Urteil des FG Köln vom 07.07.2010
FG Köln (daten, verwendung, identifikationsnummer, zweifel, staat, eingriff, zweck, erforderlichkeit, vergabe, bundesverfassungsgericht)
Finanzgericht Köln, 2 K 3837/08
Datum:
07.07.2010
Gericht:
Finanzgericht Köln
Spruchkörper:
2. Senat
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
2 K 3837/08
Rechtskraft:
II R 48/10
Tenor:
Die Klage wird abgewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
1
Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob die Vergabe der Steueridentifikationsnummer
verfassungsgemäß ist.
2
Die Klägerin wurde am 00.00.0000 geboren und ist Schülerin. Ihr wurde vom Beklagten
unter der Bezeichnung "Persönliche Identifikationsnummer" die steuerliche
Identifikationsnummer ... zugeteilt. Diese Nummer wurde ihr mit Schreiben vom 7.
Oktober 2008 mitgeteilt. In dem Schreiben heißt es u.a. wörtlich: " … Sie
Steueridentifikationsnummer> wird für steuerliche Zwecke verwendet und ist lebenslang
gültig. Sie werden daher gebeten, dieses Schreiben aufzubewahren, auch wenn Sie
derzeit steuerlich nicht geführt werden. Bitte geben Sie Ihre Identifikationsnummer bei
Anträgen, Erklärungen und Mitteilungen zur Einkommen-/Lohnsteuer gegenüber
Finanzbehörden immer an. … Beim Bundeszentralamt sind unter Ihrer
Identifikationsnummer – nach den Angaben der für Sie im Regelfall zuständigen
Meldebehörde – folgende Daten gespeichert: Familienname: E; Vornamen: F ;
Geschlecht: ...; vollständige Adresse: H Straße ..., M; Geburtstag und –ort: 00.00.0000
M".
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Insgesamt sieht die Mitteilung – je nach Gegebenheiten - folgende Eintragungen vor:
1) Titel, Familienname; 2) Ehename; 3) Lebenspartnerschaft; 4) Geburtsname; 5)
Vornamen; 6) Geschlecht; 7) vollständige Adresse; 8) Geburtstag und –ort; 9)
Geburtsstaat (bei Geburt im Ausland).
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Eine Rechtsmittelbelehrung ist dem Schreiben nicht beigefügt.
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Am 7. November 2008 erhob die Klägerin Klage.
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Die Klägerin trägt vor, dass die Vergabe von Steueridentifikationsnummern aufgrund
von § 139b AO rechtswidrig sei und sie, die Klägerin, in ihrem aus Art. 2 Abs. 1 i.V.m.
Art. 1 Abs. 1 GG abgeleiteten Recht auf informationelle Selbstbestimmung verletze.
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Informationelle Selbstbestimmung sei das Recht des Einzelnen, grundsätzlich selbst
über die Preisgabe und Verwendung seiner personenbezogenen Daten zu bestimmen.
Jedem Bürger werde damit grundsätzlich das Recht garantiert, über die Preisgabe und
die Verwendung seiner persönlichen Daten selbst entscheiden zu können.
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§ 139b AO greife in diese grundrechtlich geschützte Rechtsposition ein, da er die
Erhebung, Speicherung, Weitergabe und Verwendung von persönlichen Daten
ermögliche. Gespeichert würden vom Bundeszentralamt für Steuern die in § 139b Abs. 3
AO vorgesehenen Daten. Ferner würden die Finanzbehörden und andere (nicht-)
öffentliche Stellen zur Erhebung, Verwendung und Weitergabe der
Identifikationsnummer ermächtigt.
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Dieser Eingriff in die informationelle Selbstbestimmung sei aus mehreren Gründen
verfassungsrechtlich nicht gerechtfertigt.
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Soweit es um die Ermächtigung zur Erhebung, Verwendung und Weitergabe der
Identifikationsnummer durch andere öffentliche oder nicht öffentliche Stellen nach § 139
b Abs. 2 AO gehe, mangele es an der hinreichenden Bestimmtheit der
Ermächtigungsgrundlage.
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Das Bestimmtheitsgebot verlange, dass der Anlass, der Zweck und die Grenzen des
Eingriffs in der Ermächtigung bereichsspezifisch, präzise und normenklar festgelegt
werden.
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Insbesondere eine wirksame Zweckbindung für die Verwendung der
Steueridentifikationsnummer fehle in der Ermächtigungsgrundlage. Wenn auch die
Erfüllung der gesetzlichen Aufgaben der Finanzbehörden, welche in der Erhebung und
der Verwaltung von Steuern liege, noch vom Normzweck erfasst seien, mangele es in
der Einschränkung durch die Verwendung des Begriffs "Rechtsvorschrift" an der
hinreichenden Bestimmtheit eines einschränkenden Regelungsvorbehaltes. Denn mit
Rechtsvorschrift könne sowohl ein förmliches Gesetz als auch eine Verordnung gemeint
sein.
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Dass sich die Weitergabe und Verwendung der Steueridentifikationsnummer
ausdrücklich auch auf nicht öffentliche Stellen beziehe, bedeute in letzter Konsequenz,
dass durch einfache Verordnung, ohne Parlamentsvorbehalt, die Exekutive entscheiden
könne, dass die Identifikationsnummer für jeden beliebigen Privatzweck außerhalb der
behördlichen Verwaltungsgänge frei übermittelt werden dürften.
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Angesichts in jüngster Zeit häufiger Medienberichte über Datenpannen, welche auch
dadurch zustande gekommen seien, dass sich die öffentliche Verwaltung in
zunehmendem Maße der Hilfe privater Dienstleister bediene oder hoheitliche Aufgaben
delegiere, erfordere eine hinreichende Bestimmtheit vor dem Hintergrund der
rechtsstaatlichen Gebote der Normenbestimmtheit und der Normenklarheit eine klare
Definition, wer befugt sei, unter welchen Umständen wessen Daten an wen
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weiterzugeben.
Die Verwendung der unbestimmten Begriff der "andere(n) öffentliche(n) oder nicht
öffentliche(n) Stellen" aus § 139b Abs. 2 Satz 2 AO sei verfassungswidrig. Er werde
nicht näher definiert und sei auch einer einschränkenden Auslegung nicht zugänglich.
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In Anbetracht der Vielzahl von Steuergesetzen und den darüber hinaus bestehenden
Möglichkeiten zum Datenaustausch zwischen Finanz- und Sozialbehörden sowie
Dritten sei für den Bürger nicht überschaubar, welchen Stellen der Zugriff auf die
Steueridentifikationsnummer gestattet sei.
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Soweit der Beklagte dagegen vortrage, dass eine Verwendung der
Steueridentifikationsnummer für andere als gesetzliche Zwecke ausschließlich auf der
Grundlage einer ausdrücklichen spezialgesetzlichen Regelung des Bundes erlaubt sei,
verkenne er, dass die Erfüllung der gesetzlichen Aufgaben der Finanzbehörden nach
der eindeutigen Formulierung des § 139b Abs. 2 AO nicht die einzige Möglichkeit zur
Erhebung und Verwendung der Identifikationsnummer darstellen solle, sondern die
Möglichkeiten zur Erhebung und Verwendung der Identifikationsnummern auch über die
gesetzlichen Aufgaben hinaus möglich sein sollten. Eine strikte Zweckbindung sei
hierin nicht zu erblicken.
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Dabei sei auch zu berücksichtigen, dass nach erfolgter Weitergabe der Daten für den
Steuerpflichtigen ein effektiver Rechtsschutz nicht mehr möglich sei.
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Die Erhebung und Verwendung der Identifikationsnummer durch nicht öffentliche und
öffentliche Stellen sei deshalb ein nicht gerechtfertigter und somit rechtswidriger Eingriff
in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung.
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Nicht hinreichend bestimmt sei auch § 139b Abs. 4 Nr. 4 AO. Danach erfolge die
Speicherung, um Daten, die aufgrund eines Gesetzes oder nach über- oder
zwischenstaatlichem Recht entgegenzunehmen seien, an die zuständigen Stellen
weiterleiten zu können. Diese Regelung mache nicht eingrenzend klar, um welche
Gesetze es sich handele.
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Entsprechendes gelte für § 139b Abs. 4 Nr. 5 AO, der die Datenspeicherung zum
Zwecke der Erfüllung der den Finanzbehörden durch Rechtsvorschrift zugewiesenen
Aufgaben vorsehe. Es sei nicht auszuschließen, dass im Nachgang zur Einführung der
Identifikationsnummer neue Gesetze geschaffen würden, die den Finanzbehörden
Aufgaben auferlegen würden, zu deren Erfüllung sie auf die Identifikationsnummer
zugreifen müssten. Insofern komme auch § 139b Abs. 4 Nr. 5 AO keine begrenzende
Funktion zu. Vielmehr sei eine beliebige Erweiterung der Datenverwendung möglich.
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Nach § 139b Abs. 2 Satz 2 Nr. 2 AO würden öffentliche und nicht öffentliche Stellen ihre
Daten mit Hilfe der Steuernummer ordnen und für den Zugriff erschließen dürfen, soweit
dies für die Übermittlung an die Finanzbehörden erforderlich sei. Dies sei durch keinen
Speicherungszweck in § 139b Abs. 4 AO gedeckt, es sei denn man verstehe Nr. 4
entsprechend.
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Darüber hinaus verstoße § 139b AO gegen das Übermaßverbot (Verhältnismäßigkeit).
Die in § 139b Abs. 4 Nr. 4 und 5 AO getroffenen Datenspeicherungszwecke seien nicht
erforderlich, da die mit ihnen verfolgten Ziele der Steuergleichheit und
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Steuergerechtigkeit bereits dadurch erreicht werden könnten, dass ein einheitliches
Ordnungsmerkmal zu den Zwecken von Nr. 1 bis 3 des § 139b Abs. 4 AO eingeführt
werde. Der breit gefassten Verwendungsmöglichkeiten der Identifikationsnummer in Nr.
4 und 5 bedürfe es zur Erreichung dieser Ziele daneben nicht.
Die Regelung sei auch nicht angemessen, also verhältnismäßig im engeren Sinn. Die
Abwägung zwischen dem Recht des Einzelnen auf informationelle Selbstbestimmung
und dem gesetzgeberischen Anliegen auf Durchsetzung von Steuergleichheit falle zu
Lasten des Letzteren aus. Durch die durch § 139b AO ermöglichte weitere Sammlung,
Koordinierung und Vernetzung der Daten mittels der Steueridentifikationsnummer sowie
einer gesetzlichen Öffnung für weitere Datenverwendungsmöglichkeiten erfolge nicht
nur ein Schritt zum "gläsernen Steuerzahler", sondern es würden nahezu alle
finanziellen Transaktionen mittels der Steuernummer für den Staat zugänglich gemacht.
Die neue Nummer werde dem Bürger künftig wie eine Personenkennzahl von der
Geburt bis 20 Jahre nach dem Tod zugeordnet bleiben. Über sie würden die Daten nach
§ 139 b Abs. 3 AO abrufbar sein, die in die Nähe der Erstellung eines
Persönlichkeitsprofil reichen würden. Dies sei ein unverhältnismäßiger Eingriff in das
Recht auf informationelle Selbstbestimmung.
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Es sei auch zu bedenken, dass durch die Einführung der neuen Identifikationsnummer
weder die Steuergerechtigkeit noch die eindeutige Identifizierbarkeit eines
Steuersubjektes verbessert werde. Ebenso wenig komme es zur Vereinfachung von
Verwaltungsabläufen sowie zur Transparenz des Besteuerungsverfahrens. Dies würde
durch die Erfahrungen bei der Möglichkeit der Abgabe einer elektronischen
Steuererklärung bestätigt.
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Eine andere Betrachtung folge auch nicht daraus, dass mit der Gesetzesänderung der
neue § 383a AO eingefügt worden sei. Diese Norm erhebe die zweckwidrige
Verwendung der Steueridentifikationsnummer nach § 139b Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 und 2 AO
zur Ordnungswidrigkeit, die mit Geldbuße bis zu zehntausend Euro geahndet werden
könne. Schon die Einführung dieses Ordnungswidrigkeitentatbestandes zeige, dass der
Gesetzgeber die Möglichkeit eines Missbrauches der Steueridentifikationsnummer
durch (nicht-)öffentliche Stellen gesehen und augenscheinlich in Kauf genommen habe.
