Urteil des FG Köln vom 10.04.2003

FG Köln: steuersatz, ausübender künstler, vollziehung, verbraucher, futtermittel, zolltarif, aussetzung, ermächtigung, kapital, lebensmittel

Finanzgericht Köln, 7 V 582/03
Datum:
10.04.2003
Gericht:
Finanzgericht Köln
Spruchkörper:
7. Senat
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
7 V 582/03
Tenor:
Anmerkung: Der Klage wurde stattgegeben.
Gründe
1
I.
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Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob die von der Antragstellerin vorgenommene
Lieferung sogenannter Milchersatzprodukte dem ermäßigten Steuersatz gemäß § 12
Abs. 2 Nr. 1 UStG unterliegt, insbesondere ob diese Milchersatzprodukte zu den in der
genannten Anlage zu § 12 Abs. 2 Nr. 1 UStG aufgeführten Gegenständen gehören.
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Die Antragstellerin verkauft und liefert sogenannte Milchersatzprodukte. Dabei handelt
es sich um aus Soja, Reis oder Hafer gewonnene Flüssigkeiten, die als Substitut für
trinkbare Kuhmilch eingesetzt werden. Die Milchersatzprodukte dienen insbesondere
der Versorgung von Personen, die unter einer Überempfindlichkeit gegen Milchzucker
(sogenannte Laktose-Überempfindlichkeit) oder einer Kuhmilcheiweißallergie leiden.
Für Personen mit überhöhtem Cholesterinspiegel hat die aktiv cholesterinsenkende
Wirkung der Sojamilcheiweiße wesentliche Bedeutung. Die pflanzlichen
Milchersatzprodukte verfügen ebenso wie tierische Milch über den für die Verbraucher
maßgeblichen gleichen Eiweißgehalt, die gleiche Menge an Kohlenhydraten sowie
über vergleichbare Mengen an Mineralstoffen. Die Milchersatzprodukte werden ebenso
wie tierische Milch darüber hinaus zum direkten Verzehr, zur Zubereitung anderer
Lebensmittel, für Nachspeisen oder zur Beigabe für Kaffee und Tee verwendet.
Schließlich ähneln sich beide Produkte hinsichtlich ihrer Beschaffenheit und ihres
Aussehens.
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Die Antragstellerin unterwarf u.a. auch für das II. Quartal 2002 den Verkauf dieser
Milchersatzerzeugnisse dem ermäßigten Steuersatz gemäß § 12 Abs. 2 Nr. 1 UStG.
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Im Rahmen einer am 12.03.2002 für den Voranmeldungszeitraum Januar bis Dezember
2001 angemeldeten und am 30.09.2002 für den Zeitraum I. und II. Quartal 2002
erweiterten Umsatzsteuersonderprüfung gelangte der Antragsgegner zu der Auffassung,
dass es sich bei den betreffenden Milchersatzprodukten nicht um solche Waren
handele, die in der Liste der Anlage zu § 12 Abs. 2 Nr. 1 UStG als dem ermäßigten
Steuersatz unterliegende Gegenstände aufgeführt seien und dehalb auch nicht dem
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ermäßigten Steuersatz von 7 % zu unterwerfen seien.
Im Rahmen des Umsatzsteuersonderprüfungsberichts vom 21.10.2002 wies der
Antragsgegner darauf hin, dass die Umsätze aus dem Verkauf der von der
Antragstellerin produzierten Milchersatzprodukte dem ermäßigten Steuersatz
unterworfen worden seien. Der ermäßigte Steuersatz gemäß § 12 Abs. 2 UStG sei
jedoch nur anzuwenden, wenn das Produkt in der Liste der Anlage zu § 12 Abs. 2 UStG
aufgeführt sei. Dies sei jedoch nicht der Fall. Insbesondere seien die von der
Antragstellerin produzierten und vertriebenen Produkte nicht dem Kapital 21 des
Zolltarifs zuzuordnen. Auch Position 22.02 des Zolltarifs könne nicht herangezogen
werden, da es sich insoweit nicht um ein Milchmischgetränk handele. Die Anwendung
des ermäßigten Steuersatzes sei daher nicht möglich und die betreffenden Umsätze der
Regelbesteuerung zu unterwerfen.
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Auf der Grundlage dieses Umsatzsteuersonderprüfungsberichts erließ der
Antragsgegner sodann am 06.12.2002 einen geänderten
Umsatzsteuervorauszahlungsbescheid für das II. Kalendervierteljahr 2002, in dem
nunmehr die Lieferung der Milchersatzprodukte nicht mehr dem ermäßigten Steuersatz
von 7 %, sondern dem Regelsteuersatz von 16 % unterworfen wurde und der bisher
festgesetzte Umsatzsteuererstattungsbetrag i.H.v. ......eine Umsatzsteuerschuld i.H.v.
.....geändert wurde.
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Gleichzeitig wurde die Antragstellerin aufgefordert, den Unterschiedsbetrag i.H.v.
...spätestens bis zum 16.12.2002 zu zahlen.
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Hiergegen legte die Antragstellerin fristgerecht am 17.12.2002 Einspruch ein, über den
bis zum heutigen Tage noch nicht entschieden worden ist.
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Unter gleichem Datum beantragte die Antragstellerin beim Antragsgegner die
Aussetzung der Vollziehung des geänderten Umsatzsteuervorauszahlungsbescheids
für das II. Quartal 2002 vom 06.12.2002.
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Desweiteren legte die Antragstellerin gegen das Leistungsgebot, bis zum 15.12.2002
den Unterschiedsbetrag zu zahlen, Einspruch ein, mit der Begründung, ihr sei der
Steuerbescheid erst zum 09.12.2002 bekanntgegeben worden, so dass die Anordnung
einer Fälligkeit innerhalb von 6 Tagen unverhältnismäßig sei.
