Urteil des FG Köln vom 13.10.2010

FG Köln (vollziehung, aussetzung, gesetz, bundesverfassungsgericht, interesse, bundesrat, zweifel, vorrang, auflage, antrag)

Finanzgericht Köln, 9 V 2566/10
Datum:
13.10.2010
Gericht:
Finanzgericht Köln
Spruchkörper:
9. Senat
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
9 V 2566/10
Tenor:
Der Antrag wird abgelehnt.
Die Antragstellerin trägt die Kosten des Verfahrens.
Die Beschwerde wird zugelassen.
Gründe:
1
I.
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Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob der gegen die Antragstellerin ergangene
Erbschaftsteuerbescheid im Hinblick auf die gegen das Erbschaftsteuerreformgesetz
erhobenen formellen und materiellen verfassungsrechtlichen Bedenken und
anhängigen Verfassungsbeschwerden von der Vollziehung auszusetzen ist.
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Die Antragstellerin ist neben ihren drei weiteren Geschwistern zu gleichen Teilen Erbin
nach ihrer am ...2009 verstorbenen Tante, Frau K.
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Insoweit wird Bezug genommen auf den gemeinschaftlichen Erbschein des
Amtsgerichts P vom ...12.2009 zum Aktenzeichen ....
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Unter Berücksichtigung des vom Antragsgegner ermittelten Gesamtnachlasses von
217.203 € und einem entsprechend ihrer Erbquote von ¼ auf sie entfallenden Erwerbs
durch Erbanfall in Höhe von 54.300 € erging gegenüber der Antragstellerin am
25.03.2010 ein unter dem Vorbehalt der Nachprüfung stehender erstmaliger
Erbschaftsteuerbescheid, der unter Berücksichtigung des Freibetrages in Höhe von
20.000 € und eines Steuersatzes von 30 % zu einer festzusetzenden Steuer in Höhe
von 10.050 € gelangte.
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Gegen diesen Bescheid legte die Antragstellerin am 29.03.2010 Einspruch ein, den sie
u. a. damit begründete, dass der Ansatz eines Steuersatzes von 30 % nicht gerechtfertigt
sei. Bekanntlich sei der für sie maßgebliche Steuersatz der Steuerklasse II durch das
Wachstumsbeschleunigungsgesetz vom 22.12.2009 (BGBl. I S. 3950) zum 01.01.2010
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von 30 % auf 15 % gesenkt worden. Es sei willkürlich und nicht nachvollziehbar, warum
diese Vergünstigung erst zum 01.01.2010 in Kraft getreten sei und Altfälle nicht mit in
diese Neuregelung einbezogen worden seien. Insoweit liege eine Verletzung des
Artikel 3 Abs. 1 Grundgesetz (GG) durch den Gesetzgeber vor.
Es sei zwar verständlich, dass der Gesetzgeber die im Jahre 2009 bereits
abgeschlossenen Sachverhalte nicht habe neu regeln wollen. Unverständlich sei
jedoch die Nichteinbeziehung schwebender Verfahren. Jedenfalls für Fälle, in denen
der Erbschaftsteuerbescheid in 2009 noch nicht bestandskräftig geworden sei,
geschweige denn überhaupt noch nicht erlassen worden sei, wie in ihrem Fall, sei die
Nichteinbeziehung in die Neuregelung zum 01.01.2010 nicht verständlich.
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Mit Schreiben vom 31.05.2010 teilte der Antragsgegner der Antragstellerin mit, dass das
anhängige Einspruchsverfahren gemäß § 363 Abs. 2 Satz 2 AO von Gesetzes wegen
ruhe. Zur Begründung wies der Antragsgegner darauf hin, dass die dem Einspruch der
Antragstellerin zugrunde liegenden streitigen Rechtsfragen gerichtlich in mehreren beim
Bundesverfassungsgericht anhängigen Musterverfahren (Az.: 1 BvR 3196, 3197 und
3198/09) geprüft würden.
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Aus für das vorliegende Verfahren nicht weiter bedeutsamen Gründen wurde der
Erbschaftsteuerbescheid gegenüber der Antragstellerin am 04.06.2010 gemäß § 164
Abs. 2 AO dahingehend geändert, dass die Erbschaftsteuer auf 8.940 € herabgesetzt
wurde.
10
Der geänderte Bescheid wurde zum Gegenstand des Einspruchsverfahrens. Der
Differenzbetrag wurde der Antragstellerin erstattet.
