Urteil des FG Münster vom 30.09.2005

FG Münster: steuerfestsetzung, veranlagung, belastung, verrechnung, erlass, einspruch, datum, vorauszahlung, behandlung, verfügung

Finanzgericht Münster, 4 K 4598/03 E
Datum:
30.09.2005
Gericht:
Finanzgericht Münster
Spruchkörper:
4. Senat
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
4 K 4598/03 E
Tenor:
Die Klage wird abgewiesen.
Die Kosten des Verfahrens trägt der Kläger.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand:
1
Streitig ist, ob die Einkommensteuer (ESt)-Veranlagung eines Steuerpflichtigen, in der
die im Wege nachträglicher Vorauszahlungen für das Jahr 1997 festgesetzte sowie im
Jahr 1998 (Streitjahr) gezahlte Kirchensteuer (KiSt) als Sonderausgabe i.S. des § 10
Abs. 1 Nr. 4 Einkommensteuergesetz (EStG) berücksichtigt worden ist, obwohl der
Steuerpflichtige bereits im Januar 1997 aus der Kirche ausgetreten war, gemäß § 175
Abs. 1 Nr. 2 Abgabenordnung (AO) dahingehend geändert werden darf, dass die im
Streitjahr gezahlte KiSt nicht mehr als Sonderausgabe berücksichtigt wird, wenn diese
in einem späteren Veranlagungszeitraum (2001) erstattet worden ist und im Jahr der
Erstattung nicht mit gezahlter KiSt verrechnet werden konnte.
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Der Kläger (Kl.) war bis zum 09.01.1997 Mitglied der evangelischen Kirche. Auf Grund
eines im Dezember 1997 erzielten Veräußerungsgewinns gemäß § 17 EStG i.H. von ca.
9.000.000,- DM setzte der Beklagte (Bekl.) mit Bescheid vom 15.10.1998 für den
Veranlagungszeitraum 1997 nachträgliche Vorauszahlungen auf ESt und KiSt fest. Die
festgesetzten Vorauszahlungen auf römisch-katholische (statt auf evangelische) KiSt
beliefen sich auf 212.628,- DM. Der Kl. entrichtete diese Vorauszahlungen am
17.11.1998.
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Mit Schreiben vom 30.11.1998 informierte der Kl. den Bekl. erstmals über den bereits
am 09.01.1997 erfolgten Kirchenaustritt. Mit Fax vom 11.02.1999 übersandte der Kl.
dem Bekl. ferner eine Kopie der Bescheinigung des vor dem Amtsgericht Q erklärten
Kirchenaustritts.
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Mit unter dem Vorbehalt der Nachprüfung gemäß § 164 Abs. 1 AO ergangenem
Bescheid vom 14.03.2001 führte der Bekl. die Jahresveranlagung des Kl. zur ESt und
KiSt 1997 im Wege der Schätzung der Besteuerungsgrundlagen durch (§ 162 AO).
Dabei setzte er römisch-katholische KiSt i.H. von 0,- DM sowie evangelische KiSt für
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den Monat Januar 1997 i.H. von (9 v.H. der gesamten ESt von 2.511.979,- DM =
226.078,11 DM x 1/12 =) 18.839,84 DM fest. Unter Anrechnung der für 1997 geschätzten
anrechenbaren Kirchenlohnsteuer i.H. von 11.966,85 DM ergab sich für die
evangelische KiSt eine Zahllast i.H. von 6.872,99 DM. Die im Wege der nachträglichen
Vorauszahlungen für 1997 bereits entrichtete römisch-katholische KiSt i.H. von
212.628,- DM wurde zugunsten des Kl. i.H. von 27.467,04 DM mit anderen Steuern bzw.
steuerlichen Nebenleistungen verrechnet (Umbuchung von 6.872,99 DM auf die
nunmehr festgesetzte evangelische KiSt, von 16.472,- DM auf festgesetzte ESt, von
1.236,05 DM auf festgesetzten Solidaritätszuschlag, von 1.886,- DM auf Zinsen zur ESt
sowie von 1.000,- DM auf festgesetzten Verspätungszuschlag) und i.H. des
Restbetrages von 185.160,96 DM an den Kl. erstattet.
