Urteil des FG Köln vom 26.06.2003

FG Köln: öffentliche bekanntmachung, zustellung, anschrift, bekanntgabe, flucht, unternehmer, formfehler, abgabenordnung, bekanntgeben, erforschung

Finanzgericht Köln, 10 K 2397/02
Datum:
26.06.2003
Gericht:
Finanzgericht Köln
Spruchkörper:
10. Senat
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
10 K 2397/02
Tenor:
Anmerkung: Die Klage wurde abgewiesen.
Tatbestand:
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Zwischen den Beteiligten ist im formellen Bereich die Zulässigkeit der Klage und im
materiellen Bereich streitig, ob der Kläger Unternehmer im Sinne des
Umsatzsteuergesetzes war.
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Der Beklagte erließ aufgrund einer Betriebsprüfung gegenüber dem Kläger erstmalige
Umsatzsteuerbescheide für 1993 bis 1995, da er davon ausging, dass der Kläger und
nicht dessen Ehefrau Unternehmer gewesen sei. In diesen Bescheiden ließ er
insbesondere die von der Ehefrau geltend gemachten Vorsteuerbeträge nicht mehr zum
Abzug zu, da die Eingangsrechnungen nicht auf den Namen des Klägers, sondern auf
den Namen seiner Ehefrau lauteten.
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Gegen die Umsatzsteuerbescheide legte die damalige Steuerberaterin des Klägers
Einsprüche ein. Die Einsprüche wurden nicht begründet. Mit Schreiben vom 4. April
2000 teilte die Beraterin mit, dass das Mandat nicht mehr bestehe und damit auch keine
Empfangsvollmacht. Nach ihren Angaben kannte sie nicht die aktuelle Wohnanschrift
des Klägers. Dieser hatte sich mittlerweile seiner Verhaftung und einem
durchzuführenden Steuerstrafverfahren durch Flucht nach Polen entzogen.
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Ermittlungen des Veranlagungsbezirks im Oktober 2000 und der Rechtsbehelfsstelle
bereits im Jahre 1999 ergaben, dass der Kläger bereits seit Mitte 1999 nicht mehr unter
seiner alten Wohnanschrift wohnhaft war. Eine Anfrage an das Einwohnermeldeamt aus
1999 ergab, dass diesem auch die Anschrift nicht bekannt war. Eine letzte telefonische
Anfrage beim Einwohnermeldeamt im November 2000 ergab ebenfalls, dass der Kläger
unbekannt verzogen und von Amts wegen abgemeldet worden sei. Die Eheleute lebten
nach dem unwidersprochenen Vortrag des Beklagten zumindest in den Jahren 1999
und 2000 getrennt.
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Der Beklagte stellte daraufhin die Einspruchsentscheidung vom 29. November 2000, mit
der er die Einsprüche gegen die Umsatzsteuerbescheide für 1993 bis 1995 als
unbegründet zurückwies, öffentlich zu. Wegen der Einzelheiten der öffentlichen
Zustellung wird auf die Verfügung vom 29. November 2000 Bezug genommen (Blatt 35
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der Gerichtsakten).
Nachdem der jetzige Prozeßbevollmächtigte des Klägers sich beim Beklagten gemeldet
hatte, wurde diesem mit Schreiben des Beklagten vom 2. April 2002 eine Kopie der
Einspruchsentscheidung übersandt. Hieraufhin erhob der Bevollmächtigte am 2. Mai
2002 Klage. Zur Begründung trägt der Kläger im wesentlichen vor:
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Die Klage sei rechtzeitig erhoben worden. Die Einspruchsentscheidung sei erst mit der
Übersendung an seinen jetzigen Bevollmächtigten wirksam bekannt gegeben worden.
Die öffentliche Zustellung sei fehlerhaft und damit nichtig gewesen. Vor Erlass der
Einspruchsentscheidung sei der jetzige Prozeßbevollmächtigte für seine Ehefrau in
deren Einspruchsverfahren wegen des Umsatzsteuerhaftungsbescheides gegenüber
dem Beklagten tätig geworden. Der Beklagte hätte sich deshalb bei diesen nach seiner
Wohnanschrift erkundigen können. Da er dies nicht getan habe, habe er nicht alle
Erkenntnismöglichkeiten ausgeschöpft.
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Außerdem sei dem Beklagten die Wohnanschrift seiner Ehefrau in Polen bekannt
gewesen. Auch diese Erkenntnismöglichkeit habe der Beklagte nicht ausgeschöpft.
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Der Beklagte hat den vorgenannten tatsächlichen Angaben nicht widersprochen.
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Der Kläger beantragt,
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die Umsatzsteuerbescheide für 1993 bis 1995 vom 27. Oktober 1999 bzw.