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Am 01.07.2010 wurde der weiterhin unter dem Vorbehalt der Nachprüfung stehende
Erbschaftsteuerbescheid erneut gemäß § 164 Abs. 2 AO geändert. Die Erbschaftsteuer
wurde nunmehr auf 10.890 € heraufgesetzt. Der geänderte Bescheid wurde zum
Gegenstand des Einspruchsverfahrens. Die Antragstellerin wurde aufgefordert, den sich
nunmehr zu ihren Lasten ergebenden Nachzahlungsbetrag in Höhe von 1.950 € bis zum
05.08.2010 zu zahlen.
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Daraufhin beantragte die Antragstellerin beim Antragsgegner am 14.07.2010 die
Aussetzung der Vollziehung des geänderten Erbschaftsteuerbescheids vom
01.07.2010.
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Im Rahmen ihres Antrags auf Aussetzung der Vollziehung machte die Antragstellerin
geltend, dass es im vorliegenden Rechtsbehelfsverfahren darum gehe, welcher
Steuersatz auf ihren Erbfall anzuwenden sei, derjenige von 30 % oder der von 15 %.
Insoweit habe sie die Verletzung des Artikel 3 Abs. 1 GG gerügt. Zusätzlich machte sie
nunmehr geltend, dass ihr Einspruch auch dadurch begründet sei, dass das zum
01.01.2009 in Kraft getretene Erbschaftsteuerreformgesetz vom 24.12.2008 (BGBl. I S.
3018) auf einer verfassungswidrigen Ermächtigungsnorm beruhe. Es verstoße mithin
sowohl formell als auch materiell gegen das Grundgesetz.
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Insoweit seien bekanntlich drei Verfassungsbeschwerden gegen dieses Gesetz vor dem
Bundesverfassungsgericht anhängig. In diesen Verfassungsbeschwerden komme der
Prozessbevollmächtigte der betreffenden Beschwerdeführer zu dem Ergebnis, dass das
Gesetz schon formell verfassungswidrig sei, da zum einen dem Bund die
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Gesetzgebungskompetenz für die Materie des Erbschaftsteuerrechts gefehlt habe und
zum anderen die zu diesem Zeitpunkt nur geschäftsführende Hessische
Landesregierung im Bundesrat nicht habe mit abstimmen dürfen. Die Ausführung in der
Verfassungsbeschwerde vom 22.12.2009 zum Az.: 1 BvR 3196/09, die von der
Antragstellerin in Kopie vorgelegt wurde, mache sie sich vollinhaltlich zu eigen.
Der Antragsgegner könne auch nicht darauf abstellen, dass der Bundesfinanzhof im
Falle der Rüge der Verfassungswidrigkeit einer gesetzlichen Regelung davon ausgehe,
dass der Geltungsanspruch eines Gesetzes jedenfalls im einstweiligen
Rechtsschutzverfahren Vorrang habe vor den Interessen des Steuerpflichtigen. Der
Bundesfinanzhof habe diesen Rechtssatz nämlich nur für ein formell verfassungsgemäß
zustande gekommenes Gesetz aufgestellt. Im Streitfall gehe es aber gerade darum, ob
das Erbschaftsteuerreformgesetz überhaupt formell verfassungsgemäß zustande
gekommen sei.
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Mit Bescheid vom 29.07.2010 wurde der Antrag der Antragstellerin auf Aussetzung der
Vollziehung seitens des Antragsgegners abgelehnt. Dabei stellte der Antragsgegner im
wesentlichen darauf ab, dass bis zur Annahme der Verfassungsbeschwerden durch das
Bundesverfassungsgericht und bis zur Entscheidung über diese davon auszugehen sei,
dass das Gesetz verfassungsgemäß zustande gekommen sei. Diese Rechtsauffassung
sei auch dem Beschluss des Bundesfinanzhofs vom 01.04.2010 (II B 168/09) zu
entnehmen. So habe der Bundesfinanzhof entschieden, dass ein mit ernstlichen
Zweifeln an der Verfassungsmäßigkeit einer dem angefochtenen Steuerbescheid
zugrunde liegenden Gesetzesvorschrift begründeter Antrag auf Aussetzung der
Vollziehung abzulehnen sei, wenn nach den Umständen des Einzelfalles dem Interesse
des Antragstellers an der Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes nicht der Vorrang vor
dem öffentlichen Interesse am Vollzug des Gesetzes zukomme, ohne dass es einer
Prüfung der Verfassungsmäßigkeit bedürfe. Ein besonderes berechtigtes Interesse der
Antragstellerin an der Gewährung der Aussetzung der Vollziehung, das den Vorrang vor
dem öffentlichen Interesse begründen könne, sei im Streitfall nicht erkennbar.