12
Mit Schreiben vom 03.01.2003 teilte der Antragsgegner der Antragstellerin mit, dass er
dem Einspruch gegen das verfügte Leistungsgebot zum 15.12.2002 nicht entsprechen
könne. Nach § 18 Abs. 1 S. 1 UStG habe der Unternehmer bis zum zehnten Tag nach
Ablauf jedes Voranmeldungszeitraums eine Voranmeldung abzugeben, in der die
Steuer für den Voranmeldungszeitraum selbst zu berechnen sei. Falls das Unternehmen
die Besteuerungsgrundlagen objektiv in unzutreffender Höhe erklärt habe, trage die
Finanzbehörde dieser Tatsache durch eine abweichende Steuerfestsetzung Rechnung.
Wenn der Gesetzgeber in § 18 Abs. 1 S. 2 UStG bestimmt habe, dass die selbst
errechnete Vorauszahlung am zehnten Tag nach Ablauf des Voranmeldungszeitraums
fällig sei und dem Unternehmer damit eine Frist von 10 Tagen einräume, sich auf diese
Zahlung einzustellen, könne für den Fall einer abweichenden Steuerfestsetzung nichts
anderes gelten. Die mit Bescheid vom 06.12.2002 verbundene Zahlungsfrist sei daher
nicht ermessensfehlerhaft.
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Mit Schriftsatz vom 03.02.2003 beantragt die Antragstellerin nunmehr beim
Finanzgericht die Aussetzung der Vollziehung des
Umsatzsteuervorauszahlungsbescheids für das II. Quartal 2002 vom 06.12.2002.
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Dabei macht die Antragstellerin im wesentlichen geltend, dass im Streitfall ernstliche
Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Bescheides deshalb bestünden, weil
es in rechtlicher Hinsicht zweifelhaft sei, ob die sogenannten Expositionen der Anlage
zu § 12 Abs. 2 Nr. 1 u. Nr. 2 UStG zollrechtlich oder umsatzsteuerrechtlich auszulegen
seien. Bei einer umsatzsteuerrechtlichen Auslegung sei nicht zwischen Milch tierischen
und pflanzlichen Ursprungs zu differenzieren. Ernstliche Zweifel bestünden auch im
Hinblick auf den Anhang H der 6. Richtlinie als gemeinschaftsrechtlicher Ermächtigung
für die ermäßigte Besteuerung von Milch, da sich auch nach diesem Anhang die durch
den Antragsgegner vorgenommene Differenzierung verbiete. Im übrigen spreche das
grundgesetzliche Differenzierungsverbot gegen die Anwendung des Regelsteuersatzes.
Schließlich würden sich auch bei einer rein zollrechtlichen Auslegung der Anlage zum
Umsatzsteuergesetz ernstliche Zweifel ergeben.
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So enthalte die Anlage zum Umsatzsteuergesetz einerseits uneingeschränkte
Verweisungen auf den Zolltarif und andererseits sogenannte Expositionen. Während die
uneingeschränkten Verweisungen rein zolltariflich auszulegen seien, sei es zumindest
ernstlich zweifelhaft, ob dies auch auf die Expositionen zutreffe. Denn die Expositionen
ordneten aufgrund einer besonderen umsatzsteuerrechtlichen Zielsetzung die nur
eingeschränkte Geltung des Zolltarifs an. Dabei sei bei der Auslegung der Expositionen
die umsatzsteuerrechtliche Zielsetzung zu berücksichtigen.
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Da es insoweit zumindest ernstlich zweifelhaft sei, ob die Expositionen der Anlage zum
Umsatzsteuergesetz umsatzsteuerrechtlich auszulegen seien, bestünden im Streitfall
zumindest ernstliche Zweifel daran, ob die durch die Antragstellerin gelieferten
Milchersatzprodukte dem Regelsteuersatz unterliegen würden. Denn bei der Auslegung
der Exposition "Milchmischgetränke mit einem Anteil an Milch und Milcherzeugnissen
von mindestens 75 % des Fertigungserzeugnisses" (Nr. 35 der Liste = Position 22.02
des Zolltarifs) sei umsatzsteuerrechtlich der Grundsatz der Wettbewerbsneutralität zu
beachten. Speziell im Hinblick auf die Ermächtigung, ermäßigte Steuersätze
einzuführen, habe der Europäische Gerichtshof bereits mehrfach entschieden, dass
gleichartige und im Wettbewerb miteinander stehende Waren einem einheitlichen und
nicht unterschiedlichen Steuersatz zu unterwerfen seien. Im Streitfall stünden
Milchgetränke aus tierischer Milch und die von der Antragstellerin gelieferten
Milchersatzgetränke im Wettbewerb miteinander. Denn tierische Milch und pflanzliche
Ersatzprodukte, wie z.B. Sojamilch, seien hinsichtlich ihres Nährwertes vergleichbar.
Sowohl tierische als auch pflanzliche Milch verfüge über den für den Verbraucher
maßgeblichen gleichen Eiweißgehalt, die gleiche Menge an Kohlehydraten sowie
vergleichbare Mengen an Mineralstoffen. Tierische und pflanzliche Milch sei
darüberhinaus zum direkten Verzehr, zur Zubereitung anderer Lebensmittel, für
Nachspeisen oder zur Beigabe bei Kaffee und Tee zu verwenden. Schließlich seien
sich beide Waren hinsichtlich Beschaffenheit und Aussehen ähnlich.
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Der Antragsgegner könne sich für die Differenzierung zwischen Milch tierischen und
pflanzlichen Ursprungs auch nicht auf Artikel 12 Abs. 3 a Unterabsatz 3 i.V.m. Anhang H
Nr. 1 der 6. Richtlinie als gemeinschaftsrechtlicher Grundlage der Nr. 35 der Anlage zum
Umsatzsteuergesetz berufen. Aufgrund dieser gemeinschaftsrechtlichen Ermächtigung
würden Milchmischgetränke mit einem Anteil an Milch und Milcherzeugnissen von
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mindestens 75 % der Fertigungserzeugnisses nach § 12 Abs. 12 Nr. 1 UStG i.V.m. Nr.
