Urteil des FG Köln vom 22.10.2008

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Finanzgericht Köln, 4 K 1367/05
Datum:
22.10.2008
Gericht:
Finanzgericht Köln
Spruchkörper:
4. Senat
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
4 K 1367/05
Tenor:
Der Umsatzsteuerbescheid 2002 vom 07.01.2005 in Gestalt der
Einspruchsentscheidung vom 03.03.2005 wird dahingehend geändert,
dass die Umsatzsteuer auf 172.140,39 € festgesetzt wird.
Die Kosten des Rechtsstreits trägt der Beklagte.
Das Urteil ist wegen der Kostenentscheidung ohne Sicherheitsleistung
vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte kann die Vollstreckung durch
Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des
Kostenerstattungsanspruchs des Klägers abwenden, soweit nicht der
Kläger zuvor Sicherheit in derselben Höhe leistet.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
1
Die Beteiligten streiten über die Berechtigung des Klägers Herrn N zum Vorsteuerabzug
aus Rechnungen der Firma S GmbH.
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Der Kläger Herr N betreibt als Einzelunternehmer eine Bauunternehmung. Im Streitjahr
war er u.a. im Zusammenhang mit der Errichtung des Objektes "C" in B sowie dem
Bauvorhaben "M" in D beauftragt. Hierbei arbeitete er zunächst ab Februar 2002 zur
Abwicklung des Auftrags mit der Firma E als Subunternehmen zusammen. Diese
beauftragte zu Beginn ihrerseits die Firma S GmbH. Als die Firma E im August 2002 in
Zahlungsschwierigkeiten geriet und aufgrund dessen ein Kran auf der vom Kläger zu
bedienenden Baustelle stillgelegt wurde, kündigte der Kläger die Zusammenarbeit mit
der Firma E und beauftragte die Firma S GmbH unmittelbar u.a. mit Rohbauarbeiten
(Einschalung etc.). Dabei wurden ein Bau-Container und größere Werkzeuge bzw.
Maschinen sowie das Material vom Kläger zur Verfügung gestellt. Lediglich kleinere
Werkzeuge wurden von der S GmbH mitgebracht.
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Die S GmbH war mit notariellem Vertrag vom 00.00.0000 gegründet worden. Die
Eintragung ins Handelsregister erfolgte am 00.00.0000. Als Firmensitz wurde im
Handelsregister die Anschrift 00000 F, G-Strasse angegeben. Alleinige Gesellschafter
und Geschäftsführer der GmbH waren zu je 1/3 Anteil Herr T1, K-Str., 00000 F; Herr T2,
F-Str., 00000 F, sowie Herr T3, L-Str., 00000 F.
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Das für die S GmbH zuständige Finanzamt führte am 00.00.0000, 00.00.0000 und
00.00.0000 Nachschauen an den Anschriften G-Str., K-Str. sowie L-Str. in F durch. Auf
die entsprechenden Vermerke in der Rechtsbehelfsakte wird Bezug genommen.
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Der Beklagte führte im Anschluss daran für die Jahre 2001 und 2002 eine
Umsatzsteuer-Sonderprüfung für den Betrieb des Klägers durch. Der Prüfer führte im
Bericht vom 00.00.0000 aus:
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"Die S GmbH hat am 00.00.0000 bei der Stadtverwaltung F ein Gewerbe angemeldet.
Als Gegenstand des Unternehmens wurde angegeben: Ausführung von Hoch- und
Tiefbauarbeiten, Beteiligung an anderen Unternehmen".
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Der tatsächliche Gegenstand des Unternehmens dürfte sich lediglich auf die Erstellung
von Rechnungen über nicht von der Firma ausgeführte Lieferungen und Leistungen
beschränken. Die Gewerbeanmeldung erfolgte am 00.00.0000. Rechnungsdatum der
ersten Rechnung ist der 00.00.0000.
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Als Sitz der Firma wurde im Handelsregister die Anschrift G-Str., 00000 F eingetragen.
Auf den Rechnungen und bei der Gewerbeanmeldung wurden dagegen als Sitz und
Anschrift K-Str., 00000 F verwandt.
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Unter beiden Adressen befindet sich nachweislich nicht der Firmensitz.
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Im Rahmen von Nachschauen wurde am 00.00.0000 und 00.00.0000 die Anschrift G-
Str. aufgesucht. Hierbei handelt es sich um einen umzäunten Schrottplatz auf dem
mehrere Busse abgestellt sind. Einzig aufstehendes "Gebäude" ist eine alte, dem Verfall
preisgegebene Holzbaracke mit vernagelten Fensteröffnungen und einem verriegelten,
offenbar längere Zeit schon nicht mehr benutzten Eingang. Ein Briefkasten oder
sonstige Hinweise auf S GmbH konnten dort nicht vorgefunden werden.
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Ebenfalls wurden am 00.00.0000 und am 00.00.0000 Nachschauen unter der zweiten,
als angeblichem Firmensitz angegebenen Anschrift, K-Str., vorgenommen. Auch hier
war kein Firmensitz feststellbar.
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Bei dem Gebäude K-Str. handelt es sich um ein, im Eigentum Dritter stehendes
Einfamilienhaus. Es sind dort weder Briefkasten, noch Schelle, noch sonstige äußerlich
erkennbare Hinweise auf die S GmbH vorzufinden.
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In dem Gebäude wird Herrn T1 lediglich ein Raum zum Schlafen zur Verfügung gestellt.
Dieser Raum wird von Herrn T1 in unregelmäßigen Abständen benutzt.
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Abrechnungsunterlagen, Stundenaufzeichnungen, oder andere für die Geschäftsführung
einer GmbH erforderlichen Unterlagen wurden nicht vorgefunden.
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Auch der Hauseigentümerin war nicht bekannt, dass sich in ihrem Gebäude der Sitz
einer Bauunternehmung befinden soll.
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Weiterhin wurde im Rahmen von Nachschauen am 00.00.0000 und 00.00.0000 die
Anschriften der anderen beiden Gesellschafter aufgesucht. Auch hier waren keine
Hinweise auf das Vorhandensein oder eine evtl. Geschäftstätigkeit der S GmbH zu
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finden.
Unter der Anschrift L-Str., der Wohnung des Geschäftsführers Herrn T3, sollte sich auch
noch ein Firmensitz befinden. Bei den Nachschauen wurde dies von den dort
wohnenden Familienmitgliedern sehr bestimmt, u.a. unter Hinweis auf Platzmangel,
verneint und als Firmensitz die Anschrift K-Str. benannt.
