Urteil des FG Köln vom 14.08.2008

FG Köln: geschäftsführer, gesetzlicher vertreter, einstellung des konkursverfahrens, verwaltungsakt, berufliche tätigkeit, grobe fahrlässigkeit, handelsregister, rechtswidrigkeit, buchführung

Finanzgericht Köln, 13 K 2604/04
Datum:
14.08.2008
Gericht:
Finanzgericht Köln
Spruchkörper:
13. Senat
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
13 K 2604/04
Tenor:
Die Klage wird abgewiesen.
Die Kosten des Verfahrens trägt der Kläger.
Tatbestand
1
Die Beteiligten streiten über die Rechtmäßigkeit von Haftungsbescheiden.
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Der Kläger war ausweislich des Handelsregisters L. (HR B ...) der alleinige und
alleinvertretungsberechtigte Geschäftsführer der Firma G. GmbH in C., über deren
Vermögen im ... 1997 das Konkursverfahren eröffnet und die - nach Einstellung des
Konkursverfahrens wegen Masselosigkeit - im Jahr 2003 im Handelsregister gelöscht
wurde. Bereits mit Gesellschaftsvertrag vom 00.00.0000 gründete der Kläger die Firma
D. GmbH in ... (Handelsregister ... ...) - im Folgenden: GmbH -. Dort domizilierte die
GmbH zunächst in N. (c/o ..., Gewerbeanmeldung, Vorhefter Gewerbesteuerakte), später
in ..., ..... Allein vertretungsberechtigter Geschäftsführer der GmbH war ebenfalls der
Kläger (... Handelsregister, Vertragsakte).
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Bereits im ... 1997 meldete die GmbH eine Betriebstätte im Geschäftsbereich des
Beklagten in F., ..., an, die sich zuvor in T. befunden haben soll. In den Jahren 1998/99
wurden Betriebstätten in A., C. und X. sowie eine Niederlassung in U. angemeldet. Der
Fragebogen zur Gründung einer Kapitalgesellschaft bzw. deren steuerlicher Erfassung
weist den Kläger als gesetzlichen Vertreter der GmbH aus (Vorhefter
Gewerbesteuerakte). Im ... 2001 teilte die GmbH mit, dass sie von ... bis ... geruht habe
und zum ... 2001 den Betrieb endgültig eingestellt habe (Körperschaftsteuerakte 2001).
Spätestens am 00.00.2003 wurden dem Kläger die bis dahin ergangenen Steuer- und
Feststellungsbescheide für die Jahre 1997 bis 2001 für die GmbH übergeben
(Körperschaftsteuerakte 2001 a. E.).
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Auf eine Anfrage des Bundesamtes für Finanzen (jetzt Bundeszentralamt für Steuern)
teilte die ... Finanzverwaltung mit, dass der Kläger, zu diesem Zeitpunkt laut Auskunft in
Deutschland, I., ...straße ... wohnend, alleiniger Inhaber der GmbH sei. Bei einer
Betriebsprüfung durch die zuständige Veranlagungsstelle sei festgestellt worden, dass
die GmbH über kein Büro in ... verfüge und bis zum damaligen Zeitpunkt (... 2003) dort
keine Tätigkeit ausgeübt habe. Der Ort der Leitung im Sinne des ... des deutsch-...
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keine Tätigkeit ausgeübt habe. Der Ort der Leitung im Sinne des ... des deutsch-...
Doppelbesteuerungsabkommens - DBA - befinde sich daher nach Auffassung der ...
Verwaltung in Deutschland. Wegen der weiteren Einzelheiten wird insoweit auf die
Vertragsakte Bezug genommen.
Steuerliche Prüfungen bei der GmbH fanden in den Jahren 0000, 0000 und 0000 statt.
Es wurden jeweils erhebliche Mängel in der Buchführung, hinsichtlich der hier
betroffenen Steuerjahre, insbesondere die nachträgliche Erstellung der Buchführung
erst im Jahr 0000 festgestellt. Alle Prüfungsberichte weisen den Kläger als
Auskunftsperson aus. Insbesondere die letzte Außenprüfung hinsichtlich der Jahre 1999
bis 2001 führte zu erheblichen Hinzuschätzungen bei Umsatz und Gewinn. Wegen der
Einzelheiten wird auf den Prüfungsbericht vom 00.00.0000 Bezug genommen.
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Die Steuerschulden der GmbH konnten bei dieser nicht beigetrieben werden. Nachdem
ein Haftungsverfahren gegen den Kläger im Jahr 0000 zunächst nicht fortgesetzt worden
war, wurde er zunächst mit Haftungsbescheid vom 00.Juni 2003 für rückständige
Lohnsteuer und Nebenleistungen der GmbH in Anspruch genommen. Bei der
Vorbereitung der verschiedenen Haftungsbescheide ermittelte der Beklagte, neben dem
oben dargestellten Lebenssachverhalt hinsichtlich der Frage der
vertretungsberechtigten Personen bezüglich der GmbH, dass der Bruder J. des Klägers
nach den Aufzeichnungen des Gewerbeamtes der Stadt C. als Geschäftsführer
fungierte. Geschäftsführer laut Handelsregister war (nur) der Kläger. Der Bruder des
Klägers hatte bei einer polizeilichen Vernehmung wegen illegaler
Arbeitnehmerbeschäftigung erklärt, für die GmbH zu handeln. Weiter ergeben die
Aufzeichnungen, dass der Bruder des Klägers wegen Urkundenfälschung und der
Kläger wegen mehrfachen Betruges rechtskräftig verurteilt worden sind. Beide Brüder
haben im Zusammenhang mit einem Vorgängerunternehmen die eidesstattliche
Versicherung abgegeben. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Aktenvermerk
in der Haftungsakte, Band II Bezug genommen.
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Aus dem Handelsregister ergibt sich weiterhin, dass der Kläger Geschäftsführer
branchengleicher weiterer Gesellschaften mbH war, die in großem Umfang mit der
GmbH Geschäfte gemacht haben sollen (...; ...). Auf Grund der Feststellungen richtete
der Beklagte an beide Brüder unter dem 00.00.0000 jeweils eine Haftungsvoranfrage
bezüglich der zu diesem Zeitpunkt rückständigen Steuerschulden von ca. ... DM.
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Der Bruder des Klägers wandte daraufhin ein, er sei nicht Geschäftsführer. Alleiniger
Geschäftsführer sei der Kläger. Eine Mitgeschäftsführung sei zum 00.00.0000 geplant
gewesen, falls bis zu diesem Zeitpunkt alle steuerlichen Probleme gelöst gewesen
wären. Diese Voraussetzung sei aber nicht erfüllt worden. In diesem Kontext sei auch
die Aussage bzgl. der Tätigkeiten bei der Verfolgung illegaler Arbeitnehmerüberlassung
im Zusammenhang mit dem Einsatz des O. zu verstehen, den er ohne Wissen und
Zustimmung des Klägers als ... eingesetzt habe.
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Ebenfalls unter Bezugnahme auf die Haftungsvoranfrage gegen den Bruder des Klägers
führte der Kläger in einem Schreiben vom 00.00.0000 auf dem Briefpapier der GmbH
aus, dass er bei verschiedenen Gesprächen mit Mitarbeitern des Beklagten darauf
hingewiesen habe, dass die GmbH von seinem Bruder weitergeführt werde, sobald alle
steuerlichen Probleme geklärt seien. Er habe daher die Geschäfte der GmbH zunächst
ruhen lassen und dann endgültig eingestellt.
