Urteil des FG Münster vom 08.06.2005

FG Münster: anwendbares recht, billigkeit, abgabenordnung, rechtsmittelfrist, einziehung, steuerfestsetzung, steuererklärung, ermessensfehler, geschäft, einzug

Finanzgericht Münster, 1 K 5607/03 E
Datum:
08.06.2005
Gericht:
Finanzgericht Münster
Spruchkörper:
1. Senat
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
1 K 5607/03 E
Tenor:
Die Klage wird abgewiesen.
Die Kosten des Rechtsstreits trägt der Kläger.
G r ü n d e:
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Streitig ist, ob der Beklagte (Bekl.) einen Erlassantrag ermessensfehlerfrei abgelehnt
hat.
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Der verheiratete Kläger (Kl.) wird zusammen mit seiner Ehefrau zur Einkommensteuer
(ESt) veranlagt.
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Der Kl. ist außerdem Beteiligter der Grundstücksgemeinschaft N / O .
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Mit notariellem Vertrag vom 25.01.1999 veräußerte die Grundstücksgemeinschaft eine
Teilfläche eines in 1995 erworbenen Grundstücks. In der Erklärung zur gesonderten und
einheitlichen Feststellung von Besteuerungsgrundlagen für die Besteuerung 1999
erklärte die Grundstücksgemeinschaft einen Veräußerungsgewinn aus diesem Geschäft
i.H.v. 62.654 DM. Den hälftigen Veräußerungsgewinn i.H.v. 31.327 DM erklärte der Kl.
in seiner ESt-Erklärung für 1999 als Einkünfte aus einem privaten
Veräußerungsgeschäft.
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Der Bekl. führte die Veranlagung für 1999 mit ESt-Bescheid vom 06.09.2000
antragsgemäß durch. Der ESt-Bescheid wurde bestandskräftig.
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Mit Schreiben vom 09.10.2001 beantragte der Kl. den Erlass der auf den Verkauf des
Grundstücksanteils entfallenden Steuer. Zur Begründung führte er aus, die Steuerpflicht
für private Veräußerungsgeschäfte sei im März 1999 für alle Veräußerungsgeschäfte ab
dem 01.01.1999 eingeführt worden. Zwischenzeitlich seien verschiedene Verfahren
anhängig, die in dieser Regelung einen Verstoß gegen das Rückwirkungsverbot sähen.
Da er seine Steuererklärung pünktlich eingereicht habe, könne es nicht richtig sein,
dass er deshalb jetzt schlechter gestellt werde, als jemand, der seine Steuererklärung
erst Jahre später einreiche.
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Der Bekl. lehnte den Erlassantrag mit Schreiben vom 31.10.2001 ab. Zur Begründung
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wies er darauf hin, dass der Kl. sich mit dem Erlassantrag im Ergebnis gegen die
sachliche Richtigkeit der zu Grunde liegenden bestandskräftigen Steuerfestsetzung
wehre. Derartige Einwendungen könnten jedoch nur im Einspruchsverfahren gegen den
Steuerbescheid, nicht aber in einem Billigkeitsverfahren nach § 227 Abgabenordnung
(AO) geltend gemacht werden. Wegen der Begründung im Einzelnen wird auf das
Schreiben verwiesen.
Der Kl. legte gegen den Ablehnungsbescheid am 20.07.2002 Einspruch ein, den der
Bekl. mit Einspruchsentscheidung vom 01. Oktober 2003 aus den Gründen des
angefochtenen Bescheides als unbegründet zurückwies. Auf die
Einspruchsentscheidung wird Bezug genommen.
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Mit der am 24.10.2003 erhobenen Klage verfolgt der Kl. sein Begehren weiter.
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Der Kl. beantragt,
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den Ablehnungsbescheid vom 31.10.2001 und die Einspruchsent-
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scheidung vom 01.10.2003 aufzuheben und die auf den Veräußerungs-
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gewinn entfallende ESt i.H.v. 10.738,34 DM zu erlassen.
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Der Bekl. beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Die zulässige Verpflichtungsklage ist nicht begründet.
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Es ist nicht zu beanstanden, dass der Bekl. den Erlassantrag des Kl. abgelehnt hat (§
101 S. 1 Finanzgerichtsordnung - FGO -).
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Gemäß § 227 der Abgabenordnung (AO) können die Finanzbehörden Ansprüche aus
dem Steuerschuldverhältnis ganz oder zum Teil erlassen, wenn deren Einziehung nach
Lage des einzelnen Falles unbillig wäre.