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(...)
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Eine unternehmerische Tätigkeit seitens der S GmbH konnte nicht festgestellt werden.
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Die Rechnungen wurden bis auf eine alle bar bezahlt. Eine Rechnung der S GmbH
wurde mit Scheck beglichen. Trotz Aufforderung wurde dem Prüfer bisher nicht
mitgeteilt, welche Person den Scheck eingelöst hat. Ebenfalls wurde der
Subunternehmerfragebogen bisher nicht beantwortet.
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Die Vorsteuern aus den Eingangsrechnungen der S GmbH sind aus vorgenannten
Gründen nicht anzuerkennen."
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Hinsichtlich des Geschäftssitzes ermittelte die Umsatzsteuer-Sonderprüfung ferner, dass
Anschlussinhaberin der auf der Rechnung der GmbH angegebene Telefonnummer die
Tochter des Herrn T3, Frau V, war, die an der derselben Anschrift wie ihr Vater (L-Str.)
wohnte und gemeldet war.
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Der Beklagte schloss sich der Beurteilung durch den Umsatzsteuersonderprüfer an und
versagte im Umsatzsteuerbescheid 2002 vom 09.05.2003 den Vorsteuerabzug für im
Zeitraum August bis Oktober 2002 in Rechnung gestellte Umsatzsteuer in Höhe von
43.467,62 €.
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Durch Beschluss des Amtsgerichts B (...) vom 00.00.0000 wurde das vorläufige
Insolvenzverfahren über das Vermögen der S GmbH eingeleitet, welches mit Beschluss
vom 00.00.0000 eröffnet wurde. Im Gutachten vom 00.00.0000 des vorläufigen
Insolvenzverwalters Herrn Q, auf welches im übrigen Bezug genommen wird, heißt es:
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"Die Gesellschaft nahm nach Angaben des Geschäftsführers T3 zu Beginn des Jahres
0000 den Geschäftsbetrieb auf. Der einzige bearbeitete Auftrag, den man mit etwa 15
Arbeitnehmern erledigte, war der Bau eines ... der Firma C. Hierbei war die Schuldnerin
zunächst tätig als Subunternehmer der Firma E GmbH aus B. Nach dem die Firma C
wegen umfangreicher Mängel und nicht eingehaltener Termine die Firma E gekündigt
hatte, wurde der Auftrag zu Ende geführt von einer Firma N (Firma des Klägers) aus H,
wobei die Schuldnerin wiederum als Subunternehmer tätig war. Der - von Herrn
Steuerberater L gebuchte – Gesamtumsatz, den die Schuldnerin bei diesem
Bauvorhaben der Firma C machte, beträgt nach einer mir vorliegenden
betriebswirtschaftlichen Auswertung auf den 31.12.2002 insgesamt 475.369,98 €. Die
Arbeiten wurden etwa im Monat Oktober 2002 beendet.
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(...)
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Nach Beendigung der Arbeiten bei der Firma C konnte die Schuldnerin nach Angaben
des Geschäftsführers T3 keine neuen Aufträge mehr erlangen, so dass der
Geschäftsbetrieb seither zum Erliegen gekommen ist. Offenbar hat man auch nicht die
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Absicht, den Geschäftsbetrieb fortzuführen. Die bei der Schuldnerin vormals
beschäftigten Mitarbeiter wurden alle entlassen."
Der Kläger legte gegen den erlassenen Umsatzsteuerbescheid mit Schreiben vom
23.05.2003 Einspruch ein und verlangte die vollständige Berücksichtigung der geltend
gemachten Vorsteuern. Die S GmbH sei unternehmerisch tätig gewesen. Er habe sich
vor Vertragsvereinbarung mit der Handwerkskammer in Verbindung gesetzt und einen
Handelsregisterauszug beigezogen.
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Im Zuge der weiteren Ermittlungen im Rechtsbehelfsverfahren legte der Kläger einen
schriftlichen Fragebogen, datierend auf den 06.03.2003, vor, aus dem sich folgende
Angaben ergeben:
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Nach Kündigung des Vertrages mit der Firma E sei die Firma S GmbH, da man mit den
bisher geleisteten Arbeiten zufrieden gewesen sei und aufgrund von vereinbarten
Fertigstellungsterminen dringend weitergearbeitet werden musste, für ihn auf der
Baustelle direkt von August bis Oktober 2002 tätig gewesen. Die auf den Baustellen für
die S GmbH tätigen ca. 12 Arbeitnehmer seien durch Herrn T3 beaufsichtigt und
angewiesen worden. Dieser habe auch die Rechnungen übergeben, die dann bar bzw.
per Scheck beglichen worden seien. Die Räumlichkeiten F, K-Str. seien vom Kläger
bzw. einem Vertreter aufgesucht worden und es bestünden bis zum heutigen Tage noch
Kontakte zur o.a. Firma.
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Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt dieses Fragebogens Bezug
genommen.
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Mit Einspruchsentscheidung vom 03.03.2005 lehnte der Beklagte eine Anerkennung der
streitgegenständlichen Vorsteuern weiterhin ab und vertrat die Auffassung, dass der
Abzug der durch eine GmbH in Rechnung gestellten Vorsteuer nur möglich sei, wenn
der in der Rechnung ausgewiesene Sitz der GmbH bei Ausführung der Leistung und bei
Rechnungsstellung tatsächlich bestanden habe. Die Darlegungs- und Feststellungslast
für die den Vorsteuerabzug begründenden Tatsachen trage der Unternehmer, der den
Vorsteuerabzug in Anspruch nehmen wolle. Die Einholung von
Handelsregisterauszügen und Auskünften bei der Handwerkskammer reiche hierzu
nicht aus. Weder der in den Rechnungen noch der im Handelsregister eingetragene
Firmensitz habe zur Zeit der Ausführung der Leistung bestanden. Vielmehr habe
überhaupt kein Firmensitz ermittelt werden können. Darüber hinaus sei nicht
nachgewiesen worden, dass die in den Rechnungen ausgewiesenen Beträge
tatsächlich an die S GmbH gezahlt worden seien. Denn bei den vom Kläger im
Prüfungsverfahren zum Nachweis der Bezahlung an die S GmbH vorgelegten
"Quittungen" handele es sich um nicht unterschriebene Eigenbelege. Auch sei der
Kläger der ihm obliegenden Pflicht, sich über die Richtigkeit der Geschäftsdaten –
insbesondere hinsichtlich des Firmensitzes – zu vergewissern, nicht hinreichend
nachgekommen. Die einzige Tätigkeit der S GmbH habe darin bestanden, Rechnungen
zu erstellen. Die darin angeführten Leistungen seien nicht erbracht und die Beträge nie
gezahlt worden. In diesem Fall werde die in den Rechnungen ausgewiesene
Umsatzsteuer durch den Rechnungsaussteller nach § 14 Abs. 3 UStG geschuldet, so
dass der Vorsteuerabzug schon aus diesem Grunde zu versagen sei.
