Urteil des FG Köln vom 09.08.2007
FG Köln: nutzen und gefahr, gebäude, besitz, eigentum, nutzungsrecht, rückübertragung, einwirkung, sicherheitsleistung, verfügung, minderung
Finanzgericht Köln, 10 K 5022/03
Datum:
09.08.2007
Gericht:
Finanzgericht Köln
Spruchkörper:
10. Senat
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
10 K 5022/03
Tenor:
Der Einkommensteueränderungsbescheid für 1995 vom 14.1.1999 wird
unter Aufhebung der hierzu ergangenen Einspruchsentscheidung vom
18.8.2003 mit der Maßgabe geändert, dass der Entnahmegewinn um
176.320 DM gemindert wird. Die Änderung der
Gewerbesteuerrückstellung ist gewinnerhöhend zu berücksichtigen. Im
Übrigen wird die Klage abgewiesen. Die Neuberechnung der
Einkommensteuer wird dem Beklagten übertragen.
Die Kosten des Verfahrens werden den Klägern zu 4/5 und dem
Beklagten zu 1/5 auferlegt.
Das Urteil ist wegen der Kostenentscheidung ohne Sicherheitsleistung
vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte kann die Vollstreckung durch
Sicherheitsleistung oder Hinterlegung i.H.d.
Kostenerstattungsanspruchs der Kläger abwenden, soweit nicht die
Kläger zuvor Sicherheit in derselben Höhe leisten.
Tatbestand
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Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob die Übertragung von Grundstücken zu einer
Entnahme und damit steuerpflichtigem laufendem Gewinn geführt hat.
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Der 1940 geborene Kläger betreibt auf den Grundstücken H- Str. und F- Str. einen
Einzelhandel mit Wohnmöbeln und Beerdigungsinstitut. Die Gebäude wurden in den
1950er Jahren errichtet bzw. generalüberholt. Die Grundstücke gehörten zum
notwendigen Betriebsvermögen des Klägers.
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Mit notariell beurkundetem Übertragungsvertrag vom 29.12.1995 des Notars J
(Urkundsrollen-Nr.: ... ) übertrugen der Kläger, soweit er Alleineigentümer des
Grundbesitzes war, und die Kläger, soweit sie Miteigentümer von Grundbesitz waren,
ihren Grundbesitz auf ihre 2 Kinder. Dazu gehörten auch die bisher betrieblich
genutzten Grundstücke. In § 3 des Übertragungsvertrags behielten die Kläger sich ein
lebenslanges Nießbrauchsrecht an den Grundstücken vor. Sie trugen auch die
außergewöhnlichen privaten und öffentlich rechtlichen Belastungen der Grundstücke. §
4 des Vertrages enthält zu Gunsten der Kläger ein Veräußerungs- und
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Belastungsverbot. Die Grundstücke durften ohne Zustimmung der Kläger weder
veräußert noch belastet werden. Bei einem Verstoß waren die Erwerber verpflichtet, die
Grundstücke auf die Kläger zurückzuübertragen. Die Verpflichtung zur Rückübertragung
wurde dinglich durch eine Rückauflassungsvormerkung gesichert. Eine Verpflichtung
zur Rückübertragung der Grundstücke besteht außerdem, wenn die Erwerber vor einem
der beiden Kläger versterben. Nach § 5 Ziff. 4 des Vertrages trägt der Kläger für die
übertragenen Grundstücke bis zu seinem Tode, und danach die ebenfalls 1940
geborene Klägerin die Erschließungsbeiträge nach dem Baugesetzbuch und die Lasten
nach dem Kommunalabgabengesetz. Besitz, Nutzungen, Gefahr und Lasten gingen am
Tag des Vertragsabschlusses auf die Erwerber über.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Übertragungsvertrag Bezug genommen.
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Der Kläger nutzte die Grundstücke weiterhin für betriebliche Zwecke. In den Jahren
1997 und 1998 führte er auf eigene Rechnung umfangreiche Arbeiten an den Gebäuden
durch, deren Kosten insgesamt ca. 1,3 Mio. betrugen.
