Urteil des FG Köln vom 26.06.2008

FG Köln: steuerliche vergünstigung, nachtarbeit, wirtschaftliche leistungsfähigkeit, schwangerschaft, bodenpersonal, versetzung, rechtfertigung, mutterschaft, arbeitskraft, zulage

Finanzgericht Köln, 15 K 4337/07
Datum:
26.06.2008
Gericht:
Finanzgericht Köln
Spruchkörper:
15. Senat
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
15 K 4337/07
Tenor:
Die Klage wird abgewiesen.
Die Kosten des Verfahrens tragen die Kläger.
Tatbestand
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Die Beteiligten streiten über die Steuerfreiheit von gezahlten Schichtzulagen für
Sonntags-, Feiertags- und Nachtarbeit der Klägerin nach § 3b des
Einkommensteuergesetzes - EStG.
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Die Klägerin ist von Beruf Flugbegleiterin bei der M-AG und erzielt aus dieser Tätigkeit
Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit. In ihren Bruttobezügen ist ausweislich der
Lohnabrechnung der Arbeitgeberin eine Schichtzulage in Höhe von 16,3 % des
Grundgehaltes zzgl. der Purserzulage enthalten, womit nach einer Vereinbarung
mehrerer Fluggesellschaften mit den obersten Finanzbehörden der Länder pauschal die
geleistete Sonntags-, Feiertags- und Nachtarbeit abgegolten ist. Die Zulage beläuft sich
für die Monate Januar bis August des Streitjahrs auf 244,42 € monatlich und ab
September auf 254,15 € monatlich (4 x 254,15 € = 1.016,60 €).
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Die Klägerin war nach Mitteilung ihrer Schwangerschaft seit dem 30.08.2006 beim
Bodenpersonal der Arbeitgeberin eingesetzt, da gemäß § 8 Abs. 1 des
Mutterschutzgesetzes – MuSchG – Sonntags-, Feiertags-, Nacht- und Mehrarbeit
verboten sind. Auf die Zahlung der Schichtzulage hatte die Versetzung aufgrund
tarifvertraglicher Vereinbarungen und § 11 MuSchG keinen Einfluss. Jedoch erhob die
Arbeitgeberin der Klägerin auf die gezahlte Schichtzulage von 254,15 €, im Gegensatz
zu den Vormonaten (auf die Gehaltsabrechnungen April, Mai und Juni wird Bezug
genommen, Bl. 30 ff. d.A.), seit September des Streitjahres in voller Höhe Lohnsteuer
und führte diese an das zuständige Finanzamt ab.
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Die Kläger wurden mit Einkommensteuerbescheid vom 08.06.2007 zusammen zur
Einkommensteuer veranlagt, wobei der Beklagte die gezahlte Schichtzulage der
lohnsteuerlichen Behandlung entsprechend ebenfalls im vollen Umfang der
Einkommensbesteuerung unterwarf. Der hiergegen eingelegte Einspruch der Kläger
hatte keinen Erfolg. Der Beklagte verwies in seiner Einspruchsentscheidung vom
17.10.2007 auf den Wortlaut des § 3b EStG, wonach nur Zuschläge für "tatsächlich
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17.10.2007 auf den Wortlaut des § 3b EStG, wonach nur Zuschläge für "tatsächlich
geleistete" Sonntags-, Feiertags- und Nachtarbeit beim Vorliegen weiterer
Voraussetzungen steuerfrei seien. Mit der Versetzung der Klägerin zum Bodenpersonal
seien entsprechende Schichtarbeiten nicht mehr in dem Ausmaß angefallen, wie bei der
Tätigkeit als Bordpersonal, insbesondere durch den Wechsel von Zeitzonen.
Aufzeichnungen über die tatsächlich geleistete Schichtarbeit wurden durch den
Arbeitgeber für die Klägerin nicht geführt. Die Klägerin trage jedoch für die steuerliche
Vergünstigung nach § 3b EStG die Beweislast. Der Grund für die Versetzung zum
Bodenpersonal sei für die Entscheidung unerheblich, so dass keine finanzielle
Benachteiligung von Frauen während der Zeit der Schwangerschaft durch die
Besteuerung der Schichtzulage erfolge.