Ebenfalls mit Bescheid vom 14.03.2001 setzte der Bekl. die ESt des Streitjahres (1998)
erstmalig fest. Die Besteuerungsgrundlagen wurden gemäß § 162 AO geschätzt, da der
Kl. trotz mehrfacher Aufforderung die ESt-Erklärung nicht abgegeben hatte. Der
Bescheid erging nach § 164 Abs. 1 AO unter dem Vorbehalt der Nachprüfung. Bei der
ESt-Festsetzung berücksichtigte der Bekl. die vom Kl. am 17.11.1998 geleisteten KiSt-
Vorauszahlungen i.H. von 212.628,- DM steuermindernd als Sonderausgaben i.S. des §
10 Abs. 1 Nr. 4 EStG.
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Mit Bescheid vom 02.05.2001 änderte der Bekl. die Steuerfestsetzung 1997 aufgrund
der eingegangenen ESt-Erklärung des Kl. nach § 164 Abs. 2 AO. Dabei setzte der Bekl.
die evangelische KiSt 1997 auf 19.188,26 DM fest. Nach Anrechnung der tatsächlich
gezahlten Kirchenlohnsteuer i.H. von 3.093,45 DM sowie der am 14.03.2001 bereits
verrechneten KiSt i.H. von 6.872,99 DM ergab sich ein Nachzahlungsbetrag zu Lasten
des Kl. i.H. von 9.221,82 DM. Mit der Steuerfestsetzung verband der Bekl. auch die
Aufhebung des Vorbehalts der Nachprüfung gemäß § 164 Abs. 3 AO.
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Mit Bescheid vom 02.05.2001 änderte der Bekl. auch die Steuerfestsetzung 1998
aufgrund der vom Kl. am 12.04.2001 eingereichten ESt-Erklärung nach § 164 Abs. 2
AO. Die im Veranlagungszeitraum 1998 seitens des Kl. gezahlten nachträglichen KiSt-
Vorauszahlungen für 1997 i.H. von 212.628,- DM berücksichtigte der Bekl.
erklärungsgemäß weiter als Sonderausgaben i.S. des § 10 Abs. 1 S. 4 EStG. Der
Vorbehalt der Nachprüfung wurde aufgehoben (§ 164 Abs. 3 AO).
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Am 11.07.2001 erließ der Bekl. einen nach § 172 Abs. 1 Nr. 2 AO geänderten ESt-
Bescheid 1998, mit dem er einem Einspruch des Kl. wegen des Vorkostenabzugs nach
§ 10i EStG abhalf. Im Rahmen des geänderten Steuerbescheids berücksichtigte der
Bekl. die im Jahr 1998 gezahlten KiSt i.H. von 212.628,- DM weiterhin als
Sonderausgaben i.S. des § 10 Abs. 1 Nr. 4 EStG.
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Der Kl. legte am 21.05.2001 Einspruch gegen den KiSt-Bescheid 1997 vor dem
Landeskirchenamt der Evangelischen Kirche C mit der Begründung ein, die KiSt im Jahr
des Kirchenaustritts sei abweichend von der bisherigen Festsetzung durch den Bekl.
unter Herausrechnung des Veräußerungsgewinns zeitanteilig i.H. von 1/12 der fiktiven
Jahressteuer anzusetzen. Das Evangelische Landeskirchenamt C beschied den
Einspruch am 26.07.2001 als zulässig und begründet und setzte die KiSt für 1997 auf
1.439,63 DM fest. Daraufhin änderte der Bekl. die Steuerfestsetzung 1997 mit Bescheid
vom 05.09.2001 nach § 172 Abs. 1 Nr. 2 AO. Unter Zugrundelegung der vom
Landeskirchenamt festgesetzten KiSt i.H. von 1.439,63 DM ergab sich nach Anrechnung
der geleisteten Kirchenlohnsteuer i.H. von 3.093,45 DM sowie der bisher gezahlten KiSt
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i.H. von 16.094,81 DM nunmehr eine KiSt-Erstattung zugunsten des Kl. i.H. von
17.748,63 DM.
Auf der Grundlage der am 13.01.2003 eingereichten ESt-Erklärung veranlagte der Bekl.
den Kl. mit Bescheid vom 31.01.2003 zur ESt 2001. Erklärungsgemäß wurden dabei
weder KiSt festgesetzt noch als Sonderausgaben i.S. des § 10 Abs. 1 Nr. 4 EStG bei der
ESt-Festsetzung berücksichtigt.