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Mit der Klageerhebung hat die Klägerin ursprünglich die Feststellung begehrt, dass die
Zuteilung der Steueridentifikationsnummer rechtswidrig war. Dem in der mündlichen
Verhandlung geänderten Klagebegehren hat der Beklagte zugestimmt.
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Die Klägerin beantragt,
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den Beklagten zu verpflichten, die Steueridentifikationsnummer nach § 139 a
Abs. 1 AO sowie die dazu nach § 139 b Abs. 3 AO und - soweit vorhanden –
nach anderen Vorschriften bei ihm gespeicherten Daten zu löschen,
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hilfsweise die Revision zuzulassen.
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Der Beklagte beantragt,
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die Klage abzuweisen,
33
hilfsweise die Revision zuzulassen.
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Der Beklagte trägt vor, dass kein Verstoß gegen das Recht der Klägerin auf
informationelle Selbstbestimmung aus Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG vorliege, da §
139b AO den verfassungsrechtlichen Anforderungen für Eingriffe in das Grundrecht
genüge.
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Durch die Ermächtigung zur Erhebung, Speicherung und Verwendung der in § 139b
Abs. 3 AO genannten persönlichen Daten greife § 139 b AO zwar in den Schutzbereich
des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung ein. Jedoch werde dieses Recht nicht
schrankenlos gewährt, so dass Einschränkungen möglich seien. Hierzu bedürfe es
einer gesetzlichen Grundlage, die dem rechtsstaatlichen Gebot der Normenklarheit
entspreche und verhältnismäßig sei. § 139b AO entspreche diesen Anforderungen.
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§ 139b Abs. 2 AO sei durch den Gesetzgeber hinreichend bestimmt gefasst worden.
Insbesondere die Zweckbindung sei gegeben. Bei der Steueridentifikationsnummer
unterlägen sowohl die vergebene Nummer selbst als auch die Daten, die bei ihm, dem
Beklagten, zu dieser Nummer gespeichert würden, einer strikten Zweckbestimmung. Die
Erhebung und Verwendung der Nummer durch die Finanzbehörden dürfe nur dann
erfolgen, wenn sie der gleich- und gesetzmäßigen Besteuerung des Bürgers diene (vgl.
BT-Drucks. 15/1945, Seite 16; Wiese, in: Beermann/Gosch, § 139b AO, Rn. 9). Eine
Verwendung des Identifikationsmerkmals für andere als steuerliche Zwecke sei
ausschließlich auf der Grundlage einer ausdrücklichen spezialgesetzlichen Regelung
des Bundes erlaubt. In Abgrenzung zum Bundesdatenschutzgesetz, nach dem eine
Zweckänderung unter bestimmten Voraussetzungen auch ohne zusätzliche gesetzliche
Regelung zulässig sei (vgl. § 14 Abs. 2 BDSG), habe der Gesetzgeber durch den
Gesetzesvorbehalt im Rahmen des § 139 b Abs. 2 AO strenge Anforderungen an eine
mögliche Zweckänderung gestellt. Denn immanenter Bestandteil dieser gesetzlichen
Öffnungsklausel sei, dass diese spezialgesetzliche Regelung ihrerseits wieder den
Anforderungen des Grundgesetzes (insbesondere dem Recht auf informationelle
Selbstbestimmung) entspreche.
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Unschädlich sei im Hinblick auf die Wahrung des Bestimmheitsgebotes, dass in § 139 b
Abs. 2 AO von "andere(n) öffentliche(n) oder nicht öffentliche(n) Stellen" die Rede sei.
Denn das Bestimmtheitsgebot verbiete nicht von vornherein die Verwendung
unbestimmter Rechtsbegriffe, sofern sie sich hinreichend konkretisieren ließen und die
Vorhersehbarkeit und Justitiabilität des Handelns der durch die Norm ermächtigten
staatlichen Stellen nicht gefährdet seien. Insoweit seien auch die "öffentlichen bzw.
nicht öffentlichen Stellen" hinreichend bestimmt, da sich diese durch einen Rückgriff auf
das Bundesdatenschutzgesetz ohne Schwierigkeiten bestimmen ließen. Die Begriffe
"öffentliche" und "nicht öffentliche Stellen" seien in § 2 BDSG definiert.
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Auch § 139b Abs. 2 Satz 2 Nr. 2 AO sei vom Gesetzgeber hinreichend konkretisiert
worden. § 139b Abs. 2 Satz 2 Nr. 2 AO bezwecke nicht eine Erweiterung der
Verwendung der Identifikationsnummer, sondern – im Gegenteil – eine Einschränkung
des § 139b Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 AO. Ein Ordnen nach der Steueridentifikationsnummer
sowie die Erschließung der Identifikationsnummer für den Zugriff durch die
Finanzverwaltung sei nur unter den zusätzlichen Anforderungen des § 139 b Abs. 2
Satz 2 Nr. 2 AO möglich. Die Voraussetzungen des § 139b Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 AO
müssten aber stets kumulativ vorliegen, da das Ordnen bzw. die Erschließung der
Identifikationsnummer für die Datenübermittlung zugleich ein Verwenden bzw.
Beschaffen der Identifikationsnummer darstelle.
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Auch § 139b Abs. 4 Nr. 4 und 5 AO sei hinreichend bestimmt. Die Verwendung von
unbestimmten Rechtsbegriffen sei dabei unschädlich. Denn der Verwendungsanlass
und der Verwendungsgegenstand seien hinreichend umschrieben, indem die
Verwendung bzw. Erhebung der Identifikationsnummer auf die Erfüllung der
gesetzlichen Aufgaben der Finanzverwaltung beschränkt sei. Die Verwendung von
unbestimmten Rechtsbegriffen führe dabei auch nicht zu einer beliebigen
Erweiterbarkeit der Verwendung der Steueridentifikationsnummer. Denn der
Gesetzgeber sei lediglich im Rahmen der verfassungsmäßigen Ordnung frei, eine
Zweckänderung herbeizuführen.
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§ 139b AO verstoße auch nicht gegen das Verhältnismäßigkeitsprinzip
(Übermaßverbot). Die Norm diene der gleichmäßigen und gesetzmäßigen Festsetzung
und Erhebung von Steuern (vgl. Art. 3 GG, § 85 AO). Darüber hinaus werde durch die
Einführung einer Steueridentifikationsnummer ein wesentlicher Beitrag zur
Vereinfachung des Besteuerungsverfahrens geleistet und zugleich würden
Arbeitsabläufe innerhalb der Finanzverwaltung effizienter und kostengünstiger gestaltet
(BT-Drucks. 15/1945, Seite 16). Ferner werde mit der Einführung der
Steueridentifikationsnummer eine Angleichung an den internationalen Standard
bezweckt (vgl. BT-Drucks. 15/1798, Seite 15). Hierbei handele es sich um legitime
Zwecke.
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Die Erhebung und Verwendung der Steueridentifikationsnummer sei auch geeignet
dieses Ziel der gleichmäßigen Festsetzung und Erhebung von Steuern zu erreichen.
Zur Gewährleistung der Gleichheit im "Belastungserfolg" müsse nach den Vorgaben
des Bundesverfassungsgerichts (vgl. Urteil vom 27. Juni 1991, 2 BvR 1493/89, BVerfGE
84, 239, Rn. 106 ff.) das Deklarationsprinzip durch das Verifikationsprinzip ergänzt
werden. Wesentliche Voraussetzung für ein effektives Kontrollsystem sei die eindeutige
Identifizierung des Steuerpflichtigen. Hierfür sei die Steueridentifikationsnummer
geeignet, denn sie sei eindeutig, beständig und unveränderlich.
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Die Erhebung und Vergabe der Steueridentifikationsnummer sei auch erforderlich, um
diese Gesetzeszwecke zu erreichen. Ein ebenso wirksames, aber den Betroffenen
weniger belastendes Mittel, um im Rahmen des Steuerverfahrens eine einwandfreie
Identifizierung des Steuerpflichtigen erreichen zu können, sei nicht ersichtlich. Eine
erfolgreiche Verwertung steuererheblicher Informationen setze eine eindeutige
Identifizierung von Steuersubjekten voraus. Diesem Erfordernis sei insbesondere durch
das föderale, länderseparate Steuernummernsystem, in welchem die Steuernummern
zudem nicht dauerhaft vergeben würden, nicht ausreichend Rechnung getragen
worden.
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Die Erhebung und Verwendung der Steueridentifikationsnummer im Rahmen des
§ 139b AO wahre auch das Gebot der Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne. Die
Gleichmäßigkeit der Festsetzung und Erhebung von Besteuerungsgrundlagen sei
Allgemeingut von herausgehobener Bedeutung. Die Einführung der
Identifikationsnummer führe zu mehr Lastengleichheit bei den Steuerpflichtigen, denn
mit der Einführung der Identifikationsnummer werde es der Finanzverwaltung möglich
sein, Kontrollmitteilungen und andere steuererhebliche Informationen zügig, irrtumsfrei
und ohne Reibungsverluste dem richtigen Steuersubjekt zuzuordnen. Ferner sei die
Verwendung der Steueridentifikationsnummer durch § 139 b AO auch auf das
notwendige Maß beschränkt. Denn bei der Steueridentifikationsnummer würden sowohl
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die Nummer selbst als auch die Daten, die beim Bundeszentralamt für Steuern
gespeichert würden, einer strikten besonderen Zweckbindung unterliegen. Andere
Stellen als Finanzbehörden dürften die Identifikationsnummer nur erheben oder
verwenden, soweit dies für die Datenermittlung zwischen ihnen und den
Finanzbehörden erforderlich sei oder eine Rechtsvorschrift die Erhebung oder
Verwendung ausdrücklich erlaube oder anordne. Auf die gespeicherten Daten dürften
nur Finanzbehörden im Rahmen der gesetzlich geregelten Zwecke zugreifen. Andere
öffentliche oder nichtöffentliche Stellen hätten keinen Zugriff auf diese Daten.
Insbesondere werde auch der Gefahr, dass durch die Einführung der
Steueridentifikationsnummer Persönlichkeitsprofile erstellt werden könnten, durch
verschiedene Maßnahmen entgegengewirkt. So sei die Identifikationsnummer als sog.
"nicht sprechende Nummer" konzipiert, die keine Rückschlüsse auf die zu dem
Betroffenen gespeicherten Daten zulasse. Ferner dürften die Daten nur von den
Finanzbehörden für die gesetzlich zugelassenen Zwecke verwandt werden. Schließlich
habe der Gesetzgeber die zweckwidrige Verwendung der Nummer durch nicht
öffentliche Stellen nach § 383a AO mit einem Bußgeld von bis zu 10.000 € bedroht.
Entscheidungsgründe
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Die Klage ist zulässig, jedoch unbegründet.
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A. Die Voraussetzungen der Zulässigkeit sind erfüllt.
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I. Der Finanzrechtsweg ist nach § 33 Abs. 1 Nr. 1 FGO eröffnet. Der Streitfall betrifft
insbesondere eine öffentlich-rechtliche Streitigkeit über Abgabenangelegenheiten.
Abgabenangelegenheiten sind nach § 33 Abs. 2 FGO alle mit der Verwaltung der
Abgaben einschließlich der Abgabenvergütungen oder sonst mit der Anwendung der
abgabenrechtlichen Vorschriften durch die Finanzbehörden zusammenhängenden
Angelegenheiten.
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Im Streitfall begehrt die Klägerin die Löschung der Steueridentifikationsnummer und der
hierunter beim Beklagten gespeicherten Daten. Rechtsgrundlage hierfür ist ein
öffentlich-rechtlicher Folgenbeseitigungsanspruch. Die Löschung der
Steueridentifikationsnummer und der hierunter gespeicherten Daten weist dabei die
gleiche Rechtsnatur auf wie deren Vergabe. Die Vergabe der
Steueridentifikationsnummer und Speicherung von Daten hierunter ist eine
abgabenrechtliche Angelegenheit, da sie in der Abgabenordnung - in § 139b AO -
geregelt ist.
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II. Die Leistungsklage ist statthaft. Die Leistungsklage i.S.d. § 40 Abs. 1 FGO ist nicht auf
den Erlass oder die Aufhebung eines Verwaltungsaktes, sondern auf eine abgelehnte
oder unterlassene andere oder sonstige Leistung gerichtet, die in einem Tun, Dulden
oder Unterlassen bestehen kann (Tipke, in Tipke/Kruse, § 40 FGO, Tz. 17).
