Urteil des FG Köln vom 27.03.2003

FG Köln: vorsteuerabzug, unternehmer, steuerbetrag, vermietung, neutralität, gefährdung, unternehmen, auflage, anbau, gegenleistung

Finanzgericht Köln, 8 K 5170/99
Datum:
27.03.2003
Gericht:
Finanzgericht Köln
Spruchkörper:
8. Senat
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
8 K 5170/99
Tenor:
Anmerkung: Der Klage wurde stattgegeben.
Tatbestand
1
Die Beteiligten streiten über die Frage, ob der Klägerin aus Rechnungen ohne
gesonderten Umsatzsteuerausweis der Vorsteuerabzug für die Streitjahre - 1995 und
1996 - zusteht.
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Die Klägerin hat das in 1993 erworbene Geschäftshaus ...-Str. im Jahre 1995 umgebaut
und im Folgejahr hieran einen Anbau errichtet. Das Hauptgebäude wurde danach im
Erdgeschoß als ... umsatzsteuerpflichtig, die übrigen Geschosse zu Wohnzwecken
steuerfrei vermietet. Das Erdgeschoss des Anbaus wurde zur Nutzung durch zwei ...
umsatzsteuerpflichtig und die übrigen Etagen ebenfalls zu Wohnzwecken steuerfrei
vermietet. Zwischen den Beteiligten ist unstreitig, dass der Altbau nach dem Umbau zu
36,03 v.H. für umsatzsteuerpflichtige Umsätze und im übrigen für umsatzsteuerfreie
Umsätze vermietet wurde. Ebenfalls unstreitig ist, dass der Anbau zu 38,28 v.H. für
umsatzsteuerpflichtige Umsätze und im übrigen für umsatzsteuerfreie Umsätze vermietet
wurde.
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Im April 1998 fand bei der Klägerin eine Umsatzsteuer-Sonderprüfung statt. Dabei stellte
der Prüfer neben weiteren - hier nicht relevanten - Feststellungen fest, dass es sich bei
einer der bauausführenden Firmen um die in H. ansässige Fa. D, F. (folgend nur D.)
gehandelt habe, die hierfür in 1995 ... DM und in 1996 ... DM ohne gesonderten
Umsatzsteuerausweis in Rechnung gestellt habe. Die Klägerin hätte - wegen des
Fehlens der Voraussetzungen der sog. Nullregelung gemäß § 52 UStDV - die
Mehrwertsteuer im Abzugsverfahren einbehalten und dem Finanzamt abführen müssen.
Weil dies nicht geschehen sei, sei die Klägerin daher zurecht mit Haftungsbescheid des
Beklagten vom 22. Januar 1998 über ... DM für 1995 und über ... DM für 1996 gemäß §
55 UStDV in Haftung genommen worden.
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Zusätzlich sei der von der Klägerin vorgenommene Vorsteuerabzug aus diesen
Rechnungen in Höhe von 41 v.H. (für 1995) bzw. 40 v.H. (für 1996) - dem seinerzeit
noch von der Klägerin für zutreffend erachteten Anteil der umsatzsteuerpflichtigen
Vermietung - in Höhe von ... DM (für 1995) bzw .... DM (für 1996) nicht zu gewähren.
Wegen der weiteren Einzelheiten hierzu wird auf den Inhalt des Umsatzsteuer-
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Sonderprüfungsberichts vom 28. Mai 1998 zu Tz. 15 c und 17 b Bezug genommen.
Der Beklagte folgte dem und erließ am 12. Juni 1998 für 1995 und am 15. Juni 1998 für
1996 entsprechende Umsatzsteuerbescheide.
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Die hiergegen am 1. Juli 1998 für 1995 und am 9. Juli 1998 für 1996 eingelegten
Einsprüche wies der Beklagte mit Einspruchsentscheidung vom 29. Juni 1999 als
unbegründet zurück.
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Die Klägerin hat am 30. Juli 1999 Klage erhoben.
