Urteil des FG Köln vom 24.03.2006
FG Köln: einkünfte, sozialversicherung, verfassungskonforme auslegung, eltern, bestreitung, krankenversicherung, beihilfe, unterhalt, veröffentlichung, begriff
Finanzgericht Köln, 10 K 312/05
Datum:
24.03.2006
Gericht:
Finanzgericht Köln
Spruchkörper:
10. Senat
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
10 K 312/05
Tenor:
Die Klage wird abgewiesen.
Die Kosten des Verfahrens hat der Kläger zu tragen.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
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Die Beteiligten streiten darüber, ob die Einkünfte und Bezüge der Tochter des Klägers
im Jahr 2003 den Jahresgrenzbetrag überschreiten.
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Am 15. Januar 2004 beantragte der Kläger Kindergeld für seine im April 1978 geborene
Tochter M für die Zeit ab Januar 2003, die sich in dieser Zeit als Anwärter für das
Lehramt im Referendariat befand. Die Beklagte lehnte diesen Antrag mit Bescheid vom
16. Januar 2004 ab, weil der Jahresgrenzbetrag von 7.188 EUR überschritten sei. Die
Beklagte ging dabei von Einnahmen in Höhe von 12.978 EUR aus, die um
Werbungskosten von 4.993 EUR zu mindern seien. Der Einspruch blieb ohne Erfolg
(Einspruchsentscheidung vom 6. Januar 2005).
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Streitig ist jetzt noch das Kindergeld für die Monate Januar bis Dezember 2003.
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Mit der erst nach Ausschlussfristsetzung begründeten Klage macht der Kläger geltend,
der Jahresgrenzbetrag für 2003 sei nicht überschritten. Die Einnahmen hätten nur
12.703 EUR betragen. Ausweislich des Steuerbescheids für das Jahr 2003 (Kindergeld-
Akte, Bl 171) seien Werbungskosten in Höhe von insgesamt 5.792 EUR zu
berücksichtigen; dieser habe Einkünfte für M von insgesamt nur 6.981 EUR
ausgewiesen. Die Werbungskosten seien gegenüber dem FA nachgewiesen worden.
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Die Beklagte hat im Klageverfahren eine erneute Berechnung der Einkünfte und Bezüge
vorgenommen. Dabei ging sie davon aus, dass die im Steuerbescheid für M
angesetzten Besteuerungsgrundlagen keine Grundlagenfunktion für das Kindergeld
hätten. Die Familienkasse sei vielmehr verpflichtet, sämtliche Werbungskosten
eigenverantwortlich zu überprüfen. Auszugehen sei von Einnahmen in Höhe von 12.978
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EUR. Davon abzuziehen seien lediglich Werbungskosten in Höhe von 5.005 EUR, so
dass sich Einkünfte und Bezüge von 7.973 EUR ergäben (GA Bl. 55, 56). Die darüber
hinaus angesetzten pauschalen Werbungskosten ohne Nachweis (beispielsweise
Kontoführung) sei ebenso wenig berücksichtigungsfähig wie die ohne weitere
Begründung angesetzten Kosten für Berufskleidung/Sport. Die Kosten für das
Arbeitszimmer könnten ebenfalls nicht anerkannt werden, weil das Arbeitszimmer von
den privat genutzten Räumlichkeiten nicht getrennt sei. Denn nach der Skizze der
Wohnung befinde sich der Arbeitsplatz im Wohnzimmerbereich von M. Auch die Kosten
für die Zweitwohnung könnten nicht anerkannt werden. Denn dies setze voraus, dass
der Lebensmittelpunkt am ersten Wohnsitz beibehalten würde, was nur angenommen
werden könne, wenn der erste Wohnsitz durchschnittlich mindestens zweimal monatlich
aufgesucht werde. M habe jedoch lediglich 12 Heimfahrten durchgeführt.
Der Kläger ist nach wie vor der Ansicht, die Besteuerungsgrundlagen im
Steuerbescheid seien auch für die Kindergeldfestsetzung maßgeblich. Seiner
Berechnung hatte der Kläger zunächst die Einnahmen der M lt.