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Ebenfalls mit Bescheid vom 31.01.2003 erlies der Bekl. für das Streitjahr 1998 einen
nach § 175 Abs. 1 Nr. 2 AO geänderten ESt-Bescheid, in dem er die bisher als
Sonderausgaben nach § 10 Abs. 1 Nr. 4 EStG berücksichtigten KiSt i.H. von 212.628,-
DM nicht mehr zum Abzug zuließ. Zur Begründung führte der Bekl. aus, dass die in
1998 als nachträgliche Vorauszahlung für 1997 gezahlte römisch-katholische KiSt im
Rahmen der Jahressteuerveranlagung 1997 wieder in vollem Umfang erstattet worden
sei. Im Jahr der Erstattung sei aufgrund des Kirchenaustritts keine KiSt gezahlt worden.
Aus der Verrechnung gezahlter KiSt von 0,- DM mit der Erstattung für 1997 i.H. von
212.628,- DM ergebe sich im Jahr 2001 ein KiSt-Überhang i.H. von 212.628,- DM.
Dieser Überhang sei in das Jahr 1998 zurückzutragen und mit den bisher in gleicher
Höhe als Sonderausgaben angesetzten KiSt zu verrechnen. Der Bekl. verwies insofern
auf die Regelung des BMF-Schreibens vom 11.07.2002 (BStBl. I 2002, 667).
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Der Kl. legte am 25.02.2003 Einspruch gegen den geänderten ESt-Bescheid 1998 vom
31.01.2003 ein. Er vertrat die Ansicht, eine Änderung des Steuerbescheides nach § 175
Abs. 1 Nr. 2 AO sei aus mehreren Gründen nicht möglich. Zunächst müsse die Vorschrift
hinter die speziellere Norm des § 11 EStG zurücktreten. Der in 1998 geltend gemachte
KiSt-Abzug sowie die darauf folgende Rückerstattung müssten daher ausschließlich
nach dem Zufluss-Abfluss-Prinzip beurteilt werden. Außerdem seien die ESt-
Veranlagungen 1997 und 1998 vom Bekl. zeitgleich am 02.05.2001 durchgeführt
worden. Zu diesem Zeitpunkt seien dem Bekl. alle für die Beurteilung des Sachverhalts
relevanten Umstände bekannt gewesen, insbesondere auch die seit Anfang 1997 nicht
mehr bestehende KiSt-Pflicht. Insofern liege kein rückwirkendes Ereignis vor, welches
den Bekl. noch zu einer Änderung der bestandskräftigen Veranlagung 1998 berechtige.
Etwas anderes ergebe sich schließlich auch nicht aus dem vom Bekl. zitierten BMF-
Schreiben vom 11.07.2002. Dieses BMF-Schreiben müsse als bloße
Verwaltungsanweisung hinter § 11 EStG und damit hinter dem geltenden Recht
zurücktreten. Zudem beruhten die in diesem Schreiben zitierten Urteile des
Bundesfinanzhofs (BFH) auf völlig anderen Sachverhalten.
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Der Bekl. wies den Einspruch mit Einspruchsentscheidung (EE) vom 31.07.2003 als
unbegründet zurück. Zur Begründung führte er aus, die ESt-Festsetzung 1998 sei zu
Recht gemäß § 175 Abs. 1 Nr. 2 AO geändert worden. Die im Jahr 1998 für den
Veranlagungszeitraum 1997 geleisteten KiSt-Vorauszahlungen i.H. von 212.628,- DM
seien im Zuge der mehrfach geänderten Steuerfestsetzung des Jahres 1997 letztlich in
vollem Umfang erstattet worden und stellten somit endgültig keine wirtschaftliche
Belastung für den Kl. mehr dar. Es entspreche aber gerade nicht dem Willen des
Gesetzgebers, Beträge als Sonderausgaben zum Abzug zuzulassen, mit denen ein
Steuerpflichtiger nicht tatsächlich wirtschaftlich belastet sei. Die Erstattung von KiSt, die
in früheren Jahren steuermindernd geleistet worden sei, stelle auch ein rückwirkendes
Ereignis i.S. des § 175 Abs. 1 Nr. 2 AO dar. Denn erst nach der Durchführung der ESt-
Festsetzung für das Jahr 2001 – also des Jahres, in dem die KiSt wieder erstattet
worden seien – habe die endgültige tatsächliche Belastung des Kl. mit KiSt festgestellt
14
werden können. Dem Einwand des Kl., dass bei den zeitgleichen Berichtigungen der
ESt-Festsetzungen 1997 und 1998 bereits alle relevanten Daten für die Versagung des
KiSt-Abzugs bekannt gewesen seien, könne insofern nicht gefolgt werden. Vielmehr sei
die in einem Jahr gezahlte KiSt dem Grundsatz nach durch Saldierung von Zahlungen
und Erstattungen zu ermitteln. Bei den mit Bescheiden vom 02.05.2001 durchgeführten
Berichtigungsveranlagungen der Zeiträume 1997 und 1998 habe jedoch noch gar nicht
endgültig festgestanden, inwieweit im Jahr 2001 (Erstattungsjahr) für vorangegangene
Veranlagungszeiträume KiSt zu entrichten gewesen sei bzw. in welchem Umfang KiSt
für das 2001 tatsächlich geleistet worden sei. Die Anwendbarkeit der Vorschrift des §
175 Abs. 1 Nr. 2 AO auf entsprechende Sachverhalte sei schließlich auch vom BFH
unter Fortführung des Senatsurteils vom 26.06.1996 (X R 73/94, BStBl. II 1996, 646) in
seinem Urteil vom 28.05.1998 (X R 7/96, BStBl. II 1999, 95) bestätigt worden.