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Hiergegen legte die Antragstellerin am 01.08.2010 Einspruch ein und verwies dabei
nochmals auf die schwerwiegenden Zweifel, die sich an dem verfassungsmäßigen
Zustandekommen des Erbschaftsteuerreformgesetzes im Hinblick auf die fehlende
Gesetzgebungskompetenz des Bundes sowie die unzulässige Mitwirkung der nur
geschäftsführenden Hessischen Landesregierung bei der Abstimmung im Bundesrat
ergäben.
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Mit Einspruchsentscheidung vom 12.08.2010 wurde der Einspruch der Antragstellerin
gegen die Ablehnung der Aussetzung der Vollziehung des angegriffenen
Erbschaftsteuerbescheides als unbegründet zurückgewiesen. Dabei stellte der
Antragsgegner im Wesentlichen darauf ab, dass das Erbschaftsteuerreformgesetz nach
geltender Rechtsauffassung bis zur gegenteiligen Entscheidung durch das
Bundesverfassungsgericht als formell verfassungsgemäß zustande gekommen
anzusehen sei, sodass nicht ersichtlich sei, dass die bereits genannten Grundsätze des
Beschlusses des BFH vom 01.04.2010 auf den vorliegenden Streitfall nicht
anzuwenden seien.
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Mit am 12.08.2010 bei Gericht eingegangenem Schriftsatz hat die Antragstellerin
nunmehr beim Finanzgericht Köln die Aussetzung der Vollziehung beantragt.
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Hierbei macht sie im Wesentlichen geltend, der BFH habe in seinem Beschluss vom
01.04.2010 darauf hingewiesen, dass nur einem formell verfassungsgemäß zustande
gekommenem Gesetz der Vorrang einzuräumen sei. Die Frage des
verfassungsgemäßen Zustandekommens des Erbschaftsteuerreformgesetzes sei im
Streitfall jedoch gerade ungeklärt.
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Sie verweist darauf, dass sich der BFH im Beschluss vom 01.04.2010 nicht ausdrücklich
mit der Frage beschäftigt habe, ob ein schon formell verfassungswidriges Gesetz
überhaupt einen Vertrauensschutz begründen könne, der es verbiete, die Vollziehung
des auf ihm basierenden Steuerbescheids auszusetzen. Nach dem dort geschilderten
Sachverhalt sei die formelle Verfassungswidrigkeit der Ermächtigungsnorm nicht
vorgetragen worden. Folglich habe der BFH auch keine Veranlassung gesehen, sich mit
dieser Frage zu befassen.
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Entscheidend sei, dass der BFH dort ausführe, dass dem bis zu einer gegenteiligen
Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts bestehenden Geltungsanspruch jedes
formell verfassungsgemäß zustande gekommenen Gesetzes dann der Vorrang
einzuräumen sei, wenn die Aussetzung der Vollziehung eines Steuerbescheids im
Ergebnis zur vorläufigen Nichtanwendung eines ganzes Gesetzes führen würde, die
Bedeutung und die Schwere des durch die Vollziehung des angefochtenen Bescheids
im Einzelfall eingetretenen Eingriffs beim Steuerpflichtigen als eher gering einzustufen
seien und der Eingriff keine dauerhaft nachteiligen Wirkungen habe.
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Die Antragstellerin beantragt,
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den Erbschaftsteuerbescheid vom 01.07.2010 bis zur Entscheidung im
Einspruchsverfahren ohne Sicherheitsleistung von der Vollziehung auszusetzen.
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Der Antragsgegner beantragt,
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den Antrag abzulehnen.
27
Er nimmt zur Begründung seines Antrags Bezug auf die Einspruchsentscheidung
hinsichtlich der Ablehnung der Aussetzung der Vollziehung.
28
II.
29
Der Antrag auf Aussetzung der Vollziehung ist nicht begründet.
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Der Antragsgegner hat es zu Recht abgelehnt, den angegriffenen
Erbschaftsteuerbescheid wegen der von der Antragstellerin geltend gemachten
formellen und materiellen Bedenken gegen die Verfassungsmäßigkeit des
Erbschaftsteuerreformgesetzes von der Vollziehung auszusetzen.
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1. Gemäß § 69 Abs. 3 Satz 1 i. V. mit Abs. 2 Satz 2 FGO kann das Gericht auf Antrag die
Vollziehung eines angefochtenen Verwaltungsaktes aussetzen, soweit ernstliche
Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Verwaltungsaktes bestehen.