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Daraufhin erließ der Beklagte unter dem 00.April 2002 gegenüber dem Kläger einen
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Haftungsbescheid mit dem dieser für ... € (Körperschaftsteuer 1999, Umsatzsteuer 1999
bis 2000 jeweils mit Nebenleistungen) in Anspruch genommen wurde. Nach Darstellung
der Steuerrückstände begründete der Beklagte die Inanspruchnahme gemäß §§ 69, 34
der Abgabenordnung - AO - mit der Stellung des Klägers als alleiniger Geschäftsführer,
der nicht rechtzeitigen und wahrheitsgemäßen Abgabe der Steuererklärungen und der
Nichtzahlung der festgesetzten und fälligen Ansprüche. Dabei erläuterte der Beklagte
die Inanspruchnahme des Klägers für die vollen Rückstände der GmbH mit der
unterbliebenen Mitwirkung im Haftungsvorprüfungsverfahren. Weiterhin begründete der
Beklagte die Ausübung des Entschließungsermessens, aber nicht des
Auswahlermessens. Der Bescheid wurde am 00.00.0000 unter der Adresse I., ...straße
..., durch Übergabe an die Ehefrau des Klägers zugestellt. Dagegen wandte sich der
Kläger mit Einspruch vom 00.00.0000, mit dem er unter anderem behauptete, zum
Zeitpunkt der Zustellung von seiner Ehefrau getrennt gelebt zu haben. Weiterhin trug er
vor, dass es sich bei dem in C. betriebenen Unternehmen um eine selbstständige
Niederlassung gehandelt habe, für die sein Bruder zuständig gewesen sei. Der
Beklagte ging danach vom Fehlen einer wirksamen Zustellung des Bescheides vom
00.00.2002 aus und erließ unter dem 00.00.2003 erneut einen Haftungsbescheid, der in
wesentlichen Teilen dem vorangegangenen Haftungsbescheid entsprach, aber
hinsichtlich der Vertretungsbefugnis die Einwendungen des Klägers darstellte und eine
Auswertung der vorgebrachten Argumente beider Brüder und der tatsächlichen
Feststellungen enthielt. Der Beklagte ging danach weiterhin von einer
Alleingeschäftsführung des Klägers aus und kam bei der Ausübung des
Auswahlermessens zu der Feststellung, dass eine Inanspruchnahme des Bruders
mangels Erfüllung eines der Tatbestände der §§ 34, 35 AO ausscheide (Blatt 17 bis 23
d. A.).
Gegen diesen Haftungsbescheid wandte sich der Kläger mit fristgerecht erhobenem
Einspruch. Zur Begründung reichte er die Kopie einer Gewerbeanmeldung ein, die den
Bruder des Klägers als Geschäftsführer auswies. Im Anschluss befinden sich in der
Haftungsakte III eine Vielzahl von Unterlagen, die jeweils den Kläger als
Geschäftsführer der GmbH ausweisen (Handelsregister, Anmeldung der GmbH beim
Beklagten, diverse Niederlassungsanmeldungen, Steuererklärungen, Abtretung,
Gewerberegister). Unter Bezugnahme auf diese Unterlagen wies der Beklagte den
Einspruch mit Einspruchsentscheidung vom 00.00.0000 als unbegründet zurück (Blatt
24/25 d. A.).
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Dagegen wandte sich der Kläger mit der Klage. Mit ihr trug er erneut vor, dass er zwar
Geschäftsführer der GmbH sei, ausschließlich verantwortlicher Betreiber der
Betriebsstätte in C. sei aber sein Bruder gewesen. In diesem Kontext legte der Kläger
eine mit "Vereinbarung" überschriebene, nicht datierte Kopie vor, wonach der Bruder
des Klägers für die Niederlassung der GmbH in C. allein zuständig sein sollte. Die
Kopie trägt nur eine (kopierte) Unterschrift des Bruders, keine des Klägers (Blatt 114 d.
A.).
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Zum Verhandlungstermin am 00.00.0000 ist der Bruder des Klägers als Zeuge geladen
worden (Beweisthema: Wer die Geschäfte der GmbH geführt habe; Blatt 93/94 d. A.).
Nach Belehrung über sein Aussageverweigerungsrecht hat der Bruder erklärt, dass er
nicht aussagen wolle (Protokoll Blatt 150 d. A.).
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Neben dem Vortrag der Geschäftsführung durch seinen Bruder wandte der Kläger sich
gegen die Richtigkeit der Steuerfestsetzungen, die zutreffende Anwendung des
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Grundsatzes der anteilmäßigen Tilgung, die fehlende Darstellung der Kausalität der
Pflichtverletzungen und die Rechtmäßigkeit der Ermessensentscheidungen. Insoweit
wurde insbesondere die nach Auffassung des Klägers unzureichende Begründung
durch den Beklagten gerügt. Wegen der weiteren Einzelheiten wird insoweit auf die
Klagebegründung vom 00.00. und den Schriftsatz vom 00.00.0000 verwiesen.
Der Beklagte erwiderte darauf, dass die Steuerschulden die GmbH als Steuersubjekt
und nicht die einzelnen Niederlassungen beträfen, die Steuerfestsetzungen im Wege
der Schätzung nicht zu beanstanden und im Übrigen teilweise bestandskräftig und
damit nach § 166 AO für das Haftungsverfahren verbindlich seien. Der Grundsatz der
anteilmäßigen Tilgung sei unter Berücksichtigung der verweigerten Mitwirkung des
Klägers zutreffend angewendet, Pflichtverletzung und Kausalität seien dargelegt
worden. Eine mangelhafte Ausübung des Auswahlermessens liege nicht vor, da der
Kläger unstreitig alleiniger Formal-Geschäftsführer der GmbH sei. Da die einzelnen
Niederlassungen unselbstständige Teile der GmbH seien, komme es auf die Frage, ob
und in welchem Umfang der Bruder des Klägers in der Niederlassung/Betriebstätte in C.
tätig geworden sei, nicht an. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Schriftsatz
vom 00.00.0000 Bezug genommen.
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Im Rahmen des Verhandlungstermins am 00.00.0000 wurden seitens des Gerichts der
Kläger zur Vorlage diverser Unterlagen und beide Beteiligten zum Wiedereintritt in
außergerichtliche Verhandlungen aufgefordert (Blatt 160 d. A.). Während des
Klageverfahrens wurden sodann Steuererklärungen der GmbH für die Jahre 1999 und
2000 eingereicht, welche dazu führten, dass die Körperschaftsteuerverbindlichkeiten
entfielen und die Umsatzsteuerverbindlichkeiten anstiegen. Der Beklagte kündigte
daraufhin an, den ursprünglichen Haftungsbescheid hinsichtlich der Körperschaftsteuer
gemäß § 130 Abs. 1 AO zurückzunehmen und hinsichtlich der Umsatzsteuer gemäß §
130 Abs. 2 AO zum Nachteil des Klägers zu korrigieren. Dabei ging der Beklagte u. a.
davon aus, dass infolge eingetretener Insolvenzreife die GmbH Vorsteueransprüche
nicht mehr habe geltend machen können. Wegen der Einzelheiten wird auf das
Schreiben vom 00.00.0000 (Blatt 177 bis 180 der Akten) verwiesen.
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Zur Überprüfung der Richtigkeit der Angaben in den Steuererklärungen unter
Berücksichtigung zwischenzeitlich bekannt gewordener weiterer Ermittlungsverfahren
und Kontrollmaterialien gegen den Kläger wurde im ... 2005 eine Außenprüfung
angeordnet. Im Rahmen der Prüfung wurde festgestellt, dass die gesamte Buchführung
erst in der zweiten Jahreshälfte ... erstellt worden war und in der Buchführung
festgestellte Bareinnahmen und Aufzeichnungen über die Ermittlung der
Inventurbestände fehlten. Der Betriebsprüfer kam daher zu der Überzeugung, dass
erhebliche Zuschätzungen bei Umsatz und Gewinn vorzunehmen seien. Außerdem
wurde eine Rechnung mit Vorsteuerausweis bei der Umsatzsteuer nicht berücksichtigt,
weil nach Überzeugung des Prüfers erforderliche Angaben nach § 14 des
Umsatzsteuergesetzes in der Rechnung nicht enthalten seien und der
Rechnungsaussteller nicht existiere. Bei der Schlussbesprechung wurde hinsichtlich
aller Punkte Übereinstimmung erzielt. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den
Betriebsprüfungsbericht vom 00.00.0000 mit allen Anlagen Bezug genommen.
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Nachdem das Gerichtsverfahren im Hinblick auf die Außenprüfung im Einvernehmen
beider Prozessbeteiligter nicht weiterbetrieben worden war, erließ der Beklagte unter
dem 00.00.2006 einen Haftungsbescheid über 24.700 €. Der Haftungsbescheid beruht
auf rückständigen Umsatzsteuern und Nebenleistungen für die Jahre 1999 und 2000 im
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Umfang von 45.792,58 €. Dabei beschränkte sich der Beklagte auf den Teil der
nachträglich festgesetzten Steuern, der auf Steuerabschnitte entfiel, die bereits
Gegenstand des ursprünglichen Haftungsbescheides vom 00.00.2003 gewesen waren.