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Im Zuge einer Betriebsprüfung für die Jahre 1993 – 1995 kam der Betriebsprüfer zu dem
Schluss, dass durch die Grundstücksübertragung auf die Kinder eine
Grundstücksentnahme bewirkt worden sei. Dies habe zur Folge, dass die in den
Grundstücken enthaltenen stillen Reserven zu realisieren seien. Den hieraus
resultierenden Entnahmegewinn ermittelte die Betriebsprüfung mit 925.298,00 DM.
Dieser Betrag wurde von den Klägern weder in der Betriebsprüfung noch im
Einspruchsverfahren noch im Klageverfahren bis 10 Tage vor der mündlichen
Verhandlung in Frage gestellt. Wegen der Einzelheiten wird auf den
Betriebsprüfungsbericht vom 02.10.1998 bezug genommen.
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Der Beklagte folgte der Auffassung des Betriebsprüfers und erließ am 14.1.1999 einen
geänderten Einkommensteuerbescheid für 1995, in dem er unter anderem einen
Entnahmegewinn in Höhe von 925.298,00 DM ansetzte.
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Den gegen den Einkommensteueränderungsbescheid eingelegten Einspruch wies der
Beklagte mit Einspruchsentscheidung vom 18.08.2003 als unbegründet zurück. Wegen
der Einzelheiten wird auf die Einspruchsentscheidung bezug genommen.
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Mit der Klage tragen die Kläger vor:
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In der Übertragung des Eigentums an den in § 2 des Vertrags vom 29.12.1995
genannten Grundstücke liege keine Entnahme aus dem Betriebsvermögen des Klägers,
weil dieser wirtschaftlicher Eigentümer geblieben sei. Nach ständiger Rechtsprechung
des BFH sei der Vorbehaltsnießbraucher wirtschaftlicher Eigentümer, wenn seine
rechtliche und tatsächliche Bestellung gegenüber dem zivilrechtlichen Eigentümer des
Grundstücks so über die gesetzlichen – lediglich eine Nutzungsbefugnis vermittelnden –
Regelungen der § 1030 ff. BGB hinausgehe, dass er die tatsächliche Herrschaft über
das nießbrauchsbelastete Grundstück ausübe. Dies sei im Streitfall gegeben. Sie, die
Kläger, trügen vollständig die Lasten des übertragenden Grundbesitzes. Die
übernommenen Lasten gingen über die gewöhnlichen privaten und öffentlichen Lasten
des § 1140 BGB weit hinaus. Außerdem liege ein dinglich gesichertes Veräußerungs-
und Belastungsverbot vor. Hinzu komme eine dinglich abgesicherte
Rückübertragungsverpflichtung im Falle des Vorversterbens der Erwerber. Letztendlich
habe er, der Kläger, in den Jahren 1997 und 1998 auf eigene Rechnung umfangreiche
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Herstellungsarbeiten durchgeführt. Die unveränderte Nutzung der Grundstücke für
betriebliche Zwecke zeige, dass er, der Kläger, wirtschaftlicher Eigentümer geblieben
sei.
Mit Schriftsatz vom 31.7.2007 tragen die Kläger weiter vor, dass der Entnahmewert
überhöht sei. Wegen der Einzelheiten wird auf diesen Schriftsatz Bezug genommen.
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Die Kläger beantragen,
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den angefochtenen Einkommensteuerbescheid 1995 unter Aufhebung der hierzu
ergangenen Einspruchsentscheidung mit der Maßgabe zu ändern, dass bei den
Einkünften des Klägers aus Gewerbebetrieb kein Entnahmegewinn in Höhe von
925.298,00 DM berücksichtigt wird,
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Der Beklagte beantragt,
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die Klage mit der Maßgabe abzuweisen, dass der Entnahmegewinn um 176.320
DM unter Anpassung der Gewerbesteuerrückstellung gemindert wird,
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Entscheidungsgründe:
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Die zulässige Anfechtungsklage ist nur in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang
begründet. Insoweit ist der angefochtene Einkommensteuerbescheid rechtswidrig und
verletzt die Kläger deshalb in ihren Rechten, vgl. § 100 Abs. 1 Satz 1 der
Finanzgerichtsordnung – FGO - .
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Der Beklagte hat dem Grunde nach zu Recht in dem
Einkommensteueränderungsbescheid einen Gewinn aus der Entnahme der bisher im
Betriebsvermögen des Einzelunternehmens befindlichen Grundstücke angenommen.