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a) Ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit eines Verwaltungsaktes bestehen, wenn
insoweit bei summarischer Überprüfung der Sach- und Rechtslage aufgrund des
unstreitigen Sachverhalts, der gerichtsbekannten Tatsachen und der präsenten
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Beweismittel erkennbar wird, dass aus gewichtigen Gründen Unklarheit in der
Beurteilung von Tatfragen oder Unsicherheit oder Unentschiedenheit in der Beurteilung
von Rechtsfragen besteht und sich bei abschließender Erklärung dieser Fragen der
Verwaltungsakt als rechtswidrig erweisen könnte. Dabei ist es nicht erforderlich, dass
die für die Rechtswidrigkeit sprechenden Gründe überwiegen. Es genügt, dass der
Erfolg des Rechtsbehelfs ebenso wenig auszuschließen ist, wie sein Misserfolg. Ist die
Rechtslage nicht eindeutig, ist im Regelfall die Vollziehung auszusetzen (ständige
Rechtsprechung aller Senate des BFH, vgl. aus neuerer Zeit etwa Beschlüsse vom
07.04.2009 IV B 109/08, BStBl II 2010, 116; vom 16.07.2009 VIII B 64/09, BStBl II 2010,
8; vom 13.10.2009 VIII B 62/09, BStBl II 2010, 80). Nur in besonders gelagerten
Ausnahmefällen kann trotz Vorliegens solcher Zweifel die Aussetzung der Vollziehung
abgelehnt werden (vgl. BFH-Beschluss vom 01.04.2010 II B 168/09, BStBl II 2010, 558).
b) Ein solcher atypischer Fall kommt nach Auffassung des Bundesfinanzhofs in
Betracht, wenn die ernstlichen Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Verwaltungsakts auf
Bedenken gegen die Verfassungsmäßigkeit einer dem Verwaltungsakt zugrunde
liegenden Gesetzesvorschrift beruhen. In diesem Fall ist die Gewährung einer
Aussetzung der Vollziehung zwar nicht von vorneherein ausgeschlossen (vgl. BFH-
Beschluss vom 25.08.2009 VI B 69/09, BStBl II 2009, 826). Sie setzt aber nach
langjähriger Rechtsprechung des BFH wegen des Geltungsanspruchs jedes formell
verfassungsgemäß zustande gekommenen Gesetzes zusätzlich ein besonderes
berechtigtes Interesse des Antragstellers an der Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes
voraus (vgl. BFH-Beschluss vom 01.04.2010 II B 168/09, a.a.O., mit umfassenden
Nachweisen zur ständigen Rechtsprechung verschiedener Senate des
Bundesfinanzhofs).
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Bei der Prüfung, ob ein solches berechtigtes Aussetzungsinteresse des
Steuerpflichtigen besteht, ist dieses mit den gegen die Gewährung der Aussetzung der
Vollziehung sprechenden öffentlichen Belangen abzuwägen. Dabei kommt es
maßgeblich einerseits auf die Bedeutung und die Schwere des durch die Vollziehung
des angefochtenen Steuerbescheids eintretenden Eingriffs beim Steuerpflichtigen und
andererseits auf die Auswirkungen der Aussetzung der Vollziehung hinsichtlich des
Gesetzesvollzugs und des öffentlichen Interesses an einer geordneten
Haushaltsführung an. Das Gewicht der ernstlichen Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit
der betroffenen Vorschrift ist bei dieser Abwägung nicht von ausschlaggebender
Bedeutung (vgl. BFH-Beschluss vom 01.04.2010 II B 168/09, a.a.O.).
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Der Bundesfinanzhof hat zwar in verschiedenen Fallgruppen außerhalb des Erbschaft-
und Schenkungssteuerrechts - vornehmlich im Bereich des Einkommensteuerrechts -
bei verfassungsrechtlichen Bedenken gegen die anzuwendende Rechtsnorm dem
Aussetzungsinteresse des Steuerpflichtigen den Vorrang vor dem öffentlichen Interesse
eingeräumt (vgl. z.B. BFH-Beschlüsse vom 23.08.2007 VI B 42/07, BStBl. II 2007, 799
sowie vom 25.08.2009 VI B 69/09, a.a.O.). Demgegenüber hat jedoch der für das
Erbschaftsteuerrecht zuständige II. Senat des Bundesfinanzhofs an seiner
Rechtsprechung festgehalten, wonach eine Aussetzung der Vollziehung bei ernstlichen
Zweifeln an der Verfassungsmäßigkeit der dem angegriffenen Verwaltungsakt zugrunde
liegenden Gesetzesvorschrift nur bei Vorliegen eines besonderen rechtlichen
Aussetzungsinteresse des Steuerpflichtigen zu gewähren ist. Dem bis zu einer
gegenteiligen Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts bestehenden
Geltungsanspruchs jedes formell verfassungsgemäß zustande gekommenen Gesetzes
sei jedenfalls dann der Vorgang einzuräumen, wenn die Aussetzung der Vollziehung
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eines Steuerbescheids im Ergebnis einer vorläufigen Nichtanwendung eines ganzen
Gesetzes gleichkomme, die Bedeutung und die Schwere des durch die Vollziehung des
angefochtenen Bescheids im Einzelfall eintretenden Eingriffs beim Steuerpflichtigen als
eher gering einzustufen seien und der Eingriff keine dauerhaft nachteiligen Wirkungen
habe (vgl. BFH-Beschluss vom 01.04.2010 II B 168/09, a.a.O.).
