Urteil des FG Münster vom 07.07.2010

FG Münster (konto, löschung, höchstpersönliches recht, person, inhaber, haftung, vorschrift, höhe, eröffnung, zeitpunkt)

Finanzgericht Münster, 11 K 2777/07
Datum:
07.07.2010
Gericht:
Finanzgericht Münster
Spruchkörper:
11. Senat
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
11 K 2777/07
Tenor:
Der Haftungsbescheid vom 23.01.2006 und die Einspruchsentscheidung
vom 30.05.2007 werden aufgehoben.
Die Kosten des Verfahrens werden dem Beklagten auferlegt.
Das Urteil ist hinsichtlich der Kostenentscheidung gegen
Sicherheitsleistung in Höhe des Kostenerstattungsanspruchs der
Klägerin vorläufig vollstreckbar.
Die Revision wird zugelassen.
Streitig ist, ob ein Kreditinstitut gemäß § 72 Abgabenordnung (AO) wegen Verletzung
der Pflicht zur Kontenwahrheit im Haftungswege in Anspruch genommen werden kann.
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Herr A. war früher für eine B. GmbH (GmbH) tätig. Gegenstand des Unternehmens war
der Entwurf, die Planung und Ausführung von ..........arbeiten. Diese GmbH war mit
Gesellschaftsvertrag vom 09.12.1989 gegründet und am 13.02.1990 im Handelsregister
des Amtsgerichts C. unter HRB ....... eingetragen worden. Alleinige Gesellschafterin und
Geschäftsführerin war seine Ehefrau D.. Die GmbH hatte am 05.03.1993 bei der
Klägerin (Klin.) ein Geschäftskonto unter der Nr. xxx eröffnet. Herr A. war zur Verfügung
über dieses Konto berechtigt.
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Die GmbH wurde später insolvent. Mit Beschluss des Amtsgerichts C. wurde am
03.12.1996 der Antrag auf Eröffnung eines Konkursverfahrens mangels Masse
abgelehnt. Die entsprechende Eintragung in das Handelsregister erfolgte am
29.01.1997. Die GmbH wurde am 11.07.1997 von Amts wegen gelöscht. Das genannte
Konto beim Postgiroamt E. mit der GmbH als Inhaberin blieb in der Folgezeit bestehen.
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Herr A. hatte aus der Zeit vor Gründung der GmbH hohe Steuerschulden, die sich auf
einschließlich Säumniszuschlägen 754.248,02 € beliefen. Nach Löschung der GmbH
war er in der Weise weiter tätig, dass von der Tochter G. ein Unternehmen unter der
Bezeichnung "H.-Handel" betrieben wurde, das faktisch von Herrn A. geführt wurde.
Frau G. befand sich ab September 2003 für 3 Jahre in Ausbildung als
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Krankenschwester/Krankenpflegerin. Soweit eine Unterschrift im Unternehmen "H.-
Handel" aus formalen Gründen zwingend erforderlich war, wurde diese von Frau G.
geleistet. Am 09.05.2005 gab sie die eidesstattliche Versicherung ab. Ein in einem
Insolvenzeröffnungsverfahren – Az.: .. IN ..../05 des Amtsgerichts F. – eingeschalteter
Sachverständiger kam in seinem Gutachten vom 17.02.2006 u. a. zu dem Ergebnis,
dass eine die Kosten eines Insolvenzverfahrens deckende Insolvenzmasse nicht
vorhanden war.
Zur Abwicklung des Geldverkehrs im Unternehmen "H.-Handel" hatte sich Herr A. des
bei der Klin. geführten Kontos mit der Nr. xxx bedient, das weiterhin auf den Namen "B.
GmbH" lautete. Nach Auffassung des Finanzamts (FA) war dieses Konto Herrn A.
persönlich zuzurechnen. Am 21.09.2005 pfändete es wegen dessen Steuerrückständen
alle dem Herrn A. gegenwärtig und künftig gegen die Klin. zustehenden Ansprüche,
Forderungen und Rechte aus dem bei der Klin. geführten Konto unter der Nr. xxx und
ordnete die Einziehung der gepfändeten Ansprüche, Forderungen und Rechte an.