35 der Anlage zum Umsatzsteuergesetz ermäßigt besteuert. Nach Anhang H Nr. 1 der 6.
Richtlinie unterlägen dem ermäßigten Steuersatz demgegenüber "Nahrungs- und
Futtermittel (einschließlich Getränken, alkoholische Getränke ausgenommen), lebende
Tiere, Saatgut, Pflanzen und üblicherweise für die Zubereitung von Nahrungs- und
Futtermittel verwendete Zutaten, üblicherweise als Zusatz oder als Ersatz von
Nahrungs- und Futtermittel verwendete Erzeugnisse".
Bei Ausübung der den Mitgliedsstaaten nach Anhang H 6. Richtlinie eingeräumten
Ermächtigungen seien die Mitgliedsstaaten nicht befugt, innerhalb eines nach diesem
Anhang zu besteuernden Vorganges Untergruppen zu schaffen, die unterschiedlichen
Steuersätzen unterlägen. Deshalb habe die EG-Kommission z.B. ein
Vertragsverletzungsverfahren gegen die Bundesrepublik Deutschland eingeleitet, da
Anhang H Nr. 8 der 6. Richtlinie zwar die ermäßigte Besteuerung der Darbietung
ausübender Künstler erlaube, es entgegen § 12 Abs. 2 Nr. 7 a UStG aber unzulässig
sei, zwischen den Leistungen eines Solisten und den Leistungen eines Ensembles zu
differenzieren (Rs. C-109/02 vom 01.06.2002).
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Sei es nach dem gegen die Bundesrepublik Deutschland eingeleiteten
Vertragsverletzungsverfahren unzulässig, bei Ausübung der Ermächtigung nach
Anhang H der 6. Richtlinie Untergruppen zu schaffen, bestünden zumindest ernstliche
Zweifel, ob in Ausübung der Ermächtigungen nach Artikel 12 Abs. 3 a Unterabsatz 3
i.V.m. Anhang H Nr. 1 der 6. Richtlinie zwischen Milch tierischen und pflanzlichen
Ursprungs differenziert werden könne. Denn sei es den Mitgliedsstaaten verwehrt, einen
nach Anhang H zu besteuernden Vorgang in Untergruppen aufzuteilen, sei der
ermäßigte Steuersatz nicht nur auf Milch tierischen Ursprungs, sondern auch auf
pflanzliche Milchersatzprodukte anzuwenden. Denn die Lieferung von Nahrung- und
Futtermitteln (einschließlich Getränken, jedoch ohne alkoholische Getränke) stelle einen
einheitlich zu besteuernden Vorgang im Sinne von Anhang H Nr. 1 der 6. Richtlinie dar.
Bei einer Differenzierung zwischen Milch tierischen Ursprungs und pflanzlichen
Milchersatzprodukten käme es zu einer unzulässigen Bildung von Untergruppen
innerhalb eines einheitlichen Vorgangs. Dies würde dem Grundsatz der Neutralität
widersprechen, da die durch die Antragstellerin gelieferten Milchersatzprodukte nach
ihren spezifischen Eigenheiten und Nährwerten Substitutionsprodukte für Milch
tierischen Ursprungs darstellten, deren Verwendung z.B. bei Kuhmilcheiweißallergie
oder Laktoseüberempfindlichkeit empfohlen werde.
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Ernstliche Zweifel ergäben sich im Streitfall schließlich auch aus dem in Artikel 3
Grundgesetz verfassungsrechtlich verbürgten Gleichbehandlungsgebot. Danach seien
im Bereich der Umsatzsteuer getroffene Belastungsentscheidungen zur Bestimmung
des Steuersatzes folgerichtig umzusetzen. Dies sei auch bei der Auslegung der
gesetzlichen Bestimmung zu beachten. Umsatzsteuerrechtliche Differenzierungen
bedurften daher eines sachlichen Rechtfertigungsgrundes. Ein derartiger
Rechtfertigungsgrund für die steuerliche Differenzierung zwischen Milch tierischen
Ursprungs und Milchersatzprodukten bestehe aber nach den spezifischen
Eigenschaften und Nährwerten der beiden Warenarten nicht. Deshalb verwendeten ja
auch Personen mit Laktoseüberempfindlichkeit die Milchersatzprodukte anstelle von
tierischen Milchprodukten.
21
Schließlich bestünden gegen den angegriffenen
Umsatzsteuervorauszahlungsbescheids selbst dann ernstliche Zweifel, wenn die
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Auslegung der Anlage zum Umsatzsteuergesetz entgegen der Auffassung der
Antragstellerin ausschließlich nach zollrechtlichen Grundsätzen zu erfolgen hätte. Denn
dem ermäßigten Steuersatz unterlägen auch die Zubereitung von pflanzlichen Fetten
und Ölen nach der Exposition zu Nr. 26 f der Anlage zum Umsatzsteuergesetz. Eine
derartige Zubereitung stellten z.B. ölhaltige Gelantinekapseln dar. Dies habe der BFH
am 17.11.1998, BFH/NV 1999, S. 688, entschieden. Aufgrund des Wortlauts und der
Auslegung durch den BFH sei daher im vorliegenden Fall zumindest ernstlich
zweifelhaft, ob es sich bei den Milchersatzprodukten nicht um Zubereitungen nach Nr.
26 f der Anlage zu § 12 Abs. 2 UStG handele.
Unabhängig vom Vorliegen der Voraussetzungen der Nr. 26 der Anlage zum
Umsatzsteuergesetz sei auch ernstlich zweifelhaft, ob die Milchersatzprodukte nicht als
Lebensmittelzubereitung nach Kapital 21 des Zolltarifs anzusehen seien und daher
nach Ziffer 33 der Anlage zum Umsatzsteuergesetz ermäßigt zu besteuern seien. Hierfür
spreche auch, dass "Coconut-Milk" nach einer Tarifierungsverordnung der EG-
Kommission gemäß Position 21.06 des Zolltarifs zu tarifieren sei.