Wenngleich die KiSt als solche in dem Urteil keine ausdrückliche Erwähnung finde, so
habe sich der BFH dort doch allgemein für eine steuerliche Behandlung des
Rückflusses von Sonderausgaben jeder Art über die Korrekturvorschrift des § 175 Abs.
1 Nr. 2 AO ausgesprochen.
Der Kl. hat am 26.08.2003 Klage erhoben. Er trägt nunmehr vor, aufgrund der
Gegebenheiten des Sachverhalts scheide vorliegend eine Anwendung des § 175 Abs. 1
Nr. 2 AO aus. Der sog. Erstattungsüberhang von KiSt stelle keinen dem Bekl.
unbekannten Sachverhalt und damit auch kein rückwirkendes Ereignis dar, denn er sei
bei Erlass der Änderungsbescheide zur ESt und KiSt 1998 im Veranlagungszeitraum
2001 bereits vorhanden bzw. zumindest erkennbar gewesen. Dem Bekl. sei spätestens
mit Schreiben vom 30.11.1998 bekannt gewesen, dass der Kl. im Januar 1997 aus der
Kirche ausgetreten sei. Ein entsprechender förmlicher Nachweis über den
Kirchenaustritt sei diesem per Fax am 11.02.1999 zugegangen. Vor diesem Hintergrund
sei bereits zum Zeitpunkt der Änderungsfestsetzung am 02.05.2001 offensichtlich
gewesen, dass es bei der Veranlagung des Jahres 1998 zu einem Überhang erstatteter
KiSt kommen werde. Unabhängig von der Frage, wie hoch die KiSt 1997 im Einzelnen
ausfallen werde, sei eine Verrechnung der im Jahr 2001 geleisteten KiSt-Erstattungen
mit etwaigen Zahlungen aus dem Erstattungsjahr nicht mehr möglich gewesen. Denn
mit Blick auf den bereits im Januar 1997 erfolgten Kirchenaustritt sei absehbar gewesen,
dass im Erstattungsjahr keine KiSt mehr anfallen werde. In diesem Sinne sei auch die
Verfügung der OFD Karlsruhe vom 26.03.2003 (DStR 2003, S. 738) zu verstehen.
Danach scheide eine Abänderbarkeit gemäß § 175 Abs. 1 Nr. 2 AO aus, wenn das
rückwirkende Ereignis "Erstattungsüberhang" schon vor Erlass des Steuerbescheides
eingetreten sei. Auch eine Berichtigung der Steuerfestsetzung 1998 über § 173 AO sei
wegen der Kenntnis des Bekl. von den steuerlich relevanten Tatsachen
ausgeschlossen. Die Nichtabänderbarkeit des Steuerbescheides 1998 ergebe sich
darüber hinaus aus der Betrachtung des umgekehrten Falles, in dem nachträglich eine
höhere KiSt-Schuld für bereits vergangene Zeiträume festgestellt werde, die sich jedoch
im Zahlungsjahr wegen fehlender oder geringer Einkünfte nicht auswirke. In diesem Fall
finde das Zufluss-Abfluss-Prinzip des § 11 EStG strenge Anwendung, welches den
Rückgriff auf zurückliegende Veranlagungszeiträume ausschließe. In Fällen der KiSt-
Erstattung anders zu verfahren, stelle eine einseitige Handhabung zugunsten des
Fiskus dar und verstoße gegen Art. 3 Grundgesetz (GG).
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Der Kl. beantragt,
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den Änderungsbescheid zur ESt 1998 vom 31.01.2003 und die EE vom 31.07.2003
aufzuheben,
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hilfsweise, für den Fall des Unterliegens, die Revision zuzulassen.