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Mit der vorliegenden Klage verfolgt der Kläger sein Begehren weiter. Er hat im
Klageverfahren 11 Rechnungen über einen Bruttobetrag von 306.882,33 € inklusive
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42.328,58 € Umsatzsteuer vorgelegt. Bei 10 der vorgelegten Rechnungen handelt es
sich um Abschlagszahlungen; eine Rechnung betrifft die Schlussrechnung für das
Bauvorhaben "M". Eine Schlussrechnung für das Bauvorhaben "C" wurde durch die Fa.
S GmbH nicht gestellt und auch nicht durch den Kläger vorgelegt. An die Firma S GmbH
wurden laut den auf den vorgelegten Rechnungen angebrachten Vermerken nach
Abzug der einbehaltenen und an das zuständige Finanzamt abgeführten
Bauabzugsteuer 260.850 € bar bzw. per Scheck ausgezahlt.
Der Kläger trägt vor, dass die S GmbH ihren tatsächlichen Sitz an der angegebenen
Adresse gehabt habe. Jedenfalls habe er Herrn T3 ca. 3 x nach der Arbeit in der K-
Strasse abgesetzt. Dieser habe angegeben, dass seine Tochter auch dort die
Rechnungen schreibe. Grundsätzlich sei der im Handelsregister eingetragene Sitz der
tatsächliche Sitz. Allerdings sei unschädlich, wenn sich der Sitz der Gesellschaft nach
der Eintragung ändere und der neue Sitz noch nicht eingetragen sei. Befinde sich z.B.
eine Gesellschaft noch in Gründung, so könne nach den Umständen des Einzelfalls
auch ein bloßer "Briefkasten-Sitz" mit postalischer Erreichbarkeit der Gesellschaft in
dieser Phase ausreichen. Alle Rechnungen trügen zudem alle erforderlichen Angaben.
Die Gesellschaft sei unter dem Sitz K-Strasse postalisch erreichbar gewesen und habe
dort auch tatsächlich Post empfangen. Die Eintragung in die Handwerksrolle sei unter
dieser Adresse erfolgt. Dass die Eintragung der S GmbH erst im ... 0000 ins
Handelsregister und in die Handwerksrolle, und damit teilweise vor bzw. nur wenige
Tage nach der ersten Rechnungsstellung, erfolgt sei, sei ihm nicht aufgefallen. Seine
Ehefrau habe bei dem für die S GmbH zuständigen Finanzamt nachgefragt, ob diese
dort steuerlich geführt werde, was bejaht worden sei. Eine
Unbedenklichkeitsbescheinigung habe man nicht gefordert, da man mit den bisherigen
Arbeiten zufrieden gewesen sei. Der von ihm beauftragte Architekt X sei seines Wissens
im Büro der S GmbH in der K-Strasse gewesen und habe dort auch Verhandlungen
geführt. Die Anschrift L-Str., Wohnanschrift des Geschäftsführers T3 und dessen
Tochter, sei lediglich später im Rahmen des Insolvenzeröffnungsverfahrens gegen die S
GmbH durch das Amtsgericht B für Schriftverkehr mit der Insolvenzschuldnerin verwandt
worden. Im übrigen ist der Kläger der Ansicht, dass ein Scheinsitz nur ausnahmsweise
anzunehmen sei und dies gerade bei einer GmbH besonderer, detaillierter
Feststellungen durch die Finanzbehörde bedürfe. Vorliegend sei maßgeblich zu
berücksichtigen, dass die wesentlichen Tätigkeiten eines Bauunternehmens nicht in
einem Büro, sondern auf der Baustelle ausgeübt würden. Auch seien an Art und Umfang
der Geschäftseinrichtung eines Bauunternehmens keine besonderen Anforderungen zu
stellen. Die überwiegende Sicherstellung der Erreichbarkeit des Unternehmens über
Mobilfunknummer sei unschädlich und gerade bei Bauunternehmen mit häufig
wechselnden Baustellen üblich. Der Kläger behauptet, dass er einen Teil eines
Containers auf der Baustelle der S GmbH, insbesondere dem vor Ort immer
anwesenden Geschäftsführer T3 zur Verfügung gestellt habe, welcher von diesem auch
für die Fertigung von Aufzeichnungen und deren Aufbewahrung genutzt worden sei.