Der Haftungsbescheid weist insoweit in 18 Positionen exakt die gleichen Steuerbeträge
aus wie der vorangegangene Haftungsbescheid. Hinsichtlich der Umsatzsteuer 1999
ergeben sich infolge der erst im Verlauf des vorliegenden Klageverfahrens
abgegebenen Erklärung und der Ergebnisse der Außenprüfung zwei abweichende
Beträge; ebenso werden bei den Umsatzsteuervorauszahlungen Mai bis Dezember
2000 neben den fortbestehenden Beträgen aus dem ursprünglichen Haftungsbescheid
jeweils "Nachforderungsbeträge BP" ausgewiesen. Die Ausführungen zur
Vertretungsbefugnis für die GmbH wurden ausgehend von den Darstellungen in dem
ursprünglichen Haftungsbescheid wesentlich erweitert, wobei der Beklagte im Verlaufe
des Verfahrens vorgebrachte Argumente für eine Stellung des Bruders des Klägers als
faktischer Geschäftsführer der Niederlassung C. als irrelevant wertete, da die
streitbefangenen Umsatzsteuern die GmbH als Ganzes beträfen. Die Haftung wurde
weiterhin sowohl auf die nicht rechtzeitige und wahrheitsgemäße Abgabe von
Erklärungen als auch auf die Nichtzahlung fälliger Ansprüche gestützt. Trotz der im
Haftungsbescheid aus Sicht des Beklagten dargelegten andauernden
Mitwirkungsverweigerung des Klägers berechnete der Beklagte auf der Basis der in der
Betriebsprüfung eingesehenen Buchführungsunterlagen eine Haftungsquote von 71,6%,
zog von der so ermittelten Zwischensumme die tatsächlich gezahlten Beträge und die
verrechneten Vorsteuerüberhänge ab und ermittelte so einen Haftungsbetrag von
24.700 €. Die Ausführungen zum Entschließungs- und Auswahlermessen entsprechen
im Wesentlichen denen im Ausgangsbescheid und der dazu ergangenen
Einspruchsentscheidung. Wegen der Einzelheiten wird auf den Haftungsbescheid vom
00.00.2006 mit Anlage Bezug genommen (Blatt 259 bis 271 Band II d. A.).
Im Übersendungsschreiben und im Haftungsbescheid selbst weist der Beklagte darauf
hin, dass der Haftungsbescheid vom 00.00.2006 den vorangegangene
Haftungsbescheid ändere und nach § 68 der Finanzgerichtsordnung - FGO - zum
Gegenstand des anhängigen Klageverfahrens werde.
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Der Kläger vertrat demgegenüber die Auffassung, dass der neue Haftungsbescheid
nicht nach § 68 FGO zum Gegenstand des Klageverfahrens geworden sei. Dies
begründete er im Wesentlichen damit, dass der neue Haftungsbescheid auf andere
Lebenssachverhalte und Pflichtverletzungen gestützt sei und deshalb der neue
Haftungsbescheid nur im Sinne einer vollständigen Aufhebung des ursprünglichen und
des Erlasses eines neuen Haftungsbescheides verstanden werden könne. Das
ursprüngliche Klageverfahren sei daher erledigt. Weitere Einwendungen betreffen die
Kausalität der Verspätung der Steueranmeldungen für die eingetretenen Steuerschäden
und die Ausübung des Auswahlermessens. Der Beklagte habe nicht dargelegt, dass
aussichtsreiche Vollstreckungsmaßnahmen bestanden hätten. Letztlich rügt der Kläger,
dass er die Berechnung der Tilgungsquote nicht nachvollziehen könne. Wegen der
Einzelheiten wird auf den Schriftsatz vom 00.00.0000 verwiesen.
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Der Kläger erhob - von seinem Verständnis des § 68 FGO ausgehend, folgerichtig -
gegen den Haftungsbescheid vom 00.00.2006 fristgerecht Einspruch, der vom
Beklagten - im Hinblick auf dessen Auffassung ebenfalls folgerichtig - mit
Einspruchsentscheidung vom 00.00.0000 als unzulässig verworfen wurde.
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Daraufhin erklärte der Kläger mit Schriftsatz vom 00.00.0000, dass er den
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Haftungsbescheid vom 00.00.2006 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom
00.00.2006 nach § 155 FGO i. V. m. § 264 Nr. 3 der Zivilprozessordnung - ZPO - bzw.
nach § 67 FGO unter Änderung des Klagegegenstandes zum Gegenstand des
vorliegenden Klageverfahrens mache. Statt der Anfechtung des Haftungsbescheides
vom 00.00.2003 werde nunmehr die Anfechtung des Bescheides vom 00.00.2006
geltend gemacht. Diesem Austausch des Klagegegenstand habe der Beklagte
zugestimmt, er sei zudem auch sachdienlich.
Der Rechtsstreit hinsichtlich der Haftung für Körperschaftsteuer, die in dem Bescheid
vom 00.00.2006 nicht aufrechterhalten worden ist, wurde von den Beteiligten
wechselseitig für erledigt erklärt. Das dahingehende Verfahren wurde unter dem
Aktenzeichen ... abgetrennt.
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In der mündlichen Verhandlung haben die Beteiligten die Anwendbarkeit des § 68 FGO
oder die alternative Anwendung des § 155 FGO i. V. m. § 264 Nr. 3 ZPO oder § 67 FGO
ausführlich erörtert. Wegen der Einzelheiten insoweit wird auf das Protokoll der
mündlichen Verhandlung verwiesen.
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Der Kläger beantragt,
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den Haftungsbescheid vom 00.00.2006 in Gestalt der Einspruchsentscheidung
vom 00.00.2006 aufzuheben.
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Der Beklagte beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Hinsichtlich der prozessrechtlichen Fragestellung hält der Beklagte daran fest, dass der
Haftungsbescheid vom 00.00.2006 gemäß § 68 FGO zum Gegenstand des Verfahrens
geworden ist.
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Entgegen der Auffassung des Klägers stütze sich der neue Haftungsbescheid nicht auf
andere Tatbestände als der ursprüngliche Bescheid. Die Tatsache, dass sich auf Grund
der im Klageverfahren für die GmbH eingereichten Umsatzsteuererklärungen und der
Feststellungen der zwischenzeitlich durchgeführten Außenprüfung erhebliche
Steuernachforderungen und damit auch höhere Haftungsschulden ergäben, stelle
keinen neuen Haftungstatbestand dar. Neben der nicht rechtzeitigen Abgabe der
Voranmeldungen und Jahreserklärungen und der Nichtzahlung der Rückstände, trete
als Tatbestandsmerkmal allerdings die nicht wahrheitsgemäße Angabe der
Besteuerungsgrundlagen in den eingereichten Steuererklärungen hinzu.
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Selbst wenn man angesichts der höheren Haftungsbeträge, der zusätzlich vorliegenden
Tatbestandsmerkmale des § 69 AO und der ergänzenden Ausführungen zum
Auswahlermessen den Bescheid als neuen Bescheid qualifiziere, betreffe dieser
dieselbe Steuersache und werde damit gemäß § 68 FGO zum Gegenstand des
Klageverfahrens. In der mündlichen Verhandlung hat der Beklagte erklärt, einer
Klageänderung im Sinne des § 67 FGO stimme er nicht zu.
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Den Vorwurf mangelhafter Berechnung der Tilgungsquote weist der Beklagte unter
erneuter Darstellung der Berechnung der Tilgungsquote als unberechtigt zurück. Wegen
der weiteren Einzelheiten wird auf den Schriftsatz vom 00.00.0000 verwiesen.
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Das mit Beschluss vom 00.00.0000 zunächst auf den Einzelrichter übertragene
Verfahren ist mit Beschluss vom 00.00.0000 auf den Senat zurück übertragen worden
(Blatt 331/32 d. A.).
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Entscheidungsgründe
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Die Klage ist zulässig, aber unbegründet.
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Gegenstand des Verfahrens ist der Haftungsbescheid vom 00.00.2006. Der Bescheid ist
gemäß § 68 FGO zum Gegenstand des Verfahrens geworden.