2. Unter Berücksichtigung dieser Rechtsgrundsätze steht der beschließende Senat auf
dem Rechtsstandpunkt, dass im Streitfall kein Ausnahmefall, in dem auch
verfassungsrechtliche Bedenken zur Aussetzung der Vollziehung führen können,
gegeben ist.
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a) Die Antragstellerin weist zwar zu Recht darauf hin, dass gerade die formelle
Verfassungsmäßigkeit des Erbschaftsteuerreformgesetzes im Rahmen der derzeit
anhängigen Verfassungsbeschwerden in Frage steht. Nur vermag der beschließende
Senat dem vom Bundesfinanzhof herausgestellten Grundsatz, wonach jedes formell
verfassungsgemäß zustande gekommene Gesetz zunächst einmal einen
Geltungsanspruch genieße, nicht zu entnehmen, dass jegliche Bedenken gegen die
Gesetzgebungszuständigkeit des Bundes für den Erlass des betreffenden Gesetzes und
jegliche Zweifel an einer wirksamen Zustimmung im Bundesrat zu dem betreffenden
Gesetz bereits dazu geeignet sind es auszuschließen, bis zu einer gegenteiligen
Entscheidung des Bundesverfassungsgericht erst einmal von einem formell
verfassungsgemäß zustande gekommenen Gesetz auszugehen.
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aa) Denn auch ein vom Bundestag im Rahmen eines formell ordnungsgemäßen
Gesetzgebungsverfahrens nach Art. 76 und 77 GG beschlossenes Gesetz, dem der
Bundesrat nach Art. 78 GG in einem ebenso ordnungsgemäßen Verfahren seine
Zustimmung erteilt hat und das vom Bundespräsidenten nach pflichtgemäßer
verfassungsrechtlicher Überprüfung gemäß Art. 82 GG gegengezeichnet, ausgefertigt
und im Bundesgesetzblatt verkündet worden ist, stellt zunächst einmal ein formell
verfassungsgemäß zustande gekommenes Gesetz dar, dem bereits auf der Grundlage
seiner Verkündung im Bundesgesetzblatt aus Gründen der Rechtssicherheit und des
Vertrauensschutzes ein entsprechender Geltungsanspruch zukommen muss.
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bb) Soweit die Antragstellerin demgegenüber ihre Zweifel an der formellen
Verfassungsmäßigkeit des Erbschaftsteuerreformgesetzes mit der vermeintlich
fehlenden konkurrierenden Gesetzgebungskompetenz des Bundes im Sinne der Art.
105 Abs. 2 i.V.m. 72 Abs. 2 GG begründet, so ist für den Senat im Wesentlichen
ausschlaggebend, dass diese Rechtsauffassung im Rahmen vereinzelter
verfassungsrechtlicher Begutachtungen vertreten wird (vgl. Wernsmann/Spernath, FR
2007, 829; differenzierend Korte, Die konkurrierende Steuergesetzgebung des Bundes
im Bereich der Finanzverfassung, 2008, S.128 ff., 153; Rüfner, Privatgutachten, 2008, S.
23), während das Fachschrifttum überwiegend aus Gründen der Wahrung eines
einheitlichen Lebens- und Wirtschaftsraums, der Gleichmäßigkeit der Besteuerung, zur
Vermeidung eines Steuerwettbewerbs, von Rechtsunsicherheit und einer komplizierten
Rechtszersplitterung sowie zur Vereinfachung des Verwaltungsvollzugs gerade eine
bundeseinheitliche Regelung des Erbschaft- und Schenkungsteuerrechts für geboten,
wenn nicht gar für unverzichtbar hält (vgl. Lang in Tipke/Lang, Steuerrecht, 20. Auflage
2010, § 3 Rn. 42; Pahlke in Fischer/Jüptner/Pahlke, Kommentar zum
Erbschaftsteuergesetz, 1. Auflage 2009, Einführung Rn. 6; Tiedkte, Kommentar zum
Erbschaftsteuergesetz, 1. Auflage 2009, Einleitung Rn. 35; Mönch/Albrecht,
Erbschaftsteuer, 2. Auflage, 2009, S. 6; die Frage eher offenlassend Geck in
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Kapp/Ebeling, Kommentar zum Erbschaftsteuergesetz, Stand April 2010, Einleitung Rd.
1; Meincke, Kommentar zum Erbschaftsteuergesetz, 5, Auflage 2009, Einführung Rn.7).
