Urteil des FG Köln vom 13.10.2010

FG Köln (raum, arbeit, höhe, funktion, ausstattung, tätigkeit, geistige arbeit, wohnung, einkünfte, musik)

Finanzgericht Köln, 9 K 3882/09
Datum:
13.10.2010
Gericht:
Finanzgericht Köln
Spruchkörper:
9. Senat
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
9 K 3882/09
Rechtskraft:
9 K 3882/09
Tenor:
Der Einkommensteuerbescheid 2007 vom 11.11.2009 wird unter
Aufhebung der Einspruchsentscheidung vom 12.11.2009 geändert. Dem
Beklagten wird aufgegeben, die geänderte Steuerfestsetzung nach
Maßgabe der Urteilsgründe zu errechnen, dem Kläger das Ergebnis
dieser Berechnung mitzuteilen und den Bescheid mit dem geänderten
Inhalt nach Rechtskraft dieses Urteil neu bekanntzugeben.
Die Kosten des Verfahrens trägt der Beklagte.
Das Urteil ist wegen der Kosten ohne Sicherheitsleistung vorläufig
vollstreckbar. Der Beklagte kann die Vollstreckung durch
Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des
Kostenerstattungsanspruchs der Klägerin abwenden, soweit nicht die
Klägerin zuvor Sicherheit in derselben Höhe leistet.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
1
Zwischen den Beteiligten ist die Berücksichtigungsfähigkeit von Aufwendungen der
Klägerin für ein sogenanntes Übezimmer bei den Einkünften der Klägerin aus
selbständiger Arbeit als Musikerin im Streitjahr 2007 streitig.
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Im Rahmen ihrer Einkommensteuererklärung für das Streitjahr 2007 machte die Klägerin
im Rahmen ihrer Einkünfte aus selbständiger Arbeit als Musikerin Aufwendungen für
einen innerhalb ihrer Wohnung gelegenen Raum geltend, der zum Proben, Einüben und
Einstudieren der von ihr aufzuführenden Musikstücke genutzt wurde. Der Raum hatte
mit einer Fläche von 45,12 qm einen Anteil von 21,49 % an der Gesamtwohnfläche in
Höhe von 210 qm. In Anbetracht ihres Umzugs im September des Streitjahres machte
die Klägerin für die Dauer von 8 Monaten hinsichtlich der in dieser Zeit für die Wohnung
entstandenen Gesamtkosten in Höhe von 14.277,96 € einen Anteil von 21,49 % geltend,
mithin einen Betrag von 3.068,33 €. Daneben setzte die Klägerin weitere unstreitige
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Betriebsausgaben in Höhe von 6.837,17 € von ihren Betriebseinnahmen in Höhe von
insgesamt 14.803,74 € ab und ermittelte so einen Gewinn in Höhe von 4.898 € aus ihrer
freiberuflichen Tätigkeit als Musikerin, den sie im Rahmen ihrer
Einkommensteuererklärung in Ansatz brachte.
Im Rahmen des Einkommensteuerbescheides für 2007 vom 11.08.2009 wurden diese
Raumkosten in Höhe von 3.068,33 € nicht berücksichtigt. In den Erläuterungen des
Bescheids wies der Beklagte darauf hin, dass das Übezimmer nicht berücksichtigt
werden könne. Es zeige die Eigenschaft eines Arbeitszimmers auf (Bearbeiten von
Notenmaterial; Erledigung gedanklicher, schriftlicher oder verwaltungstechnischer
Arbeiten) und bilde zudem nicht den Mittelpunkt der gesamten beruflichen Tätigkeit der
Klägerin.
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Hiergegen legte die Klägerin fristgerecht Einspruch ein.
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Im Verlaufe des Einspruchsverfahrens wurde der angegriffene Bescheid wegen
anderweitiger für das vorliegende Verfahren nicht relevanter Streitpunkte am 11.11.2009
zugunsten der Klägerin geändert. Dieser Änderungsbescheid wurde gemäß § 365 Abs.