Dabei wies es darauf hin, dass das Konto zwar auf den Namen der "B. GmbH" laute,
dass Herr A. aber für dieses Konto verfügungsberechtigt sei. Die GmbH sei bereits
gelöscht, weil der Antrag auf Eröffnung des Konkursverfahrens per Beschluss des
Amtsgerichts C. am 03.12.1996 mangels Masse abgewiesen worden sei. Daher sei das
Konto Herrn A. persönlich zuzurechnen. Weiter wies das FA darauf hin, dass die Klin.,
soweit die Ansprüche, Forderungen und Rechte gepfändet seien, nicht mehr an Herrn A.
leisten dürfe. Die Klin. habe sich jeder Verfügung über die Ansprüche, Forderungen und
Rechte, soweit sie gepfändet seien, insbesondere ihrer Einziehung, zu enthalten.
Zugestellt wurde diese Verfügung am 26.09.2005.
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Auf die Rückäußerung der Klin., dass das genannte Konto nicht für Herrn A. geführt
werde und dass damit die Pfändung unbeachtlich sei, leitete das FA am 21.10.2005 der
Klin. einen Auszug aus dem Handelsregister des Amtsgerichts C. zu, aus dem die
Löschung der GmbH zu ersehen war.
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Die Klin. war weiterhin der Auffassung, dass die Pfändungs- und Einziehungsverfügung
vom 21.09.2005 ins Leere gegangen sei, weil das Konto auf den Namen der GmbH
gelautet habe, wohin gegen Steuerschuldner Herr A. persönlich gewesen sei.
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Am 16. Januar 2006 wurde das Konto von der Klin. gekündigt.
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Das FA ging davon aus, dass das Konto ab Zustellung der Pfändungs- und
Überweisungsverfügung am 26.09.2005 mit folgenden Beträgen belastet wurde:
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Auszahlungen bis 31.10.2005 39.750,00 €
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Gutschriften bis 25.10.2005 38.581,50 €
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Auszahlungen bis zur Kündigung (geschätzt) 30.000,00 €
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gesamt: 108.331,50 €
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Das FA sah in der Nichtbeachtung der Pfändungsverfügung einen Verstoß gemäß
§ 154 AO. Trotz Kenntnis darüber, dass die GmbH nicht mehr existiert habe, habe die
Klin. das Konto weiter geführt. Vor Erledigung von Aufträgen, die über ein Konto
abgewickelt werden sollten, habe sich aber ein Kreditinstitut Gewissheit über die Person
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zu verschaffen. Das habe die Klin. unterlassen. Damit seien die Voraussetzungen für
eine Haftung gemäß § 72 AO wegen Verletzung der Pflicht zur Kontenwahrheit erfüllt.
Nach vorherigem Hinweis erließ das FA am 23.06.2002 gegenüber der Klin. einen
Haftungsbescheid, auf dessen Grundlage zunächst der Betrag von 108.331,50 € zu
zahlen war.
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Der Einspruch der Klin. hatte insofern Erfolg, als das FA in der Einspruchsentscheidung
(EE) vom 30.05.2007 die Haftungssumme auf 65.810 € herabsetzte. Im Wesentlichen
waren folgende Gründe maßgeblich:
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Nach § 191 Abs. 1 AO könne durch Haftungsbescheid in Anspruch genommen werden,
wer kraft Gesetzes für eine Steuer hafte. Gemäß § 72 AO hafte, wer vorsätzlich oder
grob fahrlässig der Vorschrift des § 154 Abs. 3 AO zuwiderhandele, soweit dadurch die
Verwirklichung von Ansprüchen aus dem Steuerschuldverhältnis beeinträchtigt würde.