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Soweit der Antragsgegner sich auf die Entscheidung des Bundesfinanzhofs vom
20.02.1990, BStBl II 1990, 760, stütze, wonach die ausdrückliche Verweisung auf den
Zolltarif einer umsatzsteuerlichen Auslegung unter Berücksichtigung der für den
Gesetzgeber bei Schaffung der Anlage maßgeblichen Gründe entgegenstehe, so sei
demgegenüber auf die Entscheidung des Bundesfinanzhofs vom 14.01.1997, BStBl II
1997, 481 zu verweisen. Denn dort habe der Bundesfinanzhof ausgeführt, dass die
Anlage zum Umsatzsteuergesetz zumindest dann nicht zolltarifrechtlich auszulegen sei,
wenn die Anlage aufgrund einer Ausnahmeregelung vom Zolltarif abweiche. Eine
derartige Ausnahmeregelung enthielten die sogenannten Expositionen. Denn diese
Expositionen ordneten aufgrund einer jeweiligen besonderen umsatzsteuerrechtlichen
Zielsetzung die nur eingeschränkte Geltung des Zolltarifs an. Im Streitfall enthalte das
Umsatzsteuergesetz mit der auf Milchmischgetränke eingeschränkten Verweisung auf
Position 22.02 KN eine derartige Exposition, so dass zumindest ernstlich zweifelhaft sei,
ob die umsatzsteuerrechtlichen Gründe, die für die Anordnung des ermäßigten
Steuersatzes in diesem Fall maßgeblich seien bei der Gesetzesauslegung tatsächlich
unberücksichtigt bleiben könnten.
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Die Antragstellerin beantragt,
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den Umsatzsteuervorauszahlungsbescheid für das II. Kalendervierteljahr 2002
vom 06.12.2002 i.H.v. ...von der Vollziehung auszusetzen.
26
Der Antragsgegner beantragt,
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den Antrag abzulehnen.
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Er ist der Auffassung, dass im Streitfall keine ernstlichen Zweifel gegen die
Rechtmäßigkeit des angegriffenen Umsatzsteuervorauszahlungsbescheids bestehen.
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Aufgrund der ausdrücklichen Verweisung auf den Zolltarif, würden die zolltariflichen
Vorschriften unmittelbar gelten. Bei Auslegung der einzelnen Regelungen der Anlage
des Umsatzsteuergesetzes komme es deshalb allein auf die zolltariflichen Vorschriften
und Begriffe an. Dies entspreche auch der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs.
Damit scheide eine Auslegung aus, die sich an den normkonzipierenden Grundsätzen
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des Gesetzgebers des Umsatzsteuergesetzes orientiere, die für die Aufstellung des
Katalogs der Anlage maßgeblich gewesen seien. Nicht gewünschte Konsequenzen des
strengen Zolltarifs müsse der Gesetzgeber erforderlichenfalls durch Einführung einer
ausdrücklichen Ausnahme in den betreffenden Bestimmungen der Anlage vermeiden.
Nach Auskunft der zolltechnischen Prüfungs- und Lehranstalt Köln, handele es sich bei
den von der Antragstellerin produzierten Milchersatzerzeugnissen um Getränke, die
unter Position 22.02 des Zolltarifs fielen. Diese Produkte seien daher weder als
Lebensmittelzubereitung dem Kapital 21 Zolltarifs noch als Zubereitung von
pflanzlichen Fetten und Ölen der Position 15.17 des Zolltarifs zuzuordnen, so dass sie
nicht nach Ziffer 33 bzw. Ziffer 26 f der Anlage zu § 12 Abs. 2 Nr. 1 UStG ermäßigt zu
besteuern seien. Da jedoch nach Ziffer 35 der Anlage zu § 12 Abs. 2 Nr. 1 UStG aus
Position 22.02 des Zolltarifs nur Milchmischgetränke mit einem Anteil an Milch oder
Milcherzeugnissen von mindestens 75 % des Fertigungserzeugnisses ermäßigt zu
besteuern seien, seien die Produkte der Antragstellerin nicht nach Ziffer 35 der Anlage
zu § 12 Abs. 2 Nr. 1 UStG begünstigt und unterlägen daher dem Regelsteuersatz.
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Auch nach Rücksprache mit der zolltechnischen Prüfungs- und Lehranstalt München
sowie die zolltechnischen Prüfungs- und Lehranstalt Berlin sei übereinstimmend
mitgeteilt worden, dass es sich bei dem von der Antragstellerin produzierten und
verkauften Milchersatzerzeugnissen um Getränke der Position 22.02 des Zolltarifs
handele.
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Darüberhinaus habe der EuGH in einem Urteil vom 26. März 1981 entschieden, dass
unter Getränken im Sinne der Position 22.02 alle Flüssigkeit zu verstehen seien, die
zum menschlichen Genuss geeignet und bestimmt seien, ohne dass es auf die
eingenommene Menge oder die besonderen Zwecke ankomme, deren die
verschiedenen Arten genießbarer Flüssigkeiten dienen könnten. Es handele es sich
also um Flüssigkeiten, die unmittelbar ohne weitere Behandlung genussfertig seien.