Steuerkarte/Steuerbescheid in Höhe von 12.703 EUR zugrunde gelegt. Nachdem der
Prozessvertreter des Klägers im Telefonat mit dem Berichterstatter vom 20. März 2006
darauf hingewiesen worden war, dass der Einkommensteuerbescheid für die
Kindergeldfestsetzung kein Grundlagenbescheid sei und bislang keine
Werbungskosten nachgewiesen worden seien, die über die im Schriftsatz der Beklagten
vom 19. August 2005 berücksichtigten Werbungskosten von 5.005 EUR hinausgingen,
trug der Prozessvertreter mit Schriftsatz vom 22. März 2006 ohne weitere Erläuterungen
vor, der Berechnung sei lediglich der Nettolohn von 11.906 EUR zugrunde zu legen. Im
übrigen müssten die Kosten für das Arbeitszimmer anerkannt werden. Der Grundsatz,
dass das Arbeitszimmer nahezu ausschließlich für berufliche Zwecke genutzt werden
müsse, könne nicht gelten, wenn die gesamte Wohnung nur aus einem Zimmer bestehe.
In einem solchen Fall seien die Kosten für das Arbeitszimmer zumindest anteilig zu
berücksichtigen. Außerdem berücksichtigt werden müssten die Kosten für die
Krankenversicherung in Höhe von 1.129 EUR (monatlich 94,08 EUR) sowie die Kosten
für die Berufsunfähigkeitsversicherung in Höhe von 609 EUR (monatlich 50,73 EUR).
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Der zur mündlichen Verhandlung vom 24. März 2006 trotz ordnungsgemäßer Ladung
nicht erschienene Kläger hat schriftsätzlich sinngemäß beantragt, die Beklagte unter
Aufhebung der Ablehnungsentscheidung vom 16. Januar 2004 und der
Einspruchsentscheidung vom 6. Januar 2005 zu verpflichten, das Kindergeld für die
Monate Januar bis Dezember 2003 zu gewähren (GA Bl. 46).
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Die Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.
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Entscheidungsgründe
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Die Klage ist unbegründet. Da die Einkünfte und Bezüge der Tochter des Klägers den
für 2003 maßgeblichen Jahresgrenzbetrag überschreiten, wird der Kläger durch den
Ablehnungsbescheid nicht in seinen Rechten verletzt.
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1. Nach § 63 Abs. 1 Satz 2 i.V.m. § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a EStG wird ein Kind,
das das 18., aber noch nicht das 27. Lebensjahr vollendet hat, beim
Kindergeldberechtigten berücksichtigt, wenn es für einen Beruf ausgebildet wird und
wenn es Einkünfte und Bezüge, die zur Bestreitung des Unterhalts oder der
Berufsausbildung bestimmt oder geeignet sind, von nicht mehr als 7.188 EUR im
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Kalenderjahr hat (§ 32 Abs. 4 Satz 2 EStG). Für jeden Kalendermonat, in dem die
Voraussetzungen nach § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 EStG an keinem Tag vorliegen,
ermäßigt sich der Grenzbetrag um 1/12 (§ 32 Abs. 4 Satz 7 EStG). Einkünfte und
Bezüge des Kindes, die auf diese Kalendermonate entfallen, bleiben außer Ansatz (§
32 Abs. 4 Satz 8 EStG).
2. Im Streitfall wurde die Tochter des Klägers während des gesamten Streitjahres zur
Lehrerin ausgebildet. Ihre Einkünfte und Bezüge überschreiten jedoch den für das
Streitjahr maßgeblichen Jahresgrenzbetrag von 7.188 EUR.
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a) Bei Ermittlung ihrer Einkünfte und Bezüge ist von ihrem Bruttoarbeitslohn
auszugehen, der lt. Eintragung des LBV auf der Lohnsteuerkarte 12.703 EUR betrug.
Die Berechnung des Beklagten, die ausgehend von der LBV-Bescheinigung einen
Bruttoarbeitslohn von 12.978 EUR ergab, ist zwar nachvollziehbar, das Gericht hält
jedoch letztlich den im Nachhinein vom LBV auf der Lohnsteuerkarte bescheinigten
Arbeitslohn für maßgeblich. Die nicht weiter erläuterte Angabe des Arbeitslohns durch
den Prozessvertreter mit 11.906 EUR ist für das Gericht hingegen nicht nachvollziehbar.
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b) Davon abzuziehen sind zunächst die Werbungskosten in Höhe von 5.005 EUR, so
dass sich Einkünfte und Bezüge von 7.698 EUR ergeben.