Gemäß § 154 Abs. 1 AO dürfe niemand auf einen falschen oder erdichteten Namen für
sich oder einen Dritten ein Konto errichten oder Buchungen vornehmen lassen. Sei
gegen Abs. 1 verstoßen, dürften Guthaben nur mit Zustimmung des für die
Einkommensteuer des Verfügungsberechtigten zuständigen FA herausgegeben werden
(§ 154 Abs. 3 AO). Wer vorsätzlich oder grob fahrlässig der Vorschrift des § 154 Abs. 3
AO zuwider handele, hafte, soweit dadurch die Verwirklichung von Ansprüchen aus
dem Steuerschuldverhältnis beeinträchtigt würde.
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Herr A. habe seit 1997 bis zur Kündigung des bei der Klin. geführten Kontos mit der Nr.
xxx Buchungen unter falschem Namen, nämlich dem der schon längst nicht mehr
existenten GmbH, vorgenommen. Die Klin. habe daher Guthaben nur noch mit
Zustimmung des FA herausgeben dürfen. Ab dem Zeitpunkt des Zugangs der
Pfändungsverfügung (26.09.2005) habe die Klin. gewusst, dass die GmbH gelöscht sei.
Das Führen des genannten Kontos unter dem Namen der GmbH sei nach deren
Löschung auch falsch im Sinne des § 154 Abs. 1 AO gewesen.
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Bei der Nichtbeachtung der Pfändungsverfügung habe die Klin. zumindest grob
fahrlässig gehandelt. Sie habe nämlich gewusst, dass das FA davon ausgehe, dass das
Konto Herrn A. persönlich zuzurechnen sei. Ab Rechtskraft des Beschlusses, durch den
im Jahr 1996 die Eröffnung des Konkursverfahrens mangels Masse abgelehnt worden
sei, habe die GmbH als Kontoinhaberin nicht mehr existieren können. In dem fraglichen
Zeitraum zwischen dem 26.09.2005 bis 16.01.2006 habe sich das auf dem Konto
vorhandene Geld im Vermögen des Herrn A. befunden und habe nicht mehr Vermögen
der GmbH darstellen können.
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Soweit sich die Klin. auf ein Urteil des Bundesgerichtshofs (BGH) vom 18.10.1994
XI ZR 237/93 (Neue Juristische Wochenschrift – NJW - 1995, 261) berufe, gehe dies ins
Leere, weil dort ein anderer Fall entschieden sei.
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Der Höhe nach sei die Haftungssumme allerdings zu mindern. Mittlerweile sei
nachgewiesen, dass in der Zeit bis zur Kündigung des Kontos Auszahlungen in Höhe
von 26.060,00 € erfolgt seien. Außerdem sei die Haftungssumme um die Gutschriften
von 38.582,00 € zu ermäßigen, da diese in den Auszahlungen enthalten seien. Damit
betrage die Haftungssumme nur noch:
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39.750,00 €
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26.060,00 €
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65.810,00 €
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Da der Steuerschuldner A. seine Schulden nicht gezahlt habe, sei die Inanspruchnahme
der Klin. gerechtfertigt.
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Hiergegen hat die Klin. Klage erhoben. Sie macht geltend, dass sie nicht gegen das
Gebot der Kontenwahrheit verstoßen habe. Maßgeblich sei, dass das genannte Konto
für die "B. GmbH" geführt worden sei. Die Namen der früheren Geschäftsführerin Frau
D. und des Verfügungsberechtigten A. seien wahr. Bei einer juristischen Person erfülle
die Bank ihre Prüfungspflichten in der Regel anhand von Auszügen aus gerichtlichen
Registern und der Feststellung, wer die nach dem Gesetz oder der Satzung
vertretungsberechtigten Organe seien. Dieser Prüfungspflicht sei sie, die Klin.,
nachgekommen, indem sie sich bei Eröffnung des Kontos einen aktuellen
Handelsregisterauszug - damals unter dem Datum: 11.02.1993 - habe vorlegen lassen.
Dass die GmbH später gelöscht worden sei, sei ihr nicht bekannt gewesen.