Die Kläger tragen zur Begründung der gegen die Einspruchsentscheidung des
Beklagten erhobenen Klage vor, auf der Grundlage der Behandlung der Schichtzulage
in den Vormonaten seien bei der Klägerin 83 % der Schichtzulage als steuerfrei
anzusehen, dies entspreche 847,16 €. Die volle Besteuerung der Schichtzulage
verstoße gegen das Diskriminierungsverbot nach Art. 3 Abs. 2 des Grundgesetzes – GG
– und gegen Art. 6 Abs. 4 GG. Die Versetzung der Klägerin zum Bodenpersonal sei
gezwungenermaßen aufgrund der Schwangerschaft erfolgt. Von einer Versetzung aus
Gründen der Schwangerschaft könnten nur Frauen betroffen werden, so dass die
biologische Mutterschaft zu einer Ungleichbehandlung gegenüber männlichen Kollegen
führe, deren Schichtzulage steuerfrei bleibe. Die Ungleichbehandlung sei nicht
gerechtfertigt, da das Kriterium des Geschlechts niemals einen Grund für die
Ungleichbehandlung darstellen dürfe. Zwar knüpfe § 3b EStG nicht an das Kriterium des
Geschlechts an, jedoch werde über das in § 8 MuSchG normierte Beschäftigungsverbot
für Schwangere mittelbar die Anwendung des § 3b EStG für eine bestimmte Gruppe von
Frauen außer Kraft gesetzt. Vielmehr sei der Staat verpflichtet, die Gleichbehandlung
von Frauen und Männern zu fördern und nicht durch eine steuerliche Benachteiligung
der schwangeren Frauen zu hindern. Diese finanzielle Gleichberechtigung von Frauen
und Männern gehe über eine bloße finanzielle Absicherung von werdenden Müttern
hinaus. Darüber hinaus verstoße die Besteuerung der Schichtzulage bei der Klägerin
gegen das Leistungsfähigkeitsprinzip, Art. 3 Abs. 1 GG, denn die Leistungsfähigkeit der
Klägerin habe sich durch die Schwangerschaft nicht verändert, trotzdem werde sie
gegenüber ihren nichtschwangeren Kolleginnen und den Kollegen ohne sachliche
Rechtfertigung stärker zur Finanzierung der allgemeinen Staatsaufgaben
herangezogen. Schließlich liege aus oben genannten Gründen ein Verstoß gegen Art. 6
Abs. 4 GG vor, der Mütter vor schwangerschaftsbedingten Nachteilen besonders
schütze.
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Die Kläger beantragen,
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unter Änderung des Einkommensteuerbescheids 2006 vom 08.06.2007 in Gestalt der
Einspruchsentscheidung vom 17.10.2007 die Einkommensteuer unter Freistellung der
gezahlten Schichtzulage in Höhe von 847,16 € (83 % von 1.016,60 €) von der
Einkommensbesteuerung herabzusetzen
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hilfsweise die Revision zuzulassen.
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Der Beklagte beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Der Beklagte trägt vor, die Klägerin habe die Einschränkung ihrer Dienstfähigkeit
akzeptiert und übe seit der Versetzung zum Bodenpersonal steuerlich nicht begünstigte
Tätigkeiten aus. Als Vergleichsgruppe im Rahmen der Prüfung eines Verstoßes gegen
Art. 3 GG sei die Klägerin mit anderen Beschäftigten des Bodenpersonals zu
vergleichen, da die Klägerin seit September 2006 für das Bodenpersonal tätig war. Bei
einem solchen Vergleich ergebe sich keine Ungleichbehandlung. Die Klägerin könne
die nichtbegünstigten Tätigkeiten nicht wegen ihres Geschlechts nicht mehr ausüben,
sondern wegen den mit einer Schwangerschaft einhergehenden körperlichen
Einschränkungen. Insoweit gelten die gleichen Grundsätze wie durch Krankheit
ausgelöste körperliche Einschränkungen. Könnten die begünstigten Tätigkeiten aus
diesen Gründen nicht ausgeübt werden, sei die Steuerfreiheit der Schichtzulage
insoweit zu verwehren, unabhängig davon, ob es sich um eine weibliche Beschäftigte
oder einen männlichen Beschäftigten handele. Gleiches gelte, wenn die begünstigten
Tätigkeiten aufgrund einer Fortbildungsveranstaltung nicht ausgeübt werden könnten.