Auch die Abwicklung des Zahlungsverkehrs per Bar- bzw. Scheckzahlung spreche nicht
für eine Scheinunternehmerschaft, sondern sei ein gängiges, legales und keineswegs
anrüchiges Zahlungsmittel. Die Geschäfte mit der S GmbH seien zudem selbst dann
umsatzsteuerrechtlich relevant, wenn diese als Strohmann fungiert haben sollte oder
Teilarbeiten durch nachgeordnete Subunternehmer hätte ausführen lassen; hierfür habe
er aber bis heute keine Anhaltspunkte. Die Arbeiten seien tatsächlich von der S GmbH
ausgeführt worden, diese sei stets mit ca. 12 bis 15 Mitarbeitern vor Ort auf der Baustelle
gewesen. Dies könnten seine Ehefrau, die Architekten Herr X und Herr D, der für ihn auf
der Baustelle tätige Herr R sowie sein Polier Herr P bestätigen. Ansprechpartner sei der
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stets auf der Baustelle anwesende Geschäftsführer T3 gewesen, der die bei ihm
beschäftigten Arbeitskräfte eingeteilt und überwacht habe. Dieser habe darüber hinaus
die Rechnungen an den Kläger überbracht und die entsprechenden Geldbeträge in
Empfang genommen. Er – der Kläger – sei aufgrund einer Kontrolle durch das
zuständige Arbeitsamt im ... 0000 auf der Baustelle auch davon ausgegangen, dass
alles seine Ordnung habe. Die Ausführung des Beklagten, dass lediglich dem Nachweis
der Zahlungen dienende Eigenbelege vorlägen, sei nicht zutreffend. Vielmehr seien
zeitnah gesonderte Quittungen erstellt worden, die von Herrn T3 unterzeichnet worden
seien, wobei in diesem Zusammenhang ein Austausch der zuvor erstellten Eigenbelege
gegen die unterzeichneten Quittungen erfolgt sei. Der Beklagte sei zudem
darlegungspflichtig hinsichtlich der anspruchsbegründenden Tatsachen für eine
Versagung des Vorsteuerabzugs. Auch verkenne der Beklagte, dass der Kläger unter
dem 29.10.2002 durch das Finanzamt aufgefordert worden sei, die Bauabzugssteuer für
die Firma S GmbH abzuführen. Die entsprechenden Beträge seien für die Monate
August bis Oktober ordnungsgemäß durch ihn gezahlt worden. Die Erhebung von
Bauabzugssteuer setze aber die tatsächliche Erbringung von Bauleistungen durch
einen Unternehmer im umsatzsteuerlichen Sinne voraus. Auch sei das seit dem
00.00.0000 anhängige Insolvenzverfahren zu berücksichtigen. Hieraus ergebe sich,
dass das betroffene Unternehmen rechtlich existent und am Markt tätig gewesen sei. Die
Unternehmereigenschaft ergebe sich gerade daraus, dass Rechnungen ausgestellt,
Schecks entgegengenommen, Rechnungsbeträge durch Barzahlung vereinnahmt und
Erlöse der unternehmerischen Tätigkeit zugute gekommen seien. Die Beurteilung durch
den Beklagten bedeute zudem einen Verstoß gegen das Leistungsfähigkeitsprinzip, da
die in Rechnung gestellten Beträge tatsächlich beim Kläger abgeflossen seien.
Zum Nachweis für alles Vorstehende legt der Kläger eine Erklärung des Steuerberaters
der S GmbH Herrn L vom 20.10.2008, eine Erklärung des für den Kläger auf den
Baustellen tätigen Herrn R vom 20.10.2008, Meldebestätigungen der Stadt F zu den
Meldeadressen der Geschäftsführer Herr T3 und Herr T1 vom 16.10.2008 sowie einen
Flurstücksnachweis mit Eigentümerangaben bezüglich des Grundstücks F, K-Straße
vom 20.10.2008 vor. Wegen des Inhalts im einzelnen wird auf die zu den Gerichtsakten
genommenen Unterlagen Bezug genommen.
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Der Kläger beantragt,
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den Umsatzsteuerbescheid 2002 vom 09.05.2003 in Gestalt der
Einspruchsentscheidung vom 03.03.2005 dahingehend zu ändern, dass der
Vorsteuerabzug aus den Rechnungen des Unternehmens S GmbH in Höhe von
42.328,58 € anzuerkennen ist.
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Der Beklagte beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Der Beklagte hält weiterhin an seiner Auffassung fest, dass ein Firmensitz der S GmbH
an der Rechnungsanschrift nicht festzustellen sei, so dass der Vorsteuerabzug nach der
einschlägigen Rechtsprechung des Bundesfinanzhofes – BFH – (z.B. BFH-Urteil vom
27.06.1996 V R 51/93 sowie BFH-Beschluss vom 04.02.2003 V B 81/02) unzulässig sei.
Hinsichtlich der Zahlungsnachweise sei anzumerken, dass im Rahmen der
Umsatzsteuersonderprüfung lediglich die nicht unterschriebenen Eigenbelege vorgelegt
worden seien. Es sei davon auszugehen, dass die nunmehr erstmals im Klageverfahren
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vorgelegten Quittungen nachgeschrieben worden seien. Es widerspreche auch jedem
üblichen Geschäftsgebaren, dass ein Unternehmer Beträge in nicht unerheblicher Höhe
zunächst ohne jede Bestätigung bzw. Sicherheit in bar auszahlt und die erstellten
Eigenbelege erst später gegen entsprechende Quittungen austausche. Dass für die
Firma S GmbH stets 12-15 Mitarbeiter auf der Baustelle tätig gewesen seien,
widerspreche den von dieser angemeldeten Lohnsteuerbeträgen. Ein Zusammenhang
der gezahlten Bauabzugssteuer mit der Abzugsfähigkeit von Vorsteuern könne nicht
hergestellt werden. Ebenso könne aus der Tatsache, dass über das Vermögen der
streitgegenständlichen Firma ein Insolvenzverfahren eröffnet worden sei, keine
Rückschlüsse über Art und Umfang der tatsächlichen Tätigkeit gezogen werden. Dass
es sich um ein Unternehmen der Baubranche handele, sei nicht von entscheidender
Bedeutung, da es ausschließlich auf den in den Rechnungen angegebenen Firmensitz
ankomme.
Im übrigen wird auf die Niederschrift der mündlichen Verhandlung vom heutigen Tage,
insbesondere wegen des Ergebnisses der durchgeführten Beweisaufnahme, ergänzend
inhaltlich Bezug genommen.
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Erst im Rahmen der Beratung ist festgestellt worden, dass der zunächst
streitgegenständliche Umsatzsteuerbescheid vom 09.05.2003 aufgrund einer am
18.11.2004 durch den Kläger abgegebenen Umsatzsteuererklärung 2002 im Rahmen
des Rechtsbehelfsverfahrens mit Bescheid vom 07.01.2005 durch den Beklagten
geändert und somit nach § 365 Abs. 1 der Abgabenordnung – AO – zum Gegenstand
des laufenden Rechtsbehelfsverfahrens geworden war.
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Entscheidungsgründe
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Die Klage ist begründet.
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I. Der Umsatzsteuerbescheid 2002 vom 07.01.2005 in Form der dazu ergangenen
Einspruchsentscheidung ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten
(§ 100 Abs. 1 S. 1 FGO).
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A. Der in der mündlichen Verhandlung gestellte Antrag auf Änderung des
Umsatzsteuerbescheides 2002 vom 09.05.2003 in Gestalt der Einspruchsentscheidung
vom 03.03.2005 war rechtsschutzgewährend und interessengerecht dahingehend
auszulegen, dass der im Rahmen des Rechtsbehelfsverfahrens ergangene
Änderungsbescheid vom 07.01.2005 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom
03.03.2005 angefochten werden sollte, der nach § 365 Abs. 3 S. 1 AO zum Gegenstand
des Rechtsbehelfsverfahrens geworden ist. Durch den Änderungsbescheid waren keine
neuen Streitpunkte in das Verfahren eingeführt worden und es ist offenkundig, dass
weder den Verfahrensbeteiligten noch dem Senat in der mündlichen Verhandlung die
Existenz des ergangenen Änderungsbescheides bewusst war.