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Der Bekl. beantragt,
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die Klage abzuweisen,
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hilfsweise, für den Fall des Unterliegens, die Revision zuzulassen.
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Der Bekl. hält an seiner im Einspruchsverfahren vertretenen Rechtsauffassung fest.
Insbesondere weist er darauf hin, dass es für ihn im Zeitpunkt der Erteilung der
berichtigten Steuerbescheide 1998 nicht abschließend erkennbar gewesen sei, dass im
Laufe des Jahres 2001 keine KiSt-Zahlungen durch den Kl. mehr zu leisten gewesen
seien, die mit der Erstattung für das Jahr 1998 hätten saldiert werden können. So hätten
etwa nach dem 02.05.2001 – dem Datum der Bescheiderteilung für die auf der
Grundlage der eingereichten Steuererklärungen vorgenommenen Steuerfestsetzungen
der Jahre 1997 und 1998 – im Laufe des Jahres 2001 noch für alle
Veranlagungszeiträume ESt-Berichtigungen erfolgen können. Ebenso hätte der Kl. noch
im Laufe des Jahres 2001 auch wieder seinen Kircheneintritt erklären und KiSt
entrichten können. Diese Steuern wären dann im Rahmen der Veranlagung 2001
vorrangig mit der erfolgten Erstattung der im Jahr 1998 gezahlten KiSt zu saldieren
gewesen. Die Einkommen- und KiSt-Festsetzung für das Jahr 2001 sei mit Bescheid
vom 31.01.2003 erfolgt; mit gleichem Datum sei auch die Berichtigung der
Steuerfestsetzung 1998 vorgenommen worden. Eine frühere Berichtigung sei weder
rechtlich noch tatsächlich möglich gewesen.
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Entscheidungsgründe:
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Die Klage ist zulässig, aber unbegründet.
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1. Der Bekl. hat die Steuerfestsetzung 1998 zu Recht gemäß § 175 Abs. 1 Nr. 2 AO
geändert und den bisher anerkannten Sonderausgabenabzug i.S. des § 10 Abs. 1 Nr. 4
EStG i.H. von 212.268,- DM um die im Jahr der Erstattung (2001) nicht verrechenbaren
KiSt-Rückzahlungen in gleicher Höhe gemindert.
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a) Gemäß § 175 Abs. 1 Nr. 2 AO ist ein Steuerbescheid zu erlassen, aufzuheben oder
zu ändern, soweit ein Ereignis eintritt, das steuerliche Wirkung für die Vergangenheit hat
(sog. rückwirkendes Ereignis). Die Nichtverrechenbarkeit einer KiSt-Erstattung mit
gleichartigen Sonderausgaben im Erstattungsjahr (sog. Erstattungsüberhang) stellt ein
solches rückwirkendes Ereignis dar. Die als Sonderausgabe i.S. des § 10 Abs. 1 Nr. 4
EStG berücksichtigte KiSt ist nachträglich zu kürzen, soweit sie in einem späteren
Veranlagungszeitraum erstattet wird und im Jahr der Erstattung nicht bzw. nicht
vollständig mit gezahlter KiSt verrechnet werden kann. Der ESt-Bescheid des
Zahlungsjahres kann in diesen Fällen grundsätzlich nach § 175 Abs. 1 Nr. 2 AO
geändert werden (vgl. BFH, Urteil v. 07.07.2004, XI R 10/04, BStBl. II 2004, 1058; BFH,
Urteil v. 08.09.2004, XI R 52/03, n.v.; BFH, Urteil v. 08.09.2004, XI R 28/04, BFH/NV
2005, 321; BFH, Urteil v. 23.05.2005, XI R 68/03, n.v.; s.a. FG Münster, Beschluss v.
14.11.2003, 7 V 4873/03, EFG 2004, 250; FG Düsseldorf, Beschluss v. 04.02.2004, 8 V
6917/03, EFG 2004, 658). Dies entspricht auch der bisherigen Rechtsprechung des
BFH zur Behandlung nachträglicher Erstattungen sowohl im Bereich der KiSt (BFH,
Urteil v. 26.06.1996, X R 73/94, BStBl. II 1996, 646) als auch bei anderen
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Sonderausgaben (BFH, Urteil v. 28.05.1998, X R 7/96, BStBl. II 1999, 95). Hiervon
abweichende finanzgerichtliche Entscheidungen sowie gegenteilige Literaturansichten
(vgl. etwa FG Düsseldorf, Urteil v. 30.06.2003, 7 K 6600/01, n.v.; FG Nds., Urteil v.