Sinn und Zweck der Steuerfreiheit von Schichtzuschlägen sei es, den hohen
Belastungen durch wechselnde Arbeitszeiten und Nachtdienste, unter denen die
Betroffenen häufig leiden, Rechnung zu tragen. Fehle es tatsächlich an solchen
Belastungen, sei eine Steuerfreiheit gezahlter Zuschläge nicht mehr gerechtfertigt. Auch
ein Verstoß gegen Art. 6 Abs. 4 sei nicht anzunehmen, da die finanzielle Absicherung
von werdenden Müttern im Ermessen des Gesetzgebers stehe. Durch den Wegfall der
Steuerbefreiung für Schicht- und Nachtarbeit sei der Kernbereich dieser Absicherung
jedoch nicht betroffen.
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Wegen weiterer Einzelheiten wird auf die Schriftsätze der Beteiligten, die beigezogenen
Akten des Beklagten und das Protokoll der mündlichen Verhandlung Bezug genommen.
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Entscheidungsgründe:
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Die Klage ist zulässig, aber unbegründet.
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Der angefochtene Einkommensteuerbescheid 2006 vom 08.06.2007 in Gestalt der
Einspruchsentscheidung vom 17.10.2007 ist nicht rechtswidrig und verletzt die Kläger
nicht in ihren Rechten, § 100 Abs. 1 Satz 1 der Finanzgerichtsordnung – FGO.
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Die für die Monate September bis Dezember 2006 gezahlten Schichtzuschläge in Höhe
von monatlich 254,15 €, insgesamt 1.016,60 €, unterliegen im vollem Umfang der
Einkommensbesteuerung. Die Voraussetzungen für eine Steuerbefreiung von
Zuschlägen für Sonntags-, Feiertags und Nachtarbeit gemäß § 3b EStG sind nicht
erfüllt.
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1. Nach § 3b Abs. 1 EStG sind Zuschläge, die für tatsächlich geleistete Sonntags-,
Feiertags- und Nachtarbeit neben dem Grundgehalt gezahlt werden, steuerfrei, soweit
sie die in den Nummern 1 bis 4 aufgeführten Prozentsätze des Grundlohns nicht
übersteigen. Voraussetzung für die Ausnahme der Zuschläge von der
Einkommensbesteuerung ist, dass die in der Vorschrift genannten Arbeiten "tatsächlich
geleistet" wurden. Tatsächliche Leistung bedeutet, dass die Arbeit gegen Entgelt
objektiv erbracht werden muss (vgl. dazu v. Beckerath in: Kichhof/Söhn, EStG,
Kommentar, 97. EGL April 2000, § 3b B 17). Die rein subjektive Vorstellung des
Arbeitgebers von der Arbeit reicht ebenso wenig aus, wie eine pauschale Abgeltung
solcher Tätigkeiten (vgl. zu Abschlagszahlungen und Vorschüssen das Urteil des
Bundesfinanzhofs vom 25.05.2005, IX R 72/02, BStBl II 2005, 725 unter II.). Dies folgt
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aus § 19 Abs. 1 Satz 1 EStG. Danach gehören zu den Einkünften aus nichtselbständiger
Arbeit Bezüge und Vorteile, die "für" eine Beschäftigung im öffentlichen oder privaten
Dienst erbracht werden. Dieser Wortlaut der Vorschrift verdeutlicht die gegenseitige
Verknüpfung von Zurverfügungstellung der individuellen Arbeitskraft durch den
Arbeitnehmer auf der einen Seite und Gewähren von Vorteilen durch den Arbeitgeber
auf der anderen Seite. Gleiches gilt für die Zuschläge für Sonntags-, Feiertags- und
Nachtarbeit. Die Zahlung der Zuschläge muss sich als Gegenleistung für die konkret
erbrachte Arbeitsleistung darstellen (so v. Beckerath in: Kichhof/Söhn, EStG,
Kommentar, 97. EGL April 2000, § 3b B 17 unter Hinweis auf das Urteil des
Bundesfinanzhofs vom 28.11.1990, VI R 90/87, BStBl II 1991, 293 unter 2.). Eine
Nachprüfung dieser Voraussetzungen kann grundsätzlich nur anhand von detaillierten
Aufzeichnungen über tatsächliche Anwesenheitszeiten des Arbeitnehmers überprüft
werden (Urteil des Bundesfinanzhofs vom 25.05.2005, IX R 72/02, BStBl II 2005, 725
unter II.1.).