3 AO Gegenstand des Einspruchsverfahrens.
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Mit Einspruchsentscheidung vom 12.11.2009 wurde der Einspruch der Klägerin im
übrigen als unbegründet zurückgewiesen. Dabei stellte der Beklagte im Wesentlichen
darauf ab, dass als sonstiges Arbeitszimmer zwar ein Raum anzusehen sei, der seiner
Lage, Funktion und Ausstattung nach in die häusliche Sphäre eingebunden sei und
vorwiegend der Erledigung gedanklicher, schriftlicher, verwaltungstechnischer oder
organisatorischer Arbeiten diene. Dabei müsse es sich jedoch nicht zwingend um
Arbeiten büromäßiger Art handeln. Vielmehr könne ein häusliches Arbeitszimmer auch
dann vorliegen, wenn es sich um eine geistige, künstlerische oder schriftstellerische
Betätigung handele, wobei eine häusliche Einbindung regelmäßig zu bejahen sei, wenn
der Raum zur privaten Wohnung oder zum Wohnhaus des Steuerpflichtigen gehöre.
Zudem habe der BMF in seinem Schreiben vom 03.04.2007 (BStBl I 2007, 442)
ausdrücklich das häusliche Musikzimmer einer freiberuflich tätigen Musikerin als
Arbeitszimmer definiert.
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Darüberhinaus sei der angefochtene Bescheid auch insoweit nicht zu beanstanden, als
davon auszugehen sei, dass das Übezimmer nicht als Mittelpunkt der gesamten
beruflichen bzw. betrieblichen Tätigkeit anzusehen sei, da dieser Mittelpunkt dort
anzunehmen sei, wo nach Würdigung des Gesamtbilds der Verhältnisse und der
Tätigkeitsmerkmale diejenigen Handlungen vorgenommen und Leistungen erbracht
würden, die für die ausgeübte Tätigkeit wesentlich und prägend seien. Dies sei bei einer
Musikerin nicht der häusliche Übungsraum.
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Im Rahmen ihrer hiergegen fristgerecht erhobenen Klage macht die Klägerin geltend,
dass sich in dem von ihr als Übezimmer genutzten Raum ausschließlich
Musikinstrumente (Flügel, Klarinetten und Bratsche) sowie Regale zur Aufbewahrung
von Noten befunden hätten. Den Flügel habe sie benötigt, um mit einer Zweitstimme die
entsprechenden Stücke zu proben (sogenannte Korepitition).
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Die Klägerin hat insoweit Fotografien eingereicht, auf dem zum einen die Platzierung
des Flügels ersichtlich ist, zum anderen ein kleinerer Tisch im Sinne eines Sekretärs.
Hierzu hat die Klägerin ausgeführt, dass sie diesen Tisch mit dem darauf liegenden
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Rohrblattbaugerät zur Erstellung der Klarinettenblätter (Abprobieren und Kopieren der
Schachtelhahn-Rohrhölzer) benötige. Insoweit sei darauf hinzuweisen, dass für das
Musizieren mit einer Klarinette jeweils erforderlich sei, Klarinettenmundstücke sowie
das Klarinettenblatt zu erstellen und zu präparieren.
Das Übezimmer habe ausschließlich zum Üben, Vorbereiten und Ausarbeiten von
Musikstücken gedient. Eine Tätigkeit, die in einem typischen Arbeitszimmer verrichtet
werde, sei in diesem Zimmer nicht möglich gewesen. Es habe sich dort kein
Schreibtisch, kein Computer, kein Telefon und dergleichen befunden. Es habe bereits
an der Funktion eines Arbeitszimmers gefehlt.
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Im Verlaufe des Klageverfahrens hat die Klägerin die Nutzung des Übezimmers wie
folgt weitergehend präzisiert: Das Übezimmer sei danach der Raum in der Wohnung,
der für die Beschäftigung mit Musik in unterschiedlicher Form zur Verfügung stehe. Hier
seien die Instrumente (Steinway-Flügel, unterschiedliche Klarinetten, eine Viola)
aufbewahrt worden. Ein kleiner Arbeitstisch habe der Bearbeitung von
Klarinettenblättern gedient. Auf dem Tisch habe die Blattschleifmaschine gestanden, die
Schubladen hätten der Aufbewahrung von Werkzeugen zur Blattbearbeitung sowie der
Blattrohlinge gedient. Mehrere Regale hätten den Bestand an unterschiedlichen Medien
geordnet, von denen alle mit Musik in unmittelbarem Zusammenhang gestanden hätten.