Hiervon zu unterscheiden seien z.B. Konzentrate, Auszüge oder Essenzen, die als
Lebensmittelzubereitung dem Kapital 21 des Zolltarifs zuzuordnen seien. Die von der
Antragstellerin produzierten und verkauften Milchersatzprodukte, die ohne weitere
Bearbeitung unmittelbar zum Verzehr angeboten werden könnten, erfüllten die
Voraussetzungen für Getränke. Sie seien daher zu Recht aufgrund ihrer Beschaffenheit
und Verwendung der Position 22.02 des Zolltarifs zugeordnet worden. Damit erübrige
sich grundsätzlich die weitere Prüfung, ob die Erzeugnisse unter ein anderes Kapitel,
z.B. 19 oder 21 fielen, da dies lediglich Auffangpositionen für diejenigen Erzeugnisse
seien, die nicht bereits in Folge ihrer Aufmachung, Beschaffung oder Verwendung in
einer anderen Position des Zolltarifs, z.B. als Getränke, genauer erfasst würden.
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II.
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Der Antrag ist begründet.
35
Der Senat hält es für ernstlich zweifelhaft, ob die Anwendung des ermäßigten
Steuersatzes allein auf tierische Milchprodukte und nicht auf pflanzliche "Milchprodukte"
zumindest mit europarechtlichen Vorgaben in Einklang zu bringen ist. Aus diesen
Gründen bestehen ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen
Umsatzsteuervorauszahlungsbescheids für das II. Quartal 2002 vom 06.12.2002.
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I. Gemäß § 69 Abs. 3 S. 1 i.V.m. Abs. 2 S. 2 der Finanzgerichtsordnung soll das Gericht
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den angefochtenen Verwaltungsakt von der Vollziehung aussetzen, wenn ernstliche
Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Verwaltungsaktes bestehen. Solche
Zweifel bestehen nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs nur dann,
wenn bei summarischer Prüfung neben den für die Rechtmäßigkeit des angefochtenen
Verwaltungsakts sprechenden Umstände auch gewichtige Gründe gegen die
Rechtmäßigkeit zu Tage treten, die Unsicherheit oder Unentschiedenheit in der
Beurteilung von Rechtsfragen oder Unklarheiten in der Beurteilung von Tatfragen
bewirken (ständige Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs, aus jüngerer Zeit z.B.
Beschluss des BFH vom 11. September 2002 II B 113/02, BStBl II 2002, 777). Eine
überwiegende Erfolgsaussicht des Rechtsmittels ist für die Aussetzung der Vollziehung
nicht erforderlich (vgl. z.B. Beschluss des BFH vom 4. September 2002 I B 145/01,
BFH/NV 2002, 1628).
II. Unter Berücksichtigung dieser Tatbestandsvoraussetzungen, deren Vorliegen für die
Aussetzung der Vollziehung eines Verwaltungsaktes erforderlich ist, ist im Rahmen der
im einstweiligen Rechtsschutzverfahren gebotenen summarischen Überprüfung der
Sach- und Rechtslage aufgrund des Sachvortrags der Beteiligten und der Aktenlage
festzustellen, dass im Streitfall ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des
Umsatzsteuervorauszahlungsbescheids für das II. Quartal 2002 vom 06.12.2002
bestehen.
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1. Die Ermäßigung des Umsatzsteuersatzes auf 7 % gemäß § 12 Abs. 2 UStG ist vor
dem Hintergrund der insoweit verbindlichen Vorgaben des europäischen
Gemeinschaftsrechts anzuwenden und erforderlichenfalls auszulegen. Verbindlich ist
die Regelung des insoweit einschlägigen Artikel 12 Abs. 3 a Unterabsatz 3 der 6. EG-
Richtlinie und des dazu ergangenen Anhangs H dabei allerdings nur insoweit, als die
dort aufgeführten Kategorien von Gegenständen abschließend zu verstehen sind, die
EU-Mitgliedsstaaten also nicht befugt sind, für im Anhang H nicht aufgeführte
Gegenstände - von den in Art 12 und 28 der 6. EG-Richtlinie aufgeführten, hier nicht
einschlägigen, Ausnahmen einmal abgesehen - eine Steuerermäßigung einzuräumen
(vgl. Kraeusel in Reiß/Kraeusel/Langer, Stand Juli 1998, § 12 UStG Rdn 84). Im übrigen
sind die EU-Mitgliedsstaaten aufgrund des fakultativen Charakters der
Richtlinienbestimmung nicht verpflichtet, überhaupt einen ermäßigten Steuersatz
einzuführen und, falls sie eine Steuerermäßigung vorsehen, insbesondere nicht
verpflichtet alle Gegenstände des Anhangs H dem ermäßigten Steuersatz zu
unterwerfen (vgl. Kraeusel, a.a.O., § 12 UStG Rdn 83).
39
Die Mitgliedsstaaten können bei der Übertragung der mit dem ermäßigten Steuersatz zu
besteuernden Gegenstände aus den in Anhang H der 6. EG-Richtlinie enthaltenen
Kategorien in ihre einzelstaatlichen Rechtsvorschriften den genauen Geltungsbereich
der betreffenden Kategorien anhand der sog. Kombinierten Nomenklatur abgrenzen
(vgl. Birkenfeld, Das große Umsatzsteuer-Handbuch, Stand August 2002, §141 Rdn. 1
ff, 16 ff.). Bei der Kombinierten Nomenklatur handelt es sich um ein Warenverzeichnis,
das neben dem Integrierten Tarif und anderen Regelungen des Gemeinschaftsrechts,
die zolltarifliche Bestimmungen enthalten, den sogenannten Gemeinsamen Zolltarif
(GZT) bildet (vgl. Huschens in Schwarz/Vogel, Stand Juni 2000, § 12 Abs. 2 Nr. 1 UStG
Rdn 39 ff., 43).
40
So sieht die für den Streitfall einschlägige Kategorie 1 des Anhang H vor, dass
"Nahrungs- und Futtermittel (einschließlich Getränke, alkoholische Getränke jedoch
ausgenommen), lebende Tiere, Saatgut, Pflanzen und üblicherweise für die Zubereitung
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von Nahrungs- und Futtermittel verwendete Zutaten, üblicherweise als Zusatz oder als
Ersatz für Nahrungs- und Futtermittel verwendete Erzeugnisse" dem ermäßigten
Mehrwertsteuersatz unterworfen werden können.