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Sie macht geltend, nachdem sie die Beträge laut Haftungsbescheid - unstreitig - bezahlt
habe, seien die Voraussetzungen des § 39a UStDV gegeben und damit der
Vorsteuerabzug auch ohne gesonderten Umsatzsteuerausweis in den Rechnungen der
D. möglich.
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Sie habe nämlich unstreitig Rechnungen von einem im Ausland ansässigen
Unternehmer erhalten. Sie habe auch die Steuer im Abzugsverfahren entrichtet. Zwar
sei dies nicht im Wege der Steueranmeldung nach § 54 UStDV geschehen, die Zahlung
sei aber durch die Haftungsinanspruchnahme nach § 55 UStDV erfolgt. Diese Vorschrift
sei aber Bestandteil des Abzugsverfahrens, wie sich bereits aus der systematischen
Stellung der Vorschrift gemäß §§ 18 Abs. 8 UStG i.V.m. §§ 51-58 UStDV ergebe.
Aufgrund der Ermächtigung in § 18 Abs. 8 Satz 1 UStG zur Regelung der Besteuerung
der im Ausland ansässigen Unternehmen seien die Vorschriften der §§ 51-58 UStDV
ergangen. Sie enthielten detaillierte Regelungen über die Besteuerung im
Abzugsverfahren. Bestandteil sei demnach auch die Vorschrift des § 55 UStDV.
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Unerheblich sei, dass sie als Unternehmerin nicht vermerkt habe, welchen Steuerbetrag
sie errechnet und abgeführt habe. Diese Vermerke erübrigten sich nämlich im
vorliegenden Fall, weil aus dem Haftungsbescheid ohne weiteres ersichtlich sei, welche
Steuerbeträge dem Beklagten abgeführt worden seien. Insoweit ersetze der
Haftungsbescheid die nach § 39a Satz 1 Nr. 3 UStDV erforderlichen Angaben.
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Darüber hinaus spreche für die Berücksichtigung der anteiligen Vorsteuerbeträge, dass
die Vorschrift des § 39a UStDV zum 1.1.1993 aus praktischen Erwägungen eingeführt
worden sei, um den im Inland ansässigen Unternehmer, der die Null-Regelung des § 52
Abs. 2 UStDV nicht anwenden könne, weil er nicht zum vollen Vorsteuerabzug
berechtigt sei, den Vorsteuerabzug nach § 15 Abs. 1 UStG zu ermöglichen. Es wäre
weder mit dieser Vereinfachung noch mit der Tatsache, dass der Unternehmer letztlich
nicht mit der Umsatzsteuer belastet werden darf, vereinbar, wenn die anteilig auf die
umsatzsteuerpflichtige Vermietung entfallenden Vorsteuerbeträge nicht als
abzugsfähige Vorsteuer berücksichtigt würden.
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Im übrigen scheitere die Berücksichtigung der geltend gemachten Vorsteuerbeträge
auch nicht daran, dass die Zahlung aufgrund des Haftungsbescheids erst in 1998 erfolgt
sei. § 54 UStDV stelle nämlich für die Anmeldung und Fälligkeit der Steuer auf den
Zeitpunkt der Zahlung des Entgelts an den ausländischen Unternehmer ab. Dies sei
unstreitig in den Jahren 1995 und 1996 der Fall gewesen, so dass auch für diese Jahre
der Vorsteuerabzug zu gewähren sei.
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Zudem stelle sich nach dem Vorlagebeschluss des BFH vom 22. November 2001 V R
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61/00 die Frage, ob im Abzugsverfahren für den Vorsteuerabzug die Vorlage einer
Rechnung überhaupt erforderlich sei. Zweifel hieran habe der BFH bereits im Beschluss
vom 18. Juli 2001 V B 198/00 geäußert.
Die Klägerin beantragt,
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unter Aufhebung der Einspruchsentscheidung vom 29. Juni 1999 die
Umsatzsteuerbescheide für die Jahre 1995 vom 12. Juni 1998 und für 1996 vom 15.
Juni 1998 in der Weise abzuändern, dass für 1995 zusätzliche Vorsteuerbeträge in
Höhe von ... DM und für 1996 zusätzliche Vorsteuerbeträge in Höhe von ... DM, die
auf Leistungen der Firma D., F. entfallen, berücksichtigt werden,
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hilfsweise die Revision zuzulassen.