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B. Zu Unrecht hat der Beklagte den Vorsteuerabzug aus den Rechnungen der S GmbH
für den Zeitraum August bis Oktober 2002 abgelehnt. Die tatsächlichen Angaben auf
den Rechnungspapieren, insbesondere zum Sitz der S GmbH, genügen den aus
umsatzsteuerlicher Sicht zu stellenden Anforderungen. Die ursprünglich aufgestellte
Behauptung, bei der S GmbH habe es sich um eine bloße Scheingesellschaft
gehandelt, deren Tätigkeit sich in der Erstellung von sog. "Abdeckrechnungen"
erschöpft habe, hat das Finanzamt ausdrücklich fallen gelassen.
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1. Gemäß § 15 Abs. 1 Nr. 1 Satz 1 des Umsatzsteuergesetzes - UStG – kann der
Unternehmer die in Rechnungen im Sinne des § 14 UStG gesondert ausgewiesene
Steuer für Lieferungen und sonstige Leistungen, die von einem anderen Unternehmer
für sein Unternehmen ausgeführt worden sind, als Vorsteuerbeträge abziehen. Eine
Rechnung muss für den Vorsteuerabzug zwingend die Mindestangaben gemäß § 14
Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 UStG in der für das Streitjahr geltenden Fassung und damit auch die
Anschrift des leistenden Unternehmers enthalten. Nach der vom Senat für zutreffend
erachteten Rechtsprechung des BFH setzt der Vorsteuerabzug nach dieser Vorschrift
voraus, dass der in der Rechnung angegebene Sitz einer GmbH tatsächlich bestanden
hat, weil es der Sofortabzug der Vorsteuer gebietet, dass der Finanzverwaltung eine
eindeutige und leicht nachprüfbare Feststellung des leistenden Unternehmers
ermöglicht wird. Dabei trägt der den Vorsteuerabzug begehrende Unternehmer die
Feststellungslast dafür, dass der in der Rechnung einer GmbH angegebene Sitz
tatsächlich bei Ausführung der Leistung und bei Rechnungserstellung bestanden hat.
Insoweit besteht eine Obliegenheit des Leistungsempfängers, sich über die Richtigkeit
der Geschäftsdaten (Anschrift, Firma, Rechtsform u. ä.) zu vergewissern (vgl. BFH-Urteil
vom 6. Dezember 2007 V R 61/05, BStBl II 2008, 695). Die bisherige Rechtsprechung
des BFH zu dieser Frage hat dabei auch einen Briefkastensitz mit postalischer
Erreichbarkeit der Gesellschaft ausreichen lassen. Danach bedarf es besonderer und
detaillierter Feststellungen, um die Annahme eines Scheinsitzes zu rechtfertigen.
Anhaltspunkte könnten sich etwa dann ergeben, wenn am eingetragenen Firmensitz
keinerlei Geschäftsleitungs- und Arbeitgeberfunktion, Behördenkontakt und
Zahlungsverkehr stattfindet (vgl. BFH-Beschluss vom 31. Januar 2002 V B 108/01,
BStBl II 2004, 622) und der Leistungsempfänger auch keinerlei geschäftlichen Kontakt
mit dem Leistenden über den in der Rechnung angegebenen Firmensitz und die
dortigen Bankverbindungen ausübte, insbesondere also z.B. alle Kontakte an den
Baustellen mit den dort tätigen Personen - noch dazu bar und nicht etwa nachprüfbar auf
ein Bankkonto des Leistenden - abgewickelt wurden (vgl. zu den letztgenannten
Kriterien bei einer Baufirma BFH-Urteil vom 27. Juni 1996 V R 51/93, BStBl II 1996,
620). Ob der in einer Rechnung angegebene Firmensitz nur zum Schein unterhalten
werde, sei nach den Umständen des Einzelfalls zu beurteilen.
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Im Urteil vom 6. Dezember 2007 (V R 61/05, BB 2008, 807) hat der BFH darüber
hinausgehend offengelassen, ob ein "Briefkasten-Sitz" mit postalischer Erreichbarkeit
des Unternehmers nach den Umständen des Einzelfalles als hinreichende Adresse des
leistenden Unternehmers überhaupt in Betracht kommen kann. Denn er hat die
Tatsache, dass die Tätigkeit der GmbH über einen Büroservice ausgeübt wurde, der
sich darauf beschränkt habe, eingehende Telefonanrufe und Postsendungen
weiterzuleiten, ohne dass eine sonstige unternehmerische Tätigkeit in Form von
Geschäftsleitung, Behördenkontakten oder Zahlungsverkehr stattgefunden habe und
dass am angeblichen Firmensitz keinerlei Geschäftsunterlagen aufbewahrt worden
waren, als besondere und detaillierte Feststellungen zur Annahme eines Scheinsitzes
ausreichen lassen. Er hat in diesem Zusammenhang auf das Urteil des Europäischen
Gerichtshofes – EuGH – vom 28. Juni 2007 C-73/06, UR 2007, 654 verwiesen, wonach
eine fiktive Ansiedlung in der Form, wie sie für eine "Briefkastenfirma" oder für eine
"Strohmannfirma" charakteristisch ist, nicht als Sitz einer wirtschaftlichen Tätigkeit i.S.
der 13. Mehrwertsteuer-Richtlinie angesehen werden kann, obwohl die
berechtigterweise im eigenen Namen auftretende "Strohmannfirma" nach der
Rechtsprechung durchaus als vorsteuerabzugsberechtigte Leistende in Frage kommt
(vgl. z.B. BFH-Beschluss vom 31. Januar 2004 V B 108/01, BFHE 198, 208, BStBl II
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2004, 622; BFH-Urteil vom 07. Juli 2005 V R 60/03, BFH/NV 2006, 139).