50
Die Klägerin begehrt die Löschung der Steueridentifikationsnummer und der hierunter
beim Beklagten gespeicherten Daten. Damit begehrt sie ein schlichtes
Verwaltungshandeln. Bei der Löschung handelt es sich insbesondere nicht um die
Aufhebung eines Verwaltungsaktes.
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Die Vergabe und die Mitteilung der Steueridentifikationsnummer stellen keinen
Verwaltungsakt i.S.d. § 118 Satz 1 AO dar, sondern schlichtes Verwaltungshandeln (so
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i.E. auch Schmitz, in Schwarz, § 139a AO, Rn. 3a; Brandis, in Tipke/Kruse, § 139a AO,
Tz. 3; Rätke, in Klein, § 139a AO, Rn. 6; a.A. Wiese, in Beermann/Gosch, § 139a AO,
Rn. 14). Es mangelt an dem für einen Verwaltungsakt erforderlichen
Regelungscharakter. Eine Regelung setzt voraus, dass eine verbindliche Rechtsfolge
gesetzt wird (BFH-Beschluss vom 19. Juli 2005, VI B 4/05, BFH/NV 2005, 1755). Diese
Voraussetzung ist nicht erfüllt. Die Vergabe der Steueridentifikationsnummer hat
lediglich innerorganisatorischen Charakter. Sie ist mit der Vergabe der Steuernummer
und Umsatzsteueridentifikationsnummer, die ebenfalls (nur) schlichtes
Verwaltungshandeln darstellt (zur Steuernummer: Schmitz, in Schwarz, AO, Vor §§
139a-139d, Rn. 10), vergleichbar. Nichts anderes ergibt sich daraus, dass die
Steueridentifikationsnummer im Gegensatz zur Steuernummer und
Umsatzsteuernummer lebenslange Geltung hat. Denn hierdurch wird der Charakter der
Identifikationsnummer als innerorganisatorische Maßnahme nicht verändert.
III. Am Vorliegen der übrigen Zulässigkeitsvoraussetzungen bestehen keine Bedenken.
Insbesondere sind die Durchführung eines Vorverfahrens und die Wahrung einer
Klagefrist vom Gesetz nicht vorgesehen.
53
IV. Die Zulässigkeit der Klage scheitert auch nicht an der Minderjährigkeit der Klägerin,
da sie von ihren Eltern als ihren gesetzlichen Vertretern gemäß § 1629 Abs. 1 BGB
ordnungsgemäß vertreten wurde.
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1. Die 1998 geborene, minderjährige Klägerin ist nach § 106 BGB nur beschränkt
geschäftsfähig. Damit kann sie nach § 58 Abs. 1 Nr. 1 und 2 FGO im vorliegenden
Verfahren keine wirksamen Verfahrenshandlungen vornehmen. Es bedarf deshalb der
Vertretung der Klägerin durch ihre Eltern.
55
2. Es ist kein Prozesspfleger nach § 57 Abs. 1 ZPO i.V.m. § 155 FGO zu bestellen.
Hiernach hat das Prozessgericht nur dann einen Vertreter für eine nicht prozessfähige
Person zu bestellen, wenn die nicht prozessfähige Person verklagt werden soll. Nach
Wortlaut und Zweck erschöpft sich die Vorschrift des § 57 ZPO darin, dem Kläger einen
prozessfähigen Gegner gegenüberzustellen, damit er seinen Anspruch geltend machen
kann (BFH-Beschluss vom 12. Juli 1999, IX S 8/99, BFH/NV 1999, 1631). Deshalb ist
die Vorschrift nicht anzuwenden, wenn, wie im Streitfall, ein nicht prozessfähiger Kläger
– hier: Klägerin – klagen will.
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V. Der Zulässigkeit der Klage steht nicht entgegen, dass die Klägerin im Laufe des
Klageverfahrens ihr Klagebegehren von einem Feststellungs- in ein Leistungsbegehren
geändert hat. Es handelt sich hierbei um eine Klageänderung nach § 67 Abs. 1 FGO.
Die Klageänderung ist u.a. zulässig, wenn – wie im Streitfall – die übrigen Beteiligten –
hier: der Beklagte – eingewilligt hat.
57
B. Die Klage ist indes unbegründet.
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Die Klägerin hat keinen Anspruch auf die Löschung der Steueridentifikationsnummer
und der hierunter beim Beklagten gespeicherten Daten. Die Voraussetzungen eines
öffentlich-rechtlichen Folgenbeseitigungsanspruchs, der einzigen in Betracht
kommenden Rechtsgrundlage, sind nicht erfüllt.
59
I. Der Folgenbeseitigungsanspruch ist auf die Beseitigung der unmittelbaren Folgen der
Vollziehung des Verwaltungsaktes bzw. des Verwaltungshandelns gerichtet (vgl. BFH-
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Beschluss vom 18. November 2003 VII B 277/03, BFH/NV 2004, 288; BVerwG-Urteil
vom 19. Juli 1984, 3 C 81/82, BVerwGE 69, 366). Dieser setzt voraus, dass durch einen
hoheitlichen Eingriff in ein subjektives Recht ein noch andauernder rechtswidriger
Zustand geschaffen wird (BFH- Beschluss vom 18. November 2003, VII B 277/03,
a.a.O.).
Im Streitfall mangelt es an einem rechtswidrigen Zustand. Die
Steueridentifikationsnummer wurde auf der Grundlage des § 139a AO zugeteilt und die
darunter erfolgte Speicherung der Daten basiert auf § 139b AO, dessen
Voraussetzungen gewahrt sind.
61
Die Klägerin fällt insbesondere auch in den Anwendungsbereich des § 139a Abs. 1 AO,
der alle Steuerpflichtigen erfasst. Steuerpflichtiger im Sinne der §§ 139a ff. AO ist
gemäß § 139a Abs. 2 AO jeder, der – wie die Klägerin – nach einem Steuergesetz
steuerpflichtig ist. Die Steuerpflicht der Klägerin ergibt sich trotz ihrer Minderjährigkeit
und Erwerbslosigkeit aus § 1 Abs. 1 EStG.
62
Laut Mitteilungsschreiben des Beklagten vom 7. Oktober 2008 wurden auch nur solche
Daten gespeichert, die in § 139b Abs. 3 AO vorgesehen sind: der Familienname, der
Vorname, das Geschlecht, die Adresse, der Geburtstag und –ort.
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Dass in dem Mitteilungsschreiben auch eine Position zur Speicherung vorgesehen ist,
die von § 139b Abs. 3 AO nicht gedeckt sein könnte - die Lebenspartnerschaft - ist im
Streitfall unerheblich, da hierzu jedenfalls keine Eintragung erfolgt ist.
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II. Entgegen der Auffassung der Klägerin sind die Voraussetzungen des
Folgenbeseitigungsanspruchs auch nicht deshalb erfüllt, weil §§ 139a, 139b AO gegen
Grundrechte verstoßen würde. Der Senat hat diesbezüglich zwar erhebliche Zweifel.
Dies entbindet ihn jedoch nicht von der Anwendung des Gesetzes. Er kann die Sache
auch nicht dem Bundesverfassungsgericht im Wege eines konkreten
Normenkontrollverfahrens nach Art. 100 Abs. 1 GG vorlegen. Denn die Einholung einer
Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts über die Verfassungsmäßigkeit
gesetzlicher Vorschriften nach Art. 100 Abs. 1 GG setzt die Überzeugung des
vorlegenden Gerichts von der Verfassungswidrigkeit der Norm voraus (vgl. BVerfG-
Beschluss vom 14. Oktober 2009, 2 BvL 3/08 u.a., ZBR 2010, 165; vom 13. Mai 2009, 1
BvL 7/08, MMR 2009, 606; vom 8. September 2008, 2 BvL 6/03, HFR 2009, 72). Damit
ist die volle Überzeugung gemeint. Soweit (lediglich) erhebliche Zweifel an der
Verfassungswidrigkeit eines Gesetzes bestehen, ist die Vorlage an das
Bundesverfassungsgericht nach Art. 100 Abs. 1 GG unzulässig und die Norm
anzuwenden.
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1. Die Regelungen zur Steueridentifikationsnummer wurden durch das Zweite Gesetz
zur Änderung steuerlicher Vorschriften (Steueränderungsgesetz 2003) vom 15.
Dezember 2003 (BStBl I 2003, 710) als 3. Unterabschnitt des 1. Abschnitts des 4. Teils
der AO in die Abgabenordnung eingefügt. Dabei sieht § 139 a Abs. 1 AO vor, dass der
Beklagte, das Bundeszentralamt für Steuern, jedem Steuerpflichtigen zum Zwecke der
eindeutigen Identifizierung in Besteuerungsverfahren ein einheitliches und dauerhaftes
Merkmal (Identifikationsmerkmal) zuteilt, das bei Anträgen, Erklärungen oder
Mitteilungen gegenüber Finanzbehörden anzugeben ist. Dabei erhalten natürliche
Personen eine Identifikationsnummer nach § 139 b AO, die sog.
Steueridentifikationsnummer. In § 139 b AO sind Art und Umfang der Verwendung der
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Identifikationsmerkmale sowie die beim Bundeszentralamt für Steuern zu speichernden
Daten geregelt. § 139 d AO enthält ergänzend hierzu die Ermächtigung zum Erlass
einer Rechtsverordnung.
Der Zeitpunkt der erstmaligen Zuteilung der Steueridentifikationsnummer ist in Art. 97
§ 5 EGAO geregelt, wonach das BMF diesen Zeitpunkt durch Rechtsverordnung
bestimmt.
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Die §§ 139 a – 139 d AO werden auch durch § 383a AO ergänzt, der die Sanktionierung
zweckwidriger Verwendungen des Identifikationsmerkmals vorsieht.
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2. Für den Senat steht nicht zur vollen Überzeugung fest, dass die Zuteilung der
Steueridentifikationsnummer nach § 139a Abs. 1 AO und die Speicherung von Daten
hierunter nach § 139b AO nicht mit der Verfassung im Einklang steht, wenngleich er
ganz erhebliche Zweifel hieran hat.
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Insoweit kommt insbesondere eine Verletzung des durch Art. 2 Abs 1 in Verbindung mit
Art. 1 Abs 1 GG geschützten allgemeinen Persönlichkeitsrechts, insbesondere des
Rechts auf informationelle Selbstbestimmung in Betracht. Dabei ist von ganz
besonderer Bedeutung, dass durch die Steueridentifikationsnummer alle
Steuerpflichtigen i.S.d. § 139a Abs. 2 AO, also letztlich alle in der Bundesrepublik
Deutschland ansässigen Bürger, zentral durch den Staat erfasst werden und dass
hierdurch die Möglichkeit geschaffen wird, durch entsprechende Erweiterungen der
unter der Steueridentifikationsnummer zu speichernden Daten bzw. durch die
Vernetzung verschiedener Datenpools, die auf der Steueridentifikationsnummer
basieren könnten, einen großen zentralen Datenbestand zu schaffen, so dass sich in
Zukunft möglicherweise auch die Gefahr der Erstellung von Persönlichkeitsprofilen
ergeben könnte.
70
a. Schutzbereich
71
Der Schutzbereich des Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG, insbesondere
der des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung, ist tangiert.
72
aa. Nach Art. 2 Abs. 1 GG hat jeder das Recht auf die freie Entfaltung seiner
Persönlichkeit, soweit er nicht die Rechte anderer verletzt und nicht gegen die
verfassungsmäßige Ordnung oder das Sittengesetz verstößt. Nach Art. 1 Abs. 1 Satz 1
GG ist die Würde des Menschen unantastbar.
73
bb. Das Bundesverfassungsgericht hat hieraus in seinem sog. Volkszählungsurteil vom
15. Dezember 1983 (1 BvR 209/83 u.a., BVerfGE 65, 1) abgeleitet, dass die freie
Entfaltung der Persönlichkeit bereits unter den seinerzeit modernen Bedingungen der
Datenverarbeitung den Schutz des Einzelnen gegen unbegrenzte Erhebung,
Speicherung, Verwendung und Weitergabe seiner persönlichen Daten voraussetzt
(BVerfG-Urteil vom 15. Dezember 1983, 1 BvR 209/83 u.a., a.a.O., Rn. 149). Dieser
Schutz ist daher von dem Grundrecht des Art. 2 Abs 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs 1 GG
umfasst. Das Grundrecht gewährleistet insoweit die Befugnis des Einzelnen,
grundsätzlich selbst über die Preisgabe und Verwendung seiner persönlichen Daten zu
bestimmen (BVerfG-Urteil vom 15. Dezember 1983, 1 BvR 209/83 u.a., a.a.O., Rn. 149).