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aa) Entgegen der Ansicht des Bevollmächtigten sind nicht bereits deshalb
Werbungskosten von 5.792 EUR anzusetzen, weil dieser Betrag im Rahmen des
Einkommensteuerbescheids der Tochter berücksichtigt wurde. Der
Einkommensteuerbescheid des Kindes hat mangels entsprechender Vorschrift keine
Grundlagenfunktion für die Kindergeldfestsetzung, zumal eine hinreichende Prüfung des
Betrags von 5.792 EUR, der sich im Zuge der Einkommensteuerfestsetzung nicht
ausgewirkt hat, durch das zuständige FA nicht gewährleistet ist. Die Familienkasse hat
daher die Möglichkeit und die Verpflichtung, die angesetzten Werbungskosten
vollumfänglich nachzuprüfen.
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bb) Die vom Kläger über den anerkannten Betrag von 5.005 EUR hinaus angesetzten
pauschalen Werbungskosten des Kindes ohne Nachweis (beispielsweise
Kontoführung) sind ebenso wenig berücksichtigungsfähig wie die ohne weitere
Begründung angesetzten Kosten für Berufskleidung/Sport (Aufteilungsverbot für
gemischte Aufwendungen gemäß § 12 Nr. 1 Satz 2 EStG, BFH-Beschluss vom 19.
Oktober 1970 GrS 2/70, BFHE 100, 309, BStBl II 1971, 17).
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Auch die Kosten für das Arbeitszimmer können nicht anerkannt werden. Kosten für ein
häusliches Arbeitszimmer sind nach ständiger Rechtsprechung nur abziehbar, wenn der
Raum nahezu ausschließlich beruflich genutzt wird (BFH-Beschluss vom 4. Mai 2005 VI
B 35/04, BFH/NV 2005, 1549; BFH-Urteil vom 5. Dezember 2002 IV R 7/01, BFH/NV
2003, 695). Dies ist nicht der Fall, wenn das Arbeitszimmer - wie auch im Streitfall - nicht
von den privat genutzten Räumlichkeiten getrennt ist, sondern der Arbeitsplatz sich im
Wohnzimmerbereich des Steuerpflichtigen befindet. Daran ändert sich entgegen der
Ansicht des Bevollmächtigten auch dann nichts, wenn die Wohnung im Wesentlichen
nur aus einem Raum besteht.
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Schließlich können auch die Kosten für die Zweitwohnung nicht anerkannt werden.
Denn eine beruflich veranlasste doppelte Haushaltsführung liegt nur vor, wenn der
Lebensmittelpunkt am ersten Wohnsitz beibehalten wird. Dies kann jedoch angesichts
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der von M lediglich durchgeführten 12 Heimfahrten im Streitjahr nicht angenommen
werden.
c) Eine weitere Minderung des danach verbleibenden Betrags von 7.698 EUR durch die
angesetzten Vorsorgeaufwendungen (Krankenversicherung: 1.129 EUR;
Berufsunfähigkeitsversicherung: 609 EUR) ist entgegen der Ansicht des
Bevollmächtigten ebenfalls nicht möglich, weil es sich bei diesen Beträgen anders als in
dem BVerfG-Beschluss vom 11. Januar 2005 2 BvR 167/02 (DStR 2005, 911, BFH/NV
2005 , 260) zugrunde liegenden Fall nicht um Pflichtbeiträge zur
Sozialversicherung handelt, sondern um freiwillige Beiträge.
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aa) Ausgangspunkt ist der im Gesetz verwandte Begriff der "Einkünfte und Bezüge", der
nicht als "zu versteuerndes Einkommen” interpretiert werden kann. Der Begriff der
Einkünfte ist in § 2 Abs. 2 EStG klar bestimmt und deutlich vom Begriff des zu
versteuernden Einkommens (vgl. § 2 Abs. 5 EStG) zu unterscheiden. Eine andere
Auslegung, die von der tradierten steuerrechtlichen Terminologie abwiche, würde in
Widerspruch zu Wortlaut und systematischem Zusammenhang der Norm treten und
damit auch zum klar geäußerten Willen des Gesetzgebers. Der notwendige Raum für
die vom Bundesverfassungsgericht geforderte verfassungskonforme Auslegung des §
32 Abs. 4 Satz 2 ergibt sich aus dem Relativsatz "die zur Bestreitung des Unterhalts (…)
bestimmt oder geeignet sind”. Dieser ist nicht nur auf Bezüge, sondern auch auf
Einkünfte des Kindes zu beziehen (BVerfG-Beschluss vom 11. Januar 2005 2 BvR
167/02, DStR 2005, 911, BFH/NV 2005 , 260).