Hierbei habe es sich um Bücher (musikwissenschaftliche Veröffentlichungen,
Musikerbiographien, Werkanalysen und Repertoiresammlungen und dergleichen), CDs
und DVDs mit klassischer Musik, d.h. mit inhaltlicher Relevanz für die Arbeit, Partituren
(Sammelbände und Einzelbände) sowie Noten gehandelt. Eine Anlage zum Abspielen
von CDs sei vorhanden gewesen. Darüberhinaus habe ein Sofa als Sitzgelegenheit
gedient.
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Der Dachgeschossraum sei nach außen zur angrenzenden Wohnung schallisoliert und
nach innen raumakustisch durch Teppichboden und einen schweren Vorhang vor der
Tür optimiert worden, um den Schallpegel im Raum zu begrenzen ohne ihn zu sehr
abzustumpfen.
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Das Üben bzw. das Einüben von Musikstücken beinhalte eine intensive
Auseinandersetzung mit Musik und Instrument auf unterschiedlichen Ebenen. Zuerst
setze es eine intensive Beschäftigung mit dem Hintergrund eines Musikwerks voraus,
also der Biographie des Komponisten, der Entstehungsgeschichte, des
kunsthistorischen Zusammenhangs, mit dem verwandten Repertoire etc. Dafür sei das
Studium von Notenmaterial, Büchern, sowie das Hören von CDs notwendig. Aus den
gewonnen Einsichten werde eine Interpretation erarbeitet und der Interpretationsansatz
werde auf das Instrument übertragen und auf seine Praxistauglichkeit überprüft. Aus
diesem Prozess kristallisiere sich die künstlerische Interpretation heraus, die nun auf
dem Instrument einstudiert und verfestigt werde. Am Instrument sei darüberhinaus ein
regelmäßiges Auseinandersetzen mit technischen Herausforderungen nötig, es seien
immer wiederkehrende sowie im Repertoire neu auftauchende Anforderungen zu
bewältigen. Dies erfordere ein routiniert-diszipliniertes Vertiefen der Instrumentaltechnik
ebenso wie ein stetes kreatives Suchen nach neuen Ansätzen. Effizientes Üben
beinhalte eine intellektuelle Auseinandersetzung mit dem zu erarbeitenden Stoff ebenso
wie ein reflektiertes Wahrnehmen der individuellen Lernprozesse. Letzteres sei auch
besonders wichtig, um variable Hilfestellungen beim Unterrichten für unterschiedlich
gelagerte Probleme bei Studenten zu entwickeln. Das Übezimmer sei auch der Ort, das
Einstudierte im Probelauf zu testen und ggf. mit Partnern am Klavier zu proben.
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Der Zeitaufwand für die geschilderten Arbeiten sei variabel und betrage in der Regel
täglich zwischen zwei und fünf Stunden pro Person.
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Eine Klarinettistin betreibe einen erheblichen Aufwand zur Bearbeitung von
Klarinettenblättern. Die Blattrohlinge würden mit Hilfe einer speziell hierfür entwickelten
Schleifmaschine anhand eines Modellblattes abgeschliffen und extrem fein bearbeitet.
Von der Schwere des Blattes im Zusammenhang mit der Schilfrohrdichte und der
Feuchtigkeit hingen entscheidend die Klang- und Spielmöglichkeiten auf der Klarinette
ab. Die Blätter müssten bearbeitet und sofort auf dem Instrument getestet werden. Der
Zeitaufwand für ein optimal spielbares Klarinettenblatt liege bei ca. einer Stunde, ein
Blatt sei in der Regel wenige Tage spielbar. Auch diese Arbeit sei im Übezimmer erfolgt.
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Das Übezimmer sei der Raum, der für die beschriebenen Arbeiten ideal eingerichtet sei
und in dem das benötigte Material bereit liege. Durch den täglichen Zeitaufwand zweier
professioneller Musiker im selben Haushalt sei der Raum quasi ganztägig belegt, so
dass der Raum für keine außermusikalischen Aktivitäten genutzt worden sei.