04.12.2003, 16 K 305/03, EFG 2004, 1425; Nolde in Hermann/Heuer/Raupach,
EStG/KStG, Kommentar, § 10 EStG Rz. 22a) sind dadurch überholt. Der BFH hat seine
Entscheidungen damit begründet, dass nur solche Sonderausgaben steuermindernd
berücksichtigt werden dürfen, durch die der Steuerpflichtige tatsächlich und endgültig
belastet sei. An einer solchen endgültigen Belastung fehle es, wenn Sonderausgaben
erstattet würden. Die nachträgliche Verrechnung erstatteter mit gezahlten
Sonderausgaben im Jahr der Zahlung sei immer dann geboten, wenn anderenfalls nicht
mehr zu rechtfertigende Steuervorteile einträten. Das sei der Fall, wenn im
Erstattungsjahr entweder keine gleichartigen Sonderausgaben anfallen oder die
gezahlten (gleichartigen) Sonderausgaben niedriger als die Erstattung seien. In beiden
Fällen fehle es an einer endgültigen wirtschaftlichen Belastung im Zahlungsjahr.
Der erkennende Senat hält diese höchstrichterliche Rechtsprechung auch im zu
entscheidenden Fall für anwendbar. Maßgebliche Voraussetzung für den
Sonderausgabenabzug ist, dass der Steuerpflichtige durch die Zahlung auch
wirtschaftlich belastet ist. Die Verrechnung erstatteter mit gezahlten Sonderausgaben im
Zahlungsjahr und damit eine Korrektur der Steuerfestsetzung 1998 ist vorliegend
geboten, da anderenfalls nicht mehr zu rechtfertigende Steuervorteile beim Kl. eintreten
würden. Der Kl. hat zwar im Jahr 1998 römisch-katholische KiSt i.H. von 212.628,- DM
im Wege nachträglich festgesetzter Vorauszahlungen für den Veranlagungszeitraum
1997 gezahlt. Insofern war er zunächst mit diesem Betrag tatsächlich wirtschaftlich
belastet. Diese wirtschaftliche Belastung ist jedoch im Laufe des Jahres 2001
nachträglich entfallen. Nach der am 14.03.2001 erfolgten Erstattung der gezahlten
römisch-katholischen KiSt i.H. von 185.160,96 DM und deren Verrechnung i.H. von
20.594,05 DM auf andere Steuern bestand eine tatsächliche wirtschaftliche Belastung
mit KiSt nur noch insofern, als die ursprünglich festgesetzte römisch-katholische KiSt
i.H. eines Teilbetrages von 6.872,99 DM auf evangelische KiSt umgebucht worden ist.
Auch diese evangelische KiSt ist im weiteren Verlauf des Jahres 2001 in vollem Umfang
erstattet worden. Im Rahmen seiner Entscheidung über den Einspruch des Kl. gegen
den KiSt-Bescheid 1997 vom 02.05.2001 hat das Landeskirchenamt C die KiSt 1997 am
26.07.2001 auf 1.439,63 DM festgesetzt. Dieser Betrag war bereits durch die vom Kl. im
Veranlagungszeitraum 1997 erhobene Lohn-KiSt i.H. von 3.093,45 DM abgedeckt. Der
Bekl. hat daraufhin am 05.09.2001 auch den verbliebenen Teilbetrag der vom Kl. in
1998 ursprünglich als Vorauszahlung für 1997 entrichteten römisch-katholischen KiSt,
der zwischenzeitlich mit der Festsetzung evangelischer KiSt verrechnet worden ist,
komplett erstattet. Im Ergebnis war der Kl. daher bei einer Gesamtbetrachtung weder im
Veranlagungszeitraum 1998 noch in späteren Veranlagungszeiträumen tatsächlich und
endgültig mit KiSt wirtschaftlich belastet.
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b) Der Bekl. durfte die Korrektur der ESt-Festsetzung 1998 auch noch im zeitlichen
Zusammenhang mit der Einkommen- und KiSt-Veranlagung des Jahres 2001 am
31.01.2003 durchführen. Das zur Korrektur der ESt-Festsetzung berechtigende
rückwirkende Ereignis i.S. des § 175 Abs. 1 Nr. 2 AO muss nachträglich, d.h. nach
Erlass des ursprünglichen (nunmehr zu ändernden) Steuerbescheides, eintreten, weil
nur dann die Notwendigkeit zur Durchbrechung der Bestandskraft besteht (Loose in
Tipke/Kruse, AO/FGO, 16. Aufl., Köln 1961/2003, § 175 AO Tz. 23 m.w.N.).