Erhält der Arbeitnehmer hingegen Zuschläge im Sinne des § 3b EStG, ohne dass er
derartige Arbeiten tatsächlich geleistet hat, sei es aus Krankheits- oder Urlaubsgründen,
sind die Zuschläge von der Begünstigung ausgeschlossen. Die Klägerin hat selbst
vorgetragen, dass die gezahlten Schichtzuschläge insoweit von der Steuerbefreiung
ausgeschlossen waren, als die Flugbegleiter in einem Monat krank waren oder an
Fortbildungsveranstaltungen teilgenommen haben. Daher fiel die Höhe der
Besteuerung in jedem Monat individuell aus, was sich aus den von der Klägerin
eingereichten Gehaltsabrechnungen erkennen lässt.
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Gleiches gilt, wenn Sonntags-, Feiertags- und Nachtarbeiten wegen § 8 MuSchG zum
Schutze der werdenden Mutter und des ungeborenen Kindes nicht geleistet werden
durften (Urteil des Bundesfinanzhofs vom 26.10.1984, VI R 199/80, BStBl II 1985, 57;
dem folgend die herrschende Meinung in der Literatur: Heinicke in Schmidt, EStG, 26.
Aufl. 2007; § 3b Rn. 8; v. Beckerath in: Kichhof/Söhn, EStG, Kommentar, 97. EGL April
2000, § 3b B 46; Handizik in: Littmann/Bitz/Pust, Einkommensteuerrecht, 69. EGL
Februar 2006, § 3b Rn. 67; Moritz in: Herrmann/Heuer/Raupach, EStG, 229. EGL
Oktober 2007, § 3b Anm. 23; Erhard in: Blümich, EStG, KStG, GewStG, Kommentar, 95.
EGL Mai 2007, § 3b Rn. 14). Objektiv wird in diesen Fällen durch die schwangeren
Frauen keine Sonntags-, Feiertags- oder Nachtarbeit erbracht. Die fortgesetzte Zahlung
der Zulagen durch den Arbeitgeber beruht allein auf der besonderen Regelung des § 11
MuSchG, nicht aber auf der tatsächlichen Zurverfügungstellung der individuellen
Arbeitskraft an Sonn- und Feiertagen und zur Nachtzeit durch die Arbeitnehmerin. Die
Zahlung der Zulage kann insoweit nicht als Gegenleistung im Rahmen eines
wechselseitigen Austauschverhältnisses qualifiziert werden, sondern gewährt lediglich
einen finanziellen Bestandsschutz für die werdende Mutter.
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Mangels dieser synallagmatischen Verknüpfung zwischen Zahlung der Zulage während
der Schwangerschaft und der Arbeitsleistung an Sonn- und Feiertagen und zur
Nachtzeit, kommt eine Anwendung von § 3b EStG nicht in Betracht. Sinn und Zweck der
Vorschrift ist es, Steuerpflichtige, die eine besondere Anstrengung für ihren Arbeitgeber
auf sich nehmen, zu honorieren, indem ihnen für den Teil ihres Arbeitslohns, der auf die
Sonntags-, Feiertags- und Nachtarbeit entfällt, eine steuerliche Vergünstigung zu Gute
kommt. Diese steuerliche Subvention, die eine Ausnahme vom Prinzip der Besteuerung
nach der individuellen Leistungsfähigkeit darstellt (Art. 3 Abs. 1 GG), ist sachlich nur
gerechtfertigt, wenn die Steuerpflichtigen die zuschlagsbewährte Arbeit auch tatsächlich
für ihren Arbeitgeber geleistet haben.
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Hieran fehlt es bei der Klägerin, die aufgrund der Mutterschutzregelung nach § 8
MuSchG keine Sonntags-, Feiertags- und Nachtarbeit mehr leisten durfte. Aus diesem
Grund konnte sie ihre Tätigkeit als Flugbegleiterin nicht mehr ausüben und wurde ab
dem 30.08.2006 zum Bodenpersonal versetzt.