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Der Beklagte beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Er macht unter Bezugnahme auf die Einspruchsentscheidung geltend, die
Voraussetzungen für die Anwendung der sog. Null-Regelung im Abzugsverfahren nach
§§ 51 ff. UStDV seien im Fall der Klägerin nicht erfüllt gewesen, weil sie als
Leistungsempfängerin nur teilweise zum Vorsteuerabzug berechtigt gewesen sei,
nämlich soweit eine umsatzsteuerpflichtige Vermietung erfolgt sei. Der Vorsteuerabzug
bei Anwendung des Abzugsverfahrens richte sich nach § 39a UStDV. Dessen
Voraussetzungen seien im Streitfall nicht erfüllt. Der leistende Unternehmer habe in
seinen Rechnungen nämlich keine Umsatzsteuer ausgewiesen, was zur Anwendung
des Abzugsverfahrens im Sinne des § 51 Abs. 1 UStDV jedoch erforderlich gewesen
sei. Für den Vorsteuerabzug seien daher nicht die Vorschriften des § 39a UStDV i.V.m.
§ 51 Abs. 1 UStDV anwendbar, sondern die allgemeinen Vorschriften des
Vorsteuerabzugs nach § 15 UStG. Ein Vorsteuerabzug nach dieser Vorschrift scheide
aber mangels offenem Steuerausweis in den Rechnungen aus. Die durch die
Haftungsinanspruchnahme der Klägerin nach § 55 UStDV an ihn abgeführte Steuer
führe deshalb nicht zur Vorsteuerabzugsberechtigung der Klägerin. Ergänzend macht er
geltend, es sei durch das Urteil des Finanzgerichts - FG - Köln vom 20. Juni 1996, Az.: 7
K 5252/93 geklärt, dass eine evidente Doppelerhebung der Umsatzsteuer durch die
Inhaftungnahme nach § 55 UStDV möglich sei.
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Wegen der weiteren Einzelheiten zum Sach- und Streitstand wird auf den Inhalt der
Gerichts- und Steuerakten Bezug genommen.
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Entscheidungsgründe
22
Die Klage ist begründet.
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1.
24
Die Umsatzsteuerbescheide 1995 und 1996 vom 12. und 15. Juni 1998 und die hierzu
ergangene Einspruchsentscheidung sind rechtswidrig und verletzen die Klägerin in
ihren Rechten, soweit es der Beklagte abgelehnt hat, in den angefochtenen Bescheiden
weitere Vorsteuern für 1995 in Höhe von ... DM und für 1996 in Höhe von ... DM aus den
Rechnungen der D. anzuerkennen (vergl. § 100 Abs. 1 Satz 1 der
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Finanzgerichtsordnung - FGO- ).
Nach § 15 Abs. 1 Nr. 1 Satz 1 des für die Streitjahre geltenden Umsatzsteuergesetzes -
UStG - kann der Unternehmer die in Rechnungen im Sinne des § 14 gesondert
ausgewiesene Steuer für Lieferungen oder sonstige Leistungen, die von anderen
Unternehmern für sein Unternehmen ausgeführt worden sind, als Vorsteuer abziehen.
Zwar liegen die Voraussetzungen dieser Vorschrift, was auch die Klägerin nicht
verkennt, nicht vor, weil die Rechnungen der D. keine gesondert ausgewiesene Steuer
für ihre Leistungen an die Klägerin enthielten. Der Vorsteuerabzug kann aber
abweichend von § 15 Abs. 1 Nr. 1 Satz 1 UStG aufgrund der Vorschrift des § 39a der
Umsatzsteuer-Durchführungsverordnung in der für die Streitjahre geltenden Fassung -
UStDV - gewährt werden. Danach kann unter folgenden Voraussetzungen auf den
gesonderten Ausweis der Steuer in einer Rechnung verzichtet werden:
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1. Die Rechnung muss von einem im Ausland ansässigen Unternehmer erteilt worden
sein,
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2. die Steuer muss im Abzugsverfahren nach § 51 Abs.1 Nr. 1 an das Finanzamt
entrichtet worden sein und
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3. der Unternehmer muss auf der Rechnung vermerkt haben, welchen Steuerbetrag er
errechnet und abgeführt hat.