Die Grundstücke waren nicht mehr dem Kläger zuzurechnen. Die Höhe des
Entnahmegewinns war jedoch um das auf den Grundstücken lastende
Nießbrauchsrecht der Mutter des Klägers zu mindern.
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Nach § 39 Abs. 1 der Abgabenordnung 1977 – AO – sind Grundstücke dem
(zivilrechtlichen) Eigentümer zuzurechnen. Dieser ist im Regelfall auch wirtschaftlicher
Eigentümer. Fallen jedoch zivilrechtliches und wirtschaftliches Eigentum auseinander,
so sind die Wirtschaftsgüter dem wirtschaftlichen (und nicht dem zivilrechtlichen)
Eigentümer zuzurechnen, § 39 Abs. 2 Nr. 1 Satz 1 AO. Wirtschaftlicher Eigentümer ist
derjenige, der die tatsächliche Herrschaft über ein Wirtschaftsgut in der Weise ausübt,
dass er den Eigentümer im Regelfall für die gewöhnliche Nutzungsdauer des
Wirtschaftsguts von der Einwirkung auf das Wirtschaftsgut wirtschaftlich ausschließen
kann. Ein wirtschaftlicher Ausschluss in diesem Sinne liegt vor, wenn nach dem
Gesamtbild der Verhältnisse kein Herausgabeanspruch des zivilrechtlichen
Eigentümers besteht oder der Herausgabeanspruch keine wirtschaftliche Bedeutung
mehr hat (ständige Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs, vgl. z. B. Urteil vom
24.06.2004 III R 50/01, Bundessteuerblatt – BStBl – II 2005, 80).
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Unstreitig sind die Kinder der Kläger zivilrechtliche Eigentümer unter anderem auch des
streitbefangenen Grundbesitzes geworden. Entgegen der Auffassung der Kläger sind
sie auch wirtschaftliche Eigentümer geworden.
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Der Nießbraucher ist, da er nur einen abgeleiteten Besitz ausübt, im Regelfall nicht
wirtschaftlicher Eigentümer des seiner Nutzung unterliegenden Wirtschaftsguts (BFH
a.a.O. mit Nachweisen).
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Der Streitfall weist keine Besonderheiten auf, die eine abweichende Beurteilung
rechtfertigen könnten. Auch wenn der Nießbraucher, wie hier der Kläger, vertraglich
sämtliche Lasten und Aufwendungen für die Unterhaltung des Nießbrauchsobjekts
übernommen hat, kann der Erwerber über Substanz und Ertrag des Objektes
letztendlich verfügen. Unerheblich ist auch die Bestellung des Nießbrauchs auf die
Lebenszeit der Kläger. Da die Gebäude in den 1950erJahren errichtet bzw.
generalüberholt wurden, haben sie eine längere Nutzungsdauer als die gewöhnliche
Lebenserwartung der Kläger, so dass die Eigentümer für die gewöhnliche
Nutzungsdauer der Gebäude nicht von der Einwirkung auf das Objekt ausgeschlossen
sind.
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Die Rückauflassungsvormerkungen führen im Streitfall ebenfalls nicht zu
wirtschaftlichem Eigentum des Klägers. Veräußerten die Erwerber z. B. mit Zustimmung
der Kläger den Grundbesitz, stand der Erlös, und damit die Substanz des
Grundbesitzes, ihnen als zivilrechtlichen Eigentümern (und nicht den Klägern als
Nießbrauchern) zu. Eine frei widerrufliche Schenkung, bei der man die Annahme des
Übergangs des wirtschaftlichen Eigentums verneinen könnte (vgl. BFH-Urteil vom
16.05.1989 VIII R 196/84, BStBl II 1989, 877) liegt gerade nicht vor.
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Der spätere Umbau der Gebäude ist ohne Bedeutung, da er keinen Rückschluss auf
den Zeitpunkt der Übertragung zulässt.
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Da Besitz und Lasten, Nutzen und Gefahr mit Vertragsabschluss, d. h. am 29.12.1995,
auf die Erwerber übergingen, hat der Kläger das wirtschaftliche Eigentum zu diesem
Zeitpunkt verloren. Damit waren die Grundstücke zu diesem Zeitpunkt aus dem
Betriebsvermögen ausgeschieden, der Entnahmetatbestand verwirklicht worden und der
Gewinn realisiert.