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Nach § 68 FGO wird in den Fällen, in denen der angefochtene Verwaltungsakt nach
Bekanntgabe der Einspruchsentscheidung geändert oder ersetzt wird, der neue
Verwaltungsakt Gegenstand des Verfahrens. Dies gilt nach Überzeugung des
erkennenden Senats trotz der damit im Hinblick auf die Regelung in § 102 Satz 2 FGO
verbundenen Probleme auch für Ermessensverwaltungsakte. Das ergibt sich zunächst
aus dem umfassenden Wortlaut des mit Wirkung zum 1. Januar 2001 neu gefassten §
68 FGO, der keine Ausnahme für Ermessensverwaltungsakte vorsieht, und außerdem
aus dem mit der Neufassung verbundenen Zweck der Vereinfachung und Sicherstellung
der Rechtsschutzgewährung. Der Senat sieht sich insoweit in Übereinstimmung mit der
Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs - BFH - (vgl. BFH-Urteil vom 15. März 2007 VI R
29/05, BFH/NV 2007, 1076 mit weiteren Nachweisen) und der Rechtsprechung der
Finanzgerichte (vgl. z. B. Urteil des Sächsischen Finanzgerichts vom 6. August 2001 2
K 1952/01, juris; Urteil des Niedersächsischen Finanzgerichts vom 6. März 2008 11 K
300/01, juris). Dabei kann dahingestellt bleiben, welche Auswirkungen nicht
ergänzende, sondern nachgeholte Ermessenserwägungen in einem korrigierten
Haftungsbescheid auf die Anwendung des § 68 FGO (vgl. dazu Niedersächsisches
Finanzgericht a. a. O. m. w. N.) oder die Anwendung des § 102 FGO haben könnten, da
im vorliegenden Fall die im Ausgangsbescheid und in der ersten
Einspruchsentscheidung angestellten Ermessenserwägungen in dem angefochtenen
Bescheid nur ergänzt worden sind (vgl. nachfolgende Ausführungen zur Rechtmäßigkeit
des Haftungsbescheides).
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Im Streitfall liegt eine Änderung, zumindest eine Ersetzung des ursprünglichen
Haftungsbescheides in Gestalt der ersten Einspruchsentscheidung durch den
Haftungsbescheid vom 00.00.2006 vor. Der Begriff der Änderung in § 68 FGO entspricht
nicht dem Begriff der Änderung nach der Abgabenordnung, sondern umfasst auch
andere Formen der Korrektur, wie z. B. die Rücknahme und den Widerruf nach den §§
130, 131 AO (vgl. z. B. BFH-Urteil vom 24. Juli 1984 VII R 192/80, BStBl II 1984, 791,
794 m. w. N. ). Eine Änderung oder Ersetzung im Sinne des § 68 FGO liegt allerdings
nur insoweit vor, als zwischen dem ursprünglichen Verwaltungsakt und dem nach
Erlass der Einspruchsentscheidung ergangenen, geänderten oder ersetzenden,
Verwaltungsakt ein Regelungszusammenhang besteht. Die Regelungsbereiche beider
Verwaltungsakte müssen daher - zumindest teilweise - identisch sein. Deshalb sollen
bei zusammengefassten Verwaltungsakten nur die Einzelfallregelungen für die
Auswechslung in Betracht kommen, die von der Änderung oder Ersetzung betroffen sind
(vgl. Urteil des Sächsischen Finanzgerichts vom 28. November 2002 5 K 2388/01, n. v.).
Deshalb werden z. B. Haftungsbescheide, die nach den §§ 130 ff. AO korrigiert werden,
nach § 68 FGO zum Gegenstand eines anhängigen Klageverfahrens; wenn es sich aber
bei dem neuen Verwaltungsakt um einen selbstständigen, nur äußerlich mit der
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Altregelung verbundenen Verwaltungsakt handelt, der neue Verwaltungsakt also
Regelungen über andere Haftungstatbestände enthält als der ursprüngliche, sollen die
Rechtsfolgen des § 68 FGO nicht eintreten (vgl. Schallmoser in Hübschmann/ Hepp/
Spitaler, AO/FGO, § 68 FGO Rdnrn. 48 und 54 m. w. N.).
Danach liegen die Voraussetzungen des § 68 FGO hinsichtlich der 18 Positionen des
Haftungsbescheides, die hinsichtlich der rückständigen Steuern betragsidentisch aus
dem Bescheid aus 2003 übernommen worden sind und hinsichtlich derer keine
wesentlichen Änderungen in der Begründung für die Inhaftungnahme vorliegen, vor. Es
besteht ein Regelungszusammenhang zwischen dem Ursprungshaftungsbescheid und
dem Bescheid vom 00.00.2006. Es geht um die gleichen Steuern, im Wesentlichen um
die gleichen Lebenssachverhalte und Ermessenserwägungen. Aus der Form des
Bescheides vom 00.00.2006 und der Diktion sowie den erstmalig angestellten
Berechnungen zur anteiligen Tilgung ergibt sich nach Überzeugung des Senats, dass
nicht nur eine Teilrücknahme sondern ein neuer Bescheid (vgl. zur Abgrenzung BFH-
Beschlüsse vom 4. November 2003 VII B 34/03, BFH/NV 2004, 460, und vom 7. April
2005 I B 140/04, BStBl II 2006, 530) vorliegt, der nach § 68 FGO insoweit Gegenstand
des Verfahrens geworden ist.
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Die Voraussetzungen des § 68 FGO liegen aber auch hinsichtlich der weiteren Teile
des Haftungsbescheides vom 00.00.2006 vor. Die weiter gehenden 10 Positionen
betreffen ebenfalls Steuern, die bereits Gegenstand des ursprünglichen
Haftungsbescheides waren. Lediglich die Steuerbeträge haben sich auf Grund der
zwischenzeitlichen Feststellungen aus den nachträglich vorgelegten Steuererklärungen
und der durchgeführten Außenprüfung erhöht. Es kann hier offen bleiben, ob eine
derartige Nachforderung überhaupt ohne vorherige Rücknahme oder den Widerruf eines
bereits ergangenen Haftungsbescheides durch einen zweiten neben den
ursprünglichen Haftungsbescheid tretenden Haftungsbescheid möglich wäre (offen
lassend BFH-Urteil vom 25. Mai 2004 VII R 29/02, BStBl II 2005, 3 unter II.2.a und b m.
w. N.). Der Beklagte hat im Streitfall ausdrücklich eine Korrektur nach § 130 Abs. 2 AO
vorgenommen.
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Zumindest für den hier zu entscheidenden Fall der Erweiterung eines
Haftungsbescheides nur hinsichtlich höherer Steuerbeträge für Veranlagungszeiträume,
die bereits Gegenstand des ursprünglichen Haftungsbescheides waren, und bei dem
die Ermessenserwägungen in dem angefochtenen Bescheid nur ergänzt worden sind,
liegt eine Änderung oder Ersetzung im Sinne des § 68 FGO vor, da zwischen dem
ursprünglichen Haftungsbescheid vom 00.00.2003 und dem korrigierten oder
ersetzenden Haftungsbescheid vom 00.00.2006 ein Regelungszusammenhang besteht.
Der Senat befindet sich bei dieser Auslegung in Übereinstimmung mit der
Rechtsprechung des BFH, der insoweit ausgeführt hat, dass durch einen
Haftungsbescheid Verbindlichkeiten gegen den Haftungsschuldner festgesetzt werden,
die sich daraus ergeben, dass der Haftungsschuldner einen bestimmten
haftungsbegründenden Sachverhalt erfüllt hat und er deshalb für die Steuerschuld eines
bestimmten Steuerschuldners für einen bestimmten Besteuerungszeitraum in Anspruch
genommen werden kann. Diese Elemente bestimmen den Gegenstand des
Haftungsbescheides. Entscheidend für die Feststellung des erforderlichen
Regelungszusammenhanges ist danach, ob der neue Haftungsbescheid den gleichen
Gegen-stand regelt wie der bereits ergangene Haftungsbescheid oder ob die
Haftungsinanspruchnahme für verschiedene Sachverhalte oder zu verschiedenen
Zeiten entstandene Haftungstatbestände erfolgen soll (BFH a. a. O. unter II. 3 b.).
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Danach sind die Voraussetzungen des § 68 FGO im Streitfall erfüllt. Der Beklagte hat
den Kläger nur wegen Steuern für die gleichen Besteuerungszeiträume wie im
Ausgangsbescheid und im Wesentlichen auf Grund der gleichen Lebenssachverhalte in
Anspruch genommen. Die Anwendung des § 68 FGO auf derartige Fälle ist auch
geboten, da sonst Steuerpflichtige Rechtsschutznachteile erleiden könnten, da sie die
Notwendigkeit, Teile eines "korrigierten" Haftungsbescheides mit dem Einspruch
anzufechten, nicht erkennen würden. Dieses Risiko zu beseitigen war auch eines der
Ziele der Neufassung des § 68 FGO.