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bb) Das Bundesverfassungsgericht verlangt, die Vorschrift des § 32 Abs. 4 S. 2 EStG
verfassungskonform so auszulegen, dass nicht nur Bezüge, sondern auch Einkünfte des
Kindes nur dann in den Jahresgrenzbetrag des § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG einfließen,
wenn sie zur Bestreitung des Unterhalts oder der Berufsausbildung bestimmt oder
geeignet sind. Denn die Einbeziehung von Pflichtbeiträgen des Kindes zur
Sozialversicherung in die Bemessungsgröße für den Jahresgrenzbetrag verstieße
gegen den allgemeinen Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG. Diese Beiträge sind
anderen Zwecken als der Bestreitung des Unterhalts zu dienen bestimmt; sie gelangen
von Gesetzes wegen nicht in den Verfügungsbereich des einkünfteerzielenden Kindes
oder dessen Eltern und können deshalb - unabhängig vom Willen der Eltern und des
unterhaltsberechtigten Kindes - keine Entlastung bei den Eltern bewirken. Durch die
Einbeziehung von Pflichtbeiträgen zur Sozialversicherung in die Bemessungsgröße für
den Jahresgrenzbetrag würden deshalb unterhaltsverpflichtete Eltern von Kindern
benachteiligt, die sozialversicherungspflichtige Einkünfte oberhalb der Freigrenze
beziehen, gegenüber unterhaltsverpflichteten Eltern, deren Kinder keine Einkünfte und
Bezüge haben oder solche Mittel in einer Höhe beziehen, die noch unterhalb der
Freigrenze bleiben, jedoch dieselbe Höhe erreichen, die sich bei
sozialversicherungspflichtigen Einkünften oberhalb der Freigrenze erst nach Abzug der
Sozialversicherungsbeiträge ergeben würde (BVerfG-Beschluss vom 11. Januar 2005 2
BvR 167/02, DStR 2005, 911, BFH/NV 2005 , 260).
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cc) Anders als die Pflichtbeiträge zur gesetzlichen Sozialversicherung sind Beiträge
eines in der Ausbildung befindlichen Beamtenanwärters zur freiwilligen
Krankenversicherung bei der Frage, ob der Jahresgrenzbetrag gemäß § 32 Abs. 4 S. 2
EStG überschritten ist, nicht von den Einkünften und Bezügen abzuziehen. Denn anders
als bei Pflichtbeiträgen zur Sozialversicherung in dem vom BVerfG entschiedenen Fall
beruht der Abschluss einer freiwilligen Krankenversicherung auf einer
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Willensentscheidung des Kindes. Die Zahlungen erfolgen aus der dem Kind
zugeflossenen Ausbildungsvergütung und damit aus Einkünften, die zur Bestreitung
seines Unterhalts bestimmt und geeignet sind (FG Schleswig-Holstein, Urteil vom 9.
November 2005 5 K 55/05, zur Veröffentlichung bestimmt).
Der Dienstherr des Beamten - auch des Beamten auf Widerruf oder auf Zeit - gewährt im
Rahmen seiner Fürsorgepflicht u. a. Beihilfen in Krankheitsfällen, um den Beamten von
den durch die Besoldung nicht gedeckten notwendigen Aufwendungen in
angemessenem Umfang freizustellen (BVerwGE 19, 12; 22, 160, 164 f.). Da die Beihilfe
regelmäßig nur einen bestimmten Vomhundertsatz der Krankheitskosten des Beamten
abdeckt, ist es zweckmäßig, dass der Beamte aus seinen Mitteln für die Begleichung
des übrigen Teils der Aufwendungen selbst Vorsorge trifft, wenn er insoweit eine
Kostenerstattung begehrt (vgl. BVerwGE 19, 10, 12 f.; 51, 193, 199 f.; 60, 212, 219 f.; 77,
345, 347 f.). Der Beamte ist jedoch nach geltendem Recht in der Wahl seiner
Krankenvorsorge frei; er entscheidet in eigener Verantwortung darüber, in welchem
Umfang, bei welchem Versicherungsunternehmen, zu welchen
Versicherungsbedingungen und mit welcher eigenen Beitragsverpflichtung er Vorsorge
treffen (BVerwGE 28, 174, 176) oder ob er anstelle einer Versicherung Rücklagen für
den Krankheitsfall bilden will (BVerwGE 20, 44, 51). Hierfür stellt der
Besoldungsgesetzgeber den Beamten einen Alimentationsteil zur Verfügung, mit dem er
den von der Beihilfe nicht abgedeckten Teil der im Krankheitsfall zu erwartenden
Aufwendungen begleichen soll (vgl. BVerfGE 79, 223, 234 f.; BVerwGE 57, 336, 338;
71, 342, 346 f.). Damit kommt der Dienstherr seiner Verpflichtung nach, dem Beamten -
und seiner Familie - amtsangemessenen Unterhalt zu leisten (vgl. insgesamt BVerfGE
83, 89, 98 ff.).