Rückwirkendes Ereignis ist im vorliegenden Fall der Eintritt eines sog.
Erstattungsüberhangs, d.h. der Umstand, dass die im Erstattungsjahr (2001) vergütete
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KiSt die im selben Jahr gezahlte KiSt übersteigt und damit überhaupt erst ein in das
Zahlungsjahr (1998) rücktragsfähiges Kompensationsvolumen entsteht. Das exakte
Ausmaß und damit die konkreten Auswirkungen eines solchen Erstattungsüberhangs
auf den Sonderausgabenabzug im Zahlungsjahr stehen für das Finanzamt jedenfalls
nicht vor dem Ende des Erstattungsjahres fest. Erst nach dem Ablauf des
Erstattungsjahres kann das Finanzamt sicher feststellen, ob und vor allem in welcher
Höhe überhaupt saldierungs- und rücktragsfähige Sonderausgaben vorliegen. In der
Praxis wird das Finanzamt regelmäßig den Erstattungsüberhang sogar erst ermitteln,
nachdem es die Veranlagung des Erstattungsjahres (zumeist auf der Grundlage der
Angaben des Steuerpflichtigen aus seiner Steuererklärung) durchgeführt hat. Ob
angesichts dieser Verwaltungspraxis eine Änderung gemäß § 175 Abs. 1 Nr. 2 AO auch
noch erfolgen kann, wenn nach dem zeitlichen Ablauf des Erstattungsjahres, jedoch vor
dessen Veranlagung Änderungsfestsetzungen in Bezug auf das Zahlungsjahr ergangen
sind, braucht der erkennende Senat nicht zu entscheiden (kritisch dazu Bartmann, StWa
2003, 197 f.; v. Wedelstädt in Beermann, Steuerliches Verfahrensrecht, 1. Aufl.,
Bonn/Berlin 1995, § 175 AO Rz. 66). Denn die letzte Änderungsfestsetzung für das
Streitjahr 1998 erfolgte hier am 11.07.2001, also noch vor Ablauf des Erstattungsjahres.
Die Tatsache, dass am Ende des Jahres 2001 ein Erstattungsüberhang i.H. von
212.628,- DM entstanden ist, stellt damit ein nachträgliches Ereignis dar, welches den
Bekl. noch am 31.01.2003 zu einer Korrektur der Steuerfestsetzung 1998 berechtigt hat.
Dem steht nicht entgegen, dass dem Bekl. der Umstand des Kirchenaustritts sowohl im
Zeitpunkt der Erstveranlagung des Streitjahres 1998 am 14.03.2001 als auch zum
Zeitpunkt der Änderungsveranlagungen vom 02.05.2001 bzw. 11.07.2001 bereits
bekannt und die Notwendigkeit einer KiSt-Erstattung damit voraussehbar gewesen sei.
Denn auch nach dem 02.05.2001 bzw. 11.07.2001 konnten – wie die
Änderungsfestsetzung vom 05.09.2001 belegt – weitere ESt-Berichtigungen für den
Veranlagungszeitraum 1997 ergehen, so dass die endgültige wirtschaftliche Belastung
des Kl. mit KiSt für das Streitjahr infolge der Abhängigkeit der KiSt von der ESt zu
diesem Zeitpunkt noch nicht feststand. Zum anderen stand auch die endgültige KiSt-
Belastung für den Veranlagungszeitraum 2001 noch nicht fest, da der Kl. im Laufe
dieses Jahres auch wieder in die Kirche hätte eintreten oder etwa die Ehe mit einer
Konfessionsangehörigen hätte eingehen können; dies hätte entsprechende KiSt-
Zahlungen auslösen können. Eine Korrektur der Steuerfestsetzung 1998 nach § 175
Abs. 1 Nr. 2 AO war daher vor dem Ablauf des Jahres 2001 – also dem
Veranlagungszeitraum der KiSt-Erstattung – weder praktisch ratsam noch rechtlich
geboten.
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Die Vornahme einer Korrektur des Zahlungsjahres über § 175 Abs. 1 Nr. 2 AO in
zeitlichem Zusammenhang mit der Veranlagung des Erstattungsjahres entspricht auch
der seitens der Finanzverwaltung üblicherweise praktizierten und vom BFH aus
Gründen der Praktikabilität und der Rechtsformkontinuität mehrfach im Grundsatz
bestätigten Verrechnungsreihenfolge in den Fällen der Erstattung von Sonderausgaben.