Dem Vorsteuerabzug steht dagegen nach der Rechtsprechung des BFH nicht entgegen,
dass sich der leistende Unternehmer nach Leistungsausführung und
Rechnungsstellung dem Zugriff der Finanzbehörde entzogen hat. Die von der
Rechtsprechung entwickelten Kontrollanforderungen an die Rechnungsangaben
können nicht auf den Fall übertragen werden, dass nach Leistungsausführung und
Rechnungsstellung der Leistende seinen Sitz (ohne Mitteilung) verlegt oder in sonstiger
Weise "untertaucht", um sich u.a. seinen steuerlichen Pflichten zu entziehen. Solche
Umstände betreffen allein das Steuerschuldverhältnis des Leistenden zur
Finanzbehörde. Sie führen nicht zum Wegfall des entstandenen
Vorsteuerabzugsanspruchs (vgl. BFH-Urteil vom 27.Juni 1996 V R 51/93 a.a.O.).
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2. Nach dem Gesamtergebnis des Verfahrens steht zur Überzeugung des Senates ein
Sachverhalt fest, der die Annahme rechtfertigt, dass an der in der Rechnung
angegebenen Anschrift (K-Strasse in F) jedenfalls ein den umsatzsteuerrechtlichen
Anforderungen genügender Sitz der S GmbH im Zeitpunkt der Ausführung der Leistung
und der Rechnungsstellung tatsächlich bestanden hat. Die Erreichbarkeit und
Überprüfbarkeit der für die S GmbH Verantwortlichen war unter dieser Anschrift jederzeit
gewährleistet.
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a. Nach welchen rechtlichen Grundlagen der "Sitz" einer Gesellschaft
umsatzsteuerrechtlich zu bestimmen ist, wurde – soweit ersichtlich – bislang durch die
Rechtsprechung noch nicht abschließend geklärt. Insbesondere wurden keine Kriterien
für die inhaltliche Ausgestaltung des Sitzbegriffes definiert.
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aa) Steuerrechtlich finden sich in den §§ 10 und 11 AO allgemeine Bestimmungen zum
Ort der Geschäftsleitung und Sitz einer Gesellschaft, wobei letztere lediglich an den
gesetzmäßigen bzw. satzungsmäßigen Begriff anknüpft. Geschäftsleitung ist nach § 10
AO der Mittelpunkt der geschäftlichen Oberleitung. Der Mittelpunkt der geschäftlichen
Oberleitung ist dort, wo der für die Geschäftsführung maßgebende Wille gebildet wird.
Folglich kommt es darauf an, an welchem Ort die für die Geschäftsführung nötigen
Maßnahmen von einiger Wichtigkeit angeordnet werden. Bei einer Körperschaft ist das
regelmäßig der Ort, an dem die zur Vertretung befugten Personen die ihnen obliegende
laufende Geschäftsführertätigkeit entfalten, d.h. an dem sie die tatsächlichen,
organisatorischen und rechtsgeschäftlichen Handlungen vornehmen, die der
gewöhnliche Betrieb der Gesellschaft mit sich bringt (sog. Tagesgeschäfte; vgl. z.B.
BFH-Urteile vom 3. Juli 1997 IV R 58/95, BFHE 184, 185, BStBl II 1998, 86 und vom 15.
Oktober 1997 I R 76/95, BFH/NV 1998, 434). Jedes Unternehmen muss zwar einen Ort
der Geschäftsleitung haben (vgl. BFH vom 28. Juli 1993 I R 15/93, BFHE 172, 301,
BStBl II 1994, 148). Eine feste eigene Geschäftseinrichtung oder Anlage, die der
Tätigkeit des Unternehmens dient, ist hierfür aber nicht zwingend erforderlich (vgl. BFH
vom 28. Juli 1993 I R 15/93, BFHE 172, 301, BStBl II 1994, 148). Die
Geschäftsleitungsbetriebsstätte kann sich daher beispielsweise auch in der Wohnung
des Geschäftsführers einer Kapitalgesellschaft befinden. Auch der dem Geschäftsführer
von einem Werksvertragspartner zur Unterkunft bereitgestellte Baucontainer o.ä. kann
im Bauleistungsgewerbe Ort der Geschäftsleitung eines Subunternehmers sein, wenn
dieser Mittelpunkt der geschäftlichen Oberleitung ist (vgl. BFH vom 16. Dezember 1998 I
R 138/97, BFHE 188, 251, BStBl II 1999, 437).
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bb) Von dem Ort, von dem aus der Unternehmer sein Unternehmen im Sinne des § 21
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AO betreibt, ist der Ort der Lieferung oder Leistung im Sinne des Umsatzsteuergesetzes
zu unterscheiden. Beide Orte können zusammentreffen, müssen es aber nicht.
Entscheidend ist vielmehr, von wo aus der Unternehmer seine gewerbliche Tätigkeit
"ausübt", sie "betreibt". Da im Regelfall die gewerbliche Tätigkeit auf einem Plan des
Unternehmers beruht, kommt als Ort des Unternehmens derjenige in Betracht, an dem
der Plan des Unternehmers zur Ausführung gelangt. Dies wird im allgemeinen dort sein,
von wo aus der Unternehmer seine gewerbliche Tätigkeit anbietet, wo er Aufträge
entgegennimmt, ihre Ausführungen vorbereitet und die Zahlungen an ihn geleistet
werden.
cc) Anhaltspunkte für die Definition des umsatzsteuerlichen Sitzbegriffes bietet darüber
hinaus die schon erwähnte Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs – EuGH - vom
28. Juni 2007 (C-73/06 - Planzer-, UR 2007, 654 auf Vorlagebeschluss des FG Köln
vom 19. Januar 2006 2 K 5044/03, EFG 2006, 612), wo dieser den Begriff des "Sitzes
einer wirtschaftlichen Tätigkeit" und den einer "festen Niederlassung" einer Gesellschaft
ausgelegt hat (wobei im Streitfall Art. 3 Buchst. b und Art. 9 der 8. Richtlinie
79/1072/EWG und Art. 1 Nr. 1 der 13. Richtlinie 86/560/EWG zu beurteilen waren).
Danach verlangt der Niederlassungsbegriff einen Mindestbestand an Mitteln, der durch
das ständige Zusammenwirken der für die Erbringung bestimmter Dienstleistungen
erforderlichen Personal- und Sachmittel gebildet wird. Die Niederlassung ist somit durch
eine gewisse Beständigkeit und eine Struktur geprägt, die eine autonome Erbringung
der Dienstleistungen ermöglicht; Hilfs- oder vorbereitende Tätigkeiten reichen dazu
nicht aus. Hierbei sei auch auf die Art der Tätigkeit der Gesellschaft abzuheben.