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Die Entscheidung über einen Erlassantrag ist, wie sich schon aus der Formulierung
"können" in § 227 AO ergibt, eine Ermessensentscheidung. Behördliche
Ermessensentscheidungen kann das Gericht nach § 102 FGO grundsätzlich nur darauf
hin überprüfen, ob eine Ermessensüber- oder -unterschreitung oder ein
Ermessensfehlgebrauch vorliegt (vgl. z.B. BFH, Urteil vom 07.05.1981 VII R 64/79
BFHE 133, 262), und zwar bezogen auf die Verhältnisse im Zeitpunkt der letzten
Verwaltungsentscheidung (vgl. BFH, Urteil vom 26.07.1972, I R 158/71, BFHE 106,
489). Die gerichtliche Prüfung hat sich - anders ausgedrückt - mit Ausnahme des hier
aber offensichtlich nicht gegebenen Falles der Ermessensreduzierung auf Null nur eine
mögliche ermessensfehlerfreie Entscheidung (sog. Ermessensreduzierung auf Null) auf
die Prüfung zu beschränken, ob die Ablehnung des Erlassgesuches unter dem
Gesichtspunkt von Recht und Billigkeit vertretbar war, d.h. ob den Verwaltungsbehörden
daraus ein Vorwurf gemacht werden kann, dass sie am gesetzlichen Steuertatbestand
festgehalten haben. Das Gericht muss die Ablehnung des Erlasses bestätigen, wenn
die Entscheidung ohne Verstoß gegen die Grundsätze von Recht und Billigkeit unter
Abwägung der Interessen des Steuergläubigers am Einzug der nach dem Gesetz
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entstandenen und festgesetzten Steuern einerseits und der Verhältnisse des
Steuerschuldners andererseits so getroffen werden konnte, wie sie getroffen wurde.
Dem Gericht steht es nicht zu, an die Stelle der nach Recht und Billigkeit vertretbaren
Verwaltungsentscheidungen als Ausfluss eigenen Ermessens eine ebenso gut
mögliche für den Steuerpflichtigen günstigere Entscheidung zu setzen (vgl. BFH, Urteil
vom 19.01.1965, VII 22/62 S, BFHE 81, 572).
Den Erlass der hier streitigen, auf den Spekulationsgewinn des Kl. entfallenden
Einkommensteuer hat der Bekl. nach diesen Grundsätzen ermessensfehlerfrei
abgelehnt. Insbesondere hat er fehlerfrei festgestellt, dass im Fall des Kl. keine
hinreichenden Billigkeitsgründe ersichtlich sind.
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§ 227 AO lässt es nicht zu, dass sich die Finanzbehörden oder Gerichte allgemein zu
dem vom Gesetzgeber gewollten Sinn und Zweck einer Bestimmung in Widerspruch
setzen. Er erlaubt einen Steuererlass daher nur, wenn die Einziehung der Steuer
abweichend von den normalerweise unter den Steuertatbestand fallenden
Sachverhalten im Einzelfall aus besonderen Gründen unbillig wäre. Diese besonderen
Billigkeitsgründe können in der Person des Steuerpflichtigen oder in der Sache selbst
liegen (vgl. Klein/Orlopp Abgabenordnung, 4. Aufl., § 227 Anm. 10 ff). Da persönliche
Billigkeitsgründe im Streitfalll nicht geltend gemacht werden, kommen hier nur sachliche
Billigkeitsgründe in Betracht.
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Dabei kann es nicht allgemein darum gehen, noch nach Ablauf der Rechtsmittelfrist
fehlerhafte Steuerbescheide zu korrigieren. Selbst eindeutig und offensichtlich falsche
bestandskräftige Steuerfestsetzungen können daher im Erlassverfahren nur dann
überprüft werden, wenn es dem Steuerpflichtigen unmöglich oder unzumutbar war, sich
rechtzeitig innerhalb der Rechtsmittelfrist zu wehren (Klein/Orlopp a.a.O., Anm. 12b
mw.N.). Wie das beklagte Finanzamt in der Einspruchsentscheidung zutreffend
ausgeführt hat, sind diese Voraussetzungen im Streitfall nicht erfüllt. Dem Kl. war es
weder unmöglich noch unzumutbar, verfassungsrechtliche Einwendungen gegen die
rückwirkende Verlängerung der Spekulationsfrist geltend zu machen. Das Vertrauen
des Kl. auf die Rechtmäßigkeit der Steuerfestsetzung und die Verfassungsmäßigkeit der
zu Grunde liegenden gesetzlichen Regelung führt nicht zu mangelnder Zumutbarkeit
einer Rechtsmitteleinlegung (vgl. BFH, Urteil vom 09.09.1994, Az.: III R 17/93, BFHE
175, 395 m.w.N.).
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Im Übrigen steht nach der bisherigen Rechtsprechungslage noch nicht abschließend
fest, ob die rückwirkende Verlängerung der Spekulationsfrist für private
Grundstücksveräußerungsgeschäfte nach dem 31. Dezember 1998 verfassungswidrig
ist. Zwar hat der BFH mit Vorlagebeschluss vom 16. Dezember 2003 (Az. IX R 46/02,
BStBl. II 2004, 284, Az.: BVerfG II BvR 2/04) dem Bundesverfassungsgericht (BVerfG)
die Rechtsfrage zur Entscheidung vorgelegt, ob die rückwirkende Verlängerung der
Spekulationsfrist des § 23 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 S. 1 EStG durch das
Steuerentlastungsgesetz 1999/2000/2002 mit dem Grundgesetz unvereinbar ist. Bis zu
einer abschließenden Entscheidung des BVerfG bleibt § 23 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 S. 1 EStG
anwendbares Recht, sodass der vom Kl. begehrte Erlass auch schon unter diesem
Gesichtspunkt nicht positiv hätte beschieden werden können.
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Die Entscheidung des Bekl. ist daher insgesamt nicht zu beanstanden.
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Weitere Ermessensfehler des Bekl. hat der Kl. nicht gerügt. Sie sind nach Aktenlage
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auch nicht ersichtlich.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO.
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