74
Denn im Mittelpunkt der grundgesetzlichen Ordnung stehen der Wert und die Würde der
75
Person, die in freier Selbstbestimmung als Glied einer freien Gesellschaft wirkt. Ihrem
Schutz dient - neben speziellen Freiheitsverbürgungen - das in Art. 2 Abs 1 in
Verbindung mit Art. 1 Abs 1 GG gewährleistete allgemeine Persönlichkeitsrecht, das
gerade auch im Blick auf moderne Entwicklungen und die mit ihnen verbundenen neuen
Gefährdungen der menschlichen Persönlichkeit Bedeutung gewinnen kann (BVerfG-
Urteil vom 15. Dezember 1983, 1 BvR 209/83 u.a., BVerfGE 65, 1, Rn. 146). Das
Persönlichkeitsrecht umfasst auch die aus dem Gedanken der Selbstbestimmung
folgende Befugnis des Einzelnen, grundsätzlich selbst zu entscheiden, wann und
innerhalb welcher Grenzen persönliche Lebenssachverhalte offenbart werden (BVerfG-
Urteil vom 15. Dezember 1983, 1 BvR 209/83 u.a., BVerfGE 65, 1, Rn. 146).
Individuelle Selbstbestimmung setzt - auch unter den Bedingungen moderner
Informationsverarbeitungstechnologien - voraus, dass dem Einzelnen
Entscheidungsfreiheit über vorzunehmende oder zu unterlassende Handlungen
einschließlich der Möglichkeit gegeben ist, sich auch entsprechend dieser
Entscheidung tatsächlich zu verhalten. Wer nicht mit hinreichender Sicherheit
überschauen kann, welche ihn betreffende Informationen in bestimmten Bereichen
seiner sozialen Umwelt bekannt sind, und wer das Wissen möglicher
Kommunikationspartner nicht einigermaßen abzuschätzen vermag, kann in seiner
Freiheit wesentlich gehemmt werden, aus eigener Selbstbestimmung zu planen oder zu
entscheiden (BVerfG-Urteil vom 15. Dezember 1983, 1 BvR 209/83 u.a., a.a.O., Rn.
148). Mit dem Recht auf informationelle Selbstbestimmung wären eine
Gesellschaftsordnung und eine diese ermöglichende Rechtsordnung nicht vereinbar, in
der Bürger nicht mehr wissen können, wer was wann und bei welcher Gelegenheit über
sie weiß. Wer unsicher ist, ob abweichende Verhaltensweisen jederzeit notiert und als
Information dauerhaft gespeichert, verwendet oder weitergegeben werden, wird
versuchen, nicht durch solche Verhaltensweisen aufzufallen. Wer damit rechnet, dass
etwa die Teilnahme an einer Versammlung oder einer Bürgerinitiative behördlich
registriert wird und dass ihm dadurch Risiken entstehen können, wird möglicherweise
auf eine Ausübung seiner entsprechenden Grundrechte verzichten. Dies würde nicht nur
die individuellen Entfaltungschancen des Einzelnen beeinträchtigen, sondern auch das
Gemeinwohl, weil Selbstbestimmung eine elementare Funktionsbedingung eines auf
Handlungsfähigkeit und Mitwirkungsfähigkeit seiner Bürger begründeten freiheitlichen
demokratischen Gemeinwesens ist (BVerfG-Urteil vom 15. Dezember 1983,
1 BvR 209/83 u.a., BVerfGE 65, 1, Rn. 148).
76
cc. Auch schon im sog. Mikrozensus-Urteil vom 16. Juli 1969 (1 BvL 19/63, BVerfGE 27,
1, Rn. 20) hatte das Bundesverfassungsgericht hervorgehoben, dass es der
menschlichen Würde widerspreche, den Menschen zum bloßen Objekt im Staat zu
machen. Mit der Menschenwürde wäre es nicht zu vereinbaren, wenn der Staat das
Recht für sich in Anspruch nehmen könnte, den Menschen zwangsweise in seiner
ganzen Persönlichkeit zu registrieren und zu katalogisieren, sei es auch in der
Anonymität einer statistischen Erhebung, und ihn damit wie eine Sache zu behandeln,
die einer Bestandsaufnahme in jeder Beziehung zugänglich ist (BVerfG-Entscheidung
vom 16. Juli 1969, 1 BvL 19/63, a.a.O., Rn. 20).
77
Ein solches Eindringen in den Persönlichkeitsbereich durch eine umfassende
Einsichtnahme in die persönlichen Verhältnisse seiner Bürger ist dem Staat auch
deshalb versagt, weil dem Einzelnen um der freien und selbstverantwortlichen
Entfaltung seiner Persönlichkeit willen ein "Innenraum" verbleiben muss, in dem er "sich
selbst besitzt" und "in den er sich zurückziehen kann, zu dem die Umwelt keinen Zutritt
78
hat, in dem man in Ruhe gelassen wird und ein Recht auf Einsamkeit genießt" (BVerfG-
Entscheidung vom 16. Juli 1969, 1 BvL 19/63, BVerfGE 27, 1, Rn. 21). In diesen Bereich
kann der Staat unter Umständen bereits durch eine - wenn auch bewertungsneutrale -
Einsichtnahme eingreifen, die die freie Entfaltung der Persönlichkeit durch den
psychischen Druck öffentlicher Anteilnahme zu hemmen vermag (BVerfG-Entscheidung
vom 16. Juli 1969, 1 BvL 19/63, a.a.O., Rn. 21).
dd. Durch die Zuteilung der Steueridentifikationsnummer und die Speicherung von
Daten hierunter ist der Schutzbereich der informationellen Selbstbestimmung der
Klägerin betroffen. Denn hierdurch ist ihre Befugnis, grundsätzlich selbst über die
Preisgabe und Verwendung ihrer persönlichen Daten zu bestimmen, tangiert.
79
b. Eingriff
80
Der Schutzbereich ist nicht nur tangiert, in ihn wird auch eingegriffen. Eingriff ist jedes
staatliche Handeln, das dem Einzelnen ein Verhalten, das in den Schutzbereich eines
Grundrechts fällt, ganz oder teilweise unmöglich macht.
81
Der Eingriff ist in mehrerlei Hinsicht gegeben.
82
aa. So wird in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung schon allein durch die
Zuteilung der Steueridentifikationsnummer eingegriffen. Durch die der Klägerin
zugeordnete Steueridentifikationsnummer wird ein Datum geschaffen, über dessen
Verwendung die Klägerin nicht bestimmen kann. Auch könnte hierdurch eine erste
Voraussetzung für die Möglichkeit der Erstellung von Persönlichkeitsprofilen geschaffen
sein, da dem Staat hierdurch erstmalig ein Instrumentarium zur Verfügung steht, mit dem
er zentral Daten aller Steuerpflichtigen i.S.d. § 139a Abs. 2 AO, also sämtlicher Bürger
in Deutschland, speichern könnte.
83
bb. Auch die Speicherung der Daten nach § 139 b Abs. 3 AO unter der
Steueridentifikationsnummer - insbesondere solcher, die über den Namen hinausgehen,
da die Nummer zu ihrem Verständnis immer einem Namen zugeordnet sein muss –
greift in das Recht der Klägerin auf informationelle Selbstbestimmung ein. Denn
hierdurch ist es der Klägerin nicht mehr möglich, grundsätzlich selbst über die
Preisgabe und Verwendung dieser ihrer persönlichen Daten zu bestimmen.
84
cc. Entsprechendes gilt für die Möglichkeit der Zuspeicherung weiterer Daten. Von
dieser Möglichkeit hat der Gesetzgeber durch den Erlass des § 39 e EStG sogar schon
Gebrauch gemacht, auch wenn die entsprechende Speicherung der Daten nach § 39 e
Abs. 2 EStG bislang noch nicht umgesetzt wurde. Hieran wird deutlich, dass
Erweiterungsmöglichkeiten bestehen und der Gesetzgeber hiervon auch Gebrauch
macht.
85
dd. Darüber hinaus wird in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung durch die
Möglichkeit der Weitergabe der Steueridentifikationsnummer eingegriffen, denn auch
insoweit entzieht sich die Verwendung der Steueridentifikationsnummer als Datum der
Verfügungskompetenz der Klägerin.
86
ee. Schließlich wird in das Recht auch durch die Möglichkeit der Bildung weiterer
Datenpools unter der Steueridentifikationsnummer bei anderen öffentlichen und
nichtöffentlichen Stellen eingegriffen. Auch hierbei handelt es sich nicht (mehr) um eine
87
bloße Gefahr. So melden bereits z.B. die Versicherungsunternehmen und die Träger der
gesetzlichen Kranken- und Pflegeversicherung gemäß § 10 Abs. 2a Satz 4 EStG dem
Rentenversicherungsträger die Beiträge ihrer Versicherten unter Angabe der Vertrags-
oder Versicherungsdaten und der Identifikationsnummer nach § 139b AO. Darüber
hinaus ordnet § 22a EStG an, dass die Rentenversicherungsträger bei den jährlichen
Rentenbezugsmitteilungen an die Deutsche Rentenversicherung Bund die jeweilige
Steueridentifikationsnummer anzugeben haben.
c. Verfassungsrechtliche Rechtfertigung des Eingriffs
88
Der Senat hat erhebliche Zweifel daran, dass der Eingriff in das informationelle
Selbstbestimmungsrecht verfassungsrechtlich gerechtfertigt ist. Die Zweifel reichen
indes für eine volle Überzeugung von der mangelnden Rechtfertigung und damit für eine
Vorlage nach Art. 100 Abs. 1 GG nicht aus.
89
aa. Rechtsgrundlage des Eingriffs (Ermächtigungsgrundlage)
90
Der Eingriff in das informationelle Selbstbestimmungsrecht durch die Zuteilung der
Steueridentifikationsnummer und deren Nutzung insbesondere zur Datenspeicherung
findet seine Rechtsgrundlage in den §§ 139 a, 139b AO.
91
bb. Einschränkbarkeit des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung
92
Das Recht auf informationelle Selbstbestimmung ist grundsätzlich einschränkbar.
93
Es ist zwar nicht aufgrund eines Gesetzesvorbehaltes in Art. 2 Abs. 1 GG einschränkbar.
Bei Fehlen eines Gesetzesvorbehalts ist der Grundrechtsschutz jedoch durch
Verfassungsgüter und Grundrechte Dritter als so genannte verfassungsimmanente
Schranken eingeschränkt. Das Recht auf informationelle Selbstbestimmung ist also
nicht schrankenlos gewährleistet. Der Einzelne hat nicht ein Recht im Sinne einer
absoluten, uneinschränkbaren Herrschaft über "seine" Daten; er ist vielmehr eine sich
innerhalb der sozialen Gemeinschaft entfaltende, auf Kommunikation angewiesene
Persönlichkeit (BVerfG-Urteil vom 15. Dezember 1983, 1 BvR 209/83 u.a., BVerfGE 65,
1, Rn. 150). Information, auch soweit sie personenbezogen ist, stellt ein Abbild sozialer
Realität dar, das nicht ausschließlich dem Betroffenen allein zugeordnet werden kann.
Das Grundgesetz hat, wie in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts
mehrfach hervorgehoben ist, die Spannung Individuum - Gemeinschaft im Sinne der
Gemeinschaftsbezogenheit und Gemeinschaftsgebundenheit der Person entschieden
(vgl. BVerfG-Urteil vom 15. Dezember 1983, 1 BvR 209/83 u.a., BVerfGE 65, 1, Rn. 150;
vom 1. März 1979, 1 BvR 532/77 u.a., BVerfGE 50, 290 Rn. 179; Beschluss vom 18.
Januar 1981, 1 BvR 116/77, BVerfGE 56, 37 Rn. 26). Grundsätzlich muss daher der
Einzelne Einschränkungen seines Rechts auf informationelle Selbstbestimmung im
überwiegenden Allgemeininteresse hinnehmen.
94
cc. Verfassungsmäßigkeit des Eingriffs
95
Der Eingriff in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung der Klägerin durch
§ 139b i.V.m. § 139a AO ist in formell-rechtlicher Hinsicht verfassungsgemäß. Die
Kompetenz des Bundesgesetzgebers ergibt sich aus Art. 108 Abs. 5 Satz 1 GG und das
Gesetzgebungsverfahren wurde ordnungsgemäß durchgeführt.