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2. Ein Verstoß gegen grundrechtlich geschützte Rechtspositionen der Klägerin ist nicht
erkennbar.
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a. Art. 3 Abs. 2 in Verbindung mit Art. 3 Abs. 3 Satz 1 GG beinhaltet das Grundrecht der
Gleichberechtigung von Frau und Mann. Es schützt die Grundrechtsträger, alle Frauen
und Männer, vor geschlechtsbezogenen Ungleichbehandlungen direkter und indirekter
Art. Fußt die Ungleichbehandlung auf der Eigenschaft als Frau oder Mann als
Differenzierungskriterium, liegt eine direkte Ungleichbehandlung vor (vgl.
Jarass/Pieroth, Grundgesetz, Kommentar, 8. Aufl. 2006, Art. 3 Rn. 85). Von einer
mittelbaren Ungleichbehandlung ist auszugehen, wenn eine geschlechtsneutral
formulierte Regelung überwiegend Frauen trifft und dies auf natürliche oder
gesellschaftliche Unterschiede zwischen den Geschlechtern zurückzuführen ist (vgl.
Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 27.11.1997, 1 BvL 12/91, BVerfGE 97,
35 unter B.II.1. m.w.N.).
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Die Vorschrift des § 3b EStG beinhaltet keine direkte Ungleichbehandlung von Frauen
und Männern, da die Steuerfreiheit von Zulagen für Sonn-, Feiertags- und Nachtarbeit
allen Steuerpflichtigen, unabhängig von ihrem Geschlecht, gewährt wird, soweit sie
diese Tätigkeiten tatsächlich erbringen.
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Da in der Arbeitswirklichkeit nicht nur Männer überwiegend zuschlagsfähige Sonn-,
Feiertags- und Nachtarbeit leisten und dadurch in den Vorzug der Steuerfreiheit
kommen, ist auch nicht von einer mittelbaren Ungleichbehandlung von Frauen und
Männern auszugehen.
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Das Tatbestandsmerkmal der "tatsächlichen" Arbeitserbringung führt zu einer
geschlechtsneutralen Differenzierung zwischen steuerpflichtigen und steuerfreien
Zuschlägen. Allein der Umstand, dass werdende Mütter auf Grund der besonderen
Schutzregelungen des § 8 MuSchG einem Sonn-, Feiertags- und Nachtarbeitsverbot
unterliegen, führt nicht zu einer mittelbaren Ungleichbehandlung von Frauen und
Männern im Rahmen des § 3b EStG. Vielmehr ist § 8 MuSchG Ausfluss des Art. 6 Abs.
4 GG, nach dem jede Mutter Anspruch auf den Schutz der Gemeinschaft hat. Um diesen
Schutzanspruch abzurunden, hat der Gesetzgeber im Rahmen seines Ermessens zur
Erfüllung des Schutzauftrags die Einbeziehung von bisher gezahlten Zuschlägen für
Tätigkeiten nach § 8 MuSchG in die Berechnung des Arbeitsentgelts bei
Beschäftigungsverboten geregelt (§ 11 MuSchG). Zahlt der Arbeitgeber Zuschläge
während des Beschäftigungsverbots nach § 8 MuSchG, erhöht sich die wirtschaftliche
Leistungsfähigkeit der Steuerpflichtigen, die nach dem im Steuerrecht verankerten
Grundsatz der Besteuerung nach der objektiven Leistungsfähigkeit (Art. 3 Abs. 1 GG)
eine entsprechend hohe Besteuerung zur Folge hat, wie andere Steuerpflichtige mit
einem gleich hohen zu versteuernden Einkommen. Nur ausnahmsweise werden bei
vergleichbaren Steuerpflichtigen Einkommensteile von der Besteuerung ausgenommen,
wenn sie auf "tatsächlich" geleistete Sonn-, Feiertags- oder Nachtarbeit entfallen, § 3b
EStG. Diese Durchbrechung des Grundsatzes der Besteuerung nach der objektiven
Leistungsfähigkeit findet seine Rechtfertigung in den besonders belastenden
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Arbeitszeiten der Steuerpflichtigen. Haben die Steuerpflichtigen ihre individuelle
Arbeitskraft tatsächlich nicht zu diesen Zeiten eingesetzt, sei es aus Krankheits-,
Urlaubs-, Fortbildungs- oder sonstigen vergleichbaren Gründen, entfällt die
Rechtfertigung für die Durchbrechung des Leistungsfähigkeitsprinzips. Die Einnahmen
sind dann im vollem Umfang zu versteuern.