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Die Klägerin betont noch einmal, dass es sich bei dem Raum, für den die
entsprechenden Kosten geltend gemacht werden, ausschließlich um ein Zimmer zum
Üben und Musizieren mit Musikinstrumenten handele und gerade nicht um ein
Arbeitszimmer im Sinne des Gesetzes. Der Raum sei gleichzustellen mit
Werkstatträumen, Lagerräumen bzw. Tonstudios.
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Die Klägerin beantragt,
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den angefochtenen Einkommensteuerbescheid 2007 vom 11.11.2009 unter
Aufhebung der Einspruchsentscheidung vom 12.11.2009 dahingehend zu ändern,
dass weitere Betriebsausgaben in Höhe von 3.068,33 € bei den Einkünften der
Klägerin aus selbständiger Arbeit Berücksichtigung finden.
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Der Beklagte beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Zur Begründung nimmt er Bezug auf seine Ausführungen in der
Einspruchsentscheidung.
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Entscheidungsgründe
24
Die Klage ist begründet.
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Der Beklagte hat es zu Unrecht abgelehnt, die von der Klägerin geltend gemachten
Kosten für den von ihr als Übezimmer genutzten Raum als Betriebsausgaben der
Klägerin bei ihren Einkünften aus selbständiger Arbeit zu berücksichtigen.
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Die Klägerin ist insoweit durch den angegriffenen Einkommensteuerbescheid in ihren
Rechten gemäß § 100 Abs. 1 Satz 1 AO verletzt.
27
I. Die von der Klägerin für das sogenannte Übezimmer getätigten Aufwendungen stellen
Betriebsausgaben im Sinne des § 4 Abs. 4 EStG dar. Danach sind Betriebsausgaben
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alle diejenigen Aufwendungen, die durch den Betrieb veranlasst sind.
1. Die Klägerin muss für ihr Auftreten als Berufsmusikerin die darzubietenden
Musikstücke einüben und insbesondere ihr Musikinstrument, die Klarinette,
ordnungsgemäß präparieren. Soweit die Klägerin dies unstreitig in dem betreffenden als
Übezimmer bezeichneten Raum tut, tätigt sie Aufwendungen, die durch ihre
Berufstätigkeit als Berufsmusikerin veranlasst sind.
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2. Der Abzugsfähigkeit der betreffenden Raumaufwendungen steht auch nicht die
Vorschrift des § 4 Abs. 5 Nr. 6 b EStG entgegen. Danach sind Aufwendungen für ein
häusliches Arbeitszimmer sowie die Kosten seiner Ausstattung nicht als
Betriebsausgaben abziehbar. Dies gilt allerdings nicht, wenn das Arbeitszimmer den
Mittelpunkt der gesamten betrieblichen und beruflichen Tätigkeit bildet. Diese den
Betriebsausgabenabzug hinsichtlich bestimmter Räume gänzlich ausschließende oder
im Wesentlichen einschränkende Regelung greift im Streitfall nicht ein, da ihre
Tatbestandsvoraussetzungen, nämlich das Vorliegen eines Arbeitszimmers, im Streitfall
schon begrifflich nicht gegeben sind.
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Der von der Klägerin als Übezimmer genutzte Raum stellt kein Arbeitszimmer im Sinne
des Gesetzes und der hierzu ergangenen ständigen Rechtsprechung des
Bundesfinanzhofs dar.
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a) Danach ist der Begriff des häuslichen Arbeitszimmers im Gesetz nicht näher
bestimmt. Der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs zufolge erfasst die Bestimmung
das häusliche Büro, d. h. einen Arbeitsraum, der seiner Lage, Funktion und Ausstattung
nach in die häusliche Sphäre des Steuerpflichtigen eingebunden ist und vorwiegend der
Erledigung gedanklicher, schriftlicher, organisatorischer oder verwaltungstechnischer
Arbeiten dient (vgl. z.B. Urteile vom 19. September 2002 VI R 70/01, BStBl II 2003, 139;
vom 20. November 2003, IV R 30/03, BStBl II 2004, 775; vom 18. August 2005, VI R
39/04, BStBl II 2006, 428; vom 22. November 2006 X R 1/05, BStBl II 2007, 304). Der
Nutzung entsprechend ist das häusliche Arbeitszimmer typischerweise mit Büromöbeln
eingerichtet, wobei der Schreibtisch regelmäßig das zentrale Möbelstück darstellt (vgl.