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Die Höhe des Entnahmegewinns ist um das Nießbrauchsrecht zu Gunsten der Mutter
des Klägers zu mindern. Da dies zwischen den Beteiligten unstreitig ist, sieht der Senat
insoweit von einer Begründung ab. Eine weitere Minderung ist entgegen der Auffassung
der Kläger nicht vorzunehmen. Im Rahmen der Betriebsprüfung wurden umfangreiche
Gutachten zur Ermittlung der Verkehrswerte erstellt und den Klägern zur Verfügung
gestellt. Der Senat nimmt auf diese Gutachten Bezug. Die in den Gutachten ermittelten
Werte wurden von den Klägern jahrelang nicht in Frage gestellt. Die kurz vor der
mündlichen Verhandlung nunmehr vorgebrachten Bedenken weist der Senat wegen
Prozessverschleppung zurück. Die Beteiligten trifft auch im Finanzgerichtsprozess eine
Mitwirkungspflicht und Prozessverantwortung (s. von Groll in Gräber, FGO, 6. Aufl. 2006,
§ 96 Rz 33 mit Rechtsprechungsnachweisen). Sie haben sich zu den ihrer Auffassung
nach entscheidungserheblichen Fragen tatsächlicher Art so rechtzeitig zu äußern, dass
dem Gericht eine ordnungsgemäße Vorbereitung der mündlichen Verhandlung möglich
ist und es rechtzeitig notwendige Aufklärungsmaßnahmen veranlassen kann.
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Hat das Gericht keine Veranlassung, einen Entnahmewert zu hinterfragen, da dieser
jahrelang von den durch Angehörige der steuer- und rechtsberatenden Berufe
vertretenen Steuerpflichtigen nicht beanstandet wurde, kann eine kurz vor der
mündlichen Verhandlung erfolgende umfangreiche andere Wertermittlung nur als
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Prozessverschleppungstaktik gewertet werden. Dies trifft in besonderem Maße auf die
Kanzlei der Bevollmächtigten der Kläger zu. Diese ist gerichtsbekannt dafür, dass sie
regelmäßig kurz vor einer mündlichen Verhandlung in umfangreichen Schriftsätzen
bisher Unstreitiges in Zweifel zieht und Beweisanträge stellt. Würde ein solches
Verhalten toleriert, wäre eine ordnungsgemäße Sitzungsvorbereitung nicht mehr
möglich, es sei denn, das Gericht würde auch ohne konkrete Veranlassung immer
Ausschlussfristen nach § 79b FGO setzen.
Die Einkünfte des Klägers aus Gewerbebetrieb sind auch nicht im Streitjahr wegen
Absetzungen für Abnutzung eines Nutzungsrechts zu mindern.
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Der Kläger hat zwar mit der Vereinbarung des Nießbrauchs ein Nutzungsrecht an den
bisher genutzten Grundstücken erlangt. Dieses Nutzungsrecht darf jedoch nicht
bilanziert werden, so dass auch Abschreibungen hierauf nicht möglich sind. Der
Bilanzierung steht das Verbot der Aktivierung schwebender Geschäfte entgegen. Bei
dem Nießbrauchsrecht handelt es sich um eine dingliche gesicherte Form der
Nutzungsüberlassung. Hierbei handelt es sich, so lange der Sachleistungsverpflichtete
seiner Verpflichtung noch nicht zur Nutzungsüberlassung noch nicht nachgekommen ist,
um ein schwebendes Geschäft.
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 136 Abs. 1 FGO, die Entscheidung über die
vorläufige Vollstreckbarkeit auf §§ 151 FGO, 708 Nr. 10, 711 der Zivilprozessordnung.
Die Neuberechnung der Einkommensteuer wird gemäß § 100 Abs. 2 Satz 2 FGO dem
Beklagten übertragen. Die Beteiligten haben einer Anwendung dieser Vorschrift nicht
widersprochen.
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Der Senat sieht keine Veranlassung, die Revision zuzulassen, da er auf Grundlage der
BFH-Rechtsprechung einen Einzelfall entscheidet.
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