Für den Senat ist jedenfalls auch aus der in Kopie vorgelegten Begründung der
Verfassungsbeschwerde zum Verfahren 2 BvR 3196/09 nicht erkennbar, dass die
insoweit angeführten verfassungsrechtlichen Bedenken an einer
Gesetzgebungskompetenz des Bundes für den Erlass des
Erbschaftsteuerreformgesetzes von derartigem Gewicht und derartiger
Überzeugungskraft sind, dass dies im summarischen Verfahren des einstweiligen
Rechtsschutzes die Schlussfolgerung rechtfertigen oder gar zwingend nach sich ziehen
könnte, das Gesetz sei nicht formell verfassungsgemäß zustande gekommen.
cc) Erhebliches Gewicht kommt nach Ansicht des beschließenden Senats auch dem
Umstand zu, dass die von der Antragstellerin angeführten Bedenken gegen die
Gesetzgebungskompetenz des Bundes für den Erlass des
Erbschaftsteuerreformgesetzes nicht etwa nachträglich kraft besserer Rechtserkenntnis
in die Diskussion gelangt sind, sondern dem Gesetzgeber bereits vor Erlass des
Erbschaftsteuerreformgesetzes in ganzer argumentativer Breite, Tiefe und Schärfe
bereits bekannt gewesen und von ihm auch in seiner Gesetzesbegründung eingehend
gewürdigt worden sind (vgl. BT-Drs. 16/7918, S. 25). Gerade diese ausführliche
Auseinandersetzung des Bundesgesetzgebers mit den gegen seine
Gesetzgebungskompetenz erhobenen Einwendungen bereits im
Gesetzgebungsverfahren zeigt dem Senat aber, dass die betreffenden Bedenken einer
verfassungsrechtlichen Überprüfung unterzogen und im Gesetzgebungsverfahren noch
nicht als durchgreifend angesehen worden sind. Dabei darf auch nicht übersehen
werden, dass nicht nur die Gesetzgebungsorgane des Bundes die
Gesetzgebungskompetenz des Bundes insoweit nicht in Frage gestellt haben, sondern
auch die Länder mehrheitlich im Bundesrat dem Gesetzesvorhaben zugestimmt haben,
ohne ihre vermeintlich eigene Gesetzgebungskompetenz zu reklamieren.
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Jedenfalls sieht sich der beschließende Senat in Anbetracht dieser Gesamtumstände
nicht dazu aufgerufen, im Rahmen eines einstweiligen Rechtsschutzverfahrens den
Geltungsanspruch eines formellen Gesetzes für Zwecke der Aussetzung der
Vollziehung bereits deshalb außer Kraft zu setzen, weil vom Gesetzgeber bereits
geprüfte und für nicht durchgreifend erachtete Bedenken an seiner
Gesetzgebungskompetenz erneut vorgebracht werden. Ohne eine diese Bedenken
bestätigende Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts behält der
Geltungsanspruch des Gesetzes vielmehr seinen Vorrang.
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dd) Darüberhinaus ist zu beachten, dass Art. 72 Abs. 2 GG mit verfassungsänderndem
Gesetz vom 27.10.1994 (BGBl. I 1994, S. 3146) zwar mit dem Ziel geändert worden ist,
den Verlust von Gesetzgebungskompetenzen der Länder in den vergangenen
Jahrzehnten durch Einführung einer engen und justiziablen Erforderlichkeitsklausel
anstelle einer relativ weitläufigen und unbestimmten Bedürfnisklausel wieder
rückgängig zu machen. Andererseits ist zugleich Art. 125 a GG eingeführt worden, der in
seinem Absatz 2 bestimmt, dass das Recht, das aufgrund der vorhergehenden Fassung
des Art. 72 Abs. 2 GG eingeführt worden ist, aber wegen der Änderung des Art. 72 Abs.
2 GG nicht mehr als Bundesrecht erlassen werden könnte, als Bundesrecht fortgilt. Und
hinsichtlich dieser Rechtsmaterie steht dem Bund eine, wenn auch eng auszulegende
Änderungskompetenz zu (vgl. hierzu nur Jarass in Jarass/Pieroth, Kommentar zum GG,
11. Auflage 2010, Art. 125 a Rn. 10).
43
Selbst wenn daher dem Bund für den Erlass des Erbschaftsteuerreformgesetzes nicht
mehr die konkurrierende Gesetzgebungskompetenz nach Art. 105 Abs. 2 i.V.m. Art. 72
Abs. 2 GG zugestanden haben sollte, so könnte sich diese durchaus noch über Art. 125
a Abs. 2 GG ergeben, jedenfalls soweit man das Erbschaftsteuerreformgesetz als eine
vom Bundesverfassungsgericht vorgegebene Änderung des Erbschaftsteuerrechts und
nicht als eine grundlegende Neukonzeption dieser Rechtsmaterie ansieht. Da das
Erbschaftsteuerreformgesetz im Wesentlichen die vom Bundesverfassungsgericht
bereits mehrfach geforderte realitätsgerechte Wertrelation unterschiedlicher
Vermögensgegenstände im Sinne eines Bewertungsgleichmaßes herstellt, spricht
einiges dafür, insoweit von einer den verfassungsrechtlichen Bedenken Rechnung
tragenden Änderung und nicht von einer unzulässigen Neukonzeption auszugehen.