96
In materiell-rechtlicher Hinsicht hat der Senat bedeutende Zweifel an der
Verfassungsgemäßheit der Regelung. Allerdings reichen diese Zweifel nicht für die
volle Überzeugungsbildung bezüglich einer Verfassungswidrigkeit der Regelung aus,
die für eine Vorlage an das Bundesverfassungsgericht nach Art. 100 Abs. 1 GG jedoch
erforderlich wäre. Folglich hat der Senat die §§ 139a, 139b AO trotz seiner Bedenken
anzuwenden.
97
(1) Rechtfertigungsgrundsätze für Eingriffe in das Recht auf informationelle
Selbstbestimmung
98
Bei der Prüfung der materiellen Verfassungsmäßigkeit ist zu berücksichtigen, dass die
Befugnis zur informationellen Selbstbestimmung – bereits aus der Sicht des
Bundesverfassungsgerichts im Jahre 1983 – unter den Bedingungen der automatischen
Datenverarbeitung in besonderem Maße des Schutzes bedarf (BVerfG-Urteil vom 15.
Dezember 1983, 1 BvR 209/83 u.a., BVerfGE 65, 1, Rn. 147). Sie ist vor allem deshalb
gefährdet, weil bei Entscheidungsprozessen nicht mehr wie früher auf manuell
zusammengetragene Karteien und Akten zurückgegriffen werden muss, vielmehr mit
Hilfe der automatischen Datenverarbeitung Einzelangaben über persönliche oder
sachliche Verhältnisse einer bestimmten oder bestimmbaren Person
(personenbezogene Daten, vgl. § 2 Abs 1 BDSG) technisch gesehen unbegrenzt
speicherbar und jederzeit ohne Rücksicht auf Entfernungen in Sekundenschnelle
abrufbar sind (BVerfG-Urteil vom 15. Dezember 1983, 1 BvR 209/83 u.a., a.a.O., Rn.
147). Sie können darüber hinaus - vor allem beim Aufbau integrierter
Informationssysteme - mit anderen Datensammlungen zu einem teilweise oder
weitgehend vollständigen Persönlichkeitsbild zusammengefügt werden, ohne dass der
Betroffene dessen Richtigkeit und Verwendung zureichend kontrollieren kann. Damit
haben sich in einer bis dahin unbekannten Weise die Möglichkeiten einer
Einsichtnahme und Einflussnahme erweitert, welche auf das Verhalten des Einzelnen
schon durch den psychischen Druck öffentlicher Anteilnahme einzuwirken vermögen
(BVerfG-Urteil vom 15. Dezember 1983, 1 BvR 209/83 u.a., a.a.O., Rn. 147).
99
Die Beschränkungen bedürfen nach Art. 2 Abs. 1 GG einer (verfassungsmäßigen)
gesetzlichen Grundlage, aus der sich die Voraussetzungen und der Umfang der
Beschränkungen klar und für den Bürger erkennbar ergeben und die damit dem
rechtsstaatlichen Gebot der Normenklarheit entspricht (BVerfG-Urteil vom 15. Dezember
1983, 1 BvR 209/83 u.a., a.a.O., Rn. 151; Beschluss vom 22. Juni 1977, 1 BvR 799/76,
BVerfGE 45, 400 Rn. 81). Bei seinen Regelungen hat der Gesetzgeber ferner den
Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu beachten. Dieser mit Verfassungsrang
ausgestattete Grundsatz folgt bereits aus dem Wesen der Grundrechte selbst, die als
Ausdruck des allgemeinen Freiheitsanspruchs des Bürgers gegenüber dem Staat von
der öffentlichen Gewalt jeweils nur soweit beschränkt werden dürfen, als es zum Schutz
öffentlicher Interessen unerlässlich ist (BVerfG-Urteil vom 15. Dezember 1983, 1 BvR
209/83 u.a., a.a.O., Rn. 151; vom 15. Dezember 1965, 1 BvR 513/65, BVerfGE 19, 342
Rn. 17). Angesichts der Gefährdungen durch die Nutzung der automatischen
Datenverarbeitung hat der Gesetzgeber mehr als früher auch organisatorische und
verfahrensrechtliche Vorkehrungen zu treffen, welche der Gefahr einer Verletzung des
Persönlichkeitsrechts entgegenwirken (BVerfG-Urteil vom 15. Dezember 1983, 1 BvR
209/83 u.a., a.a.O., Rn. 151).
100
(2) Schranken-Schranken
101
In dem Bewusstsein um die Gefahren, die von einer zentralen Speicherung von Daten
aller Bürger in Deutschland ausgehen und der diesbezüglichen besonderen
Schutzwürdigkeit des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung ergibt sich für den
Senat gleichwohl nicht zur vollen Überzeugung, dass der Eingriff in das Recht der
Klägerin auf informationelle Selbstbestimmung nicht aus dem Grundsatz der
Verhältnismäßigkeit und aus dem Bestimmtheitsgebot als sog. "Schranken-Schranken"
materiell-rechtlich gerechtfertigt ist.
102
(a) Grundsatz der Verhältnismäßigkeit
103
Nach dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit muss eine Maßnahme zur Erreichung des
angestrebten Zweckes geeignet und erforderlich sein; der mit ihr verbundene Eingriff
darf seiner Intensität nach nicht außer Verhältnis zur Bedeutung der Sache und den vom
Bürger hinzunehmenden Einbußen stehen (BVerfG-Urteil vom 15. Dezember 1983, 1
BvR 209/83 u.a., BVerfGE 65, 1, Rn. 175; BVerfG-Urteil vom 2. März 2010, 1 BvR
256/08 u.a., BGBl I 2010, 272, Rn. 204).
104
Dabei ist die Vergabe der Steueridentifikationsnummer mit dem Recht auf
informationelle Selbstbestimmung nach Art. 2 Abs. 1 GG nicht schlechthin unvereinbar.
Der Gesetzgeber kann mit einer solchen Regelung legitime Zwecke verfolgen, für deren
Erreichung eine solche Speicherung im Sinne des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes
geeignet und erforderlich ist. Einer solchen Speicherung fehlt es auch in Bezug auf die
Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne nicht von vornherein an einer
Rechtfertigungsfähigkeit. Bei einer Ausgestaltung, die dem besonderen Gewicht des
hierin liegenden Eingriffs hinreichend Rechnung trägt, also adäquat gesetzlich
ausgestaltet ist, unterfällt die Steueridentifikationsnummer nicht schon als solche dem
strikten Verbot eines Personenkennzeichens.
105
(aa) Zweck
106
Der Zweck der Zuteilung und Verwendung der Steueridentifikationsnummer
insbesondere zur Datenspeicherung nach §§ 139a, 139b AO besteht im Wesentlichen
in der gleichmäßigen Besteuerung, die durch einen gleichmäßigen Gesetzesvollzug
sichergestellt sein muss, und in der Vereinfachung des Besteuerungsverfahrens.
107
Insoweit nimmt auch der Gesetzgeber (Bericht des Finanzausschusses des deutschen
Bundestages, BT-Drucks. 15/1945, Seite 15 f.) zur Begründung der Einführung der
steuerlichen Identifikationsnummer auf das Zinsurteil des Bundesverfassungsgerichts
(vom 27. Juni 1991, 2 BvR 1493/89, BVerfGE 84, 239) Bezug, wonach der Gesetzgeber
sicherzustellen hat, dass alle Steuerpflichtigen durch ein Steuergesetz rechtlich und
tatsächlich gleich belastet werden. Daraus ergibt sich, dass die Finanzbehörden
aufgrund ihrer gesetzlichen Befugnisse in der Lage sein müssen, die Angaben des
Steuerpflichtigen zu überprüfen. Diese allein reichen hierfür im Wesentlichen zwar aus,
konnten aber bislang nicht optimal ausgeschöpft werden. Die Finanzbehörden müssen
auch organisatorisch und technisch fähig sein, die zulässigen Überprüfungen effizient
vorzunehmen. Dazu ist eine enge Zusammenarbeit der Finanzbehörden erforderlich.
Wesentliche Voraussetzung hierfür ist die eindeutige Identifizierung des
Steuerpflichtigen. Die bisherige Zuweisung einer Steuernummer, die nicht dauerhaft
vergeben wird und daher auch nicht eindeutig ist, ist für behördenübergreifende Zwecke
kaum geeignet. Denn dabei kann zum Beispiel eine minimale Abweichung bei der
Schreibweise eines Namens eine eindeutige Identifikation unmöglich machen.
108
Steuerpflichtige können auf diese Weise bewusst eine falsche Identität vortäuschen und
so steuerliche Leistungen oder Vergünstigungen zu Unrecht erlangen. Hier kann nach
der Gesetzesbegründung (Bericht des Finanzausschusses des deutschen
Bundestages, BT-Drucks. 15/1945, Seite 15 f.) – angesichts des föderalen Aufbaus der
Steuerverwaltung in Deutschland – nur die Einführung eines einheitlichen
Identifikationsmerkmals für das Besteuerungsverfahren Abhilfe schaffen.
Der Gesetzgeber hebt darüber hinaus hervor, dass durch die Einführung der
steuerlichen Identifikationsnummer ein wesentlicher Beitrag zur Vereinfachung des
Besteuerungsverfahrens – insbesondere im Hinblick auf die ebenfalls mit diesem
Gesetzesentwurf beabsichtigte Modernisierung des Lohnsteuerverfahrens – geleistet
wird (Bericht des Finanzausschusses des deutschen Bundestages, BT-Drucks.
15/1945, Seite 15 f.). Die Vergabe weiterer Steuernummern, z. B. für verschiedene
Steuerarten oder in Fällen des Wechsels des Wohn- oder Betriebssitzes, wird in Zukunft
entbehrlich. Das Identifikationsmerkmal erlaubt darüber hinaus die Zuordnung der
neuen elektronischen Lohnsteuerbescheinigung und wird u. a. auch die Funktion der
Umsatzsteuer-Identifikationsnummer umfassen. Dies baut Bürokratie ab und erhöht die
Transparenz des Besteuerungsverfahrens (Bericht des Finanzausschusses des
deutschen Bundestages, BT-Drucks. 15/1945, Seite 15 f.). Darüber hinaus erfolgt
hierdurch eine Anpassung an internationale Standards (BT-Drucks. 15/1798, Seite 15).
109
(bb) Eignung
110
Die Steueridentifikationsnummer dürfte nach Auffassung des Senats dazu geeignet
sein, den Vollzug der Steuergesetze besser zu gewährleisten und damit zu einer
gleichmäßige(re)n Besteuerung zu führen.
111
Zweifel bestehen für den Senat jedoch insoweit, als der Zweck der gleichmäßigen
Besteuerung durch die eindeutige und zentrale Erfassung aller potentiellen
Steuerpflichtigen – als "Unterzweck" – erstrebt wird. Deshalb wurde für den
persönlichen Anwendungsbereich der Steueridentifikationsnummer auch eine
Spezialdefinition des Steuerpflichtigen in das Gesetz eingefügt, die den Kreis der
Steuerpflichtigen gegenüber dem gemäß der Legaldefinition des § 33 Abs. 1 AO
deutlich erweitert. So ist Steuerpflichtiger im Sinne der §§ 139a ff. gemäß § 139a Abs. 2
AO jeder, der nach einem Steuergesetz steuerpflichtig ist. Damit werden letztlich alle
Bürger in Deutschland erfasst. Denn nach § 1 Abs. 1 Satz 1 EStG sind alle natürlichen
Personen, die im Inland einen Wohnsitz oder ihren gewöhnlichen Aufenthalt haben,
unbeschränkt einkommensteuerpflichtig.
112
Die Zweifel beruhen darauf, dass es nicht möglich ist, alle in Deutschland potentiell
Steuerpflichtigen zu erfassen, so dass der Unterzweck und damit auch der Zweck
insoweit nicht erreicht werden könnte. So wird beispielsweise beschränkt
Steuerpflichtigen keine Steueridentifikationsnummer zugeteilt, obwohl auch diese zur
Erreichung des Zwecks erfasst werden müssten. Letztlich wäre zu erwägen, ob bei
konsequenter Umsetzung des Ziels der gleichmäßigen Besteuerung durch die
Erfassung aller potentiell Steuerpflichtigen die Steueridentifikationsnummer auch über
die Staatsgrenze hinaus zuzuteilen wäre und dass dieses Ziel nicht erreichbar wäre.
Allerdings ist dem Gesetzgeber diesbezüglich zugute zu halten, dass dies faktisch nicht
möglich wäre. Er hat indes den Personenkreis, dessen Erfassung möglich ist, erfasst.