Auf der Grundlage dieser Kategorie 1 des Anhangs H zu Artikel 12 Abs. 3 a Unterabsatz
3 der 6. EG-Richtlinie ist in § 12 Abs. 2 Nr. 1 UStG vorgesehen, dass dem ermäßigten
Steuersatz von 7 % unter anderem die Lieferung der in der Anlage zu § 12 Abs. 2 Nr. 1
UStG bezeichneten Gegenstände unterliegen sollen.
42
In der Anlage zu § 12 Abs. 2 Nr. 1 UStG hat sodann der deutsche Gesetzgeber in den
Nummern 1 - 47 auf verschiedene Kapitel, Positionen und Expositionen
(Unterpositionen) des gemeinsamen Zolltarifs Bezug genommen.
43
Das Umsatzsteuergesetz läßt sich insoweit bei der Gewährung des ermäßigten
Steuersatzes von wirtschafts-, finanz- und staatspolitischen Gesichtspunkten leiten und
betreibt durch die Bestimmung des Steuersatzes zudem auch gezielte
Wirtschaftslenkung. So beruht die Gewährung der Steuermäßigung für z.B. nahezu alle
Lebensmittel auf sozialpolitischen Gründen, denn die ermäßigte Besteuerung der
lebensnotwendigen Verbrauchsgüter bedeutet für die Bezieher kleinerer und mittlerer
Einkommen eine spürbare steuerliche Entlastung (vgl Husmann in Rau/Dürr-wächter/
Flick/Geist, Stand Novemver 1996, § 12 Abs. 2 Nr. 1 und 2 UStG Rdn 13 und 30;
Kraeusel, a.a.O., § 12 UStG Rdn. 30).
44
Das Umsatzsteuergesetz trifft somit im Rahmen des § 12 Abs. 2 UStG auf der Grundlage
des insoweit verbindlichen Artikels 12 Abs. 3 a Unterabsatz 3 i.V.m. Anhang H der 6.
EG-Richtlinie eine Auswahl der ermäßigt zu besteuernden Lebenssachverhalte. Die
dem ermäßigten Steuersatz unterliegenden Gegenstände sind dabei in der Liste der
Anlage zu § 12 Abs. 2 Nr. 1 UStG vom Gesetzgeber abschließend aufgeführt worden
(vgl. Birkenfeld, a.a.O., § 141 Rdn 36; Husmann, a.a.O., § 12 Abs. 2 Nr. 1 und 2 UStG
Rdn 78; Heidner in Bunjes/Geist, 7. Auflage 2003, § 12 Abs. 2 Nr. 1 UStG Rdn 2).
Insoweit ist es der Beurteilung des Umsatzsteuergesetzgebers überlassen, welche
Sachverhaltsmerkmale nicht mehr in den Begünstigungstatbestand einbezogen werden
und welche noch von den betreffenden Zielsetzungen erfasst werden. Das
Umsatzsteuergesetz entscheidet insoweit, ob bei bestimmten Lebensachverhalten unter
sachlichen Gesichtspunkten eine Gleichbehandlung zwingend geboten ist, bzw.
inwieweit eine Ungleichbehandlung gerechtfertigt ist, weil solche zwingenden
sachlichen Gründe für eine entsprechende Gleichbehandlung nicht gegeben sind.
Dabei muss die Auswahl der der Steuerbegünstigung unterliegenden Sachverhalte im
Hinblick auf Artikel 3 Abs. 1 GG sachgerecht sein und insbesondere sachlich begründet
werden können (vgl. Birkenfeld, a.a.O. § 141 Rdn 1 ff. m.w.N.).
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Insbesondere hat der Gesetzgeber insoweit nicht nur den innerstaatlichen
verfassungsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz des Artikel 3 Abs. 1 Grundgesetz
zu beachten, sondern desweiteren auch noch den gemeinschaftsrechtlichen Grundsatz
der umsatzsteuerrechtlichen Neutralität.
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So hat der Europäische Gerichtshof in jüngerer Zeit wiederholt und verstärkt
hervorgehoben, dass unterschiedliche Mehrwertsteuersätze nur dann zulässig sind,
wenn sie nicht den dem gemeinsamen Mehrwertsteuersystem zugrundeliegenden
Grundsatz der steuerlichen Neutralität verletzten, der von den Mitgliedsstaaten bei der
Umsetzung der 6. EG-Richtlinie zu beachten sei (vgl. EuGH-Urteile vom 7. September
47
1999 C - 216/97, DStRE 1999, 803; vom 3. Mai 2001 C - 481/98, Beilage zu BFH/NV
2001, 142; Urteil vom 11. Oktober 2001 C - 267/99, Beilage zu BFH/NV 2002, 21;
allgemein zum Grundsatz der umsatzsteuerlichen Neutralität aufgrund
gemeinschaftsrechtlicher Vorgaben Urteile vom 25. Juni 997 C - 45/95, UVR 1997, 331;
vom 11. Juni 1998 C - 283/95, DStRE 1998, 490).
Der Europäische Gerichtshof konkretisiert diesen Grundsatz der steuerlichen Neutralität
dahingehend, dass es nach diesem Prinzip insbesondere unzulässig sei, gleichartige
und deshalb miteinander im Wettbewerb stehende Waren hinsichtlich der
Mehrwertsteuer unterschiedlich zu behandeln. Infolge dessen seien solche Erzeugnisse
einem einheitlichen Steuersatz zu unterwerfen. Demgemäß schließe der Grundsatz der
steuerlichen Neutralität auch die Grundsätze der Einheitlichkeit der Mehrwertsteuer und
der Beseitigung von Wettbewerbsverzerrungen ein (vgl. EuGH-Urteile vom 3. Mai 2001
C - 481/98, Beilage zu BFH/NV 2001, 142; Urteil vom 11. Oktober 2001 C - 267/99,
Beilage zu BFH/NV 2002, 21). Der Grundsatz der steuerlichen Neutralität verbiete es
insoweit, dass Wirtschaftsteilnehmer, die die gleichen Umsätze bewirkten, bei der
Besteuerung unterschiedlich behandelt würden (EuGH-Urteil vom 07.09.1999 C -
216/97, DStRE 1999, 803).
