfeempfängern mit
einem Kind das Kindergeld in Höhe von 10,25 € nicht als Einkommen angerechnet. Das
bedeute - so der Bundesfinanzhof - dass dieser Teil des gesamten Kindergeldes den
Eltern zugute kommen solle, wenn sie ihr Kind betreuen. In diesem Sinne könnte sich
auch im Streitfall die Frage stellen, ob das Kindergeld teilweise als Einkommen des
Beigeladenen anzusehen ist, sofern er die Kind betreut (vgl. § 11 SGB 2, § 82 SGB XII),
und daher eine Abzweigung des Kindergeldes an die Klägerin nur teilweise geboten ist.
Dies wird die Beklagte bei ihrer neuerlichen Entscheidung zu berücksichtigen haben.
Ebenso wird die Beklagte vor einer neuerlichen Entscheidung den Sachverhalt weiter
aufzuklären, d. h. insbesondere Art und Umfang etwaiger Unterhaltsleistungen des
Beigeladenen zu ermitteln haben. Auch die hierzu gewonnenen Erkenntnisse sind in
die anzustellende Ermessensentscheidung einzubeziehen.
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 136 Abs. 1 Satz 3 FGO. Die Klägerin ist mit ihrem
Begehren nicht in vollem Umfang erfolgreich gewesen. Statt der in erster Linie
erstrebten Verpflichtung des Beklagten zur begehrten vollständigen Abzweigung des
Kindergeldes hat sie nur ein Bescheidungsurteil erstritten (§ 101 Satz 2 FGO). In diesen
Fällen ist zwar regelmäßig eine Kostenteilung angebracht (BFH-Urteile vom 1. Februar
1977 VII R 62/75, BFHE 121, 371, 378, BStBl II 1977, 370, 373; vom 25. April 1978 VII R
24/74, BFHE 125, 129, 138, und vom 26. Januar 1988 VIII R 151/84, BFH/NV 1988, 695,
vgl. auch Gräber 6. Aufl., § 101 FGO Rn 8 mwN). Dies gilt insbesondere deshalb, weil
das Ergebnis der weiteren Ermessensentscheidung der Behörde in der Regel offen ist.
Im Streitfall hingegen ist zu berücksichtigen, dass die neuerliche Entscheidung der
Beklagten nach derzeitigem Sach- und Streitstand zu einem vollständigen oder aber
überwiegenden Erfolg der Klägerin führen dürfte, so dass das Unterliegen der Klägerin
im Ergebnis als geringfügig im Sinne des § 136 Abs. 1 Satz 3 FGO anzusehen ist. Die
außergerichtlichen Kosten des Beigeladenen sind nicht zu erstatten (§ 139 Abs. 4 FGO).
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Die Zulassung der Revision war mangels Vorliegens der Voraussetzungen des § 115
FGO nicht geboten, insbesondere kommt der Entscheidung keine grundsätzliche
Bedeutung zu (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO). Die Feststellungen des Senates zur
Ermessensfehlerhaftigkeit der Entscheidung der Beklagten sind durch die Umstände
des konkreten Einzelfalles geprägt. Zudem ist nicht ersichtlich, dass die Entscheidung
des Gerichtes Weisungen der Verwaltung widerspricht.
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