Danach darf trotz steuersystematischer Bedenken bei jährlich wiederkehrenden
Sonderausgaben wie der KiSt in einem ersten Schritt zunächst eine Verrechnung
erstatteter Sonderausgaben mit gleichartigen Sonderausgaben im Jahr der Erstattung
erfolgen. Erst ein dabei auftretender Überhang muss (steuersystematisch korrekt) in
einem zweiten Schritt in das Jahr der Zahlung zurückgetragen werden (vgl. BFH, Urteil
v. 26.06.1996, X R 73/94, BStBl. II 1996, 646; BFH, Urteil v. 28.05.1998, X R 7/96,
BStBl. II 1999, 95; BFH, Urteil v. 07.07.2004, XI R 10/04, BStBl. II 2004, 1058). Wird eine
primäre Verrechnung von Sonderausgaben mit gleichartigen Aufwendungen im
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Erstattungsjahr zugelassen, folgt daraus auf verfahrensrechtlicher Ebene, dass ein
nachrangiger Rücktrag von nicht kompensierten Sonderausgabenerstattungen im
Anschluss an die Veranlagung des Erstattungsjahres noch gemäß § 175 Abs. 1 Nr. 2
AO möglich ist.
c) Unabhängig davon, dass der Senat an eine Verwaltungsanweisung ohnehin nicht
gebunden wäre, steht auch die Verfügung der OFD Karlsruhe vom 26.02.2003 (DStR
2003, S. 738) einer Änderung der ESt-Festsetzung 1998 nicht entgegen. Danach setzt
die Korrektur gemäß § 175 Abs. 1 Nr. 2 AO in Abgrenzung zur Korrekturvorschrift des §
173 Abs. 1 Nr. 1 AO voraus, dass das rückwirkende Ereignis "Erstattungsüberhang"
nachträglich, d.h. nach dem Erlass des Steuerbescheides – ggf. nach dem Erlass des
zuletzt erlassenen Änderungsbescheides – eingetreten ist. Die Vorschrift soll hingegen
nicht mehr herangezogen werden dürfen, wenn das rückwirkende Ereignis
"Erstattungsüberhang" schon vor Erlass des Steuerbescheides bzw. des zuletzt
erlassenen Änderungsbescheides eingetreten ist. Als Zeitpunkt, zu dem das die
Änderung nach § 175 Abs. 1 Nr. 2 AO auslösende Ereignis eines Erstattungsüberhangs
eintritt, soll regelmäßig der Ablauf des Jahres angenommen werden können, in dem der
betreffende (nicht verrechnungsfähige) KiSt-Betrag erstattet wurde.
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Auf dieser Grundlage ist der Erstattungsüberhang vorliegend mit Ablauf des Jahres
2001 (Jahr der KiSt-Erstattungen) eingetreten. Zu diesem Zeitpunkt waren der
Steuererstbescheid 1998 sowie die Änderungsbescheide vom 02.05.2001 und vom
11.07.2001 bereits erlassen. Das rückwirkende Ereignis "Erstattungsüberhang" ist
demnach zeitlich nach dem Erlass des nunmehr zu korrigierenden Steuerbescheids
bzw. des zuletzt ergangenen Änderungsbescheids eingetreten.
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d) Schließlich steht auch § 11 EStG einer Verrechnung von erstatteter und im Jahr der
Erstattung nicht verrechneter KiSt mit der bisher im Jahr der Zahlung als
Sonderausgaben i.S. des § 10 Abs. 1 Nr. 4 EStG berücksichtigten KiSt nicht entgegen.
Diese Vorschrift betrifft grundsätzlich nur die zeitliche Zuordnung steuerbarer
Einnahmen bzw. steuerlich abzugsfähiger Aufwendungen. Die Erstattung von
Sonderausgaben fällt dagegen nicht in den Anwendungsbereich des § 11 EStG (vgl.
BFH, Urteil v. 08.09.2004, XI R 28/04, BFH/NV 2005, 321).
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2. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO.
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3. Die Revision wird zugelassen. Die Frage, ob bzw. bis zu welchem Zeitpunkt der
Sonderausgabenabzug des Zahlungsjahres aufgrund eines wegen des Kirchenaustritts
des Kl. wahrscheinlichen Erstattungsüberhanges rückwirkend gemäß § 175 Abs. 1 Nr. 2
AO gemindert werden kann, wenn im Erstattungsjahr mehrfach Änderungsbescheide
betreffend den Veranlagungszeitraum der Zahlung der KiSt ergangen sind, ist von
grundsätzlicher Bedeutung (§ 115 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 1 FGO).
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