48
2. Unter Berücksichtigung dieser Rechtslage kann es der beschließende Senat im
Streitfall für Zwecke der Aussetzung der Vollziehung dahingestellt sein lassen,
inwieweit der Rechtstandpunkt des Antragsgegners tatsächlich zutreffend ist, dass die
von der Antragstellerin hergestellten und vertriebenen pflanzlichen Milchersatzprodukte
sachlich und begrifflich nicht in den Kapiteln, Positionen und Expositionen der Anlage
zu § 12 Abs. 2 Nr. 1 UStG aufgeführt sind. Selbst wenn man insoweit mit dem
Antragsgegner davon ausgeht, dass die in § 12 Abs. 2 Nr. 1 UStG erfolgte Verweisung
auf die Anlage und damit auf die betreffenden Kapitel und Positionen bzw. Expositionen
des Zolltarifs abschließend konzipiert ist und damit Milchersatzprodukte von der Anlage
zu § 12 Abs. 2 Nr. 1 UStG im Rahmen der gebotenen zolltariflichen Auslegung (vgl.
hierzu BFH-Entscheidungen vom 28. September 1988 X R 49/81, BStBl II 1989, 208;
vom 20. Februar 1990 VII R 172/84, BStBl II 1990, 760; vom 14. Januar 1997 VII R
47/96, BStBl 1997, 481) nicht erfasst werden, ist für den Streitfall jedoch die
gemeinschaftsrechtliche Vorgabe des Europäischen Gerichtshofs hinsichtlich des
Grundsatzes der steuerlichen Neutralität zu beachten.
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Vor dem Hintergrund dieses Grundsatzes erscheint es aus Sicht des beschließenden
Senates nicht ausgeschlossen, dass die Antragstellerin durch die Anwendung des
Regelsteuersatzes von 16 % gegenüber Mitbewerbern am Markt, denen der ermäßigte
Steuersatz von 7 % gewährt wird, effektiv benachteiligt wird.
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Der beschließende Senat verkennt dabei nicht, dass der Bundesfinanzhof wiederholt im
Zusammenhang mit der Anwendung der Anlage zu § 12 Abs. 2 Nr. 1 UStG erhobene
Einwendungen, die Nichtberücksichtigung einzelner in der Anlage nicht aufgeführter
Gegenstände würde zu einer Ungleichbehandlung im Sinne Artikel 3 Abs. 1 GG führen,
nicht als durchgreifend angesehen hat.
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So hat der Bundesfinanzhof z.B. zur Problematik der unterschiedlichen
umsatzsteuerlichen Begünstigung der Umsätze von verschiedenen Kunstgegenständen
ausgeführt, dass der Gesetzgeber von Verfassungswegen nicht gehalten sei, eine
steuerliche Begünstigung in allen Bereichen künstlerischen Schaffens gleichermaßen
sicherzustellen, etwa Kunstgegenstände schlechthin steuerlich zu begünstigen. Der
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Gesetzgeber könne vor allem im Hinblick auf die Schwierigkeit des Begriffs Kunst
eindeutig festlegen, genau bestimmte Kunstgegenstände wie Originalerzeugnisse der
Bildhauerkunst zu begünstigen, handwerkliche Erzeugnisse, auch solche individueller
künstlerischer Fertigung, hingegen aber unbegünstigt zu lassen. Hierin liege keine
unsachgemäße Differenzierung, die allein einen Verstoß gegen den Gleichheitssatz
darstellen würde (vgl. BFH-Entscheidungen vom 28. April 1992 VII R 92/91, BFH/NV
1992, 851). Der Gleichheitssatz verpflichte den Gesetzgeber nicht, jede wirtschaftliche
Förderungsmaßnahme oder steuerliche Begünstigung allen Bereichen künstlerischen
Schaffens gleichermaßen zu Gute kommen zu lassen. Vielmehr könnten für die
Beurteilung der Förderungswürdigkeit auch wirtschafts- und finanzpolitische
Gesichtspunkte berücksichtigt werden (vgl. BFH-Urteil vom 9. Dezember 1993 V R
89/93, BFH/NV 1995, 443). Auch in anderen Zusammenhängen hat der
Bundesfinanzhof die unterschiedliche steuerliche Behandlung hinsichtlich des
Steuersatzes für gerechtfertigt erachtet (vgl. z.B. Urteil vom 28. Juni 2000 V R 63/99,
BFH/NV 2001, 348 hinsichtlich orthopädischer Apparate, Körperersatzstücke, Prothesen
sowie sonstiger Vorrichtungen zum Beheben von Funktionsschäden oder Gebrechen für
Menschen; Beschluss vom 20. März 1998 V B 138/97, BFH/NV 1998, 1380 zur
vermeintlichen Ungleichbehandlung von Anzeigenzeitungen gegenüber Fernsehen-
und Radioprogrammzeitschriften).
Selbst wenn man aber unter Berücksichtigung des innerstaatlich verfassungsrechtlich
angelegten Gleichbehandlungsgebots des Artikels 3 Abs. 1 GG gegen die
Nichtbegünstigung der pflanzlichen Milchersatzprodukte mit dem ermäßigten Steuersatz
gegenüber den herkömmlichen tierischen Milchprodukten keine Bedenken haben sollte,
so ergeben sich jedoch für den beschließenden Senat unter Berücksichtigung des
gemeinschaftsrechtlichen Gebots der steuerlichen Neutralität der Umsatzbesteuerung
im Streitfall ernstliche Zweifel an der Nichteinbeziehung der pflanzlichen
Milchersatzprodukte unter die Begünstigungsregelung des ermäßigten Steuersatzes im
Sinne des § 12 Abs. 2 Nr. 1 UStG.