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Anders als bei vom Arbeitgeber einbehaltenen Pflichtbeiträgen zu Sozialversicherung
sind die ausgezahlten Anwärterbezüge danach auch mit dem Alimentationsteil frei
verfügbar, der fiktiv der Absicherung des durch die Beihilfe nicht gedeckten Teils der
Krankheitskosten bzw. der Bildung von Rücklagen für diesen Fall dient. Auch wenn der
Abschluss einer privaten Zusatzversicherung für den durch die Beihilfe nicht gedeckten
Teil der Krankheitskosten sinnvoll erscheint, so ändert dies nichts daran, dass die
Anwärterbezüge dem Kind auch insoweit zur Bestreitung des Unterhalts tatsächlich zur
Verfügung stehen und deshalb bei der Bemessungsgröße für den Jahresgrenzbetrag zu
berücksichtigen sind (FG Schleswig-Holstein, Urteil vom 9. November 2005 5 K 55/05,
zur Veröffentlichung bestimmt). Der Entscheidung des BVerfG für die vom Arbeitgeber
einbehaltenen Pflichtbeiträge zur Sozialversicherung, denen sich das Kind wegen der
gesetzlich angeordneten Versicherungspflicht willentlich nicht entziehen kann, lässt sich
nicht entnehmen, dass auch freiwillige Versicherungsbeiträge dem Kind nicht für seinen
Unterhalt zur Verfügung stehen.
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Andernfalls würde jede freiwillige Sozialversicherung zur Minderung der für den
Unterhalt des Kindes bestimmten und geeigneten Einkünfte führen. Eine solche
Auslegung des § 32 Abs. 4 S. 2 EStG befürwortet beispielsweise das FG
Niedersachsen im zur Veröffentlichung bestimmten Urteil vom 9. November 2005 2 K
477/04. Danach mindern auch Beiträge für eine freiwillige Krankenversicherung die
Summe der zu berücksichtigenden Einkünfte und Bezüge, weil ansonsten
unterhaltsverpflichtete Eltern von Kindern, die aufgrund eines Beamtenverhältnisses
nicht sozialversicherungspflichtige Einkünfte oberhalb der Freigrenze beziehen,
gegenüber unterhaltsverpflichteten Eltern benachteiligt würden, deren Kinder
sozialversicherungspflichtige Einkünfte und Bezüge lediglich aufgrund des mindernden
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Abzugs der Pflichtbeiträge unterhalb der Freigrenze haben. Diese Fallgruppen sind
jedoch - wie dargelegt - nicht vergleichbar, so dass ihre Gleichbehandlung nach Ansicht
des Gerichts gegen den Grundsatz verstößt, das wesentlich ungleiche Fälle
entsprechend ihrer Eigenart auch ungleich zu behandeln sind. Die These des FG
Niedersachsen, dass die Einkünfte bei Beamtenanwärtern in Höhe der privaten
Krankenversicherungsbeiträge für den laufenden Unterhalt des Kindes de facto von
vornherein nicht verfügbar sind, trifft nach Ansicht des Gerichts nicht zu.
3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO.
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4. Die Revision war trotz der Übertragung des Falles auf den Einzelrichter im Hinblick
auf die einander widersprechenden FG-Entscheidungen zur Frage der Abziehbarkeit
von freiwilligen Krankenversicherungsbeiträgen wegen grundsätzlicher Bedeutung
zuzulassen. Die Übertragung auf den Einzelrichter erfolgte vor dem Hintergrund der
allenfalls rudimentären Mitwirkung des Bevollmächtigten im Verfahren, der sich in der
Begründung der Klage lange Zeit auf eine bloße Bezugnahme auf die im
Einkommensteuerbescheid des Kindes angesetzten Werbungskosten beschränkt und
die Berücksichtigung von Krankenversicherungsbeiträgen erst nach Erlass des
Übertragungsbeschlusses geltend gemacht hat.
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