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§ 39a UStDV soll in den Fällen, in denen der ausländische Unternehmer sich weigert,
dem Leistungsempfänger eine Rechnung mit offenem Ausweis der Steuer zu erteilen,
bisherige Schwierigkeiten beheben, wenn der Leistungsempfänger in einem derartigen
Fall nicht voll zum Vorsteuerabzug berechtigt war (Widmann in Plückebaum-Malitzky,
UStG, § 15 Rz. 52/1 m.w.N.; Cissée in Bunjes/Geist, UStG, 5. Auflage, § 15 Anm. 25A).
In der Regierungsbegründung ist hierzu ausgeführt:
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In der Praxis ist es oft schwer durchsetzbar, von einem im Ausland ansässigen
Unternehmer eine Rechnung mit gesondertem Ausweis der deutschen
Umsatzsteuer zu erlangen. Eine Entlastung des Leistungsempfängers von der
Umsatzsteuer ohne gesonderten Steuerausweis in der Rechnung ist nach der sog.
Nullregelung (§ 52 Abs. 2 UStDV) bisher nur dann möglich, wenn er im Falle des
gesonderten Ausweises der Steuer den Vorsteuerabzug in voller Höhe in Anspruch
nehmen könnte.
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Die Neuregelung ermöglicht den anteiligen Vorsteuerabzug bei Rechnungen ohne
gesonderten Steuerausweis im Abzugsverfahren auch dann, wenn der
Leistungsempfänger nur teilweise zum Vorsteuerabzug berechtigt ist (vergl.
Widmann, a.a.O. m.w.N. auf BR-Drs. 633/92).
32
a.
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Die Voraussetzungen der Nr. 1 dieser Ausnahmevorschrift zu § 15 Abs. 1 Nr. 1 Satz 1
UStG liegt vor, weil die streitgegenständlichen Rechnungen von der D. als ein im
Ausland ansässiger Unternehmer erteilt worden sind.
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b.
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Die Klägerin hat auch im Sinne der Nr. 2 der Vorschrift "die Steuer im Abzugsverfahren
nach § 51 Abs. 1 Nr. 1 UStDV an das Finanzamt entrichtet". Der Senat folgt insoweit der
Auffassung der Klägerin, die Zahlung der Steuer aufgrund des Haftungsbescheids sei
hierfür ausreichend.
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Zurecht macht die Klägerin hierzu geltend, dass die Vorschrift des § 55 UStDV zur
Haftung des Leistungsempfängers für die nach § 54 UStDV anzumeldende und
abzuführende Steuer im Abschnitt "Besteuerung im Abzugsverfahren" der UStDV
enthalten ist und dies dafür spricht, dass auch die - im Streitfall unstreitig erfolgte -
Zahlung der Steuer aufgrund eines Haftungsbescheids ein "Entrichten im
Abzugsverfahren" ist. Zwar verweist der Wortlaut des § 39 Satz 1 Nr. 2 UStDV auf das
"Abzugsverfahren nach § 51 Abs. 1 Nr. 1 UStDV" und damit nicht global auf den
Abschnitt der Besteuerung im Abzugsverfahren. Nach § 51 Abs.1 Satz 1 Nr. 1 UStDV
hat der Leistungsempfänger für Werklieferungen und sonstige Leistungen eines im
Ausland ansässigen Unternehmers die Steuer von der Gegenleistung einzubehalten
und an das für ihn zuständige Finanzamt abzuführen. Kennzeichnend hierfür ist zwar,
dass die Steuer aufgrund eines eigenen Antriebs des Leistungsempfängers an den
Fiskus gelangt, um im Falle der Beteiligung eines im Ausland ansässigen
Unternehmers die effektive Besteuerung zu sichern. Soweit sich die Entrichtung der
Steuer im Wege der Haftungsinanspruchnahme hiervon unterscheidet, weil der
gebotene Einbehalt der Steuer von der Gegenleistung seitens des Leistungsempfängers
unterlassen wird und die Entrichtung nach näherer Maßgabe der Vorschrift des § 54
UStDV unterbleibt, rechtfertigt dies aber nicht den Ausschluss der
Vorsteuerabzugsrechts.