Der Senat kann daher offen lassen, ob in Fällen der vorliegenden Art ein neuer
Haftungsbescheid gemäß § 155 FGO i. V. m. § 264 Nr. 3 ZPO (vgl. zur generellen
Anwendbarkeit des § 264 Nr. 2 ZPO: BFH-Beschluss vom 23. Oktober 1989 GrS 2/87,
unter II. 1., BStBl II 1990, 327) nach Abschluss eines eigenständigen
Einspruchsverfahrens wirksam zum Gegenstand eines bereits anhängigen
Klageverfahrens gemacht werden könnte, insbesondere wenn - wie im Streitfall -
mangels einer Haftung für Körperschaftsteuer im Haftungsbescheid vom 00.00.2006 ein
anderer Senat für eine eigenständige Klage gegen den neuen Haftungsbescheid
zuständig wäre.
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Ebenso kann offen bleiben, ob der Bescheid vom 00.00.2006 im Wege der
Klageänderung nach § 67 FGO zum Gegenstand des Verfahrens hätte werden können,
also insbesondere, ob die Voraussetzung der Einwilligung des Beklagten - ggf. in der
Form des § 67 Abs. 2 FGO - trotz der Verwerfung des Einspruchs als unzulässig, der
konsequenten Ablehnung der Anwendbarkeit des § 67 FGO durch den Beklagten nach
dem Schriftsatz des Klägers vom 00.00.0000 und des ausdrücklichen Widerspruchs des
Beklagten in der mündlichen Verhandlung vorgelegen hätte.
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Der angefochtene Haftungsbescheid vom 00.00.2006 ist auch rechtmäßig und verletzt
den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 100 Abs. 1 Satz 1 FGO).
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Der Beklagte konnte den ursprünglichen Haftungsbescheid nach § 130 Abs. 2 AO zum
Nachteil des Klägers korrigieren, da es sich
46
1. bei dem Haftungsbescheid vom 00.00.2003 um einen rechtswidrigen, auch
begünstigenden Verwaltungsakt gehandelt hat, den
2. der Kläger durch Angaben erwirkt hat, die in wesentlicher Hinsicht unrichtig oder
unvollständig waren bzw. dessen Rechtswidrigkeit dem Kläger bekannt oder
infolge grober Fahrlässigkeit nicht bekannt war.
3. Die Rücknahmefrist des § 130 Abs. 3 AO ist eingehalten.
4. Die Inhaftungnahme Klägers nach §§ 69, 34 AO ist dem Grunde und der Höhe
nach rechtmäßig.
5. Ein im Rahmen des § 102 Satz 1 FGO vom erkennenden Senat zu überprüfender
Ermessensfehler liegt weder hinsichtlich der Inhaftungnahme noch hinsichtlich der
Korrektur gemäß § 130 AO vor.
47
48
Zu 1.: Der ursprüngliche Haftungsbescheid vom 00.00.2003 war ein Verwaltungsakt mit
Doppelwirkung (vgl. umfassend zur Begrifflichkeit: Wernsmann in Hübschmann/ Hepp/
Spitaler, AO/FGO, vor §§ 130-133 AO, Rdnrn. 78 ff. m. w. N.). Die Festsetzung einer
Haftungsschuld in Höhe von 12.793,01 € stellte zwar zunächst eine belastende
Regelung dar. Soweit keine höhere Haftungsschuld festgesetzt worden ist, war der
Haftungsbescheid aber auch ein begünstigender Verwaltungsakt im Sinne des § 130
Abs. 2 AO. Der Erlass eines neuen Haftungsbescheides mit höherem Haftungsbetrag
setzt daher - nach inzidenter Aufhebung des ursprünglichen Haftungsbescheides
gemäß §§ 130, 131 AO - die Erfüllung der Voraussetzungen des § 130 Abs. 2 AO
voraus. Insoweit besteht Einvernehmen zwischen den Beteiligten und dem
erkennenden Senat. Die Rechtsauffassung entspricht auch der Rechtsprechung des
BFH (vgl. z. B. BFH-Urteil vom 25. Mai 2004 VII R 29/02, BStBl II 2005, 3 m. w. N.). Auf
weitere Ausführungen wird daher verzichtet.
49
Zu 2.: Der Beklagte hat zu Recht den ursprünglichen Haftungsbescheid vom 00.00.2003
gemäß § 130 Abs. 2 Nrn. 3, 4 AO dergestalt zum Nachteil des Klägers korrigiert, dass er
ihn durch den Haftungsbescheid vom 00.00.2006 aufgehoben und ersetzt hat. Ein
dahingehendes Verständnis des Bescheides vom 00.00.2006 ergibt sich nicht nur aus
dem ausdrücklichen Text des Übersendungsschreibens vom 00.00.0000 und dem
Einleitungstext des Haftungsbescheides vom 00.00.2006, sondern steht auch in
Übereinstimmung mit den Ankündigungen des Beklagten seit dem Schreiben vom
00.00.0000 (Blatt 177 d. A.). Auch der Kläger hat dies, wie sich aus dem Schriftsatz vom
00.00.0000 (dort unter I. 3.- 9.; Blatt 273 ff. d. A.) ergibt, in gleicher Weise aufgefasst.
50
Nach § 130 Abs. 2 Nrn. 3, 4 AO kann ein Verwaltungsakt, der ein Recht oder einen
rechtlich erheblichen Vorteil begründet oder bestätigt hat, nur dann zurückgenommen
werden, wenn ihn der Begünstigte durch Angaben erwirkt hat, die in wesentlicher
Beziehung unrichtig oder unvollständig waren oder seine Rechtswidrigkeit dem
Begünstigten bekannt oder infolge grober Fahrlässigkeit nicht bekannt war.
51
Diese Voraussetzungen sind im Streitfall erfüllt. Der Beklagte hat nach Einreichung der
Steuererklärungen der GmbH und später der Durchführung der Außenprüfung stets
erklärt, dass er im Hinblick auf die - gegenüber den zuvor auf der Basis geschätzter
Besteuerungsgrundlagen ermittelten - wesentlich höheren Steuerverbindlichkeiten der
GmbH den Haftungsbescheid gemäß § 130 Abs. 2 AO korrigieren wolle. Dieser
Lebenssachverhalt erfüllt, soweit zuvor fehlerhafte Steuererklärungen mit zu geringen
Besteuerungsgrundlagen abgegeben wurden, die Voraussetzungen des § 130 Abs. 2
Nr. 3 AO. Soweit zuvor keine Steuererklärungen abgegeben worden waren, erfüllt der
Lebenssachverhalt die Voraussetzungen des § 130 Abs. 2 Nr. 4 AO, da der Kläger als
alleinvertretungsberechtigter Geschäftsführer der GmbH wusste oder zumindest grob
fahrlässig nicht wusste, dass im Zeitpunkt des Ergehens des Haftungsbescheides im
Jahr 2003 noch keine Buchführung für die hier interessierenden Steuerjahre 1999 und
2000 erstellt und entgegen der gesetzlichen Verpflichtung Steuererklärungen nicht
abgegeben worden waren. Ihm war damit die Fehlerhaftigkeit der Schätzungsbescheide
des Beklagten gegenüber der GmbH und damit die Rechtswidrigkeit des auf den zu
geringen Steuerfestsetzungen basierenden Haftungsbescheides vom 00.00.2003
bekannt, zumindest aber nur infolge grober Fahrlässigkeit unbekannt. Hierfür genügt es
zwar nicht, dass der Begünstigte die Umstände kennt, die die Rechtswidrigkeit zur
Folge haben. Er muss das zumindest laienhafte Bewusstsein der Rechtswidrigkeit des
Verwaltungsaktes selbst haben (vgl. BFH-Urteil vom 16. Juni 1994 - IV R 48/93, BStBl II
1996, 82 m. w. N.). Daran bestehen im Streitfall im Hinblick auf die massiven
52
Pflichtenverstöße und die langjährige Tätigkeit des Klägers als Geschäftsführer diverser
Gesellschaften für den Senat keine Zweifel.
Soweit der Haftungsbescheid vom 00.00.2006 damit auf § 130 Abs. 2 Nr. 4 AO statt des
angegebenen § 130 Abs. 2 Nr. 3 AO gestützt ist, liegt kein unzulässiger Austausch von
Rücknahmegründen mit Auswirkungen auf die rechtmäßige Ermessensausübung vor
(vgl. dazu Wernsmann a. a. O., Rdnr. 45), da der Beklagte sich zutreffend auf einen die
Korrektur rechtfertigenden Lebenssachverhalt gestützt und diesen lediglich - teilweise -
unter eine andere Nr. der einschlägigen Vorschrift subsumiert hat.