113
(cc) Erforderlichkeit
114
Große Bedenken hat der Senat allerdings an der Voraussetzung der Erforderlichkeit,
wenngleich er nicht zu der vollen Überzeugung gelangt, dass die Erforderlichkeit nicht
gegeben ist.
115
(aaa) Die Erforderlichkeit setzt voraus, dass das Ziel nicht durch eine weniger
belastende Maßnahme gleichermaßen wirksam erreicht werden könnte (vgl. BVerfG-
Beschluss vom 5. Juli 2010, 2 BvR 759/10, abrufbar über Juris; vom 11. Juni 2010,
1 BvR 915/10, abrufbar über Juris; vom 2. März 2010, 1 BvR 256/08 u.a., BGBl I 2010,
272).
116
Der Senat sieht in diesem Zusammenhang ein Problem in der mangelnden
Anlassbezogenheit der Zuteilung der Steueridentifikationsnummer und der hierunter
erfolgenden Datenspeicherung, die am Beispiel der minderjährigen Klägerin, die noch
keinen Besteuerungstatbestand erfüllt, besonders deutlich wird. Es ist zu erwägen, ob
es zum Zwecke der gleichmäßigen Besteuerung tatsächlich erforderlich ist, die
Steueridentifikationsnummer "flächendeckend" zuzuteilen und "flächendeckend" zentral
hierunter Daten zu speichern, unabhängig davon, ob die betreffenden Personen schon
einen Besteuerungstatbestand erfüllt haben.
117
(bbb) Die Daten nach § 139 b Abs. 3 AO werden für alle "Steuerpflichtigen" i.S.d. § 139a
Abs. 2 AO gespeichert, unabhängig davon, ob ein Besteuerungstatbestand besteht oder
ob es dazu kommen wird. Diesbezüglich kommt es in gewisser Weise zu einer
"Vorratsdatenspeicherung". Eine Vorratsdatenspeicherung ist nicht grundsätzlich
zulässig (BVerfG-Urteil vom 15. Dezember 1983, 1 BvR 209/83 u.a., BVerfGE 65, 1, Rn.
155). An ihre Erforderlichkeit sind hohe Anforderungen zu stellen (BVerfG-Urteil zur
Vorratsdatenspeicherung vom 2. März 2010, 1 BvR 256/08 u.a., BGBl I 2010, 272,
Rn. 227). Insoweit bestehen vorliegend Bedenken.
118
Es könnte fraglich sein, ob die anlasslose Speicherung der Daten die Gleichmäßigkeit
der Besteuerung tatsächlich verbessert. Denn die anlasslose Vergabe der
Steueridentifikationsnummer als solcher führt nicht dazu, dass dem Finanzamt neue
Besteuerungsfälle bekannt werden oder dass es entsprechende Ermittlungen einleitet
(z.B. jeden steuerlich bei ihm noch nicht in Erscheinung getretenen "Steuerpflichtigen"
zur Mitteilung auffordert, ob steuerpflichtige Einkünfte erzielt werden).
119
(ccc) Zwar ist die Speicherung der Daten nach dem Katalog des § 139 b Abs. 3 AO
grundsätzlich unbedenklich, auch wenn sie anlasslos erfolgt. Denn es handelt sich
hierbei um Daten, die bislang auch schon bei den Meldeämtern gespeichert sind.
Jedoch ergibt sich im Hinblick auf deren Speicherung unter der
Steueridentifikationsnummer die Besonderheit, dass diese Daten nunmehr aber zentral
beim Bundeszentralamt für Steuern und nicht mehr dezentral bei den Meldeämtern
gespeichert sind.
120
Im Zusammenhang mit der Vorratsdatenspeicherung, insbesondere der Frage der
Verfassungsgemäßheit des § 113a TKG, hat das BVerfG zugunsten dieses Gesetzes
ausgeführt, für die adäquate gesetzliche Ausgestaltung der Norm u.a. maßgeblich ist,
dass die vorgesehene Speicherung der Telekommunikationsverkehrsdaten nicht direkt
durch den Staat, sondern durch eine Verpflichtung der privaten Dienstanbieter
verwirklicht wird (BVerfG-Urteil vom 2. März 2010, 1 BvR 256/08 u.a., BGBl I 2010, 272
Rn. 214). Für das Bundesverfassungsgericht war dabei von Bedeutung, dass die Daten
121
damit bei der Speicherung selbst noch nicht zusammengeführt werden, sondern auf
viele Einzelunternehmen verteilt bleiben und dem Staat unmittelbar als Gesamtheit nicht
zur Verfügung stehen; der Abruf der Daten seitens staatlicher Stellen erfolgt erst in
einem zweiten Schritt und nunmehr anlassbezogen nach rechtlich näher festgelegten
Kriterien (BVerfG-Urteil vom 2. März 2010, 1 BvR 256/08 u.a., a.a.O., Rn. 214, vgl. auch
Rn. 218).
Es erscheint fraglich, ob vor diesem Hintergrund die Erforderlichkeit der zentralen
Datenspeicherung zu verneinen ist, zumindest soweit sie anlasslos erfolgt.
122
(ddd) Im Rahmen der Erforderlichkeit als Voraussetzung des
Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes ist jedoch zu beachten, dass dem Gesetzgeber bei
der Beurteilung der Erforderlichkeit einer grundrechtseinschränkenden Regelung eine
Einschätzungsprärogative zusteht (BVerfG-Beschluss vom 3. September 2009, 1 BvR
2384/08, NVwZ 2010, 313 Rn. 44). Nur wenn nach den dem Gesetzgeber bekannten
Tatsachen und im Hinblick auf die bisher gemachten Erfahrungen feststellbar ist, dass
Beschränkungen, die als Alternativen in Betracht kommen, die gleiche Wirksamkeit
versprechen, die Betroffenen jedoch weniger belasten, ist die Erforderlichkeit zu
verneinen (BVerfG-Beschluss vom 3. September 2009, 1 BvR 2384/08, a.a.O. Rn. 44).
123
Angesichts dessen spricht zugunsten der Erforderlichkeit der anlasslosen Erfassung
sämtlicher "potentieller" Steuerpflichtigen i.S.d. § 139a Abs. 2 AO, dass der
Gesetzgeber das Problem erkannt hat. In der Gesetzesbegründung hebt er ausdrücklich
hervor, dass zu den Steuerpflichtigen i.S.d. § 139a Abs. 2 AO zum Beispiel auch
minderjährige natürliche Personen gehören, die kein oder nur ein so geringes
Einkommen erzielen, dass sie keine Steuern schulden, aber gleichwohl nach § 1 Abs. 1
Satz 1 EStG steuerpflichtig sind (Bericht des Finanzausschusses des deutschen
Bundestages, BT-Drucks. 15/1945, Seite 16). Der Gesetzgeber betont, dass ohne
Einbeziehung derartiger Personen der Zweck des Identifikationsmerkmals nicht zu
erreichen wäre (Bericht des Finanzausschusses des deutschen Bundestages, a.a.O., S.
16). Hierbei handelt es sich mangels weiterreichender Begründung zwar um eine
Behauptung. Jedoch vermag der Senat nicht auszuschließen, dass es tatsächlich
Gründe für die Erfassung auch der bislang steuerlich nicht in Erscheinung getretenen
Personen gibt, z.B. zur zeitnäheren Auswertung steuererheblichen Informationen ohne
Ermittlungsaufwand bezüglich bis dahin noch nicht in Erscheinung getretener Personen
(so Schmitz, in Schwarz, § 139a AO Rn. 5; Wiese, in Beermann/Gosch, § 139a AO Rn.
16) oder zum Zwecke einer Negativabgrenzung bei der Ermittlung eines gesuchten
Steuerpflichtigen. Jedenfalls aber scheint die Einschätzung des Gesetzgebers noch von
seiner Einschätzungsprärogative umfasst zu werden.
124
(eee) Vor diesem Hintergrund hat der Senat zwar Zweifel an der Erforderlichkeit der
Regelung der §§ 139a, 139b AO, ist jedoch nicht davon überzeugt, dass diese
Voraussetzung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes durch die anlasslose Erfassung
aller natürlicher im Inland ansässigen Personen nicht erfüllt ist.
125
(dd) Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne
126
Auch vom Fehlen der Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne als der abschließenden
Voraussetzung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes ist der Senat nicht voll überzeugt,
wenngleich er diesbezüglich erhebliche Zweifel hat.
127
Die Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne setzt unter entsprechender Abwägung
voraus, dass das Allgemeinwohlinteresse an einer gleichmäßigen Besteuerung bzw.
die Verpflichtung des Staates zum gleichmäßigen Vollzug der Steuergesetze im
Interesse des Allgemeinwohls das Recht des Einzelnen auf informationelle
Selbstbestimmung überwiegt.
128
(aaa) Abwägungsgrundsätze
129
Zur Bestimmung der Tragweite des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung gegen
Eingriffe hat das Bundesverfassungsgericht in seinem Volkszählungsurteil (vom
15. Dezember 1983, 1 BvR 209/83 u.a., BVerfGE 65, 1, Rn. 152) hervorgehoben, dass
dabei nicht allein auf die Art der Daten abgestellt werden kann. Entscheidend ist ihre
Nutzbarkeit und Verwendungsmöglichkeit. Diese hängen einerseits von dem Zweck,
dem die Erhebung dient, und andererseits von den der Informationstechnologie eigenen
Verarbeitungsmöglichkeiten und Verknüpfungsmöglichkeiten ab. Dadurch kann ein für
sich gesehen belangloses Datum einen neuen Stellenwert bekommen; insoweit gibt es
unter den Bedingungen der automatischen Datenverarbeitung kein "belangloses"
Datum mehr (BVerfG-Urteil vom 15. Dezember 1983, 1 BvR 209/83 u.a., a.a.O., Rn.
152).
130
Inwieweit Informationen sensibel sind, kann hiernach nicht allein davon abhängen, ob
sie intime Vorgänge betreffen. Vielmehr bedarf es zur Feststellung der
persönlichkeitsrechtlichen Bedeutung eines Datums der Kenntnis seines
Verwendungszusammenhangs: Erst wenn Klarheit darüber besteht, zu welchem Zweck
Angaben verlangt werden und welche Verknüpfungsmöglichkeiten und
Verwendungsmöglichkeiten bestehen, lässt sich die Frage einer zulässigen
Beschränkung des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung beantworten (BVerfG-
Urteil vom 15. Dezember 1983, 1 BvR 209/83 u.a., BVerfGE 65, 1, Rn. 153).
131
(bbb) Abwägung
132
Bei der Abwägung des Gemeinwohlinteresses an einer gleichmäßigen Besteuerung
und des Interesses des Einzelnen, der Klägerin, an der Ausübung seines Rechts auf
informationelle Selbstbestimmung ist der Senat nicht voll davon überzeugt, dass das
Recht der Klägerin an ihrer informationellen Selbstbestimmung überwiegt und dass die
Beschränkung dieses Rechts durch §§ 139a, 139b AO deshalb nicht verhältnismäßig im
engeren Sinne wäre. Allerdings bestehen insoweit erhebliche Zweifel.
133
(α) Zugunsten des Gemeinwohlinteresses an einer gleichmäßigen Besteuerung ist zu
berücksichtigen, dass es sich hierbei um ein verfassungsrechtlich gesichertes Interesse
handelt, zu dessen rechtlicher und tatsächlicher Wahrung der Gesetzgeber nach Art. 3
Abs. 1 GG verpflichtet ist. So hat das Bundesverfassungsgericht in seinem Zinsurteil
(vom 27. Juni 1991, 2 BvR 1493/89, BVerfGE 84, 239) entschieden, dass der
Gleichheitssatz für das Steuerrecht verlangt, dass die Steuerpflichtigen durch ein
Steuergesetz rechtlich und tatsächlich gleich belastet werden. Die
Besteuerungsgleichheit hat mithin als ihre Komponenten die Gleichheit der normativen
Steuerpflicht ebenso wie die Gleichheit bei deren Durchsetzung in der Steuererhebung.
Daraus folgt, dass das materielle Steuergesetz in ein normatives Umfeld eingebettet
sein muss, welches die Gleichheit der Belastung auch hinsichtlich des tatsächlichen
Erfolges prinzipiell gewährleistet.