BFH-Urteile vom 16. Oktober 2002, XI R 89/00, BStBl II 2003, 185; vom 20. November
2003, IV R 3/02, BStBl II 2005, 203).
32
Räumlichkeiten, die ihrer Ausstattung und Funktion nach nicht einem Büro entsprechen,
sind auch dann nicht dem Typus des häuslichen Arbeitszimmers zuzurechnen, wenn sie
ihrer Lage nach mit dem Wohnraum des Steuerpflichtigen verbunden und deswegen in
dessen häusliche Sphäre eingebunden sind. Dies trifft nach der Rechtsprechung des
Bundesfinanzhofs u.a. auf als Lager-, Werkstatt-, Arztpraxis- und Ausstellungsraum
genutzte Räume zu. Im Einzelfall ist das häusliche Arbeitszimmer von anderen beruflich
oder betrieblich genutzten Räumen im häuslichen Bereich abzugrenzen.
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Ob ein Raum als häusliches Arbeitszimmer anzusehen ist, lässt sich nur aufgrund einer
Gesamtwürdigung der Umstände des Einzelfalles entscheiden. Ist eine Zuordnung zum
Typus des häuslichen Arbeitszimmers nicht möglich, so sind die durch die berufliche
Nutzung veranlassten Aufwendungen grundsätzlich unbeschränkt als
Betriebsausgaben abziehbar. Nach allgemeinen Grundsätzen ist aber zusätzlich
erforderlich, dass die betreffenden Räumlichkeiten nahezu ausschließlich beruflich
genutzt werden.
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Aus dem Wesen des "häuslichen Arbeitszimmers" folgt, dass seine Grenzen fließend
sind und dass es Übergangsformen gibt. Der jeweilige Sachverhalt muss dem Typus
eines Arbeitszimmers wertend zugeordnet werden. Entscheidend ist dabei, das sich aus
den konkreten Verhältnissen ergebende Gesamtbild. Ob ein Raum als häusliches
Arbeitszimmer anzusehen ist, lässt sich daher nur aufgrund einer Gesamtwürdigung der
Umstände des Einzelfalles entscheiden. Ist eine Zuordnung zum Typus des häuslichen
Arbeitszimmers im Sinne des § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 6 b EStG nicht möglich, so sind
weiterhin die von der Rechtsprechung zu § 12 Nr. 1 Satz 2 EStG entwickelten Kriterien
zur Abgrenzung einer nahezu ausschließlich betrieblich veranlassten Nutzung
gegenüber einer nicht unwesentlichen privaten Mitveranlassung zu berücksichtigen.
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Das häusliche Arbeitszimmer ist typischerweise mit Büromöbeln eingerichtet, wobei der
Schreibtisch regelmäßig das zentrale Möbelstück ist. Die Ausstattung mit einem
Schreibtisch ist indessen nicht zwingend erforderlich. Ebenso wenig muss der Raum für
die Verrichtung menschlicher Arbeit für eine gewisse Dauer hergerichtet sein. So kann
etwa ein beruflich genutzter Archivraum, in dem Bücher, Akten und Unterlagen
aufbewahrt, gesichtet und herausgesucht werden, der vorbereitenden und
unterstützenden Erledigung gedanklicher schriftlicher oder verwaltungstechnischer
Arbeiten dienen und dadurch Teilfunktionen erfüllen, die typischerweise einem
häuslichen Arbeitszimmer im Sinne des § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 6 b EStG zukommen.
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Andererseits sind Räumlichkeiten, die ihrer Ausstattung und Funktion nach nicht einem
Büro entsprechen, auch dann nicht dem Typus des häuslichen Arbeitszimmers
zuzuordnen, wenn sie ihrer Lage nach mit den Wohnräumen des Steuerpflichtigen
verbunden und deswegen in dessen häuslicher Sphäre eingebunden sind. Aus diesem
Grunde unterliegen etwa die Aufwendungen für ein Tonstudio im Wohnbereich des
Steuerpflichtigen nicht der Abzugsbeschränkung, sofern der Raum zwar mit einem
Schreibtisch zum Abfassen der Kompositionen möbliert, im Übrigen aber so eingerichtet
und ausgestattet ist, dass ihm die technischen Einrichtungen sowie eventuelle
Schallschutzmaßnahmen der Art und dem Umfang nach das Gepräge geben.