53
Es kann offen bleiben, ob der Haftungsbescheid vom 00.00.2003 teilweise - soweit nur
eine Herabsetzung der Haftungsbeträge infolge der Anwendung der Zahlungsquote auf
die unveränderten Steuerbeträge erfolgt ist - nach § 130 Abs. 1 AO ausschließlich zu
Gunsten des Klägers korrigiert worden ist. Das Anforderungsprofil dieser
Korrekturvorschrift ist geringer. Soweit die Voraussetzungen des § 130 Abs. 2 AO erfüllt
sind, gilt dies erst recht für die Voraussetzungen des § 130 Abs. 1 AO.
54
Zu 3.: Der Bescheid vom 00.00.2006 ist auch innerhalb der Jahresfrist des § 130 Abs. 3
AO ergangen.
55
Nach § 130 Abs. 3 AO ist die Rücknahme eines rechtswidrigen begünstigenden
Verwaltungsaktes nur innerhalb eines Jahres seit dem Zeitpunkt der Kenntnisnahme der
Finanzbehörde von den Tatsachen, welche die Rücknahme rechtfertigen, zulässig. Die
Frist beginnt zu laufen, wenn die Finanzbehörde die Rechtswidrigkeit des
Verwaltungsakts erkannt hat und ihr die für die Rücknahmeentscheidung erheblichen
Tatsachen vollständig bekannt sind (Förster in Koch/Scholtz, AO, § 130 Rdnr. 30;
Wernsmann a. a. O., Rdnr. 62/63).
56
Im Streitfall sind die maßgeblichen Tatsachen, nämlich die wesentlich höheren
Steuerverbindlichkeiten der GmbH, in mehreren Schritten bekannt geworden. Teilweise
hat der Beklagte durch die von der GmbH in der zweiten Jahreshälfte ... abgegebenen
Steuererklärungen von den höheren Steuern Kenntnis erhalten. Wenige Monate später,
um die Jahreswende 0000/0000, wurde dem Beklagten durch Kontrollmaterial bekannt,
dass die Richtigkeit der erklärten Besteuerungsgrundlagen erheblichen Zweifeln
unterlag. Erst durch die Außenprüfung, die Ende 0000 abgeschlossen wurde, wurde der
gesamte Sachverhalt einschließlich der nachträglichen Erstellung der Buchführung und
der weiteren verbleibenden, die Zuschätzungen rechtfertigenden, Ungewissheiten
bekannt. Erst zu diesem Zeitpunkt kannte der Beklagte (weitgehend) den maßgeblichen
Lebenssachverhalt, der ihn in die Lage versetzte, den jetzt angefochtenen
Haftungsbescheides vom 00.00.2006 zu erlassen. Erst ab diesem Zeitpunkt konnte die
Jahresfrist des § 130 Abs. 3 AO laufen. Die Jahresfrist ist damit eingehalten, da
zwischen der Ermittlung des gesamten Lebenssachverhaltes und dem Ergehen des
korrigierten Bescheides nur ein Zeitraum von ca. acht Monaten lag.
57
Zu 4.: Die Inhaftungnahme Klägers nach §§ 69, 34 AO ist dem Grunde und der Höhe
nach rechtmäßig.
58
Der Kläger hat den Haftungstatbestand § 69 AO, wonach die in den §§ 34 und 35 AO
bezeichneten Personen haften, soweit Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis
infolge vorsätzlicher oder grobfahrlässiger Verletzung der ihnen auferlegten Pflichten
nicht oder nicht rechtzeitig festgesetzt oder erfüllt werden, erfüllt.
59
Der Kläger war im hier maßgeblichen Zeitraum der alleinige Gesellschafter und der
einzige nach den Regeln des Handelsrechts berufene Geschäftsführer der GmbH. Das
ergibt sich aus den vorliegenden Auszügen aus dem ... Handelsregister, ist aber auch
unstreitig. Ungeachtet der zwischen den Beteiligten streitigen Frage, ob daneben auch
noch ein faktischer Geschäftsführer im Sinne des § 35 AO für die GmbH tätig war, erfüllt
der Kläger damit als gesetzlicher Vertreter der GmbH den Tatbestand des § 34 Abs. 1
AO. Als solcher war er gemäß § 34 Abs. 1 AO verpflichtet, die steuerlichen Pflichten der
GmbH zu erfüllen und dabei insbesondere dafür zu sorgen, dass die Steuern aus den
Mitteln entrichtet werden, die er für die GmbH verwaltete.
60
Entgegen der Auffassung des Klägers war aber auch kein weiterer potenzieller
Haftungsschuldner vorhanden. Insbesondere hat der Beklagte zutreffend festgestellt,
dass der Bruder des Klägers nicht faktischer Geschäftsführer und damit
Verfügungsberechtigter im Sinne des § 35 AO (vgl. zu den Voraussetzungen BFH-Urteil
vom 24. April 1991 I R 56/89, BFH/NV 1992, 76 m. w. N.) gewesen ist.
61
Da im vorliegenden Verfahren nur die Haftung für Umsatzsteuer und Nebenleistungen
streitig ist, können nur die Pflichten des Unternehmers (vgl. § 18 des
Umsatzsteuergesetzes - UStG -) Relevanz für das Haftungsverfahren entfalten.
Unternehmer war im Streitfall die GmbH. Nach § 2 Abs. 1 Satz 2 UStG umfasst das
Unternehmen die gesamte gewerbliche oder berufliche Tätigkeit der GmbH.
62
Als Verfügungsberechtigter im Sinne des § 35 AO könnte daher nur eine Person in
Betracht kommen, die rechtlich und wirtschaftlich über Mittel, die einem anderen - hier
der GmbH - zuzurechnen sind, verfügen konnte (vgl. BFH-Urteil vom 21. Februar 1989
VII R 165/85, BStBl II 1989, 491) und in dieser Eigenschaft im eigenen oder fremden
Namen nach außen hin aufgetreten ist (vgl. BFH-Urteil vom 27. November 1990 VII R
20/89, BStBl II 1991, 284 m. w. N.).
63
Insoweit fehlt es bereits an einem schlüssigen Vortrag für eine Stellung des Bruders des
Klägers als Verfügungsberechtigter. Der Beklagte hat insoweit überzeugend ausgeführt,
dass das gelegentliche Auftreten des Bruders des Klägers für eine Zweigniederlassung
der GmbH in C. keinesfalls die Stellung eines Verfügungsberechtigten für die GmbH als
Unternehmerin und Steuerpflichtige begründen konnte. Zur Vermeidung unnötiger
Wiederholungen verweist der Senat insoweit gemäß § 105 Abs. 5 FGO auf die
ausführliche und zutreffende Begründung des Beklagten im Haftungsbescheid unter
Textziffer 2.1.
64
Die der Haftung zu Grunde liegenden Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis, also
die im Haftungsbescheid im Einzelnen aufgeführten Steuern und steuerlichen
Nebenleistungen, beruhen auf den Steuererklärungen der GmbH und den
Feststellungen der Außenprüfung. Bei der Schlussbesprechung der Außenprüfung
wurde Einigung in allen Punkten erzielt. Einwendungen gegen die Richtigkeit der
Steuerfestsetzungen wurden auch im Rahmen des Rechtsschutzverfahrens gegen den
Haftungsbescheid nicht erhoben.
65
Der Kläger hat auch die ihm als gesetzlichem Vertreter obliegenden Pflichten verletzt.
Der Beklagte hat bereits im ursprünglichen Haftungsbescheid vom 00.00.2003 die
Inanspruchnahme des Klägers auf die Nichtabgabe bzw. die nicht rechtzeitige Abgabe
von Steuererklärungen, wahrheitswidrige Angaben in Umsatzsteuervoranmeldungen
66
und die Nichtzahlung fälliger Ansprüche gestützt. Dem entspricht die zutreffende und
nicht zu beanstandende Begründung des hier angefochtenen Haftungsbescheides vom
00.00.2006.
Der gesetzlicher Vertreter einer GmbH hat nach § 18 UStG die
Umsatzsteuervoranmeldungen bis zum 10. Tag nach Ablauf jedes
Voranmeldungszeitraums (Verlängerung um einen Monat gemäß § 46 UStDV)
abzugeben. Jahressteuererklärungen sind gemäß § 18 Abs. 4 UStG i. V. m. § 149 Abs.