Die Klägerin war seit September des Streitjahres weder an Sonn- oder Feiertagen, noch
zur Nachtzeit für ihren Arbeitgeber tätig. Eine Rechtfertigung für die Steuerfreiheit der
gezahlten Schichtzulagen ist somit nicht gegeben.
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b. Nach Art. 6 Abs. 4 GG, der eine Konkretisierung des Sozialstaatsprinzips darstellt, hat
jede Mutter Anspruch auf den Schutz und die Fürsorge der Gemeinschaft. Verursacht
der Staat Belastungen der Mutter, die über die ohnehin aufgrund der Mutterschaft
bestehenden Beeinträchtigungen hinausgehen und diese zu verstärken geeignet sind,
liegt ein Eingriff in den Schutzbereich des Art. 6 Abs. 4 GG vor (Jarass/Pieroth,
Grundgesetz, Kommentar, 8. Aufl. 2006, Art. 6 Rn. 47). Nachteilige Rechtsfolgen, die
nicht nur Mütter, sondern auch Dritte betreffen, bedeuten hingegen keinen Eingriff in die
grundrechtlich geschützte Rechtsposition der Mutter. Greift die Rechtsfolge des § 3b
EStG, die Einkommensteuerfreiheit von Sonn-, Feiertags- und Nachtarbeitszuschlägen,
nicht, weil ein Steuerpflichtiger diese Arbeiten tatsächlich nicht erbracht hat, trifft die
Rechtsfolge der Besteuerung der Einnahmen geschlechtsunabhängig alle
Steuerpflichtigen. Die Eigenschaft als Mutter ist insoweit ohne Relevanz. Zwar erleidet
eine Mutter einen finanziellen Nachteil dadurch, dass es ihr nach § 8 MuSchG nicht
mehr erlaubt ist, an Sonn- und Feiertagen und zur Nachtzeit tatsächlich Arbeit zu leisten
und die nach § 11 MuSchG gezahlten Zuschläge nunmehr mit Einkommensteuer
belastet sind, jedoch steht es im Ermessen des Gesetzgebers, wie er seinen
Schutzauftrag nach Art. 6 Abs. 4 erfüllt. Es besteht für ihn keine Pflicht, jede
wirtschaftliche Belastung durch die Mutterschaft auszugleichen. Der Gesetzgeber ist
nicht verpflichtet, dem Förderungsgebot ohne Rücksicht auf sonstige Belange
nachzukommen (vgl. Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 28.03.2006, 1 BvL
10/01, BVerfGE 115, 259 unter B.I.2. m.w.N.; Jarass/Pieroth, Grundgesetz, Kommentar,
8. Aufl. 2006, Art. 6 Rn. 49). Die durch die Besteuerung der Zulagenanteile bedingte
finanzielle Einbuße trifft nicht den Kernbereich der finanziellen Absicherung einer
werdenden Mutter. Die steuerlichen Nachteile sind nicht so gravierend, dass die soziale
Sicherung der Mutter gefährdet wäre (vgl. auch Urteil des Bundesfinanzhofs vom
26.10.1984, VI R 199/80, BStBl II 1985, 57).
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3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO.
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4. Gründe für die Zulassung der Revision bestehen nicht, § 115 Abs. 2 FGO. Allein die
Tatsache, dass der Bundesfinanzhof zuletzt mit Urteil vom 26.10.1984, VI R 199/80,
BStBl II 1985, 57 über einen vergleichbaren Fall entschieden hat und Satz 2 des Art. 3
Abs. 2 GG erst mit Wirkung zum 15.11.1994 in das Grundgesetz eingeführt wurde
(Gesetz zur Änderung des Grundgesetzes vom 27.10.1994, BGBl. I 1994, 3146),
begründet nicht die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache.
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