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In diesem Zusammenhang vertritt die Klin. die Rechtsauffassung, dass die GmbH mit
der Löschung lediglich in das Abwicklungsstadium übergegangen sei und die frühere
Geschäftsführerin, Frau D., als Rechtsnachfolgerin und gegebenenfalls als Liquidatorin
fungiert habe. Eine Gutschrift habe folglich nur die (Abwicklungs-) Gesellschaft
betroffen, die zu diesem Zeitpunkt - so behauptet die Klin. weiter - noch wirtschaftlich
tätig gewesen sei. Wirtschaftlich Berechtigte aus dem Konto sei allein Frau D. gewesen.
Die gegen Herrn A. gerichtete Pfändungsverfügung habe das auf dem Konto der GmbH
befindliche Guthaben nicht verstricken können. Er sei zu keinem Zeitpunkt Inhaber des
Kontos gewesen, sondern nur Bevollmächtigter.
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Ein Verstoß gegen § 154 Abs. 3 AO liege nicht vor. Aus dem Urteil des BGH vom
18.10.1994 XI ZR 237/93 (a.a.O.) ergebe sich, dass diese Vorschrift ausschließlich die
formale Kontenwahrheit gewährleisten solle. Ob der angegebene Inhaber das Konto für
eigene oder für fremde Rechnung führe (materielle Kontenwahrheit) sei unerheblich.
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Im Übrigen könne eine mögliche Haftung auch nur den Zeitraum ab dem 21.10.2005
betreffen. Erst unter diesem Datum habe ihr das FA den Auszug aus dem
Handelsregister betreffend die Löschung der GmbH übersandt. Ab diesem Zeitpunkt
seien aber Auszahlungsbeträge nur in einer Höhe von 49.160,00 € vorgenommen
worden.
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Die Klin. beantragt,
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den Haftungsbescheid vom 23.01.2006 und die EE vom 30.05.2007
aufzuheben.
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Das FA beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Zur Begründung verweist es auf die Ausführungen in der EE.
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Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der gewechselten Schriftsätze der
Beteiligten und die vorgelegten FA-Akten verwiesen.
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Der Senat hat am 07.07.2010 mündlich verhandelt. Auf die Sitzungsniederschrift wird
Bezug genommen.
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Die Klage ist begründet.
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Der Haftungsbescheid und die ihn bestätigende EE sind rechtswidrig
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Nach § 191 Abs. 1 AO kann derjenige, der kraft Gesetzes für eine Steuer haftet, durch
Haftungsbescheid in Anspruch genommen werden. Die Entscheidung über die Inan-
spruchnahme eines Haftungsschuldners ist zweigliedrig (ständige Rechtsprechung des
Bundesfinanzhofs - BFH -, vgl. u. a. Urteil vom 13.06.1997, VII R 96/96, Sammlung nicht
amtlich veröffentlichter Entscheidungen des BFH - BFH/NV - 1998, 4). Das FA hat
zunächst zu prüfen, ob in der Person oder den Personen, die es zur Haftung
heranziehen will, die tatbestandlichen Voraussetzungen für eine
Haftungsinanspruchnahme erfüllt sind. Hierbei handelt es sich um eine vom Gericht in
vollem Umfang überprüfbare Rechtsentscheidung. Daran schließt sich die nach § 191
Abs. 1 AO zu treffende Ermessensentscheidung - vgl. § 5 AO - des FA an, ob und
gegebenenfalls wen es als Haftenden in Anspruch nehmen will. Diese auf der zweiten
Stufe zu treffende Entscheidung ist gerichtlich nur im Rahmen des § 102 Satz 1
Finanzgerichtsordnung (FGO) auf Ermessensfehler (Ermessensfehlgebrauch bzw.
Ermessensüberschreitung) überprüfbar (vgl. u. a. BFH-Urteil vom 11.03.2004 VII R
52/02, BStBl. II 2004, 579, unter II 1a mit weiteren Nachweisen).