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Dabei ist zu beachten, dass die ursprünglich bestehende erhöhte Gefährdung des
Steueranspruchs des Fiskus, die sich daraus ergibt, dass in Fällen der vorliegenden Art
eine auf einen umsatzsteuerpflichtigen Vorgang hindeutende Rechnung mit offenem
Umsatzsteuerausweis fehlt und die Finanzverwaltung - mangels Einbehalt und
Abführung der Steuer im Abzugsverfahren - nicht ihrerseits von einem am
Leistungsaustausch Beteiligten auf den umsatzsteuerpflichtigen Vorgang unterrichtet
wird, durch die Zahlung der Umsatzsteuer im Wege der Haftung wieder entfällt.
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Angesichts dessen ist es nicht gerechtfertigt, dass dem Fiskus mehr Steuern zufließen,
als ihm aus dem Leistungsaustausch materiell-rechtlich gebührt. Mit der vollständigen
Zahlung der Steuern im Wege der Haftungsinanspruchnahme ist dem Fiskus nämlich
die aus dem Leistungsaustausch geschuldete Steuer zugeflossen. Im Ergebnis gebührt
ihm aber nur ein Teil dieser Steuer, nämlich gekürzt um die Vorsteuern, die im Streitfall
auf die steuerpflichtige Vermietung entfallen. Es wäre mit dem Grundsatz der Neutralität
der Mehrwertsteuer nicht vereinbar, in einer Situation der vorliegenden Art, in der wegen
der Zahlung der Steuer durch den Abzugsverpflichteten im Wege der Haftung eine
Gefährdung des Steueraufkommens des Fiskus ausgeschlossen ist, den
Vorsteuerabzug entgegen der Vorschrift des § 39a UStDV auszuschließen, weil die
Zahlung nicht durch Einbehalt und Abführung der Umsatzsteuer durch den
Leistungsempfänger, sondern durch Haftungsinanspruchnahme erfolgt (vergl. zum
Grundsatz der Neutralität der Mehrwertsteuer bei fehlender Gefährdung des
Steueraufkommens: EuGH-Urteil vom 19. September 2000 C-454/98, DStRE 2000,
1166).
39
c.
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Dem Vorsteuerabzugsrecht der Klägerin aus den Rechnungen der D. steht auch nicht
die Vorschrift des § 39a Satz 1 Nr.3 UStDV entgegen. Zwar hat die Klägerin - wie sie
selber einräumt - nicht auf der Rechnung vermerkt, welchen Steuerbetrag sie errechnet
und abgeführt hat. Zurecht macht die Klägerin hierzu aber geltend, solche Angaben
erübrigten sich, weil der Haftungsbescheid die erforderlichen Angaben ersetze. Der
Senat versteht die Notwendigkeit insbesondere der Errechnung des Steuerbetrags als
Surrogat für den fehlenden gesonderten Steuerausweis, um die Rechnung an die
Erfordernisse des § 14 Abs. 1 Satz 1 Nr.6 UStG anzupassen und den auf das Entgelt
entfallenden Steuerbetrag ersichtlich zu machen. Die Vorschrift enthält damit eine
Ausnahme zum Grundsatz, dass der Steuerausweis in der Rechnung nur vom
Abrechnenden vorgenommen werden darf (Reiß/Kraeusel/Langer, UStG, § 14 Rz. 131)
und verlagert diese Befugnis auf den Rechnungsempfänger.
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In Fällen der vorliegenden Art bedarf es allerdings eines solchen Surrogats für den
fehlenden Steuerausweis in der Rechnung nicht. Dies ergibt sich als Konsequenz aus
der - dem Grundsatz der Neutralität der Mehrwertsteuer entnommenen - obigen
Annahme, dass die Entrichtung der Steuer im Wege der Haftung als Entrichtung der
Steuer im Abzugsverfahren im Sinne des § 39a Satz 1 Nr. 2 UStDV anzusehen ist.
Denn im Falle der Haftungsinanspruchnahme fehlt die Voraussetzung des § 39a Nr. 3
UStDV regelmäßig.
42
d.