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ee) Hinzu kommt noch eine weitere Überlegung: Das Bundesverfassungsgericht hat
sich in einer Entscheidung vom 08.11.2006 (1BvL 10/02, BStBl. II 2007,192) mit
umfangreichen gesetzlichen Neuregelungen im Bereich des Erbschaftsteuer-
(Jahressteuergesetz 1997 vom 20.12.1996, BGBl. I 1996, S. 2049) sowie des
Bewertungsgesetzes (Einführung der Bedarfsbewertung im Bereich des
Grundvermögens durch das Jahressteuergesetz 1997 vom 20.12.1996, BGBl. I 1996, S.
1523) zu befassen gehabt, die allesamt erforderlich geworden waren, nachdem das
Bundesverfassungsgericht im Beschluss vom 22.06.1995 (2 BvR 552/91, BStBl. 1995,
671) die bis dahin bestehenden Besteuerungsunterschiede zwischen Grund- und
Kapitalvermögen für verfassungswidrig erklärt hatte. Damit hatte das
Bundesverfassungsgericht in seinem Beschluss vom 08.11.2006 grundlegende
erbschaftsteuerliche- und bewertungsrechtliche Regelungen zu beurteilen, die allesamt
nach Einführung des strengen Erforderlichkeitsprinzips in Art. 72 Abs. 2 GG im Jahr
1994 durch den Bund im Jahr 1996 erlassen worden waren. Wenn daher
durchgreifende verfassungsrechtliche Bedenken gegen die konkurrierende
Gesetzgebungskompetenz des Bundes auf dem Gebiet des Erbschaftsteuerrechts
tatsächlich bestehen sollten, so hätte das Bundesverfassungsgericht diesen Zweifeln
bereits im Beschluss vom 08.11.2008 Rechnung tragen müssen und das zu diesem
Zeitpunkt geltende Erbschaftssteuerecht von 1996 nicht nur aus materiellen
verfassungsrechtlichen Gründen, sondern auch mangels einer
Gesetzgebungskompetenz des Bundes verwerfen müssen. Der Senat sieht sich daher
vor dem Hintergrund dieser Umstände jedenfalls für Zwecke der summarischen
Überprüfung der Rechtslage in einem einstweiligen Rechtsschutzverfahren berechtigt,
davon auszugehen, dass bis zu einer gegenteiligen Entscheidung des
Bundesverfassungsgerichts eine ausreichende Gesetzgebungskompetenz des Bundes
auf dem Gebiet des Erbschaftsteuerrechts unterstellt werden kann.
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b) Soweit die Antragstellerin darüber hinaus den Standpunkt vertritt, das
Erbschaftsteuerreformgesetz sei auch deshalb nicht verfassungsgemäß zustande
gekommen, weil die zum Zeitpunkt der Beschlussfassung des Bundesrates sich
lediglich geschäftsführend im Amt befindende Hessische Landesregierung an der
Bundesratsabstimmung am 05.12.2008 nicht habe teilnehmen dürfen, so rechtfertigt
auch dieser Ansatz nicht die begehrte Aussetzung der Vollziehung. Denn abgesehen
davon, dass sich eine Nichtteilnahme des Bundeslandes Hessen an der Abstimmung
faktisch wie eine Ablehnung des Gesetzentwurfs ausgewirkt hätte - dieses Problem
könnte man nur umgehen, wenn man die hessischen Stimmen bei der Berechnung der
Mehrheitsverhältnisse unberücksichtigt lässt, der Bundesrat also bei einer
Nichtbeteiligung des Bundeslandes Hessens über 64 statt 69 Stimmen verfügt und die
Mehrheit der Stimmen des Bundesrates in diesem Falle 33 beträgt, auch in diesem Fall
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hätte der Bundesrat allerdings dem Gesetz seine Zustimmung erteilt, da auch ohne das
Bundesland Hessen 34 Stimmen für das Gesetz votiert hatten -, ist für den Senat nicht
erkennbar, welche verfassungsrechtlichen Auswirkungen der Umstand, dass sich eine
Landesregierung vorübergehend nur geschäftsführend im Amt befindet, für deren
Abstimmungsverhalten im Bundesrat hat. Neben der Frage, ob dieser Umstand nicht
lediglich für die innere landesverfassungsrechtliche Situation in dem betreffenden
Bundesland von Bedeutung ist, ist für den Senat auch nicht erkennbar, dass die
Teilnahme an den Sitzungen und Beschlussfassungen im Bundesrat nicht mehr zu den
Aufgaben einer geschäftsführenden Landesregierung gehören soll. Ein Verstoß gegen
das Demokratieprinzip des Art. 20 Abs. 2 GG ist in diesem Falle ebenso wenig
gegeben, wie im Falle einer weisungswidrigen Abstimmung durch ein
Bundesratsmitglied, die nach allgemeiner Auffassung nicht zu einem unwirksamen
Bundesratsbeschluss führen soll (vgl. hierzu nur Pieroth in Jarass/Pieroth, Kommentar
zum GG, 11. Auflage 2010, Art. 52 Rn. 6).