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Die gleichen Maßstäbe gelten nach der Rechtsprechung auch für eine ärztliche
Notfallpraxis, für einen Ausstellungsraum, für eine Werkstatt sowie für einen Lagerraum.
(so grundsätzlich der BFH im Urteil vom 22. November 2006 X R 1/05, a.a.O.).
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b) Im Streitfall ist der von der Klägerin als Übezimmer genutzte Raum nicht als
Arbeitszimmer im Sinne der von der Rechtsprechung geprägten Definition des
Arbeitszimmers anzusehen.
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Der betreffende Raum ist zwar seiner Lage, Funktion und Ausstattung nach in die
häusliche Sphäre der Klägerin eingebunden. Er wird jedoch nicht vorwiegend für die
Erledigung gedanklicher, schriftlicher, organisatorischer oder verwaltungstechnischer
Arbeiten genutzt. Vielmehr dient er ganz überwiegend dem Einstudieren von
Musikstücken mittels Musikinstrumenten. Er ähnelt daher in vielfacher Hinsicht eher
einem Tonstudio, als einem Arbeitszimmer im herkömmlichen Sinne.
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Auch wenn die Klägerin dargestellt hat, dass sie sich vor dem Einstudieren, dem Proben
und Üben von Musikstücken mit dem Komponisten, dem zeithistorischen und
musikwissenschaftlichen Hintergrund des betreffenden Stücks gedanklich, anhand von
Literatur und Musikaufnahmen beschäftigt, so tritt dieser gedankliche Arbeitsprozess
hinter den Schwerpunkt ihrer Beschäftigung mit den Musikstücken, also hinter das
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Einstudieren, Proben und Üben der Stücke bei weitem zurück.
Auch die Erstellung und Präparierung der Mundstücke für die von ihr gespielte
Klarinette stellt eine Arbeit dar, die eher zu einem Werkstattraum passt, als zu einem
Arbeitszimmer im herkömmlich klassischen Sinne.
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Darüberhinaus ist der von ihr genutzte Überaum auch nicht wie ein typisches häusliches
Arbeitszimmer eingerichtet, also insbesondere nicht mit Büromöbeln, und insbesondere
bildet auch kein Schreibtisch das zentrale Möbelstück dieses von ihr genutzten
Raumes. Der auf den von ihr überreichten Fotos ersichtliche Tisch stellt nach Ansicht
des Gerichts eine Art Sekretär dar, der nicht mit einem Schreibtisch in einem als
Büroraum genutzten Arbeitszimmer gleichzustellen ist. Die Klägerin hat insoweit auch
nachvollziehbar dargelegt, dass auf diesem Tisch die Klarinetten-Mundstücke präpariert
werden und sich in den Schubladen dieses Tisches die erforderlichen Rohlinge, also
das zu bearbeitende Material sowie die hierzu erforderlichen Werkzeuge befinden.
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Ist damit der von der Klägerin als Übezimmer genutzte Raum weder seiner Ausstattung
nach als Arbeitszimmer anzusehen und wird er auch seiner Funktion nach nicht als
Arbeitszimmer genutzt, so kann er auch nicht als Arbeitszimmer im Sinne der von der
Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs herausgearbeiteten Definition angesehen
werden.
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Die von der Klägerin im Zusammenhang mit der Erarbeitung der Musikstücke
dargestellte gedankliche Beschäftigung mit dem Musikstück als solchem, seinem
Komponisten, seiner musikwissenschaftlichen und historischen Einordnung stellt eine
gewisse Vorarbeit dar, die jedoch hinter dem eigentlichen Musizieren und dem Erstellen
der Klarinetten-Mundstücke zurücktritt. Die von der Klägerin dargestellte Nutzung und
die Funktion des betreffenden Raums als Übezimmer wird im Wesentlichen durch das
Einüben der Stücke geprägt und nicht durch eine gedankliche oder geistige Arbeit bzw.
Beschäftigung mit diesen.