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Gegen die Gewährung des Vorsteuerabzugs aus den Rechnungen der D. bestehen
auch keine EG-rechtlichen Bedenken. Das Vorsteuerabzugsrecht setzt zwar nach
Artikel 17 Abs. 2 Buchstabe a, Artikel 18 Abs. 1 Buchstabe a, Artikel 22 Abs. 3
Buchstabe b der Sechsten Richtlinie des Rates vom 17. Mai 1977 zur Harmonisierung
der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern 77/388/EWG in der
in den Streitjahren geltenden Fassung (6. EG-Richtlinie) eine Rechnung voraus, in der
getrennt der Preis ohne Steuer und der auf die einzelnen Steuersätze entfallende
Steuerbetrag ausgewiesen sind. Dabei gehen diese Vorschriften aber ersichtlich von
der im Normalfall vorliegenden Steuerschuldnerschaft des Leistenden aus. Die
Bestimmungen der 6. EG-Richtlinie enthalten dagegen - anders als das nationale Recht
mit der Vorschrift des § 39a UStDV - keine Bestimmungen zur Frage, ob eine Rechnung
für Zwecke des Vorsteuerabzugs auch dann einen Steuerausweis enthalten muss,
wenn die Steuerschuldnerschaft gemäß Artikel 21 Nr. 1 Buchstabe a der 6. EG-
Richtlinie auf den Leistungsempfänger verlagert ist. Ist der Empfänger der
Dienstleistung der Steuerschuldner und wird er als solcher in Anspruch genommen, hat
die Rechnung für das Besteuerungsverfahren aber nicht dieselbe Bedeutung, wie wenn
der Leistende die Steuer schuldet (vergl. Vorlagebeschluss des BFH vom 22. November
2001 V R 61/00, BFH/NV 2002, 734). Der Senat hat angesichts dessen - jedenfalls in
Fällen der vorliegenden Art, in denen eine Rechnung im Sinne des Artikel 22 Abs. 3 der
6. EG-Richtlinie - allerdings ohne gesonderten Steuerausweis - vorliegt und der
Leistungsempfänger die Steuer im Ergebnis vollständig bezahlt hat - keine Zweifel
daran, dass unter Beachtung des Grundsatzes der Neutralität der Mehrwertsteuer auch
die Vorschriften der 6. EG-Richtlinie das Vorsteuerabzugsrecht des
Leistungsempfängers nicht davon abhängig machen, dass eine Rechnung mit
gesondertem Steuerausweis vorliegen muss. Angesichts dessen sah er sich auch nicht
veranlasst, das Verfahren auszusetzen und eine Vorabentscheidung des EuGH zu
ersuchen (vergl. dazu Gräber/Koch, FGO, 5. Auflage, Vor § 74 Rz. 7)
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2.
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Der Senat setzt die Steuern wie folgt neu fest:
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Umsatzsteuer 1995:
47
Bisher festgesetzte Steuer: -....- DM
48
Dabei berücksichtigte steuerpflichtige Lieferungen, sonstige
49
Leistungen und Eigenverbrauch: ... DM
50
Vorsteuern bisher: ... DM
51
zusätzlich zu berücksichtigende Vorsteuern:
52
(36,03 v.H. aus ... DM) ... DM
53
Summe der Vorsteuern: ... DM
54
Überschuss: - ... DM
55
Dies entspricht: - ... Euro
56
Festzusetzen (gerundet): - ... Euro
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Umsatzsteuer 1996:
58
Bisher festgesetzte Steuer: -....- DM
59
Dabei berücksichtigte steuerpflichtige Lieferungen, sonstige
60
Leistungen und Eigenverbrauch: ... DM
61
Vorsteuern bisher: ... DM
62
zusätzlich zu berücksichtigende Vorsteuern:
63
(38,28 v.H. aus ... DM) ... DM
64
Summe der Vorsteuern: ... DM
65
Überschuss: - ... DM
66
Dies entspricht: - ... Euro
67
Festzusetzen (gerundet): - ....- Euro
68
3.
69
Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO.
70
4.
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Die Revision wird wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache (§115 Abs. 2 Nr.
1 FGO) zugelassen. Dabei war zu beachten, dass der Vorlagebeschluss des BFH vom
22. November 2001 V R 61/00 - anders als der vorliegende Fall - einen
Haftungsbescheid zum Gegenstand hat und der vorliegende Fall deshalb Gelegenheit
zur weiteren Klärung der Voraussetzungen und Reichweite des Vorsteuerabzugsrechts
im Abzugsverfahren bietet.
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