134
Angesichts dessen muss der Gesetzgeber Maßnahmen treffen, um nicht nur ein
materiell-rechtlich gerechtes Steuersystem zu schaffen, sondern auch dessen
gleichmäßigen Vollzug zu sichern. Angesichts des föderalen Systems bestanden
insoweit insbesondere angesichts der nicht immer gegebenen eindeutigen
Identifizierbarkeit von Steuerpflichtigen insbesondere über die einzelnen
Bundesländergrenzen hinaus Unzulänglichkeiten. So war schon allein der
behördenübergreifende Informationsaustausch ineffizient, z.B. weil Steuerpflichtige oder
Informationen nicht zutreffend zugeordnet werden konnten. Dieses "Defizit" wird durch
die Einführung der einheitlichen steuerlichen Identifikationsnummer beseitigt.
135
Dabei ist im Hinblick auf die Abwägung mit dem Recht auf informationelle
Selbstbestimmung auch von Bedeutung, dass der Gesetzgeber in § 139b Abs. 5 Satz 1
AO eine strikte Zweckbindung vorgesehen hat, indem hiernach die in § 139b Abs. 3 AO
aufgeführten Daten nur für die in § 139b Abs. 4 AO genannten (Besteuerungs-)Zwecke
verwendet werden dürfen. Ob dies die Verwendung der Steueridentifikationsnummer
hinreichend beschränkt, vermag an dieser Stelle dahingestellt bleiben.
136
(β) Dementsprechend soll § 139b AO i.V.m. § 139a AO nach allgemeiner Meinung - die
jedoch aus wenigen Stimmen besteht, die sich überhaupt zu der Problematik geäußert
haben – auch (zweifellos) verfassungsgemäß sein (s. Schmitz, in Schwarz, vor §§ 139a-
139d AO, Rn. 19; Wiese, in Beermann/Gosch, § 139a AO Rn. 6; Rätke, in Klein, § 139b
AO Rn. 1; Brandis, in Tipke/Kruse, § 139a Tz. 1). Das besondere Allgemeininteresse an
einer gleichmäßigen Besteuerung rechtfertigt hiernach – ohne weiteres – die mit der
Einführung der steuerlichen Identifikationsnummer und deren Verwendung verbundene
Beschränkung des Rechts des Einzelnen auf informationelle Selbstbestimmung.
137
Auch der Gesetzgeber hat die verfassungsrechtliche Problematik im Zusammenhang
mit der Steueridentifikationsnummer gesehen und das Gesetz durch Änderungen des
Entwurfs hierauf abgestimmt. So sah etwa ein früherer Entwurf zur Einführung eines
"Identifikationsmerkmals" vor, dass die Datenerhebung durch Rechtsverordnung zu
regeln sei (s. BT-Drucks. 15/119, Seite 15). Hiervon wurde Abstand genommen und
stattdessen in § 139b Abs. 3 AO ein Katalog der unter der Steueridentifikationsnummer
zu speichernden Daten vom Gesetzgeber selber festgelegt.
138
(γ) Gleichwohl hat der Senat erhebliche Bedenken daran, dass das Allgemeininteresse
an der gleichmäßigen Besteuerung tatsächlich als derart schwerwiegend einzustufen
ist, dass es die die Beschränkung des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung des
Einzelnen, der Klägerin, durch die Einführung der Steueridentifikationsnummer nach
den Regelungen der §§ 139a, 139b AO zu rechtfertigen vermag.
139
(αα) Dabei ist die Zuteilung der Steueridentifikationsnummer nicht schon grundsätzlich
und von vornherein unverhältnismäßig im engeren Sinne und damit verfassungswidrig.
Dies wäre nur der Fall, wenn es sich hierbei eindeutig um ein Personenkennzeichen
handeln würde. Dies trifft jedoch auf die Steueridentifikationsnummer nicht zu.
140
Ein Personenkennzeichen ist ein einheitliches, für alle Register und Dateien geltendes
Kennzeichen (vgl. BVerfG-Urteil vom 15. Dezember 1983, 1 BvR 209/83 u.a., BVerfGE
65, 1 Rn. 185). Hierdurch können Daten aus verschiedenen Registern und Dateien
genutzt werden. Denn ein solches Kennzeichen ermöglicht es, Daten, bezogen auf
bestimmte Personen oder Institutionen, zusammenzuführen. Eine unbeschränkte
Verknüpfung erhobener Daten mit den bei den Verwaltungsbehörden vorhandenen,
141
zum Teil sehr sensiblen Datenbeständen oder gar die Erschließung eines derartigen
Datenverbundes durch ein einheitliches Personenkennzeichen oder sonstiges
Ordnungsmerkmal ist jedoch nach dem Volkszählungs-Urteil des
Bundesverfassungsgerichts unzulässig (BVerfG-Urteil vom 15. Dezember 1983, 1 BvR
209/83 u.a., BVerfGE 65, 1, Rn. 171). Denn dies würde zu einer umfassenden
Registrierung und Katalogisierung der Persönlichkeit durch die Zusammenführung
einzelner Lebensdaten und Personaldaten zur Erstellung von Persönlichkeitsprofilen
der Bürger führen (vgl. BVerfG-Urteil vom 15. Dezember 1983, 1 BvR 209/83 u.a., a.a.O.
Rn. 171 und 185). Ein Personenkennzeichen wäre der erste Schritt in diese –
unzulässige – Richtung.
Die Steueridentifikationsnummer stellt indes kein echtes Personenkennzeichen dar.
Denn sie wird nur zu Besteuerungszwecken genutzt und es werden nur bestimmte
Daten zum Zwecke der Besteuerung darunter gespeichert (vgl. Wiese, in
Beermann/Gosch, § 139a AO Rn. 9; Antwort der Bundesregierung auf eine Kleine
Anfrage, BT-Drucks.15/5974, Seite 3). Gleichwohl ist nach Auffassung des Senats nicht
zu verkennen, dass zum Zwecke der Besteuerung – vorbehaltlich der Schaffung
entsprechender Rechtsgrundlagen – sehr weitreichende Daten gespeichert werden
könnten, da das Steuerrecht in nahezu alle Lebensbereiche hineinreicht. Gegen die
Eigenschaft der Steueridentifikationsnummer als Personenkennzeichen spricht jedoch
auch, dass die Steueridentifikationsnummer keine "sprechende" Nummer darstellt, also
keine Rückschlüsse auf die Person des Steuerpflichtigen zulässt (vgl. Schmitz, in
Schwarz, § 139a AO Rn. 2; Antwort der Bundesregierung auf eine Kleine Anfrage, BT-
Drucks.15/5974, Seite 3).
142
Dass in dem Mitteilungsschreiben des Beklagten von einer "persönlichen
Identifikationsnummer" die Rede ist, ändert hieran nichts, denn die
Identifikationsnummer wurde unmissverständlich auf der Grundlage der §§ 139a ff. AO
als steuerliche Identifikationsnummer zugeteilt.
143
(ββ) Ungeachtet dessen hat der Senat jedoch Bedenken daran, ob die Schwere des
Eingriffs in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung durch die Regelung der
§§ 139a, 139b AO durch das Gemeinschaftsinteresse an der Gleichmäßigkeit der
Besteuerung aufgewogen wird, wenngleich er diesbezüglich keine volle Überzeugung
gewinnen konnte.
144
So begründet die Schaffung der steuerlichen Identifikationsnummer die Gefahr der
Bildung eines "großen" zentralen Datenpools durch den Staat.
145
Dabei erscheint bereits die Zentralität der Speicherung in diesem Zusammenhang
verfassungsrechtlich fraglich. So hat das Bundesverfassungsgericht in seinem
Vorratsdatenspeicherungs-Urteil (vom 2. März 2010, 1 BvR 256/08 u.a., BGBl I 2010,
272, Rn. 214, 218) es, wie bereits dargelegt, für die Verhältnismäßigkeit der
Vorratsdatenspeicherung nach §§ 113a, 113b TKG u.a. als maßgeblich angesehen,
dass die Speicherung der Telekommunikationsverkehrsdaten nicht direkt durch den
Staat, sondern durch eine Verpflichtung der privaten Dienstanbieter verwirklicht wird.
Das Bundesverfassungsgericht hat dabei darauf abgestellt, dass die Daten bei der
Speicherung selbst noch nicht zusammengeführt werden und dem Staat unmittelbar als
Gesamtheit noch nicht zur Verfügung stehen, sondern von diesem erst in einem zweiten
Schritt anlassbezogen nach rechtlich näher festgelegten Kriterien abgerufen werden
können.
146
Diesbezüglich greift auch nicht der Schutz des Steuergeheimnisses nach § 30 AO.
Denn das Steuergeheimnis schützt den Betroffenen nicht vor dem Staat.
147
(γγ) Zudem besteht die Möglichkeit, dass der Gesetzgeber durch die Einführung neuer
Rechtsgrundlagen die Speicherung weiterer steuererheblicher Daten unter der
Steueridentifikationsnummer veranlasst. Besonders problematisch erscheint dabei, dass
das Steuerrecht in fast alle Lebensbereiche hineinreicht, so dass der Umfang der
steuerlich erheblichen Daten, die durch entsprechende Rechtsgrundlagen gespeichert
werden könnten, nicht unbedeutend wäre. Diese Gefahr hat sich z.T. auch schon
realisiert. So hat der Gesetzgeber mit der Einführung des § 39e EStG eine
Rechtsgrundlage zur Speicherung weiterer Daten unter der
Steueridentifikationsnummer geschaffen. Diese Norm sieht vor, dass der Beklagte, das
Bundeszentralamt für Steuern, für jeden Steuerpflichtigen zum Zweck der Bereitstellung
automatisiert abrufbarer Lohnsteuerabzugsmerkmale für den Arbeitgeber u.a. speichert:
die rechtliche Zugehörigkeit zu einer steuererhebenden Religionsgemeinschaft sowie
Datum des Eintritts und Austritts; den melderechtlichen Familienstand und bei
Verheirateten die Identifikationsnummer des Ehegatten; die Kinder mit ihrer
Identifikationsnummer und soweit bekannt die Rechtsstellung und Zuordnung der
Kinder zu den Eltern sowie die Identifikationsnummer des anderen Elternteils (§ 39e
Abs. 2 Satz 1 EStG).
148
In Anbetracht der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts in seinem
Volkszählungsurteil, wonach ein Personenkennzeichen oder ein Ordnungsmerkmal
unzulässig ist, gerade weil bzw. wenn es die Erschließung und Zusammenführung von
Daten, bezogen auf bestimmte Personen, und damit eine umfassende Registrierung und
Katalogisierung der Persönlichkeit ermöglicht (BVerfG-Urteil vom 15. Dezember 1983,
1 BvR 209/83 u.a., BVerfGE 65, 1, Rn.171), erscheint dem Senat der mit der
Steueridentifikationsnummer verbundene Eingriff trotz der damit verfolgten
gleichmäßigen Besteuerung bedenklich. Denn mit der Steueridentifikationsnummer wird
ein Instrumentarium geschaffen, mit dem alle Steuerpflichtigen i.S.d. § 139a Abs. 2 AO
und damit sämtliche Bürger Deutschlands eindeutig und dauerhaft zentral erfasst
werden. Der Staat erhält hierdurch die technische Möglichkeit, in einer zentralen
Datenbank verschiedenste Daten zu seinen Bürgern zu speichern. Diese erscheinen
zwar gegenwärtig unter Zugrundelegung des Katalogs des § 139b Abs. 3 AO zunächst
harmlos. Jedoch ist es dem Gesetzgeber unbenommen – wie am Beispiel der
Einführung des § 39e EStG auch schon gezeigt wurde –, in Zukunft den Umfang der
unter der Steueridentifikationsnummer zu speichernden Daten zu erweitern. Selbst
wenn der Gesetzgeber dabei stets nur den Zweck der Gleichmäßigkeit der Besteuerung
verfolgen würde, könnten möglicherweise umfangreiche Daten gespeichert werden, da
das Steuerrecht fast allumfassend ist.
149
Allerdings ist der Senat nicht voll davon überzeugt, dass §§ 139a, 139b AO im
Zusammenwirken mit anderen Vorschriften darauf zielen oder hinauslaufen, eine
allgemein umfassende Datensammlung zur weitestmöglichen Rekonstruierbarkeit
jedweder Aktivitäten der Bürger zu schaffen. Außerdem ist sich der Senat bewusst, dass
es sich hierbei um Erwägungen handelt, die durchaus auch erst im Rahmen einer
verfassungsrechtlichen Prüfung der jeweiligen Regelungen zum Tragen kommen
könnten, die den Umfang der unter der Steueridentifikationsnummer zu speichernden
Daten erweitern. Gleichwohl ist nicht zu verkennen, dass mit der Einführung der
Steueridentifikationsnummer der erste, möglicherweise entscheidende, Schritt in eine
150
solche vermeintliche Richtung unternommen wurde.