2 AO bis zum Ablauf des 31. Mai des Folgejahres abzugeben. Gegen diese
Verpflichtungen hat der Kläger, wie der Beklagte zutreffend im Haftungsbescheid unter
C. 1. und 2.2.1 im Einzelnen dargelegt hat, massiv verstoßen.
67
Der Kläger hat weiterhin gegen seine Pflicht zur vollständigen und wahrheitsgemäßen
Deklaration (vgl. § 90 Abs. 1 AO) verstoßen. Auch dies hat der Beklagte sowohl im
ursprünglichen Haftungsbescheid unter Textziffer 4.2 als auch im hier angefochtenen
Haftungsbescheid unter Textziffer 2.2.2 im Einzelnen dargelegt. Die Tatsache, dass die
zwischenzeitliche Außenprüfung zu der Feststellung geführt hat, dass die Erklärungen
in wesentlich weiterem Maße unvollständig und nicht wahrheitsgemäß waren, ändert
nichts an der weitgehenden Übereinstimmung der Begründung in beiden
Haftungsbescheiden.
68
Letztlich hat der Beklagte zutreffend in beiden Haftungsbescheiden übereinstimmend
darauf abgestellt, dass der Kläger die fälligen Ansprüche nicht getilgt hat.
69
Hinsichtlich der beiden ersten Pflichtenverstöße hat der Beklagte darauf abgestellt, dass
die Nichtabgabe und die nicht rechtzeitige Abgabe der Steuererklärungen und die nicht
wahrheitsgemäße Angabe der Besteuerungsgrundlagen in den Steueranmeldungen
und -erklärungen im Zweifel vorsätzlich, zumindest aber grob fahrlässig erfolgte. Dies ist
nicht zu beanstanden. Der Kläger als langjähriger Geschäftsführer diverser
Gesellschaften hat nach Überzeugung des erkennenden Senats gewusst, zu welchen
Zeitpunkten Steuererklärungen abzugeben sind. Anhaltspunkte dafür, dass er die
Voraussetzungen für den Vorsteuerabzug oder die Verpflichtung zur Erfassung aller
Umsätze bei der Umsatzsteuererklärung verkannt hätte, bestehen nicht. Zumindest
grobe Fahrlässigkeit im Sinne einer in ungewöhnlichem Maße und nicht entschuldbaren
Verletzung der dem Kläger nach seinen persönlichen Verhältnissen zumutbaren
Sorgfalt hat der Beklagte daher zutreffend angenommen.
70
Entgegen der Auffassung des Klägers hat der Beklagte auch die Kausalität der
Pflichtverletzungen für den eingetretenen Steuerschaden dargelegt. Hinsichtlich der
Pflichtenverstöße bezüglich der wahrheitsgemäßen und zeitgerechten Deklaration hat
der Beklagte zutreffend darauf hingewiesen, dass die Pflichtenverstöße des Klägers zu
einer nicht rechtzeitigen Festsetzung der jeweiligen Steuerverbindlichkeiten und damit
zu einem Hinausschieben der Fälligkeit auf einen Zeitpunkt geführt haben, zu dem die
GmbH nicht mehr zahlungsfähig war. Er hat folgerichtig im Anschluss geprüft, in
welchem Umfang diese Steuerverbindlichkeiten unter Berücksichtigung des
Grundsatzes der anteiligen Tilgung bei fristgerechter und wahrheitsgemäßer
Deklaration und entsprechender zeitgerechter Festsetzung vom Kläger hätten getilgt
werden können und müssen. Der Beklagte hat insoweit in Übereinstimmung mit der
ständigen Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (vgl. grundlegend BFH-Urteil vom 5.
März 1991 VII R 93/88, BStBl II 1991, 678 m. w. N.; BFH-Urteil vom 30. August 2005 VII
R 61/04, BFH/NV 2006, 232) unter Berücksichtigung des Schadensersatzcharakters der
71
steuerlichen Haftung nach § 69 AO die Begrenzung der Haftung auf den durch die
schuldhafte Pflichtverletzung adäquat kausal verursachten Schaden vorgenommen (vgl.
auch die nachfolgenden Ausführungen zur anteiligen Tilgung). Soweit der Kläger rügt,
dass eine Ursächlichkeit der verspäteten Abgabe der Erklärungen für den später
eingetretenen Fiskalschaden nicht dargelegt worden sei, ignoriert er die kumulative
Begründung des Haftungsbescheides.
Hinsichtlich der Nichttilgung fälliger Forderungen (bzw. der aufgrund der oben
dargestellten weiteren Pflichtverletzungen verspätet festgesetzt und fällig gewordenen
Forderungen) ist der Beklagte zutreffend von einer zumindest grob fahrlässigen
Pflichtverletzung ausgegangen.
72
Gerät eine GmbH in Zahlungsschwierigkeiten, so gehört es zu den Pflichten der zur
gesetzlichen Vertretung berufenen Geschäftsführer, die Steuerschulden der GmbH in
gleicher Weise zu tilgen wie die übrigen Schulden der Gesellschaft. Der Fiskus darf
gegenüber anderen Gläubigern nicht benachteiligt werden. Ein Geschäftsführer, der
dies gleichwohl tut, handelt in der Regel zumindest grob fahrlässig (vgl. BFH-Urteil vom
28. Juni 2005 I R 2/04, BFH/NV 2005, 2149 m. w. N.). Besondere Umstände, die die
Annahme einer leichteren Form des Verschuldens rechtfertigen könnten, sind im
Streitfall nicht ersichtlich.
73
Der Beklagte hat bei der Anwendung des Grundsatzes der anteiligen Tilgung unter
zutreffendem Rückgriff auf die verschiedenen, teilweise kumulativ verwirklichten,
Haftungstatbestände abgestellt und den Haftungszeitraum mit dem gesetzlichen
Fälligkeitstermin des ältesten Anspruchs, der Umsatzsteuervoranmeldung für Januar
1999, beginnen und mit der Einstellung des Unternehmens am 00.00.0000 enden
lassen.
74
Fehler des Beklagten bei der Berechnung der haftungsrelevanten Umsatzsteuern, der
sonstigen Verbindlichkeiten des Haftungszeitraums und der verfügbaren Mittel können
nicht festgestellt werden. Der Beklagte hat die Berechnung der Haftungssumme in der
Anlage zum Haftungsbescheid nachvollziehbar dargestellt und unter Berücksichtigung
der Nachfragen des Klägers im Schriftsatz vom 00.00.0000 in dem Schriftsatz vom
00.00.0000 durch eine ins Einzelne gehende Darstellung der in die Berechnung
einbezogenen Steuern und sonstigen Verbindlichkeiten detailliert erläutert.
Einwendungen gegen die Richtigkeit dieser Berechnung sind danach vom Kläger nicht
(mehr) erhoben worden. Eine Überprüfung durch den Senat hat nicht zur Feststellung
von Fehlern geführt.
75
Durch die Anwendung des Grundsatzes der anteiligen Tilgung hat der Beklagte folglich
den Haftungsbetrag auch auf den durch die Pflichtverletzungen des Klägers adäquat
kausal herbeigeführten Steuerschaden begrenzt.
76
Zusammenfassend kann festgestellt werden, dass der Beklagte die Voraussetzungen
für die Inanspruchnahme des Klägers als Haftungsschuldner hinsichtlich des durch den
erkennenden Senat voll überprüfbaren Haftungstatbestandes (vgl. zur unterschiedlichen
Überprüfung des Haftungstatbestandes und der Ermessensentscheidung z. B. BFH-
Urteil vom 13. Juni 1997 VII R 96/96, BFH/NV 1998, 4) zutreffend ermittelt, ausführlich
und gut nachvollziehbar dargestellt und trotz der mangelhaften Mitwirkung des Klägers
den Grundsatz der anteiligen Tilgung auf der Basis des insoweit nur im Interesse des
Klägers durch den Beklagten aufgeklärten Lebenssachverhaltes zur Anwendung
77
gebracht hat.
Zu 5.: Letztlich können auch keine Ermessensfehler des Beklagten hinsichtlich des
Erlasses des Haftungsbescheides bzw. der Korrektur gem. § 130 Abs. 2 AO festgestellt
werden.