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Entgegen der Rechtsauffassung des FA liegen im Streitfall die gesetzlichen
Voraussetzungen einer Haftung bei Verletzung der Pflicht zur Kontenwahrheit gemäß
den §§ 72 AO i.V.m. § 154 Abs. 1 und 3 AO nicht vor. Wer vorsätzlich oder grob
fahrlässig der Vorschrift des § 154 Abs. 3 AO zuwider handelt, haftet gemäß § 72 AO,
soweit dadurch die Verwirklichung von Ansprüchen aus dem Steuerschuldverhältnis
beeinträchtigt wird. § 154 Abs. 1 und 3 AO ordnen Folgendes an: Niemand darf auf
einem falschen oder erdichteten Namen für sich oder einen Dritten ein Konto errichten
oder Buchungen vornehmen lassen, Wertsachen (Geld, Wertpapiere, Kostbarkeiten) in
Verwahrung geben oder verpfänden oder sich ein Schließfach geben lassen (Abs. 1). Ist
gegen Abs. 1 verstoßen worden, so dürfen Guthaben, Wertsachen und der Inhalt eines
Schließfachs nur mit Zustimmung des für die Einkommen- und Körperschaftsteuer des
Verfügungsberechtigten zuständigen FA herausgegeben werden (Abs. 3).
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Dahin gestellt bleiben kann, ob im Streitfall die Voraussetzungen des § 154 Abs. 3
i. V. m. Abs. 1 AO erfüllt sind. Insbesondere kann offen bleiben, ob das bei der Klin.
unter der Nummer xxx geführte Konto ab Löschung der GmbH formell falsch gewesen ist
und ob ab Zustellung der Pfändungsverfügung am 26.09.2005 ein in § 154 Abs. 3 AO
vorausgesetzter Verstoß der Klin. gegen Abs. 1 - Zulassung von Buchungen auf einem
auf einen fremden Namen lautenden Konto durch Herrn A. als Verfügungsberechtigtem
bei Verweigerung der Zustimmung des für dessen ESt zuständigen FA – anzunehmen
ist. Auch wenn hiervon ausgegangen wird, fehlt es an dem in § 72 AO zusätzlich
geforderten Merkmal für eine Haftung, "soweit dadurch (= Zuwiderhandlung gegen die
Vorschrift des § 154 Abs. 3 AO in Gestalt von zumindest grober Fahrlässigkeit) die
Verwirklichung von Ansprüchen aus dem Steuerschuldverhältnis beeinträchtigt wird".
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Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis hatten gegen Herrn A. bestanden. Diese
Ansprüche sind aber nicht durch eine Zuwiderhandlung der Klin. beein-
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trächtigt worden.
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Das FA war nicht berechtigt, wegen der gegenüber Herrn A. bestehenden Ansprüche
auf das bei der Klin. geführte Konto unter der Nummer xxx zuzugreifen. Es hatte sich
ursprünglich um ein Konto gehandelt, dessen Inhaberin die GmbH war. In der Folgezeit
ist es nicht zu einem solchen Konto geworden, dass Herr A. nunmehr der Inhaber
wurde. Da es trotz Löschung der GmbH weiter bestand, konnte in der Folgezeit
allenfalls eine GmbH in Liquidation oder eine Person, die bis dahin als Gesellschafter
beteiligt war, oder der letzte Geschäftsführer als Liquidator oder eine andere als
Nachtragsliquidator zu bestellende Person (vgl. BFH-Beschluss vom 12.01.1995 VIII B
43/94, BFH/NV 1995, 759) Inhaber geworden sein. Herr A. war aber weder auf der
Gesellschafterebene beteiligt noch war er der Geschäftsführer der GmbH noch war er
Liquidator oder als Nachtragsliquidator bestellt.