Letztlich veranlasst der Gesichtspunkt des Verbots einer missbräuchlichen Ausnutzung
des Gemeinschaftsrechts den EuGH, Mindestanforderungen an die wirtschaftliche
Tätigkeit am behaupteten Sitz einer Gesellschaft zu stellen. Deshalb – so führt er aus -
hätten solche Gesellschaften, die den Mindestanforderungen nicht genügten und den
sog. Briefkasten- oder Strohfirmen zuzurechnen seien, in der Regel keinen Sitz an dem
behaupteten Ort.
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b. Vorstehende Grundsätze sind nach Ansicht des Senats auch für die Anforderungen
an den umsatzsteuerlichen Sitzbegriff im Rahmen des § 14 UStG heranzuziehen, im
Streitfall also für die Frage , ob die S GmbH zum Zeitpunkt der Lieferung und der
Rechnungserstellung ihren tatsächlichen Sitz in der K-Strasse in F hatte. Dabei ist nach
Ansicht des Senats der umsatzsteuerliche Sinn und Zweck des Erfordernisses der
Angabe einer zutreffenden Anschrift, nämlich die eindeutige und leicht nachprüfbare
Feststellung der Person des Leistenden durch die Finanzverwaltung, maßgeblich zu
berücksichtigen. Diese Nachprüfbarkeit war im vorliegenden Fall aber gegeben. Im
Streitfall steht zur Überzeugung des Senats fest, dass die in den Rechnungen
angegebene Anschrift im Zeitpunkt der Ausführung der Leistung und der
Rechnungserstellung zutreffend war, da unter dieser Adresse eine jederzeitige
Erreichbarkeit hinreichend zuverlässig gewährleistet war.
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aa) Bei dem in der Rechnung angegebenen Firmensitz in der K-Strasse handelt es sich
nach den durch die Umsatzsteuersonderprüfung am 00.00.0000 und 00.00.0000
getroffenen Feststellungen und dem in der mündlichen Verhandlung vorgelegten
Flurstücksnachweis mit Eigentümerangaben zwar um ein der Frau D, der Schwester
des Geschäftsführers T1, und deren Ehemann gehörendes Einfamilienhaus, in dem
diese eine eigene Wohnung unterhält und ihrem Bruder lediglich ein Zimmer zur
Verfügung gestellt hat. Auch ist keiner der Geschäftsführer bei den verschiedenen
Umsatzsteuernachschauen dort angetroffen worden. Die heutige Beweisaufnahme war
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in diesem Punkt weitgehend unergiebig, da der Zeuge X lediglich im Jahre 1999 – und
damit zu einem wesentlich früheren Zeitpunkt – Post in den dort vorhandenen
Briefkasten eingeworfen hat, ohne das Gebäude zu betreten. Dies schließt es jedoch
nicht aus, dass die S GmbH dort einen Sitz hatte, der der Finanzverwaltung eine
eindeutige Überprüfbarkeit und Erreichbarkeit des leistenden Unternehmers
ermöglichte. So wurden in dem Zimmer auf einer Anrichte an die S GmbH adressierte,
teils noch verschlossene Schriftstücke gefunden, die – auch aus Sicht des Finanzamtes
– offensichtlich zur Abholung für den Bruder als vertretungsberechtigtem Gesellschafter-
Geschäftsführer der S GmbH bereit lagen. Unter diesen Schriftstücken befanden sich
u.a. eine Mitteilung des Bundesamts für Finanzen über die Zuteilung einer
Umsatzsteuer-IdNr. sowie verschiedene Briefe des Finanzamts, ein noch
verschlossener Umschlag der Firma W sowie Kontoauszüge der Bank U, welche
Buchungen mit Bezug auf die S GmbH enthielten. Ausweislich des Akteninhaltes hat
sich am 00.00.0000 unmittelbar nach Durchführung der Nachschau auch ein Herr T –
dem über seine Schwester eine Visitenkarte des zuständigen
Umsatzsteuersonderprüfers mit der Bitte um Kontaktaufnahme überreicht worden war –
telefonisch gemeldet und mitgeteilt, dass wenn er vorher vom Termin Kenntnis gehabt
hätte, er zu Hause geblieben wäre, um seine Erreichbarkeit sicherzustellen. Auch die
Bekundungen des Zeugen X im heutigen Termin haben jedenfalls ergeben, dass in der
Baubranche bekannt war, dass die im Baubereich tätigen Herren T unter der Anschrift
K-Strasse postalisch erreichbar waren – auch wenn sich die Angaben des Zeugen noch
auf das von den Herren T zuvor geführte (Einzel-)Unternehmen bezogen. Fest steht
auch, dass die für die S GmbH bestimmte Post angekommen ist; selbst das Finanzamt
hat nicht vorgetragen, dass die Post ihren Adressaten nicht erreicht hätte. Auch andere
Behörden, Lieferanten und Auftraggeber wie auch der Kläger, haben die S GmbH unter
der angegebenen Anschrift tatsächlich kontaktieren können. Die im Rahmen der
Nachschau am 00.00.0000 auf der Anrichte vorgefundenen Unterlagen sprechen
jedenfalls für eine regelmäßige Nutzung des Hauses als Anlaufstelle geschäftlicher
Aktivitäten. Von der Angabe einer unzutreffenden Anschrift bzw. eines "Scheinsitzes"
kann nicht die Rede sein. Letztlich beruht ein etwaiger Steuerausfall auf Seiten der S
GmbH auch nicht darauf, dass diese durch die Finanzbehörden nicht aufgefunden
werden konnte, weil sie etwa ihre Identität verschleiert hätte, sondern vielmehr auf dem
Eintritt der Zahlungsunfähigkeit im Rahmen der Insolvenz.