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Zwischen den Beteiligten ist nämlich insoweit unstreitig, dass die von der Antragstellerin
hergestellten pflanzlichen Milchersatzprodukte ebenso wie die tierischen Milchprodukte
über den für die Verbraucher maßgeblichen gleichen Eiweißgehalt, die gleiche Menge
an Kohlenhydraten sowie über vergleichbare Mengen an Mineralstoffen verfügen. Die
Milchersatzprodukte sind danach ebenso wie die tierische Milch zum direkten Verzehr,
zur Zubereitung anderer Lebensmittel, für Nachspeisen oder als Beigabe für Kaffee und
Tee zu verwenden. Die von der Antragstellerin hergestellten pflanzlichen
Milchersatzprodukte sind nach dem unstreitigen Vortrag der Antragstellerin auch
hinsichtlich des Nährwertes den tierischen Milchprodukten vergleichbar.
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Unterschiede hinsichtlich der Gruppe der aktuellen und potentiellen Verbraucher
ergeben sich nach dem bisherigen Sachvortrag der Beteiligten sowie nach dem
vorgelegten Akteninhalt allein daraus, dass die von der Antragstellerin hergestellten
pflanzlichen Milchersatzprodukte für Verbraucher, die an einer Milcheiweißallergie oder
an einer Überempfindlichkeit gegenüber Milchzucker leiden sowie überhöhte
Cholesterinprobleme aufweisen, aus Gesundheitsgründen verträglicher bzw.
empfehlenswerter sind.
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Der Senat vermag auf der im Rahmen eines summarischen einstweiligen
Rechtsschutzverfahrens naturgemäß noch relativ ungeklärten Tatsachengrundlage nicht
abschließend zu entscheiden, inwieweit die Antragstellerin mit ihren Produkten in einem
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ganz überwiegendem oder lediglich in einem zu vernachlässigendem Umfang die
gleichen Verbraucherkreise und Käuferschichten anspricht, wie die Hersteller
herkömmlicher tierischer Milchprodukte. Hierfür wäre eine weitere tatsächliche
Sachaufklärung erforderlich, die sich im Rahmen eines einstweiligen
Rechtsschutzverfahrens naturgemäß nicht vornehmen lässt und auch nach Sinn und
Zweck des einstweiligen Rechtsschutzverfahrens nicht vorgenommen werden soll.
Insoweit spricht nach Auffasung des beschließenden Senats einiges dafür, dass im
Streitfall die Antragstellerin mit ihren pflanzlichen Milchersatzprodukten in ganz
überwiegendem Maße die gleichen aktuellen und potentiellen ernährungs- und
gesundheitsbewußten Verbraucher anspricht, wie die Hersteller der herkömmlichen
tierischen Milchprodukte mit ihren Waren.
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In diesem Fall würde es sich jedoch bei der Antragstellerin und den Herstellern der
herkömmlichen tierischen Milchprodukte bzw. bei den pflanzlichen
Milchersatzprodukten und den tierischen Milchprodukten um gleichartige und deshalb
miteinander unmittelbar im Wettbewerb stehende Marktteilnehmer/Anbieter bzw. Waren
handeln, bei denen nicht einzusehen wäre, warum diese gleichartigen und miteinander
im Wettbewerb stehenden Martteilnehmer und Waren mit unterschiedlichen
Mehrwertsteuersätzen belegt werden dürfen und aus welchen sachlichen Gründen
damit eine effektive - preisliche - Benachteiligung der mit dem höheren
Mehrwertsteuersatz belasteten Warengruppe der pflanzlichen Milchersatzprodukte am
Markt gerechtfertigt sein sollte.
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Der beschließende Senat sieht daher sowohl in tatsächlicher Hinsicht eine
Aufklärungsnotwendigkeit dahingehend, dass geklärt werden muss, in welchem Umfang
es sich bei den pflanzlichen Milchersatzprodukten der Antragstellerin tatsächlich um
gleichartige Waren gegenüber den herkömmlichen tierischen Milchprodukten handelt
und in welchem Maße mithin insoweit eine gleichartige oder zumindest vergleichbare
Wettbewerbsausgangssituation gegeben ist.
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Der beschließende Senat vermag zudem auch in rechtlicher Hinsicht im Rahmen des
vorliegenden summarischen einstweiligen Rechtsschutzverfahrens nicht abschließend
zu beurteilen, inwieweit bei Vorliegen gleichartiger miteinander im Wettbewerb
stehender pflanzlicher Milchersatzprodukte und tierischer Milchprodukte der Grundsatz
der steuerlichen Wettbewerbsneutralität aufgrund gemeinschaftsrechtlicher Grundsätze
durch eine gesetzliche Regelung verletzt wird, die die pflanzlichen Milchersatzprodukte
mit dem umsatzsteuerlichen Regelsteuersatz belegt und sie daher gegenüber den
tierischen Milchprodukten, die dem ermäßigten Steuersatz unterworfen werden, effektiv
benachteiligt.
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Vor dem Hintergrund dieser tatsächlichen und rechtlichen Unklarheiten bestehen daher
ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen
Umsatzsteuervorauszahlungsbescheids für das II. Quartal 2002.
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III. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO.
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IV. Im Hinblick auf die ungeklärte Rechtsfrage, unter welchen Voraussetzungen die
Nichtberücksichtigung gleichartiger Waren im Rahmen der Anlage 1 zu § 12 Abs. 2 Nr.
1 UStG und die Nichtgewährung des ermäßigten Steuersatzes von 7 % gemäß § 12
Abs. 2 Nr. 1 UStG gegen den gemeinschaftsrechtlichen Grundsatz der steuerlichen
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Neutralität verstößt, läßt der Senat gemäß § 128 Abs. 3 FGO die Beschwerde zu.