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Dass Herrn A. von der damals noch existenten GmbH die Vollmacht eingeräumt war,
über das genannte Konto Verfügungen vorzunehmen, bedeutet nicht, dass er nach der
Löschung der GmbH selbst zum Inhaber wurde. Seine Verfügungsbefugnis hatte sich
von einer anderen Person - der GmbH - abgeleitet. Soweit Verfügungen nach Löschung
der GmbH vorgenommen wurden, waren diese der nunmehr zum Inhaber des Kontos
gewordenen Person zuzurechnen – sei es dass es sich hierbei um die GmbH in
Liquidation oder Frau G. als ehemaliger Gesellschafterin oder Frau G. als letzter
Geschäftsführerin und Liquidatorin gehandelt hat. Alle diese sind jedenfalls nicht
identisch mit Herrn A..
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Hatte hiernach dem Herrn A. lediglich eine Rechtsmacht zugestanden, über das bei der
Klin. bestehende Konto mit der Nummer xxx zu verfügen, ist diese von der am
26.09.2005 zugestellten Pfändungsverfügung nicht tangiert worden. Eine aufgrund einer
Kontovollmacht vorliegende Berechtigung eines Vollstreckungsschuldners, zugunsten
des Vollmachtgebers über ein Konto zu verfügen, ist als höchstpersönliches Recht nicht
pfändbar. Soweit eine Zwangsvollstreckung nicht körperliche Sachen, Geldforderungen
oder Ansprüche auf Herausgabe betrifft, erfolgt die Vollstreckung in andere
Vermögensrechte nach § 321 AO. Vermögensrechte im Sinne des § 321 AO sind nur
geldwerte Rechte, deren Verwertung zu einem Erlös führt (vgl. Tipke-Kruse, Kommentar
zur AO und FGO, § 321 Tz. 1 mit weiteren Nachweisen). Nicht pfändbar sind daher
Rechte ohne eigenen Vermögenswert. Zu diesen Rechten gehört auch eine Vollmacht
(z.B. Kontovollmacht). Eine Kontovollmacht berechtigt nur, im Sinne des
Vollmachtgebers und nicht zu eigenen Gunsten auf das Konto zuzugreifen. Der
Bevollmächtigte macht also nur fremde Rechte geltend, wobei der Zahlungsanspruch
bei dem Kontoinhaber als Gläubiger der Bank verbleibt. Es ist nicht zulässig, durch die
Pfändung der Verfügungsbefugnis in Form der Handlungsvollmacht über das Konto
eines Dritten zu verfügen und damit auf fremdes Vermögen zuzugreifen. In dieser
Hinsicht schließt sich der Senat den Ausführungen des Hessischen Finanzgerichts im
Urteil vom 16.04.1996 4 K 1982/93 (Entscheidungen der Finanzgerichte 1998, 531) an.
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Ob die Ansprüche, Forderungen und Rechte des Herrn A. in seiner Eigenschaft als des
über das Konto mit der Nr. xxx Verfügungsberechtigten pfändbar sind, kann dahin
gestellt bleiben. Diese Rechte sind von der am 26.09.2005 zugestellten
Pfändungsverfügung nicht erfasst. Das FA hat Herrn A. selbst als Inhaber des Kontos
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angesehen. In seiner Eigenschaft als Verfügungsberechtigter – abgeleitet von der
ursprünglich bestehenden GmbH – ist er nicht angesprochen worden.
Hatte hiernach das Finanzamt hinsichtlich der auf dem Konto mit der Nummer xxx in der
Zeit ab dem 26.09.2005 bis zum 16.01.2006 vorgenommenen Auszahlungen in der
Höhe von insgesamt 65.810,00 € ohnehin kein Recht, seine Ansprüche aus dem
Steuerschuldverhältnis zu verwirklichen, war es ausgeschlossen, dass diese durch eine
Zuwiderhandlung der Klin. gegen die Vorschrift des § 154 Abs. 3 AO beeinträchtigt
wurden.
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO.
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Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus den §§ 151 Abs. 3, 155
FGO i. V. m. §§ 708 Nr. 10, 711 Zivilprozessordnung.
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Die Revision ist im Hinblick auf die Frage zuzulassen, unter welchen Voraussetzungen
eine Haftung gem. § 72 AO in Betracht kommt.
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