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Soweit der Beklagte die Auffassung vertritt, dass auch kulturelle und musikalische
Betätigungen durchaus dem Begriff des Arbeitszimmers und seiner Nutzung bzw. seiner
Funktion gerecht werden, so kann sich der erkennende Senat dieser Rechtsmeinung
nicht anschließen. Denn die Nutzung eines Raumes zum Einüben von Musikstücken
und zur Präparierung des dabei benutzten Musikinstrumentes kann schon allein
deshalb nicht dem von der Rechtsprechung des BFH geprägten Begriff des
Arbeitszimmers gerecht werden, weil dieser Raum weder die typische Ausstattung mit
einem Schreibtisch aufweist, noch typischerweise wie ein Büroraum genutzt wird. Das
Übezimmer ähnelt damit bei wertender Betrachtungsweise eher einem Tonstudio und
nicht dem Typusbegriff des Arbeitszimmers. Dass auch das Einstudieren von
Musikstücken eine gedankliche und geistige Beschäftigung darstellt, kann daher allein
nicht ausreichend sein, um die Typusvoraussetzungen des Arbeitszimmerbegriffs zu
erfüllen.
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c) Ist der von der Klägerin als Übezimmer genutzte Raum nicht als Arbeitszimmer im
Sinne des § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 6 b EStG zu qualifizieren, kann auch nicht die dort
vorgesehene Abzugsbeschränkung hinsichtlich der Betriebsausgaben für einen solchen
Raum eingreifen.
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Deshalb kann der erkennende Senat dahingestellt sein lassen, inwieweit der von der
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Klägerin als Übezimmer genutzte Raum letztendlich den Mittelpunkt ihrer gesamten
beruflichen und betrieblichen Tätigkeit darstellt.
Da auch weder nach Aktenlage noch nach dem Sachvortrag der Beteiligten
Anhaltspunkte dafür ersichtlich sind, dass das Übezimmer in nennenswertem Umfang
zu privaten Zwecken genutzt wird, kann der Abzug der Aufwendungen für das
Übezimmer als Betriebsausgaben auch nicht unter dem rechtlichen Gesichtspunkt einer
privaten Mitveranlassung im Sinne des § 12 Nr. 1 Satz 2 EStG ausgeschlossen oder
eingeschränkt werden.
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Die von der Klägerin geltend gemachten Aufwendungen für das Übezimmer sind im
Rahmen ihrer Einkünfte aus selbständiger Tätigkeit als Betriebsausgaben zum Abzug
zuzulassen.
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II. Der Einkommensteuerbescheid für 2007 ist zu ändern. Bei den Einkünften aus
selbständiger Arbeit sind weitere Werbungskosten in Höhe von 3.068,33 € zu
berücksichtigen, sodass die Einkünfte aus selbständiger Arbeit im Streitjahr 2007
insgesamt 4.898 € betragen. Unter Berücksichtigung dieser Verminderung des
Gesamtbetrags der Einkünfte und entsprechend des zu versteuernden Einkommens hat
der Beklagte die Einkommensteuer neu zu berechnen, der Klägerin mitzuteilen und
nach Rechtskraft des vorliegenden Urteils einen entsprechend geänderten Bescheid der
Klägerin neu bekanntzugeben.
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III. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO.
52
IV. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 155 FGO i. V. m.
§§ 708 Nr. 10 und 711 Nr. 1 ZPO.
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V. Der Senat lässt die Revision gemäß § 115 Abs. 1 Nr. 1 und Nr. 2 FGO zu, da die
Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat und eine Entscheidung des BFH insoweit
der Fortbildung des Rechts dient. Soweit ersichtlich liegt zu der Frage, inwieweit ein
zum Einüben und Einstudieren von Musikstücken genutzter Raum eines Berufsmusikers
als Arbeitszimmer im Sinne des § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 6 b EStG anzusehen, bislang noch
keine höchstrichterliche Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs vor.
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Der erkennende Senat ist der Auffassung, dass diese Frage sich nicht ohne Weiteres
auf der Grundlage der bisherigen Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs zum Begriff
des Arbeitszimmers entscheiden lässt und eine abschließende Klärung durch den
Bundesfinanzhof selbst der Rechtssicherheit dienlich ist.
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