Der Senat vermag jedenfalls aus dem Abstimmungsverhalten der lediglich
geschäftsführenden Hessischen Landesregierung keine solchen ernstlichen Bedenken
gegen das formell verfassungsgemäße Zustandekommen des
Erbschaftsteuerreformgesetzes zu gewinnen, die eine Aussetzung der Vollziehung des
angegriffenen Erbschaftsteuerbescheides rechtfertigen oder gar zwingend erforderlich
machen könnten.
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c) Die von der Antragstellerin weiterhin geltend gemachten materiell-rechtlichen
Bedenken gegen die Anwendung des Erbschaftsteuerreformgesetzes vor dem
Hintergrund des Umstands, dass im Rahmen des bereits ein Jahr später in Kraft
getretenen Wachstumsbeschleunigungsgesetzes der Steuersatz für Steuerpflichtige der
Steuerklasse II von 30 % auf 15 % gesenkt worden ist, kann vor dem Hintergrund der
dargestellten Rechtsprechung erst recht nicht zu einer Aussetzung der Vollziehung
führen.
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Insoweit handelt es sich um eine materiell-verfassungsrechtliche Frage, bei der der
Geltungsanspruch eines formell verfassungsgemäß zustande gekommenen Gesetzes
zusätzlich ein besonderes Interesse an der Aussetzung der Vollziehung erfordert. Ein
solches besonderes Aussetzungsinteresse ist im Streitfall nach den dargestellten
Einzelumständen nicht erkennbar. Denn bei einer steuerlichen Belastung von ca. 20 %
des erbschaftsbedingten Erwerbs (ca. 10.000 € Steuer bei einem Erwerb von ca. 50.000
€) sind die Bedeutung und die Schwere des durch die Vollziehung des angefochtenen
Bescheids beim Steuerpflichtigen eintretenden Eingriffs als eher gering einzustufen und
nicht mit dauerhaften nachteiligen Auswirkungen behaftet.
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Nimmt man hinzu, dass der Bundesfinanzhof insbesondere dann Bedenken gegen die
Gewährung einer Aussetzung der Vollziehung hat, wenn die Aussetzung der
Vollziehung eines Steuerbescheids im Ergebnis dazu führen würde, dass ein gesamtes
Gesetz vorläufig nicht mehr angewendet werden kann, so wird hieraus ersichtlich, dass
der Bundesfinanzhof gerade in den Fällen, in denen sich die Belastungen des
Steuerpflichtigen in einem absolut überschaubaren Rahmen halten, auch ein
besonderes berechtigtes Interesse des Antragstellers an der Gewährung vorläufigen
Rechtsschutzes für erforderlich erachtet.
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Berücksichtigt man somit, dass im Streitfall keine Gesichtspunkte ersichtlich sind, die
dafür sprechen, dass der mit dem angefochtenen Erbschaftsteuerbescheid verbundene
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Eingriff in die Rechtssphäre der Antragstellerin als bedeutend, schwer oder dauerhaft
nachteilig anzusehen ist, so spricht auch dieser Umstand dafür, dass im Streitfall trotz
der von der Antragstellerin angeführten und grundsätzlich erwägenswerten Bedenken
gegen die formelle Verfassungsmäßigkeit des Erbschaftsteuerreformgesetz davon
auszugehen ist, dass dem Aussetzungsinteresse der Antragstellerin nicht der Vorrang
vor dem öffentlichen Interesse an der Anwendung des Erbschaftsteuerreformgesetzes
eingeräumt werden kann.
3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO.
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4. Der Senat lässt die Beschwerde gemäß § 128 Abs. 3 FGO zu.
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