(δδ) Darüber hinaus wird durch die Einführung der Steueridentifikationsnummer auch
die Gefahr einer umfassenden Datenvernetzung, einer Datenverknüpfung, geschaffen,
die angesichts der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts im
Volkszählungsurteil (vom 15. Dezember 1983, 1 BvR 209/83 u.a., BVerfGE 65, 1,
Rn.171) wegen der damit möglicherweise verbundenen umfassenden Registrierung und
Katalogisierung der Persönlichkeit verfassungsrechtlich grundsätzlich nicht zulässig ist.
151
So dürfen nach § 139b Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 AO andere öffentliche und nicht öffentliche
Stellen die Identifikationsnummer erheben oder verwenden, soweit dies für
Datenübermittlungen zwischen ihnen und den Finanzbehörden erforderlich ist oder eine
Rechtsvorschrift die Erhebung oder Verwendung der Identifikationsnummer
ausdrücklich erlaubt oder anordnet. Hiervon wird z.B. bereits auf der Grundlage des § 10
Abs. 2a Satz 4 EStG Gebrauch gemacht. So melden hiernach z.B. die
Versicherungsunternehmen und die Träger der gesetzlichen Kranken- und
Pflegeversicherung die Beiträge ihrer Versicherten unter Angabe der Vertrags- oder
Versicherungsdaten und der Identifikationsnummer nach § 139b AO dem
Rentenversicherungsträger. Nach § 22a Abs. 1 EStG teilen die
Rentenversicherungsträger hingegen der Deutschen Rentenversicherung Bund u.a. die
jährlichen Rentenbezüge unter der jeweiligen Steueridentifikationsnummer mit.
152
Und diese Datenpools könnten mitunter auch Rückschlüsse auf Tatsachen zulassen,
die keinen unmittelbaren steuerlichen Bezug haben. So können z.B. aus der Höhe des
Krankenversicherungsbeitrags Rückschlüsse auf den Gesundheitszustand des
Versicherungsnehmers oder gar dessen Ehefrau oder dessen Kinder gezogen werden
(vgl. die Bedenken des Bundesrates im Zusammenhang mit der Schaffung der
ELSTAM-Datenbank Anfang 2010, BT-Drucks. 16/12674, Seite 16).
153
Zwar hat der Gesetzgeber die Bildung weiterer Datenpools unter der
Steueridentifikationsnummer mit der Regelung des § 139b Abs. 2 Satz 2 Nr. 2 AO auf
ein Minimum beschränkt, indem er bestimmt hat, dass die anderen öffentlichen und
nichtöffentlichen Stellen ihre Daten nur insoweit nach der Identifikationsnummer ordnen
oder für den Zugriff erschließen dürfen, als dies für regelmäßige Datenübermittlungen
zwischen ihnen und den Finanzbehörden erforderlich ist. Jedoch ändert dies nichts
daran, dass – wenn auch auf ein bestimmtes Minimum beschränkt – weitere nach
Steueridentifikationsnummern geordnete Datenpools entstehen, die möglicherweise
miteinander vernetzt werden könnten.
154
Dabei erscheint auch fraglich, ob die Beachtung der Regelung des § 139b Abs. 2 Satz 2
Nr. 2 AO hinreichend gesichert ist. So sehen § 383a AO und § 355 StGB zwar für die
zweckwidrige Verwendung der Steueridentifikationsnummer bzw. die Verletzung des
Steuergeheimnisses Sanktionen vor. Dies könnte nach der Rechtsprechung des
Bundesverfassungsgerichts im Mikrozensus-Urteil (vom 16. Juli 1969, 1 BvL 19/63,
BverfGE 27, 1, Rn. 23) insoweit ausreichen, denn dort wurde die Anonymität der Daten
nach Auffassung des Bundesverfassungsgerichts u.a. durch das Verbot zur
Veröffentlichung von Einzelangaben sowie dadurch (hinreichend) gewährleistet, dass
der Auskunftsberechtigte unter Strafandrohung zur Geheimhaltung der Angaben
verpflichtet war. Ob aber insbesondere § 383a AO, der lediglich einen
Ordnungswidrigkeitstatbestand darstellt, diesbezüglich ein effizientes Mittel bietet,
könnte zweifelhaft sein.
155
Hinzu kommt, dass § 139 b Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 AO bei Erlaubnis oder Anordnung durch
entsprechende Rechtsvorschrift die Erhebung oder Verwendung der
Identifikationsnummer auch für andere als steuerliche Zwecke ermöglicht, so dass auch
nicht steuererhebliche Daten unter der Steueridentifikationsnummer gespeichert werden
könnten; die Zwecksperre nach § 139 b Abs. 5 Satz 1 AO greift diesbezüglich nicht, da
sie nur die in § 139b Abs. 3 AO aufgeführten Daten betrifft.
156
(εε) Schließlich ist bei der Abwägung zwischen dem Allgemeinwohlinteresse an der
gleichmäßigen Besteuerung und dem Interesse des Einzelnen an seinem Recht auf
informationelle Selbstbestimmung zu berücksichtigen, dass der Betroffene nicht
unbedingt Kenntnis davon erhält, welche Daten unter seiner
Steueridentifikationsnummer gespeichert werden, insbesondere weil die Verwendungs-
und Einsatzmöglichkeiten der Steueridentifikationsnummer durch Rechtsvorschriften
erweitert werden können, die der Betroffene nicht unbedingt zur Kenntnis nimmt, so
dass eine "schleichende" vom Betroffenen unbemerkte Datenmehrung unter seiner
Steueridentifikationsnummer erfolgen könnte.
157
Nach dem Vorratsdatenspeicherungsurteil des Bundesverfassungsgerichts kann aber
die durch den Betroffenen unmittelbar nicht bemerkte Speicherung von Daten und deren
Verwendung geeignet sein, ein diffus bedrohliches Gefühl des Beobachtetseins
hervorzurufen, das eine unbefangene Wahrnehmung der Grundrechte in vielen
Bereichen beeinträchtigen kann (vgl. BVerfG-Urteil vom 2. März 2010, 1 BvR 256/08
u.a., BGBl I 2010, 272, Rn. 212).
158
(ccc) Trotz der zuvor dargelegten Zweifel gelangt der Senat bei Abwägung zwischen
dem Gewicht des in der Datenspeicherung und Datenverwendung liegenden Eingriffs
und der Bedeutung einer effektiven und gerechten Besteuerung nicht zu der vollen
Überzeugung, dass der Eingriff unverhältnismäßig im engen Sinne und damit auch
insgesamt unverhältnismäßig wäre. Denn immerhin ist der Staat zur Gewährleistung der
rechtlichen und faktischen Besteuerungsgleichheit verfassungsrechtlich verpflichtet.
Hierbei hat er insbesondere auch die Nachteile des Föderalismus auszugleichen.
Außerdem ist der Senat nicht voll davon überzeugt, dass §§ 139a, 139b AO im
Zusammenwirken mit anderen Vorschriften tatsächlich darauf zielen oder hinauslaufen,
eine allgemein umfassende Datensammlung zur weitestmöglichen Rekonstruierbarkeit
jedweder Aktivitäten der Bürger zu Besteuerungszwecken zu schaffen.
159
(b) Bestimmtheitsgrundsatz
160
Soweit die Klägerin die Verfassungswidrigkeit des § 139b AO auf dessen vermeintliche
Unbestimmtheit stützt, vermag dies den Senat nicht zu überzeugen.
161
(aa) Bedeutung des Bestimmtheitsgrundsatzes
162
Hinreichend bestimmt ist ein Gesetz, wenn sein Zweck aus dem Gesetzestext in
Verbindung mit den Materialien deutlich wird (BVerfG-Urteil vom 15. Dezember 1983,
1 BvR 209/83 u.a., BVerfGE 65, 1, Rn. 174). Bei Datenerhebungen zu
Verwaltungsvollzugszwecken ist eine enge und konkrete Zweckbindung der
weitergeleiteten Daten unerlässlich (vgl. BVerfG-Urteil vom 15. Dezember 1983, 1 BvR
209/83 u.a., BVerfGE 65, 1, Rn. 197). Der Bürger muss aus der gesetzlichen Regelung
klar erkennen können, für welche konkreten Zwecke des Verwaltungsvollzugs seine
163
personenbezogenen Daten bestimmt und erforderlich sind und dass ihre Verwendung
auf diesen Zweck begrenzt bleibt (BVerfG-Urteil vom 15. Dezember 1983, 1 BvR 209/83
u.a., BVerfGE 65, 1, Rn. 197). Dabei hat das BVerfG jüngst in seinem
Vorratsdatenspeicherungsurteil unter Berufung auf seine ständige Rechtsprechung
hervorgehoben, dass Anlass, Zweck und Umfang des jeweiligen Eingriffs sowie die
entsprechenden Eingriffsschwellen durch den Gesetzgeber bereichsspezifisch, präzise
und normenklar zu regeln sind (vgl. BVerfG-Urteil vom 2. März 2010, 1 BvR 256/08 u.a.,
BGBl I 2010, 272, Rn. 226 m.w.N.). Seinen Grund hat dies in dem unaufhebbaren
verfassungsrechtlichen Zusammenhang von Datenspeicherung und
Verwendungszweck, wie es gefestigter Rechtsprechung des
Bundesverfassungsgerichts entspricht: Daten dürfen von vornherein nur zu bestimmten,
bereichsspezifischen, präzise und normenklar festgelegten Zwecken gespeichert
werden, so dass bereits bei der Speicherung hinreichend gewährleistet ist, dass die
Daten nur für solche Zwecke verwendet werden, die das Gewicht der Datenspeicherung
rechtfertigen (BVerfG-Urteil vom 2. März 2010, 1 BvR 256/08 u.a., BGBl I 2010, 272, Rn.
266).
(bb) Zweckbestimmung und Zweckbindung
164
Diesen Vorgaben hat der Gesetzgeber entsprochen, indem er die gespeicherten Daten
in § 139b Abs. 4 AO einer klaren Zweckbestimmung zugewiesen hat. Im Ergebnis dient
die Datenspeicherung danach der eindeutigen Identifikation des Steuerpflichtigen in
Besteuerungsverfahren.
165
Zweifel hat der Senat lediglich insoweit als die strikte Zweckbindung nach § 139b Abs.
5 Satz 1 AO nur die gespeicherten Daten i.S.d. § 139b Abs. 3 AO erfasst, nicht jedoch
auch die aufgrund anderer Regelungen zugespeicherten Daten. Indes reichen diese
Zweifel nicht für eine volle Überzeugungsbildung von einem Verstoß gegen den
Bestimmtheitsgrundsatz aus. Denn diese Zweifel könnten sich auch erst hinsichtlich der
entsprechenden anderen Rechtsgrundlagen auswirken, die die Zuspeicherung der
Daten ermöglichen.
166
(cc) Unbestimmte Rechtsbegriffe
167
Soweit in § 139b AO unbestimmte Rechtsbegriffe verwendet werden, ist dies
unschädlich. Denn dadurch wird nicht das Gebot der Normklarheit verletzt. Dieser
Grundsatz fordert zwar, dass die von einer gesetzlichen Regelung Betroffenen die
Rechtslage erkennen und ihr Verhalten danach einzurichten vermögen (vgl. BVerfG-
Beschluss vom 22. Juni 1977, 1 BvR 799/76, BVerfGE 45, 400 Rn. 81). Die
Notwendigkeit der Auslegung einer gesetzlichen Vorschrift nimmt ihr jedoch noch nicht
die Bestimmtheit, die das Rechtsstaatsprinzip von einem Gesetz fordert (BVerfG-
Beschluss vom 22. Juni 1977, 1 BvR 799/76, a.a.O., Rn. 81). Im Streitfall ist eine
hinreichend deutliche Umschreibung dieser Begriffe im Wege der Auslegung möglich.
Z.T. handelt es sich auch um Begriffe, die wie die "anderen öffentlichen und nicht
öffentlichen Stellen" in Abs. 2 Satz 2 dem Bundesdatenschutzgesetz entnommen
wurden (s. § 2 BDSG).
168
C. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO.
169
D. Die Revision wird nach § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO wegen grundsätzlicher Bedeutung
der Rechtssache zugelassen.
170