bb) Dass nach den getroffenen Feststellungen die für ein Büro zu erwartende
erforderliche Minimalausstattung – etwa ein Schreibtisch, Regale, Telefon- oder
Faxgeräte sowie sonstige für eine Geschäftsausübung erforderliche Vorrichtungen –
fehlten, ist nach Ansicht des erkennenden Senats unter Einbezug der weiteren
konkreten Umstände unschädlich. Denn das Erfordernis der Angabe des zutreffenden
Geschäftssitzes im Rahmen des Vorsteuerabzugs dient allein dazu, die handelnde
Person anhand der Angaben selbst, ohne unangemessenen Aufwand identifizieren zu
können und die behördliche Erfassung und Überprüfung der Person des leistenden
Unternehmers und seiner Aktivitäten zu ermöglichen. Die Anschrift bzw. der Sitz muss
zu der verantwortlichen Person hinführen und deshalb tatsächlich bestehen bzw. bei
Rechnungserstellung bestanden haben. Das heißt nicht, dass zwingend an der Adresse
eine büromäßige Einrichtung vorgehalten werden müsste, wenn diese aufgrund der
Umstände des Einzelfalles oder im Hinblick auf die Art des Unternehmens gar nicht
erforderlich ist. Die Unterhaltung eines Büros oder Geschäftslokals als zentralem Ort der
geschäftsleitenden Tätigkeit gilt zwar als typisches Merkmal einer beruflichen oder
gewerblichen Tätigkeit. Allein die Tatsache, dass kein Geschäftslokal oder Bürobetrieb
unterhalten wird, lässt weder den Schluss auf eine Scheinfirma zu, noch kann sie aus
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anderen Gründen ohne weiteres zu einer Versagung des Vorsteuerabzugs führen, wenn
nach der Art des Unternehmens und der konkreten Form seiner Führung ein
eingerichteter und ausgeübter kaufmännischen Geschäftsbetrieb nicht erforderlich ist. Im
Zeitalter der mobilen Kommunikation und der Möglichkeiten, Buchführung und
verwaltungstechnische Arbeiten von Dienstleistern erledigen zu lassen, dürfen hier die
Anforderungen nicht überspannt werden.
Grundsätzlich muss es auch jedem Unternehmen freistehen, von wo aus es seine
Geschäftstätigkeit ausübt und ein Unternehmen mag – wie hier geschehen – seine
Verwaltungstätigkeit delegieren und im übrigen auch vom Wohnsitz eines seiner
Geschäftsführer aus betreiben. Gerade für kleinere Baubetriebe dürfte es typisch sein,
dass Kontakte aufgrund ständig wechselnder Baustellen zu einem Großteil von diesen
aus und per Handy gepflegt werden, ohne dass die Baufirma an ihrem "Sitz" über einen
vollständig ausgestatteten Bürobetrieb verfügt.
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cc) Im Streitfall ermöglichte die auf den Rechnungen angegebene Anschrift aber die
Überprüfbarkeit durch die Finanzbehörde sowie das Auffinden und die
Inanspruchnahme der S GmbH als Unternehmer. Diese übte ihre unternehmerische
Tätigkeit weitestgehend auf den verschiedenen Baustellen aus. Geschäftsunterlagen
und Buchführungsunterlagen wurden bei einem Steuerberater L, der dies in seiner
Bestätigung vom 20.10.2008 ausdrücklich versichert hat, in Z aufbewahrt. Die
Bauvorhaben wurden auf den Baustellen abgewickelt und Telefonkontakte erfolgten
über Mobilfunk-Telefon. Aus der Bestätigung des für die S GmbH tätigen Steuerberaters
L ergibt sich zudem, dass die anfallenden kaufmännischen Arbeiten wie etwa An-
/Abmeldungen der Arbeitnehmer sowie die Finanz- und Lohnbuchhaltung im dortigen
Büro in Z ausgeführt wurden. Dazu wurden die Belege und Unterlagen zuvor durch die
Herren T gesammelt, um sie dann dem Steuerberatungsbüro zu übergeben. Dass an
der angegebenen Adresse keinerlei Ausübung von Geschäftsleitungs- und
Arbeitgeberfunktionen sowie Zahlungsverkehr festgestellt werden konnte, stellt nach der
Rechtsprechung auch lediglich ein Indiz für das Vorliegen eines Scheinsitzes dar.
Diesen Indizien kam aber unter Berücksichtigung der weiteren Umstände im hier zu
prüfenden Einzelfall keine Bedeutung zu. Unter Berücksichtigung der Beauftragung
eines nahegelegenen Steuerbüros mit den Aufgaben der Führung/Aufbewahrung der
Geschäftsbücher und der Erstellung steuerlicher Erklärungen aufgrund hereingereichter
Belege sowie der Nutzung eines Baucontainers auf den Baustellen ist der Senat
überzeugt davon, dass der darüber hinaus noch verbliebene Teil der
Unternehmertätigkeit der S GmbH, etwa die vorherige Sammlung der entsprechenden
Belege, Schreiben von Abschlagsrechnungen und Überwachung des Zahlungsverkehrs
– sofern hierfür überhaupt noch eine büromäßige ortsfeste,0
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Anknüpfung und Organisation nötig gewesen sein sollte – an der in der Rechnung
angegebenen Anschrift stattgefunden hat. Zur Führung des Unternehmens der S GmbH
war auch kein besonderer Aufwand erforderlich. Dieser konnte ohne weiteres von der in
der Rechnung angegebenen Anschrift – trotz häufiger Abwesenheit ihrer
Geschäftsführer – erbracht werden. Die angegebene Adresse bot daher eine
geschäftlich zweckmäßige Möglichkeit, eine feststehende Anschrift zu bieten, um so die
umfassende und fortgesetzte Möglichkeit einer – schriftlichen – Kontaktaufnahme
sicherzustellen, ohne dass es darauf ankommt, wie dieser Ort auch immer im einzelnen
gestaltet war. Dass es einen anderen festen Ort gab, an dem ein hierüber
hinausgehendes "Minimum an wirtschaftlichem Leben" vorhanden war oder
unternehmerische Entscheidungen getroffen wurden, wurde auch weder vom Beklagten
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behauptet noch konnte dieses durch den Senat festgestellt werden.
II. Hiernach ergab sich unter Berücksichtigung der Mehr-Vorsteuerbeträge aus den
Rechnungen der Firma S GmbH folgende Steuerberechnung:
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Umsatzsteuer laut Bescheid
214.468,97
Mehr-Vorsteuer laut Urteil
42.328,58
Umsatzsteuerschuld laut Urteil
172.140,39
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III. Die Revision war wegen der grundsätzlich bedeutsamen Frage, welche
Anforderungen an den in der Rechnung anzugebenden Sitz einer GmbH zu stellen sind
und wegen einer möglichen Abweichung vom BFH-Urteil vom 06.12.2007 V R 61/05
nach § 115 Abs. 2 Nr. 1 und 2 FGO zuzulassen.
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IV. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO.
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Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 151 FGO in
Verbindung mit §§ 708 Nr. 10, 711 Zivilprozessordnung - ZPO -.
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