78
An die Feststellung, dass die tatbestandlichen Voraussetzungen der Haftungsvorschrift
erfüllt sind, schließt sich die nach § 191 Abs. 1 AO zu treffende Ermessensentscheidung
des Finanzamtes an, ob und wen es als Haftenden in Anspruch nehmen will. Die
Ausübung des Ermessens durch die Finanzbehörde kann dabei nur innerhalb der
Grenzen des § 102 FGO überprüft werden. Der erkennende Senat kann daher lediglich
prüfen, ob bei dem Erlass des Haftungsbescheides ein Ermessensfehler bei der
Ausübung des dem Beklagten eingeräumten Ermessens unterlaufen ist. Dies ist im Fall
der Überschreitung des der Verwaltungsbehörde eingeräumten Ermessens, in Fällen
des Ermessensnichtgebrauchs oder des Ermessensfehlgebrauchs, insbesondere wenn
der gesetzliche Zweck der Ermessensvorschrift nicht beachtet wird, oder im Fall einer
Ermessensreduzierung auf Null möglich (vgl. BFH, Urteil vom 11. Juli 1996, V R 18/95,
BStBl II 1997, 259).
79
Ein derartiger Ermessensfehler kann hier nicht festgestellt werden. Der Beklagte hat
zunächst das Entschließungsermessen in nicht zu beanstandender Weise ausgeübt.
Nach der vom erkennenden Senat geteilten Rechtsprechung des BFH braucht das
Finanzamt im Regelfall, wenn außergewöhnliche Umstände nicht vorgetragen und nicht
ersichtlich sind, seine Entscheidung, den Haftenden in Anspruch zu nehmen jedenfalls
dann nicht besonders zu begründen, wenn eine anderweitige Realisierung des
Steueranspruchs nicht möglich ist (vgl. BFH/NV 1998, 4).
80
Davon ausgehend genügt die vom Beklagten im Haftungsbescheid vorgenommene
Begründung den gesetzlichen Anforderungen. Der Beklagte hat darauf hingewiesen,
dass weder die Aufforderung an die Steuerschuldnerin zur Zahlung noch die Versuche
in das Vermögen der GmbH zu vollstrecken, Erfolg gehabt hätten. Andere Möglichkeiten
die Steuern bei der GmbH zu realisieren, seien nicht ersichtlich. Daher sei die
Inanspruchnahme des Klägers als Haftungsschuldner ermessensgerecht.
81
Es liegt auch kein Mangel bei der Ausübung des Auswahlermessens vor. Der Beklagte
hat unter umfassender Auswertung der verschiedenen vorgetragenen und ermittelten
Indizien dargelegt, warum der Bruder des Klägers als Haftungsschuldner nicht in
Betracht kommt. Wie bereits oben angesprochen, teilt der erkennende Senat die
Auffassung des Beklagten. Mangels weiterer potenzieller Haftungsschuldner konnte und
musste der Beklagte insoweit kein Ermessen ausüben. Unabhängig davon hat der
Beklagte unter Textziffern 2.2.1 und 3.2 in nicht zu beanstandender Weise dargelegt,
dass er es auf jeden Fall für ermessensgerecht halte, den Kläger als im Handels- und
Gesellschaftsregister eingetragenen alleinvertretungsberechtigten Geschäftsführer in
Anspruch zu nehmen.
82
Auch insoweit enthält der Haftungsbescheid vom 00.00.2006 keine wesentlich anderen
Ausführungen als der ursprünglich angefochtene Haftungsbescheid vom 00.00.2003.
Die Ausführungen zum Entschließungsermessen entsprechen sich. Die Ausführungen
zum Auswahlermessen entsprechen sich ebenfalls dem Grunde nach. In beiden
Haftungsbescheiden ist der Beklagte unter Auswertung der zum jeweiligen Zeitpunkt
bekannten Indizien davon ausgegangen, dass der Bruder des Klägers kein faktischer
83
Geschäftsführer der GmbH gewesen sei und deshalb eine Inanspruchnahme nicht in
Betracht komme. Dies ist - wie der Senat oben dargelegt hat - rechtlich zutreffend.
Weiter gehende Ausführungen zum Auswahlermessen waren daher entbehrlich.
Der Beklagte hat auch sein Ermessen hinsichtlich der Korrektur des ursprünglichen
Haftungsbescheides vom 00.00.2003 durch Erlass des Haftungsbescheides vom
00.00.2006 rechtmäßig ausgeübt.
84
Wie bereits dargestellt, handelt eine Finanzbehörde grundsätzlich ermessensgerecht,
wenn sie, soweit außergewöhnliche Umstände nicht vorgetragen und nicht ersichtlich
sind, den potenziell Haftenden in Anspruch nimmt. Das Entschließungsermessen ist
dann nicht besonders zu begründen, wenn eine anderweitige Realisierung des
Steueranspruchs nicht möglich ist. Nichts anderes gilt, wenn sich nach der
rechtmäßigen Inanspruchnahme des Haftungsschuldners herausstellt, das wesentlich
höhere Steuerschulden als vom Haftungsschuldner deklariert, bestehen. In einem
derartigen Fall bedarf auch die weitergehende Inanspruchnahme keiner intensiveren
Darstellung des Ermessens zur entsprechenden Anpassung des Haftungsbescheides.
Denn die Ermessensausübung muss sich am Sinn und Zweck des § 130 AO
orientieren, der eine Abwägung zwischen dem Grundsatz der Gesetzmäßigkeit der
Verwaltung und dem des Vertrauensschutzes trifft. Ist der Fehler vom Steuerpflichtigen -
hier vom Haftungsschuldner - schuldhaft herbeigeführt worden, reduziert sich der
Ermessensspielraum daher i. d. R. auf die Rücknahme, wenn nicht besondere
Umstände, wie z. B. ein nennenswertes Mitverschulden der Behörde, vorliegen
(Ermessensreduzierung auf Null; vgl. z. B. BFH-Urteil vom 18. April 1991 IV R 197/89,
BStBl II 1991, 675; BFH-Urteil vom 2. August 2006 XI R 57/04, BFH/NV 2007, 858). Im
Übrigen bedarf es keiner ausdrücklichen Begründung des Haftungsbescheides, soweit
die Ermessenserwägungen dem Betroffenen bereits bekannt sind (§ 121 Abs. 2 Nr. 2
AO).
85
Danach genügen die Ausführungen des Beklagten den Anforderungen an die
nachvollziehbare Ausübung des Ermessens im Rahmen des § 130 Abs. 2 AO. Der
Beklagte hat nach Einreichung der Steuererklärungen durch die GmbH im Verlaufe des
Klageverfahrens sofort erklärt, dass er die sich daraus ergebenden Veränderungen bei
den festgesetzten Steuern durch entsprechend geänderte Haftungsbescheide auch im
Rahmen der Inanspruchnahme des Klägers übernehmen wolle. Schon im Schriftsatz
vom 00.00.0000 hat der Beklagte insoweit erklärt, dass er zu Gunsten des Klägers die
geringeren Steuerbeträge bei der Körperschaftsteuer durch Aufhebung des
dahingehenden Haftungsbescheides und die höheren Steuerbeträge bei der
Umsatzsteuer durch entsprechende Erhöhung des Haftungsbescheides gemäß § 130
Abs. 2 AO umsetzen wolle. Damit war dem Kläger der Wille des Beklagten zur
entsprechenden Anpassung des Haftungsbescheides auf die Beträge, die bei
ursprünglicher korrekter Erfüllung der Steuererklärungs- und Zahlungspflichten bereits
Gegenstand des erstmaligen Haftungsbescheides geworden wären, bekannt.
86
Im Übrigen ist unter Berücksichtigung der hier einschlägigen Korrekturtatbestände
gemäß § 130 Abs. 2 Nr. 3 und 4 AO von einer Ermessensreduktion auf Null
auszugehen, da der Steuerpflichtige, der den ursprünglichen Verwaltungsakt durch in
wesentlicher Beziehung unrichtige oder unvollständige Angaben erwirkt hat bzw.
derjenige, dem die Rechtswidrigkeit des Ursprungsbescheides infolge grober
Fahrlässigkeit nicht bekannt war, grundsätzlich nach Maßgabe der gesetzlichen
Möglichkeiten in Haftung zu nehmen ist. Ein Verzicht auf die Korrektur eines den
87
gesetzlichen Haftungstatbestand nur teilweise realisierenden Verwaltungsaktes wegen
der Berücksichtigung des Vertrauensschutzes erscheint insoweit nur unter besonderen
Konstellationen, die im Streitfall nicht ersichtlich sind, denkbar.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO.
88
Die Revision war im Streitfall nicht zuzulassen, weil die Entscheidung zum materiellen
Haftungsrecht auf der Anwendung gesicherter Rechtsprechungsgrundsätze des BFH
auf einen Einzelfall beruht. Die verfahrensrechtlichen Fragen könnten in einem
Revisionsverfahren nicht geklärt werden, da auch bei Zugrundelegung der Rechts-
auffassung des Klägers die Klage abzuweisen gewesen wäre.
89