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2. November 1999 sowie die hierzu ergangene Einspruchsentscheidung vom 29.
November 2000 aufzuheben.
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Der Beklagte beantragt
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Klageabweisung.
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E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e :
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Die Klage ist unzulässig.
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Der Kläger hat nicht die Klagefrist eingehalten.
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Nach § 47 Abs. 1 Satz 1 der Finanzgerichtsordnung - FGO - beträgt die Frist für die
Erhebung der Anfechtungsklage einen Monat. Sie beginnt mit der Bekanntgabe der
Einspruchsentscheidung zu laufen.
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Die Einspruchsentscheidung wurde gemäß § 366 Satz 2, 122 Abs. 5 der
Abgabenordnung 1977 - AO - i.V.m. § 15 Abs. 1 Buchst. a
Verwaltungszustellungsgesetz (VwZG) öffentlich zugestellt. Die Durchführung der
öffentlichen Zustellung selber beinhaltet keine Formfehler, was zwischen den
Beteiligten unstreitig ist. Entgegen der Auffassung des Klägers durfte der Beklagte die
Einspruchsentscheidung auch im Wege der öffentlichen Zustellung bekanntgeben.
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Nach § 15 Abs. 1 VwZG wird u.a. durch öffentliche Bekanntmachung zugestellt, wenn
der Aufenthaltsort des Empfängers unbekannt ist (Buchstabe a). Diese Voraussetzung
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ist im Streitfall erfüllt. Dem Beklagten war im Zeitpunkt des Erlasses der
Einspruchsentscheidung im November 2000 der Aufenthaltsort des Klägers unbekannt.
Die öffentliche Zustellung ist als letztes Mittel der Bekanntgabe einer Entscheidung
dann zulässig, wenn alle Möglichkeiten ausgeschöpft sind, dem Empfänger ein
Schriftstück in anderer Weise zu übermitteln. Ob diese Möglichkeiten tatsächlich
ausgeschöpft sind, bedarf in jedem einzelnen Fall einer sorgfältigen und gründlichen
Prüfung unter Zuhilfenahme aller dafür in Betracht kommenden Erkenntnismittel (vgl.
zusammenfassend Bundesfinanzhof - BFH - Urteile vom 6. Juni 2000 VII R 55/99
(BFHE 192, 200, Bundessteuerblatt - BStBl - II 2000, 560) und Beschluss vom
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13. März 2003 VII B 196/02 (bisher nicht veröffentlicht).
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Der Beklagte hat alle in Betracht kommenden Erkenntnismittel ausgeschöpft. Hierzu
zählen insbesondere die verschiedentlichen Anfragen an das Einwohnermeldeamt, die
letzte kurz vor Ergehen der Einspruchsentscheidung. Weitere Erkenntnismöglichkeiten
waren nicht vorhanden.
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Nach Auffassung des erkennenden Senats stellen weder die Ehefrau des Klägers noch
der Bevollmächtigte der Ehefrau des Klägers in deren Einspruchsverfahren taugliche
Erkenntnismittel dar, bei denen der Beklagte hätte anfragen müssen, bevor er die
Einspruchsentscheidung öffentlich zustellte.
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In Bezug auf die Ehefrau des Klägers war zu berücksichtigen, dass die Ehegatten nach
dem unwidersprochenen Vortrag des Beklagten in dem streitbefangenen Zeitraum
getrennt gelebt haben. Außerdem hielt die Ehefrau sich in Polen auf. Eine Anfrage nach
Polen an einen Ehegatten nach der Wohnanschrift des von ihm getrennt lebenden
anderen Ehegatten hält der Senat für eine Überspannung der Anforderung an die
Ausschöpfung aller Erkenntnismittel.
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Gleiches gilt für eine Anfrage an den Bevollmächtigten der Ehefrau des
Steuerpflichtigen. Dem Beklagten mußte sich dieses Erkenntnismittel in Anbetracht
dessen, dass die Eheleute getrennt lebten und es sich um Umsatzsteuer handelt (bei
der es, anders als bei der Einkommensteuer, keine Zusammenveranlagung gibt), nicht
aufdrängen.
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Sowohl für die Ehefrau als auch deren Bevollmächtigten gilt dies im Streitfall umso
mehr, als sich der Kläger durch Flucht der Strafverfolgung entzogen hatte und bis heute
auf Grund eines Haftbefehls seine Anschrift nicht offenbart. Anfragen wären deshalb
erfolglos geblieben.
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO.
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Der Senat läßt gemäß § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO die Revision zu, da insbesondere die
Frage, ob der Bevollmächtigte der Ehefrau des Steuerpflichtigen für die
Finanzverwaltung ein taugliches Erkenntnismittel zur Erforschung des Aufenthaltsorts
des Steuerpflichtigen ist, von grundsätzlicher Bedeutung ist.
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